Menschen im Krieg - Andreas Latzko - E-Book

Menschen im Krieg E-Book

Andreas Latzko

4,8

Beschreibung

Ein Meisterwerk der Antikriegsliteratur. Im Ersten Weltkrieg wird der Autor verwundet und schwer traumatisiert. In sechs eindringlichen Geschichten zeigt er den Irrsinn des Krieges auf. Diese noch 1917 anonym veröffentlichte Sammlung ist die erfolgreichste Veröffentlichung des Autors. In allen kriegsführenden Staaten wurde das Buch umgehend verboten. Die Nazis taten alles daran, um diesen frühen Mahner und Warner vor der Kriegsgeilheit vergessen zu machen. Leider hatten sie Erfolg. Auch Latzko und sein Werk erhielten von Hitler das "Gütesiegel" der Literatur "wider den deutschen Geist." Erst sehr spät nach dem Krieg wurde der im holländischen Exil gestorbene Autor einem breiteren Publikum bekannt. Dennoch erreichte seine Bekanntheit nie die Grade eines Erich Maria Remarque mit seinem "Im Westen nicht Neues." Null Papier Verlag

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Andreas Latzko

Menschen im Krieg

Erzählungen

Andreas Latzko

Menschen im Krieg

Erzählungen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: Verlag Rascher, Zürich, 1918 (200 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962815-39-4

null-papier.de/634

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Inhaltsverzeichnis

Der Ab­marsch

Feu­er­tau­fe

Der Sie­ger

Der Ka­me­rad

Hel­den­tod

Heim­kehr

Dan­ke

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Freund und Feind zu ei­gen

Ich weiß ge­wiss, die Zeit wird ein­mal kom­men, wo al­les denkt wie ich.

Der Abmarsch

Es war im Spät­herbst des zwei­ten Kriegs­jah­res, im La­za­rett­gar­ten ei­ner klei­nen ös­ter­rei­chi­schen Pro­vinz­stadt, die am Fuße be­wal­de­ter Hü­gel, wie hin­ter ei­ner spa­ni­schen Wand ver­kro­chen, ihr ver­schla­fen fried­fer­ti­ges Dr­ein­schau­en noch im­mer nicht ab­ge­legt hat­te.

Tag und Nacht pfif­fen die Lo­ko­mo­ti­ven, roll­ten die schwer­be­la­de­nen Züge mit sin­gen­den, ge­schmück­ten Sol­da­ten, mit hoch­ge­schich­te­ten Heu­bal­len, brül­len­dem Schlacht­vieh, sorg­fäl­tig ver­schlos­se­nen, fins­te­ren Wa­gen mit Mu­ni­ti­on zur Front hin­aus; kro­chen lang­sam die an­de­ren heim­wärts, ge­zeich­net mit dem blu­ten­den Kreuz, das der Krieg über Wän­de und In­sas­sen ge­wor­fen. Mit Ra­se­schrit­ten durch­eil­te die große Wut das Städt­chen, ohne sei­ne Ruhe ver­scheu­chen zu kön­nen, als hät­ten die nie­de­ren, hell ge­tünch­ten Häu­ser mit den zop­fig ver­schnör­kel­ten Fassa­den still­schwei­gend das klu­ge Übe­rein­kom­men ge­trof­fen, den an­spruchs­vol­len, lär­men­den Ge­sel­len, der da das un­ters­te zu oberst kehr­te, vor­nehm zu igno­rie­ren.

In den An­la­gen spiel­ten die Kin­der un­ge­stört mit den großen, rostro­ten Blät­tern der al­ten Kas­ta­ni­en, Frau­en stan­den schwat­zend vor den La­den­tü­ren, in je­dem Gäss­chen schweb­te ir­gend­wo ein Mäd­chen mit bun­tem Kopf­tuch und rieb eine Fens­ter­schei­be blank. Trotz der Spi­tal­fah­nen, die auf Schritt und Tritt von den Häu­sern weh­ten, trotz der vie­len Ta­feln, Auf­schrif­ten und Weg­wei­ser, die der Ein­dring­ling dem wehr­lo­sen Städt­chen ins Ant­litz ge­hef­tet, schi­en da, kaum fünf­zig Ki­lo­me­ter hin­ter dem Ge­met­zel, des­sen Schein, in kla­ren Näch­ten, wie Thea­ter­feu­er über den Ho­ri­zont zuck­te, der Frie­den im­mer noch in Per­ma­nenz. Wenn, für Au­gen­bli­cke, der Strom der schwe­ren, fau­chen­den Kraft­wa­gen und ras­seln­den Fuhr­wer­ke ver­sieg­te, kein Zug über die Ei­sen­bahn­brücke pol­ter­te, und zu­fäl­lig auch kein Trom­pe­ten­si­gnal und kein Sä­bel­klir­ren krie­ge­risch tat, dann steck­te das trot­zi­ge klei­ne Nest blitz­schnell sein gut­mü­tig-stumpf­sin­ni­ges Pro­vinz­ge­sicht auf, um sich vor dem nächs­ten Ge­ne­ral­stab­s­au­to, das mit wich­tig­tue­ri­scher Schnel­le um die Ecke bog, re­si­gniert hin­ter die schlechts­it­zen­de Sol­da­ten­mas­ke zu ver­krie­chen.

