Merlin und Princess - Rika Mohn - E-Book

Merlin und Princess E-Book

Rika Mohn

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Beschreibung

Katastrophe! Merlin hat seine Familie verloren. Sie haben die Raststätte verlassen, ohne zu merken, dass er nicht im Auto war. Und wenn es etwas gibt, ohne das Merlin sich sein Leben nicht vorstellen kann, sind es seine Menschen. Sofort rennt er dem Auto hinterher. Dummerweise ist es sehr viel schneller – und die Straße lebensgefährlich. Princess dagegen muss feststellen, dass ihre Familie sie an genau dieser Raststätte einfach ausgesetzt hat. Empörend, diese Menschen! Speziell die nervigen Kinder! Sie beschließt, nach Hameln zu gehen. Hat nicht ein Rattenfänger gründlich dafür gesorgt, dass dort alle Kinder verschwunden sind? Schon kurz nach dem Start kreuzen sich ihre Wege. Eine Begegnung, die für beide unschön beginnt. Trotz gegenseitiger Abneigung einigen sie sich widerwillig, ihr Glück zusammen zu versuchen. Alleine sind ihre Chancen einfach zu gering. Aber kann das gut gehen? Ein verspielter Hund und eine versnobte Katze als Schicksalsgemeinschaft?

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Merlin und Princess

Zwei wie Hund und Katze

Rika Mohn / Izzy O'Brian

Für Löwe, Biene, Maus und Fledermaus.

Freundschaft kennt keine Grenzen.

 Izzy O‘Brian

Für meine Tochter Claudia.

Und für alle anderen, die das große Glück haben oder hatten, 

die bedingungslose Liebe eines treuen Vierbeiners 

geschenkt zu bekommen.

Rika Mohn

©Rika Mohn, Izzy O'Brian 2024

Machandel Verlag Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Cover: Elena Münscher

Bildelemente: surapoj.creative/depositphotos.com,

Grafiken innen:

swetomircomua (Hund)/BigJoy (Katze)/ JuliGin (Spatz)/

depositphotos.com

ISBN 978-3-95959-438-7

1. Merlin

Wisst ihr, was das Wichtigste im Leben ist?

Ja, klar wisst ihr das. Dumme Frage.

Für mich ist das Wichtigste die Familie.

Es gibt nichts Schöneres als die Wärme der Mutterliebe und die Gesellschaft verspielter Geschwister. Von denen hatte ich vier. Meine Welpenzeit war herrlich.

In den ersten Wochen beschränkten sich meine Ansprüche nur auf Trinken, Schlafen und Spielen. Kaum hatte ich aber die Augen offen und konnte die wunderbare Welt um mich herum sehen, musste ich raus und sie entdecken.

Wir Hunde lebten nicht alleine auf dem Bauernhof. Da waren zuerst die Menschen, die uns mit ihren Greifern … meine Mutter sagte Hände dazu … aus den schönsten Träumen rissen. Vor allem, wenn man gerade satt und zufrieden am warmen Bauch von Mama lag, vielleicht noch die Milchquelle im Mäulchen.

Die tierische Nachbarschaft war ein buntes Völkchen.

Eigentlich vertrug ich mich mit fast allen. Nur der olle Hahn, der war mir unheimlich. Sein Gekrähe schmerzte in meinen Ohren. Außerdem pickte er immer nach meiner Schwanzspitze und hatte mir an dieser empfindlichen Stelle schon das eine oder andere Haar rausgezupft.

Es gab auch ein paar Kühe und Ziegen. Bei denen war ich am liebsten. Nicht nur, weil es da so herrlich roch und warm war. Mit etwas Glück bekam man da auch einen Spritzer frische Milch ab. Es gab nichts Köstlicheres, außer die von Mama natürlich. Dummerweise traf ich auch auf andere Liebhaber der weißen Köstlichkeit.

Ich hatte nichts dagegen zu teilen, egal was es war.

Die beiden Hof-Katzen sahen das leider ganz anders. Kitti war ja noch halbwegs verträglich, aber Klara, das war ne Katze für sich. Die reagierte sofort aggressiv, wenn ich nicht verschwand, sobald sie auftauchte. Damals dachte ich noch, Klara wäre der Gipfel der Arroganz. Einige Jahre später musste ich allerdings erfahren, dass sich das durchaus steigern ließ. Nichtsdestotrotz, Klara hätte echt mal ne Therapie gebraucht. Oder ein Anti-Aggressionstraining.

Ich hatte Glück, mit meiner Familie auf genau diesem Bauernhof zu leben, denn es gab viele schöne Momente. Doch nichts ist für die Ewigkeit. Das musste ich bald bitter erfahren.

Mama versuchte, uns zu erklären, warum wir Kleinen nicht bei ihr bleiben, weshalb wir nicht weiterhin auf dem Hof leben konnten. Ich habe es bis heute nicht kapiert. Gab doch genug für uns zu essen und der Platz reichte bequem für unsere ganze Bande. Na ja, verstehe einer die Menschen.

Eines Tages steckte man uns zu dritt in eine Box, in der es fürchterlich stank. Ich verstand die Welt nicht mehr. Meine Mama jammerte leise, als man sie wegbrachte. Wir drei jammerten dafür umso lauter. Denn nicht nur mir wurde etwas klar: Wir durften nicht mehr bei Mama bleiben.

Wenigstens war ich nicht alleine. Das war allerdings nur ein schwacher Trost. Man brachte uns zu einem Tierheim. Damals kannte ich den Namen noch nicht, und wusste nichts damit anzufangen. Heute leider schon.

