MINUS - Jon Pan - E-Book

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Jon Pan

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Beschreibung

Violette Girold führt ein zurückgezogenes Leben. In der kleinen Weinhandlung, in der sie arbeitet, trifft sie auf den ruhigen und korrekten Buchhalter Mangold. Obwohl seit Jahren im Betrieb eine strenge Atmosphäre herrscht, kommt es eines Tages zu einem persönlichen Kontakt zwischen den beiden. Am nächsten Morgen wird sie von Mangold auf dem Weg zur Arbeit aufgehalten. Er wirkt seltsam und erzählt ihr, dass seine Ex-Frau gestern Nacht auf offener Strasse ermordet wurde. Und er bittet Violette, sie solle der Polizei erzählen, er wäre gestern bis Mitternacht bei ihr gewesen. Mangold war zwar bei ihr gewesen, doch keinesfalls bis Mitternacht. Das falsche Alibi ist der Anfang einer Entwicklung, die alptraumhafter nicht enden kann. Violette gerät in die skurrile Welt dieses Buchhalters, der in seiner krankhaften Manie ein System entwickelt hat, nach dem er ohne Rücksicht handelt und lebt. Violette muss dabei eine Entdeckung machen, die abstossender nicht sein kann …

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Jon Pan

MINUS

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Impressum

Kapitel 1

Als hätte er sich gegen sie verschworen, setzte pünktlich um vier Uhr nachmittags der Regen wieder ein. Violette Girold saß an ihrem Schreibtisch und beobachtete, wie sich die gegen das Fensterglas prallenden Tropfen zu Rinnsalen ausdehnten. Düsterheit trübte die menschenleere Seitenstraße ein. Heftiger schossen die kleinen Wasserkugeln vom Himmel, und der rauschende Klang des Unwetters drängte sich in die Stille des Büros.

Wie schon die ganze Woche – und heute war Donnerstag – hatte es immer gegen Feierabend hin zu regnen angefangen. Es schien wie eine unangenehme Verabredung mit jemandem, der es sich nicht nehmen ließ, Violette Girold mit kühler Nässe auf dem Nachhauseweg zu begleiten. Ob andere auch so sehr darunter litten, wusste sie nicht, aber sie fühlte sich zurzeit besonders einsam. Fast sehnsüchtig hatte sie die letzten Tage jeweils darauf gewartet, dass die Dunkelheit der anbrechenden Nacht die regnerische Trübe einschwärzte, auch wenn das Rauschen weiterhin zu hören war. Sie schlief bei diesem Geräusch dann schlecht ein, aber in der Hoffnung, beim Erwachen der Wärme der Sonne begegnen zu können.

Das Telefon klingelte.

»Weinhandlung Werenfels«, meldete sich Violette Girold. Das tat sie täglich viele Male, und meistens waren es Bestellungen, die sie entgegenzunehmen hatte. Auch diesmal war es so. Auf der vorgedruckten Liste schrieb sie mit flinker Hand die Posten mit, verabschiedete sich dann freundlich und legte auf.

Die Weinhandlung, in der sie seit bald drei Jahren arbeitete, war klein. Es gab insgesamt nur vier Mitarbeiter, den Fahrer des Lieferwagens mit einberechnet. Dazu kam der Inhaber, Herr Anton Werenfels, der seinen Betrieb selbst leitete.

Wieder das Telefon, diesmal intern: »Fräulein Girold, ist die Post schon weg«? Herr Werenfels persönlich wollte das wissen.

»Nein, Herr Werenfels«, antwortete sie. »Soll ich bei ihnen noch etwas abholen kommen«?

»Ja.« Er legte gleich auf. Das war seine Art und hatte nichts zu bedeuten.

Der ganze Betrieb wirkte altmodisch, die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Werenfels selbst war ein bald sechzigjähriger, strenger Mann, der immer denselben grauen Anzug trug. Eigentlich hatte er zwei davon, in derselben Farbe und Ausführung, damit ja niemand dachte, er würde sich mehrere Anzüge leisten können. Er war aber bestimmt nicht ohne Vermögen, denn das Geschäft lief seit Jahrzehnten gut.

Über einen mit Neonlicht beleuchteten, schmalen Gang kam man zur Tür des Chefs. Fast etwas schüchtern klopfte Violette an.

»Herein.« Die Tür war auf der Innenseite mit schwarzem Leder gepolstert und Werenfels sprach dieses »Herein« immer in normaler Stimmlage aus. Wenn es Violette Girold überhörte, so doppelte er nach und wiederholte laut: »Herein, habe ich gesagt!« So war es auch heute.

