Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit - Herman Grimm - E-Book

Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit E-Book

Herman Grimm

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Beschreibung

In "Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit" entführt Herman Grimm den Leser in das faszinierende Leben und die außergewöhnliche künstlerische Schaffenskraft des Renaissance-Genies Michelangelo Buonarroti. Mit einer tiefgehenden Analyse der historischen und kulturellen Kontexte, in denen Michelangelo wirkte, eröffnet Grimm neue Perspektiven auf die Bedeutung seines Schaffens. Der autoritative literarische Stil, geprägt von eloquentem Ausdruck und präziser Argumentation, schafft nicht nur ein lebendiges Bild des Künstlers, sondern umfasst auch die gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Strömungen der Epoche, die seine Werke entscheidend beeinflussten. Herman Grimm, ein renommierter Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, verweilte intensiv mit den Ideen und Strömungen seiner Zeit. Sein umfassendes Wissen über Kunst, Kultur und Philosophie, gepaart mit einer persönlichen Bewunderung für Michelangelo, ließ ihn eine fundierte und gleichsam leidenschaftliche Erzählung verfassen. Grimm, der sich als Brückenbauer zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart verstand, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Einfluss Michelangelos auf nachfolgende Generationen zu beleuchten und dessen kreative Visionen für das Publikum zugänglich zu machen. Ich empfehle dieses Buch jedem, der sich für Kunstgeschichte und die spezifischen kulturellen Dynamiken der Renaissance interessiert. Grimme bietet Einblicke, die sowohl für Akademiker als auch für Kunstliebhaber von unschätzbarem Wert sind. Sein Werk ist eine eindringliche Hommage an einen der größten Künstler der Menschheitsgeschichte und ein unverzichtbares Studium für alle, die die kulturellen Wurzeln der westlichen Kunst nachvollziehen möchten. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Herman Grimm

Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit

Bereicherte Ausgabe. Der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Einführung, Studien und Kommentare von Wren Sharp
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547797142

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Im Zentrum steht die Frage, wie sich Michelangelos Persönlichkeit und Werk aus den Spannungen seiner Epoche formten und diese zugleich zurückspiegelten. Herman Grimm stellt in Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit eine Lebensbeschreibung vor, die Kunst und Umfeld untrennbar denkt. Statt eine bloße Abfolge von Daten zu liefern, verfolgt der Autor die innere Logik eines Werdegangs: Wie aus Talenten Haltungen werden, wie Ereignisse zu Entscheidungen drängen, wie aus Aufträgen eine künstlerische Aufgabe wächst. So entsteht der Grundkonflikt zwischen individueller Vorstellungskraft und den Kräften von Geschichte, Politik, Frömmigkeit und öffentlichem Anspruch, der das Buch durchzieht.

Als biografisch ausgerichtete Studie der Kunstgeschichte verortet das Werk Michelangelos Lebensweg in den kulturellen Landschaften der italienischen Renaissance, mit ihren Werkstätten, Höfen und Sakralräumen. Die Schauplätze reichen von städtischen Zentren bis zu machtvollen Institutionen, deren Erwartungen Kunst prägen. Verfasst wurde das Buch im 19. Jahrhundert, im Kontext einer deutschsprachigen Kunstgeschichtsschreibung, die das Leben großer Künstler als Zugang zur Epoche verstand. Diese Rahmung bestimmt Ton und Perspektive: reflektiert, argumentierend, zugleich narrativ. Leserinnen und Leser finden damit keine bloße Ikonografie, sondern eine weit ausholende Darstellung, die Biografie, Kulturgeschichte und Werturteil in eine sorgfältig austarierte Darstellung zusammenführt.

Die Ausgangssituation zeichnet einen jungen Künstler in einer Welt rasanter Umbrüche: Handwerkliches Lernen, Wettbewerb, Mäzenatentum und religiöse Ordnungen setzen die Koordinaten eines Lebens, das sich innerhalb und gegen diese Kräfte behauptet. Grimm entfaltet dies in einer Sprache, die prüfend und bildhaft vorgeht, mit ruhigem Tempo und kontrollierter Emphase. Das Leseerlebnis ist geleitet von einer Stimme, die Zusammenhänge sichtbar macht, statt Effekte zu häufen. Man folgt Beobachtungen, die aus Kunstwerken auf Bedingungen schließen, und aus Lebensstationen auf Denkweisen. Die Stimmung bleibt ernst, zuweilen feierlich, jedoch stets konzentriert auf die Frage, wie Form, Idee und Zeit ineinandergreifen.

Zentrale Themen treten klar hervor: die Beziehung zwischen schöpferischer Eigenständigkeit und den Anforderungen öffentlicher Aufträge; die Verschränkung von Glaubenspraxis, Politik und künstlerischem Programm; das Wechselspiel von körperlicher Präsenz und geistiger Bedeutung in der Kunst der Renaissance. Grimm interessiert, wie Traditionen – antik, mittelalterlich, humanistisch – als Ressourcen aktiv werden, ohne die Eigenart des Werks zu neutralisieren. Ebenso bedeutsam ist der Umgang mit Ruhm und Nachruhm: Welche Erzählungen verfestigen sich, welche bleiben strittig? Das Buch lotet diese Felder nicht als Thesenstück, sondern als kontinuierliche Annäherung aus, die Differenzen sichtbar und fruchtbar macht.

Die Perspektive des 19. Jahrhunderts ist Teil der Lektüre. Grimm schreibt aus einer Zeit, in der die Biografie als kulturelles Modell galt und die Renaissance zum Prüfstein europäischer Selbstbeschreibung wurde. Das Werk macht diese Haltung produktiv, indem es Einzelleben und Epochenbild verschränkt. Zugleich eröffnet die historische Distanz einen doppelten Blick: Sie zeigt, wie Deutungen entstehen, und wie sie an Sprachformen, Ideale und Institutionen gebunden bleiben. Wer das Buch liest, folgt daher nicht nur einem Werdegang, sondern beobachtet eine Methode der Kunstgeschichtsschreibung, die ihren Gegenstand ernst nimmt und ihre eigenen Voraussetzungen sichtbar hält.

Heutige Leserinnen und Leser könnten das Buch als Resonanzraum für Fragen unserer Gegenwart nutzen: Wie bewegt sich künstlerische Arbeit zwischen Autonomie und Auftrag? Welche Rollen spielen Öffentlichkeit, Ritual und Macht für die Form? Wie entstehen Kanons, und wer schreibt sie fort? Grimm bietet dafür keine Schlagworte, sondern eine geduldige, argumentierende Lektüre von Leben und Werk, die zum eigenen Urteil ermutigt. In Zeiten beschleunigter Urteile öffnet diese Art des Lesens einen langsameren Modus der Aufmerksamkeit – eine Schule der Wahrnehmung, die Kunst nicht nur ansieht, sondern in ihren Bedingungen mitzudenken versucht.

Wer sich auf Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit einlässt, tritt in eine dichte Erzählung ein, die ohne Eile Zusammenhänge entfaltet und doch stets auf das Wesentliche zielt. Ohne der Handlung vorzugreifen, lässt sich sagen: Am Anfang steht ein Talent in einer präzisen historischen Lage; es folgen Beobachtungen, die den Raum dieser Lage ausmessen. Die Lektüre führt durch Ateliers, Städte und Ideenwelten, getragen von einer unaufdringlichen, konzentrierten Stimme. Am Ende bleibt das Versprechen einer Reise, die Verständnis vertieft und die Zeit öffnet, aus der ein außergewöhnliches Werk hervorging.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Herman Grimms Biografie zeichnet Michelangelos Leben als Teil der politischen, religiösen und künstlerischen Kräfte seiner Zeit. Aus Briefen, Verträgen, Zeichnungen sowie den Berichten von Vasari und Condivi entwickelt er eine Erzählung, die Werkentstehungen mit historischen Umständen verknüpft. Statt reiner Stilgeschichte zeigt Grimm die Wechselwirkung von Persönlichkeit, Auftraggebern und städtischen Institutionen. Er betont die veränderte Stellung des Künstlers in der Renaissance und die Bedeutung von Florenz und Rom als Hauptbühnen dieser Entwicklung. Der Aufbau folgt den Lebensabschnitten, wobei zentrale Projekte als Achsen dienen. So werden künstlerische Entscheidungen, Materialfragen und ikonografische Programme aus der Kultur der Epoche heraus verständlich.

Zu Beginn beschreibt Grimm Michelangelos Herkunft in Caprese und die Prägung durch Florenz. Die Lehrjahre bei Ghirlandaio und der Zugang zum Skulpturengarten der Medici führen ihn in humanistische Kreise, wo Antike, Poesie und Naturstudium gleichrangig behandelt werden. Grimm skizziert die Werkstattpraxis, frühe Reliefs und das Zeichnen nach antiken Vorbildern als Fundament seiner späteren Formkraft. Die Beziehung zu Lorenzo de’ Medici öffnet Türen zu Gelehrten und Sammlungen. Gleichzeitig verdeutlicht der Autor die Konkurrenz unter Künstlern und die frühen Konflikte zwischen Handwerk, Hofkultur und aufstrebendem künstlerischem Selbstverständnis, das auf Unabhängigkeit und persönlichen Ruhm zielt.

Der erste Aufenthalt in Rom bildet einen frühen Höhepunkt. Grimm behandelt die Aufträge kirchlicher und privater Förderer, die Michelangelo in den antiken Ruinen und modernen Ambitionen der Kurie verorten. Die römische Pietà steht exemplarisch für die Verbindung von virtuoser Technik, klassischer Form und religiöser Inbrunst. Vertragsbedingungen, Marmorquellen und Werkstattorganisation werden als praktische Voraussetzungen geschildert. Zugleich zeigt Grimm, wie der Erfolg in Rom die Erwartungen an künftige Arbeiten steigert und die Beziehung zwischen Künstler und Auftraggeber anspruchsvoller macht. Der Ruhm wächst, doch auch der Druck, größere Aufgaben zu übernehmen und neuen ikonografischen Anforderungen gerecht zu werden.

