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Eine neue Erklärung für das Erstarken von Populismus und Verschwörungsideologien Wer verstehen möchte, warum Vertrauen immer wichtiger, aber Misstrauen immer wahrscheinlicher wird und welche Folgen umfassende Vertrauenskrisen für die Gesellschaft haben, muss dieses Buch lesen. In einer zunehmend komplexer werdenden Gesellschaft muss man vertrauen. Ohne Vertrauen in gesellschaftliche Systeme und Institutionen wird man handlungsunfähig. Um als Misstrauender nicht handlungsunfähig zu werden, gibt es eine plausible Alternative: Man vertraut denen, die ebenfalls misstrauen. Und zwar nicht aufgrund ihrer Kompetenz oder Erfahrung, sondern einzig und allein aufgrund des gemeinsamen Misstrauens. Es entstehen Misstrauensgemeinschaften – eine Gefahr für die gesellschaftliche Stabilität.
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Seitenzahl: 89
Veröffentlichungsjahr: 2025
Aladin El-Mafaalani
Zur Anziehungskraft von Populismus und Verschwörungsideologien
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Titelseite
Über Aladin El-Mafaalani
Über dieses Buch
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
zur Kurzübersicht
Aladin El-Mafaalani, 1978 im Ruhrgebiet geboren, ist Professor für Migrations- und Bildungssoziologie an der TU Dortmund. Zuvor war er u.a. Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Osnabrück, Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Münster und Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf. Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Preis für öffentliche Wirksamkeit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und das Bundesverdienstkreuz.
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In einer zunehmend komplexer werdenden Gesellschaft muss man vertrauen. Ohne Vertrauen in gesellschaftliche Systeme und Institutionen wird man handlungsunfähig. Um als Misstrauender handlungsfähig zu bleiben, gibt es eine plausible Alternative: Man vertraut denen, die ebenfalls misstrauen. Und zwar nicht aufgrund ihrer Kompetenz oder Erfahrung, sondern einzig und allein aufgrund des gemeinsamen Misstrauens. Es entstehen Misstrauensgemeinschaften - eine Gefahr für die gesellschaftliche Stabilität und die Demokratie.
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Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln
© 2025, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Miriam Bröckel
ISBN978-3-462-31454-0
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Vorwort
1. Wem vertrauen Misstrauende?
2. Vertrauen macht handlungsfähig
Vertrauen und soziale Nähe
Vertrauen unter Fremden
Vertrauen, Recht und Staat
Komplexität und Kontrolle
Systemvertrauen
Vertrauen macht handlungsfähig, risikobereit und verletzlich
3. Vertrauen wird wichtiger, Misstrauen wird wahrscheinlicher
Bei steigender Komplexität wird Vertrauen wichtiger
Misstrauen wird wahrscheinlicher
Populismus und Verschwörungserzählungen als kanalisiertes Misstrauen
Hintergründe der Misstrauenskrise
4. Misstrauen verbindet: Misstrauensgemeinschaften
Alternative Infrastrukturen des Misstrauens
Alternativmedizin und alternative Fakten
Alternative Medien
Kryptowährung — alternatives Geld
Gesellschaftlicher Umgang mit »Alternativen«
Misstrauensbewegung und Gemeinschaftsbildung
Misstrauen ist nicht gleich Misstrauen
5. Auswege?
Anerkennung der Rationalität und der positiven Effekte des Misstrauens
Was wenig bis kaum hilft
Eher konstruktive Ansätze
Handlungsfähigkeit des Staates
Krise der liberalen Demokratie
Literaturverzeichnis
In den vergangenen fünf Jahren habe ich mehrfach die Erfahrung gemacht, dass mir Menschen persönlich vertrauen, aber nicht mir als Wissenschaftler. Selbst alte Bekannte zweifelten meine fachliche Bewertung an und empfanden stattdessen mal die Deutung einer ihnen völlig unbekannten Person in einem YouTube- oder TikTok-Video, mal die Erklärung eines Tech-Milliardärs in einem kurzen Tweet als wesentlich überzeugender. Und noch mehr: Sie versuchten, mich davon zu überzeugen, dass »da was dran ist«.
Was sich darin ausdrückte, war ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Befunden oder der öffentlichen Meinung oder gegenüber bestimmten grundsätzlichen Entwicklungen. Wenn man »dem System« misstraut, dann misstraut man auch seinen Vertretern, selbst dann, wenn man ihnen eigentlich vertraut.
Diese Erfahrungen haben mich, nachdem ich mich in meinen wissenschaftlichen Forschungen zunächst intensiver mit Vertrauen in ökonomischen und digitalen Kontexten sowie später mit Vertrauen in pädagogischen Beziehungen auseinandergesetzt habe, dazu bewogen, einen neuen Anlauf zu nehmen: diesmal allgemeiner, problemzentrierter und mit einem besonderen Fokus auf Misstrauen.