Kaum wurden wir drei aus der Box gelassen, hörte ich ein so schrilles Geräusch, dass mir fast die Ohren waagerecht standen.

„Oh guck mal … wie süüüüß!“

Kurz darauf hoben mich zwei Zangenhände vom Boden auf und drückten mir den Brustkorb zusammen.

„Den will ich haben. Den … den … den!“ Die Stimme schrillte fürchterlich in meinem Kopf.

Und doch gab es da etwas, was mich meine Angst, das Geräusch und die schmerzenden Rippen vergessen ließ. Ein Gefühl schwappte über mich, beinahe so, als würde ich wieder kuschelig am Bauch meiner Mama liegen. Es fühlte sich so überwältigend an, dass ich der kleinen Zweibeinerin, die mich in ihrem Griff hatte, begeistert über das Gesicht leckte. Himmel, was schmeckte die gut.

„Igitt, Kind! Der leckt dich ja ab!“, drängte sich eine entsetzte Stimme in meinen Kopf.

„Ja, Mama! Ist das nicht toll? Er mag mich schon. Ist der nicht süüüüß?“ Als mich die Kleine an sich drückte, wurde ich beinahe komplett zerquetscht.

Und wisst ihr was? Es war mir schnuppe!

Sollte die Kleine weitermachen, bis es knackste. Hauptsache, sie ließ mich nicht mehr los.

Während ich am warmen Körper der Kleinen nach Luft schnappte, unterhielt sich ihre Mutter mit der Frau, die mich aus der Box gelassen hatte. Ich verstand kein Wort, denn die Kleine quietschte mir mit ihrer Stimme die Ohren voll. Dann geschah es. Das Quietschen wurde noch schriller und alles, mich eingeschlossen, bewegte sich ruckartig auf und ab.

Mir wurde speiübel. Beinahe wie damals, als ich zu viele Eier genascht hatte. 

Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass die Kleine auf und ab hüpfte.

So kam ich in mein erstes Zuhause bei anderen Menschen.

Das kleine, quietschige Wesen … Susi wurde es gerufen … gab mir den Namen Wuschel.

Leider blieb ich nicht lange bei ihr.

Ich glaube, mein Fell war schuld daran. Auch wenn ich nicht begriff, was an meinem Fell falsch sein konnte. Susis Mutter schimpfte ständig über meine Haare, ihre rote Nase und darüber, dass sie keine Luft bekäme. Lange noch klang Susis Weinen in meinen Ohren nach, als sie mich wieder zurückbrachten.

Zurück ins Tierheim.

Meine beiden Geschwister waren inzwischen fort. Ich hatte niemanden mehr. Einige gehässige Mitbewohner machten mir das Leben schwer. Sie versprachen mir ein schnelles Ende oder ein neues Zuhause. Weil ich doch so süüüß war. Ich konnte es nicht mehr hören. Vor allem, weil ihre Stimmen dabei so böse klangen, dass ich tatsächlich Angst bekam.

Doch mein „Süüüßsein“ half tatsächlich. Es waren nur wenige Tage vergangen, als meine Zeit auf dem kalten Betonboden ein Ende nahm. Auch das eklig riechende Essen würde ich nicht vermissen. Und schon gar nicht den durchgedrehten Psycho im Nachbarzwinger, der jeden Abend damit drohte, mich in Stücke zu reißen.

Ich wurde ein zweites Mal adoptiert. In meiner neuen Familie gab es zwei große Zweibeiner und zwei kleine Zweibeiner, die recht nett zu mir waren.

Doch die Kleinen brauchten nicht lange, bis sie mir beinahe jede einzelne Rippe brachen.

Nur meinem Jaulen verdankte ich es, dass mich der große Zweibeiner, den seine Frau Felix rief, vor den groben Fingern der Kinder rettete.

Felix gab mir den Namen Merlin. Merlin ist ein Zauberer, so hatte er es erklärt, als ich kurz nach meiner Ankunft einen schönen warmen Pups von mir gegeben hatte. Die beiden kleinen Greifzangen und Mutter Julia rannten schimpfend davon. Nur Felix nicht, der schaute mich stolz an und meinte: „Siehste, wir Kerle können zaubern. Wir machen, dass warme Luft stinkt. Und du hast ganz prächtig gezaubert, mein Kleiner. Deswegen nenne ich dich Merlin.“ Okay, damit konnte ich leben. Solange er mir die Greifzangen vom Pelz hielt.

Irgendwann hatten sich die beiden daran gewöhnt, etwas vorsichtiger mit mir umzugehen. Was auch den anderen Bewohnern des Hauses zuzuschreiben war. Denn ich war nicht der einzige Vierbeiner.

Tatsächlich liefen hier noch drei Katzen rum. Klar hielten die sich für etwas Besseres. Der Kater war ja noch umgänglich. Aber die beiden Miezen, au Backe. Hatte ich schon gedacht, dass die Klara vom Bauernhof arrogant war, so wurde sie von den beiden „Damen“ des Hauses noch überboten. Doch ich lernte schnell, wie ich die beiden beeindrucken konnte. Wenn die mir zu blöd kamen, dann zauberte ich.

Schnell vergingen drei wunderbare Menschen-Jahre.

Inzwischen war ich zu einem prächtigen Schäfsky herangewachsen. So hatte es mal Felix erklärt, nachdem er gefragt worden war, was ich für eine Promenadenmischung sei. Ich sei ein Mischling aus Schäferhund und Husky.

