Miez Marple und die Tatze der Verdammnis - Fabian Navarro - E-Book

Miez Marple und die Tatze der Verdammnis E-Book

Fabian Navarro

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Beschreibung

Eine tote Showkatze, ein Hotel voller verwöhnter Tiere und beinahe so viele Tatmotive wie Gäste. Mittendrin: die schnurrende Ermittlerin Miez Marple. Miez Marple checkt im Tierhotel Bellagio ein! Und findet sich damit in der wohl luxuriösesten Unterkunft am Rand der Großstadt, die ihr zuhause ist, wieder. Zusammen mit dem Who-is-who der gesamten Stadt: Klatsch, Tratsch und üble Nachrede garantiert. Aber einen-ruhigen-Wollknäuel-schieben und sich auf der beheizten Fensterbank räkeln? Nix da! Scheinen zunächst das Wiedersehen mit dem von sich überzeugten Schlagerkater Florian Silberschweif, der auch noch auf Katzengras-Entzug ist, und die Lästereien der Tratsch-Katzen um Schnurrhaar-Diva Meredith ihr größtes Problem zu werden, überschlagen sich bald die Ereignisse. Ein schrecklicher Fund beendet jäh den entspannten Luxusurlaub: Die verwöhnte Stubentigerin und Wanna-Be-Showkatze Schnurrsanne hat ihr neuntes Leben ausgehaucht. Und der Mörder oder die Mörderin scheint direkt aus der bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft verwöhnter Haustiere im Luxushotel zu sein! Oder kommt das Böse doch aus dem tiefen, dunklen Wald nebenan? Als bekannteste und beliebteste Spürnase der Stadt bleibt für Miez Marple nur eines übrig: ihren Urlaub für beendet erklären und die Ermittlungen aufnehmen!  Whodunnit & Catnip In ihrem fellsträubenden dritten Fall braucht die flauschige Ermittlerin Miez Marple all ihren Verstand, der noch um einiges schärfer ist als ihre Krallen. Denn in "Die Tatze der Verdammnis" trifft eine große Portion Sprachwitz auf modern interpretierten Detektivroman und knifflige Rätsel: Krimi-Vergnügen mit Flausch, Fedora und Federball! Für dieses Leseabenteuer packen wir zudem Pfeife und Trenchcoat ein, denn zwischen Katzenbesitzerin Agathe Christiansen und Schlagerkater Florian Silberschweif erwarten uns schillernde Referenzen aus Kriminalliteratur und Popkultur. Fabian Navarro nimmt uns nicht nur mit ins außergewöhnliche Hotel Bellagio, sondern in eine Gesellschaft, in der Tiere im Zentrum stehen und Menschen als Dosenöffner*innen und Streichel-Expert*innen fungieren.  Aber: Wollen wir wirklich wissen, was unsere Haustiere tun, wenn wir nicht da sind? War es der lyrikbegeisterte Labradoodle? Oder doch der taktlose Terrier mit der Harke? Die gemütlichen Zimmer und Terrarien des Tierhotels Bellagios sind gut gebucht, die Gästeliste ähnelt den Klatschspalten. Achtung ihr Dosenfutter-Konsument*innen, hier wohnen gekrönte Häupter mit blauem Blut, wie die toxische Pfeilgiftfroschfamilie Ribbit del Rey aus Argentinien. Aber: wer könnte Täter*in sein? Die geschäftstüchtige Stock-Ente (Motto: grundeln und gründen!)? Oder die überspannte, aber herzliche Sportlerin Gina Goldlöffel; eine Häsin, die immer etwas zu laut ist? Das Bellagio ist voll von bunten, schrägen und charmanten Gästen. Egal ob Fell, Federn oder Schuppen: Wer hat ein Alibi? Denn als im Hotel Dinge geschehen, die noch schrecklicher sind als Staubsaugerlärm, zeigt sich: Miez Marple und ihr (unfreiwilliger) neuer Sidekick, sind die Fell- und Spürnasen, die die anderen Gäste und wir brauchen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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EINS

