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Ausgelöst durch die internationale Solidarität mit den weltweiten antikolonialen Kämpfen dieser Zeit, entbrannte ab den 1970er Jahren in der BRD eine Debatte über Militanz, in die sich etwa zwei Jahrzehnte lang vehement auch die radikal-feministische Gruppe Rote Zora einbrachte. Dass die Texte und militanten Aktionen der Roten Zora heute in der linksradikalen Bewegung wieder diskutiert werden, wundert nicht. Denn so vorausschauend, wie die ›Zoras‹ in ihren Analysen auf Rassismus, Sexismus, globalen Kapitalismus und Kolonialismus blickten, ist es ein Leichtes, die Auseinandersetzungen aus dem damaligen Kontext ins Hier und Heute zu übertragen. Wie die Rote Zora ihre Analysen im politischen Alltag durch radikal-feministische Interventionen umgesetzt und welche Wirkungen sie damit – zum Teil bis heute – erzielt hat, zeigt das Buch in vielfältiger Weise. Neben weit mehr als 20 Anschlagserklärungen aus den Jahren 1975 bis 1995 enthält es den Text »Mili’s Tanz auf dem Eis« aus dem Jahr 1994. In Wortprotokollen aus dem Film »Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora« (2019) blicken darüber hinaus zwei ehemalige ›Zoras‹ mit mehr als 30 Jahren Abstand zurück auf ihre aktive Zeit in der Gruppe. Und in dem Kapitel »Aktuelle Stimmen zur feministischen Militanz« diskutieren heute aktive Feminist*innen über die Rote Zora, ihre Texte und Aktionen sowie ihr eigenes Verständnis von feministischer Militanz.
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Seitenzahl: 336
Veröffentlichungsjahr: 2022
Die Herausgeberinnen sind eine Gruppe autonomer FrauenLesben, deren Herzen für die feministische Revolution schlagen. Sie sprechen aus intersektionalen Positionierungen und Perspektiven, wollen Theorie und Praxis verbinden und aus der militanten feministischen Vergangenheit lernen. Sie wollen nichts weniger als das Patriarchat zerschlagen, den Kapitalismus abschaffen und eine feministische, antirassistische, grenzenlos solidarische Zukunft für alle erkämpfen.
FrauenLesbenBande (Hg.)
Mili bittet zum Tanz
Auf den Spuren des militanten Feminismus der Roten Zora
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
FrauenLesbenBande (Hg.):
Mili bittet zum Tanz
1. Auflage, März 2022
eBook UNRAST Verlag, September 2022
ISBN 978-3-95405-131-1
© UNRAST Verlag, Münster
www.unrast-verlag.de | [email protected]
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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung
sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner
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Umschlag: Felix Hetscher, Münster
Satz: Andreas Hollender, Köln
Einleitung: Alter Kram in neuem Gewand? Oder ist der „Eistanz“ heute noch aktuell?
Wer war die Rote Zora?
Mili’s Tanz auf dem EisVon Pirouetten, Schleifen, Einbrüchen, doppelten Saltos und dem Versuch, Boden unter die Füße zu kriegen
Aktuelle Stimmen zur feministischen Militanz
Stimmen aus dem Film
Chronologie der Aktionen 1975–1995
Anschlagserklärungen/Veröffentlichungen
Feministische Plakate aus den 1980/1990er Jahren
Anmerkungen
Warum bringen wir im Jahr 2022 Texte der Roten Zora, einer feministischen und militanten Gruppe, die vor mehr als 30 Jahren aktiv war, heraus? Einige fragen sich sicherlich: Sind die in den Texten enthaltenen Perspektiven und Analysen nicht veralteter Kram? Wie aktuell und zeitlos dieses Dokument jedoch ist, war uns selbst nicht gleich klar. In den letzten Jahren gab es Übersetzungen von Texten der Roten Zora aus den 1980er und 1990er Jahren (u.a. „Mili’s Tanz auf dem Eis“ von 1994) ins Französische, Italienische und Spanische. Diese Texte wurden auch außerhalb Europas diskutiert. Das hat uns erst einmal erstaunt. Was war los in der linksradikalen und feministischen Bewegung, dass gerade das Agieren und die Analysen der Roten Zora wieder diskutiert wurden? Deutlich geworden ist, das Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen (FLINT) weltweit ihr Recht, ein Leben ohne Gewalt und Zurichtung leben zu können, massiv einfordern. Beispiele von feministischen Massenbewegungen sind #NiUnaMenos in Lateinamerika, die Frauenriots nach der Kampagne „No nos cuidan, nos violan“ in Mexiko, der Frauengeneralstreik in Spanien auch 2019, Pink Sari Revolution in Indien u.v.m.
2015/2016 geschah etwas in Deutschland, das eine politische Zäsur in den Auseinandersetzungen um Sexismus, Gewalt und Rassismus markierte: Silvester 2015/16 im Kölner Hauptbahnhof. In dieser Nacht wurden Frauen begrabscht, beklaut und mit sexualisierter Gewalt angegriffen. Sofort wurde diese Gewalt in der Öffentlichkeit externalisiert und kulturalisiert. Es waren die „Anderen“, die „anderen Männer“, keine Deutschen. Auch einige Feministinnen machten sich diese rassistische Erzählung zu eigen. Teile der feministischen Bewegung forderten eine Verschärfung des Sexualstrafrechts als Problemlösung, ohne mitzudenken oder in Kauf nehmend, dass auch der Rechtsstaat rassistisch und klassistisch agiert.
Schnell wurde uns klar, alle rassistischen Ressentiments konnten hier ihren Platz finden, gebadet im „fortschrittlichen“ Fahrwasser der Frauenrechte. Sogenannte Frauenrechte wurden gegen Rechte von geflüchteten Menschen ausgespielt. Wir rangen um Argumente und Analysen, um diese Situation anders zu packen. So stießen wir erneut auf „Mili’s Tanz auf dem Eis“ und waren begeistert, wie vorausschauend die Analysen der Zoras waren und wie sie das, was heute „intersektional“ genannt wird, damals schon beinhalteten. Sie sprachen von Rassismus, Sexismus, globalem Kapitalismus und Kolonialismus.
Die antikolonialen Kämpfe weltweit und die internationale Solidarität waren sehr produktive Anhaltspunkte für die Militanzdebatten in der damaligen BRD. Wir hatten damit ein wirksames Werkzeug gefunden, um heutige politische Situationen zu analysieren. Gleichzeitig bekamen wir viele gute alte und neue Ideen, wie wir diese Analyse in unserem politischen Alltag aktionistisch umsetzen konnten. Wir konnten die Auseinandersetzungen aus dem damaligen Kontext ins Jetzt übertragen.
Gleichzeitig gab uns dies das Gefühl von Kollektivität und kollektiver Intelligenz. Wir waren/sind ein Teil von vielen kleinen und großen feministischen Wellen, die das Patriarchat angreifen und aus den Angeln heben wollen. Darunter auch viele Lesben, die sich praktisch wie theoretisch in die Konflikte um Mackergewalt in der eigenen Szene ein- und dort mitmischten. Ohne diese radikal feministische lesbische Intervention hätte es viele Diskussionen und Aktionen nicht gegeben.