Mir war’s egal, solange ich meine Bewegung, mein Futter und meine Streicheleinheiten bekam.

Die meisten Menschen wollten mich gleich knuddeln, sobald sie mir in meine blauen Augen sahen. Meistens ließ ich sie gewähren. Aber nur, wenn meine Leute nichts dagegen hatten. Ich liebte meine vier Menschen, allen voran die Kinder Sophie und Marie.

Familie war eben das Größte.

Mit den Mädchen hatte ich den meisten Spaß. Richtig cool war es, wenn ich die beiden im Karren oder dem Schlitten hinter mir herziehen konnte. Manchmal hatten die auch einfach nur Rollen unter ihren Füßen. Hey, da ging die Luzie richtig ab! Egal, ob Sommer oder Winter, mit ihnen unterwegs zu sein, zu laufen, an Schlittenhunderennen teilzunehmen, das war die beste Zeit meines Lebens.

Eines Tages hatten sich meine Menschen ein neues Auto gekauft, ein Wohnmobildelüx, wie Felix jedem stolz erzählte. Vorher waren wir immer mit einem kleineren Wohnmobil zu den Wettrennen gefahren. Auf den war Felix nie so stolz gewesen wie auf den Neuen.

Die Mädchen hatten Pfingstferien und mussten deswegen nicht zur Schule. Das waren immer die besten Zeiten.

Es sollte für ein paar Tage zu Julias Schwester nach Haselünne gehen. Die Mädchen waren ganz aufgedreht und steckten mich damit an.

Nach einer langen Runde am Mittag ging es los. Und das Beste: Ich war der einzige Vierbeiner, der mit durfte. Die drei Katzen mussten zu Hause bleiben. Schon alleine diese Aussicht, ein paar Tage ohne die Zicken, war den Stress wert, den die Menschen machten.

Wir waren wirklich lange unterwegs. Julia sagte irgendwas von einem Hermsdorferkreuz, wo wir uns alle die Beine vertreten sollten. Ich musste an die Leine, doch selbst das störte mich nicht. Hauptsache raus! Kaum ging die Tür auf, gab es kein Halten mehr. Notfalls hätte ich Felix auch hinter mir her geschleift.

War das herrlich. Endlich pinkeln.

Und wie das hier roch! Da war die Hundezeitung im Park nix dagegen. Wahnsinn, wer hier schon alles seine Meldung dagelassen hatte. Manchmal musste ich niesen, wenn der scharfe Geruch eines Menschen in meine empfindliche Nase zwackte. Die stinken echt, die Zweibeiner, unglaublich.

Nachdem Felix mit mir eine kleine Runde gelaufen war, bekam ich etwas zu trinken und meine Abendportion. Danach musste ich wieder ins Wohnmobil. Es wäre zu aufregend für mich, behauptete Julia. Zum Glück machte Felix mich nicht im hinteren Teil fest, er vergaß es sogar ganz, sodass ich durch die offene Tür schauen konnte.

Die vier saßen draußen an einem Tisch und aßen. Nachdem sie fertig waren, räumten sie alles zusammen. Julia und Felix kamen zu mir rein, ließen die Tür aber ein Stück offen. Die Mädchen wollten nur nochmal „wohin“, dann sollte es weitergehen.

Ich lag unter dem Tisch und langweilte mich. Draußen wurde es allmählich dunkel. Felix und Julia unterhielten sich. Es fiel wieder der Name Kommfortkämpingplatzhaselünne, den ich in letzter Zeit öfters gehört hatte. Da soll man zwar nicht gut schlafen, sich aber gut verabreden können. Dort wollte Julia ihre Schwester Rita treffen.

Nachdem ich einmal ausgiebig gähnen musste, entschied ich mich, nach den beiden Mädchen zu schauen. Die Tür war weit genug offen, sodass ich mich hindurchschieben konnte.

Kaum war ich draußen, explodierten wieder die Gerüche in meiner Nase, die ich im Wohnmobil nur gedämpft wahrgenommen hatte.

Ein ganz verführerischer Duft war dabei, der lockte mich in die hinterste Ecke des Geländes. Da musste ich hin! Es würde bestimmt nicht lange dauern. Im Schwanzumdrehen wäre ich zurück. Aber den Urheber des Duftes fand ich dort nicht, stattdessen eine andere verlockende Duftfährte, der ich ein ganzes Stück folgte.

Das laute Hupen eines Autos, dessen Reifen mir gefährlich nahekamen, holte mich aus der Duftorgie heraus. Erschrocken sprang ich zur Seite. Das war noch mal gut gegangen. Trotzdem klopfte mein Herz heftig. Ich sprintete den ganzen Weg zurück zum Wohnmobil – und erstarrte.

Es war weg!

An seinem Platz stand ein kleines grünes Auto.

Hektisch schaute ich mich um. Doch ich sah kaum etwas, die Scheinwerfer der Fahrzeuge blendeten mich immer wieder. Besorgt lief ich den ganzen Parkplatz ab. Vielleicht war meine Nase nach der Duftorgie etwas verwirrt. Vielleicht hatte ich am falschen Platz gesucht.

Doch egal, wie viele Runden ich drehte, das Wohnmobildelüx war weg.

Panik wallte in mir hoch.

Die konnten doch nicht ohne mich fahren!

Vielleicht hatten sie die Mädchen beim Rasthaus abgeholt? Das musste es sein. Aufgeregt raste ich quer über die Straße, den Grünstreifen, um die Hecke … und dann sah ich es.