Als Miez Marple eines schönen Tages in ihrem Korb aus dem Schlaf gerissen wurde und zwei große fellfreie Hände sie von hinten packten, wurde ihr schlagartig klar, dass sie falsche Schlüsse gezogen hatte. Sie strampelte mit ihren Hinterbeinen. Sie fauchte. Sie kratzte und jaulte kläglich, doch die Menschenfrau Agathe Christiansen war unerbittlich. Das Gitter der Transportbox schloss sich über dem Kopf der Katzendetektivin. Während sie neben Agathes Koffer gestellt wurde wie ein weiteres Gepäckstück, stieg Ärger in ihr auf. Miez Marple kratzte am Hartplastik und schlug auf das Gitter ein. Sie war wütend auf Agathe, aber noch wütender auf sich selbst. Denn in Wahrheit hatten sich alle Hinweise direkt vor ihren Schnurrhaaren befunden. Als Agathe vor einer Woche beim Nachhausekommen neue Dinge mitbrachte, hatte Miez Marple sich nichts dabei gedacht. Menschen schleppten ständig neue Sachen ins Haus. Zwar rochen diese Objekte interessant oder schmeckten im besten Fall sogar vorzüglich, aber gerade bei diesen Dingen wurde Agathe immer furchtbar aggressiv, wenn Miez Marple mit ihnen spielte. So ergab sich über die Jahre ein Kompromiss: Miez Marple wurde der volle Zugriff auf die Kartons gewährt, in denen die Gegenstände verpackt waren, dafür ließ sie deren Inhalt in Ruhe – zumindest für die Zeit, in der Agathe anwesend war. Dies führte dazu, dass Miez Marple zuletzt fröhlich Papiertaschen mit der Aufschrift „Outdoor Wear 3000“ zerfetzte und die Schnipsel im gesamten Flur verteilte, ohne zu merken, welch teuflisches Spiel mit ihr getrieben wurde. Hätte sie nur einen genaueren Blick auf die nach Chemikalien stinkende Kleidung geworfen, sie hätte alarmiert sein müssen. Stattdessen hatte sich Miez Marple mit der Taube Betti über das künstliche Fell der Menschen lustig gemacht, das sie tragen mussten, um nicht bei der leichtesten Brise jämmerlich zu erfrieren. Sie hatten noch mehr gelacht, als Agathe Schuhe und Pullover mit nach Hause brachte. Die zweibeinigen Geschöpfe waren einfach zu putzig. Dass sie sich in diesen enganliegenden Gewändern mit Neonstreifen überhaupt selbst ernst nahmen! Auch als Agathe tags zuvor einen großen Rucksack aus dem Keller holte, schöpfte Miez Marple noch keinen Verdacht. Im Gegenteil, sie freute sich sogar, weil sie annahm, dass Agathe vorhatte, ein paar Tage zu verreisen. Auch wenn dies Besuche von der grässlichen Nachbarin Frau Pfeiffer bedeutet hätte, so hätte Miez Marple endlich einmal Zeit gehabt, ohne Ablenkung an ihren Gedichten zu schreiben. Sie hätte nicht ständig auf der Hut sein müssen, dass Agathe sie zu völlig unpassenden Gelegenheiten streichelte oder – noch schlimmer – die Wohnung saugte. Doch dieses Mal hatte die Kriminalschriftstellerin offenbar beschlossen, dass Miez Marple sie auf der Reise begleiten würde.

Draußen fuhr ein Taxi vor, Agathe hob die Box mit der protestierenden Miez Marple auf die Rückbank und setzte sich daneben. Miez Marple hasste Autos. Sie stanken, lärmten und sorgten regelmäßig dafür, dass Katzen, Hunde, Vögel und auch Menschen verletzt oder getötet wurden. Aber irgendwie schienen die Stahlhaufen die Menschen unter Kontrolle zu halten, dachte Miez Marple. Anders konnte sie sich nicht erklären, warum die Zweibeinigen trotz der offensichtlichen Gefahr so oft mit ihnen herumfuhren. Agathe schaute immer wieder von oben zu ihr in die Box und murmelte in Menschensprache etwas Unverständliches. Sie miaute sogar, aber machte dabei mindestens 17 grammatikalische Fehler, sodass die Katzendetektivin nicht verstand, was sie von ihr wollte. Dann warf Agathe Snacks durch das Gitter, doch Miez Marple verhandelte nicht mit Catnapper*innen. Sie ließ die Köstlichkeiten unbeachtet neben sich liegen.