Die Rückkehr nach Florenz führt zur monumentalen David-Figur, die Grimm als bürgerliches Symbol in einem politisch gespannten Gemeinwesen verortet. Öffentliche Platzierungen, Ratsbeschlüsse und die Sichtachsen der Stadt werden als kontextuelle Faktoren erläutert. Michelangelos Schlachtkartons und unvollendete Projekte zeigen laut Grimm den Kampf um Zeit, Ressourcen und Prioritäten. Die Konkurrenz mit Leonardo wird als produktive Spannung geschildert, die Fragen nach Bildform, Bewegung und historischer Darstellung aufwirft. So entsteht ein Bild des Künstlers als Akteur im städtischen Raum, dessen Werke in demokratischen Aushandlungsprozessen und wechselnden Machtverhältnissen gelesen werden müssen.

Mit Papst Julius II. verschiebt sich der Schwerpunkt erneut nach Rom. Grimm zeichnet das Grabmalprojekt als Kette von Planänderungen, Verzögerungen und Konflikten zwischen künstlerischem Anspruch und kurialer Politik. Aus dieser Dynamik erwächst der Auftrag für die Sixtinische Decke, der Michelangelo aus der Skulptur in die Malerei zwingt. Der Autor erläutert Vertragsdaten, Arbeitsphasen und technische Experimente, ohne den Werkcharakter auf reine Technik zu reduzieren. Zentral ist das Verhältnis zwischen päpstlichem Programm, theologischen Leitmotiven und Michelangelos eigener Bildlogik. So zeigt Grimm, wie institutionelle Vorgaben und persönlicher Entwurf einander herausfordern und produktiv begrenzen.

Die Ausmalung der Sixtina beschreibt Grimm als Einheit von biblischer Erzählung, monumentalem Körperideal und architektonischer Illusion. Er erläutert die Komposition in Felder, die Figurentypen und das Verhältnis von Propheten, Sibyllen und Vorfahren. Arbeitsorganisation, Gerüste, Kartons und Pigmente werden knapp umrissen, um die Leistung räumlich und zeitlich einzuordnen. Die zeitgenössische Rezeption und spätere Deutungen dienen zu zeigen, wie das Werk Maßstäbe für die Hochrenaissance setzte und zugleich Grenzen traditioneller Bildprogramme verschob. Grimm hält fest, dass sich hier eine künstlerische Sprache verfestigt, die in späteren Projekten weiter radikalisiert wird.

Die politischen Katastrophen der 1520er Jahre, der Sacco di Roma und die wechselnden Herrschaftsverhältnisse in Florenz rahmen Michelangelos Tätigkeit als Ingenieur und Baumeister. Grimm beschreibt seine Mitarbeit an Befestigungen, die ihn als praktischen Organisator zeigen. Mit der Rückkehr der Medici entstehen die Neue Sakristei und die Laurenziana, in denen Michelangelo eine eigene architektonische Grammatik entwickelt. Material, Proportion und Bewegung der Gliederungen werden als Ausdruck einer gesteigerten inneren Spannung gelesen. Grimm macht deutlich, wie Grabmäler, Kapellen und Bibliotheken religiöse, dynastische und städtische Ansprüche verbinden und in Raumkunst übersetzen.

Unter Paul III. entsteht das Jüngste Gericht in der Sixtina, das Grimm als Verdichtung theologischer Debatten und persönlicher Reflexion beschreibt. Er behandelt Auftrag, Anpassungen und die spätere Übermalung von Nacktheit im Kontext kirchlicher Reform. Späte Skulpturen, unvollendet belassene Figuren und die großen Pietà-Gruppen zeigen nach Grimm eine Konzentration auf Bruch, Fragment und geistige Innenschau. Zeichnungen und Gedichte ergänzen das Bild eines Künstlers, der Form und Glauben zunehmend auf das Wesentliche zuschneidet. So wird das Spätwerk als ernsthafte Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit, Gericht und Hoffnung dargestellt.

Die letzten Jahre in Rom kreisen um die Bauleitung von Sankt Peter. Grimm beschreibt Michelangelos Rolle in Verwaltungsabläufen, seine Überarbeitung der Pläne und die konzeptionelle Klarheit der Kuppel. Briefe, Berichte und Baustellenpraxis zeigen die Verantwortung, Kosten, Statik und Symbolik zusammenzuführen. Mit dem Tod des Künstlers schließt Grimm den Bogen: Er bilanzierte ein Leben, in dem Kunst, Religion und Politik untrennbar verschränkt sind. Die zentrale Aussage lautet, dass Michelangelos Werke aus der Geschichte ihrer Zeit heraus zu verstehen sind, diese Geschichte aber zugleich prägen. So erscheint der Künstler als gestaltende Kraft in einer Epoche tiefgreifender Umbrüche.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Das Buch spielt in den Jahrzehnten zwischen 1475 und 1564 auf der italienischen Halbinsel, vor allem in Florenz und Rom. Diese Epoche war von den auseinanderstrebenden Stadtstaaten, dem weltlichen Machtanspruch des Papsttums und den Eingriffen auswärtiger Mächte geprägt. Die Italienischen Kriege (ab 1494) verwandelten Städte in Schauplätze von Belagerungen und Residenzen in politische Bühnen. Patronage war ein Instrument der Herrschaft, Aufträge dienten Repräsentation und Diplomatie. Florenz schwankte zwischen republikanischer Selbstbehauptung und Medici-Herrschaft, Rom zwischen religiöser Zentralgewalt und weltlicher Militärpolitik. Grimm verortet Michelangelo in diesem dicht verwobenen Gefüge von Werkstätten, Höfen, Kirchen und Festungen.

Unter Lorenzo de' Medici (1469–1492) erlebte Florenz relative Stabilität, die Kunst als Staats- und Familienprestige förderte. Michelangelo (geb. 6. März 1475 in Caprese) trat 1488 in Ghirlandaios Werkstatt ein und arbeitete ab 1489 im Medici-Skulpturengarten unter Bertoldo di Giovanni. Um 1490–1492 entstanden Studien und Reliefs wie der Kampf der Kentauren, Zeugnisse eines hofnahen Ausbildungsumfelds. Historisch markiert Lorenzos Tod 1492 das Ende eines mäßigenden Regimes. Grimm stellt diesen Hof als politisch-kulturellen Scharnierort dar: Er zeigt, wie familiäre Netzwerke, humanistische Zirkel und mediceische Ressourcen den jungen Künstler früh in Macht- und Auftragslogiken einführten.

1494 überschritt Karl VIII. von Frankreich die Alpen, besetzte rasch große Teile Italiens und zog im November 1494 in Florenz ein. Die Medici wurden vertrieben; Girolamo Savonarola dominierte die Republik (1494–1498) mit moralischer Reformagenda, Bußpredigten und dem Scheiterhaufen der Eitelkeiten (1497). Michelangelo wich 1494 nach Bologna aus, kehrte 1495 zurück und ging 1496 nach Rom. Dort schuf er den Bacchus (1496–1497) und die Pietà für St. Peter (1498–1499). Grimm verknüpft diese Umbrüche mit einer existenziellen Erfahrung von Flucht, unsicherer Patronage und religiöser Strenge, die im Buch als prägender Hintergrund für Michelangelos römischen Aufstieg erscheint.

Mit der Wahl Papst Julius’ II. (1503–1513) verschob sich Roms Politik hin zu militärischer Expansion und Zentralisierung. 1505 begann Michelangelo das monumentale Grabmalprojekt für den Papst; 1508–1512 malte er das Gewölbe der Sixtina, eingeweiht am 31. Oktober 1512. Gleichzeitig tobten die Kriege der Liga von Cambrai (ab 1508) und der Heiligen Liga (ab 1511), in denen Julius II. Territorien der Kirche zurückeroberte. Der Papsthof diente als Schaltzentrale künstlerisch-politischer Propaganda. Grimm interpretiert diese Jahre als Kulminationspunkt der Verbindung von päpstlicher Macht und künstlerischem Auftrag und nutzt Verträge, Briefe und Chroniken, um die Verflechtung von Kriegspolitik und Werkgenese offenzulegen.

Unter Leo X. (1513–1521) wurde die mediceische Kulturpolitik nach Florenz rückgekoppelt: 1516 erhielt Michelangelo den Auftrag für die Fassade von San Lorenzo (später verworfen), ab 1519–1520 entstanden Projekte für die Neue Sakristei (Medici-Kapelle) und die Laurenziana. Mit der Wahl Clements VII. (1523–1534) verschärften die Italienischen Kriege die Lage erneut; am 6. Mai 1527 wurde Rom von Truppen Kaiser Karls V. geplündert. Clement suchte Zuflucht in Castel Sant’Angelo. Grimm stellt den Sack als Zäsur dar, die Auftragsketten zerstörte, Kunstproduktion militärisch unterbrach und Michelangelos Florentiner Verpflichtungen unter den Druck suprapolitischer Ereignisse stellte.

Nach der Erhebung der Florentiner Republik 1527 belagerten kaiserlich-päpstliche Truppen 1529–1530 die Stadt zur Wiederherstellung der Medici-Herrschaft. Michelangelo wurde im April 1529 zum „Governatore e Procuratore generale delle fortificazioni“ ernannt; er entwarf und beaufsichtigte Befestigungen an San Miniato und den Stadttoren, floh kurzzeitig nach Venedig und kehrte zurück. Am 12. August 1530 kapitulierte Florenz; 1532 etablierte sich das erblich-mediceische Herzogtum unter Alessandro de’ Medici. Grimm widmet diesen Ereignissen breiten Raum: Er liest Michelangelos Ingenieurrolle als Ausdruck republikanischer Pflichtenethik, die nach 1530 in vorsichtige Kompromisse mit der restaurierten Dynastie überging.