Radikaler Feminismus ist nicht nur Geschichte, denn offensichtlich ist es vielen Feminist*innen auf der Welt auch heute noch ein Anliegen, sich mit Intersektionalität, Gewaltmonopol, Selbstverteidigung usw. auseinanderzusetzen und das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Weitere Übersetzungen der Texte der Roten Zora sind in der Vorbereitung. Das ist ein tolles Gefühl und macht stark.
Dieses Gefühl zu erleben, möchten wir auch anderen ermöglichen und wollen daher die Anschlagserklärungen der Roten Zora und „Mili’s Tanz auf dem Eis“ aus der kriminalisierten und vergessenen Ecke holen. Die Sprache der Texte ist die der 1980er, der Geist und Wille, der aus ihnen spricht, ist zeitlos.
Es gab jedoch nicht nur Euphorie. Uns wurde auch sehr schnell klar, dass es Kämpfe aus den 1970er und 1980er Jahren gab, die nicht fortgesetzt wurden. Wir fingen an, uns Gedanken zu machen, an welchen Punkten und warum bestimmte Themen wie die Kritik an der Gen- und Reproduktionsforschung wie auch an der Pränataldiagnostik in feministischen Analysen und Auseinandersetzungen nicht mehr vorkamen. Technologien, die in den 1980er noch als patriarchale Instrumente der Kontrolle und Zurichtung gewertet wurden, sind längst gang und gäbe im Mainstream. Vor allem die Krüppelfrauen-Bewegung kritisierte die Pränataldiagnostik als Politik der Auslese – verbunden mit der Frage: Was ist lebenswertes Leben? Wo sind diese Perspektiven heute? Gibt es überhaupt noch ein Besinnen im Reproduktionswahn? Diese Fragen müssen wir uns als Feminist*innen stellen und diskutieren.
Das vorliegende Buch umfasst sowohl Originaltexte der Roten Zora als auch aktuelle Stimmen zu diesen Texten und den Aktionen der Roten Zora. „Mili’s Tanz auf dem Eis“ wurde 1994 als Reflexion einiger Zoras auf die Zeit von Ende der 1970er bis Anfang der 1990er veröffentlicht. Dokumentiert werden auch weit mehr als 20 Anschlagserklärungen aus den Jahren 1975 bis 1995. Darüber hinaus kommen zwei ehemalige „Zoras“ zu Wort: In Wortprotokollen aus dem Film „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“ von 2019 blicken die beiden Interviewten mit mehr als 30 Jahren Abstand zurück auf ihre aktive Zeit in der Gruppe.
Im Kapitel „Aktuelle Stimmen zur feministischen Militanz“ diskutieren heute aktive Feminist*innen über die Rote Zora, ihre Texte und Aktionen sowie ihr eigenes Verständnis von feministischer Militanz.[1]
Lesehinweis: Das Buch muss nicht chronologisch gelesen werden. Es ist möglich, an jeder Stelle einzusteigen – sei es bei den Stimmen aus dem Film, den Anschlagserklärungen, „Mili’s Tanz auf dem Eis“ oder den aktuellen Stimmen zur feministischen Militanz. Es ist als Lesebuch gedacht, in dem du immer wieder stöbern und dir einzelne Aspekte herausgreifen kannst, um sie mit deinen Freund*innen gemeinsam zu lesen und zu diskutieren.
Dieses Buch sollte schon vor zwei Jahren erscheinen, dann kam Corona und im Jahre 2022 finden wir uns in einer völlig neuen politischen Situation wieder.
Die Reaktionen auf die Pandemie schaffen neue gesellschaftliche Verhältnisse, der Umgang mit dem SARS-CoV-2-Virus hat uns einen Ausnahmezustand beschert. Ein Teil der Grundrechte wie Bewegungs- und Reisefreiheit, Besuch von engsten Angehörigen und Freund*innen usw. ist außer Kraft gesetzt. Covid-10 ist real, doch mit der Angst vor der Pandemie wird Politik gemacht. Die Social-Distancing-Maßnahmen verhindern ein soziales Miteinander und kollektives Verhalten und behindern damit auch eine militante Einflussnahme auf die neoliberale menschenverachtende globalisierte Politik.
Der Staat macht Schulden, von denen ein wesentlicher Teil der klimaschädlichen Wirtschaft profitiert, kleine Selbstständige wie in der Gastronomie verlieren ihre Existenzgrundlage, Kultur ist nicht „systemrelevant“. Care-Arbeit wird unbezahlt ausgeweitet, Gewaltverhältnisse nehmen zu besonders gegenüber FLINTA, Kindern, Geflüchteten und allen Ausgegrenzten.
Im kritisch-ökonomischen Diskurs wird von der Ablösung des militärisch-industriellen Komplexes durch den gentechnologisch-pharmazeutischen Komplex gesprochen. Die Rote Zora hat schon vor fast 40 Jahren die Gentechnologie angegriffen, weil sie zerstörerisch ist, Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse stützt. Solange wir die imperiale Lebensweise fortsetzen, werden Ursachen des Elends und der Gewalt gegen uns nicht beseitigt. Zuhause zu bleiben und die Klappe zu halten, führt zu keinem Umdenken in den Machtzentren.
In autonomen feministischen Zusammenhängen wird diskutiert, dass der Umwelt- und Klimazerstörung, den Femi(ni)ziden, dem Verhungernlassen und den Kriegen Sabotage und Selbstverteidigung entgegensetzt werden muss, um wieder Luft zum Atmen zu verschaffen. Alle Versuche, mit Appellen und Demonstrationen oder mit zivilem Ungehorsam gegenzusteuern, verpuffen seit Jahren. Es wird allzu deutlich, dass Macht und Herrschaft nur eine Sprache verstehen: Aufruhr und Widerstand, wie die Compañeras in Argentinien, Mexiko, Chile, Kurdistan etc. deutlich formulieren.
Widerständiges Handeln braucht soziales Leben und die kollektive Auseinandersetzung. Der Alltag unter Pandemiebedingungen mit all seinen Widersprüchen macht natürlich auch vor unseren Politgruppen nicht halt. Der unterschiedliche Umgang mit Ängsten und ein unterschiedliches Risikoempfinden stellen uns vor große Zerreißproben. Aber die Grundrechte einschränkenden Corona-Maßnahmen werden nicht in ein paar Wochen oder Monaten verschwinden, sondern sich in unserem Alltag festsetzen, wenn wir uns nicht zur Wehr setzen. Wir verspüren einen massiven Rechtsruck in der Gesellschaft, Polizeirechte werden ausgeweitet und Versammlungsrechte eingeschränkt. Die Individualisierung, gestützt durch die Digitalisierung, schreitet mit riesigen Schritten voran und steht einer zentralen Bedingung für widerständiges Handeln diametral entgegen: der Kollektivität, der Freund*innen- und Kompliz*innenschaft. Uns diese wieder anzueignen und zu leben ist eine Grundvoraussetzung unserer Kämpfe.
Vor diesem Hintergrund ist dieses Buch eine spannende Lektüre.
In diesem Sinne: Bildet Banden!
Der Anfang der 1970er Jahre in der BRD war in den politisierten Kreisen junger Menschen durch Aufbruchstimmung, Zerstörung alter, oft nazistischer Strukturen und der Suche nach neuen Wegen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gekennzeichnet. Die sich neu formierenden sozialen Bewegungen wurden beflügelt durch die Befreiungsbewegungen weltweit, den Kampf gegen den Vietnamkrieg und gegen andere militärische Auseinandersetzungen innerhalb des imperialen Systems. Die Neue Frauenbewegung entstand außerhalb und innerhalb der Revolte von Arbeiter*innen, Jugendlichen und Student*innen und organisierte sich in unzähligen Frauenzentren und Selbsthilfegruppen.