Immer wieder unternahm Miez Marple Versuche, Agathe zum Umkehren zu bringen. Wie viel schöner war es schließlich am Kamin als in der Welt draußen, doch nichts half. Schließlich legte sie den Kopf auf die Vorderpfoten und schmollte. Durch die Seitenfenster rauschte die Stadt vorbei. Neonschilder leuchteten gegen den Smog an. Diese verdammte Metropole. Sie hatte Miez Marple in den letzten Monaten viel abgerungen. Nachdem die neue Katzenbürgermeisterin Freya Freiflausch gewählt worden war, hatte sich das Leben in der Stadt verändert. Anders als gehofft, zog die politische Neuausrichtung in der Katzenwelt einen Rattenschwanz an unerwarteten Ereignissen nach sich. Die Kriminalität explodierte. Denn ihre Vorgängerin Margret Scratcher hinterließ Freiflausch nicht nur eine marode Verwaltung, sondern auch ein System, das auf Korruption und Verbrechen errichtet worden war. Die Unterwelt befand sich in Aufruhr und versuchte, einen Platz am großen Napf für sich zu ergattern. Selbst die Katzengrasmafia um Don Katzino hatte ihre Krallen wieder einmal in allerpfot schmierigen Geschäften. Miez Marple wurde hier gebraucht, aber das war der einfältigen Menschenfrau völlig egal.

Als sie über die Hauptstraße das Stadtzentrum erreichten und in Richtung Bahnhof einbogen, fiel Miez Marple plötzlich ein, dass sie nicht wusste, wie sie Kater Watson, ihren langjährigen Freund und Assistenten, davon unterrichten sollte, dass sie nun auf unbestimmte Zeit an einem Ort festgehalten wurde, der aller Wahrscheinlichkeit nach außerhalb der Stadt, wenn nicht gar außerhalb des Landes lag.

Endlich hielt das Taxi an und Miez Marple wurde samt Box aus dem Auto gehoben. Trotz der frühen Uhrzeit wimmelte es auf dem Bahnhofsvorplatz von Menschen. Sie eilten umher, trugen Aktenkoffer und schimpften, wenn sie ineinanderliefen. Agathe trug die Katzendetektivin durch die große Halle. Mit einem Mal wurde sie von einem Hund der BELLT-Zeitung erkannt, der ihr augenblicklich die neusten Meldungen entgegenrief:

„GASSIGEHEN IMMER GRUSELIGER. Laut einer absolut unabhängigen Umfrage des Stöckchen-Instituts fühlen sich zwei Drittel aller Hunde auf ihren täglichen Spaziergängen bedroht. Hat Freya Freiflausch die Stadt überhaupt noch unter Kontrolle?“

Dem Rest des Artikels hörte Miez Marple schon nicht mehr zu. Dass die hechelnden Vierbeiner nicht gut auf die neue Katzenbürgermeisterin zu sprechen waren, überraschte sie nicht. Schließlich bellten sie alles an, was neu, ungewohnt oder Katze war. Agathe lief durch die Gleishalle. Vor einer Bäckerei stellte sie Miez Marple auf den Boden, um sich Proviant für die Reise zu besorgen. Plötzlich flatterte eine Gestalt vor das Gitter der Transportbox und fing an, die zahlreichen Krümel auf dem Boden aufzupicken. Es war eine Taube. Eines ihrer Beine war kürzer als das andere, und während sie sich hastig über die Überreste eines Baguettes hermachte, erkannte die Katzendetektivin ihre Freundin.

„Betti!“, rief Miez Marple. „Beim heiligen Kratzbaum, wie gut, dass du mich gefunden hast!“

Die Taube drehte den Kopf und sah sie aus einem Auge an. Im ersten Moment wirkte sie verblüfft, doch dann hopste sie auf Miez Marple zu.

„Gefunden?“, fragte Betti und lugte durch das Gitter der Box. „Nein, die Vorsehung hat mich zu dir geführt, liebe Miez! Gerade heute habe ich mich entschlossen, ausnahmsweise hier zu frühstücken. Es ist ein Wink des Schicksals. Was ist denn los?“

„Wonach sieht es denn aus?“ Miez Marple musste ein Fauchen unterdrücken. „Kannst du die Box öffnen? Schnell, sonst kann ich nicht garantieren, dass wir uns so bald wiedersehen!“

Betti zögerte nicht, sondern flatterte auf das Dach der Box und begann, mit ihrem Schnabel auf dem Verschluss herumzupicken. Kaum hatte sie damit begonnen, tauchte hinter ihr die drohende Gestalt von Agathe Christiansen auf und rief aufgebrachte Menschenworte. Agathe hasste Tauben im Allgemeinen und Betti im Speziellen. Mehr als einmal war es vorgekommen, dass Betti nur um Schnurrhaaresbreite Agathes Besen entkommen war. Die Frau trat nach Betti und stürzte dabei fast über Miez Marples Box, doch die Taube wich gekonnt aus.