Unter Paul III. (1534–1549) begann 1536 die Ausführung des Jüngsten Gerichts in der Sixtina, enthüllt 1541. Die nachfolgenden Sittenkontroversen kulminierten nach dem Konzil von Trient (1545–1563) in Übermalungen durch Daniele da Volterra (1565) unter Pius IV. 1546 wurde Michelangelo leitender Architekt von St. Peter; er festigte den Zentralbau und bereitete den Kuppelentwurf vor. Michelangelo starb am 18. Februar 1564 in Rom; sein Leichnam gelangte im März 1564 nach Florenz, Begräbnis in Santa Croce unter Cosimo I. de’ Medici. Grimm, dessen Erstfassung in den 1860er Jahren erschien, rahmt diese Spätphase als moralische Verdichtung im Zeitalter konfessioneller Disziplinierung.

Das Buch fungiert als politische Gesellschaftsanalyse, indem es Michelangelos Biografie gegen die Gewaltzyklen der Italienischen Kriege, päpstlichen Machtgebrauch und dynastische Restaurationspolitik spiegelt. Grimm macht die Instrumentalisierung von Kunst als Herrschaftssprache sichtbar, thematisiert die Abhängigkeit des Künstlers von kirchlich-dynastischen Auftraggebern und legt Konflikte zwischen republikanischer Bürgertugend und fürstlicher Gewalt offen. Die Belagerung von Florenz, der Sacco di Roma und die tridentinische Kulturkontrolle erscheinen als Brennpunkte struktureller Ungleichheit und Zensur. Dadurch kritisiert das Werk die Verquickung von Krieg, Ökonomie und Kunstbetrieb und fordert historische Verantwortlichkeit gegenüber künstlerischer Integrität.

Michelangelo: Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit

Hauptinhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

I

Es gibt Namen, die etwas von einer Zauberformel in sich tragen. Man spricht sie aus, und wie der Prinz in dem Märchen der Tausend und eine Nacht[1], der das Wunderpferd bestieg und die magischen Worte rief, fühlt man sich vom Boden der Erde in die Wolken steigen. Nur »Athen!« – und was im Altertume an großen Taten geschah, liegt wie ein plötzlicher Sonnenschein über unserem Herzen. Nichts Bestimmtes, keine einzelnen Gestalten erblicken wir, aber Wolkenzüge, aus herrlichen Männerscharen gebildet, ziehen am Himmel hin, und ein Hauch berührt uns, der wie der erste laue Wind im Jahre mitten in Schnee und Regen den Frühling schon zu gewähren scheint. »Florenz!« – und die Pracht und leidenschaftliche Bewegung der italienischen Blütezeit duftet uns an wie volle blütenschwere Äste, aus deren dämmernder Tiefe flüsternd die schöne Sprache redet.

Nun aber treten wir näher und wollen die Dinge deutlicher betrachten, deren Sammlung mit einem Blicke überflogen die Geschichte von Athen und von Florenz genannt wird. Da erkalten die glühenden Bilder und werden trübe und nüchtern. Wie überall gewahren wir auch hier den Kampf der gemeinen Leidenschaften, das Märtyrertum und den Untergang der besten Bürger, die dämonische Widersetzlichkeit der großen Menge gegen das Reine und Erhabene und die energische Uneigennützigkeit der edelsten Patrioten mißtrauisch verkannt und hochmütig zurückgewiesen. Ärger, Wehmut und Trauer stehlen sich ein an die Stelle der Bewunderung, die uns zuerst bewegte. Und dennoch, was ist das? Indem wir uns abwendend von weitem einen Blick zurückwerfen, da liegt der alte Glanz wieder auf dem Bilde, und eine schimmernde Ferne scheint das Paradies trotzdem zu entfalten, zu dem es uns von neuem hinzieht, als sollten wir es zum letzten Male betreten.

Athen war die erste Stadt Griechenlands. Reich, mächtig, mit einer Politik, die sich beinahe über die ganze Welt ihres Zeitalters ausspannte, – es begreift sich, daß von hier ausging, was Großes geleistet wurde. Florenz aber, in seinen schönsten Tagen nicht einmal die erste Stadt Italiens, erfreute sich in keinem Betracht außerordentlicher Vorteile. Es liegt nicht am Meere, nicht einmal an einem jederzeit schiffbaren Flusse; denn der Arno[2], zu dessen beiden Seiten sich die Stadt erhebt, an dem Punkte seines Laufes, wo er aus engen Tälern in die zwischen den sich ausbreitenden Armen des Gebirges gelegene Ebene heraustritt, bietet im Sommer oft kaum Wasser genug, um den Boden seines breiten Bettes damit zu überströmen. Neapel liegt schöner, Genua königlicher als Florenz, Rom ist reicher an Kunstschätzen, Venedig besaß eine politische Macht, gegen welche der Einfluß der Florentiner gering erscheint. Endlich, diese Städte und andere, wie Pisa oder Mailand, haben eine äußere Geschichte durchgemacht, der gegenüber die von Florenz nichts Außerordentliches enthält: und trotzdem ist alles, was zwischen 1250 und 1530 in Italien geschieht, farblos im Vergleich zu der Geschichte dieser einzigen Stadt. Ihre inneren Bewegungen überbieten an Glanz die Anstrengungen der anderen nach innen und außen. Die Schicksale, durch deren Verirrungen sie sich mit jugendlicher Unverwüstlichkeit durcharbeitet, die Männer, die sie hervorbringt, erhöhen ihren Ruhm über den von ganz Italien und stellen Florenz Athen wie eine jüngere Schwester an die Seite.

Die ältere Geschichte der Stadt vor den Tagen ihres höchsten Glanzes verhält sich zu den späteren Ereignissen wie die Kämpfe der homerischen Helden zu dem, was in historischen Zeiten in Griechenland geschah. Der unaufhörliche Sturm der feindlichen Adelsparteien gegeneinander, der Jahrhunderte ausfüllt und mit der Vernichtung aller endete, hat im großen wie in den Einzelheiten den Gang eines Heldengedichtes. Mit dem Streit zweier Familien, durch eine Frau herbeigeführt, mit Mord und Rache im Gefolge, beginnen diese Kämpfe, in die die gesamte Bürgerschaft hineingerissen wird, und immer ist es die Leidenschaft der Führer, welche die sinkenden Flammen zu neuem Leben entfacht. Aus ihrer Asche endlich entwuchs das eigentliche Florenz. Es hatte jetzt keinen kriegerischen Adel mehr wie Venedig, keine Barone und Päpste wie Rom, keine Flotte, keine Soldaten, kaum ein Territorium. Innerhalb seiner Mauern saß ein launiges, geiziges, undankbares Volk von Parvenüs[5], Handwerkern und Kaufleuten, das bald hier, bald dort von der Energie oder den Intrigen fremder und einheimischer Tyrannei unterjocht worden wäre und endlich erschöpft seine Freiheit wirklich dahingab; – und gerade die Geschichte dieser Dinge von solchem Glanze umgeben und diese Begeisterung des eigenen Volkes heute noch beim Andenken an seine Vergangenheit!

Was in der Natur uns und in der Kunst, dieser höheren Natur, die der Mensch geschaffen hat, anzieht, das gilt auch von den Taten der einzelnen Menschen und Völker. Eine unbegreifliche, verlockende Melodie, die aus den Begebenheiten ausströmt, macht sie bedeutend und begeisternd. So möchten wir leben und handeln, das miterrungen, dort mitgekämpft haben. Es wird uns klar, dieses sei das wahre Dasein. Die Ereignisse reihen sich zum Kunstwerk aneinander, ein wunderbarer Pfad verbindet sie allgesamt, es sind keine abgerissenen, erschütternden Schläge, daß wir erschrecken wie beim Sturze eines Felsens, durch den der Boden aufzittert, der Jahrhunderte lang still dalag und dann wieder auf Jahrhunderte vielleicht in die alte Ruhe zurücksinkt. Denn nicht die Ruhe, die Ordnung, das gesetzmäßige Fortschreiten auf geebneten Wegen des Friedens verlangen wir zu gewahren oder darauf dann den erschreckenden Bruch des Altgewohnten und das Chaos, das ihm nachfolgt, sondern Taten und Charaktere ergreifen uns, deren Anfang eine Folge verspricht und einen Abschluß ahnen läßt, wo die Kräfte der Menschen und Völker sich spannen, und unser Gefühl von den Dingen einem harmonischen Ziele entgegenstrebt, das wir erhoffen oder fürchten und das wir sie am Schlusse erreichen sehen.

Unser Wohlgefallen an den Begebenheiten hat keine Ähnlichkeit mit der Genugtuung, in der sich etwa ein moderner Polizeibeamter über die vortrefflichen Zustände eines Landes ausspräche. Es gibt sogenannte ruhige Zeiten, innerhalb deren dennoch die besten Handlungen wurmstichig erscheinen und ein geheimes Mißtrauen einflößen, wo Friede, Ordnung und unparteiische Gerechtigkeitspflege Worte ohne echten Inhalt sind und Frömmigkeit sogar wie Blasphemie klingt, während in anderen Epochen offen daliegende Verdorbenheit, Fehler, Unrecht, Laster und Verbrechen nur die Schatten eines großen erhebenden Gemäldes bilden, dem sie erst die rechte Wahrheit verleihen. Je schwärzer die dunklen Stellen, je heller die leuchtenden. Eine unverwüstliche Kraft scheint beide zu bedingen und zu bedürfen. Wir werden nicht hinters Licht geführt, das ist unsere innige Überzeugung. Es ist alles so klar, so deutlich, so verständlich. Der Kampf der unabwendbaren finsteren Notwendigkeit mit dem Willen, dessen Freiheit nichts besiegen kann, ergreift uns. Auf beiden Seiten sehen wir große Kräfte sich erheben, die Ereignisse gestalten, in ihnen untergehen oder sich über ihnen emporhalten. Wir sehen das Blut fließen, die Wut der Parteien durchzuckt uns wie ein Wetterleuchten noch von längst verrauschten Gewittern, wir stehen hier oder dort und kämpfen mit in den alten Schlachten noch einmal. Aber Wahrheit wollen wir, keine Verheimlichung der Zwecke und der Mittel, mit denen man sie erreichen wollte. So sehen wir die Völker kochen, wie die Lava im Krater eines feuerspeienden Berges sich in sich selbst empört, und aus dem Kessel klingt das zauberhafte Lied, an das wir uns erinnern, wenn »Athen« oder »Florenz« ausgesprochen wird.

