Der Plethora-Effekt - Jon Pan - E-Book

Der Plethora-Effekt E-Book

Jon Pan

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Beschreibung

Rupert Dill, ein nicht gerade erfolgreicher Erdenbürger, wird in einer warmen Augustnacht während des Liebesakt mit einer Frau von seltsamen Wesen entführt. Nach einer langen Reise in einem seltsamen Flugobjekt aus weissem, porösem Stein, das durch den Klang einer großen Saite angetrieben wird, landet er auf einem nicht weniger seltsamen Planeten. Die ganze Zeit hatten ihn aber diese menschenähnlichen Wesen, von denen zwölf in dem Objekt mitflogen, nicht mehr beachtet. Auf dem fremden Planeten trifft Dill andere Menschen, offenbar alle in ähnlichen Situationen entführt, aber auch auf einige fast schon fanatische Gläubige, die während religiösen Tätigkeiten weggeholt wurden. Doch keiner dieser Menschen wird von den Wesen, die den Planeten bevölkern, beachtet, als gäbe es sie alle nicht. Was ist also der Sinn der Entführungen an diesen eigenartigen Ort? Es beginnt eine Odyssee, bei der Rupert Dill die eigenartigsten Erfahrungen macht und dabei mehr und mehr einem Geheimnis auf die Spur kommt – einem ungeheuren Geheimnis, das einen nicht weniger ungeheuren Plan gegen die Menschheit in sich birgt! "Wehe, wenn sie euch den schützenden Mantel der Tabus wegsprengen und die Lava der Triebhaftigkeit unter ihren missionarischen Blicken fließt! Die Sprengkraft der Lust wird der größte Overkill sein. Nicht der Overkill, der das Leben an sich auslöscht, sondern ein Overkill, der in einer rasenden Attacke alles oberhalb der Instinktgrenze zerfressen wird und die Zivilisation zu einem orgiastischen Magma zusammen schweißt. Sie werden kommen! Oder wie Juan Elmo Mosconi sagt: ›Das All ist überall!" [Rupert Dill]

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Jon Pan

Der Plethora-Effekt

Das Geheimnis

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1 - Augustnacht

Kapitel 2 - Unterwegs

Kapitel 3 - Anderswo

Kapitel 4 - Xenia

Kapitel 5 - Eindrücke

Kapitel 6 - Palm

Kapitel 7 - Liebe?

Kapitel 8 - Allgemeinwissen

Kapitel 9 - Entdeckungen

Kapitel 10 - Territorium

Kapitel 11 - Chiffren

Kapitel 12 - Studien

Kapitel 13 - Erkenntnisse

Kapitel 14 - Zusammenhänge

Kapitel 15 - Verrat

Epilog

Impressum

Prolog

»Im Grunde vermehrt sich jede lebende Einheit. Wenn sie dabei den plethorischen Zustand erreicht, kann sie sich teilen, aber das Wachstum (die Plethora) ist die Bedingung für die Teilung, die wir in der Welt der Lebewesen Fortpflanzung nennen.«

[Georges Bataille/Der heilige Eros]

»Verstehen Sie, Herr Thebesius. Ich zweifle am Sinn solcher Liebe, wenn sie unsere Gesichter auch nur im Geringsten verunstaltet durch eine Einsamkeit, die gerade im Moment der Lust entsteht. Eigentlich sollten wir uns doch klarer, deutlicher und besser erkennen in einem solchen Augenblick. Ist das nicht der Sinn jenes biblischen Ausdrucks ›und sie erkannten sich?‹«

[Der Dichter Johann Christian Günther in H. Boetius »Schönheit der Verwilderung»]

»Wehe, wenn sie euch den schützenden Mantel der Tabus wegsprengen und die Lava der Triebhaftigkeit unter ihren missionarischen Blicken fließt! Die Sprengkraft der Lust wird der größte Overkill sein. Nicht der Overkill, der das Leben an sich auslöscht, sondern ein Overkill, der in einer rasenden Attacke alles oberhalb der Instinktgrenze zerfressen wird und die Zivilisation zu einem orgiastischen Magma zusammen schweißt. Sie werden kommen! Oder wie Juan Elmo Mosconi sagt: ›Das All ist überall!‹«

[Rupert Dill]

Es gibt Menschen, die tragen ein tiefes Geheimnis in sich. Ihr Körper ist wie ein Gefäß, das es umschließt. Die Erschütterungen des Lebens können ihm nichts an tun. Käme irgendein Verrückter auf die Idee, dieses Gefäß zu öffnen, so fände er nichts vor. Er könnte genauso gut die Seele suchen.

Sitzt das Geheimnis, das bis zur letzten Konsequenz gehütet werden muss, sogar in der Seele? Tarnt es sich in einem ihm gemäßen Fluidum?

Ein Geheimnis ist ein Gedanke, ein minimaler Teil des Erinnerungsvermögens, eine elektro-chemische Reaktion, belehrt man mich.

Und ich sage: Nein, das Geheimnis sitzt in der Seele.

Doch das Geheimnis, das Wissen in sich birgt, darf nicht verkommen, darf nicht zu einem unsichtbaren Organ heranwachsen, das nur einen Geist befruchtet.

Denn wenn die Schatten, die die Tiefen in uns werfen, sich drohend über uns erheben, dann ist es Zeit, das Schweigen zu brechen. Wer schimpft mich also Verräter?

Kapitel 1 - Augustnacht

Die Hitze des Tages hatte meinen Körper klebrig gemacht. Ich stieg aus dem Wagen, blieb stehen, schaute auf meine Schuhe hinunter. Links entdeckte ich auf dem rotbraunen Leder einen weißen Farbtropfen, etwa in der Größe eines Hosenknopfs. Anstatt mich zu bücken, hob ich den Fuß hoch und ließ meine Handinnenfläche über die makelhafte Stelle gleiten. Der Farbtropfen, gläsern wie der Zuckerguss einer Pille, saß weiterhin auf dem Leder fest.

Warum hatte Samuel ausgerechnet heute den Gartenzaun streichen müssen? Samuel war der Stiefbruder meines Vaters, also eine Art Onkel, und er kümmerte sich seit der Trennung meiner Eltern aufopfernd um mich. Auch war er es, der mir ein Studium ermöglicht hatte, das ich allerdings nicht abschloss.

Onkel Samuel besaß nicht viel Geld, aber er lebte sparsam und hatte weder Frau noch Kinder. Vielleicht sah er in mir einen Ersatzsohn, was mich nicht störte. Und da er schon über sechzig war, half ich ihm öfters dabei, sein kleines Haus in Ordnung zu halten, besonders was die handwerklichen Arbeiten betraf.

Ich ließ den Schuh los. Er stürzte für den Bruchteil einer Sekunde, als wäre er nicht an meinem Fuß befestigt, nahm dann die Gesetzmäßigkeit meines körperlichen Bewegungsablaufs auf, wobei die Ledersohle zum Schluss fast stampfend auf dem Boden aufschlug.

Es war kurz nach sechs Uhr abends, und das Sonnenlicht schaffte es nicht mehr, die weißen Häuserfassaden in blendender Grellheit erscheinen zu lassen. Eine rötliche, fast fettbeladene Hitze senkte sich auf die kleine Stadt herab, kroch über den teilweise aufgeweichten Straßenbelag. Die meisten Läden und Jalousien waren zur Kühlung der dahinter befindlichen Räume geschlossen, und wo das nicht der Fall war, warf das Fensterglas ein dichtes Rot zurück.

Während ich auf die Haustür zuschritt, zupfte ich das nasse Hemd in der Rückenpartie von meiner Haut weg. Der zwischen meine Finger geklemmte Schlüsselbunds rasselte. Ansonsten geschah nicht viel, denn das Hemd, durch meinen schwitzenden Körper angezogen, klebte erneut wie eine zweite Haut auf meiner ersten. Ich schob den Schlüssel ins Türschloss, drehte ihn, drückte die Klinke, trat ein. Von stickiger Luft umlagert, eilte ich zum Fenster, öffnete es. Vor dem Fenster stand ebenso schwere Luft. Zwischen der Schräge zweier Dächer, über deren roten Ziegeln ein Hitzepolster flirrte, senkte sich der glühende Ball der Sonne. Ich war sicher, würde ich ihn anstarren, so bliebe er für mein Auge an derselben Stelle hängen. Schaute ich aber nur zwei, drei Sekunden weg, dann könnte ich ihn sofort tiefer stehend entdecken, genau wie die Zeiger auf der Uhr, mit denen ich mich in der Schule in den langweiligen Lektionen immer beschäftigt hatte.

Ich schloss das Fenster wieder, zog die Jalousien herunter. Die nun matt-düstere Atmosphäre im Zimmer machte die Luft noch schwerer zum Atmen. Mit einer ruckhaften Bewegung riss ich mir das Hemd über den Kopf und warf es in die Richtung, in der ich einen Sessel vermutete. Mein Arm schwenkte seitlich aus. Mit leicht geballter Faust schlug ich gegen den Lichtschalter. Eine zu dicht an der Decke montierte Hängelampe warf gelbliches Licht durch ihre milchige Halbkugel. Ich begab mich ins Bad, schlüpfte aus meinen restlichen Kleidern, stellte mich unter die Dusche und seifte mich tüchtig ein. Die Kühle des Wassers belebte mich sofort.