„Miez, du hörst von mir“, rief Betti, schnappte sich Agathes Croissant, das ihr bei ihrem Kick heruntergefallen war, und flog davon. Miez Marple sah ihrer Freundin nach und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie sich wiedersahen. Nachdem sich Agathe ein neues Croissant besorgt hatte, trug sie Miez Marple zu einem der Gleise. Dort wartete bereits ein Zug. Die flauschige Ermittlerin probierte ein letztes Mal, mit niedlichen Klagelauten eine Einsicht bei der Menschenfrau zu erwirken, doch die blieb stur.

Als sie endlich ihr Abteil erreichten, fuhr der Zug bereits. Agathe positionierte Miez Marples Box auf dem mittleren Sitz entgegen der Fahrtrichtung und setzte sich selbst ans Fenster daneben. Ihnen gegenüber saßen ein Mann und ein Labradoodle, die sich auffallend ähnlich sahen. Beide hatten neugierige Augen und ein weißes, lockiges Fell – wobei der Mann es selbstverständlich nur auf dem Kopf trug. Noch bevor Miez Marple denken konnte, dass beide den Eindruck machten, als würden sie ungefragt eine Unterhaltung beginnen, sagte der Labradoodle auch schon:

„Welch hoher Besuch! Miez Marple! Wohin geht die Reise, wenn ich fragen darf?“

Miez Marple blinzelte durch das Gitter.

„Wer will das wissen?“

Der Hund winselte kurz und sah betreten zu Boden.

„Wie unhöflich von mir! Runter vom Sofa. Hasso Runter vom Sofa ist mein Name. Ich bin hocherfreut, Sie zu treffen, ich bin ein großer Fan! Ich hätte ein paar Fragen zu Ihrer Arbeit.“

Runter vom Sofa hechelte, wedelte mit dem Schwanz und legte den Kopf schief. Miez Marple seufzte. Für gewöhnlich liebte sie die Aufmerksamkeit, die man ihr entgegenbrachte, aber gerade jetzt wollte sie einfach ihre Ruhe.

„Ich kann Ihnen nicht viel verraten, fürchte ich“, sagte sie. „Zumindest nichts, was die Zeitungen oder die Vögel Ihnen nicht auch verraten können. Gerade bei laufenden Ermittlungen kann ich … “

„Mein Fehler“, unterbrach Hasso die Katzendetektivin. „Auch wenn ich Ihre kriminalistischen Errungenschaften schätze, so bin ich doch viel mehr an ihrem literarischen OEuvre interessiert. Wenn ich Sie aus Ihrem Gedicht Janushände zitieren dürfte:

Dein Streicheln auf dem Rücken

Dein Kraulen unterm Kinn

Erfüllt mich mit Entzücken

Ich schnurre gar voll Sinn

Auch das Kraulen an den Ohren

Genieße ich zuhauf

Doch beim Kraulen auf dem Bauchi

Schlitze ich dich auf.

Großartig, einfach großartig!“

Miez Marple starrte ihr Gegenüber fassungslos an. Noch nie hatte sie ein Tier getroffen, das aufrichtiges Interesse an ihren Gedichten gezeigt hatte. Auf ihrem Lyrik-Blog gab es gelegentlich ein paar interessierte Stimmen, aber die letzte Fan-Mail hatte sie vergangenen Sommer von einem südamerikanischen Biber Namens Jorge Luis Borkess bekommen. Draußen verschwanden allmählich die Hochhäuser vor dem Fenster und die Sonne schleppte sich über den Horizont. Miez plauderte mit Hasso Runter vom Sofa angeregt über Literatur, während die beiden Menschen eingeschlafen waren und mit den Köpfen am Fenster lehnten.

„Sie dürfen dazwischen nicht so unterscheiden“, sagte Miez Marple. „Kriminalfälle und Gedichte haben so einiges gemeinsam!“

Hasso Runter vom Sofa sah sie mit zusammengekniffenen Augen an und ließ fragend die Zunge aus der Schnauze hängen. Miez Marple fuhr fort:

„Beide sind in gewisser Weise Puzzle. Nur dass es bei Gedichten immer mehrere Lösungen gibt, wenn man das so sagen kann. Selbst bei einigen meiner Fälle ist nicht alles schwarz-weiß.“

Während sie redete, merkte sie, dass sie nicht die richtigen Worte fand. Das ungewohnte Interesse brachte sie aus dem Konzept. Dennoch hechelte Hasso begeistert.

„Genial, Miez Marple! Also würden Sie sagen, die Verbrechen inspirieren Sie zum Schreiben?“

Zögerlich nickte Miez Marple.