II

Wie arm erscheint jedoch der Inhalt der italienischen Stadt gegen den Reichtum der griechischen. Ganze Reihen großer Athener treten auf, wo nur einzelne Florentiner sich zeigen könnten. Athen übertrifft Florenz so weit als die Griechen die Romanen übertrafen. Aber uns steht Florenz näher. Bei der Geschichte Athens gehen wir weniger sicher, und die Stadt selbst ist bis auf geringe Trümmer von ihrem alten Felsenboden fortgefegt. Florenz lebt noch[1q]. Wenn man heute von der Höhe des alten Fiesole[4], das nördlich über der Stadt am Gebirge klebt, herabsieht, liegen der Dom von Florenz, Santa Maria del Fiore[3] oder Santa Liparata genannt, mit seiner Kuppel und dem schlanken Glockenturm und die Kirchen, Paläste und Häuser und die Mauern, die sie einschließen, noch so vor unseren Blicken in der Tiefe, wie sie vor langen Jahren getan – alles aufrecht und unverfallen. Die Stadt ist wie eine Blume, die in dem Momente, wo der Trieb des Wachstums am vollsten war, statt zu verwelken, gleichsam in Versteinerung überging. So steht sie heute, und wer der alten Zeiten nicht gedenkt, dem scheint auch nicht das Leben und der Duft zu fehlen. Manchmal möchte man glauben, es sei noch wie vordem, wie uns der Mondschein zuweilen in den Kanälen Venedigs die alte Zeit des Glanzes zurücklügt. Aber die alte Gesinnung ist verschwunden, und der Nachwuchs großer Männer ist lange ausgeblieben, der frisch aufschoß Jahr für Jahr vor alters.

Dennoch lebt das Andenken an die Männer und an die alte Freiheit. Mit andächtiger Sorgfalt wird ihre Hinterlassenschaft aufbewahrt. Mit Bewußtsein in Florenz zu leben, ist für einen gebildeten Mann nichts anderes als ein Studium der Schönheit eines freien Volkes bis in ihre feinsten Triebe. Die Stadt hat etwas die Gedanken Durchdringendes, Beherrschendes. Man verliert sich ganz in ihrem Reichtum. Indem man fühlt, wie alles sein Leben aus der einen Freiheit sog, gewinnt die Vergangenheit in den geringsten Beziehungen einen Zusammenhang, der für das übrige Italien fast verblenden kann. Man wird ein fanatischer Florentiner im alten Sinne. Die schönsten Bilder Tizians fingen an uns gleichgültig zu werden über dem Verfolgen der florentinischen Kunstentfaltung in ihrem fast minutenweise erkennbaren Fortschritte vom unbeholfensten Anfang bis zur Vollendung. Die Geschichtsschreiber zogen mich in die Verwickelungen ihrer Zeit, als würde ich in die Geheimnisse lebender Personen eingeweiht. Man geht in den Straßen noch, wo sie gingen, überschreitet die Schwellen, die sie betraten, sieht aus den Fenstern herab, an denen sie gestanden. Florenz ist niemals erstürmt, zerstört oder durch eine allverheerende Feuersbrunst verändert worden; die Bauten, von denen berichtet wird, fast wie sie Stein auf Stein heranwuchsen, stehen da und reizen und belohnen unsere Augen. Wenn mich, den Fremdling, das so magnetisch an sich zog, wie stark muß das Gefühl gewesen sein, mit dem die alten, freien Bürger an ihrer Vaterstadt hingen, die für sie die Welt bedeutete. Ihnen schien es unmöglich, anderswo zu leben und zu sterben. Daher die tragischen, oft wahnsinnigen Versuche der Verbannten, in die Heimat zurückzukehren. Unglücklich, wer abends nicht auf diesen Plätzen seinen Freunden begegnen durfte, wer nicht in der Kirche San Giovanni getauft war und seine Kinder dort taufen lassen durfte. Sie ist die älteste Kirche der Stadt und trug in ihrem Innern die stolze Inschrift, erst am Tage des Weltgerichts werde sie zusammenstürzen. Ein so guter Glaube wie der der Römer, denen die Dauer des Kapitols die Ewigkeit war. Horaz sang: so lange würden seine Lieder dauern, als die Priesterin die Stufen dahinanstiege.

Ihre Freiheit hat Athen und Florenz so groß gemacht. Frei sind wir, wenn unserer Sehnsucht Genugtuung geschehen darf, alles, was wir tun, zum Besten des Vaterlandes zu tun, selbständig aber und freiwillig, uns als einen Teil des Ganzen zu gewahren und, indem wir fortschreiten, seinen Fortschritt zugleich zu befördern. Dies Gefühl muß stärker sein als jedes andere. Bei den Florentinern überragte es die blutigste Feindschaft der Parteien und der Familien. Die Leidenschaften beugten sich ihm. Die Stadt und ihre Freiheit lag jedem zunächst am Herzen. Um dieser Freiheit willen die unendlichen Kämpfe. Keine äußere Gewalt sollte sie unterdrücken, keine im Innern der Stadt selbst berechtigter sein als andere, jeder Bürger verlangte mitzuwirken für das allgemeine Beste, kein Dritter sollte erst den Vermittler abgeben, um diese seine Teilnahme zu ermöglichen. Solange diese Eifersucht auf das persönliche Recht am Staate in den Gemütern der Bürger dominierte, war Florenz eine freie Stadt. Mit dem Erlöschen dieser Leidenschaft sank die Freiheit zu Boden, und vergebens wurden so viele Kräfte angespannt, sie emporzuhalten.

Was Athen und Florenz vor anderen Staaten aber, die gleichfalls durch ihre Freiheit zur Blüte kamen, dennoch erhaben hinstellt, ist ein zweites Geschenk der Natur, durch welches die Freiheit, man könnte beides sagen, beschränkt oder erweitert wurde: die Fähigkeit einer ebenmäßigen Entwickelung aller menschlichen Kräfte in ihren Bürgern. Einseitige Stärke vermag viel zu schaffen, mögen Menschen oder Völker sie besitzen – Ägypter, Römer, Engländer sind großartige Beispiele dafür – die Einseitigkeit ihres Charakters aber findet sich in ihren Unternehmungen wieder und entzieht dem, was sie gestalteten, das Lob der Schönheit. In Athen und Florenz steigerte sich keine Regung in der Individualität des Volkes dauernd so sehr, um das Übergewicht über die andere zu erlangen. Geschah es zuweilen für kurze Zeit, so führte ein baldiger Umsturz der Dinge das Gleichgewicht zurück. Die florentinische Verfassung beruhte auf den momentanen Beschlüssen der stimmfähigen Bürgerversammlung. Jede Gewalt konnte auf gesetzliche Weise vernichtet und ebenso gesetzlich eine andere an ihrer Stelle errichtet werden. Es bedurfte nichts als einen Beschluß des großen Bürgerparlamentes. Es wurde dabei einfach abgestimmt. So lange die große Glocke läutete, welche die Bürger auf den Platz vor dem Regierungspalaste zusammenrief, durfte auf offener Straße jede Sache, die einer etwa gegen den anderen auf dem Herzen hatte, mit bewaffneter Hand zum Austrag kommen. Das Parlament war die gesetzlich eingerichtete Revolution für den Fall, daß der Wille des Volkes mit dem der Regierung nicht mehr stimmte. Die Bürgerschaft verlieh dann einem Ausschuß diktatorische Befugnisse. Die Ämter wurden neu besetzt. Alle Ämter waren allen Bürgern zugänglich. Jeder war zu jeder Stelle befähigt und berufen. Was für Männer mußten diese Bürger sein, die bei so beweglichen Institutionen einen festen Staat bildeten! Herzlose Kaufleute und Fabrikanten: aber wie kämpften sie um ihre Unabhängigkeit! Egoistische Politik und Handel ihr einziges Interesse: aber wie dichteten sie und schrieben die Geschichte ihres Vaterlandes! Geizige Krämer und Geldwechsler: aber in fürstlichen Palästen! Und diese Paläste von eigenen Meistern erbaut und mit Malereien und Bildhauerarbeiten geschmückt, die gleichfalls innerhalb der Stadt gewesen waren! Alles treibt Blüten, jede Blüte bringt Früchte. Das Geschick des Vaterlandes ist wie eine Kugel, die in ewiger Bewegung dennoch immer auf dem richtigen Punkte ruht. Jedes florentinische Kunstwerk trägt ganz Florenz in sich. Dantes Gedichte sind ein Produkt der Kriege, der Unterhandlungen, der Religion, der Philosophie, des Geschwätzes, der Fehler, der Laster, des Hasses, der Liebe, der Rache der Florentiner. Alles arbeitete unbewußt mit, es durfte nichts fehlen. Nur aus einem solchen Boden konnte ein solches Werk emporsprießen. Nur aus athenischem Geiste konnten die Tragödien des Sophokles und Äschylus hervorgehen. Die Geschichte der Stadt hat ebensoviel Anteil an ihnen als das Genie der Männer, in deren Geiste die Phantasie und die Leidenschaft nach Worten suchte.