Auf diesem elend langen grauen Band, wo es mehr Fahrzeuge gab, als der Nachbarshund Flöhe sein Eigen nannte. Das war eindeutig unser Bild auf der Rückseite des Wohnmobils, das gerade mit aufjaulendem Motor davonrollte.

Sofort rannte ich hinterher, den hupenden Autos wich ich irgendwie aus. Dabei hatte ich eindeutig mehr Glück als Verstand. Ich rannte gerade zwischen zwei der ganz großen Autos hindurch, als ein Mann mit grimmigem Gesicht nach mir griff und mein Halsband erwischte. Es saß recht locker und so kostete es mich nur etwas Zugkraft und eine geschickte Drehbewegung mit dem Kopf, um mich davon zu befreien.

Für mich gab es nur eine Richtung! Immer geradeaus, der Straße nach, der rollenden Menschenhütte hinterher.

Zur Not sogar bis zu diesem Kommfortkämpingplatzhaselünne.

Nichts konnte mich jetzt noch aufhalten.

Dachte ich zumindest.

2. Princess

Fassungslos sah ich dem davonbrausenden Cabrio hinterher.

Das konnte nicht ihr Ernst sein.

Diese … diese … diese Menschen hatten mich tatsächlich ausgesetzt.

Als wäre ich eine billige Promenadenmischung.

Die hatten doch nicht mehr alle Haare am Schwanz! Mich auszusetzen war Blasphemie!

Ich, Princess vom Schwanensee, kann auf einen lupenreinen, dreiseitigen Stammbaum zurückblicken. Bislang war ich immer davon ausgegangen, dass alle das hinreichend zu würdigen wussten. Alle Anzeichen sprachen dafür. In meinen blauen Augen versank sogar der Tierarzt, und mein reinweißes Fell besangen sämtliche Kater der Nachbarschaft.

Apropos weißes Fell.

Konsterniert betrachtete ich die grauen Partikel an meiner Pfote. Wenn ich noch länger hierblieb, würde ich aussehen wie Cynthia und Cecil!

Obwohl, wie hatte Mutter immer so treffend formuliert? Wahre Schönheit entspringt in erster Linie reinem Blut. Da hatte ich nichts zu befürchten. Im Gegensatz zu den beiden.

Stellt euch vor: Deren Großmutter hatte wirklich und wahrhaftig einen Straßenkater erhört. Sogar mehrmals! Einfach widerlich.

Cynthia und Cecil vom Schwanensee?

Dass ich nicht lache.

Natürlich habe ich die zwei dafür gepiesackt. Was erwartet ihr denn von mir? Dass ich es sanftmütig hinnehme, mit so etwas meinen guten Namen zu teilen?

Niemals in sieben Leben!

Also habe ich sie leiden lassen.

Oh, ihr hättet mich erleben müssen! Mutters strenge Schule hat sich mehr als bezahlt gemacht.

Ein Ignorieren hier, eine hochgezogene Augenbraue da und selbstverständlich diverse kleinere bis größere Missgeschicke, die den verspielten Schwestern angelastet wurden. Diese Figürchen, welche die Menschenfrau „Altersvorsorge“ nannte, zerbrachen aber auch zu leicht. Ein kurzes Vorbeiwischen mit der Schwanzspitze und es klirrte.

Die beiden beschwerten sich jedes Mal bitterlich, aber die Menschen verstanden zum Glück kein Wort und sperrten sie als Strafe in die Besenkammer. Anschließend lag ich stundenlang auf dem Lederstuhl und lauschte genüsslich dem Gejammer.

Aber damit war es ab heute vorbei.

Ich würde mir jetzt ein neues Zuhause suchen müssen.

Eines, das mir selbstverständlich gebührte und in dem mich die Menschen mit der Achtung behandelten, die mir zustand.

Zuversichtlich warf ich mich in Pose. Mein Leben konnte nur besser werden!

Der erste Mensch roch so intensiv nach einem dieser unsäglichen Billig-Parfüms, dass ich mich demonstrativ übergab. Auf seine Schuhe versteht sich.

Kaum war er außer Sicht, kamen drei Bälger, die sich vor Mitleid fast überschlugen. Am liebsten hätten mich alle gleichzeitig hochgehoben und gestreichelt.

Meine armen Nerven!

Entschlossen fuhr ich die Krallen aus. Zwei tiefe Kratzer genügten und ich war die dreifache Zumutung los.

Als Nächstes bog eine ältere Dame in meine Richtung ab. Neben sich einen triefäugigen, aber wenigstens reinrassigen Dackel. Grundsätzlich hatte die Frau also Geschmack. Trotzdem kam sie nicht infrage. Ihr würdet sofort verstehen, was ich meine, wenn ihr die beiden gesehen hättet. Selbst wenn ich mich – kurzfristig – mit einem bellenden Mitbewohner hätte arrangieren können, ein Mindestmaß an jugendlich-gepflegtem Aussehen war eine Grundvoraussetzung für meine Akzeptanz.

Dummerweise hatte die Frau so einen „Ich-liebe-euch-alle-und-will-euch-retten-Blick“ im Gesicht und ein Säckchen mit Entenfutter in der Hand. Zumindest ließ der Aufdruck das vermuten.

Ihr war glatt zuzutrauen, dass sie das Zeug auskippen und stattdessen mich in die Tüte stecken würde. Dem musste ich schnellstmöglich eine Pfote vorschieben.

Kaum waren die beiden in Reichweite, schluckte ich meinen Ekel runter und sprang laut fauchend auf den Rücken der Sabberschnauze. Kaum gelandet, verbiss mich in dessen Nackenfalte.