„In gewisser Weise. Vielleicht. Das Schreiben ordnet meine Welt, das Ermitteln die Welt der anderen.“

Vor der Tür ihres Abteils zwängte sich ein breiter Mann mit einer Transportbox durch den Gang. Doch sie schien leer zu sein. Und plötzlich fiel Miez Marple auf, wie viele Tiere sie in diesem Zug gesehen hatte. Alle paar Minuten spazierten draußen Hunde und Katzen entlang und gelegentlich wurden auch Reptilien oder Vögel in Käfigen vorbeigetragen. Plötzlich dämmerte es Miez Marple.

„Ich glaube, ich weiß jetzt, wohin dieser Zug fährt!“

Runter vom Sofa sah die Katzendetektivin überrascht an.

„Das wussten Sie nicht? Verzeihen Sie, wenn ich etwas enttäuscht bin. Ich hatte angenommen, Sie hätten das mittlerweile längst kombiniert!“

Miez Marple musste lächeln. Sie war es gewohnt, dass Hunde sie unterschätzten.

„Ach so, was glauben Sie denn, wohin die Menschenfrau mich bringt?“

Hasso saß nun kerzengerade und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als hätte Miez Marple ihm einen Knochen versprochen.

„Also“, räusperte er sich. „Dann versuche ich mich mal in Ihrer Kunst: Wenn wir aus dem Fenster sehen, verrät uns der Stand der aufgehenden Sonne, dass wir gen Süden reisen.“

„Im Süden leben viele Menschen mit ihren Tieren. Gerade die Vororte sind bekannt für ihre dichte animalische Population. Wir könnten also einfach zu Besuch bei jemandem sein. Auch finden aktuell die jährlichen Impfungen statt, auch das könnte ein mögliches Ziel sein.“

„Allerdings“, sagte Hasso, „habe ich bereits viele Bekannte hier im Zug getroffen, die ihre Impfungen bereits erhalten haben. Außerdem werden die meisten Papageien oder Kanarienvögel nicht geimpft, was diese Theorie unwahrscheinlich klingen lässt – gemessen an der Anzahl der Federn, die ich auf dem Weg in das Abteil fast verschluckt habe. Und dennoch haben alle Tiere in diesem Zug etwas gemeinsam.“

„Und das wäre?“

„Sie sind talentiert! Die Windhündin eben, das war Simone Bells, die berühmte Wettläuferin. An ihrer Seite der große Zauberkünstler Hundini. Und kurz nachdem Sie zugestiegen sind, sah ich niemand Geringeres als Keyboard Cat – dieses Ausnahmetalent hat sich mit seinen Videos sogar in die Herzen der Menschen gespielt. Und selbstverständlich“, Hasso sah Miez Marple an, „sind da noch Sie! Die talentierteste Lyrikerin der Gegenwart. Mich würde es doch sehr wundern, wenn Sie nicht, so wie ich im Übrigen auch, auf dem Weg zur Büdelsmunder Haustiermesse sind!“

Zufrieden lächelte Runter vom Sofa und erwartete augenblicklich, dass Miez Marple ihn für seine Deduktionen lobte. Sie wartete einen Moment, bevor sie ihren Triumph auskostete.

„Leider liegen Sie mit Ihren Vermutungen knapp daneben“, sagte sie. „Die Büdelsmunder Haustiermesse befindet sich zwar ebenfalls auf dieser Strecke, aber wenn Sie sich das Gepäck meiner menschlichen Begleiterin ansehen, so müsste Ihnen etwas auffallen.“

Hasso reckte den Kopf nach oben und begutachtete den Rucksack, an dem die beiden Wanderstöcke befestigt waren. Er blinzelte zweimal, dann bellte er so laut auf, dass die beiden Menschen neben ihnen hochschreckten und sein Herrchen ihn ermahnte. Erst als sie sich wieder hingelegt hatten, fuhr Hasso im Flüsterton fort:

„Wanderausrüstung! Ihre Menschenfrau geht wandern!“

„Ganz recht“, sagte Miez Marple. „Und auch wenn Büdelsmund ebenfalls am Finsterwald liegt, so gibt es einen Ort, der für Menschen, die mit ihren Tieren verreisen, noch bekannter ist als die Haustiermesse – auch wenn diese nur eine Haltestelle weit entfernt liegt.“

„Das Tierhotel Bellagio! Das berühmte Luxushotel!“

„Ganz genau!“, sagte Miez Marple. „Ich kann es gar nicht erwarten, den pittoresken Außenbereich zu erkunden!“

„Sagen Sie nicht, Sie waren noch nie dort? Woher wollen Sie wissen, dass der Außenbereich nicht absolut geschmacklos ist?“

Miez Marple streckte ihre Pfote aus der Box und deutete auf eine Broschüre, die aus Agathes Manteltasche ragte. Auf ihr prangte das verschnörkelte Logo des Bellagios. Hasso lachte.