Viele ML-(marxistisch-leninistische) und maoistische Gruppen, aber auch Spontigruppen der autonomen linken Szene ignorierten die sexualisierten Gewaltstrukturen und die Langlebigkeit heteronormativer Strukturen sowie der klassischen geschlechtlichen Arbeitsteilung in den eigenen Zusammenhängen. Dies führte zu heftigen Auseinandersetzungen in gemischt-geschlechtlichen Gruppen und zur Bildung eigener FrauenLesbengruppen.
1973 bildeten sich die Revolutionären Zellen (RZ), eine Stadtguerilla-Gruppe – an diesem Prozess waren auch Frauen beteiligt. Der Kampf um die Sichtbarkeit frauenspezifischer Themen wie dem Abtreibungsverbot im § 218 StGB zeigte sich im Anschlag auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe 1975. Die Anschlagserklärung war erstmalig von „Frauen in den Revolutionären Zellen (RZ)“ unterzeichnet (s. S. 136). Der Name ‚Rote Zora‘ selbst tauchte 1977 das erste Mal auf (s. Anschlagserklärung vom 28.4.1977, S. 139). Im Film Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora erklärt eine der ehemaligen Zoras, dass der Name Bezug nimmt auf das rebellische Mädchen in dem Roman Rote Zora (s. S. 119).
Die Rote Zora verstand sich als sozial-revolutionäre, feministische Bewegung, die eng mit der Neuen Frauenbewegung verknüpft war. Sie hat sich bis 1988 zu 44 Sprengstoff- und Brandanschlägen bekannt. Bis Anfang der 1980er Jahre organisierte sie sich als autonomer Teil der RZ. 1983 kam es zum Bruch – ab diesem Zeitpunkt verstand sich die Rote Zora als völlig autonom.
Die erste Selbstdarstellung der Roten Zora findet sich unter dem Titel „Jedes Herz ist eine Zeitbombe“ in der unregelmäßig erschienenen und illegalisierten Zeitschrift der RZ Revolutionärer Zorn Nr. 6, vom Januar 1981. Im Jahr 1982 verübte die Rote Zora zwölf Anschläge in Zusammenarbeit mit den RZ gegen den Besuch des damaligen Präsidenten der USA, Ronald Reagan, in der BRD. Diese Erklärungen sind im vorliegenden Buch nicht dokumentiert.
Im Frühjahr 1984 wurde ein Interview mit einzelnen Zoras in der Zeitschrift Emma unter dem Titel „Widerstand ist möglich“ (s. S. 170) veröffentlicht. Die im vorliegenden Buch veröffentlichte Broschüre Mili’s Tanz auf dem Eis (s. S. 17 ff.) erschien im Dezember 1993. Dabei handelt es sich um eine Reflexion und politische Bestandsaufnahme mit Blick auf die aktive Zeit der Roten Zora vom Ende der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre.
Im Sommer 1987 kam es aus Solidarität mit streikenden Fabrikarbeiterinnen in Südkorea zu einer erfolgreichen Anschlagsserie gegen mehrere Filialen der Textil-Einzelhandelskette Adler (s. Anschlagserklärung vom 21.6.1987, S. 204). Die Bundesanwaltschaft sah sich daraufhin unter Druck gesetzt, der Öffentlichkeit endlich Fahndungserfolge vorweisen zu können. Dies führte zu Durchsuchungen im Dezember 1987, in deren Folge zwei Frauen verhaftet wurden und drei Zoras ins Exil gingen.
In den Folgejahren veränderte sich die politische Lage in Deutschland grundlegend. Dem Fall der Mauer 1989 folgte die Annexion der DDR durch die BRD. Rassistische und nationalistische Gewalt nahm massiv zu und gipfelte schließlich 1991 in der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Die feministische Bewegung löste sich in ihren militanten Teilen auf, übrig blieben institutionalisierte Beratungsstrukturen und Frauenhäuser, von denen nur wenige in ihrer autonomen Struktur bis heute erhalten blieben.
Das politische Ziel der Roten Zora, die Freiheit aller Menschen in einer herrschaftsfreien Gesellschaft, konnte für die Gruppe nur durch eine konsequente feministische Politik erreicht werden. Ihr Verständnis von Feminismus war intersektional, das heißt, es umfasste die Diskriminierungs- und Ausgrenzungsstrategien von Rassismus und Sexismus sowie die Klassenfrage und wurde immer im kolonialen Zusammenhang von internationaler Ausbeutung betrachtet. Der Grundgedanke war, dass alle in einer durch und durch patriarchalen Gesellschaft leben, die die Geschlechterkonstruktion als gewalttätige Form betreibt, bis hin zur Tötung von FrauenLesben (heute: FLINT). Diese patriarchale Struktur beutet aus, versklavt, erniedrigt, verstümmelt, führt Krieg, vergiftet, zerstört die Umwelt, macht sich die Welt untertan usw. Am Widerstand gegen diese Struktur anzuknüpfen, war zentrales Prinzip der Roten Zora. Sie orientierte sich immer an Bewegungen – vor allem an der FrauenLesbenbewegung und den globalen Kämpfen. Ihre Themen betrafen:
Hausbesetzungen, Kampf den Immobiliengeschäften
Energiepolitik, Atomstrom
Nulltarif für den öffentlichen Personenverkehr
Widerstand gegen Waffensysteme und elektronische Kontrolle, Rüstungsexporte
Solidarität mit den Kämpfen im Knast
Ausbeutung von Frauen in Weltmarktfabriken, internationale Arbeitsteilung
Heiratsmigration
Bevölkerungskontrolle, national § 218 und Zwangssterilisation an armen Frauen und international Zwangssterilisationskampagnen
Bevölkerungspolitik, Humangenetik, Euthanasie
Gen- und Reproduktionstechnologie
‚grüne Gentechnik‘
Ausbeutung von Frauen durch die Pharmaindustrie
rassistische Flüchtlingspolitik
Die Rote Zora besaß das politische Selbstverständnis, sich in alle Lebensbereiche politisch einzumischen, weil Feminismus eine Kraft darstellt, die der patriarchalen Zerstörung ein Ende setzt.
Nach langer Zeit des öffentlichen Schweigens melden wir uns wieder zu Wort. Um es gleich vorweg zu nehmen:
wir wollen nicht mit unserer Vergangenheit abrechnen; wir wollen aus ihr lernen und andere Frauen an dieser Erfahrung teilhaben lassen; wir wollen offen machen, welche alten und neuen Fragen sich uns stellen und welche Chancen und Aufgaben wir aus unserer Sicht auch in Zukunft sehen. Wir möchten, daß die Politik der Roten Zora weitergeht; ob uns das gelingt, wissen wir nicht. Wir wollen mit unseren Kräften dazu beitragen.
Die Kompliziertheit unserer Diskussionsstruktur bringt es mit sich, daß unsere Diskussionsprozesse sehr langwierig und mühsam sind. Der erste Entwurf für dieses Papier liegt schon über zwei Jahre zurück, was sich u.U. auf die Aktualität der Diskussion auswirkt. Wir präsentieren euch hiermit keine abgeschlossene Diskussion, sondern einen Einblick in einen laufenden Klärungsprozeß.