Es ist ein Unterschied, ob ein Künstler der selbstbewußte Bürger eines freien Landes oder der reichbelohnte Untertan eines Herrschers ist, in dessen Ohren Freiheit wie Aufruhr und Verrat klingt. Frei ist ein Volk, nicht weil es keinem Fürsten gehorcht, sondern weil es aus eigenem Antriebe die höchste Autorität liebt und aufrecht hält, mag diese nun ein Fürst oder eine Aristokratie mehrerer sein, die die Herrschaft in Händen halten. Ein Fürst ist immer da; in den freiesten Republiken gibt ein Mann zuletzt den Ausschlag. Aber er muß dastehen, weil er der Erste ist und alle seiner bedürfen. Nur wo jeder einzelne sich als einen Teil der allgemeinen Basis empfindet, auf der das Staatswesen beruht, kann von Freiheit und Kunst die Rede sein. Was haben die Bildsäulen in der Villa des Hadrian mit Rom und den Wünschen Roms zu schaffen? Was die gewaltigen Säulen der Bäder des Caracalla mit dem Ideale des Volkes, in dessen Hauptstadt sie erstanden? In Athen und Florenz aber, konnte man sagen, sei keine Quader auf die andere gelegt worden, kein Bild, kein Gedicht entstanden, ohne daß die ganze Bevölkerung Gevatter stand. Ob Santa Maria del Fiore umgebaut, ob die Kirche San Giovanni ein paar goldene Tore erhalten, Pisa belagert, Frieden geschlossen oder ein toller Karnevalszug gefeiert werden sollte: jedermann ging das an, es war dasselbe allgemeine Interesse, das sich dabei betätigte. Die schöne Simoneta, das schönste junge Mädchen in der Stadt, wird begraben; ganz Florenz folgt ihr, die Tränen in den Augen, und Lorenzo Medici, der erste Mann im Staate, dichtet ein klagendes Sonett auf ihren Verlust, das in aller Munde ist. Eine neu gemalte Kapelle wird eröffnet: Keiner darf dabei fehlen. Ein Wettrennen durch die Straßen veranstaltet: Teppiche hängen aus allen Fenstern herunter. Wie einzig schöne Menschengestalten stehen die beiden Städte vor uns da, ganz von weitem betrachtet, – wie Frauen mit dunkelen, traurigen Blicken und lächelnden Lippen dennoch; treten wir näher, so scheint es eine große, einige Familie; sind wir mitten darunter, so ist es wie ein Bienenkorb von Menschen: Athen und sein Schicksal ein Symbol des gesamten griechischen Lebens, Florenz ein Symbol der italienisch-romanischen Blütezeit. Beide, so lange ihre Freiheit währte, ein Abglanz des goldenen Zeitalters ihres Landes und Volkes, nachdem die Freiheit verloren war, ein Bildnis des Verfalls beider bis zu ihrem endlichen Untergange.

III

Es ist nichts darüber bekannt, wie das antike Florentia in das moderne Fiorenza oder Firenze überging und ob es aus den römischen Zeiten den Charakter einer Fabrikstadt mitgebracht. Nicht einmal aus der hohenstaufischen Epoche wissen wir, in welchem Verhältnis die Bevölkerung sich in Adel und gewerbetreibenden Bürgerstand teilte. Damals lag die Stadt am nördlichen Ufer des Arno, innerhalb gering umfassender Mauern, zwischen denen und dem Flusse ein breiter Raum war. Dahinaus aber vergrößerte man sich bald, schlug Brücken hinüber und setzte sich an der anderen Seite fest.

Die Besiegung Fiesoles war die erste große Tat der florentinischen Bürgerschaft. Die Fiesoleaner mußten sich in der Tiefe ansiedeln. Pisa jedoch, das nach Westen hin am Meere lag, war größer und mächtiger. Pisa besaß eine Flotte und Häfen, der florentinische Handel war abhängig von dem seinigen. Nirgends hatte Florenz freien Zusammenhang mit dem Meere, Lucca, Pistoia, Arezzo, Siena, lauter neidische und kriegerische Städte, umkränzten es mit ihren Gebieten. In ihnen aber, wie in Florenz, saßen mächtige Adelsgeschlechter, in deren Händen die Herrschaft lag.

Die Kämpfe dieser Herren im einzelnen und die der Parteien, in die sie sich der Masse nach teilten, bilden das Schicksal Toskanas, solange die Hohenstaufen die Welt regierten. Florenz gehörte zu der Erbschaft der Gräfin Mathilde, die der Papst beanspruchte, weil ihm das Land vermacht worden sei, der Kaiser, weil über kaiserliches Lehen so nicht verfügt werden dürfe. Dieser Streit gab den Parteien in Toskana feste Anhaltspunkte. Ein Teil des Adels stand auf für die Rechte der Kirche, der andere, um die des Kaisers zu verteidigen. Die Zukunft der Stadt fiel dem Ausgang des Krieges anheim, der zur Entscheidung der brennenden Frage alsbald in gewaltsamen Taten aufloderte.

War die kaiserliche Partei in Italien siegreich, so triumphierten auch in Florenz ihre Anhänger; hatten die Nationalen die Oberhand, so siegte auch in Toskana die Partei des Papstes. Als die lombardischen Städte von Barbarossa gedemütigt wurden, brachen die kaiserlich Gesinnten los in Florenz und versuchten die öffentlichen Behörden, die von ihren Gegnern befestigt worden waren, aus ihrer Stellung zu treiben. Als das Glück des Kaisers dann einen Umschlag erfuhr, kehrte die Macht seiner Feinde auch in Toskana zurück. Unter der Protektion des Papstes schlossen sich die tuskischen Städte zu einem Verband zusammen, dessen Vorort Florenz war.

So lagen die Dinge zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, als die Namen Guelfen und Ghibellinen[6] aufkamen und, was bisher ein dumpfer Widerstreit gewesen, zu einem Kampfe mit ausgebildeten Prinzipien ward. Im Jahre1213 begannen die Guelfen und Ghibellinen in Florenz sich zu befehden. Im Jahre1321 starb Dante. Das Jahrhundert zwischen beiden Ziffern bildet den Inhalt seiner Gedichte, deren Verse der heldenmütigen Epoche, die sie schildern, ebenso natürlich entsprechen wie die reine Sprache Homers den Taten der Hellenen vor Ilion.

Verzeichnisse der Familien, wie sie hüben und drüben standen, sind aufbewahrt. Wir kennen die Lage ihrer Paläste, kleiner Kastelle, die auf Abwehr von Sturm und Belagerung eingerichtet waren. Wir verfolgen von Jahr zu Jahr die unheilvollen Verhältnisse. Alte berühmte Häuser kommen herab, neue erheben sich aus kleinen Anfängen zu Macht und Ansehen. Ununterbrochen neben dem innerlichen Zwiespalt Kriege mit den Nachbarn, mit Pisa voran, das den Weg zum Meere in der Hand hatte, bald mit der ganzen Nachbarschaft. Im Moment der Gefahr vereinigen Versöhnung, Waffenstillstände und Verträge die sich zerfleischenden Parteien zu gemeinsamer Kraft gegen die Feinde des Vaterlandes. Nach dem Siege aber erwacht in den eigenen Mauern der alte Hader zu neuem Unheil.

Meistens lag der Grund der äußeren Verhältnisse in den inneren selber. Die Guelfen von Florenz, wenn sie die Leitung der Dinge in Händen hatten, drängten zum Kriege gegen die Ghibellinen von Pisa oder Pistoia. Die Florentiner Ghibellinen verweigern dann, mit auszuziehen gegen die eigenen Parteigenossen. So stand Toskana in Flammen, die nicht zu dämpfen waren. Denn gelang es der einen Partei, die andere aus der Stadt hinauszudrängen, so lagen die Vertriebenen draußen in ihren Kastellen, bis dicht vor den Toren, um den günstigen Moment der Rückkehr zu erwarten. Geschlagen sein war nicht überwunden sein. Im schlimmsten Falle kam Zuzug und Geld aus der Ferne. Der Kaiser selbst sandte den unterdrückten Ghibellinen deutsche Ritter zu Hilfe.

Dem gewerbetreibenden Bürgerstand jedoch kam dieser Zustand der großen Herren wohl zustatten. Aus heraufgekommenen Kaufleuten bildete sich ein drittes Element, das in die Kämpfe des Adels mächtig eingriff und ihn zu Konzessionen nötigte. Die städtischen Behörden erstarkten; mitten in den verderblichsten Unruhen nahm Florenz zu an Umfang und Bevölkerung. Im Jahre1252 war Pisa schon nicht halb so bedeutend mehr. Ein Handelsvertrag mit den Pisanern wurde abgeschlossen, sie nahmen florentinisches Maß und Gewicht an. Um diese Zeit war es, wo Manfred[7], der letzte hohenstaufische König von Neapel, allein die Ghibellinen in Toskana hielt. Als er zum letzten Male Hilfe sandte, machten seine achthundert Ritter, meistens Deutsche, mit den Ghibellinen von Florenz, Siena, Pisa, Prato, Arezzo und Pistoia vereint dreitausend gewappnete Ritter aus.

Die Guelfen unterlagen und räumten das Land. Bald aber nach dem Untergange Manfreds ziehen sie wieder auf Florenz los, das nun von den Ghibellinen verlassen wird. Karl von Anjou, der französische neue König von Neapel, übernimmt die Protektion der Stadt, und die Bürgerschaft gibt sich eine neue Verfassung, die Grundlage ihrer späteren Unabhängigkeit. Mochte der Adel Frieden schließen oder neu in den Kampf gehen, immer war es ein Signal für die Bürgerschaft, zur Erweiterung ihrer Rechte einen frischen Anlauf zu tun.

Damit diese Rechte aber ein um so sicherer Besitz wären, strebte man danach, die Kastelle des Adels außerhalb der Stadt zu zerstören, zu kaufen und sie durch Verbote auf einen weiten Umkreis von der Stadt ab zurückzudrängen. In Florenz selber mußten die gefährlichen Türme abgetragen werden, von denen herab man auslugte und Geschosse schleuderte. Zu spät empfanden die großen Herren die Folgen ihrer wütenden Selbstvernichtung. Die Ghibellinen waren unterdrückt, aber der siegreiche guelfische Adel stand geschwächt einer stolzen Bürgerschaft gegenüber, deren reiche Familien sich rittermäßig wie der Adel hielten. Neue Verfassungen gaben den Zünften, die sich zu bilden anfingen, größeren und größeren Raum, und zuletzt stand als Ziel dieser mächtigen Demokratie die Absicht da, denjenigen allein Anteil am Staate zuzugestehen, die Mitglieder der Zünfte wären. Der alte Adel sollte sich aufnehmen lassen oder völlig ausgeschlossen sein.