„Da haben Sie mich aber fein an der Schnauze herumgeführt! Chapeau! Ich bleibe wohl besser bei der Literatur. Als Spürhund bin ich offenbar nicht zu gebrauchen.“

Den Rest der Fahrt unterhielten sich Miez Marple und Hasso Runter vom Sofa über Miez Marples alte Fälle und die Zustände in der Stadt, und als sie durch einen Tunnel fuhren, merkte Hasso an, dass selbst in diesem Zug ein Verbrechen stattfinden könnte.

„Aber natürlich!“, rief Miez Marple. „Und am besten sind alle anwesenden Tiere an der Tat beteiligt.“ Sie musste lachen. „Nein, Hasso. Zu einem Verbrechen gehört zumindest ein Hauch Realität.“

Als Sie in Büdelsmund eintrafen, stand die Sonne hoch am Himmel. Der Menschenmann verabschiedete sich von Agathe Christiansen und Hasso bellte der Katzendetektivin zum Abschied zu.

„Erholen Sie sich gut! Ich hoffe, bald Neues von Ihnen zu hören!“

„Das werden Sie“, sagte Miez Marple und wusste noch nicht, wie recht sie damit behalten sollte.

ZWEI

Der Check-in an der Rezeption des Tierhotels Bellagio verlief, ohne dass Miez Marple viel von dem Anwesen erkennen konnte. Agathe hatte nach dem Verlassen des Zuges eine große Kuscheldecke über den Korb geworfen, und so konnte die flauschige Ermittlerin nur hin und wieder ein Fragment der Außenwelt erspähen: einen Flecken Wiese, Agathes alberne Schuhe, einen roten Teppich, der auf den rustikalen Holzdielen auslag. Bei ihrem Abschied hob Agathe die Decke auf der Box an, spähte ein letztes Mal von oben in den Korb und winkte der Katze zu, ohne dass jene reagierte. Sie fühlte sich noch immer verraten. Dann verschwand die Menschenfrau mit ihrem Wander-rucksack durch das Portal der Empfangshalle. Eine Hotelangestellte nahm sich Miez Marples an. Sie legte die Decke wieder auf die Box und trug die Katzendetektivin einige Minuten lang durch das Hotel. Hin und wieder hörte Miez Marple gedämpftes Bellen, Miauen oder Fiepen, doch keine ganzen Sätze. Die Hände der Pflegerin rochen intensiv nach Mandeln – wahrscheinlich eine Seife oder Handcreme, die Menschen benutzten, weil sie nicht in der Lage waren, sich gründlich sauber zu lecken. Schließlich erreichten sie Miez Marples Zimmer und endlich nahm die Angestellte die Decke von der Box, dann öffnete sie das Gitter. Kaum hatte die Katzendetektivin einen Schritt aus dem Korb gesetzt, wurde sie gekrault und augenblicklich zeigte sich, warum das Bellagio einen so guten Ruf genoss. Diese Menschenfrau war professionell im Streicheln ausgebildet! Ihre Fingerfertigkeit, ihr Gespür für das richtige Verhältnis aus Druck und kreisenden Bewegungen waren so meisterlich, dass Miez Marple nicht anders konnte, als in seliges Schnurren zu verfallen. Anschließend legte die Frau der Katzendetektivin ein Halsband mit dem Logo des Hotels um und ließ Miez Marple in ihrem Zimmer zurück. Neugierig sah sie sich in dem opulent eingerichteten Raum um. Die Wände waren mit den modernsten Kletterelementen versehen: Design-Treppchen aus lasiertem Eichenholz, samtene Liegekissen und Höhlen mit vornehmen Brokatvorhängen. Die hohen Industriefenster waren zum ausladenden Park vor dem Hotel ausgerichtet. Die beheizten Fensterbänke waren allesamt mit kuschligen Decken ausgestattet und sahen so einladend aus, dass Miez Marple hinaufsprang und sich auf dem wolkenweichen Stoff räkelte. Sie ließ ihren Blick über den Park schweifen. Offenbar befand sie sich im ersten Stock. Von hier oben konnte sie einen Hotelangestellten sehen, der mit einem Beagle über den Rasen spazierte. Am Horizont darüber erstreckte sich der Wald. Natürlich wusste die Katzendetektivin, was ein Wald war. Sie hatte schon so einige Streifzüge durch die Vorstadtwäldchen in ihrem Viertel unternommen, doch das hier war etwas völlig anderes. Dieser Wald war kein Farbtupfer inmitten der grauen Metropole. Er war ein dunkler, smaragdener Ozean, der den gesamten Horizont einnahm. Der Wind wogte über die Baumkronen hinweg und Miez Marple durchfuhr ein Schauer beim Anblick der Wellen, die sich im dichten Grün zu allen Seiten hin ausbreiteten.