Wir repräsentieren nicht die Sichtweise aller Roten Zoras. Einige meldeten immense Widersprüche an – die sie aber zurückstellten, um unsere Veröffentlichung nicht zu blockieren. Auch unter uns existieren verschiedene politische Standpunkte und Schwerpunktsetzungen, die im Papier nebeneinander stehen. Unserer Auseinandersetzung liegt das Bestreben zugrunde, etwas Gemeinsames hinzukriegen.
In der Vergangenheit haben wir es oft nicht geschafft, unsere Diskussionen, Positionen und Fragen zu vermitteln. So ist dieses Papier also geschrieben, um unsere und eure Sprachlosigkeit zu durchbrechen.
Wir wünschen uns die Auseinandersetzung mit FrauenLesben, die eine revolutionär-feministische Perspektive in Kopf, Bauch und Herz haben und diese auf unterschiedlichen Ebenen umsetzen. Wir begreifen uns als Teil dieses Kampfes, in den wir unsere Positionen, unsere Erfahrungen, unsere besondere Form der Organisierung und Praxis einbringen wollen. Vorankommen werden wir darin nur, wenn wir die verschiedenen Ebenen des Widerstandes, der Entwicklung von Frauenstärke und der Angriffe auf dieses System zusammenbringen und wenn wir uns aufeinander beziehen, uns stützen, kritisieren und (mit allen Unterschieden) als Einheit begreifen. Sicherlich sind darin einige Neubestimmungen erforderlich, aber unser Handeln wird nach wie vor getragen von unserer Wut und unserem Haß auf die tagtäglichen, direkten und strukturellen Angriffe einer patriarchalen Gesellschaft und von unserer Hoffnung, die rassistische, antisemitische und sexistische Unterdrückung und Ausbeutung weltweit abzuschaffen.
Voraussetzung dafür ist, daß wir FrauenLesben wieder zu einer frauenöffentlichen Diskussion über Ziele und Wege militanten Frauenwiderstands und zu einer stärkeren Organisierung finden, darin auch immer wieder die durch Angst vor Repression entstehenden Grenzen aufbrechen und erweitern. In jüngerer Vergangenheit haben wir von solch einer gemeinsamen Orientierung wenig gespürt und selbst wenig dazu beitragen können.[2]
Wir hoffen auf viele Diskussionen – nicht nur im stillen Kämmerlein – und neue Anläufe.
In den vergangenen 5 Jahren, in denen von uns praktisch nichts zu hören war, waren wir auf unserer Ebene mit inhaltlichen und organisatorischen Verunsicherungen, Aufgaben und Fragen beschäftigt. Verschiedene Ereignisse und Entwicklungen führten zu dem Gefühl bzw. der Einsicht, nicht einfach nahtlos weitermachen zu können: Da waren der Repressionsangriff mit den Fahndungen, Hausdurchsuchungen, Ermittlungsverfahren und Verhaftungen am 18.12.1987, der Niedergang der Bewegung gegen Gen- und Reproduktionstechnologien, der Golfkrieg, die Einverleibung der DDR, die Auflösung des Ostblocks, die Verschärfung rassistisch/antisemitisch/faschistischer Angriffe gegen Schwarze, gegen JüdInnen, Obdachlose, Lesben und Schwule, gegen behinderte Frauen, Kinder, Männer und gegen Linke, die Zunahme sexistischer Gewalt – öffentlich und ‚privat‘ – und die (wohl auch aus all diesen Ereignissen resultierende) Kraft- und Orientierungslosigkeit um uns herum. Parallel dazu führte die Kritik von Schwarzen und jüdischen Frauen an unserem weißen feministischen Selbstverständnis zu Verunsicherungen, mit denen wir jedoch oft nicht produktiv umgegangen sind.
Es stand (und steht) ein Nachdenken über neue/andere Welt- und Frauenbilder an und darin auch eine Auseinandersetzung über unsere Form der Organisierung und unsere politischen Mittel als Bestandteil eines radikal-feministischen Frauenkampfes – was u.a. heißt, die zu Worthülsen verkommenen Begriffe in ihrer Bedeutung wieder lebendig werden zu lassen.
Im Laufe dieses Prozesses haben sich viele Mitstreiterinnen der Roten Zora erstmal verabschiedet, in diesen Zeiten neue Schwerpunkte für sich gesetzt. Eine personelle Kontinuität ist also kaum gegeben. Wir „Alten“ und „Neuen“, die wir uns hier zu Wort melden, knüpfen an der bisherigen Politik an und wollen diese weiterentwickeln.
Entlang der Geschichte unserer Organisierung und unserer Praxis wollen wir unsere Entwicklung, unsere Vorstellungen, Ziele und Praxis von Frauenbefreiung mit all ihren Widersprüchen transparent machen und aus dieser Reflexion Schlüsse für eine zukünftige Politik ziehen.
Welche Schwierigkeiten wir mit bestimmten Begriffen, mit der Sprache hatten, kommt im Text selbst in den vielen Anführungszeichen zum Ausdruck. Oft fiel uns kein passendes Wort ein, obwohl die patriarchale und/oder hierarchische Definition auf der Hand lag, z.B.: unversöhnlich, Dritte Welt etc. Oft verwenden wir Begriffe aus der linken Terminologie (Revolution, Produktivkraft, Guerilla etc.), wohl wissend, daß auch diese vor einem patriarchalen Hintergrund entstanden sind. Eine feministische Umwandlung der Bedeutungsinhalte geht jedoch nur langsam, und allgemeinverständliche neue Begriffe, die das ausdrücken, was wir meinen und wollen, gibt es (noch) nicht.
Ein anderes Problem war es, den unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen auch sprachlich Geltung zu verschaffen. Die in den FrauenLesben-Zusammenhängen seit einigen Jahren geführte „Unterschiedsdiskussion“ war/ist ein wichtiger und notwendiger Prozeß, um sich die Unterschiede unter uns Frauen, die ja für soziale Ungleichheiten und Machthierarchien stehen, als Voraussetzung für unsere Widerstandspraxis bewußt zu machen. Schwarze Frauen forderten von uns, daß wir uns mit unserer Identität auseinandersetzen, unsere Täterinnenposition wahrnehmen und damit umgehen. Allerdings verkommt die Selbstdefinition (weiß, christlich säkularisiert, Mittelschicht, Lesbe/Hetera etc.) häufig zu einem ritualisierten Schuldbekenntnis und dient gleichzeitig als Ent- Schuldigung. Die ständige Benennung unserer Herkunft läuft Gefahr, zum Identitätssiegel zu werden, womit soziale Kategorien zur quasi biologischen Unveränderbarkeit gemacht werden, aus denen es kein Entrinnen gibt. Diese Ent-Schuldigung tritt an die Stelle der Entwicklung eines feministischen Selbstverständnisses, das die eigenen Maßstäbe infrage stellt und die rassistischen und sexistischen Gewalterfahrungen anderer Frauen mitdenkt.
Zentral ist und bleibt die Praxis, die wir im Umgang mit und quer zu den sozialen Differenzen entwickeln. Selbstbezichtigung ist kein Weg der Auseinandersetzung mit eigenen Machtpositionen.