Wohl brumm­ten in der Fer­ne die Ka­no­nen, als kau­er­te eine un­ge­heu­re Dog­ge ir­gend­wo tief un­ter der Erde, sprung­be­reit den Him­mel an­knur­rend. Das dump­fe Bel­len der großen Mör­ser klang her­über, wie schwe­res Hus­ten aus der Kran­ken­stu­be die Wa­chen­den schreckt, die mit rot­ge­wein­ten Au­gen ne­ben­an zum Ster­ben­den hin­über­lau­schen. Auch die lan­gen, nie­de­ren Häu­ser­rei­hen zuck­ten klir­rend zu­sam­men, horch­ten er­schüt­tert auf, so oft dies Hus­ten den Bo­den krampf­te, als läge die Kriegs­not, wie ein Alp, wür­gend auf der Brust der Welt. Er­staunt blick­ten die Stra­ßen ein­an­der in die Au­gen, schläf­rig blin­zelnd im Wi­der­schein der Nacht­lämp­chen, die drin ihre fröh­lich hu­schen­den Schat­ten über dicht­ge­reih­te Bet­ten jag­ten. Gel­len­de Schreie, Wim­mern, Stöh­nen sand­ten die not­ge­pfropf­ten Räu­me in die Nacht hin­aus. Je­der mensch­li­che Laut, der durch die of­fe­nen Fens­ter drang, fiel wie ein wü­ten­der An­griff die Stil­le an, war wil­de An­kla­ge ge­gen den Krieg, der da vor­ne sei­ne Ar­beit tat und zer­fetz­te Men­schen­lei­ber wie Ab­fall hin­ter sich warf, alle Häu­ser mit sei­nem blu­ti­gen Keh­richt fül­lend.

Aber die schö­nen, schmie­de­ei­ser­nen Brun­nen auf den Plät­zen rausch­ten doch gleich­mü­tig wei­ter, plau­der­ten mit be­ru­hi­gen­der Aus­dau­er von den Ta­gen ih­rer Ju­gend, da die Men­schen noch Zeit und Sorg­falt für edel ge­schwun­ge­ne Li­ni­en ge­habt, Krieg eine An­ge­le­gen­heit für Fürs­ten und Aben­teu­rer ge­we­sen. Aus je­dem Schnör­kel und je­der Ecke ström­te das Mär­chen, lief auf lei­sen Soh­len, von Frie­den und Be­ha­gen flüs­ternd, wie eine un­sicht­ba­re Klatsch­ba­se durch alle Gäss­chen, und die grei­sen Kas­ta­ni­en­bäu­me nick­ten zu­stim­mend, stri­chen mit dem Schat­ten ih­rer ge­spreiz­ten Fin­ger be­sänf­ti­gend über die er­schro­cke­nen Fassa­den. So dicht wu­cher­te die Ver­gan­gen­heit aus den ris­si­gen Mau­ern, dass je­dem, der in ih­ren Kreis trat, Brun­nen­rau­schen den Ka­no­nen­don­ner über­tön­te, die Kran­ken und Wun­den be­sänf­tigt hin­aus­horch­ten vom hei­ßen La­ger in die ge­schwät­zi­ge Nacht, blei­che Män­ner, die man auf wip­pen­den Bah­ren durchs Städt­chen trug, die Höl­le ver­ga­ßen, aus der sie ka­men, und selbst die schwer­be­pack­ten Op­fer, die im nächt­li­chen Eil­marsch dröh­nend vor­bei­zo­gen, mil­de wur­den für eine Weg­span­ne, als wä­ren sie dem Frie­den be­geg­net und ih­rem ei­ge­nen, un­be­waff­ne­ten Ich, im Schat­ten der Pfei­ler und blu­men­ge­schmück­ten Er­ker. Es er­ging dem Krie­ge wie dem Fluss, der von Nor­den her in to­ben­der Eile aus den Ber­gen kam, schäu­mend vor Wut über je­des Stein­chen, das ihm den Weg ver­trat; – und der am an­de­ren Ende, bei den letz­ten Häu­sern, doch sanft ge­rührt Ab­schied nahm von der Stadt, ganz ge­bän­digt, ganz lei­se plät­schernd, wie auf Fuß­spit­zen, wie ein­ge­schlä­fert von all’ der Ver­träumt­heit, die er ge­spie­gelt. Breit­spu­rig trat er ins wei­te Wie­sen­feld hin­aus, einen Bo­gen schlin­gend um das Gar­ni­sonss­pi­tal, das im Schat­ten dick­lei­bi­ger Pla­ta­nen wie auf ei­ner In­sel stand. Von drei Sei­ten her misch­te sich das Mur­meln der trä­gen Flut in das Ra­scheln der Blät­ter, als stimm­te der Gar­ten, wenn die Däm­me­rung auf ihn fiel, mit­lei­dig ein Schlum­mer­lied an für die Ge­schun­de­nen, die da in Reih und Glied zu lei­den hat­ten, re­gle­men­tiert bis in den Tod hin­ein, bis ans Grab, in das man sie, ver­un­glück­te Schuh­ma­cher, Klemp­ner­ge­sel­len, Bau­ern­knech­te und Schrei­ber­see­len, mit groß­mäu­li­gen Ge­wehr­sal­ven ver­scharr­te.