„Ist klasse hier, oder?“, sagte eine Stimme, die Miez Marple überrascht aufschnurren ließ.

Sie drehte sich auf die Seite, unfähig, sich von der bequemen Fensterbank zu erheben, und blickte in ein bekanntes Flauschgesicht. Ihre Augen weiteten sich und auch ihr Gegenüber machte einen Schritt zurück.

„SIE?!“, rief der Kater.

„SIE?!“, rief Miez Marple und fauchte.

Unten auf dem Boden, neben dem mit Gold verzierten Trinkbrunnen, saß ein Kater mit grauem blankgeschlecktem Fell und einem silbernen Streifen auf dem Rücken. Miez Marple sprang auf, landete vor dem Kater und begann, ihn zu umkreisen. Sie knurrte.

„Florian Silberschweif, dass wir uns noch einmal wiedersehen.“

„Ich … also … “, stammelte der Kater und sah sich nach einer geeigneten Fluchtmöglichkeit um.

„Sie haben mich damals im Maisfeld ausgetrickst! Ich wollte Sie retten und zum Dank haben Sie mich unter Drogen gesetzt und sind abgehauen!“

Fast zwei Jahre waren seit ihrer letzten Zusammenkunft vergangen. Die Entführung des berühmten Schlagerkaters hatte Miez Marple einst aus dem vorzeitigen Ruhestand geholt. Bis zu diesem Moment hatte sie jegliche Erinnerung an die Horrorvisionen verdrängt, die ihr der hochkonzentrierte Baldrian damals beschert hatte. Jetzt, da dieser rückgratlose Musikstar vor ihr stand, stieg die Wut in ihr hoch wie ein glühender Haarballen, der in der Speiseröhre feststeckte. Schuldbewusst klappte Silberschweif die Ohren nach hinten.

„Miez Marple, Sie müssen verstehen, das ist für mich ein ganz anderes Leben gewesen. Ich habe mich geändert! Florian Silberschweif hat eine Verwandlung durchlebt. Ich bin sicher, wir können das hinter uns lassen.“

Sie schlug nach ihm. Allein dafür, dass er von sich in der dritten Person redete, hatte er eine Abreibung verdient, fand Miez Marple, doch der Musiker wich aus.

„Was machen Sie überhaupt in meinem Zimmer?“, fauchte sie ihn an.

„Ihr Zimmer?“, fragte Silberschweif und nutzte die Gelegenheit, um auf den Kratzbaum neben dem Fenster zu fliehen. „Unser Zimmer, werte Mitbewohnerin!“

Miez Marple sah ihn an, als hätte ihr jemand einen leeren Napf hingestellt.

„Was soll das heißen? Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich mir mit Ihnen ein Zimmer teile?!“

Silberschweif lächelte.

„Nachdem Ihre Menschenfrau Ihnen keine Suite spendieren konnte oder wollte, lässt sich das nicht vermeiden, befürchte ich. Aber machen Sie es sich doch erst einmal bequem, in zwei Stunden startet die Fellpflege im Wellnessbereich, wir könnten zusammen dorthin gehen, um gemeinsam an unseren Konflikten zu arbeiten!“

Silberschweif wälzte sich auf der Kratzbaumplattform herum und grinste Miez Marple an. Die Katzendetektivin machte einen Buckel.

„Eher schlafe ich in benutzter Streu, als mir mit Ihnen ein Zimmer zu teilen!“

Mit diesen Worten rannte sie zur Tür, musste jedoch abrupt abbremsen, als sie feststellte, dass die Katzenklappe geschlossen war. Sie miaute auf.

„Sagen Sie nicht, ich bin zu allem Überfluss auch noch mit Ihnen hier eingeschlossen?“

Sie drehte sich mit finsterem Blick zu Silberschweif um.