Alles dies jedoch ging langsam vor sich, große Erschütterungen führten stets nur kleine Schritte vorwärts. Es gab Epochen der Ruhe, glücklichere Zeiten, in denen sich die Parteien zu friedlichem Nebeneinanderleben vereinigten. Eine solche Stille trat ein in den letzten Jahrzehnten des dreizehnten Jahrhunderts, als mit dem Untergange der Hohenstaufen die Idee des alten Kaiserreiches sich aufzulösen begann und die neue Grundlage des europäischen Staatenlebens immer lebendiger in den Gemütern ward: die getrennten Völker sollten von nun an ihre eigenen Wege verfolgen. Damals wurde der Bann des alten römisch-byzantinischen Wesens zuerst gebrochen. Nationales Bewußtsein durchdrang Kunst und Literatur und äußerte sich in neuen Formen. Diese Zeiten sind es, in die Dantes Geburt und Jugend fällt.

Florenz erweiterte zum dritten Male die Ringmauern. Arnolfo, der berühmte Architekt, begann die Kirchen zu errichten, die heute noch als die größten und schönsten der Stadt dastehen, Santa Maria del Fiore die vornehmste. Er baute in einem neuen Stile, dem gotischen, oder, wie die Italiener sagten, dem deutschen, dessen freie, hochstrebende Verhältnisse an die Stelle der mehr gedrückten und in die Breite sich ausdehnenden Dimensionen traten, in denen bis dahin gebaut worden war. Wie die Herrschaft der Hohenstaufen als die äußerste Entwickelung des antiken Römerreiches anzusehen ist, so erscheint auch die Kunst bis auf ihre Zeiten als die letzte Blüte der antiken Anschauungen.

Dante redet von den Tagen seiner Jugend wie von seinem verlorenen Paradiese. Aber er war kein Dichter, der in einseitige Träumereien versunken ein abgeschlossenes Dasein geführt hätte. Er war Soldat, Staatsmann und Gelehrter. Er kämpfte in Schlachten mit, nahm teil an wichtigen Gesandtschaften und schrieb gelehrte und politische Werke. In seiner Jugend ein Guelfe, wurde er zum wütenden Ghibellinen und schrieb und dichtete für seine Partei, die noch einmal auf die Ankunft eines deutschen Kaisers überschwenglich ideale Hoffnungen setzte. Heinrich von Luxemburg erschien im Jahre1311. Aber für ihn hatten die alten Parteinamen den alten Inhalt verloren. Er sah, daß Guelfen und Ghibellinen ihn für die eigenen Zwecke zu benützen wünschten, und hielt sich, gleichfalls die Richtung verfolgend, die ihm für die eigene Politik am nützlichsten dünkte, auf einem Mittelwege, der ihn siegreich weiterführte, ohne einer von den streitenden Parteien den Sieg zu verleihen. Bald machte der Tod seinem Wirken ein Ende, und nach seinem Verschwinden blieb im Lande kaum eine Spur seines Daseins zurück.

Sein Zug durch Italien ist von Dino Compagni, einem Florentiner und Freunde Dantes, beschrieben worden. Die Chronik dieses Mannes in ihrer einfach schönen Prosa bildet ein Seitenstück zu Dantes Gedichten. Der Zusammenklang zweier Welten, der antiken und modernen, erfüllt ihrer beider Werke. Sie gebrauchen die Sprache, wie die besten alten Autoren die ihrige, naiv und ohne Mißbrauch ihrer Gelenkigkeit. Dante nennt die Dinge und Gefühle schlechthin, wie er sie erblickt und empfindet. Wenn er den Himmel beschreibt und den Auf- und Niedergang der Gestirne, ist es der Himmel Hesiods, oder wenn er uns an den Strand des Meeres führt, scheint es dasselbe Gestade zu sein, an dem Thetis den verlorenen Sohn betrauerte oder dessen Wellen zu Odysseus' Füßen rollten, als er von der Insel der Kalypso hinausblickte und bei den ziehenden Wolken an den aufsteigenden Rauch seiner Heimat dachte. Dante vergleicht unbefangen die kaum geöffneten lichtscheuen Augen der wallenden Gespensterscharen in der Unterwelt mit den zusammengekniffenen Augen eines Schneiders, der seine Nadel einfädeln will.

Sein Gedicht ist die Frucht arbeitsamer Versenkung in den Geist der italienischen Sprache. Ihre Worte mußte er wie eine Schar wilder Pferde, die noch niemals im Geschirr gegangen waren, mühsam einfangen und zusammenhalten. Sein stolzes vollwichtiges Italienisch sticht wunderlich ab gegen das abgeschliffene konventionelle Latein, in dem er bequemer schrieb. Da ist er scharf, gebildet und elegant, während seine italienischen Sachen klingen, als hätte er sie selbst im Traume geschrieben. In seinen lichten Versen liegt etwas von der Wehmut, zu der uns oft der Anblick der Natur stimmt, von jener Trauer ohne Ziel, die ein kühler glühender Sonnenuntergang im Herbste in uns herauflockt. Dantes Schicksal steht vor uns wie das Leiden eines verbannten Hellenen, der am Hofe eines Barbarenfürsten Gastfreundschaft genießt, während Haß und Sehnsucht an seinem Herzen nagen. Man sieht mehr zu Zeiten, als man vielleicht zu sehen ein Recht hat: wenn ich Dantes Kopf betrachte, wie ihn Giotto mit wenigen wundervollen Linien in der Kapelle des Bargello auf die Wand malte, da scheint in den sanften Zügen sein ganzes Leben zu liegen, als überschattete seine jugendliche Stirn eine Ahnung, wie die Zukunft sich ihm gestalten sollte.

Dante starb in der Verbannung, keines seiner politischen Ideale gestaltete sich zur Wirklichkeit. Die Nationen steckten zu tief in ihrer eigenen Unordnung, um für die allgemeine europäische Politik Kraft und Begeisterung übrig zu haben. Die Päpste zogen nach Avignon, Rom stand leer, Italien blieb sich selbst überlassen. Die hundert Jahre, welche dieser Zustand dauerte, sind die zweite Epoche in der Entwicklung der florentinischen Freiheit und bilden zugleich das erste Säkulum der erblühenden Kunst, die in Giotto ihren ersten großen Arbeiter findet.

IV

Man pflegt Cimabue den Gründer der neuen Malerei zu nennen. Seine Tätigkeit fällt in die Zeit, wo Dante geboren wurde. Seine Werke erregten Staunen und Bewunderung. Cimabue malte in der Weise der byzantinischen Meister starre umfangreiche Madonnenbilder. Man möchte heute diesen Einfluß der byzantinischen Kunst auf die frühitalienische auf das geringste Maß beschränkt wissen und einer mit der antiken Kunst in direkter Verbindung stehenden inländischen Entwickelung das Wort reden. Sei dem so für Cimabue; Giotto aber, den er der Legende nach als Hirtenjungen auf dem freien Felde antraf, wie er sein Vieh auf große flache Steine abbildete, ihn seinem Vater abforderte, mit nach Florenz nahm und unterrichtete, darf dennoch kaum als sein Schüler bezeichnet werden. Von Cimabue zu Giotto geht es steil in die Höhe. Giotto scheint seinem Meister fremd und fast zusammenhanglos gegenüberzustehen.

In den Zeiten, in denen er arbeitete, lag der geistige Schwerpunkt Europas nicht in Italien. Dante, der in Paris seine Studien gemacht, emanzipierte sich mühsam von der Herrschaft des provenzalischen Dialekts und des Lateins. Französischen Einfluß dürfen wir annehmen auch bei Giotto. Seine zarten Gestalten, die der naivsten Naturbetrachtung entsprossen scheinen, tragen dennoch zu viel der Miniaturmalerei in sich, um die Schule ganz zu verleugnen, in der ihr Meister, scheint es, zeichnen lernte.

Es ist nicht leicht, von seiner Tätigkeit eine klare Vorstellung zu haben. Sie umfaßte den ganzen Bereich der Kunst. Es muß viel Handwerksmäßiges dabei im Spiele gewesen sein. Dennoch ermangelt er nicht individueller Kraft. Dantes Porträt, jetzt wohl Giottos berühmteste Arbeit, bewahrt in dem traurigen Zustande, in dem es sich befindet, etwas großartig Persönliches im Schwunge der Linien. Der Umriß scheint der Ausfluß einer starken Hand, die in reinen Strichen nachzog, was die Augen sahen und der Geist empfunden hatte. Kein Künstler würde inhaltsreicher den nackten Umriß eines solchen Gesichts zu zeichnen vermögen, das, obgleich verdorben, restauriert und teilweise ganz erneuert, durchdrungen und verklärt von der Würde dessen ist, dem es angehörte. Die Madonnen, die man Giotto zuschreibt, tragen den Ausdruck trauriger Lieblichkeit im Antlitze. Gedrückte, kaum geöffnete, langgeschlitzte Augen, ein Nachklang des byzantinischen Madonnentypus, ein wehmütig lächelnder Mund sind ihnen eigentümlich. Seine Hauptarbeiten waren jedoch nicht seine Tafelbilder mit wenigen Figuren in oft sehr geringem Formate, sondern Freskogemälde, mit denen er ganz Italien versorgte. Vom Könige von Neapel in seine Hauptstadt berufen, malte er dort Kirchen und Paläste, in der Lombardei führte er große Werke aus, nach Rom und vielleicht Avignon verlangten ihn die Päpste. Überall, wo man ihn begehrte, war er rasch zu Diensten. Er arbeitete als Maler, Bildhauer und Architekt. Er stand mit den großen Herren auf gutem Fuße und gab ihnen derbe Antworten. Boccaccio zeichnet seine Persönlichkeit nicht allzu idealisch. Giotto war klein, unansehnlich, ja häßlich, gutmütig, aber mit scharfer Zunge begabt, wie alle Florentiner. Auch Dante konnte beißende Antworten geben. Villani, sein Zeitgenosse, erzählt, wie er Dummheit und Anmaßung hart abzufertigen wußte, während man dem Eindrucke seiner Verse und seines traurigen Schicksals nach glauben sollte, er habe sich in vornehmem Schweigen abgewandt, wenn unter ihm stehende Naturen seinen Stolz auf die Probe stellten.