Igitt, schmeckte das widerlich! Automatisch ließ ich los – und der Köter nutzte die Chance. Oder das, was er dafür hielt. In Zeitlupe rollte er sich auf den Rücken, um mich abzustreifen. Ich saß zu dem Zeitpunkt schon in sicherer Entfernung, aber sein Frauchen hing noch immer am anderen Ende seiner Leine.

Das Durcheinander aus Röcken, mehr oder weniger behaarten Beinen und fliegendem Entenfutter war eigentlich ganz unterhaltsam. Aber als die Handtasche aufging und vom Pfefferminzbonbon bis zum Gebiss alles ausspuckte, begann meine linke Ohrspitze zu zucken. Nein, das ist kein Tick. Ticks sind was für Mischblüter und anderes Gesocks.

Meine Ohrspitze ist lediglich hochsensibel.

Also beschloss ich, zwei Parkbänke weiter auf mein neues Zuhause zu warten.

Es dauerte unzählige Autos, bis mich endlich wieder jemand wahrnahm.

Die Frau roch zwar nach Pfirsich und das ungeschickte Streicheln musste dringend trainiert werden, aber abgesehen davon schien sie durchaus geeignet zu sein. Außerdem war die Handtasche aus falschem Leder. Das sprach für sie, denn mal ehrlich und Pfote aufs Herz: Wer sich mit der Haut toter Tiere schmückt, der konnte nicht vertrauenerweckend sein. Eine solche Beleidigung des Lebens hätte ich niemals in meiner Nähe geduldet.

Das durfte auch die Verräterin spüren, der ich mein jetziges Schicksal verdankte. Egal, ob Schuhe, Taschen, Mäntel oder ganze Sofas – ich hatte mit allem kurzen Prozess gemacht. Danach hatte ich die Reste so in der Wohnung verteilt, dass der Verdacht auf Cynthia und Cecil fallen musste.

Herrlich, das Geschrei.

Nach dem letzten Mal hatten die Schwestern zwei Nächte und einen Tag in der Besenkammer verbracht. Von da an pendelte Cecils Kopf ständig hin und her und her und hin.

Ganz entzückend!

Leider ließ diese Erinnerung ein kleines Schnurren meine Kehle hochsteigen, welches die Frau prompt fehlinterpretierte. Sofort intensivierte sie das mangelhafte Streicheln. Und in Anbetracht der zunehmenden Verschmutzung meines Felles würde ich wohl oder übel mitspielen müssen.

Kurz darauf stieg sie in einen senffarbenen Trabi und fuhr weiter.

Natürlich ohne mich.

Der Trabi, gut, der ging ja noch als antiquarische Rarität durch.

Aber senffarben?!

Nein.

Einfach nur: Nein.

Ich erspare euch die weitere Schilderung.

Inzwischen war es beinahe dunkel. Die grellen Lichter der Fahrzeuge taten meinen Augen weh und der Verkehr hatte, man mochte es kaum glauben, tatsächlich weiter zugenommen. Die Erde unter meinen Pfoten bebte und die Abgase bissen mich in die Nase.

Keine Minute länger konnte ich das hier erdulden!

Der Mond beleuchtete meinen bitteren Triumphzug in die Wildnis. Wenn die Menschheit es so wollte, dann sollte sie es haben. Stolz und unbeugsam würde ich also meinen Weg allein fortsetzen. Nur dann und wann einen Auserwählten als blauäugige, gespenstische Erscheinung in Staunen versetzen.

 Ja, doch, die Idee hatte durchaus ihren Reiz. Ich würde eingehen in die Chroniken als die Geisterkatze, die …

Verdammt!

3. Merlin

Es war nicht ganz ungefährlich, einen Sprint inmitten der Autos hinzulegen. Doch es war meine einzige Chance, dem Wohnmobil zu folgen.

Noch einmal erhöhte ich mein Tempo und übersah prompt das Hindernis. Mit Vollspeed rannte ich dagegen und flog über ein pelziges Etwas, das sich laut kreischend überschlug. Dafür landete ich so unglücklich auf meiner rechten Vorderpfote, dass mir der Schmerz bis in den Schädel raste. Kurz blieb ich liegen, um den ersten Schreck zu verdauen. Als ich aufstehen wollte, durchzuckte erneut der Schmerz meine Vorderpfote.

Verdammt!

Und es kam noch schlimmer.

Als ich dort hinschaute, wo ich das Hindernis vermutete, lag da etwas Helles und funkelte mich mit bösen Augen an.

„Kannst du nicht aufpassen?!“, fauchte die Stolperfalle.

„Hö? Du liegst doch hier rum!“, antworte ich dem hellen Haufen, der sich als eine ziemlich wütende Katze entpuppte.

„Ich liege nicht … ich sinniere!“, kam die patzige Antwort der Pussi.

„Klar“, erwiderte ich gelassen.

„Aber“, ein abschätziger Blick traf mich, „das geht wohl über deinen bescheidenen Horizont.“

Ich wollte mich dieser eitlen Mieze genauer zuwenden, als abermals ein heftiger Schmerz durch meine Pfote schoss. Erschrocken entwich mir ein: „Autsch!“

„Jaja, Dummheit tut weh“, kam prompt die gehässige Antwort.

Jetzt war ich richtig sauer.

„Blöde Katze, das war meine Pfote!“, knurrte ich sie an.