Wir verwenden im Text den politischen Begriff „Schwarze Frauen“ und meinen damit Frauen mit asiatischer, afrikanischer, pazifischer, arabischer usw. Herkunft bzw. Abstammung, obwohl wir darin eine Vereinfachung und Homogenisierung sehen. Es gibt von Schwarzen Frauen lange Ausführungen zu diesem Problem und viele Migrantinnen lehnen für sich den Begriff „Schwarze Frau“ ab, weil für sie damit der Kampf der Frauen vom schwarzafrikanischen Kontinent (seit der Sklaverei) verschwindet und die Tatsache übergangen wird, daß es Unterschiede in der Konfrontation mit Rassismus gibt. Frauen nennen sich heute „women of colour“ oder „Frauen aus …“ (entsprechendes Herkunftsland) oder Afro (entsprechendes Land, WO sie leben). Trotzdem benutzen wir noch den Begriff „Schwarze Frauen“, um damit ihre Unterdrückung durch den Imperialismus und den Rassismus des weißen Patriarchats zu benennen, von welchem wir weißen Frauen Teil sind. Und wir beziehen uns damit auf die Selbstdefinition von nicht-weißen Frauen und Männern, Schwarz nicht als Hautfarbe, sondern als politisches Befreiungsinteresse zu verstehen.
Unterschiede benennen wir dort, wo sie von Bedeutung sind und/oder zum Selbstverständnis politischer Zusammenhänge gehören – z.B. FrauenLesben.
Den Begriff FrauenLesben finden wir – wie viele andere – nicht zufriedenstellend: Es kann der Eindruck entstehen, als seien Lesben keine Frauen, ausgeklammert aus der sozialen Bedingung des Frauseins: Die Differenz zwischen heterosexuellen Frauen und Lesben wird in diesem Begriff nicht auf gleicher Ebene sichtbar… „Heterosexuelle und lesbische Frauen“ jedoch betont zu sehr die unterschiedliche sexuelle Orientierung, wo doch viel mehr an sozialen und Identitätsunterschieden daran hängt. „Lesben und andere Frauen“ entspricht wiederum überhaupt nicht den gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnissen.
Die mangelnde sprachliche Alternative kann aber nicht zur Konsequenz haben, Lesben gar nicht zu erwähnen. Das würde die Bedeutung verschweigen, die lesbische Existenz und Identität für unsere Zusammenhänge hatte und hat, und würde erkämpfte Positionen aufgeben. So benutzen wir an den entsprechenden Stellen den sich mittlerweile in der FrauenLesben-Szene durchgesetzten Begriff FrauenLesben trotz der oben benannten Probleme.
„Wir/Uns“ steht für größere FrauenLesben-Zusammenhänge, wenn aus dem Text nicht klar hervorgeht, ob mit „wir“ unsere Gruppe oder der größere Zusammenhang gemeint ist. Ansonsten benutzen wir für beides das kleine „wir“, weil die Bedeutung meist aus dem Kontext hervorgeht.
Unsere Konstituierung als autonome Frauengruppe innerhalb der Revolutionären Zellen (RZ) fiel mit der Entsolidarisierungswelle mit bewaffneter/militanter Politik in der BRD 1977 und einer Polarisierung innerhalb der FrauenLesbenbewegung zusammen. Der powervolle Aufbruch der „Neuen Frauenbewegung“ – mit ihrer anfänglichen Fülle militanter Aktionen gegen Sexismus und ihrem radikalen Umkrempeln der persönlichen Lebensverhältnisse – war im letzten Drittel der 70er Jahre schon verebbt. Unter dem Eindruck des „Deutschen Herbstes“ 1977 wurde der Gedanke an militanten Widerstand weitestgehend aus dem FrauenLesben-Bewußtsein (wie auch aus dem GemischtLinken (der Einfachheit halber und weil wir Abkürzungen soo lieben vielleicht kurz „Gemis“ genannt?!) verdrängt.
Ein Teil der FrauenLesben zog sich vom offensiven Durchsetzen der politischen Forderungen und den provokativen Aktionen in die Innerlichkeit und Esoterik zurück. Zunächst noch von vielen FrauenLesben als Erweiterung für feministisch-politisches Handeln begriffen, stellte sich dieser Weg schnell für viele als bewußte Abgrenzung von radikaler, öffentlicher feministischer Politik heraus.
Andere hielten daran fest, sich und andere darin zu stärken, soziale Räume gegen die sexistischen Gewalterfahrungen zu schaffen und z.B. autonome Frauenhäuser aufzubauen. Auch diese politisch sehr wichtige und notwendige Arbeit wurde damals von vielen FrauenLesben als Alternative und in Distanzierung zu militantem Widerstand gemacht und propagiert. Damit nahm die Professionalisierung und Institutionalisierung vieler FrauenLesbenprojekte ihren Anfang.[3]
Radikale FrauenLesben fühlten sich oft vereinzelt, viele gingen zurück in die auch sehr dezimierten Gemis.
Wir sahen in dieser Situation unseren Beitrag u.a. darin, die Idee und Praxis radikalen, militanten Widerstands entgegen aller Integrations- und Repressionsmaßnahmen des Staates wachzuhalten. In dieser Zeit wurde die Fähigkeit des Systems deutlich, Proteste zu integrieren und fundamentale Opposition zu Innovationsschüben zu nutzen, außerparlamentarische Politik als Kreativspender auszunutzen, andererseits Widerstandsstrukturen mit aller Härte zu zerschlagen.[4]
Das bestätigte uns, daß die Gegnerinnenschaft zum System sich grundlegender zeigen muß, weniger kontrollierbar sein sollte und nicht ihr Ende findet an staatlich gesetzten Grenzen. Die Aufrechterhaltung klandestiner Zusammenhänge war eine Konsequenz für uns, um in dieser politischen Eiszeit „im Herzen der Bestie“ die Ruhe zu stören und den Gedanken an die Angreifbarkeit der Herrschenden lebendig zu halten. Zugleich hofften wir, damit den militanten, klandestin organisierten FrauenLesbenwiderstand zu verbreitern und zu verankern.
Wir selbst empfanden das Verlassen der uns zudiktierten weiblichen Friedfertigkeit bzw. die bewußte Entscheidung für gewalttätige Mittel in unserer Politik als ungeheuer befreiend. Wir erlebten, daß wir mit unseren Aktionen Angst, Ohnmacht und Resignation durchbrechen konnten, und wollten dies anderen FrauenLesben weiter vermitteln.
Unser Widerstand war oft lautstark und explosiv und verursachte einigen Schaden, aber schwerpunktmäßig ging es um die Sichtbarmachung von FrauenLesben-Widerstand und entsprechend um symbolische Aktionen: „Gewalt wird erst sichtbar durch Widerstand.“
„Bildet eure eigenen Banden“ war die Parole der Anfangszeit, mit der wir zur Ausbreitung unserer Idee militanter Organisierung beitragen wollten. Auch der Name Rote Zora weckt(e) diese Assoziation. Wir machten unter diesem Aspekt Aktionen mit einfachen nachahmbaren Mitteln und griffen Themen aus der FrauenLesbenbewegung auf (§ 218 und Gewalt gegen Frauen). Wichtig war es uns zu zeigen, daß das Unrecht, die Gewalt nicht nur strukturell sind, sondern daß Täter greifbar, angreifbar sind: „Die Schweine haben Namen, Frauen, sucht euch die Adressen!“ (Aktion gegen die Bundesärztekammer in Köln, April 1977)
Wir sahen keine Hierarchie in verschiedenen Aktionsformen: Flugblatt verteilen, Besetzungen, Sprühaktionen, Schlösser verkleben, Steine schmeißen, Spreng- und Brandsätze legen – alles war wichtig, wenn es zusammengriff.
So ist es auch heute noch für uns richtig. Dabei haben wir allerdings die besonderen Bedingungen und Konsequenzen unserer Art der Organisierung und Praxis unter den Tisch fallen lassen. Im Wunsch, zur Nachahmung und damit Verbreitung unserer Aktionsformen zu ermuntern, stellten wir zeitweise unsere Organisierung so locker dar (Interview Emma, 1984), als könne jede mal eben so mit ihrer Freundin losziehen und das gleiche machen wie wir.
Auch wenn wir teilweise selbst im militanten Kleingruppengefühl agierten, verleugneten wir damit den anderen Teil unserer Geschichte und Praxis. Die dargestellte Lockerheit verschleierte die konkreten Barrieren/Unterschiede. Wir unterschieden und unterscheiden uns von Kleingruppen durch die auf Langfristigkeit, Kontinuität und Verbindlichkeit ausgerichtete Organisierung. Diese ermöglicht(e) es nicht nur, einen anderen Hintergrund von Logistik aufzubauen, d.h. Kenntnisse, Fertigkeiten, Beschaffung materieller Mittel, die über einen Kleingruppenrahmen hinausgehen, sondern auch, kontinuierliche gruppen- und städteübergreifende Diskussionen zu führen und Befreiungsideen zu entwickeln. Das Primat der Praxis half uns dabei, Unterschiedlichkeiten und Differenzen teilweise stehen lassen zu können und uns einem weltweiten Befreiungsprozeß und den Frauen darin verbunden zu fühlen, aus dem wir einen großen Teil unserer Stärke bezogen.
Die Distanz, die wir mit dem Satz „wir sind nicht anders als ihr“ zu überwinden glaubten, vertieften wir damit. Das unterstützte den Mythos: Rote Zoras als fröhlich umherschweifende Rebellinnen, außerhalb der konkreten Mühseligkeiten des Alltags, allzeit zu jeder Schandtat bereit und fähig. (Solche Geschichten lesen wir uns auch abends im Bett gerne vor.) Abgesehen davon, daß uns das in manchen Momenten schmeicheln mag – voran bringt es nicht so recht. Die FrauenLesben, die diesen Mythos mittragen und sich vielleicht darauf ausruhen, daß wir „es ja schon machen“, entziehen sich der Auseinandersetzung und der Möglichkeit, für sich selbst eine solche Form der Organisierung zu denken bzw. ihre Entscheidung dafür oder dagegen (für beides gibt es gute Gründe) auf politische Füße zu stellen.
In unserer Organisierung sind wir anders als andere FrauenLesben-Kleingruppen, als einzelne FrauenLesben sind wir es nicht. Wir sind alles andere als Heldinnen, manchmal schon zu normal, unsicher, ängstlich, manchmal kleinmütig, verbohrt und streitsüchtig.
Unsere Arbeit beinhaltet nicht nur die Sonnenseiten, die in erfolgreichen Aktionen zum Ausdruck kommen oder in einer emotionalen Bezogenheit aufeinander zu finden sind, in dem Wissen, uns absolut aufeinander verlassen zu können, Vertrauen zu haben, Gleiches zu wollen. Ebenso gibt es – bedingt durch die notwendige Klandestinität unserer Strukturen – eine ungeheure Vielzahl an kleinen mühseligen Schritten und Aufgaben, die uns mit unseren ganzen Schwächen und Unfähigkeiten konfrontieren und unsere Geduld auf die Probe stellen. Gefordert ist immer wieder eine gewisse Abstraktion, weil aus der Kleinarbeit und notwendigen Organisiererei oft nicht viel Identitätsstiftendes gezogen werden kann, in größeren Zeitabständen gedacht und geplant wird und werden muß. Viele Sachen macht frau alleine, oft fehlt das direkte Miteinander. Die klandestin angelegten Strukturen sind oft schwerfällig.
Unsere Identität ziehen wir zwar auch aus gelungenen Aktionen, vor allem aber aus der langfristigen Perspektive, eine militante Frauenorganisierung aufzubauen.
Nach wie vor finden wir verschiedene Organisierungsformen für subversiven Widerstand wichtig – also auch Kleingruppen aus der Frauenöffentlichkeit heraus, die durch die Einbindung in soziale Zusammenhänge, durch spontanere Handlungsmöglichkeiten usw. oft ausgesprochen lebendig sind, meist aber durch die Bullen einkreisbar, weshalb sie äußerst flexibel sein müssen und oft nur kurzlebig sein können. Darin alle Möglichkeiten auszuprobieren und auszureizen, ist nicht nur für die Stärkung der FrauenLesbenbewegung notwendig, es ist auch für unseren Lernprozeß wichtig.
Wir wollen aber ebenso, daß Frauen, die unsere Politik als Rote Zora richtig und wichtig finden, sich der Frage einer entsprechenden Organisierung stellen und nicht diese Art militanter Politik an unseren Zusammenhang delegieren.
Wir tragen die Verantwortung, mit unserer Geschichte genau umzugehen, aber nicht die alleinige Verantwortung, diese Politik fortzuführen.
FrauenLesben schufen sich in den 70er Jahren in der BRD immer mehr autonome Zusammenhänge, aus denen sie gegen die „frauenspezifische“ Unterdrückung kämpften. Der Kampf gegen die „allgemeine“ Unterdrückung wurde oft in gemischten Zusammenhängen geführt. Diese Trennung zwischen „frauenspezifisch“ und „allgemein“ machten wir zunächst auch. So drückten wir mit Aktionen gegen den Paragraphen 218 und Gewalt gegen Frauen (z.B. Sexshops, Frauenhändler) unsere Verbundenheit mit den Aktionen und Diskussionen der Frauenbewegung aus. Innerhalb der Kampagne gegen die Preiserhöhungen im städtischen Nahverkehr verteilten wir z.B. gefälschte Fahrkarten mit den Gemischten.
Mit dieser Aufspaltung waren wir keineswegs zufrieden, ging sie doch geradezu durch uns selbst hindurch: Bei der Beschränkung auf „frauenspezifische“ Themen grenzten wir einen Teil unserer Identität aus, den wir noch nicht so recht als durchaus auch „frauenspezifisch“ begreifen konnten. Bei den sogenannten „allgemeinen“ Themen verschwanden wir mit unserer Frauenidentität hinter den Männern bzw. einer patriarchal eingebetteten politischen Ausrichtung.
Wir waren auf der Suche nach Ansatzpunkten, in denen wir eine allumfassende feministische Sichtweise entwickeln konnten. So formulierten wir: „Gewalt gegen Frauen nicht als Ausnahme, sondern als durchgängiges HERRschaftsprinzip zu begreifen, hat zu der Erkenntnis geführt, daß der Kampf gegen persönlich erfahrene sexistische Gewalt nicht zu trennen ist vom Kampf gegen jede Gewalt des Systems.“ („Jedes Herz eine Zeitbombe“, Revolutionärer Zorn Nr. 6, Jan. 1981)
Nicht gemischt, sondern als Frauengruppe gegen „allgemeine“ Unterdrückung zu kämpfen, sollte eine Lösung sein: „Frauenkampf ist umfassend und beinhaltet jeden Kampf gegen jede Form der Unterdrückung, Ausbeutung, Zerstörung und Menschenverachtung.“ (Rote-Zora-Aktion gegen Kaußen-Anwalt Wagner zur Unterstützung des Häuserkampfes, 1980)
Auch mit dieser Sichtweise hielten wir indirekt die Trennung zwischen „frauenspezifisch“ und „allgemein“ aufrecht. Zwar blitzten Vorstellungen davon auf, wie unser Frauenkampf aussehen könnte, z.B. bei der Aktion gegen Siemens im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien, die verschärfte Ausbeutung und Kontrolle gegen Frauen hier und in den Drei Kontinenten[5] bedeuteten; oder bei den Angriffen auf die Frauenhändler, deren Sexismus im direkten Zusammenhang mit imperialistischer Zerstörung und Vertreibung steht.
Konkret sahen wir uns weiterhin einer „Doppelbelastung“ ausgesetzt: Die Auseinandersetzung um „allgemeine“ politische Themen wie z.B. Häuserkampf, Knastkampf, Friedensbewegung, imperialistische Interventionen usw. führten wir letztendlich weiter vor dem Hintergrund eines patriarchalen Selbstverständnisses. So lange wir nicht in der Lage waren, in diesen Kämpfen auch Ansätze von Frauenbefreiung zu sehen bzw. sie direkt in antipatriarchale Kämpfe zu wenden, mußten wir uns ständig entscheiden, ob wir zugunsten einer aktuellen Beteiligung an diesen Kämpfen die Verfolgung unserer Fraueninteressen und die Entwicklung eines feministischen Widerstands hintanstellen sollten. Diese Überlegungen trugen zur späteren Trennung von den RZ bei.
Als selbständige Frauengruppe in den RZ lebten wir von Anfang an mit dem Widerspruch, daß wir im öffentlichen Rahmen die politische Autonomie von Frauen für unverzichtbar hielten, uns innerhalb unserer klandestinen Organisierung aber mit Männern arrangierten – zwar als selbständige Gruppe, aber mit der Verbindlichkeit einer gemeinsamen Organisation.
Dafür gab es verschiedene Hintergründe: Wir konnten in diesem Zusammenhang auf bereits entwickelte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen; wir trauten uns keine eigene tragfähige Struktur zu, da wir so wenige militante Feministinnen waren. Außerdem waren die militanten Kräfte (Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre) innerhalb der Linken insgesamt so gering, daß wir meinten, Frauen und Männer müßten sich gegenseitig stärken.
Wir waren eng verbunden mit einer linken Geschichte und den entsprechenden Denkstrukturen und Handlungsmustern. In den Anfängen unserer militanten Frauenorganisierung gelang es uns noch sehr wenig, uns von diesen zu lösen und unsere Befreiungsvorstellungen und -wege auf feministisch-revolutionäre Füße zu stellen. Dafür gab und gibt es bis heute kein umfassendes Konzept. An diesem mitzustricken, haben wir uns seitdem vorgenommen.
Einige von uns hatten zudem die Illusion, daß in der existentiellen Verbundenheit des gemeinsamen Kampfes die Geschlechtergegensätze nicht so krass seien, die Radikalität „unserer“ Genossen sich auch in einer radikalen Infragestellung ihrer patriarchalen Identität ausdrücken müsse/könne; daß die Männer ihre Chance zur Erweiterung ihres Horizontes und Handlungsrahmens erkennen würden, indem sie sich an unserem feministischen Kampf orientierten. Diese Illusion wurde mit Sicherheit durch die heterosexuelle Orientierung der meisten Roten Zoras genährt.
Die zermürbenden, nie enden wollenden Streitereien, in denen wir begreiflich zu machen und durchzusetzen versuchten, daß Frauenkampf kein Teilbereichskampf sein kann, sondern daß die Befreiung vom Patriarchat grundlegend für jede Befreiung ist, und das Hinzukommen neuer FrauenLesben, die sich ganz bewußt in Frauenzusammenhängen organisieren wollten und nicht einsahen, warum wir irgendwelche Energien in Diskussionen mit Männern steckten, führten endgültig zur organisatorischen Trennung.
Erst in der Trennungsphase begriffen wir, daß nicht nur „unsere“ patriarchal denkenden und handelnden Männer in ihrer Unfähigkeit und Borniertheit eine fruchtbare Zusammenarbeit verhinderten, sondern daß autonome FrauenLesbenorganisierung für uns hier und heute – auch im militanten Kampf – eine grundsätzliche politische Notwendigkeit ist. Gemeinsame Organisierung mit Männern bindet nicht nur unsere Energien in der ständigen Auseinandersetzung um die Behauptung von FrauenLesbenpositionen, sondern sie bindet uns auch in von Männern gesetzte Diskussionsprozesse ein, bringt uns immer wieder auf das Gleis der Orientierung an männlichen Normen, die wir selbst oft tief verinnerlicht haben. Sie blockiert uns damit in unserem Denken und unserer Entwicklung und steht der Herausbildung einer revolutionär-feministischen Perspektive ständig im Wege.
Mit dieser klaren politischen und organisatorischen Trennung der Roten Zora von den RZ brachen wir mit der sonst von uns Frauen – um den Preis unserer Selbstverleugnung – wie selbstverständlich erwarteten Solidarität. Damit verweigerten wir uns der Vereinnahmung, die in der Behauptung liegt, Feminismus sei in ein linkes Konzept einzuordnen, was immer darauf hinausläuft, Frauenkampf einer „umfassenderen linken Zielsetzung“ unterzuordnen. Mit dieser völlig veränderten Voraussetzung und politischen Klarheit, die erstmal nicht von gemeinsamen Zielsetzungen ausgeht, sind punktuelle Bündnisse oder solidarische Verhältnisse mit Männern oder gemischten Gruppen nicht ausgeschlossen, werden so aber von uns bestimmt.
Unsere Entstehungsgeschichte ist nicht zu trennen von linken organisatorischen Vorgaben und vom politischen Klima der 70er Jahre, in denen die Befreiungsbewegungen und die Umwälzungen in der hiesigen Gesellschaft Hoffnungen auf gesellschaftliche Umbrüche greifbarer erscheinen ließen. Unsere damalige Verbundenheit mit den weltweiten revolutionären Kämpfen einerseits und mit der Frauenbewegung andererseits spiegelte sich in unserem widersprüchlichen Selbstverständnis: Sind wir eine Frauenbande, oder verstehen wir uns als Teil einer zukünftigen Frauenguerilla?
Diese beiden Pole – Orientierung auf ein Konzept von Frauenguerilla, die sich als Teil der antiimperialistischen Befreiungsbewegungen und Guerillagruppen versteht, und die Vorstellung, militanter Teil der Frauenbewegung sein und bleiben zu wollen, mit allen Beschränkungen, die das z.B. im Hinblick auf die logistischen Mittel und Möglichkeiten mit sich brachte – verkörperte sich in den verschiedenen politischen Selbstverständnissen einzelner Frauen (natürlich nicht in Reinform, sondern mehr als Schwerpunktsetzung). An diesen unterschiedlichen Ansprüchen konnten wir uns reiben, manchmal auch unfruchtbar streiten, konnten sie aber theoretisch nicht lösen. Es war gerade die Existenz zwischen diesen beiden Polen, die die Grundlage unseres Zusammenhalts und unserer Entwicklung als Rote Zora ausmachte. Praktisch durchgesetzt hat sich darin ein eigener Weg militanter Politik, der unsere Realität als Metropolenfrauen einbezieht, immer wieder hinterfragt und an der Suche nach einer Strategie von internationaler Frauenbefreiung festhält.
Einige von uns gingen Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre einen anderen politischen Weg in ihrem Kontakt zu einer internationalen Gruppierung, die sich dem palästinensischen Befreiungskampf zuordnete und am Aufbau bewaffneter Gruppen in Westeuropa interessiert war, begaben sie sich in große Widersprüche zu unserem feministischen Selbstverständnis, die dann zur Loslösung der Frauen aus unserem Zusammenhang führten. Dieser Prozeß wurde aus Gründen absoluter Geheimhaltung damals auch unter uns nicht offen gemacht und konnte so erst im Nachhinein zu unserer verspäteten Auseinandersetzung führen. (In diesem Papier erschient der Begriff Antiimperialismus als Ausdruck der Beschäftigung auch mit diesem Teil unserer Geschichte und unseres veränderten und noch nicht abgeschlossenen Verständnisses davon.) Die Konsequenzen aus den Kontakten waren Angelegenheit der einzelnen Frauen und hatten keinerlei Einfluß auf unsere Politik. Daß sich hinter dem Geheimhaltungsprinzip auch hierarchische und Macht-Strukturen verbargen, politische Entwicklungen nicht als politische Entscheidungen diskutiert wurden, ist uns erst seit Mitte der 80er Jahre deutlich geworden.
Weiter oben haben wir schon beschrieben, wie wir uns von Kleingruppen unterscheiden. Das Guerillakonzept ist insofern für uns heute keine Orientierung, als es darauf ausgerichtet ist, mit militärischen Formationen die Macht zu erobern. Wir wollen die patriarchale Macht nicht erobern, sondern zerstören. Machtübernahme, durchgesetzt und abgesichert mittels eigenständiger militärischer Formationen, kennen wir in der Geschichte nur als patriarchalen Herrschaftswechsel. Ebenso war und ist Machtabsicherung an Organe gebunden, die Herrschaft gegenüber den Unterdrückten gewaltsam und mit Waffen durchsetzen (können).
Militärische Bünde tragen bereits den Kern von Herrschaft in sich. Militärische Macht wird selbst dadurch nicht legitim, daß Menschen behaupten, sie zum Wohl anderer einzusetzen.
Militär ist von der Struktur her durch und durch patriarchal, ein zentraler Ort, an dem Männermacht und Unterwerfung in Reinform aufgebaut, Männeridentität und -herrschaft nach innen und außen gestärkt und praktiziert wird.
Macht ist für uns untrennbar mit Herrschaft verknüpft. Die patriarchale Herrschaft wollen wir bekämpfen, der Macht Grenzen setzen („Wir wollen die Macht zerstören“), uns durchsetzen/stärker werden und drücken das z.B. mit der Parole „Frauen an die Macht“ aus. An dem Punkt blenden wir aus, daß Macht (haben) eben auch immer Herrschaft (ausüben) bedeutet. Die sprachliche Gleichsetzung („Macht der Herrschenden“ – „Macht der Frauen“) ist einmal Ausdruck dafür, wie wenig genau von uns verwendete Begriffe inhaltlich gefüllt bzw. reflektiert sind. Darüber hinaus spiegelt sich darin unser Verhaftetsein in patriarchalen Denkmustern.
In Abgrenzung von herrschender Macht haben wir den Begriff „Gegenmacht“ benutzt, der den Kampf gegen die patriarchale Macht meint. Aber auch damit lösen wir uns letztlich nicht aus dem Denk- und Handlungsschema. Wir können nicht gleichzeitig Macht abschaffen und Macht erkämpfen, auch wenn wir weibliche Macht als anders, positiv begreifen: als Überwindung von Ohn-Macht. Auch dieser Machtbegriff ist einholbar von dem, was Macht in dieser Gesellschaft heißt, nämlich Herrschaft.
In vielen Befreiungsprozessen/-kämpfen hat sich gezeigt, daß Gegenmacht faktisch die Vertreibung der Mächtigen bedeutet, um sich selbst an die Stelle im Machtapparat zu setzen. Dabei werden Machtstrukturen nicht zerstört, eher neue Herrschaftsverhältnisse eingeführt, natürlich mit der Idee, die Macht zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen.[6]
Deshalb halten wir den Machtbegriff zur Beschreibung unserer Politik und Ziele für unbrauchbar. Das heißt in der Konsequenz, ihn nur noch in Bezug auf die (be-)herrschenden Verhältnisse anzuwenden. Wir wollen weder die Machtübernahme noch unsere Kräfte mit denen des Gegners auf seiner Ebene messen. Einen Frauenhändler anzugreifen, einen Vergewaltiger zu bestrafen, ein Forschungsinstitut zu zerstören ist nicht Ausdruck unserer Macht, sondern unseres Willens, die Macht zu begrenzen.
Diese prinzipiellen Überlegungen lösen aber nicht das Dilemma, daß wir zwar Machteroberung von uns weisen, aber Macht besitzen, d.h. an struktureller Macht teilhaben, die Weiße aufgrund ihrer ökonomischen, militärischen, sozialen und politischen Herrschaft auf dieser Welt durchgesetzt haben.
Auf diese Macht können wir nicht über eine Willensentscheidung verzichten. Unser einfacherer/gesicherterer Zugang zu Geld/Einkommensquellen, Arbeitsplätzen, sozialen Leistungen und Wohnungen kann nicht „abgelegt“ werden, denn er ist Ausdruck des gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses gegen die „anderen“; wir können/müssen aber bewußt damit umgehen. Ein Festhalten an unseren Privilegien macht uns zu Gegnerinnen der Befreiung.
Anfangen können wir schon damit, Schwarzen Frauen den Job oder den Wohnraum zu überlassen; ihnen unsere Strukturen und Mittel von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit zur Verfügung zu stellen; unsere sozialen Bedingungen im Sinne einer gemeinsamen Perspektive von Befreiung zu nutzen. Wichtig ist, uns nicht abspalten zu lassen von den Erfahrungen anderer Frauen. Das bedeutet, raus aus den FrauenLesben-Ghettos, in denen wir gesellschaftliche Realitäten nur dosiert und gefiltert wahrnehmen und uns deshalb zu Vielem nicht verhalten (müssen). Wir brauchen Kontakte zu anderen Frauen, um die gesellschaftlich gewollte Distanz und Abtrennung zwischen uns bewußt und selbstverständlich zu durchbrechen.
Nicht nur als machthabende, sondern auch als unterdrückte Frauen werden wir dem widersprüchlichen Umgang mit Macht nicht „entkommen“, weil z.B. kurzfristige Ziele oft nur unter Ausnutzung der bzw. dem Einlassen auf die patriarchalen Rahmenbedingungen zu erreichen sind.