Dante und Giotto blieben Freunde bis zu Ende ihres Lebens. Als Giotto auf der Rückreise von Verona durch Ferrara kam, und Dante in Ravenna hörte, daß er ihm so nahe sei, brachte er es dahin, daß er nach Ravenna berufen wurde. Die Malereien aber, die er im dortigen Dome ausgeführt hat, sind zugrunde gegangen.

Das Schicksal war seinen Werken nicht günstig. Dem Bildnisse Dantes hatte man gerade ins Auge einen Nagel eingeschlagen. Noch im vorigen Jahrhundert wurden Kirchenwände in Neapel übertüncht, die von Giotto gemalt waren. Ein Florentiner Bild, dem Vasari das höchste Lob erteilt, kam während der Zeit zwischen der ersten und zweiten Auflage seines Buches aus der Kirche abhanden, in der es befindlich war. Es stellte den Tod der Maria dar mit den Aposteln ringsumher, während Christus die auffliegende Seele in seine Arme aufnimmt. Michelangelo soll es besonders geliebt haben. Es ist nie wieder zum Vorschein gekommen.

Das berühmteste Denkmal aber, das der Meister sich selbst gesetzt hat, bleibt der Glockenturm, der neben Santa Maria del Fiore wie ein alleinstehender schlanker Pfeiler von kolossaler Größe in die Luft steigt, viereckig und von oben bis unten mit Marmor bekleidet. So wenig Arnolfo den Schluß des ungeheuren Dombaus selber erlebte, der noch anderthalb Jahrhunderte nach seinem Tode zur Vollendung bedurfte, ebensowenig war es Giotto vergönnt, seinen wunderbaren Turm zu Ende zu führen. Er hinterließ wie Arnolfo ein Modell, nach welchem weitergearbeitet wurde, wenn man auch daran änderte und am Schlusse des Werkes die gotische pyramidale Spitze fortließ, weil das Ende des Baues in Zeiten fiel, wo der deutsche Stil längst wieder aufgegeben und in Verachtung gefallen war.

Wie die Kirche, neben der er steht, alles an Größe übertreffen sollte, was auf Erden jemals gebaut worden wäre, so erhielt auch Giotto den Auftrag, einen Turm aufzurichten, der alles überragte, was griechische und römische Kunst hervorgebracht hätten. Die aus schwarzen und weißen Marmortafeln zusammengesetzte Oberfläche ist mit den schönsten Ornamenten und Bildhauerwerken bedeckt, die bis zur Höhe in bewunderungswürdigem Reichtum stichhalten. Die Gliederung der verschiedenen Etagen, die Fenster, die Skulpturen, wohin man blickt und aufmerksamer die Augen suchen läßt, bilden ein unvergleichliches Ganzes. Giotto verdiente die Ehre und die Geldbelohnung, die er dafür einerntete. Das Bürgerrecht, das er erhielt, war damals eine große Sache und der jährliche Gehalt von hundert Goldgulden keine Kleinigkeit.

Er starb 1336. Bis zum Ende des Jahrhunderts blieb sein Stil die formende Gewalt in der florentinischen Kunst. Die Namen seiner Schüler und Nachahmer bieten nichts, das über ihn hinausgeht. Es waren unerquickliche Zeiten, in denen keine höhere Gewalt sich geltend macht in Italien als trüber kampfbegieriger Egoismus. Das Land ist der Schauplatz unendlicher Streitigkeiten, deren verworrenes Wesen durch keine hervorleuchtende Männergestalt edlere Bedeutung empfängt.

V

Im Norden saßen die Visconti als die Herren von Mailand, wo sie Kaiser Heinrich bestätigt hatte. Durch sie blieb das ghibellinische nördliche Italien mit den Kaisern und Deutschland in Verbindung. Ihre besten Soldaten waren deutsche Ritter und Landsknechte.

Nach Osten hin war Venedig den Visconti zu stark, sie wandten sich nach Süden und brachten Genua in ihre Gewalt; damit war die ganze toskanische Küste, Lucca und Pisa, einst das Ziel der genuesischen Wünsche, nun ein Gegenstand der lombardischen Bestrebungen geworden. Das aber brachte Mailand mit Florenz zusammen, für welches der Besitz der beiden Städte notwendig war. Dazu der Gegensatz der politischen Gesinnung: Mailand der Mittelpunkt des deutsch-kaiserlich ghibellinischen Adels in Italien, Florenz das Nest des päpstlich nationalen Bürgertums in engster Verbindung mit dem französischen Neapel und mit Frankreich selber, dessen Könige die römische Kaiserwürde an sich zu reißen hofften. Toskana lag zwischen dem Norden und dem Süden wie der natürliche Kampfplatz der feindlichen Mächte, auf dem sie aneinanderstoßen mußten.

Florenz war eine von unruhigen Massen bewohnte Fabrikstadt. Es stellte sich bald heraus, daß eine unabhängige starke Gewalt die Stadt nach außen schützen müsse. Von den eigenen Bürgern konnte und durfte keiner so mächtig werden, um so viel zu vermögen; wir finden Florenz daher in den Händen fremder Fürsten, meist neapolitanischer Prinzen, die für schweres Gold mit ihren Truppen herbeigeholt werden. Es kam denen wohl der Gedanke, sich zu ständigen Herren aufzuwerfen. Dann aber zeigte sich die Gewalt der Bürgerschaft, die kein anderes Joch duldete als das, das sie freiwillig zu übernehmen gewillt war. Florenz blieb frei durch seine Demokratie, wie Venedig durch seinen Adel frei blieb.

Die anderen Städte Italiens fielen durch ihre Parteiungen einzelnen Familien oder fremder Herrschaft anheim. Die Dinge nahmen ihren naturgemäßen Verlauf in solchen Fällen. Zwei Parteien des Adels befehdeten sich, jede mit einer Familie, die die mächtigste innerhalb ihres Kreises war, als Oberhaupt. Hatte eine der Parteien dann gesiegt, so suchten sich diejenigen, welche ihre Führer gewesen waren, als Herren an der Spitze des ganzen Staates zu erhalten. Verschwägerungen, Mord und dadurch herbeigeführte Erbschaften, Verbindungen mit auswärtigen Häusern, die Ähnliches beabsichtigten oder bereits erreicht hatten, befestigten die neue Stellung. Diese Herrschaft ausdrücklich in eine erbliche zu verwandeln, war kaum notwendig, da es sich von Anfang an um die ganze Familie handelte, deren Fortbestand durch Todesfälle der Oberhäupter nicht unterbrochen wurde.

In Florenz waren seit den ältesten Zeiten solche Attentate an der Freiheitsliebe des Volkes gescheitert, auch in jenen Tagen, als es noch einen Adel in der Stadt gab. Merkte die siegreiche Partei, daß es nicht bloß auf die Niederwerfung ihrer Gegner, sondern auf die Erhebung ihres eigenen Chefs zur Herrschaft abgesehen sei, so versagte sie den Dienst. Alle Feindschaft schwand in solchen Momenten. Die Vertreibung des Herzogs von Athen, der 1343 zum Herrn der Stadt gemietet worden war und den es leicht dünkte, sie unter seine Botmäßigkeit zu bringen, ist eine der glänzendsten Taten der Florentiner. Verführt durch die Feindschaft der Parteien, glaubte er sich mit Hilfe der Aristokraten oben zu erhalten. Aber er trieb es nur kurze Zeit. Ein Aufstand brach aus, an dem sich jedermann ohne Unterschied der Farbe beteiligte, und der Herzog flüchtete vor dem empörten Volke, dem er nicht zu trotzen wagte. In jenem selben Jahre noch war es, wo dann in Florenz der letzte Kampf gegen die adligen Geschlechter gekämpft wurde, die nach der Vertreibung des Herzogs alsbald von neuem einander feindlich gegenübertraten. Es waren ihrer nicht viele mehr, sie wurden vernichtet, aber sie verkauften ihren Untergang teuer genug. Eine gewaltige Straßenschlacht entspann sich, das Volk eroberte die Paläste der Familien, wunderbar weiß Macchiavelli die Wut der Bürger und den verzweifelten Widerstand der Herren zu schildern, wie eine Familie nach der anderen hinsank und dann, als die Zünfte gesiegt hatten, diese nun selber bald darauf zu erneuten Kämpfen sich zu spalten begannen. Die höheren Zünfte waren jetzt »die Großen«, die Unterdrücker, gegen welche die niederen Zünfte, »das Volk«, die Waffen ergriff. Wiederum mächtige alte Familien, die die Partei der Großen bilden, während andere, die emporzukommen strebten, die ungeduldigen Wünsche des niederen Volkes zur Empörung reizen.

Diese Revolutionen sind es, aus denen endlich die Medici auftauchen. Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts begannen sie sich zu erheben. Ihr Wachstum war ein natürliches und deshalb unaufhaltsam. Aus dem Zusammenwirken zweier unüberwindlicher Mächte: der Eigentümlichkeit des florentinischen Volkes und des eigenen Familiencharakters, sog es seine Nahrung, und eine Herrschaft bildete sich, die mit keiner anderen Füstenherrschaft verglichen werden kann.

Die Medici waren Fürsten und doch Privatleute. Sie herrschten unumschränkt und schienen niemals einen Befehl zu geben. Man könnte sie erbliche Ratgeber des florentinischen Volkes, die erbliche florentinische Vorsehung nennen, Inhaber, Erklärer und Vollstrecker der öffentlichen Meinung. Sie regierten ohne Titel und Mandat, ihre einzige Berechtigung floß aus ihrer Unentbehrlichkeit.