„Was heißt hier blöde Katze? Wenn du zu dumm zum Laufen bist, kann ich doch nichts dafür.“

„Ich habe mich bei der Landung verletzt, als ich über deinen krummen Buckel gestolpert bin“, knurrte ich zurück.

„Das nennt sich Katzenbuckel, du Banause.“ Und als wenn ich nicht wüsste, wie sowas aussieht, machte sie einen extra großen Buckel.

„Hm, und jetzt? Findest du dich toll? Mein Kackhaufen ist größer“, lästerte ich unbeeindruckt.

Das verschlug dem Plüschbomber die Sprache. Sie schnappte nach Luft und drehte sich auf der Stelle um. Beim Weggehen hörte ich sie noch rummotzen. „Saublöder Hund. Komm du mir noch mal in die Quere, dann kannst du was erleben. Dir werde ich es zeigen, ich mache Mousse au Köter aus dir.“

„Doofe Miezekatze!“, rief ich ihr hinterher. Dann drehte ich mich in die entgegengesetzte Richtung und humpelte los. Ich musste meine Familie finden. Die bescheuerte Katze hatte mich schon zu viel Zeit gekostet. Und dass ich ihretwegen jetzt eine schmerzende Pfote hatte, machte die Sache auch nicht einfacher.

Nach kurzer Orientierung lief ich in die Richtung, in die meine Familie gefahren war.

Dabei folgte ich stets dem grauen Band. Oft genug lief ich über Äcker, kreuzte Straßen oder lief mitten durch Wälder.

Gefühlte Stunden war ich schon unterwegs. Stets das graue Band im Blick oder das Rauschen der Fahrzeuge in den Ohren.

Meine Pfote schmerzte immer mehr. Das lange Laufen und der unebene Waldboden hatten ihr nicht gutgetan. Ich musste dringend eine Pause machen. Inzwischen war es auch schon richtig dunkel geworden und der Hunger machte sich in meinen Eingeweiden breit. Um mich herum hörte ich das Rascheln und Huschen der kleineren Tiere. Aber so weit war ich noch nicht, dass ich mir eines von ihnen fangen wollte. Außerdem war ich ohnehin viel zu müde dafür. Also suchte ich mir unter einem Busch eine weiche Kuhle aus Moos und rollte mich dort zusammen. Meine letzten Gedanken galten Sophie und Marie. Ob meine Mädchen mich schon vermissten?

Der nächste Morgen brachte mich schon frühzeitig auf meine vier Pfoten. Wobei die eine noch immer wehtat, wenn ich sie richtig belasten wollte. Also hieß es weiterhin Schongang. Ein leises Knurren entwich meiner Kehle, das sofort vom Knurren meines Magens übertönt wurde.

Ich brauchte dringend etwas zwischen die Zähne.

Zum Glück hatte ich wenigstens einen Bach mit frischem Wasser in der Nähe. Wie es schien, hatten wir denselben Weg. Das Wasser half mir zumindest über den schlimmsten Hunger hinweg. Und es kühlte meine schmerzende Pfote, wenn ich drinstand.

Immer weiter ging es.

Am Stand der Sonne erkannte ich, dass es Mittag war. Und just in dem Moment, als ich an ein leckeres, gegrilltes Würstchen dachte, zog mir ein lieblicher Duft in die Nase.

Mir blieb gar nichts anderes übrig. Ich musste dem Duft folgen. Auch wenn das hieß, von meiner Route abzuweichen.

4. Princess

Schrecklich.

Es war alles einfach nur schrecklich, schrecklicher, am schrecklichsten.

Erst diese unmöglichen Zweibeiner. Dann der ungehobelte Köter und jetzt auch noch die gesamte Umgebung. Von wegen „Mutter Natur“ – pah! Dass ich nicht lache. So viel Grün braucht doch niemand.

Stinksauer saß ich auf einem Baumstumpf, der einzig halbwegs geraden Sitzfläche im Umkreis von 300 Kilometern. Mindestens.

Die ganze Nacht war ich unterwegs gewesen. Nur ein paar kleine Nickerchen waren mir in dieser unheimlichen Wildnis vergönnt gewesen.

Gut, dass grünes Holz nicht so schnell brennen konnte. So wie meine armen Pfötchen glühten, hätte ich sonst vermutlich noch den halben Wald abgefackelt. Nicht, dass es darum schade wäre, aber noch saß ich ja mittendrin. Sobald ich rauskam, sah die Sache allerdings anders aus.

Nur musste ich dazu erst einmal rauskommen.

Grummelig drehte ich mich herum. Von woher war ich eigentlich gekommen?

Von da?

Hm, den Busch da hatte ich doch schon mal gesehen. Oder war es der da drüben? Nein, der nicht, aber vielleicht der?

Dreimal verknotetes Schwanzhaar! Hier sah doch ein Eck aus wie das andere. Wie sollte man sich denn da …

Mhmmm?!?

Was war das?

Ich schnupperte so angestrengt, dass meine Schnurrhaare zitterten. Ein irritierendes Gefühl, nebenbei bemerkt, aber im Moment total akzeptabel, denn ich roch tatsächlich gebratene Würstchen. Wie konnte das sein? Hier, mitten in der Wildnis, ein Hauch von Zivilisation!

Da musste ich hin!

Ohne nach links oder rechts zu sehen – in meiner beschämenden Gier hätte ich links und rechts auch gar nicht mehr auseinanderhalten können – flitzte ich durch den Dschungel. Nase und Schwanz hoch erhoben war ich bestimmt ein wundervoller Anblick. Leider gab es keinen Spiegel, um mich an mir selbst zu erfreuen.