Der Zap­fen­streich war eben ver­k­lun­gen; die Wa­che hielt die Run­de, stö­ber­te im Schat­ten der großen Al­lee drei Nach­züg­ler auf und jag­te sie ins Haus.

»Sei­d’s ös viel­leicht Of­fi­zie­re, was?«, brumm­te ge­müt­lich pol­ternd der Kom­man­dant, ein stäm­mi­ger Land­sturm­kor­po­ral mit er­grau­ten Schlä­fen.

»Mann­schaft g’hört ins Bett um neu­ne!«

Und nur um sei­ne Wür­de zu wah­ren, füg­te er mit schlecht ge­spiel­ter Bär­bei­ßig­keit die Dro­hung hin­zu:

»Als­dann! Is g’­fäl­lig oder net?«

Bei­na­he hät­te er die in sol­chen Fäl­len üb­li­che Dro­hung, dem einen oder an­de­ren Bei­ne zu ma­chen, schon aus­ge­spro­chen, aus Ge­wohn­heit; doch konn­te er im letz­ten Mo­ment den Satz noch ver­bei­ßen und schnitt ein Ge­sicht, als hät­te er sich ver­schluckt. Denn die Drei, die nun er­ge­ben dem Mann­schaft­sein­gang zu­hum­pel­ten, hät­ten ge­wiss nichts ein­zu­wen­den ge­habt ge­gen das Bei­ne­ma­chen. Sie kro­chen, zu dritt, auf zu­sam­men zwei Fü­ßen und sechs klap­pern­den Krücken. Als hät­ten Re­gis­seur­hän­de, ängst­lich um Sym­me­trie be­sorgt, das le­ben­de Bild ge­stellt, ging rechts ei­ner, der nur sein rech­tes Bein be­hal­ten hat­te, links sein Pend­ant, auf dem lin­ken Fuße hüp­fend; und in der Mit­te schau­kel­te, zwi­schen zwei ho­hen Krücken, der arm­se­li­ge Rest ei­nes Men­schen­lei­bes, die lee­ren Ho­sen­bei­ne übers Kreuz auf die Brust ge­steckt, so kurz, dass der gan­ze Mann in ei­ner Kin­der­wie­ge Platz ge­fun­den hät­te.

Mit ge­senk­tem Kopf und ge­ball­ten Fäus­ten, wie ge­duckt un­ter der Last des An­blicks, starr­te der Kor­po­ral der Grup­pe nach, knurr­te einen Fluch, der nicht ge­ra­de pa­trio­tisch klang, und spie in wei­tem Bo­gen zi­schend durch die Vor­der­zäh­ne. Als er sich zum Ge­hen wand­te, schlug vom an­de­ren Ende des Gar­tens, aus der Rich­tung des Of­fi­ziers­flü­gels, schal­len­des Ge­läch­ter an sein Ohr. Ver­stei­nert blieb er ste­hen, zog den Kopf ein, wie aufs Ge­nick ge­schla­gen, und über sein brei­tes, gut­mü­ti­ges Bau­ern­ge­sicht husch­te ein Schein von un­bän­di­gem Hass. Er spie noch ein­mal aus, um sich zu be­ru­hi­gen, nahm einen An­lauf und pas­sier­te, stramm sa­lu­tie­rend, die lus­ti­ge Ge­sell­schaft.

Die Her­ren dank­ten läs­sig. Sie sa­ßen, – an­ge­steckt von dem Be­ha­gen, das wie eine Wol­ke über dem gan­zen Städt­chen schweb­te, – fröh­lich plau­dernd auf vier, zu ei­nem Qua­drat zu­sam­men ge­scho­be­nen Bän­ken vor dem Hau­se, spra­chen vom Krieg und – lach­ten, wie ver­gnüg­te Schul­kin­der, die freu­dig von über­stan­de­nen Prü­fungs­ängs­ten schwat­zen. Je­der hat­te sei­ne Pf­licht ge­tan, sein Teil ab­be­kom­men und saß nun, im Schut­ze sei­ner Wun­de, in mol­li­ger Er­war­tung auf Hei­m­ur­laub, Wie­der­se­hen, Ge­fei­ert­wer­den und we­nigs­tens zwei gan­ze Wo­chen als un­nu­me­rier­ter Mensch.