Ich war heute Abend mit Martina verabredet. Keine Sekunde hatte ich das vergessen. Vielleicht hatte sie schon versucht, mich anzurufen? Einen besonderen Grund dazu gab es nicht, doch erwartete ich regelmäßig, wenn ich mich zuhause aufhielt, dass sie sich bei mir meldete. Sie wusste nicht, dass ich den ganzen Tag bei Onkel Samuel zugebracht hatte. Sie wusste überhaupt noch sehr wenig von mir. Ich kannte sie erst seit vier Wochen. Aus einem mir unerklärlichen Grund übte ich bei ihr eine erstaunliche Zurückhaltung aus und erzählte ihr kaum etwas über meine täglichen Verpflichtungen. Auch über meine Tätigkeit in einem Labor für chemische Analysen schwieg ich mich aus. Dabei war das sonst ein beliebter Gesprächsstoff von mir. Hatte ich Angst, ihr Bild, das sie sich von mir machte, mit Realitäten zu bewerfen und es somit, wenn auch nicht gleich zu zerstören, so doch erheblich zu beschmutzen? Aber ich war, was ich war. Und belogen hatte ich sie nie. Doch brauchte es unbedingt Worte, um zu lügen?

Nein, ich belog sie nicht. Wieso hätte ich das auch tun sollen? Martina gefiel mir. Oder liebte ich sie? Das Duschwasser traf mich mitten ins Gesicht. Ich öffnete den Mund, schnappte nach einer Ladung der kühlen, klaren Flüssigkeit und veranstaltete damit gurgelnde Laute in meinem Rachen. Dazu legte ich den Kopf etwas zurück und kniff nun die Augen vor dem herab schießenden Nass zu. Die Seife rutschte mir aus der Hand und schlug wie ein Stein in dem blechernen Duschbecken auf. Warum erzählte ich Martina eigentlich nicht von Samuel? Warum gingen wir nicht mal zu ihm hin? Ich hatte ihm doch auch andere Mädchen vorgestellt. Er freute sich über jeden Besuch. Und die Sache mit Charlotte – da hatte er mir nie Vorhaltungen gemacht. Onkel Samuel war in Ordnung. Und trotzdem hielt mich etwas davon ab, Martina zu ihm mitzunehmen.

Direkt unter der Brause stehend, suchte ich mit dem rechten Fuß nach der Seife, berührte sie, wollte sie mit den Zehen fassen, doch sie entschlüpfte mir wieder.

Möglich, dass ich mir einbildete, Martina könnte glauben, ich sei von Onkel Samuel abhängig. Sie wusste ja nichts von meiner Arbeit. Nahm sie denn überhaupt an, ich würde arbeiten? Sie hatte sich bei mir nie danach erkundigt. Das erstaunte mich. Überhaupt überlegte ich mir plötzlich, ob meine Zurückhaltung bloß daraus resultierte, dass sie mich nie etwas fragte. Klar, ich wollte mich nicht aufdrängen.

Meine Hand tauchte seitlich herab, um mit den ausgestreckten Fingern nach der Seife zu tasten. Ich bekam sie zu fassen und hob sie auf. Mit kreisenden Bewegungen seifte ich mich nochmals ein.

Hatte mich Martina wirklich nie etwas gefragt? Was passierte mit mir? Da wuchs ganz unerwartet ein Problem in meinem Kopf heran. Die Seife hinterließ einen feinen Schaum auf meiner Haut, den das Wasser gleich wieder mitnahm. Martina war eben nicht besonders gesprächig. Aber das traf nicht zu. Ich wusste es, kaum hatte ich es gedacht. Was stand zwischen uns? Wir suchten beide mehr als ein Vergnügen. Ich auch?

Die Seife rutschte mir erneut aus der Hand. Reflexartig spreizte ich die Füße auseinander, damit sie mich nicht traf. Dumpf knallte sie ins Blech.

Das Telefon klingelte. Ich hatte den Eindruck, es unter dem prasselnden Wasser nicht gleich gehört zu haben. Das brachte mich dazu, die Dusche nun umso eiliger zu verlassen. Ohne mich abzutrocknen, rannte ich los. Die Ungewissheit, wie viele Male das Telefon schon geklingelt haben könnte, versetzte mich in eine zappelige Hetze. Ich hatte nicht einmal mehr die Zeit gefunden, die Dusche abzudrehen. Das Geräusch störte mich. Trotzdem riss ich den Hörer vom Apparat und meldete mich mit möglichst ruhiger Stimme.

Es war Charlotte. Die Enttäuschung über meine falsche Erwartung konnte ich vor ihr nicht verbergen. Dabei schwieg ich. Doch genau das war es, was mich verriet.

»Mich hast du nicht erwartet«, stellte sie trocken fest. »Aber ich bin’s.«

»Was willst du?«, fragte ich und wischte mir mit dem Handrücken über das nasse Gesicht.

»Wir müssen uns treffen«, antwortete sie. »Und zwar noch heute Abend.«

Die Dusche im Hintergrund rauschte monoton vor sich hin. Ich bewegte mich, soweit es das am Telefonhörer befestigte Spiralkabel zuließ, zur Tür des Baderaums hin und stieß mit dem nackten Fuß hart dagegen. Mit einem rasanten Schwung fiel sie ins Schloss. Das Geräusch der ins Blech trommelnden Wasserdrähte wurde dumpfer.

»Hallo? Bist du noch da?« Charlottes Stimme klang, wie meistens, gleichgültig. Dabei war die Person Charlotte das keineswegs.

»Ja, ich bin noch da«, sagte ich.

»Du bist also nicht allein?«

»Was geht dich das an?«

»Habt ihr gerade zusammen geduscht?« Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern fuhr ohne zusätzliche Betonung fort: »Bei dieser Hitze kommt man eben leicht ins Schwitzen.«

Wenn sie wüsste! dachte ich mir. Martina war noch nie in meiner Wohnung gewesen. Auch das gehörte zu meiner für mich nach wie vor unerklärbaren Zurückhaltung. Aber Charlotte kannte mich von einer anderen Seite. Vielleicht war das der Grund, warum es mit uns nicht funktioniert hatte. Zu viel Nähe. Oder besser: zu viel falsche Nähe.

»Was ist nun?«, sagte Charlotte, ohne ihre Stimme auch nur eine Spur mehr in der Sache zu engagieren. »Können wir uns heute Abend treffen?«

»Nein«, sagte ich, während gleichzeitig ein großer Wassertropfen von meiner Nasenspitze herunter mitten auf die Sprechmuschel fiel. Ich wischte ihn nicht weg, sondern schaute zu, wie er sich, flacher werdend, verformte und durch die länglichen Ritzen ins Gehäuse hineinkroch.

»Du weißt genau, dass wir miteinander noch nicht fertig sind« Charlotte ließ nicht locker. »So leicht kommst du mir nicht davon! Auch Onkel Samuel meint, du – «

»Lass Samuel aus dem Spiel«, fiel ich ihr ins Wort. »Er hat damit nichts zu tun.«

»Du profitierst von ihm genauso, wie du von mir profitiert hast.«

»Ich arbeite«, betonte ich.

»Seit einigen Wochen, ja.«

»Dann lass mich jetzt bitte in Ruhe.«

»Und was war vorher?«

Sie wusste es doch genau. Also warum ließ sie mich damit nicht endlich in Frieden? Hatte ich denn so sehr am Lack ihrer Eitelkeit gekratzt? Oder ging es ihr um mehr? Liebte sie mich noch? Eine müßige Frage, denn selbst wenn es so wäre, wollte ich es nicht wissen.

Die Hitze im Zimmer hatte meinen Körper unterdessen vollkommen getrocknet. Mich drängte es unter die Dusche zurück, die sich hinter der geschlossenen Tür sinnlos ergoss.

»Also gut«, sagte Charlotte, »du bist nicht allein und kannst deshalb im Moment nicht offen reden. Am besten ist es, wenn wir uns treffen. Dann können wir alles besprechen.«

Ich schwieg, legte kurzerhand auf und ging ins Bad zurück. Dort überraschte mich eine angenehme Frische. Nach einem großen Schritt stand ich wieder unter der Dusche. Im Zimmer nebenan klingelte das Telefon bereits wieder. Charlotte! Nur sie konnte es sein. Und wenn es Martina war? Nein, denn ich hatte ja vorhin mitten im Gespräch mit Charlotte aufgelegt. Schwang denn nicht ihre Hartnäckigkeit in jedem Klingelton mit? Ich war mir nicht sicher. Es könnte Martina sein! Also rannte ich wieder zum Telefon.

»Lass diese unverschämte Tour!«, fuhr mir Charlottes Stimme ins Ohr. »Damit kommst du bei mir nicht durch! Das weißt du genau!«

Ich schwieg, senkte den Kopf und schaute zu, wie das Wasser über meinen Körper perlte.

Nun war Charlotte wütend. In diesem Zustand sprach sie immer sehr laut, doch die Gleichgültigkeit blieb. Natürlich wollte sie etwas von mir, und dafür war sie auch bereit, sich zu erregen. Damit setzte sich aber nur ihre Oberfläche in Bewegung, die äußerste Schale ihres Kerns. Alle tiefer liegenden Schichten blieben davon unberührt. Dort herrschte eben jene Gleichgültigkeit, die mich an ihr so störte.