Und noch leiderer war ich nicht die Einzige, die Hunger hatte.

Ebenso abrupt wie er, aber wesentlich stilvoller, blieb ich stehen.

„Ach herrje. Du auch hier?“

„Nicht du schon wieder“, kam es hörbar genervt zurück.

„Ernsthaft? Man könnte meinen, du stalkest mich.“

„Ich war zuerst hier. Wer stalkt jetzt wen?“, knurrte der Köter zurück.

„Ich könnte mir jemand Besseren vorstellen.“

„Dein Pech. Aber verrat mir eines: Was machst du überhaupt hier? Hast du kein Zuhause?“

„Natürlich habe ich eines.“ Was bildete der sich ein? Automatisch plusterte sich mein Fell auf und mein Kopf reckte sich gerade. „Als ob jemand wie ich …“, ich musste nun doch schlucken, „als ob eine Rassekatze wie ich …“

„Ja?“, mit schief gelegtem Kopf und großen Kulleraugen schaute der mich an. Blau waren sie. Wie ein Sommerhimmel. Nicht so schön wie meine natürlich, aber für einen Hund nicht schlecht.

„Ach, halt doch das Maul. Das verstehst du ohnehin nicht. Jeder weiß, dass Hunde dumm sind.“

„Wenn du meinst“, antwortete er und sprach ungefragt weiter: „Frag mich nur, wer der Dümmere ist. Der mit dem robusten Fell und starken Pfoten, die wie gemacht sind für den Wald, oder die verwöhnte Mieze, die gleich hysterisch jaulend zusammenbricht. So wie du aussiehst, warst du noch nie draußen, oder?“

„Wie dem auch sei“, ich wischte seine Worte mit einer Pfote weg. „ICH habe jetzt zu tun, Bello. Sieh zu, dass du mir nicht wieder nachläufst, das ist beschämend. Sogar für einen Hund.“

Ich war noch keine vier Schritte in Richtung Essen gelaufen, da hörte ich hinter mir: „Oh, da komm ich mit.“

Empört drehte ich mich um.

„Sag mal, sind deine Ohren nur zu Dekozwecken an deinem Kopf? Ich sagte, ich gehe alleine.“

Ach verflixt. Wieso guckte mich der Hund jetzt so an? So … so … so kätzchenhaft. Unwillkürlich und vor allem unerwünscht regte sich ein seltsam mütterliches Gefühl in mir.

Jetzt war es amtlich.

Meine niederen Instinkte bahnten sich ihren Weg durch mein Bewusstsein nach oben. Ich musste schleunigst aus der Natur raus und in ein solides Haus, bevor sie die Kontrolle übernahmen. Am Ende würde ich noch verwaiste Kätzchen adoptieren. Welch grausige Vorstellung.

„Also gut“, fauchte ich ihn an, „dann komm halt mit. Aber sobald ich – hm, wir satt sind, trennen sich unsere Wege.“

„Super!“

Beim Anblick seines wedelnden Schwanzes hätte ich mir am liebsten die Pfote an den Kopf geschlagen, wie es die Menschen manchmal tun, wenn sich einer zu dämlich anstellt. Aber es kam sogar noch schlimmer.

„Lass uns Burgfrieden schließen, bis wir was im Magen haben.“

„Burgfrieden?“ Sollte ich ihm …? Nein, das dauerte zu lange und war bei seinem beschränkten Verstand ohnehin verschwendete Liebesmüh. Sollte er eben glauben, dass unser temporäres Zweckbündnis zur Nahrungsbeschaffung ein Burgfriede war.

Außerdem war er ohnehin schon weg.

Etwas konsterniert sah ich ihm nach.

Ob dieser Überschwang Erfolg haben würde? Eher erschrak er die Leute mit seinem offensiven Auftreten noch zu Tode.

Aber gut. Wenn sie dann am Boden lagen, konnte ich wenigstens in Ruhe essen: Also los, Hund, lauf ruhig und bell noch ein bisschen.

Halbwegs ausgesöhnt trabte ich hinterher. Doch gerade als ich das letzte Gebüsch erreicht hatte, ertönte wildes Geschrei und Gezeter. Entsprechend vorsichtig spähte ich durch die Zweige. Versuchte er die Würstchen etwa zu stehlen? War er erwischt worden? Lenkte das die Menschen vielleicht genügend ab, dass ich …?

Nein. Tat er nicht.

Die Aufregung galt gar nicht ihm, sondern dem eigenen Nachwuchs, der wohl irgendetwas angestellt hatte.

Neben mir raschelte es und ich zuckte erschrocken zusammen. Hatte jetzt mein letztes Stündlein geschlagen? Doch es war nur der Köter. Ausnahmsweise erleichtert über seinen Anblick fragte ich gnädig: „Und? Erfolgreich gewesen?“

„Leider nein. Die Großen haben mich nicht beachtet. Nur der Junge hat mich sofort gesehen. Doch als er ein Stöckchen für mich geworfen hat, traf er das Auto.“

Aha, darum also die Aufregung. Autos waren bei den Menschen fast so beliebt wie Katzen. Denen durfte keiner ein Haar, äh, keiner am Lack kratzen.

„Na gut, du Anfänger. Dann sieh zu und lerne!“

Zuversichtlich stolzierte ich davon.