Am lau­tes­ten lach­te der jun­ge Leut­nant, den sie Mu­sul­mann nann­ten, we­gen sei­ner mo­ham­me­da­ni­schen Kopf­be­de­ckung als Of­fi­zier ei­nes Bos­n­ja­ken­re­gi­ments. Eine her­ab­sau­sen­de Hül­se hat­te ihm das lin­ke Bein ge­bro­chen und gründ­lich, denn es lag seit Wo­chen schon ver­schient und ein­ge­wi­ckelt in star­rer Gips­hül­se, sorg­fäl­tig ge­hegt von sei­nem Be­sit­zer, der es, auf Krücken ge­stützt, wie einen frem­den, ihm an­ver­trau­ten Wert­ge­gen­stand mit sich trug.

Auf der Bank ge­gen­über dem Mu­sul­mann sa­ßen zwei Her­ren: ein Ritt­meis­ter – der ein­zi­ge Ak­ti­ve in der Ge­sell­schaft – mit ei­nem Qu­er­schlä­ger im rech­ten Arm und ein Ar­til­le­rie­of­fi­zier, in Zi­vil Pri­vat­do­zent der Phi­lo­so­phie – da­her kurz Phi­lo­so­ph ge­nannt – mit ei­ner schon ver­hei­len­den Ha­sen­schar­te, die ihm ein Gra­nat­split­ter in die Ober­lip­pe ge­ris­sen. Die­se drei be­strit­ten, mit den zwei Da­men auf der Bank, die an der Mau­er stand, al­lein die Un­ter­hal­tung; denn der vier­te: Land­sturm­leut­nant mit ge­lich­te­tem Hin­ter­kopf, be­kann­ter Opern­kom­po­nist in Zi­vil, saß ver­sun­ken, mit zu­cken­den Glie­dern und un­s­tet ir­ren­den Au­gen auf sei­ner Bank, ohne An­teil zu neh­men am Ge­spräch. Er war vor ei­ner Wo­che erst ein­ge­lie­fert wor­den, mit ei­ner schwe­ren Ner­ve­n­er­schüt­te­rung, die er sich auf dem Do­ber­do-Pla­teau ge­holt. In sei­nem Blick kau­er­te noch das Grau­en. Fins­ter vor sich hin­brü­tend ließ er wil­len­los al­les mit sich ge­sche­hen, ging zu Bett oder saß im Gar­ten, von den an­de­ren wie durch eine un­sicht­ba­re Wand ge­trennt, auf die er stier­te. Selbst die un­ver­hoff­te An­kunft sei­ner hüb­schen, blon­den Frau hat­te die Vi­si­on des grau­si­gen Er­leb­nis­ses, das ihn aus dem Gleich­ge­wicht ge­bracht, für kei­nen Au­gen­blick ver­scheu­chen kön­nen. Das Kinn auf der Brust, ließ er die ge­flüs­ter­ten Ko­se­wor­te sei­ner Frau ohne ein Lä­cheln über sich er­ge­hen, rück­te, wie von ei­nem Krampf ge­packt, wie ge­pei­nigt bei Sei­te, so oft sie, mit un­end­lich viel Lie­be in den Fin­ger­spit­zen, ängst­lich eine Berüh­rung mit sei­nen ar­men, zit­tern­den Hän­den such­te.

Schwe­re Trä­nen roll­ten über die zärt­lich­keits­hung­ri­gen Wan­gen der klei­nen Frau, die sich so tap­fer durch alle Sperr­zo­nen ge­kämpft hat­te, bis zu dem Spi­tal im Kriegs­ge­biet – und nun, nach der er­lö­sen­den Freu­de: ih­ren Mann le­bend, un­ver­stüm­melt wie­der­ge­fun­den zu ha­ben, plötz­lich einen rät­sel­haf­ten Wi­der­stand spür­te, ein letz­tes, un­er­war­te­tes Hin­der­nis, das sie nicht mehr weg­bet­teln, nicht weg­wei­nen konn­te, und das doch da war, sie un­barm­her­zig von dem Er­sehn­ten trenn­te. In qual­vol­ler Rat­lo­sig­keit saß sie lau­ernd ne­ben ihm, zer­mar­ter­te sich das Hirn, ohne eine Er­klä­rung fin­den zu kön­nen für die Feind­schaft, die aus ihm strahl­te. Ihre Au­gen durch­bohr­ten die Fins­ter­nis, ihre Hän­de gin­gen im­mer wie­der den glei­chen Weg, sich schüch­tern vor­wärts­tas­tend, um wie ver­sengt, zu­rück­zu­zu­cken, wenn sein ge­häs­si­ges Aus­wei­chen sie von Neu­em in Verzweif­lung stürz­te.