Der Reichtum der Familie war nur das äußerliche Werkzeug, mit dem sie arbeitete, die eigentlich treibende Kraft, welche sie zur Höhe steigen ließ, lag in dem Talente, Vertrauen zu gewinnen, ohne es zu fordern, den Willen durchzusetzen, ohne zu befehlen, und ihre Feinde zu besiegen, ohne sie anzugreifen. Ans Tageslicht traten nur ihre Erfolge, selten die Wege, auf denen sie sie erlangten. Hier scheuten sie kein Mittel. In einer Verteidigungsschrift, in welcher der Charakter des ersten Cosimo mit Leidenschaft oder vielmehr mit Wut in Schutz genommen wird, lesen wir zum Lobe dieses Vaters des Vaterlandes, er habe den römischen Kaiser vergiftet, um Italien vor seinem Einbruche zu retten! Verräterei und Gewaltsamkeit waren ihnen geläufig wie irgendeiner anderen Fürstenfamilie ihrer Zeiten, was sie aber auszeichnete vor ihnen, war die nationale, echt florentinische Weise, in der sie damit zu verfahren wußten. Sie waren feiner als die Feinsten in Florenz, fügsamer als die Schlausten, packten ihre Feinde mit unvermeidlicher Akkuratesse und verstanden es meisterhaft, sie in das Gefühl der Sicherheit einzuschläfern, in dem befangen sie sich greifen ließen. Kaltes Blut in den schwierigsten Momenten nützt ihnen mehr noch als die Bravour, die ihnen niemals fehlte, mit beiden aber ging ein wunderbares Glück Hand in Hand, und was sie wahrhaft verklärt, ist ihr auf höhere Kultur gerichteter Geist, die Freude am Schönen und die edelmütige Art und Weise, wie sie denen sich befreundeten, die in Kunst und Wissenschaften die Ersten waren. Ihre Verdienste und wiederum ihr Glück – denn das Schicksal begünstigte die edle Neigung in vollem Maße – sind hier so großartig, und dafür, daß die ganze Welt davon erfahre, hat der Genius der Geschichte so schön Sorge getragen, daß die Medici einzig dastehen als die Beschützer von Kunst und Wissenschaft.

Der erste Medici, dessen Schicksal sich in durchgreifender Weise in die Geschickte der Stadt einmischt, war Salvestro, im Jahre 1370 Gonfalonier von Florenz. Der Gonfalonier, die höchste Behörde, saß ein Jahr im Amte. Man kann es schlechthin und allgemein mit dem Titel Regierender Bürgermeister übersetzen, dem Wortlaut nach heißt es Bannerträger; der Gonfalonier führte das Banner der Gerechtigkeit zum Zeichen der obersten Gewalt, die in seinen Händen lag.

Salvestro, zugleich Anführer der demokratischen Partei, stürzte die Bürgerschaft in eine der gefährlichsten Revolutionen. Ohne sich offen zu kompromittieren, reizte er die Leute so lange, bis der Aufruhr ausbrach. Inmitten der Bewegung stand er darauf als loyaler Mann außerhalb allen Streites und offenbarte in seinen Manövern jenen Geist der Schlauheit und Energie, durch welchen seine Familie in späteren Zeiten immer siegreich blieb, sooft sie nur ihn rücksichtslos anzuwenden Kraft und Kühnheit besaß.

Der Zweck der demokratischen Partei, an deren Spitze sich die Medici stellten, war die Bekämpfung derjenigen Familien, welche sich innerhalb der reinen Zunftverfassung durch gemeinsame Reichtümer zur herrschenden Minorität aufgeworfen hatten. Die Medici nahmen unter ihnen den Rang nicht ein, welchen sie einzunehmen wünschten. Ihre Familie war keine von den angesehensten und ältesten. Statt nun jedoch innerhalb jener Aristokraten, denen sie gleichstellen wollten, sich eine Partei zu bilden, mit deren Hilfe sie dann vielleicht die großen Familien und das ganze Volk in Abhängigkeit gebracht hätten, machten sie die Sache des Volkes zu der ihrigen, vernichteten vereint mit ihm die Großen und traten dann ihre Erbschaft an.

Sosehr nun auch der Weg, den sie einschlugen, und die Hilfsmittel, deren sie sich bedienten, den schließlichen Erfolg als das siegreiche Spiel kalt angezettelter Intrigen erscheinen lassen konnten, so sehr bedurfte es dennoch der größten Geisteskraft, um als Sieger hervorzugehen. Eine Reihe der gefährlichsten Momente treten ein, in denen sich die Medici mit fürstlichem Takte benehmen. Das Aufsteigen dieser königlichen Bürger besteht aus einer Folge politischer Ereignisse, die immer umfassender werden. Das Reinmenschliche aber gab am Ende doch den Ausschlag, und Edelmut und Geistesgröße öfter als heimlich berechnende Hinterlist. Die Medici herrschten nicht bloß dadurch, daß sie die bösen Eigenschaften ihrer Mitbürger in der größten Potenz besaßen, sondern auch, weil sie das Vortreffliche des florentinischen Nationalcharakters stärker in sich trugen als irgendwer. Das Nachteilige tritt überall stark hervor, weil es deutlicher zu erkennen ist und sich in einzelnen Fällen mit Schärfe zeigt; das Gute, das mehr in einer allgemeinen Stimmung beruht und das selbst da, wo man es anerkannt hat, dennoch als etwas sich von selbst Verstehendes leicht übersehen wird, erblaßt dagegen und scheint kaum ein Verdienst zu sein. Deshalb mag auch wohl bei Salvestro weniger augenscheinlich ins Gewicht fallen, daß die Sache, der er diente, an sich eine gute und gerechte war. Man glaubt in zu hohem Grade zu erkennen, daß er sie nur benutzte. Er ging aus den Stürmen, die er angeblasen, mit dem Ruhme eines Demokraten hervor, den das Volk liebte, zugleich blieb er der Mann, den die Großen nicht entbehren konnten. 1388 starb er. Nach seinem Tode ward Veri dei Medici das Haupt der Familie. Die Streitigkeiten der höheren und niederen Zünfte um den Anteil an der Regierung dauerten fort. Die Aufstände nahmen kein Ende. Man mordete, man stürmte den mißliebigen Großen die Paläste, plünderte und steckte sie an. Hinrichtungen, Verbannungen, Konfiskationen oder Anrüchigkeitserklärungen, durch welche bedenklichen Persönlichkeiten auf gewisse Zeit die Ausübung der politischen Rechte entzogen ward, waren an der Tagesordnung. In ganz Italien herrschte um diese Zeit ein prinzipienloser Krieg aller gegen alle. Kaiser und Papst mischen sich hinein, kümmern sich aber, wie die übrigen, nur um niedere Vorteile. Die großen Gedanken sind in Vergessenheit geraten. Es mangelte in geistigen und politischen Dingen die letzte Instanz, bei der eine Entscheidung zu suchen wäre. Der Trieb, zu unterjochen und materielle Güter zu sammeln, war der einzige Grund der Ereignisse.

Vergleicht man unsere Tage, die von vielen verwirrt und haltlos gescholten werden, mit den damaligen Zeitläuften, so scheint der heutige Zustand ein ideal harmonisches Gefüge, wo Wahrheit, Würde und Langmut das Szepter führen, wo alle unedle Leidenschaft ihr Gift und selbst das Geld seinen Zauber verloren hat. Wir bilden uns manchmal ein, für Geld wäre heut alles zu haben: wie wenig aber scheinen wir mit diesem Werkzeuge ausrichten zu können, wenn wir jene verflossenen Strömungen der Geschichte betrachten. Welcher Fürst dürfte heutigen Tages so mit allem Handel treiben, was seiner Macht zugänglich ist, wie es damals geschah? Die Gewalt der öffentlichen Meinung, die heute mit finsterer Stirn auf die Handlungen der Fürsten und Völker herabblickt, existierte nicht. Das zwingende Gefühl politischer Sittlichkeit, das in den Gemütern erwacht ist, war etwas, das auch nicht die fernsten Ahnungen der Menschen berührte.

Die Herrschaft Cosmos dei Medici fällt zusammen mit dem Aufschwunge, der Italien aus dieser Versunkenheit aufriß. Wie rettende Inseln tauchten die Gedanken des antiken Geistes in der allgemeinen Sündflut empor; zu ihnen flüchtete man. Der Einfluß der griechischen Philosophie wurde neu lebendig. Die Medici sind aufs innigste beteiligt bei ihrem Wiederaufblühen. Von der Kunst jener Tage ist, ohne ihren Namen zu nennen, nicht zu erzählen. Die Vorteile, welche Florenz und seinen Bürgern von der Natur verliehen waren, wurden durch Cosmo erkannt und gesteigert, und so ist die Stadt zum Mittelpunkt Italiens gemacht, das jetzt an Bildung die übrigen Länder Europas überflügelte.

VI

Vier bedeutende Künstler treten auf in Florenz mit dem Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts: Ghiberti[8], Brunelleschi, Donatello, Masaccio. Märchenhaft ausgedrückt könnte man sagen, daß sie vier Brüder gewesen seien, die sich in ihres Vaters Giotto Erbschaft teilten und deren jeder die Grenzen seines Anteils zu einem großen Reiche ausdehnte. Diese vier sind die Gründer einer neuen Kunst, die nach vielen Jahren dann die Grundlage derjenigen ward, über deren Blüte keine folgende hinauswuchs.

Ghiberti begann als Goldschmiedslehrling. Zuerst arbeitete er in Giottos Manier. Den Übergang zu eigener Eigentümlichkeit lassen die Türen von San Giovanni am besten erkennen, welche heute noch, die bis auf wenige Spuren aufgezehrte Vergoldung ausgenommen, rein und unberührt an ihrer Stelle stehen.

Drei offene Tore hat die Kirche, das vierte nach Westen hin liegende ist zugemauert. Das östliche Haupttor war von Andrea Pisano mit erzenen Flügeln ausgefüllt, zu denen Giotto die Zeichnungen machte. Im Anfang des Jahrhunderts beschloß die Zunft der Kaufleute, eines der anderen beiden Tore ausführen zu lassen, und schrieb eine Konkurrenz der Künstler aus, welche auf die Ehre und den Gewinn ihre Ansprüche erheben wollten.

Ghiberti war damals 20 Jahre alt. Er hatte Florenz verlassen, wo die Pest herrschte, und malte in Rimini für Pandolfo Malatesta die Gemächer eines Palastes aus. Jetzt kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Sechs Künstler beteiligten sich an dem Wettkampfe, unter ihnen Brunelleschi, der drei Jahre älter als Ghiberti, ihm hier zum ersten Male den Rang streitig machte.