Die Menschen hatten nicht den Hauch einer Chance gegen meinen Charme. Gekonnt schmiegte ich mich an Beine und Hände. Dann noch ein Tatzenstupser hier, ein dezentes „Mau“ da, und schon konnte ich zwischen den vielen Köstlichkeiten die Beste heraussuchen. Den Käse, beziehungsweise den Anbieter des Käses, würdigte ich keines Blickes. Da war der Räucherlachs schon eher nach meinem Geschmack. Trotzdem schlug ich mir als echte Dame den Bauch nicht voll, sondern übte mich in vornehmer, den Katzen eigener Zurückhaltung. Aus demselben Grund ließ ich sogar die letzten Schlecker der Kalbsleberstreichwurst auf dem Löffel zurück. Das allerletzte Stückchen Bratwurst, das nahm ich mit. Für den Fall, dass der Hund nicht nur dumm, sondern auch blind war.

Den fassungslosen Blick des Tölpels werde ich nie vergessen, als ich das Stück Bratwurst vor seinen Augen genüsslich kaute. Leider traf das Nichtvergessen auch auf die Sabbertropfen zu. Uä! Trotz allem war ich gespannt, ob er heulen oder knurren würde.

Tapfer schluckte ich die Wurst hinunter und schaffte es sogar noch, mir demonstrativ zufrieden übers Mäulchen zu lecken. Jetzt tropfte sein Sabber bis zum Boden – ihhhh! – beinahe hätte ich das Würstchen mit dem gesamten Mageninhalt wiedergesehen. Hastig wandte mich ab. Nur nicht hinsehen, ermahnte ich mich selbst. Einfach nicht hinsehen.

Um mich vom Anblick seines Köterschleims abzulenken und ihm gleich noch eines auszuwischen, fragte ich zuckersüß: „Und? Hast du gut aufgepasst? Dann weißt du ja jetzt, wie das geht.“

Sein Winseln belohnte mich für jegliches Leid, das ich bisher in dieser Wildnis erdulden musste. Ach, wie tat das gut. Fast so, wie die Töne, die Cynthia von sich gegeben hatte, wenn sie in den Besenschrank geworfen wurde. Betont lässig warf ich noch einen Blick über die Schulter und schlug vor: „Du kannst es morgen ja nochmal versuchen.“

Dann trabte ich zurück zu den Menschen, wo ich mir das kuscheligste Plätzchen für den dringend nötigen Mittagsschlaf aussuchte:

Den Kinderwagen.

Herrlich!

Dieses Gefühl, die Krallen ein- und auszufahren, sie in das Lammfell zu treiben, an den feinen Wollfäden des Kuscheltieres zu zupfen und mit den Ballen dagegen zu drücken.

Dieser Ruheplatz war definitiv meiner würdig.

Leider kam das Ende meines Glückes rascher, als ein Floh von einem Hund zum nächsten springt.

Lautes, nervenzerfetzendes Geschrei riss mich aus dem Schlummer. Während ich noch verdattert versuchte, mich zurechtzufinden, wurde ich gepackt und in einem hohen Bogen ins Gras geschleudert.

 Ich war fassungslos!

Was muss man für ein Mensch sein, um eine schlafende Katze rücksichtslos durch die Luft zu werfen?! Und kommt mir jetzt nicht mit dem Quatsch, dass wir ohnehin immer auf vier Beinen landen. Tun wir nicht. Cynthia fiel immer auf den Kopf.

Zum ersten, aber leider nicht zum letzten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, größer zu sein. Am besten tigerkatzengroß. Dann hätte ich es diesen Sadisten aber gezeigt!

So blieb mir aber nichts anderes übrig, als sie zornig anzublitzen – was diese Menschen absolut übersahen.

Stattdessen meckerten sie über Haare im Kinderwagen und dass Undank aller Welten Lohn sei und sie bestimmt nie wieder einen Streuner füttern würden.

Erst verstand ich nicht, was bzw. wen sie damit meinten, aber als das Schnurrhaar fiel, hätte ich fast sämtliche vornehme Zurückhaltung aufgegeben.

Ein Streuner!

Ich!

Noch nie zuvor war ich so beleidigt worden.

Also machte ich auf der Pfote kehrt und marschierte los.

Ich erspare euch die Mühen meiner Wanderung und sage nur so viel: Nach einer schlaflosen Nacht und unzähligen Stunden in der Wildnis fand ich den Weg zurück in die Zivilisation. Sofern man einen weiteren stinkenden Rastplatz samt Blechlawine als zivilisatorische Errungenschaft betrachten will.

Nun, jetzt gerade wollte ich es.

Nach all den Strapazen sehnte ich mich so sehr nach einer menschlichen Hand, die meinem Fell zu neuem Glanz verhelfen und mein leeres Bäuchlein angemessen füllen würde, dass ich sogar in einen senffarbenen Trabi eingestiegen wäre.

In diesem Moment der bitteren Selbsterkenntnis begann sogar der Himmel zu weinen.

Auch das noch. Mir blieb wirklich nichts erspart. Finster schaute ich zu den Wolken hoch, die ebenso finster zurückschauten.

Patsch.

Der nächste Tropfen war tatsächlich auf meiner Nase gelandet. Ab jetzt würde ich sogar dann in den senffarbenen Trabi einsteigen, wenn sich darin bereits ein Hund befand.

Vielleicht war das sogar die Lösung. Menschen, die einen Hund hatten, wussten zumindest teilweise über die richtige Haltung von Tieren Bescheid und würden mich nicht wegen ein paar Haaren quer durchs Zimmer werfen.

Neue Zuversicht durchströmte mich. Hunde gab es wie Gras auf der Wiese. Es sollte also nicht schwer sein, einen zu finden.