Es war hart, so den Schmerz ver­bei­ßen zu müs­sen, nicht mit ei­nem vor­wurfs­vol­len Auf­schrei ih­rem Man­ne das Ge­heim­nis ent­rei­ßen zu kön­nen, das er in sei­nem Elend noch so trot­zig zwi­schen sich und sei­ne ein­zi­ge Stüt­ze schob. Hart war es auch, mit ge­heu­chel­ter Fröh­lich­keit über das glück­li­che Wie­der­se­hen teil­zu­neh­men an der leicht­fer­ti­gen Un­ter­hal­tung; im­mer wie­der et­was er­wi­dern müs­sen und nicht die Ge­duld zu ver­lie­ren über das ewi­ge Ki­chern der an­de­ren. Die frei­lich hat­te es leicht! Wuss­te den Mann ge­bor­gen bei ei­nem hö­he­ren Kom­man­do hin­ter der Front und war der Lan­ge­wei­le ih­res kin­der­lo­sen Hau­ses hier­her ent­flo­hen, in das er­eig­nis­rei­che Le­ben des Spi­tals. Seit sie­ben Uhr abends saß sie, auf­bruch­be­reit, in Hut und Ja­cke, ließ sich im­mer wie­der zum Blei­ben be­we­gen und schä­ker­te lus­tig drauf los, als wüss­te sie nichts mehr von all den Qua­len, die sie tags­über in dem Hau­se ge­se­hen, an das sie den Rücken lehn­te. Die trau­ri­ge klei­ne Frau at­me­te auf, als die Dun­kel­heit so dicht ge­wor­den war, dass sie un­auf­fäl­lig ab­rücken konn­te von der fri­vo­len Schwät­ze­rin.

Und doch war die Frau Ma­jor, trotz des auf­rei­zen­den Ge­kut­ters, der wich­tig­tue­ri­schen Mie­ne, mit der sie von ih­ren Schwes­tern­pflich­ten sprach, durch­drun­gen von ei­nem Ge­fühl, das sie – ohne ihr Wis­sen – hoch über sie selbst em­por­hob.

Die große Müt­ter­lich­keits­wel­le, die über al­les weib­li­che her­ein­brach, als den Män­nern die schwe­re Stun­de ge­schla­gen, trug auch sie. Die drei Män­ner, in de­ren Krei­se sie jetzt mol­lig in Re­dens­ar­ten plät­scher­te, hat­te sie – wie tau­send an­de­re – blut­über­strömt, un­be­hol­fen, vor Schmer­zen wim­mernd ge­se­hen; und et­was von der Freu­de der Hen­ne, de­ren Kü­ken flüg­ge wer­den, durch­wärm­te ihre Ko­ket­te­rie. Seit die Män­ner hockend, krie­chend, hun­gernd Mo­nat auf Mo­nat den ei­ge­nen Tod aus­tra­gen, wie Frau­en ihre Kin­der, – seit Dul­den und War­ten, pas­si­ves sich Ab­fin­den mit Ge­fahr und Schmerz das Ge­schlecht ge­wech­selt, füh­len die Frau­en sich stark, und selbst in ih­rer Lüs­tern­heit glimmt noch ein we­nig von der neu­en Lei­den­schaft des Be­mut­terns.

Die trau­ri­ge blon­de Frau, eben erst an­ge­kom­men aus ei­ner Zone, in wel­cher der Krieg nur in Ge­sprä­chen lebt, ganz auf ih­ren ein­zi­gen Mann ein­ge­stellt, litt un­ter der ge­schlechts­lo­sen Ver­trau­lich­keit, die sich da im Schat­ten von Tod und Qua­len breit mach­te, im La­za­rett­gar­ten, den die Dun­kel­heit im­mer mehr ver­schlang. Die an­de­ren aber wa­ren da­heim im Krie­ge, spra­chen sei­ne ei­ge­ne Spra­che, ge­mischt aus trot­zi­ger Le­bens­ge­frä­ßig­keit, ei­ner pa­ra­do­xen Mil­de in den Män­nern, ge­bo­ren aus Über­sät­ti­gung an Roh­heit und ei­ner selt­sa­men, ge­schwät­zi­gen Kalt­blü­tig­keit der Frau, die so viel von Blut und Ster­ben ge­hört, dass ihre ewi­ge Neu­gier wie Här­te und hys­te­ri­sche Grau­sam­keit klang.

Der Mu­sul­mann und der Ritt­meis­ter he­chel­ten den Phi­lo­so­phen durch, spöt­tel­ten weg­wer­fend über Wort­fuch­ser, Tüft­ler und ähn­li­che Ta­ge­die­be und freu­ten sich kin­disch über sei­ne breit lä­cheln­de Ver­le­gen­heit vor der Frau Ma­jor, die, aus weib­li­chem An­stand, der wehr­lo­sen Gut­mü­tig­keit des Phi­lo­so­phen ih­ren Bei­stand lieh, wäh­rend ihre Au­gen voll pas­sio­nier­ter Zu­nei­gung zu den an­de­ren hin­über­blitz­ten, die ihre Fäus­te pat­zig im Mun­de führ­ten.

»Las­sen Sie doch den ar­men Herrn Ober­leut­nant in Ruh’«, wehr­te sie ab mit gur­ren­dem La­chen, »er hat recht. Der Krieg ist scheuß­lich. Die Zwei zie­hen Sie ja doch nur auf!«, zwin­ker­te sie be­gü­ti­gend hin­über.