»Du hast mich betrogen«, sagte sie keine Spur leiser. »Wenn du also kein Feigling bist, dann triffst du dich mit mir. Jahrelang habe ich für dich Verständnis gehabt. Du warst für mich nie ein schlechter Mensch. Selbst jetzt nicht. Das muss dir doch etwas bedeuten, sonst hat alles keinen Sinn gehabt.«

Es erstaunte mich, dass mein Körper bereits wieder trocken war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich innerlich glühte. Vielleicht lag es daran, dass ich den ganzen Tag in der Sonne verbracht hatte. Ich legte den Kopf zurück und starrte in das milchige Licht der Deckenlampe. Dazu kniff ich die Augen zu, als würde ich in die Sonne blicken. Dass ich mir einen Telefonhörer ans Ohr hielt, war mir für Sekunden gar nicht mehr bewusst. Dann kam es mir so vor, als hätte ich irgendeine mechanische Auskunft am Draht, etwa der Wetterbericht oder die Zeitansage. Kein Wort kam über meine Lippen. Stummheit panzerte meinen Mund. Nicht, dass es mir die Sprache verschlug, da war auch keine Wut. Ich stand nur da, den Hörer am Ohr, den Blick zur Decke gerichtet. Hinter mir lief nach wie vor die Dusche. Doch auflegen wollte ich diesmal nicht. Ganz still machte ich mich, wie ein leerer Raum, in dem sich Charlottes Worte restlos verloren. Das brachte sie dazu, immer weiterzumachen. Nichts füllte sich auf. Die Überzeugung, nur so dastehen zu können, nackt und das monotone Geräusch der Dusche im Hintergrund, um miterleben zu können, wie Charlotte ihre in Worte gekleidete Energien aus sich herausschoss, gab mir ein gutes Gefühl. Ich löste meinen Blick vom Deckenlicht, beugte meinen Oberkörper etwas vor. Nun konnte ich mich in einem kleinen, goldgerahmten Spiegel sehen, der gegenüber an der Wand hing. Ich lächelte.

»Weiß sie überhaupt, was du alles auf dem Kerbholz hast?«, sagte Charlotte.

Ich verstand diesen Satz deutlich, aber er interessierte mich nicht. Noch vor wenigen Stunden hätte sie mich damit zutiefst getroffen. Nun nicht mehr. Ich lächelte weiter. Wie gut, dass es diesen kleinen Spiegel hier im Zimmer gab.

»Wenn du es nicht tust, so werde ich es ihr sagen.« Sie erschöpfte sich weiter. »Das viele Geld, das du verspielt hast, weiß sie davon? Und weiß sie auch, wer dieses Geld verdient hat? Weiß sie auch, dass der Wagen, den du fährst, von Onkel Samuel bezahlt wurde, nachdem du meinen zu Schrott gefahren hast? Aber das interessiert dich alles nicht. Du bist mich nun ja los. Das glaubst du zumindest. Doch so leicht ist es nicht! Darauf kannst du dich verlassen.«

Ich fand es angenehm, zu wissen, dass sie noch lange so weiterreden würde. Doch hoffte ich, ihre Oberfläche könnte sich bald soweit ausgedünnt haben, dass sie auf tiefer liegende Schichten zurückgreifen müsste, um weiter zu machen. Sicher war ich mir da allerdings nicht. Trotzdem, Kraft brauchte sie so oder so. Warum setzte ich mich nicht in einen Sessel? Nein, ich wollte mich nicht bewegen. Die Stille meiner Person musste unangetastet bleiben. Es durfte mich in gewisser Weise nicht mehr geben.

»Du forderst die Gemeinheit geradezu heraus«, fuhr Charlotte fort. »Du willst es eben nicht anders. Du kannst nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen. Es gibt auch so etwas wie eine Verantwortung. Davor hast du dich zwar immer gedrückt. Nur werde ich diesmal kein Verständnis für deine Drückebergereien haben. Diese Zeiten sind vorbei. Nun musst du Farbe bekennen. Ohne Gnade, verstehst du?«

Ich verstand sie klar und deutlich. Ohne Gnade! Aber ebenso klar und deutlich war mir jedes Wort, das sie sprach, gleichgültig. Sie verausgabte sich umsonst. Und sie spürte es. Darum machte sie immerzu weiter. Ich hätte zum Fenster hintreten können, um mit einer der Fliegen, die sich dort wie kleine Geschosse ins Glas hinein verflogen, zu sprechen, oder mit dem Stuhl, dem Tisch und was sich sonst noch so alles im Zimmer befand – tausend Antworten und Fragen brannten in mir, solange ich nur keine Silbe an Charlotte verschwenden musste. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich einen solchen Zustand von Entschlossenheit erreicht.

»Du wirst keine Ruhe mehr finden«, steigerte sie sich ins Reich der Drohungen hinein. »Ich werde euch auf Schritt und Tritt folgen, euch jeden Tag zur Hölle machen. Du kennst mich noch nicht richtig. Man sollte mich nicht auf diese Weise provozieren. Mach dich – macht euch also auf harte Zeiten gefasst!«

Meine Hand fuhr nieder und knallte den Hörer auf den Apparat. Sofort bereute ich es. Ich hatte mich gehen lassen. Schwäche hatte mich überrollt. Aber es war zu spät. Der leere Raum war zusammengeschrumpft. Ich selbst stand wieder da. Nackt, schwitzend. Klein und erbärmlich fühlte ich mich. Charlotte hatte mich besiegt. Ich war wütend, weil ich wütend war. Was für ein Teufelskreis! Ich holte aus und schlug mit dem Handrücken den Hörer herunter. Er baumelte am Spiralkabel hin und her, einen leisen, kaum hörbaren Summton ausstoßend. Dann rannte ich unter die Dusche und schrie dort, so laut ich konnte: »Du wirst mich in Ruhe lassen!«

Nach wenigen Minuten hatte ich mich wieder beruhigt. Ich zog mir eine frische Unterhose an und setzte mich in den Sessel. Doch der raue Stoff des Überzugs kratzte mich am nackten Rücken und ließ mich die Hitze im Raum bereits wieder deutlich spüren. Ich kam mir vor, als hätte ich nie geduscht. Meine Augen starrten gegen den Telefonhörer, der nun bewegungslos am Kabel hing.

Was war, wenn mich Martina anrufen wollte? Aber wozu sollte sie mich anrufen? Wir waren doch um neun Uhr verabredet. Sie könnte unsere Verabredung höchstens rückgängig machen wollen. Das hatte sie in den vier Wochen, in denen wir uns kannten, zwar nie getan. Und wenn Charlotte sie nun anrief? Wenn Charlotte ihr alles erzählte? Warum tat ich mir gegenüber die ganze Zeit so, als wüsste ich nicht, warum ich mich zu Martina so zurückhaltend benahm? Von mir aus sollte sie alles erfahren. Ich hatte Fehler gemacht. Nun war das nicht mehr so. Vorbei. Wenn sie an mich glaubte, so musste sie auch daran glauben. Einen anderen Weg gab es für uns nicht.

Um halb neun Uhr verließ ich das Haus. Es war noch immer taghell und eine unerträgliche Schwüle lag in der Luft. Ich hatte mich vor wenigen Minuten nochmals geduscht, und mein Körper roch nach frischer Seife. Eine stetig ansteigende Unruhe nagte in mir. Dieses Gefühl war nicht neu. In den letzten vier Wochen hatte ich es täglich erlebt.

Mein Wagen sprang an, und ich fuhr los. Durch die seitlich heruntergekurbelten Fenster strömte warmer Fahrtwind, der mir das Nackenhaar aufwirbelte. Ich nahm die eine Hand kurz vom Steuer weg, um damit in meiner Achselhöhle nachzuprüfen, ob ich nicht etwa schon wieder schwitzte. Bei dieser Hitze schien sich alles bloß noch um Flüssigkeiten zu drehen. Für den Notfall bewahrte ich im Handschuhfach ein Deodorant auf. Kein Fehler durfte mir unterlaufen. Zu viele hatte ich früher gemacht. Auch wenn es nun um eine ganz andere Sache ging, Martina durfte ich nicht verlieren. Ich überlegte, ob wir später nicht noch zu Samuel fahren sollten. Ich könnte ihm Martina doch endlich vorstellen. Über die Drohungen von Charlotte machte ich mir kaum mehr Gedanken. Sie war eine Angeberin. Was konnte sie gegen uns denn schon ausrichten? Bestimmt war sie nun noch wütender, weil ich mein Telefon blockiert hatte. Um selbst vorbeizukommen, war sie wohl zu feige. Gut, dass sie glaubte, Martina würde mich in meiner Wohnung besuchen. Das hielt sie sicher davon ab, bei mir aufzukreuzen.

Mein Entschluss war gefasst: Ich wollte so schnell wie möglich mit Martina über mein früheres Leben reden. Das klang natürlich fast so, als hätte ich etwas verbrochen. Unsinn war das. Damit hatte ich nie etwas zu tun gehabt. Sie davon zu überzeugen, würde mir sicher nicht schwer fallen. Und der Rest ergab sich von selbst. Wenn mir nur Charlotte inzwischen keinen Strich durch die Rechnung gemacht hatte!

Wie schon die ganze Woche, hatte ich mich auch heute mit Martina nur einige Schritte von ihrem Haus entfernt verabredet. Sie wohnte mit ihrer Mutter zusammen in einer kleinen Mietwohnung. Vermutlich wollte sie nicht, dass ihre Mutter mich sah. Darum durfte ich nicht direkt vor dem Haus parken. Anfänglich hatte mir das nichts ausgemacht. Doch inzwischen kam es mir so vor, als wollte sie mich vor ihrer Mutter verheimlichen. Martina stritt das mir gegenüber zwar ab. »Mutter ängstigt sich, wenn ich mit jemandem im Auto mitfahre«, hatte sie mir erklärt. »Und daher ist es besser, sie sieht deinen Wagen nicht.« Das verstand ich. Ich wäre dazu bereit gewesen, den Wagen weiter oben abzustellen und mich dann zu Fuß vors Haus zu begeben. Doch meine speziell für Martina erwachte Zurückhaltung ließ es nicht zu, ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten. Es ging nicht um meinen Wagen, sondern um mich. Soviel begriff ich. Also schwieg ich und tat so, als verstünde ich ihre Mutter.

Ich bremste den Wagen ab, parkte ihn am Straßenrand zwischen zwei anderen Wagen, blieb darin sitzen. Bei Charlotte war ich immer zu spät gekommen. Bei Martina kam ich immer zu früh. Die Aufregung in mir trieb einem der vielen, manchmal dicht aufeinanderfolgenden Höhepunkte entgegen. Dabei wurde mir für einige Sekunden richtig übel. In besonders klaren Augenblicken staunte ich manchmal darüber, dass ich mich diesem unangenehm vibrierenden Zustand nicht entziehen konnte. War er denn nicht entsetzlich sinnlos? Wozu diese unnötige Quälerei? Band sie mich mehr an Martina? Nagelte dieser Zustand einen neuen Stift in meine Gefühlswalze, damit die abtastende Zunge meiner Befindlichkeit später unter ähnlichen äußerlichen Bedingungen genau diese punktierte Stelle anreißen und sie so – problemlos abrufbar – in Schwingung versetzen konnte? Wenn ich klar sah, erkannte ich nur diesen einen Sinn. Und wenn ich nicht klar sah, wartete ich auf Martina.

Sie kam. Und sie hatte die Hitze des Tages besser überstanden als ich. Auch die abendliche Schwüle, die sich wie eine temperierte Decke um meinen Körper warf, konnte Martina nichts anhaben. Ihre Frische drückte sich nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in ihren Bewegungen aus. Wie geblendet saß ich da und ließ mich treiben.

Sie kam näher. Ich blieb sitzen. Wie machte sie das nur? Sie erschien mir wie jemand, der durch das Gemetzel einer Schlacht schreiten konnte, ohne auch nur einen Kratzer abzukriegen. Wie machte sie das nur? Oder war ich es, der das machte?

Ich stieg aus, ging ihr einige Schritte entgegen, umarmte und küsste sie. Aber auch hier übte ich meine Zurückhaltung aus.

»Es war ganz schön heiß heute«, sagte sie.

»Du siehst hervorragend aus«, sagte ich.

Wir schritten zum Wagen, wobei ich meinen prüfenden Blick hinter einem Lächeln verbarg. Hatte Charlotte sie angerufen? Nein, denn wenn sie es getan hätte, dann wäre Martina möglicherweise nicht gekommen. Was dachte ich da? Diese Unsicherheit war schlecht. Ich öffnete wortlos die Beifahrertür, ließ Martina einsteigen, atmete für kaum eine Sekunde die Nähe ihrer Frische ein. Sie trug ihr rötliches Haar heute offen.

»Wollen wir essen gehen?«, fragte ich, kaum saß ich neben ihr.

Sie drehte mir das Gesicht zu. »Dazu habe ich keine Lust«, sagte sie. »Bei diesem Wetter nehme ich nur Flüssiges zu mir.«

Ein Kratzer? Oder gar eine Wunde? Nein, sie würde es niemals schaffen, eine Schlacht unverletzt zu durchschreiten! Ich war es, der glaubte, sie unverletzbar machen zu können. Aber ich täuschte mich. Sie litt wie andere auch. Der Trick, sie zur Göttin zu erheben, um ihr alles beichten zu können, funktionierte nicht. Göttinnen sind gnadenlos! Wie hilfreich die Wirklichkeit doch war! Das Wissen, mit dem Schrecken davongekommen zu sein, beruhigte mich. Doch ruhig fühlte ich mich deswegen noch lange nicht.

Martina wandte ihr Gesicht nicht von mir ab. Hatte das etwas zu bedeuten? Schauten ihre Augen prüfend?

Ich wagte es nicht, ihren Blick zu erwidern. Und das war falsch. Ich manövrierte mich von einem Fehler in den anderen hinein. Dazu kam, dass ich mich einem neuen Höhepunkt meines nervösen Gefühls näherte. Meine Hände umfassten das Steuer, und ich fürchtete, dass wenn ich sie wegnehmen würde, sie zu zittern anfangen könnten. Martina wusste nichts von Charlotte, diese Frau gab es für sie nicht. Zumindest glaubte ich das noch immer.

Warum fuhr ich nicht los? Dann täte ich wenigstens etwas. Martina schwieg. Und sie musterte mich prüfend. Nun war ich mir dessen absolut sicher.

»Was ist? Wollen wir hier übernachten?« Ihre Worte hoben mich sofort aus meiner Starre heraus. Ich lächelte sie flüchtig an, wobei sich unsere Blicke kurz kreuzten, griff zum Zündschlüssel und startete den Motor.

»Wohin?«, fragte ich und wagte einen weiteren, seitlichen Blick.

Martina saß aufrecht da. Ihr zitronengelbes Kleid, nur an zwei feinen Trägern über den Schultern befestigt, machte sie äußerst attraktiv. Ich hätte sie am liebsten angefasst. Dazu war es aber zu spät, denn schon fuhr ich los.

»Es wird bald angenehm kühler werden«, sagte ich und starrte durch die Windschutzscheibe auf die Straße. »Wir könnten ein wenig raus aus der Stadt fahren, ich meine, wenn du Lust dazu hast?«

»Von mir aus«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an.

Ich hörte sie, trotz des Motorengeräuschs, rauchen, jeden einzelnen Zug, den sie nahm. Ich musste diese Panzerung, die mich seit gut zwei Stunden einschloss, sprengen. Die anderen Abende mit Martina waren alle wesentlich lockerer verlaufen. Charlotte stand heute dazwischen. Nein, nicht Charlotte, korrigierte ich mich, sondern meine Unsicherheit. Daran musste ich mich festhalten: Charlotte hatte mit Charlotte zu tun, meine Unsicherheit aber mit mir. Darin lag der Schlüssel zur erfolgreichen Aktion.

Warum sprach ich nicht mit Martina? Und zwar gleich. Wir saßen allein hier in meinem Wagen. Wir hatten Zeit. Weglaufen konnte sie mir im Moment auch nicht. Wann also würde die Gelegenheit wohl günstiger sein?

»Hattest du einen angenehmen Tag heute?«, fragte ich.

»Du meinst, wegen der Hitze?«, sagte sie.

»Nicht nur.«

»Sondern?«

Ich schaute sie an, soweit das meine Tätigkeit am Steuer zuließ. »Es ist vor allem beim Arbeiten mühsam«, sagte ich.

»Was meinst du genau?«, fragte sie

»Das Klima«, präzisierte ich.

Ich verhielt mich absolut unsinnig und redete einfach drauf los. Trotzdem machte ich weiter. Es bestand doch die Möglichkeit, dass sich daraus etwas ergab.

Wir hatten die Stadt hinter uns gelassen. Noch reichte das Tageslicht aus, um die bald hereinbrechende Nacht zurückzuhalten. Am wolkenlosen, tiefblauen Himmel blinkte ab und zu schon ein Stern auf.

In schnellem Tempo durchquerten wir eine Gegend, in der es nach frisch geschnittenem Gras roch. Martina zündete sich eine neue Zigarette an und betonte somit die künstliche Atmosphäre des Wageninnern, die uns umgab. Die Zugluft zerriss den Zigarettenrauch, wirbelte ihn herum, wobei er sich, nach einer anfänglich starken Geschmacksentwicklung, bald verflüchtigte. Ich musste an die Zeiten denken, in denen Charlotte mir ihr Kabriolett zur Verfügung gestellt hatte. Die Sache war schief ausgegangen. Wie so vieles damals.

»Gibt es etwas, über das du mit mir nicht reden willst?«, fragte ich Martina plötzlich.

Es klang nicht geschickt, aber ich hatte einen Anfang gefunden.

»Nein«, sagte sie erstaunt. »Über was soll ich mit dir nicht reden wollen?«

»Oder vielleicht fragst du mich einfach etwas«, schlug ich ihr vor.

»Leute auszufragen ist doch unhöflich«, sagte sie ein wenig nuschelnd, weil die Zigarette beim Sprechen zwischen ihren Lippen hing.

»Hat dir das deine Mutter beigebracht?«, fragte ich, bemüht, das Scherzhafte deutlich mitschwingen zu lassen. Doch meine innere Spannung und die vor Martina verheimlichte Anstrengung, gezielt auf ein bestimmtes Thema zuzusteuern, verlieh meinen Worten eine steife Ernsthaftigkeit. Sie bemerkte es, lachte

Die erste Runde hatte ich hinter mir. Ich befand mich wieder an der Ausgangsposition. Also nahm ich unverzüglich die zweite Runde in Angriff und sagte: »Hast du dich überhaupt schon gefragt, wer ich bin?«

»Nein«, antwortete sie ohne Bedenkzeit. »Hast du dich denn schon gefragt, wer ich bin?«

Sie konterte nicht schlecht. Das musste ich ihr lassen.

»Du machst dir heute so deine Gedanken, was?«, hängte sie an.

Ich drehte ihr das Gesicht zu und lächelte kurz.

»Oder willst du mir etwas sagen?«, fragte sie.

Sie konterte nicht nur gut, sondern sie traf auch gut. Seltsamerweise fiel jedoch genau in diesem Moment jede Art dieses eigentlich seit vier Wochen in mir festsitzenden Schreckens, sie könnte zu viel über mich wissen, von der Front meiner Gefühle weit zurück. Das hieß: Ich konnte den Schrecken zwar noch denken, aber fühlen konnte ich ihn nicht mehr.

»Hat dich eine Frau namens Charlotte angerufen?«, sprach ich es endlich aus. Und es lag mir nichts daran, die Antwort abzuwarten, also fuhr ich fort: »Sie will mich bei dir nämlich anschwärzen. Aber das hat nichts zu bedeuten. Sie ist sauer, weil ich sie verlassen habe. Dazu kommt, dass ich ihr ein Kabriolett zu Schrott gefahren habe. Und Geld von ihr habe ich auch verspielt. Ach ja, und der Wagen, in dem wir hier gerade fahren, den hat mir Onkel Samuel, nebst anderem, bezahlt.«

Sie war erstaunt. Ich spürte es deutlich.

»Wie war das?«, fragte sie nach einer kurzen Pause.

»Hat dich Charlotte nicht angerufen?«, fragte ich zurück.

»Wer ist Charlotte? Ich kenne keine Charlotte.« Martina spielte mir nichts vor. »Willst du mich nicht aufklären?«

Ich fand es an der Zeit, irgendwo anzuhalten, denn wir fuhren ununterbrochen. Raus aus der Stadt wollten wir. Gut. Doch das hatten wir längst hinter uns. Ich nahm etwas Gas weg und hielt Ausschau nach einer geeigneten Abzweigung, die uns von der Straße wegführen konnte. Langsam wurde es dunkel, doch noch schaltete ich die Scheinwerfer nicht ein. Martina warf die abgerauchte Zigarette aus dem Wagenfenster. Ich glaubte, eine Unruhe zu spüren, die von ihr ausging. War sie verwirrt? Ich hatte mich ihr in einigen wenigen Sätzen offenbart. Das sollte mir mal einer nachmachen! Ja, ich fühlte mich stolz. Keine Spur von Lächerlichkeit. Ich hatte eine konzentrierte Dosis ausgespritzt und Martina damit eine momentane Lähmung verpasst. Allerdings wagte ich sie nicht anzublicken, vielleicht weil ich befürchtete, sie so lebendig wie zuvor zu sehen.

»Du benimmst dich heute wirklich seltsam«, sagte sie, nachdem sie sich eine neue Zigarette angesteckt hatte.

In etwa hundert Meter Entfernung entdeckte ich einen schmalen Weg, der sich zu einem Plateau hinunter schlängelte, auf dem es, soweit ich das erkannte, hohes Gras gab, von Büschen umzäunt. War das ein Platz, um sich hinzulegen? Wieso dachte ich das plötzlich? Zudem: Wir hatten doch den Wagen. Und überhaupt: Es gab einiges zu bereden. Warum war ich nicht ehrlich zu mir? Ich fühlte mich unvermittelt in der Lage, dieses ganze komplizierte Gefüge, das ich um uns herum aufzurichten im Begriff war und das sowieso nie richtig funktionieren würde, kurzerhand zu Müll zu erklären. Suchten wir beide nicht etwas anderes?

Verstand Martina überhaupt, was ich ihr sagen wollte? »Es wird langsam dunkel«, stellte sie einfach fest.

Ich kannte die Gegend, in der wir uns befanden, nicht besonders gut. Allerdings wusste ich, dass wir uns einem Motel mit Restaurant und Tankstelle näherten. Dort vorbeizufahren, wollte ich vermeiden, und zwar aus dem einfachen Grund: Mir lag im Moment nichts mehr daran, mit Martina in einem Lokal zu sitzen.

Ohne sie vorzuwarnen, bog ich ab. Ich hatte den schmalen Weg im letzten Augenblick entdeckt. Der Wagen war, trotz des heruntergesetzten Tempos, zu schnell. Auf dem Teerbelag der Straße kreischten die Pneus, auf dem Schotter des Wegs brachen sie hinten aus. Martina klammerte sich lautlos am Sitz fest. Das ganze Manöver dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte ich alles wieder im Griff. Ich lehnte mich zurück, um lockerer zu wirken. Dann wandte ich mich Martina zu, lächelte.

Sie strich sich mit einer schnellen Bewegung das Haar nach hinten. Die Hand mit der Zigarette zitterte. Inzwischen standen wir, nur der Motor lief noch. In der hereinbrechenden Dunkelheit sah Martinas Gesicht bleich aus. Sie schüttelte den Kopf und fragte leise: »Machst du das immer so?«

»Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte ich.

»Und jetzt?«, fragte sie.

»Es ist hier angenehm kühl«, stellte ich fest und schaltete den Motor aus.

Sie nickte schwach mit dem Kopf.

»Wollen wir ein bisschen zu Fuß gehen?«, schlug ich vor.

Damit war sie einverstanden.

Wir stiegen aus. Der Weg, in den ich abgebogen war, führte durch flaches Gelände mit meist verdorrtem Gras. Weiter vorne entdeckte ich jedoch eine Gruppe von Bäumen und Büschen, die in sattem Grün da standen. Ich nahm an, dass es dort vielleicht einen kleinen Bach oder gar einen Teich gab. Ohne uns zu beeilen, schritten wir darauf zu. »Das sieht hier ganz schön verlassen aus«, sagte Martina.

Ich legte ihr den Arm um ihre Schulter, drückte sie seitlich an mich. Wir blieben stehen und küssten uns. Sofort fühlte ich mich erregt. Was war die ganze Zeit nur in mir vorgegangen? Wie leicht plötzlich alles schien. Die Luft kühlte sich ab, die Nacht brach herein, und hier draußen störte uns niemand. Was wollte ich noch mehr?

»Warst du schon öfters hier?«, fragte mich Martina.

»Nein«, antwortete ich.

»Keine Häuser, nichts. Es mag ja schön sein, aber – « Sie sprach nicht weiter.

Ich schaute sie fragend an, küsste sie nochmals, streichelte ihr übers Haar.

Wenig später kamen wir bei den Bäumen und Büschen an, die wie eine kleine Oase wirkten. Tatsächlich gab es einen kleinen Bach, der jedoch fast ausgetrocknet war. Wir ließen uns an einer freien Stelle in der Nähe des Baches ins Gras nieder, tauschten, ohne Worte zu verlieren, Zärtlichkeiten aus. Erinnerungen an die ersten Tage mit Martina tauchten bei mir auf. Wie sehr hatte ich mir doch gewünscht, mit ihr zu schlafen. Und nichts war passiert. Würde sie überhaupt mit mir schlafen wollen? Bis heute wusste ich es nicht. Meine Hand tastete ihren Körper entlang, rutschte unter das zitronengelbe Kleid. Einer der feinen Träger fiel ihr über ihre Schulter. Wo blieb meine Zurückhaltung? Sie existierte nicht mehr. Martina kippte aus ihrer Sitzhaltung seitlich ins Gras, ich folgte ihr. Ausgestreckt lagen wir da und streichelten uns.

»Findest du, dass ich mich heute seltsam benehme?«, musste ich sie fragen.

Da war es ja wieder. Hinterhältig fiel es mich an. Entweder ich schlief augenblicklich mit ihr, dann könnte ich schweigen. Ansonsten würde ich reden müssen, über mich reden.

Martina setzte sich auf. Damit bewegte sie sich aus der Zone, in der ich sie ohne zu zögern verführt hätte, heraus. Also redete ich.

»Was ich dir vorhin aufgezählt habe«, sagte ich, »hat dich sicher erstaunt. Aber ich finde es einfach wichtig, mit dir über gewisse Dinge zu reden. Wir kennen uns nun schon seit vier Wochen, und trotzdem behandeln wir uns wie zwei Fremde. Das muss nicht sein.«

Sie drehte mir das Gesicht zu, schaute mir direkt in die Augen. »Hast du etwas verbrochen?«, fragte sie, was keinesfalls als Scherz gemeint war.

»Ich bin vielleicht nicht der, für den du mich hältst«, sagte ich.

»Sondern?« Ihre schönen Augen ließen nicht von mir ab.

»Wie soll es mit uns weitergehen?«, fuhr ich fort. »Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?«

»Nein«, sagte sie.

»Und deine Mutter? Weiß sie von mir?«

»Was hat meine Mutter mit uns zu tun?«

»Du wohnst doch bei ihr. Da wird sie dich sicher fragen, mit wem du deine Freizeit verbringst.«

Sie presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf und warf sich das offene Haar in den Nacken.

»Interessiert es dich denn nicht, wer ich bin und was ich sonst so mache?«, wollte ich wissen.

Ich kam mir vor, als würde ich dauernd auf dem Boden herumkrabbeln. Stand sie denn tatsächlich über mir? Ich wollte ihr doch nur beibringen, wer ich war. Oder täuschte ich mich da? Lag mir nicht vielmehr daran, mir selbst bei zubringen, wer ich war? Oder sein wollte? Warum schlief ich nicht mit ihr? Nur darin lag die Lösung: diesen ganzen Ballast wegzuwerfen. Ich hatte mich verstrickt. Verdammt, ich liebte sie nicht! Unsinn war das! Seit vier Wochen lauerte in meiner Hose ein gieriges Tier. Und ich hatte mir vorgenommen, das Seil möglichst hoch aufzuspannen, um meine Kunststücke vorzuführen. Es gab doch gar kein Publikum. Zudem würde ich ohnehin platt auf die Nase fallen. Das stand mir bevor. Die Zäune der Rechtfertigung, die ich um mich herum errichtete, wurden mir selbst zur Falle. Stürzen und sich verheddern in einem. Dabei brauchte ich mich bloß gehen zu lassen. Und Charlotte? Päng! Weg war sie. Sie fiel durch mich hindurch. Nichts blieb hängen. Ich wich gewissermaßen mit den Eingeweiden aus. Doch der Traum platzte. Ich saß da. Grillen zirpten. Die Nacht brach an. Mondlicht. Und Einsamkeit. Trotz Martina. Lust. Warum fiel ich nicht über sie her? Sie lächelte. Ich lächelte zurück. Die Zurückhaltung war von mir abgesprungen und der Anstand war nachgerückt. Wann endlich würde ich mich von meinem selbstkonstruierten Abbild befreien können?

»Diese Charlotte«, sagte Martina, »war sie deine Freundin?«

Ich nickte.

»Und du hast sie enttäuscht?«, fragte sie weiter. »Aber du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich bin auch nicht gerade das, was man ein anständiges Mädchen nennt.«

Ich lehnte mich etwas vor.

»Vielleicht ist es ganz gut, dass wir nicht zu viel voneinander wissen«, sagte sie, und ihre Stimme klang sanfter als sonst. »Was würdest du zum Beispiel davon halten, wenn ich gar nicht mit meiner Mutter zusammenlebte?«

»Sondern?«, platzte es aus mir heraus.

»Ich könnte doch verheiratet sein.«

»Bist du’s?« Ich rief die Worte beinahe.

Ihre Augen fixierten mich, als wäre ich ihr Opfer. Ihre Hand griff seitlich unters Haar und warf es auf. Es fächerte sich über die Schulter, begrub den feinen Träger des Kleides unter sich.

»Ja, ich bin verheiratet«, sagte sie knapp.

Der Schlag saß. Innerlich taumelte ich, äußerlich richtete ich mich auf. Martina saß da und zeigte eine Leichtigkeit, die nicht zu übertreffen war.

»Enttäuscht dich das?«, fragte sie und hielt den Kopf ein wenig schräg, als würde sie einen Gegenstand prüfend betrachten.

Ich war sprachlos.

»Um ehrlich zu sein«, sagte sie, »erstaunt es mich, dass du dich für jemanden hältst, der nicht weiß, was sich gehört. Ich finde, du bist ein grundanständiger Kerl. Genau das ist es doch, was mich an dir so fasziniert.« Sie meinte es bitterernst. Sie hielt mich für einen anständigen Kerl! War das nicht genau das, was ich ihr die ganze Zeit hatte sagen wollen? Und nun, da sie es ausgesprochen hatte, fühlte ich mich wie ein Idiot. »Gleich am ersten Abend, als wir uns kennen lernten«, fuhr Martina weiter, »dachte ich, du würdest bloß mit mir schlafen wollen. Aber es kam nicht so. Und das gefiel mir. Ich brauche jemanden wie dich.«

»Und dein Mann?«, presste ich aus mir heraus. »Der weiß nichts?«

»Ich habe ihn nicht betrogen.« Sie machte eine kurze Pause, spielte mit ihrem Haar. »So richtig betrogen habe ich ihn nicht, oder?«, hängte sie fragend an.

»Darum wolltest du nicht, dass ich mit meinem Wagen vor dem Haus wartete.« Etwas anderes fiel mir nicht ein.

»Aber ich möchte mit dir schlafen«, sagte sie, ohne auf meine Frage einzugehen.

Sie wollte mit mir schlafen. Klar und deutlich hatte sie es ausgesprochen. Gut, sie war verheiratet. Vorausgesetzt, sie hatte mir die Wahrheit erzählt. Was kümmerte mich das! Ihr Mann wusste nichts von mir. Und meine Geschichte? Mit einem gezielten Schnitt war sie abgetrennt worden. Der Ballast lag irgendwo, nur nicht mehr zwischen uns.

»Du würdest deinen Mann also betrügen?«, fragte ich.

»Warum denkst du so kompliziert?« Martina legte sich auf den Rücken, schob sich die Hände unter den Kopf. Das Haar breitete sich auf dem Boden aus. Ich brauchte mich nur noch über sie zu beugen. Nun befand sie sich wieder in der Zone, in der ich bereit war, sie ohne zu zögern zu verführen. Doch in der Zwischenzeit hatte sich etwas verändert. Durfte mich das stören? Meine Hand tastete sich vor, schlich von der Seite an Martina heran, streichelte ihre Wange. Ich zögerte nach wie vor, trotz der besagten Zone.

»Warum möchtest du mit mir schlafen?«, fragte ich sehr leise.

Sie setzte sich ruckartig auf, drehte mir das Gesicht zu, das Haar flog mit. »Bist du wirklich so kompliziert?«, fuhr sie mich an. »Das gibt es doch nicht! Seit vier Wochen machen wir nun rum, und noch immer benimmst du dich wie jemand, der nicht weiß, worum es geht!«

Wie berechnend sie plötzlich wirkte

Für Sekunden fühlte ich mich verwirrt. Dann spürte ich einen Schub in mir, der mich gleich voll in Besitz nahm. Ich warf mich über Martina und zog ihr das Kleid aus.

Ein kreisender Sog riss mich in eine Unwirklichkeit ohne Bedrohung hinein. Die Nacht, die uns umgab, das Zirpen der Grillen, das Mondlicht, ab und zu die Berührung eines frischen Windes auf meiner Haut, Martinas warmer Körper, der sich weich an den meinen schmiegte, durch all das streifte ich meinen bisherigen Zustand wie eine ausgeleierte, teils brüchig gewordene Hülle ab. Paradoxerweise löste ich mich auf und wurde gleichzeitig immer mehr eine Einheit. Unsere Körper wälzten sich auf der Erde, dicht an der Grenze, von wo aus wir in die zuckende Dimension des Protoplasmas abzusacken drohten. Und irgendetwas oberhalb von uns, eine schwebende Substanz, die ein unbekanntes Organ ausatmete, klammerte sich an uns fest, verschmelzend. Vielleicht schrieen wir, ohne dass es jemand hörte. Mit halboffenem Mund nach Luft schnappend, von schwachem Licht umhüllt und von Sternen beblinzelt, schoss der Gedanke in mich hinein, unsere Leiber würden demnächst in einer mächtigen Detonation zerspringen – dann bliebe hier auf der Erde nichts von uns übrig als ein zitronengelbes Kleid im grünen Gras in der Einsamkeit einer unbewohnten Landschaft.

Die Zeit verdichtete sich auf einen Punkt. Alles stand still. Wie lange wir uns schon liebten, wusste ich nicht. Eine weite Strecke lag noch vor uns. Auch sie würden wir mit dem Gefühl von Ewigkeit in einer zusammen gepressten Sekunde durchrasen. Wie leidenschaftlich Martina war!

Im Taumel zwischen Wahn und Bewusstsein, vernahm ich ein Geräusch. Hinter mir knackte es. Martinas Hände schürten weiter meine Erregung. Ich suchte ihren Lippen, verlor mich erneut in ihrem Bann. Aber es gab kein totales Vergessen mehr. Ich fühlte mich plötzlich beobachtet.

Wie ein Blitz flog es über meinen Rücken, eine Attacke mit der Schnelligkeit eines unerwarteten Überfalls. Meine Glieder spannten sich, und ich wälzte mich seitlich weg.

Martina blieb liegen. Vor mir stand jemand. Eine Hand griff nach mir. Ich wich aus, warf mich schützend über Martina. Die Hand packte mich am Genick. Ich rief, so laut ich konnte: »Loslassen, loslassen!« Keine Reaktion. Und da war noch jemand. Ich versuchte mich aufzurichten. Der Druck an meinem Genick presste mich auf Martina zurück.

Es mussten zwei Männer sein, die dicht bei uns standen. Ich atmete kräftig ein und kämpfte mich frei, richtete mich auf. Tatsächlich entdeckte ich einen Mann. Dann einen zweiten. Sie waren nicht besonders groß. Und auch nicht besonders kräftig, sonst hätte ich mich nicht so leicht freikämpfen können.

»Was wollt ihr?«, rief ich dem einen, der sich direkt vor mir befand, zu. Als Antwort tauchten zwei weitere Gestalten auf, Männer mit etwa demselben Körperbau wie die anderen beiden. Sie trugen dunkle Kleider, die ich durch die Dunkelheit der Nacht nicht richtig erkannte. »Lauf weg!«, rief ich Martina zu.

Sie erhob sich und rannte los. Einer der Männer verfolgte sie.

Was spielte sich hier ab? Hatte etwa Charlotte uns diese Typen nachgeschickt? Unsinn, absoluter Unsinn! Was phantasierte ich da zusammen?

Zwei der Männer kamen bedrohlich auf mich zu. Ich drehte mich schnell um, ein Dritter stellte sich mir in den Weg. Nun waren es schon fünf. Mir fiel ihre sehr ähnliche Erscheinung auf. Zu spät, sie fassten nach mir, hielten mich fest. Ich schlug um mich, doch sie schafften es, mich bewegungsunfähig zu machen.

Wo war Martina? Ich sah sie, nun von zwei Männern verfolgt, wie sie, laut und schrill schreiend, im nicht sehr hellen Mondlicht durch die Büsche rannte.

»Lauf, lauf, sonst erwischen sie dich«, keuchte ich, ohne dass sie mich hören konnte. Ich selbst saß hoffnungslos fest. Die Männer zogen mich mit sich fort. Keiner sprach ein Wort oder gab sonst einen Laut von sich. »Lauf zum Wagen, lauf schon!«, rief ich Martina zu, damit sie es wenigstens schaffte, sich zu retten.

Obwohl sie sie fast eingeholt hatten, ließen die Männer, die sie verfolgten, plötzlich von ihr ab,. Das erstaunte mich. Hatte es damit zu tun, dass ich mich nicht mehr befreien konnte? War ich derjenige, den sie suchten? Die ganze Aktion hatte nicht lange gedauert. Wir traten aus dem mit Büschen und Bäumen bewachsenen Platz heraus. Vor uns lag ein weites Feld mit verdorrtem Gras. Und mittendrin flimmerte ein großes Ding, das in eine neblige Substanz eingehüllt war.

Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Die Männer stießen mich von sich. Ich stürzte nach vorne in den Nebel hinein, der sich wie feingemahlene Kreide auf meiner Haut anfühlte und mir auch gleich in Mund und Nase eindrang. Eine weiße Fläche kam mir entgegen, ich schlug mit dem Kopf auf und verlor die Besinnung.

Kapitel 2 - Unterwegs

Ich kam zu mir, obwohl ich das Gefühl hatte, schon eine ganze Weile in einem Dämmerungszustand einiges wahrgenommen zu haben. Mit dem Gesicht nach unten lag ich auf einer harten Fläche, die stark vibrierte. Ein tiefes, eintöniges Geräusch dröhnte in meinem Kopf. Ich nahm die Hände, die sich halb auf meinem Rücken befanden, hoch und presste mir die Ohren zu. Das schwingende Geräusch ließ sich dadurch etwas abdämpfen, aber es drang nach wie vor in meinen Körper ein. In meinem Mund und meiner Nase hing diese kreideartige Substanz, die ich schon beim Eintauchen in den Nebel auf dem Feld wahrgenommen hatte. Eigentlich hätte ich mich fragen müssen, wo ich war, doch das tat ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich tastete mich mit verminderter Wahrnehmung schrittweise in diese mir unbekannte Atmosphäre hinein, krampfhaft bemüht, mich zu orientieren, wobei ich bewegungslos in derselben Stellung, Gesicht nach unten, liegen blieb. Selbst die Augen öffnete ich nicht. Geräusche, Geschmack, Vibrationen und eine ganze Anzahl undefinierbarer Dinge, die in meinem Rücken lauerten, ergaben für mich zwar eine Art Bild, das mir aber nicht klarmachen konnte, was um mich herum geschah. Ich kämpfte mit mir selbst, rang mir Vorstellungen ab, mühsam atmend, beide Ohren zugepresst, die Augen geschlossen, bis ich begriff, dass ich mich damit wehrlos auslieferte.

Aber wem lieferte ich mich aus? Ich musste damit beginnen, die Realität der Situation – und somit auch die Realität der Bedrohung, der ich sicher ausgesetzt war – zu erfassen.

Vorsichtig drehte ich meinen Kopf, öffnete die Augen. Eine starke, grellweiße Helligkeit blendete mich, und mein Blick kehrte in die rötlich-dumpfe Abschirmung meiner Lider zurück, nicht ohne dort einem stetig wiederkehrenden Blitzen ausgesetzt zu sein. Woher kam diese Helligkeit? Ein solches Licht kannte ich nicht. Ich öffnete die Augen nochmals. Diesmal schafften sie es, der Lichtwand standzuhalten. Außer diesem intensiven Weiß konnte ich jedoch nichts sehen, weil es sonst offenbar nichts gab – ich starrte gewissermaßen in ein weißes Nichts hinein.

Ich musste einen Weg finden, mich aus meiner Wehrlosigkeit zu befreien. Ohne Orientierung war das schwer. Sollte ich mich bewegen? Und wenn jemand über mir stand, der mich für tot hielt? Vielleicht lebte ich nur noch, weil sie mich für tot hielten. Sie? Natürlich, die Männer, die mich eingefangen hatten! Sie beobachteten mich bestimmt in diesem Augenblick. Und Martina? Ich spürte den Zwang, nach ihr zu rufen. Ihr Name quälte mich, saß eingezwängt fest, wollte mir laut entschlüpfen. Aber ich nahm mich zusammen, hielt ihn zurück.

Unmöglich! Ich konnte nicht ewig so liegen bleiben und in dieses grelle Weiß blicken. Dazu folterte mich das brummige Dröhnen. Stellenweise glaubte ich, das Geräusch habe seinen Ursprung in meinem Schädel. Doch das war nicht so, der ganze Boden unter mir vibrierte ja mit.

Plötzlich war da eine eigenartige Stimme. Ihr Klang schien vorwiegend mit der Nase erzeugt zu sein und aus dieser richtiggehend herausgepresst zu werden. Das erstaunte mich jedoch nicht so sehr wie die Worte, die, soweit ich das verstand, ausschließlich aus Vokalen wie A, E und O zusammengesetzt waren. Die einzelnen Sätze – wenn es überhaupt Sätze waren – wurden sie sehr schnell gesprochen. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte.

Die Männer, drei oder vier, soweit ich das erahnen konnte, schienen dicht bei mir zu stehen. Wieder sprach einer. Ein anderer antwortete. Die Stimmen unterschieden sich voneinander, nicht stark, doch ich konnte sie auseinanderhalten.

Vorsichtig nahm ich die Hände von meinen Ohren weg, drehte mich langsam. Meine Augen hatten sich an das grelle Weiß gewöhnt, ich konnte mich nun, ohne weiterhin so stark geblendet zu werden, umschauen. Das weiße Nichts hatte an Weite verloren. Ich nahm eine Art Steinwand wahr, die eine fremdartige Leuchtkraft zu besitzen schien. Die Art dieses Steins, der stellenweise sehr porös schien, und das mehlige Gefühl in meinem Mund, in meiner Nase und inzwischen auch in meinem Rachen, passten irgendwie zusammen. Soviel begriff ich. Und die Männer? Ich hatte mich bereits bewegt. Sie reagierten nicht darauf. Also bewegte ich mich weiter, bis ich fast auf dem Rücken lag.

Nun konnte ich sie sehen. Sie standen tatsächlich nur wenige Schritte von mir entfernt nebeneinander. Drei waren es. Sie trugen schwarze Gewänder aus grobmaschigem Tuch, das mit einer feinen, weißen Schicht bestäubt war. Ihre Gesichter hatten eine leicht bronzefarbene Tönung, zum Teil mit dunkelbraunen Flecken. Ihre Augen konnte ich kaum erkennen, da sie sehr klein waren. Mir fielen ihre schmalen Lippen auf, die einen sehr breiten Mund zeichneten, und das bei allen drei. Überhaupt hatten sie eine starke Ähnlichkeit, wenn ich vereinzelt auch kleine Unterschiede, vor allem was die braunen Flecken betraf, wahrnahm. Der eine gab wieder diese von As, Es und Os geprägte Sprache von sich. Die anderen hörten ihm zu.

Gab er irgendwelche Befehle, Befehle, die gar mich betrafen? Ich sah mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Aber dazu musste ich erst einmal wissen, wo ich mich befand. Sie hatten mich vom Feld her in diesen Nebel gestoßen. Mit dem Kopf war ich gegen etwas Hartes geprallt. Hatte ich eine Verletzung? Ich spürte keinen Schmerz. Wie lange war es her, seit sie mich festgenommen hatten? Hielt ich mich in einem Raum auf? Es sah ganz so aus. Sollte ich versuchen, mich zu erheben? Wie würden die Männer darauf reagieren? Sie blickten nie in meine Richtung, das fiel mir auf. Verfügten sie über die Sicherheit, mich in ihrer Hand zu haben?

Warum zweifelte ich plötzlich daran? Es war mehr als bloß eine Idee. Die Frage tauchte klar und deutlich auf, schrie mich an: Waren diese Männer überhaupt Menschen? Sie sahen irgendwie wie Menschen aus, aber eben nur irgendwie.

Zwei der Männer debattierten nun heftig miteinander. Der eine bewegte dazu seine Arme, die nackt seitlich unter dem schwarzen, grobmaschigen Gewand herausragten. Warum ließ man mich unbeachtet? Meine Angst wurde größer. Was genau war geschehen? Wie lange hatte ich das Bewusstsein verloren? Und wo war Martina? Die Männer hatten uns mitten im Liebesakt überrascht. Meine Hände fassten an meinen Oberkörper, der nackt war. Ansonsten trug ich nur eine Hose. Die Schuhe hatte ich also auch zurückgelassen. Und mein Wagen? Dieser weiße Raum hatte bestimmt einen Ausgang. Und von dort aus könnte ich vielleicht zu meinem Wagen fliehen.

Ich rutschte auf den Knien näher zur Wand hinter mir hin, erhob mich dann. Ich stand nicht sehr sicher auf den Füßen, wagte es aber nicht, mich an der Wand abzustützen. Obwohl ich nichts von dieser Substanz, die sich wie feingemahlene Kreide anfühlte, auf meiner Haut entdecken konnte, kam es mir vor, als sei ich an meinem ganzen Körper damit in Berührung gekommen. Dass ich schwitzte, verstärkte diesen Eindruck noch. Das Vibrieren des Geräusches, das nun für meinen Eindruck etwas höher schwang, kribbelte durch meine Füße und pflanzte sich bis zu meinen Knien fort. Ich machte einen Schritt, wartete ab. Wohin sollte ich gehen? Ich sah nur Wände um mich. Doch konnte ich mich täuschen. Möglich, dass das Licht eine mögliche Lücke überstrahlte. Die Gewissheit, in den Raum hineingekommen zu sein, und die Anwesenheit von drei Männern, die aus diesem bestimmt auch wieder herauswollten, gaben mir eine schwache Hoffnung.

Was mich mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass die Männer so taten, als sähen sie mich nicht. Das machte mich unsicher. Es kam mir vor, als hätten sie die Absicht, mit mir ein gemeines Spiel zu treiben. Und wieder die Frage: Waren diese Männer überhaupt Menschen? Wenn nicht, was waren sie dann? Natürlich kannte auch ich, wie die meisten Menschen, den Gedanken, dass es irgendwo andere intelligente Lebewesen geben könnte. Außerirdische, wie sie oft bezeichnet wurden. Doch hier nun tatsächlich mit sogenannten Außerirdischen konfrontiert zu sein, schien mir, trotz der Eigenartigkeit meiner Lage, einfach absurd. Trieb gar jemand einen Scherz mit mir? Martina war verheiratet. Vielleicht steckte ihr Mann dahinter?

Nein, es war kein Scherz, das begriff ich beim Anblick der drei Männer. Es war echt, außer ich fiel auf ein schier unglaubliches inszeniertes Machwerk herein. Doch wer würde um meinetwillen schon so etwas veranstalten! Nicht einmal die tief in mir pochende Angst konnte eine solche Vermessenheit herauf beschwören.

Einer der Männer schritt davon, die zwei anderen folgten ihm. Sie traten an einer Stelle durch das Weiß hindurch, die ich vorhin als Wand zu sehen geglaubt hatte.

Ich ging ihnen nach. Tatsächlich gab es in der weißen Wand eine nicht sehr breite, jedoch ziemlich hohe Öffnung. Ich achtete noch immer darauf, nicht mit dem leuchtenden Stein in Kontakt zu kommen. Ich machte einige Schritte, blieb unmittelbar vor der Öffnung stehen, um einen genügend großen Abstand zu den drei Männern zu halten. Sie befanden sich in einem Raum nebenan, der genauso weiß war wie derjenige, in dem ich mich noch aufhielt. Ich schlich mich durch die Öffnung. Keiner der Männer beachtete mich. Einer sprach wieder. Ich beobachtete sie voller Aufregung. Mir fielen ihre Haare auf, die sehr kurz geschnitten waren, schwarze Stoppeln, die weit in den Nacken hineinwuchsen und an dessen Spitzen diese mehlige Substanz haftete.

Warum machte ich mich nicht bemerkbar? Sie wussten doch, dass ich hier war. Also mussten sie mich zur Kenntnis nehmen. Ihr Spiel der Ignoranz verfehlte zwar nicht seine Wirkung. Doch war ich überhaupt bereit, sie herauszufordern? Und in mir brannte die Frage nach dem Sinn meiner Gefangennahme. Ich hatte ein Recht, zu erfahren, warum sie mich festhielten.

Meine angstgebundene Vernunft blockierte selbst ein schwaches Räuspern, das ich von mir geben wollte, und ich verhielt mich weiterhin still. Ab und zu blickte einer der Männer in meine Richtung, doch es schien mir, als starre er mehr durch die Öffnung, vor der ich stand. Sie regten sich in ihrer seltsamen Sprache auf, so hörte es sich für mich jedenfalls an. Hatten sie ein Problem? Ein Problem mit mir? Wussten sie nicht, ob sich mich gleich töten sollten? Oder zuerst foltern? Was dachte ich da! Gut, sie hatten mich gewaltsam festgenommen. Seit ich mich aber hier in diesen weißen Räumen befand, griff mich niemand mehr an. Irgendwie hatte ich sogar das Gefühl, dass wenn ich einen Ausgang fände, sie mich ohne Widerstand gehen lassen würden. Doch ich fand keinen Ausgang, oder besser, mir fehlte der Mut, mich auf die Suche danach zu machen.

Noch immer konnte ich nur drei Männer sehen. Wo aber waren die anderen? Soweit ich mich erinnerte, hatten uns auf dem Feld draußen einige mehr direkt oder indirekt bedroht. Gab es noch weitere solche Räume. Ich vermutete es. Vielleicht gab es sogar ein ganzes System von Räumen. Unterirdische Räume? Möglich, denn ich war bisher noch keinem Fenster begegnet.

Die Männer verließen auch diesen Raum durch eine von Licht überblendete Öffnung. Ich eilte ihnen nach, denn sie bewegten sich sehr schnell voran. Wir passierten zwei weitere weiße Räume. Ich hatte mich also nicht getäuscht. Nirgends trafen wir auf andere Männer. Das Vibrieren dröhnte ununterbrochen fort, doch ich begann mich daran zu gewöhnen. Da ich barfuß war, kam ich praktisch geräuschlos voran. Worauf ich bisher allerdings nicht geachtet hatte, war der Boden. Er bestand nämlich aus demselben weißen Material wie die Wände, und meine Füße berührten ihn direkt. Ich empfand aber nichts Besonderes. Die Temperatur schien mir normal.

Seltsamerweise sah ich diesen kreideartigen Staub nur auf den Gewändern und den Haarspitzen der drei Männer. Versickerte er bei mir in der Haut? Es war der falsche Moment, mir darüber Gedanken zu machen. Vielmehr lag mir daran, die Männer im Auge zu behalten. Wenn sie auf dem Weg nach draußen waren, so bot sich mir damit garantiert eine Chance zur Flucht.

Im vierten Raum stießen auf andere Männer. Ich blieb stehen, wich ein wenig zurück, als könnte ich mich dadurch besser verbergen. Diese anderen Männer saßen auf rötlichen Würfeln, die einen Halbkreis bildeten. Auch sie trugen diese schwarzen Gewänder und schauten ähnlich aus wie die drei, denen ich bis hierher gefolgt war. Ich blieb stehen. Für einen Moment verlor ich sogar die ständig in mir bohrende Angst. Gab es das denn wirklich? Oder hatte ich mich in eine moderne Theateraufführung verirrt? Schon nahm die Angst in mir wieder ihren Platz ein. Der Raum mit den rötlichen Würfeln war ebenfalls von diesem leuchtenden Weiß erfüllt. Doch vor dem Halbkreis, wo die Männer, alle mit leicht vorgebeugten Oberkörpern, saßen, entdeckte ich auf dem Boden ein dunkles Quadrat. Das Vibrieren war hier um einiges schwächer. Doch was taten die Männer? Sie schauten in dieses dunkle, in dieses schwarze Quadrat hinein.

Mich überkam der Drang, näher zu treten. Doch dazu hätte ich an den drei Männern, die neben dem Durchgang standen, vorbeigehen müssen. Sie beachteten mich nach wie vor nicht. Vielleicht gehörte es zu ihrem Plan, mich nicht zu beachten. Einer der sitzenden Männer – fünf waren es insgesamt – hob den Kopf. Seine Augen waren nur zwei schmale Striche in dem bronzefarbenen Gesicht. Er gab ebenfalls diese seltsame Sprache von sich, wandte sich damit an die drei Männer. Dabei hätte er mich bemerken müssen. Aber er tat es nicht. Ich bewegte mich nicht von der Stelle. Vollkommen steif verhielt ich mich. Meine Hände waren eiskalt, im Gegensatz zu meinen nackten Füssen, die sich auf dem Boden angenehm warm anfühlten.

Bewegten wir uns, samt den Räumen? Daher dieses Geräusch. Warum trat ich nicht näher und schaute mir an, was die Männer da genau machten? Ich hatte nichts zu verlieren. Ganz vorsichtig versuchte ich es. Der Mann, der vorhin gesprochen hatte, hatte seinen Kopf wieder gesenkt und starrte in das schwarze Quadrat hinein. Nun war ich auf der Höhe der drei Männer angelangt. Jetzt mussten sie auf mich reagieren. Der eine drehte sich tatsächlich um. Kam er auf mich zu? Nein. Seine schmalen Augen würdigten mich keines Blickes. Auch die anderen beachteten mich nicht. Die drei Männer gingen knapp an mir vorbei und verließen den Raum. Warum dieses Spiel? Wollten sie mich damit verwirren?

Das schwarze Quadrat zog mich magisch an. Da die auf den Würfeln sitzenden Männer sehr beschäftigt wirkten, wagte ich es, mich ihnen und vor allem dem schwarzen Quadrat noch mehr zu nähern. Dann erstarrte ich.

Dieses schwarze Quadrat war ein Fenster, aber kein normales Fenster. Ich erkannte, ohne eine Sekunde zu zweifeln und fast schon wie in einem Schock, um es was es sich tatsächlich handeln musste! Es war ein Fenster zum Weltall! Die Unfassbarkeit dieser Feststellung war so ungeheuerlich, dass mir die Tränen in die Augen schössen. Ein starkes Gefühl von Verlassenheit und absoluter Einsamkeit schaffte eine schier unerträgliche Leere in mir. Von Abenteuer keine Spur. Mein Blick wurde von diesem Schwarz herab gerissen, ich drohte mit meiner ganzen Person vornüber zu kippen und abzustürzen.

Ein Fenster zum Weltall!