Ich habe meine Überlegungen in einer Vorlesung der Wissenssoziologie einfließen lassen. Die Studierenden schilderten nicht nur interessante Erfahrungen, sondern entwickelten auch kluge Fragen zum Verhältnis zwischen Wissen und Wissensgesellschaft auf der einen und Vertrauen und Misstrauen auf der anderen Seite. Die intensiven Diskussionen inspirierten mich schließlich zu diesem kurzen Band.
Es geht im folgenden Text nicht vordergründig um das Misstrauen zwischen Menschen, sondern vielmehr um das Misstrauen in ganze gesellschaftliche Teilbereiche, u.a. Wissenschaft und Medien. Dieses führt zu Legitimationsproblemen der zentralen Expertensysteme für Information und Wissen, die hochproblematisch sind, und sie gehen – wie noch gezeigt werden wird – in beide Richtungen: Misstrauen verstärkt die Anziehungskraft von Populismus und Verschwörungsideologien, die wiederum das Misstrauen verstärken.
Das Buch verfolgt einen orthodoxen Ansatz: Mit der Unterscheidung zwischen Vertrauen und Misstrauen werden der Strukturwandel der Gesellschaft und die Herausforderungen der Gegenwart beschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Perspektive, bei der sozioökonomische Ungleichheiten nicht im Vordergrund stehen. Die emotionale Dimension von Misstrauen wird nicht vollends ausgeblendet, aber auch nicht fokussiert. Die Möglichkeit, dass individuelles Versagen ursächlich für Misstrauen sein kann, wird nicht verneint, aber auch nicht als wesentliche Erklärung angesehen. Vielmehr geht es um strukturelle Veränderungen, Krisenerscheinungen usw. Die liberale Demokratie steht zur Disposition – das ist keine neue Erkenntnis. Aber der gewählte Zugang kann neue Perspektiven aufzeigen.
Die Soziologie ist eine Disziplin, die, wie keine andere, Krisen, sozialen Wandel und nicht intendierte Nebenfolgen verstehen und erklären kann. Vielleicht macht der folgende Text das erkennbar.
Stellen wir uns kurz vor: Jeder Mensch würde allen anderen Menschen vertrauen. Dieses wechselseitige Vertrauen würde uns enormen finanziellen, zeitlichen und nervlichen Aufwand sparen. Wir bräuchten nur noch einen Bruchteil der Gerichte, Polizei, Verwaltungen usw. Das ist nur ein Gedankenspiel. Aber es zeigt grundsätzlich den Vorteil von Vertrauen. Wenn man den Gedanken nun umdreht und wir gehen einmal davon aus, dass sich Menschen grundsätzlich nicht vertrauen – was ebenso unrealistisch ist –, dann würde uns das mehr Geld, Zeit und Nerven als derzeit kosten. Das entspräche dann Lenins These, dass Kontrolle gegenüber Vertrauen zu bevorzugen sei. Größtmögliche Sicherheit bedeutet Kontrolle bedeutet Kosten.
Dieses Gedankenspiel soll nicht suggerieren, dass es nicht zwingend ratsam ist, in bestimmten Situationen misstrauisch zu sein. Gleichzeitig ist ein Leben ohne Vertrauen kaum vorstellbar. In einer ersten Annäherung kann man Vertrauen beschreiben als positive Erwartung gegenüber einer Person oder einem Kontext, obwohl man nicht genug Wissen hat, um sicher zu sein. Man geht also trotz bestehender Risiken Beziehungen und Kooperationen ein. Misstrauen hingegen lässt sich verstehen als explizit negative Erwartung, was zu strenger Kontrolle, Distanz oder gar Feindschaft führen kann. Und es gibt ein Dazwischen, denn wenn Vertrauen (noch) fehlt, dann hat man weder positive noch negative Erwartungen, benötigt mehr Informationen oder Absicherungen; in jedem Fall erlebt man die größte Unsicherheit.
Vertrauen ist in komplexen Gesellschaften von immenser Bedeutung. Wir sind von vielen und vielem abhängig, ohne dass wir diese Zusammenhänge nachvollziehen oder gar kontrollieren könnten. Aber was machen Menschen, die ein ausgeprägtes Misstrauen etablieren? Es ist nicht nur so, dass die Lebensführung aufwendiger wird, wenn man anderen Menschen mit Misstrauen begegnet, sondern man schließt sich von Teilen des gesellschaftlichen Lebens selbst aus. Und noch schwieriger wird es, wenn man grundlegenden Prozessen oder Strukturen misstraut, etwa den Medien, der Politik, den Banken, dem Gesundheitssystem oder staatlichen Behörden. Während man bestimmten Menschen misstrauen kann und anderen dennoch vertraut, schafft Misstrauen gegenüber Institutionen und Systemen ein enormes Problem. Und wenn man »dem System« misstraut, also Verantwortlichen, Expertinnen und Experten, Institutionen oder dem Staat, dann ist man regelrecht aufgeschmissen. Man droht handlungsunfähig zu werden.
Die erste These dieses Buchs ist schnell erzählt. Ein subjektiv rationales Verhalten ist dann: Man vertraut anderen Menschen, die misstrauen. Selbst dann, wenn diese Personen weder über Qualifikationen noch Kompetenzen noch Erfahrung im jeweiligen Bereich verfügen. Auch dann, wenn man diese Personen gar nicht kennt und ihre Vertrauenswürdigkeit damit überhaupt nicht beurteilen kann. Man vertraut anderen, die auch misstrauen, einzig und allein aufgrund des geteilten Misstrauens.
Es lässt sich aus dieser spezifischen Perspektive als rational begreifen, dass bestimmte Menschen während der Coronakrise etwa Christian Drosten wesentlich weniger vertrauten oder gar misstrauten als einer wildfremden Person, die weder Funktion noch Qualifikation hat, um eine pandemische Entwicklung und die medizinischen Zusammenhänge sachgerecht zu beurteilen. Es ist eine rein subjektive Rationalität.
Die zweite These begründet, warum umgreifendes Misstrauen entsteht und auch, warum es immer wahrscheinlicher wird. Hierfür werden sehr viele gesellschaftliche Entwicklungen und ihre Folgen dargestellt, die »gute Gründe« für Vertrauenskrisen und zum Teil auch für ausgeprägtes Misstrauen bieten. Dabei handelt es sich keineswegs nur um ungleichheitsbezogene und ökonomische Faktoren, sondern sie berühren grundlegende Aspekte der sozialen Realitäten.
Noch entscheidender als die Frage, ob Misstrauen wächst oder nicht, sind die veränderten Möglichkeiten, wie Misstrauen ausgedrückt werden kann. Und damit sind wir bei der dritten These: Misstrauen verbindet sich in digitalen Infrastrukturen, die zunehmend Vergemeinschaftungen ermöglichen. Es entstehen Misstrauensgemeinschaften, die das Misstrauen stabilisieren und verstärken.
Im wachsenden Misstrauen sowie der Etablierung neuer Möglichkeiten, es zu kanalisieren und zu verbinden, liegen die starke Anziehungskraft und Wirkmächtigkeit von Populismus und Verschwörungsideologien. Es sind alte Phänomene, die von neuen Rahmenbedingungen profitieren. Gleichzeitig werden weitere Misstrauensphänomene und -Communitys skizziert und eingeordnet: von der Prepper-Szene bis zu den Querdenkern, von der Homöopathie bis zum Bitcoin.
Diese Entwicklungen – so die vierte These – stellen eine Gefahr für die gesellschaftliche Stabilität und die liberale Demokratie dar. Große Vertrauenskrisen lassen sich als Symptome tatsächlicher struktureller Probleme verstehen. Sie sind zum Teil lösbar, aber in weiten Teilen eben auch nicht. Die Vorstellungen vom radikalen, disruptiven Umbau von Staat und Gesellschaft können als ein Effekt des Misstrauens verstanden werden.
Von besonderer Bedeutung erscheint hier der Verlust von Vertrauen in Medien, Wissenschaft und Expertensystemen, da sie von konstitutiver Bedeutung für die Demokratie sind. Es ist heute bereits erkennbar, dass das Aufwachsen in krisenhaften Zeiten folgenreich für junge und nachwachsende Generationen ist, auch und insbesondere im Hinblick auf Vertrauensbeziehungen und -bereitschaft.
Und nicht zuletzt stellt Misstrauen eine Gefahr für die Zukunft dar, weil davon auszugehen ist, dass sich Krisensituationen häufen werden. In Krisen ist die Gesellschaft auf Vertrauen angewiesen. Es ist anzunehmen, dass sich bei einer kommenden großen Krise, die in ihrer Tragweite vergleichbar wäre mit der Finanzkrise 2008 oder der Pandemie 2020, das Misstrauen deutlich stärker ausdrücken und die Krise dadurch einen problematischeren und noch polarisierteren Verlauf annehmen wird.
Diese vier Thesen werden nicht schrittweise in dieser Reihenfolge, sondern über alle Kapitel entfaltet. Im nächsten Kapitel wird grundlegend dargestellt, warum Vertrauen für die Handlungsfähigkeit von Menschen und für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft elementar ist. Kapitel 3 fokussiert auf die Ursachen für Vertrauensverlust und Misstrauen und zeigt, dass auch aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen Misstrauen immer wahrscheinlicher wird. Die Entwicklung und Etablierung von Misstrauensstrukturen in allen wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen werden in Kapitel 4 dargestellt. Hier wird auch die Entstehung von neuen Misstrauensgemeinschaften beschrieben. Und im abschließenden Kapitel 5 werden Auswege gesucht. Es sind keine kurzfristigen Lösungsansätze, die