Der Phi­lo­soph schmun­zel­te phleg­ma­tisch und schwieg. Der Mu­sul­mann gab sei­nem Bein, das, weiß schim­mernd, ein­zig von ihm sicht­bar blieb in der Fins­ter­nis, mit lei­sem Zäh­ne­knir­schen eine bes­se­re Lage auf der Bank und lach­te laut auf:

»Der Phi­lo­soph? Ja, was weiß denn der Phi­lo­soph vom Krieg, Frau Ma­jor? Der is’ ja doch Ar­til­le­rist! Krieg führt nur die In­fan­te­rie. Wis­sens Frau Ma­jor …«

»Hier hei­ße ich Schwes­ter En­gel­ber­ta«, fiel sie ein und ihr Ge­sicht wur­de fast ernst für einen Au­gen­blick.

»Par­don, Schwes­ter En­gel­ber­ta! Ar­til­le­rie und In­fan­te­rie, das is’ näm­lich wie Mann und Frau. Wir In­fan­te­ris­ten müs­sen das Kind auf d’Welt brin­gen, wann ein Sieg ge­bo­ren wer­den soll. D’Ar­til­le­rie hat nur’s Ver­gnü­gen, wie der Mann in der Lie­be; fahrt stolz vor, wann’s Kind schon aus der Tauf ge­ho­ben wird. Hab ich nicht recht, Herr Ritt­meis­ter? Du bist ja jetzt auch Rei­ter zu Fuß.«

Der Ritt­meis­ter stimm­te dröh­nend ein. Laut sei­ner sum­ma­ri­schen An­schau­ung ge­hör­ten Ab­ge­ord­ne­te, die nicht ge­nug Geld fürs Mi­li­tär be­wil­lig­ten, So­zia­lis­ten und Pa­zi­fis­ten, kurz al­les was sprach, schrieb, über­flüs­si­ge Wor­te mach­te und vom G’­scheit sein leb­te in das glei­che Ka­pi­tel Bü­cher­wur­m wie der Phi­lo­soph.

»Ja, ja«, sag­te er mit sei­ner über­schrie­nen Stim­me, »für d’Ar­til­le­rie is’ so a Phi­lo­soph gra­d’s Rech­te. Auf’m Berg oben hock’n und zu­schaun, sonst tun’s ja eh nix. Wann’s nit un­se­re ei­ge­nen Leut z’amm­schießn! Mit dene Katzl­ma­cher vor uns, sein mir im­mer leicht fer­tig worn; aber vor euch Meu­chel­mör­der im Rücken hab ich im­mer an Mords­re­spekt g’habt. Aber jetzt hör­t’s end­lich auf vom Krieg zu re­den, sonst geh ich schlafn. Da sitzt man end­lich mit zwei rei­zen­den Da­men, sieht nach lan­ger Zeit wie­der ein G’­sicht ohne Bart­stop­peln, und Ihr sprichts im­mer noch von der da­mi­schen Schie­ße­rei. Herr­gott, wie zu mir in’ La­za­rett­zug das ers­te blon­de Mä­derl rein­kom­men is, mit­’m wei­ßen Häu­berl auf­’m Wu­schel­kopf, ich hät­t’s am liebs­ten bei der Hand g’nom­men und im­mer nur ang’schaut. Ehren­wort, Frau Ma­jor: Das bisl Schie­ßen wird ei­nem höchs­tens fad mit der Zeit; die Haus­tierln sind schon är­ger; aber’s Ärgs­te ist das voll­kom­me­ne Feh­len der hol­den Weib­lich­keit. Fünf Mo­nat lang nix als Män­ner sehn, – und dann auf ein­mal wie­der so an hel­les, lie­bes Frau­en­stim­merl hö­ren! … Das is’ doch’s Schöns­te! Da­für lohnt sich’s schon in Krieg zu ge­hen.«

Der Mu­sul­mann ver­zog sein be­weg­li­ches, von Ju­gend blit­zen­des Ge­sicht zu ei­ner Gri­mas­se:

»Das Schöns­te? … Nein, weißt Herr Ritt­meis­ter, wann ich auf­rich­tig sein soll … ge­ba­det wer’n, dann, mit­’n fri­schen Ver­band, ins sau­be­re, wei­ße Bett hin­ein, und wis­sen, dass ma sei’ Ruh habn wird für a paar Wo­chen, … das is’ a G’­fühl, wie … Da gib­t’s über­haupt kein Ver­gleich. Aber wie­der ein­mal Da­men se­hen is’ frei­lich auch sehr schön.«

Der Phi­lo­soph hat­te sei­nen run­den, flei­schi­gen Epi­kurä­er­kopf schief auf die Schul­ter ge­legt; sei­ne klei­nen, lis­ti­gen Au­gen be­ka­men einen feuch­ten Glanz. Er blick­te hin­über, wo ein hel­ler Fleck, in der fast greif­bar ge­wor­de­nen Fins­ter­nis, das wei­ße Kleid der Frau Ma­jor ver­mu­ten ließ und hub in ei­nem lei­se sin­gen­den Ton, ganz lang­sam zu er­zäh­len an:

»Das Schöns­te ist, fin­de ich, die Stil­le. Wenn man da oben in den Ber­gen ge­le­gen ist, wo je­der Schuss fünf­mal hin- und her­ge­wor­fen wird, und dann ist’s auf ein­mal ganz still, kein Pfei­fen, kein Heu­len, kein Don­nern, nichts als eine herr­li­che Stil­le, der man zu­hö­ren kann, wie ei­nem Mu­sik­stück – – – Ich habe die ers­ten Näch­te sit­zend durch­wacht und die Ohren ge­spitzt auf die­ses Schwei­gen, wie auf eine Me­lo­die, die man von wei­tem er­ha­schen will. Ich glau­be, ich habe so­gar ein we­nig ge­heult, so schön war’s zu­zu­hö­ren, dass man gar nichts mehr hört!«

Der Ritt­meis­ter schleu­der­te sei­ne Zi­ga­ret­te weg, dass sie, wie ein Ko­met, fun­ken­sprü­hend durch die Nacht flog und schlug sich klat­schend auf den Schen­kel.

»Na, also«, rief er höh­nisch, »hab’ns das ver­stan­den, Frau Ma­jor? Zu­hö­ren, dass man nix hört. Seh’ns, das heißt man Phi­lo­so­phie. Ich weiß aber noch was Schö­ne­res, du! Näm­lich: nicht zu hö­ren, was man hört. Be­son­ders wann’s so an phi­lo­so­phi­schen Stie­fel zu hö­ren gibt.«

Man lach­te, – und der Ge­hän­sel­te lä­chel­te gut­mü­tig mit. Auch er war ganz durch­tränkt von dem Frie­den, der aus der schla­fen­den Stadt in den herbst­li­chen Gar­ten her­über­weh­te, und die ag­gres­si­ven Scher­ze des Ritt­meis­ters perl­ten an ihm ab, wie al­les, was ge­eig­net ge­we­sen wäre, die Süße der we­ni­gen Tage, die ihn von der Rück­kehr an die Front noch trenn­ten, zu min­dern. Er woll­te sei­ne Zeit aus­ge­nie­ßen, be­hä­big, mit ge­schlos­se­nen Au­gen; wie ein Kind, das ins fins­te­re Zim­mer muss.

Die Frau Ma­jor beug­te sich vor:

»Über das Schöns­te ge­hen also die Mei­nun­gen aus­ein­an­der«, sag­te sie, und ihr Atem ging ra­scher, »was war aber das Gräss­lichs­te, das Sie drau­ßen er­lebt ha­ben? Vie­le sa­gen das Trom­mel­feu­er wäre das Gräss­lichs­te; vie­le kön­nen den Ers­ten, den sie fal­len ge­se­hen ha­ben, nicht ver­win­den. Und Sie?«

Der Phi­lo­soph, an den die Fra­ge ge­rich­tet war, schnitt ein ge­quäl­tes Ge­sicht. Die­ses The­ma pass­te so gar nicht in sein Pro­gramm. Er such­te noch nach ei­ner aus­wei­chen­den Ant­wort, als ein un­ver­ständ­li­cher, rö­cheln­der Aus­ruf alle Au­gen in die Ecke zog, in wel­cher der Land­sturm­of­fi­zier und sei­ne Frau sa­ßen. Man hat­te die bei­den fast schon ver­ges­sen in der Dun­kel­heit und wech­sel­te er­schro­cke­ne Bli­cke, als der tor­keln­de Mann mit den er­lo­sche­nen Au­gen, die zer­bro­che­ne Glie­der­pup­pe, de­ren Stim­me kaum ei­ner kann­te, jetzt im krä­hen­den Dis­kant has­tig zu re­den an­fing:

»Gräss­lich? Gräss­lich ist nur der Ab­marsch«, rief er. »Man geht, – – – und dass man ge­las­sen wird, das ist gräss­lich!«

Ein kal­tes, wür­gen­des Schwei­gen folg­te sei­nen Wor­ten; selbst das ewig fröh­li­che Ge­sicht des Mu­sul­man­nes er­starr­te in pein­li­cher Ver­le­gen­heit. Das kam so un­er­war­tet, klang so un­ver­ständ­lich und hat­te – viel­leicht durch das Vi­brie­ren der Stim­me aus dem zit­tern­den Leib oder den gur­geln­den Ne­ben­ton, der wie über­schrie­nes Schluch­zen klang – doch alle an der Keh­le ge­packt und ließ die Pul­se schnel­ler schla­gen.