„Sie wirken so gestresst, Miez Marple. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, sich zumindest einmal in die Kissen dort drüben zu legen – sie sind herrlich. Aber“, Silberschweif sah beinahe enttäuscht aus, „nein, Sie sind nicht mit mir eingesperrt. In Ihrem Halsband befindet sich ein Mikrochip, der Sie erkennt und die Klappe öffnet. Probieren Sie es aus, wenn Sie unbedingt wollen.“

Miez Marple machte einen Schritt auf die Klappe zu. Ein elektronisches Piepsen ertönte und ein grünes Licht leuchtete auf.

„Alles hier ist hochmodern, Miez Marple! Sie werden es lieben“, hörte die Katzendetektivin noch, bevor sie hinaus in den Korridor trat. Sie musste ein paar Schritte gehen, damit sich ihr Puls wieder normalisierte. Wie war es möglich, dass sie ausgerechnet im tiefsten Hinterland auf diesen aufgeblasenen Schnulzensänger traf? Sie musste schleunigst Watson und Betti kontaktieren. Vielleicht hatten sie eine Idee, wie Miez Marple von hier verschwinden konnte, bis Agathe von ihrem Wanderurlaub zurückkehrte.

Die Katzendetektivin ließ ihr Zimmer hinter sich und wanderte den Gang entlang. Links und rechts befanden sich weitere Türen, in die ebenfalls Katzenklappen eingelassen waren. Vielleicht, so überlegte sie, konnte sie ein anderes Tier aus dem Hotel dazu bewegen, mit ihr das Halsband zu tauschen. Gewiss gab es ausreichend Katzen, die sich die Schnauze danach schleckten, mit diesem Schmalspurkünstler einen Kratzbaum zu teilen. Der Gang zweigte an seinem Ende nach rechts ab. Gerade wollte die Katzendetektivin abbiegen, da hörte sie zwei Stimmen, die miteinander zu streiten schienen. Miez Marple drückte sich an die Wand und spähte um die Ecke. Sie erblickte eine Häsin mit goldbraunem Pelz, die eine Scottish Fold mit auffallend gut gepflegtem Fell anschrie.

„Lass mich endlich in Ruhe, Meredith! Hast du keine eigenen Sorgen, dass du dich ständig in die Angelegenheiten anderer einmischen musst?!“

„Wieso?“, fragte die Katze. „Ich sorge mich nur um dich. Wenn man daran denkt, was du gerade durchmachen musstest … “

„Ich werde dir nie wieder etwas erzählen! Jetzt verschwinde endlich!“

Die Häsin klopfte mit ihren kräftigen Hinterbeinen auf den Boden.

„Bin schon weg“, sagte die Katze und drehte sich provozierend langsam herum, um anschließend davonzustolzieren. Im Weggehen wandte sie sich noch einmal zurück und lächelte die Häsin an.

„Sorgen, dass du mich einholst, brauche ich mir ja keine zu machen.“

Die Häsin machte einen Satz auf die Katze zu, doch diese wich aus und rannte lachend davon. Als die Katze verschwunden war, richtete die Häsin sich auf, putzte sich die Löffel und sagte dann, ohne sich zu Miez Marple umzudrehen:

„Bitte kommen Sie einfach raus. Ich kann nicht mehr. Sprechen Sie Ihre Gemeinheiten aus und lassen mich bitte in Ruhe.“

Miez Marple bog um die Ecke.

„Ich bin nicht ganz sicher, um was es hier ging“, begann die Katzendetektivin, doch die Häsin unterbrach sie.

„Sehr witzig! Sie wollen die alte Leier noch einmal hören? Wie oft muss ich euch allen das noch erzählen? Wann seid ihr endlich zufrieden? Ja, ich habe verloren?! Na und?! All die Jahre kriecht ihr mir hinterher. Gina hier, Gina da. Komm zu unserer Party! Gina, wie toll du gelaufen bist! Gina, du Star! Dein letztes Rennen WOOOOW wie klasse, unglaublich! Aber da verliert man EIN EINZIGES MAL und schon ist man das Gespött des Feldes!“

Miez Marple setzte sich auf die Hinterpfoten und wartete, bis das Langohr seine Schimpftirade beendet hatte.

„Entschuldigen Sie“, sagte Miez Marple und räusperte sich. „Da liegt ein Missverständnis vor. Ohne unhöflich sein zu wollen, ich bin heute erst angereist und weiß leider weder, wer Sie sind, noch wer das war, und ehrlich gesagt möchte ich einfach nur meine Ruhe.“

Erst jetzt entspannte sich die Körperhaltung der Häsin und sie sah Miez Marple aus großen Augen an.