»Sie sind’s«, stellte Werenfels unnötigerweise fest, kaum stand Violette unter der halb offenen Tür. Er machte sich nicht die Mühe, sie anzuschauen, sondern blätterte in einem Ordner, den er auf seinem massiven Schreibtisch liegen hatte. Mit der Hand griff er nach einem Brief, der gegen den Sockel der antiken Schreiblampe angelehnt war, und streckte diesen mit noch immer abgewandtem Blick über die Tischplatte. Violette trat näher und nahm den Umschlag an sich.

»Herr Hardmeier soll sich, wenn er die Post erledigt hat, noch kurz bei mir melden«, murmelte Werenfels vor sich hin, doch es war für Violette bestimmt..

Hardmeier war der Fahrer, der mit dem Lieferwagen die Kundschaft belieferte.           Er musste auch zweimal täglich auf die Post fahren, um Pakete zu bringen, die auf diese Weise versendet wurden – immer kurz vor zwölf und kurz vor Feierabend.

»Ich werde es ihm ausrichten«, sagte Violette und verließ das Büro ihres Chefs.

Die Weinhandlung befand sich in einem alten Haus, das Werenfels selbst gehörte und in dessen oberen Stockwerke er drei Wohnungen vermietet hatte. Der Lagerraum war nachträglich hinter dem Haus angebaut worden, über eine schmale Zufahrt zwischen Straße und Hinterhof erreichbar, wo der Lieferwagen an der Rampe ein- und ausgeladen werden konnte.

Die Böden in den Büros waren alle aus Holz und knarrten beim darüber gehen, ebenso war das Mobiliar – Schreibtische, Aktenschränke, Stühle – aus massivem Holz, schwerfällige Stücke, die längst über der Zeit waren. Selbst die Telefonapparate waren seit Jahrzehnten nicht erneuert worden, denn wo gab es diese schwarzen, klobigen Dinger denn noch! Und die überall an den Decken angebrachten Neonlampen wirkten irgendwie fehl am Platz.

Violette ging an der Tür des Buchhalters vorbei. Hermann Mangold hieß der Mann, der schon seit bald dreißig Jahren für die Weinhandlung arbeitete. Er hatte sogar seine Lehrzeit bei Werenfels absolviert und war der Firma seitdem treu geblieben. Mangold war als sehr korrekt bekannt.

Mit einem Blick durchs Fenster am Ende des Gangs vergewisserte sich Violette, ob der Lieferwagen schon an der Rampe stand. Doch nur die Regentropfen tanzten auf der Plattform aus Beton herum, die etwas Unverbrauchtes an sich hatte und vermutlich vor noch nicht so langer Zeit neu angebaut worden sein musste.

Ein leichtes Frösteln durchfuhr Violette, sie rieb sich beidseitig mit den Handinnenflächen die Oberarme, was etwas Wärme erzeugte. Dann drehte sie sich um und ging mit schnellen Schritten in ihr Büro zurück, das sich vorne neben dem Haupteingang des Hauses befand.

Das Telefon klingelte, und sie nahm noch eine Bestellung entgegen, die sie zu den anderen des Nachmittags legte. Ihre Aufgabe war es dann, die Lieferscheine zu tippen und diese zweimal täglich ins Lager zu geben, wo Herr Brenner, der dort arbeitete, die entsprechende Ware bereit stellte.

Die Tür ging ruckartig auf, und Hardmeier, der Fahrer, kam herein. Er steuerte auf die Ablage zu, wo sich die Briefpost befand, und nahm den Stapel Umschläge in seine große Hand.

»Sie sollen sich noch beim Chef melden«, sagte Violette Girold.

»Scheißregen!«, fluchte Hardmeier, ohne auf Violettes Worte einzugehen. »Ist das alles«?, fragte er stattdessen und hielt die Umschläge hoch

»Ja«, kam die Antwort.

Hardmeier hatte die Gewohnheit, die Tür hinter sich offen zu lassen. Violette ärgerte sich jedes Mal darüber. Gerade bei diesem Wetter musste die Wärme in den Räumen bleiben, denn Werenfels heizte nur, wenn es unbedingt nötig war – also an besonders kalten Wintertagen

»Schließen Sie doch bitte die Tür, Herr Hardmeier!«, verlangte Violette. »Sie wissen doch, wie schnell die Räume hier kalt werden!«

Hardmeier war etwa dreißig, ein breitschultriger, großer Mann. Sein Blick musterte Violette manchmal von oben bis unten, was sie jedes Mal peinlich berührte. Auch nun schaute er wieder so, was er noch mit den Worten »Dabei sind Sie doch immer bis obenhin zugeknöpft!« unterstrich. Er benahm sich ihr gegenüber seltsam. Schon wenige Tage, nachdem Violette in der Weinhandlung neu angefangen hatte, startete er seinen ersten, plumpen Annäherungsversuch. Ob sie nicht mal Zeit hätte, am Abend, er wolle ihr mal die Stadt zeigen. Natürlich ließ sie ihn abblitzen. Er war absolut nicht ihr Typ, dazu kam, dass sie sich schon seit Jahren nicht mehr mit einem Mann eingelassen hatte. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass eine Frau wie sie in Hardmeiers Beuteschema passte! Wie sie nur wenig später erfuhr, lebte er mit einer Frau zusammen. Aber Hardmeier gab nicht auf, nutze jede Gelegenheit, um einen anzüglichen Spruch zu platzieren.

»Gehen Sie jetzt auf die Post«, sagte Violette mit abgewandtem Gesicht.

Hardmeier zog demonstrativ die Tür zu.

Nein, sie mochte ihn nicht. Da war ihr Herr Mangold, der Buchhalter, schon angenehmer. Sie begriff manchmal nicht, warum sie in dieser Firma arbeitete. Hatte es mit ihrem schwachen Selbstbewusstsein zu tun? Sie ertappte sich manchmal dabei, wie ihr die Atmosphäre hier gefiel, wie sie ihr so etwas wie Schutz verlieh. Es gab nicht diesen Neid und dieses Geschwätz wie in anderen Firmen.

Draußen kündete sich nächtliche Dunkelheit an. Und noch immer Regen, also wieder ein unangenehmer Nachhauseweg. Einen Wagen besaß sie nicht. Werenfels und Hardmeier waren die einzigen in der Weinhandlung, die ein solches Fahrzeug hatten.

Herr Brenner, der Lagerist, musste um die fünfzig Jahre alt sein. Auch er arbeitete schon lange für Werenfels, und Violette hatte das Gefühl, als würde ihn das schlechte Klima des Lagerraums – insbesondere während des Winters – eines Tages zum Invaliden machen. Oft hustete er laut und bronchial, oder er ging gebückt, als trüge er unter Schmerzen eine Last. Er sprach selten, nur bei Unklarheiten wegen den Bestellungen. Mit Hardmeier schien er sich nicht gut zu verstehen, da dieser ihn dauernd herum kommandierte.

Noch zehn Minuten bis Feierabend. Es konnte gut möglich sein, dass Werenfels Violette wegen irgendeiner Arbeit noch zu sich rief. Er selbst saß jeden Abend länger in der Firma und achtet deshalb oft nicht darauf, wie spät es überhaupt war. Einmal hatte sich Violette deswegen eine Bemerkung erlaubt, aber keinerlei Reaktion oder gar Entschuldigung darauf erhalten

Die letzten Minuten wartete sie geradezu ab. Sie saß untätig am Schreibtisch und hoffte, dass das Telefon nun nicht mehr klingeln würde. Hardmeiers polternde Schritte waren zu hören. Er kam von der Post zurück.

Noch drei Minuten!

Die Tür schnellte auf. »Was ist mit dem Chef?«, fragte die tiefe Stimme des Fahrens. »Was will er noch von mir? Es ist Feierabend!«

Hatte sie es ihm nicht ausdrücklich gesagt! Da strömte wieder kühle Luft durch die offenstehende Tür! Violette Girold drehte sich auf dem Stuhl um. Schon traf sie Hardmeiers Blick. Was wollte er?

»Zum Chef soll ich gehen, was?«

»Ja! Und nun verschwinden Sie schon!«, reagierte Violette leicht verärgert.

Er lachte mit breitem Mund und zog sich die Tür vor dem Gesicht langsam zu, wobei er bis zum Schluss durch den immer schmäler werdenden Spalt schaute.

Violette erhob sich, holte die Handtasche aus der untersten Schublade, den Mantel vom Wandhaken. Dann überprüfte sie die Ordnung im ganzen Raum, befand sie als gut, ging zur Tür, drehte sich dort nochmals um, bevor sie das Licht löschte und auf den Gang hinaus trat. Sofort fixierte sie die Tür des Chefs, Das tat sie jeden Abend, als befürchte sie, er könnte sie doch noch plötzlich zu sich rufen.

Gleich neben den Ausgang gab es einen blechernen Kübel, der als Schirmständer diente. Violette Girold griff nach ihrem dunkelroten Damenschirm, der zwischen zwei schwarzen, alten Dingern stand, die hellbraune, groß geschwungene Holzgriffe hatten. Dann trat sie hinaus unter das Vordach.

Links plätscherte ein dicker Wasserstrahl hinunter, der für Violettes Ohren ein fast unanständiges Geräusch machte. Sie schaute in die vom Himmel stürzenden Wasserdrähte, die das Bild der schon bald nächtlichen Straße schraffierten. Ein Windstoß fuhr dazwischen und brachte die Gleichmäßigkeit des Regens durcheinander. Violette machte wieder einen Schritt näher an die Tür heran, die hinter ihrem Rücken schon ins Schloss geschnappt war. Kein Mensch war sonst zu sehen. Weiter vorne gab es noch eine Firma, eine kleine Fabrik, die Lampen herstellte.

Sie hatte gerade den Entschluss gefasst, nun den Schirm aufzuspannen und loszugehen, als sie das Geräusch der sich öffnenden Tür hinter sich vernahm. Sie trat ein wenig zur Seite.

»Was ist, sind Sie wasserscheu!« Es war unverkennbar Hardmeier, der, ohne eine Sekunde zu zögern, in seiner braunen Manchesterjacke hinaus in den strömenden Regen sprang und zu seinem Wagen rannte, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkiert war. Dort angekommen, rief er ihr zu: »Ich nehm Sie mit. Im Wagen ist es trocken und warm!«

Nein, sie würde nie zu ihm in den Wagen steigen! Er hatte es ihr ja schon einige Male angeboten, doch sie wollte nicht.

»Kommen Sie schon«, ließ Hardmeier nicht locker.

»Nein«, rief sie zurück.

Er lachte, wobei sein gekraustes, dunkles Haar schon ganz verregnet war. »Dann eben nicht.« Er winkte mit einer schwungvollen Armbewegung ab und zeigte dabei seine weißen Zähne.

Schon wieder ging die Tür in Violettes Rücken auf.

»Es regnet schon wieder«, stellte eine ruhige Stimme fest.

Violette drehte den Kopf etwas zur Seite und schaute in das Gesicht von Mangold, dem Buchhalter.

»Das kann man sagen«, bestätigte sie. »Und ausgerechnet immer dann, wenn wir Feierabend haben!«

Hardmeier startete den Motor seines alten BMW's und fuhr rasant davon.

»Nun muss ich los«, meinte Violette, »sonst stehe ich morgen früh noch da.« Sie spannte den Schirm auf.

Hermann Mangold musste bis zur Busstation in dieselbe Richtung gehen. Es kam aber selten vor, dass sich die beiden beim Weggehen trafen, da Mangold meistens länger arbeitete.

Violette war in den Regen hinausgetreten, schritt los, innerlich irgendwie darauf wartend, dass Mangold nach kam. Doch er blieb bei der Tür stehen. Möglicherweise wollte er nicht als aufdringlich empfunden werden. Violette wusste, dass er geschieden war, ein netter Mann, wie sie fand, vermutlich auch einsam. Das versteckte er jedoch hinter seine Korrektheit, mit der er wenig bis gar keine Gefühle zum Ausdruck brachte

Violette wusstet, was Einsamkeit bedeutete. Dabei war sie erst achtundzwanzig Jahre alt, eigentlich im besten Alter! Aber mit den Männern hatte es nie geklappt.

Mangolds Schritte waren nun zu hören. Er kam also doch. Es passte zu ihm, dass er gewartet hatte. Aber es wäre doch nichts dabei gewesen, hätte er sie begleitet! Violette ertappte sich dabei, wie sie ihre Schritte verlangsamte. Vielleicht wollte sie nur heraus finden, was Mangold jetzt tun würde. Wie nass ihre Beine schon waren, wie kalt und feucht sich alles anfühlte! Nein, sie wollte wieder schneller voran kommen, denn da vorne war bereits die Bushaltestelle.

Die Tropfen prasselten auf das gespannte Schirmtuch. Ein Mann mit hochgeschlagenem Mantelkragen kam ihr entgegen, den Kopf geduckt. Strähniges Haar hing ihm ins Gesicht. Dass es Leute gab, die bei diesem Unwetter ohne Schirm gehen konnten, verstand Violette nicht.

Mangold musste sich dicht hinter ihr befinden. Warum drehte sie nicht den Kopf und schaute nach ihm? Bei der Bushaltestelle standen noch zwei Männer, eng unter ihre Regenschirme geduckt.

Plötzlich blieb Violette stehen, wandte sich kurz Mangold zu und sagte: »Also dann, bis morgen«, und ging mit schnellen, entschlossenen Schritten weiter. Sie nahm selten den Bus, denn sie hatte es nicht mehr weit bis nach Hause.

Als Violette in ihrer kleinen Wohnung ankam, nahm sie sofort ein heißes Bad. Fröstelnd setzte sie sich ins schaumige Wasser, das nach und nach ihren Körper wärmte. Wie sie so in der Wanne lag, befiel sie eine bleierne Müdigkeit. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und sich dem Schlaf übergeben. Doch das war ihr zu gefährlich, denn sie hatte schon davon gehört, dass Menschen auf diese Weise ums Leben gekommen waren. Und davor hatte sie Angst. Also riss sie sich zusammen, richtete ihren Oberkörper steif auf und begann damit, sich einzuseifen und zu waschen.

Es war wieder ein Abend wie jeder andere! Hunger hatte sie keinen, und doch musste sie etwas essen. Sie setzte Wasser für einen Tee auf, holte die Butter und Marmelade aus dem Küchenschrank, schnitt sich eine dünne Scheibe Brot ab, legte diese auf einen Teller und wartete am Tisch sitzend, bis das Wasser kochte.

Einen Moment lang dachte sie daran, ihre Mutter anzurufen, doch das siedende Wasser lenkte sie davon ab. Also trank sie erst einmal zwei Tassen heißen Tee und aß die Scheibe Brot, die sie dünn mit Butter und Marmelade bestrichen hatte.

Violette musste an Mangold denken. Wie zurückhaltend er sich immer benahm! Im Gegensatz zu Hardmeier! Ja, Hardmeier – wollte der wirklich etwas von ihr? Er hatte doch eine Freundin, lebte sogar mit ihr zusammen. Und dieser Mangold war schon ein eigenartiger Mann. Den ganzen Tag verschanzte er sich in seinem Büro, man sah ihn selten, außer wenn er mal schnell zu Werenfels ging. Über persönliche Dinge schwieg er sich aus. Überhaupt tat das in der Weinhandlung jeder. Vielleicht mit Ausnahme von Hardmeier. Aber darauf würde sich Violette wiederum nicht einlassen.

Sie wusch Teller und Tasse ab, schnürte sich den Bademantel enger, trat ans Fenster und schaute in die regnerische Nacht hinaus. Als müsste sie plötzlich dringend irgendwo hin, verließ sie die Küche und griff zum Telefon.

Kaum vernahm sie die Stimme ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung, kam sie sich noch einsamer vor. Und als sie wenig später den Hörer auflegte, war es kaum mehr zum Aushalten.

Kapitel 2

Am nächsten Tag lag Werenfels im Spital. Soweit Violette es mitbekommen hatte, musste er zu Hause die Treppe hinunter gestürzt sein und sich dabei eine Rückenverletzung zugezogen haben. Gleich am frühen Morgen herrschte Ratlosigkeit in der Weinhandlung, doch Buchhalter Mangold forderte alle auf, mit der Arbeit wie üblich weiter zu machen.

»Jetzt spielt sich der Zahlenkrämer Mangold wohl als neuer Chef auf!«, bemerkte Hardmeier, als er kurz vor zwölf Uhr die Post in Violettes Büro holen kam. »Aber das mache ich nicht mit!«, garantierte er, »denn von dem lasse ich mir nichts vorschreiben!«

Violette reagierte nicht darauf.

»Es ist doch so, oder«? Hardmeier blieb dicht vor ihrem Schreibtisch stehen und schaute sie fragend an.

»Herr Werenfels wird vermutlich bald wieder da sein«, sagte sie dann, obwohl sie das ja nicht wusste.

»Meinen Sie«? Er hatte noch immer denselben, fragenden Ausdruck im Gesicht. »Da wäre ich mir aber nicht so sicher!«

»Das ist ja auch nicht ihr Problem, Herr Hardmeier!«, erwiderte Violett ohne ihn dabei anzuschauen.

»Warum sind Sie eigentlich immer so unfreundlich zu mir?«, wollte Hardmeier wissen. »Man könnte direkt meinen, Sie hätten etwas gegen mich.«

Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu.

»In dieser Bruchbude hier gibt es niemanden, mit dem man ein anständiges Wort wechseln kann!«, regte er sich auf. »Dabei sind Sie die einzige, von der ich annehme, dass sie im Grunde schon in Ordnung sind!«

Das Telefon klingelte. Violette nahm den Anruf entgegen, notierte eine Bestellung, legte wieder auf.

Hardmeier war die ganze Zeit vor dem Schreibtisch stehen geblieben und wartete darauf, dass ihm Violette auf sein Kompliment – wie er das vermutlich auffasste – reagierte.

»Die Post schließt in zehn Minuten«, sagte sie nur. »Ich würde mich also langsam auf den Weg machen!«

»Na dann – keine Antwort ist auch eine Antwort!« Er lachte kurz und etwas zu laut, holte dann die Briefe von der Ablage und verließ das Büro.

Diesmal hatte er wenigstens die Tür nicht offen gelassen. Aber sein Benehmen wirkte heute besonders locker. Vermutlich gefiel es ihm, dass Werenfels nicht anwesend war, für die nächste Zeit vermutlich nicht anwesend sein konnte.

Über die Mittagszeit blieb Violette immer in ihrem Büro. Mangold aß auch etwas in seinem Büro, kam überhaupt nie raus. Hardmeier und Brenner besuchten – trotz ihres nicht gerade guten Verhältnisses – zusammen meistens ein Restaurant, das sich gleich in der Nähe befand.

Der Regen hatte – wie schon gewohnt – tagsüber aufgehört. Diesmal sah der Himmel allerdings nicht mehr so dunkel aus.

Violette holte einen Apfel aus ihrer Handtasche, setzte sich auf dem hölzernen Stuhl gerade hin, legte eine Papierserviette auf einem freien Stück der Schreibtischfläche aus, und begann damit, die Frucht mit einem kleinen Küchenmesser zu schälen.

Gewöhnlich machte sie eine Stunde Mittagspause, wobei sie im Sommer manchmal nach hinten zur Laderampe ging, weil die Sonne dort an warmen Tagen den Stein aufwärmte.

Die Tür hinter Violette wurde so leise geöffnet, dass sie es zuerst gar nicht bemerkte. Dann erschrak sie, drehte sich ruckartig um und entdeckte Mangold, der sein blasses Gesicht vorsichtig hereinstreckte. »Darf ich Sie kurz stören?«, fragte er leise.

»Natürlich«, antwortete Violette und bemühte sich, die Serviette mit der Apfelschale wegzuräumen. Sie warf diesen Abfall nie in den Papierkorb, sondern hinten im Flur gab es einen Abstellraum, wo sich ein blecherner Mistkübel befand. Etwas unbeholfen, die beutelartig geformte Serviette in der Hand, erhob sich Violette und blieb neben dem Stuhl stehen.

»Es wird einen Monat oder gar länger dauern, bis hier alles wieder wie früher ist«, fing Mangold an, wobei er einen Schritt von der Tür weg in den Raum hinein machte. »Sie wissen doch, wegen Herrn Werenfels Unfall. Vorher kann er unmöglich entlassen werden, sagen die Ärzte, zumindest hat es mir seine Frau am Telefon so mitgeteilt.«

»Das ist schlimm«, bemerkte Violette mit teilnahmsvollem Gesicht. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie wenig Mitgefühl mit ihrem nicht gerade freundlichen Chef.

»Und in der Zwischenzeit muss es hier trotzdem weitergehen«, erklärte Mangold in seinem ruhigen Ton, »was wir sicher schaffen werden.«

»Natürlich«, bestätigte Violette.

»Und da ich am längsten für die Firma tätig bin, möchte Herr Werenfels, dass ich in der Zeit seiner Abwesenheit – nun ja, Sie wissen schon. Er hat mich damit beauftragt, als sein Stellvertreter nach dem Rechten zu sehen.«

»Das finde ich gut.« Sie lächelte zurückhaltend.

»Sollte es irgendwelche Probleme geben, dann wenden Sie sich an mich, Frau Girod.«

»Ja, das werde ich tun.«

Mangold wandte sich wieder der Tür zu.

»Und die Post, die an Herrn Werenfels persönlich adressiert ist, soll ich die jeweils ihnen übergeben?«, fragte Violette.

Mangold blieb unter der Tür stehen, drehte sich etwas steif um. Seine ganze Erscheinung wirkte abgespannt. Mit der Hand griff er nach seiner Stirn, fuhr streichelnd den Haaransatz entlang, als suche er dort eine Unebenheit. »Nein, die können Sie wie üblich in das Büro des Chefs legen«, antwortete er dann.

Violette nickte.

»Dann will ich wieder an die Arbeit gehen«, sagte Mangold, und schon war er draußen.

Violette wartete bis sich der Buchhalter in seinem Büro befand, dann eilte sie in den Abstellraum am Ende des Flurs und warf dort die Papierserviette in den Abfalleimer. Kaum saß sie wieder an ihrem Schreibtisch, als Hardmeier und Brenner vom Mittagessen zurückkamen. Hardmeier betrat Violettes Büro, schloss sogar die Tür hinter sich, um sich dann in recht lässiger Haltung auf die Ecke des Schreibtischs zu setzen. Es war das erste Mal, dass ihn Violette so erlebte. Die Abwesenheit des Chefs schien ihm Mut zu machen.

»Sehen Sie, ich habe mir das mit dem Türeschließen zu Herzen genommen«, sagte er mit gespieltem Stolz. »Aber ich frage mich, warum Sie über die Mittagszeit immer in diesem engen Büro bleiben?« Er konnte ein breites Grinsen nicht verkneifen.

»Mir gefällt es«, antwortete sie.

»Sie könnten doch mit uns essen kommen«, schlug er vor. »Mal raus aus der muffigen Bude!«

Violette passte es gar nicht, wie er auf ihrem Schreibtisch saß. „Können Sie sich nicht benehmen!«, sagte sie. »Stehen Sie bitte auf!«

»Wie meine Mutter!«, bemerkte er und blieb sitzen. »Dabei sind Sie doch noch jung, mein Fräulein! Also etwas lockerer, wenn ich bitten darf!«

Violette spürte, dass er sie provozieren wollte. Werenfels Abwesenheit schien für den Fahrer das Signal dafür zu sein, sich nicht mehr so wie bisher benehmen zu müssen. Aber auch wenn sich Violette dadurch ein wenig verunsichern ließ, beeindrucken konnte er sie damit bestimmt nicht.

»Machen Sie sich an die Arbeit«, sagte sie. »Ich habe heute Morgen einen ganzen Stapel Lieferscheine zu Herrn Brenner gebracht. Die Kundschaft muss rechtzeitig beliefert werden, auch wenn der Chef im Krankenhaus liegt.«

»Eine treu ergebene Mitarbeiterin, was!«, spöttelte Hardmeier. »Der alte Geizkragen muss ihnen ganz schön ans Herz gewachsen sein!«

»Ich erledige nur meine Arbeit«, konterte sie.

Der Fahrer rutschte vom Schreibtisch. »Ich werde mich sowieso nach einem neuen Job umsehen«, sagte er. »In dem Laden hier ist nichts los! Sogar das Radio für den Lieferwagen musste ich aus eigener Tasche bezahlen.«

Violette schaute kurz auf ihre Armbanduhr. »Es ist halb zwei«, sagte sie vorwurfsvoll.

Er schritt auf und ab. Violette fand sein Benehmen lächerlich. Hardmeier blieb bei der Briefablage stehen, obwohl es dort um diese Zeit keine Post zu holen gab. Er trommelte mit den Fingern gegen die hölzerne Unterlage. Dabei starrte er Violette an. Sie fand ihn in dieser Haltung abstoßend.

»Die Kundschaft wartet«, ermahnte sie ihn.

»Das läuft schon«, meinte er. »Da müssen Sie sich keine Sorgen machen! Aber was mich vielmehr interessiert, ist ihr abweisendes Verhalten mir gegenüber. Es beschäftigt mich. Habe ich ihnen etwas getan? Erklären Sie mir das doch!«

Violette wurde es peinlich. Sie senkte den Kopf, holte die Bestellformulare zu sich heran, überlegte, ob sie nicht mit dem Schreiben der Rechnungen anfangen sollte und hoffte, dass das Telefon klingeln würde.

»Wir könnten doch wirklich mal zusammen ausgehen«, schlug er dann vor. »Ganz seriös und anständig, versteht sich!«

Sie konnte hören, wie er auf ihren Schreibtisch zu kam. Ihr Kopf schoss hoch. »Was fällt ihnen ein!«, reagierte sie gereizt. »Gehen Sie endlich an ihre Arbeit!«

Er grinste übers ganze Gesicht, richtete seinen Oberkörper auf, wobei sich seine Muskeln als Wölbungen unter dem gespannten Hemd abzeichneten. Nun lehnte er sich sogar vor, stützte sich mit seinen großen Händen auf der Schreibtischplatte ab, wobei sein Kopf eine gewisse Grenze durchstieß und bei Violette das Gefühl von Bedrängung auslöste. Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Nun verschwinden Sie endlich aus meinem Büro!«, befahl sie in einer Lautstärke, die sie an sich gar nicht kannte. Dabei wich sie zurück und spürte die harte Lehne des Stuhls im Rücken.

Hardmeier blieb in derselben, vorgebeugten Haltung stehen und fragte mit leicht abschätziger Stimme: »Warum so aufgeregt? Ich vergreife mich schon nicht an ihnen!«

Welche Erlösung – das Telefon klingelte! Und es schien, als würde dieses Geräusch Hardmeier zur Besinnung bringen, jedenfalls nahm er wieder eine aufrechte Körperhaltung ein und distanzierte sich aus der für Violette als so unangenehm empfundenen Nähe.

Frau Werenfels, die Gattin des Chefs, war am Apparat. Sie wünschte Mangold zu sprechen. Violette verabschiedete sich höflicher als sonst und stellte die Verbindung mit dem Buchhalter her.

»Nun mischt sich die auch noch ein, was!«, kommentierte Hardmeier den Anruf.

Violette legte langsam den Hörer zurück. Warum ging der Fahrer nicht endlich! Er hatte hier nichts mehr zu suchen. Sie fing damit an, Lieferscheine zu schreiben.

»Ich warte«, sagte Hardmeier.

»Und ich arbeite«, erwiderte sie ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Gab er nun endlich auf? Sie schrieb weiter, als wäre er nicht da. Es tat ihr gut, ihn so zu ignorieren. Etwas wie Stärke kam in ihr auf. Nun würde er gehen müssen!

Die Tür wurde geöffnet. Violette spürte, wie Hardmeier sofort eine andere Haltung annahm. Sie selbst hob langsam den Kopf und entdeckte den Buchhalter, der das Büro betrat und auch gleich zur Seite ging, weil er vermutlich annahm, dass der Fahrer sich nur für einen kurzen Botendienst hier befand und den Raum gleich verlassen würde. Doch Hardmeier blieb neben dem Schreibtisch stehen. Für Sekunden entstand eine schwebende, unschlüssige Stimmung.

»Bitte entschuldigen Sie die Störung«, brach Mangold das kurze Schweigen, wobei er sehr leise sprach und sich dabei ausschließlich an Violette wandte. »Ich möchte ihnen mitteilen, dass Sie auch die Post für Herrn Werenfels direkt an mich weiterleiten sollen.« Danach blickte er zu Hardmeier, der erstaunlicherweise noch immer da stand und sogar mit interessiertem Gesicht zuhörte.

»In Ordnung«, sagte Violette und tippte weiter.

»Gibt es Probleme?«, wandte sich Mangold dann an den Fahrer.

»Probleme?«, wiederholte der. »Brenner macht hinten die Lieferung fertig, aber Probleme gibt es keine.«

»Ich benötige Sie nun nicht mehr, Herr Hardmeier«, mischte sich Violette ein. Sie fand das sehr geschickt, denn nun musste er das Büro verlassen!

Hardmeier schritt durch die Tür, die er, diesmal bestimmt absichtlich, offen ließ.

»Was hat Herr Hardmeier denn um diese Zeit in ihrem Büro zu suchen?«, wollte der Buchhalter wissen.

»Vielleicht hat er etwas gesucht«, antwortete sie.

»Bitte, Fräulein Girold«, sagte Mangold noch immer sehr leise, trat aber einen Schritt näher. »Ich will mich nicht einmischen, aber Sie wissen, dass der Chef die privaten und die geschäftlichen Angelegenheiten gerne getrennt sieht.«

Nun schaute Violette ihn direkt an, doch er wich ihren Augen aus. »Was meinen Sie damit?«, fragte sie.

»Ich wollte Sie nur daran erinnern – jetzt, wo der Chef nicht im Hause ist«, erwiderte er, drehte sich in seiner steifen Art um und verließ das Büro.

Was war hier los? Violette spürte, dass sich seit dem Morgen etwas verändert hatte. Nur mühsam konnte sie wieder in ihre Arbeit zurückfinden.

Kurz vor drei Uhr polterte es draußen im Flur. Jemand hatte die Eingangstür aufgestoßen und – vermutlich durch das Hantieren mit einem Regenschirm – den blechernen Kübel, der als Schirmständer diente, umgeworfen. Einige undeutliche Worte folgten, aus denen Verärgerung herauszuhören war. Dann klopfte es an die Bürotür, die, bevor Violette etwas sagen konnte, geöffnet wurde.

Es war Frau Werenfels, die, in einem schwarzen Pelzmantel und Entschlossenheit im Gesicht, den Raum betrat. Auf dem Kopf trug sie eine Mütze, die aus dem gleichen Pelz wie der Mantel gefertigt war, ein breites, rundes Ding, unter dem streng frisiertes, nicht sehr langes, graues Haar hervorschaute. Etwas außer Atem holte sie mit dem Arm zu einer dominanten Geste aus. »Was ist denn das für eine Unordnung bei den Regenschirmen draußen!«, fing sie mit krächzender Stimme an. »Sehen Sie nur!«, fuhr sie fort und hob dazu ihren blauen Regenschirm in die Luft. »Wo soll ich den nun ablegen?«

»Guten Tag, Frau Werenfels«, begrüßte Violette die Frau freundlich, erhob sich von ihrem Stuhl, um ihr behilflich zu sein.»Machen Sie mal Ordnung in diesem Schirmständer«, wurde Violette von ihr weiter angefahren. »Und nehmen Sie mir endlich den Schirm ab!« Mit nervösem Blick schaute sie sich um und schenkte Violette keine Beachtung, als die ihr vorsichtig den Regenschirm abnahm.

»Wohin gehen Sie damit?«, rief ihr Frau Werenfels nach, als Violette das Büro verlassen wollte.

»Ich schaue nach, ob es im Schirmständer nicht doch einen Platz gibt.«

»Das habe ich selber schon versucht.« Frau Werenfels schüttelte verständnislos den Kopf. »Kaum ist mein Mann nicht hier, geht es mit der Unordnung los!«

Violette trat trotzdem in den Flur hinaus. Der blecherne Kübel lag auf dem Boden. Wenn er auch nicht groß war, so gab es dennoch Platz für einen weiteren Schirm. Sie hob den Kübel auf, stellte ihn wieder neben die Tür und stellt den Schirm von Frau Werenfels sorgfältig hinein.

Kaum befand sich Violette wieder im Büro, sagte Frau Werenfels: »Nur die Büroangestellten dürfen ihre Schirme dort abstellen. Die Lagerarbeiter haben bei sich genügend Platz.«

Violette nickte nur und wollte sich an ihren Schreibtisch setzen.

»Und mein Mantel?«, fragte die Frau des Chefs. »Denken Sie, ich werde hier einfach so stehen bleiben! Nun helfen Sie mir schon!«