Die Frau Ma­jor sprang auf. Sie hat­te den Mann an­kom­men ge­se­hen, auf eine Bah­re ge­schnallt, weil ihn das Wei­nen so hoch schleu­der­te, dass die Trä­ger nicht an­ders sei­ner Herr wer­den konn­ten. Ir­gen­det­was un­sag­bar Häss­li­ches hat­te, – so hieß es, – den ar­men Teu­fel halb um sei­nen Ver­stand ge­bracht, und die Frau Ma­jor durch­zuck­te jäh die Angst vor ei­nem Tob­suchts­an­fall. Sie kniff den Ritt­meis­ter in den Arm und rief mit ge­heu­chel­ter Eile:

»Um Got­tes­wil­len! Da klin­gelt ja schon die letz­te Tram­way! Schnell, schnell, gnä­di­ge Frau, wir müs­sen lau­fen.«

Alle wa­ren auf­ge­stan­den; die Frau Ma­jor hat­te sich in den Arm der un­glück­li­chen klei­nen Frau ein­ge­hakt und dräng­te im­mer has­ti­ger:

»Wir müs­sen eine Stun­de zu Fuß ge­hen bis zur Stadt, wenn wir die Elek­tri­sche ver­pas­sen.«

Rat­los, am gan­zen Lei­be zit­ternd, beug­te die Frau sich noch ein­mal zu ih­rem Mann hin­ab, um Ab­schied zu neh­men. Sie fühl­te ge­nau, dass die­ser Auf­schrei ihr galt; dass er einen grim­mi­gen, töd­li­chen Vor­wurf ent­hielt, den sie nicht be­griff. Sie fühl­te ih­ren Mann zu­rück­wei­chen, sich ver­kramp­fen un­ter der Berüh­rung ih­rer Lip­pen und schluchz­te auf, bei dem gräss­li­chen Ge­dan­ken an die end­lo­se Nacht in dem fros­ti­gen, ver­wahr­los­ten Ho­tel­zim­mer, al­lein mit die­sem quä­len­den Zwei­fel. Aber die Frau Ma­jor zog sie mit sich, zwang sie zum Lau­fen; ließ sie erst wie­der los, als sie schon, an der Tor­wa­che vor­bei, auf die Stra­ße tra­ten.

Die Her­ren blick­ten ih­nen nach, sa­hen die Fi­gu­ren im Schei­ne der Stra­ßen­la­ter­ne noch ein­mal auf­tau­chen, horch­ten dem Sau­sen der Tram­bahn nach. Der Mu­sul­mann griff nach sei­nen Krücken, blin­zel­te dem Phi­lo­so­phen be­deu­tungs­voll zu und sprach gäh­nend von Schla­fen­ge­hen. Der Ritt­meis­ter sah neu­gie­rig auf den Kran­ken hin­ab, fühl­te Er­bar­men und woll­te dem ar­men Teu­fel eine Freu­de ma­chen. Er klopf­te ihm auf die Schul­ter und sag­te in sei­ner bur­schi­ko­sen Art:

»Eine fe­sche Frau hast, das muss man sa­gen. Mein Kom­pli­ment!«

Im nächs­ten Au­gen­blick fuhr er er­schro­cken zu­rück. Das küm­mer­li­che, zu­sam­men­ge­sun­ke­ne Häuf­chen auf der Bank sprang plötz­lich hoch, wie em­por­ge­schnellt von ei­ner jäh er­wach­ten Kraft.

»Fe­sche Frau? Ja, ja. Schnei­di­ge Frau!«, kam es gei­fernd über die zu­cken­den Lip­pen, mit ei­ner Wut, die wie bro­delnd die Wor­te schleu­der­te, »hat kei­ne Trä­ne ver­gos­sen beim Ein­wag­go­nie­ren. Wa­ren alle fesch, wie wir ab­mar­schiert sind. Auch die Frau vom ar­men Dill. Sehr schnei­dig! Hat ihm Ro­sen nach­ge­wor­fen in den Zug und war erst seit zwei Mo­na­ten sei­ne Frau.« – Er ki­cher­te höh­nisch und ball­te die Fäus­te, schwer an­kämp­fend ge­gen die Trä­nen, die ihm in der Gur­gel glüh­ten. – Ro­sen, hehe, und auf Wie­der­se­hen ge­ru­fen. So pa­trio­tisch wa­ren sie alle! Gra­tu­liert hat un­ser Oberst dem Dill, weil sei­ne Frau sich so stramm ge­hal­ten hat, beim Ab­marsch. So stramm, ver­stehst du, als ging’s zum Ma­nö­ver.

Tor­kelnd, auf weit aus­ein­an­der­ge­spreiz­ten Bei­nen, stand der Leut­nant jetzt auf­recht, stütz­te sich auf den Arm des Ritt­meis­ters und starr­te ihm mit sei­nen un­s­te­ten Au­gen er­war­tungs­voll ins Ge­sicht.

»Weißt du, was ihm ge­sche­hen ist, dem Dill? Ich war da­bei. Weißt du was?«

Rat­los blick­te der Ritt­meis­ter auf die an­de­ren. »Geh, komm schla­fen. Reg di’ net auf!«, stam­mel­te er ver­le­gen.

Mit ei­nem Tri­umph­ge­heul fiel ihm der Kran­ke ins Wort, kei­fend, mit un­na­tür­lich ho­her Stim­me: