19,99 €
Samtpfoten und heiße Reifen Indien–Deutschland mit Mogli und Motorrad – von einer Weltreise zu zweit und einer außergewöhnlichen Freundschaft Martin Klauka ist kein gewöhnlicher Weltenbummler. Wenn er reist, ist seine treue Katze Mogli immer mit dabei, unterwegs sind sie ein eingespieltes Team. Der sympathische Motorradreisende erzählt mitreißend und voller Respekt für Kulturen von drei spannenden Jahren auf Samtpfoten und heißen Reifen durch Wüsten, wilde Dschungel und wuselige Millionenstädte. Eindrucksvoll berichtet er von der Durchquerung Indiens, Pakistans, Irans, Armeniens, Georgiens, der Türkei, Bulgariens und Rumäniens bis zur Heimkehr nach Deutschland. Zum Glück ist Martins Fürsorge so groß wie seine Unternehmungslust. Denn extreme Temperaturen können Mogli ebenso gefährlich werden wie streunende Hunde, Leoparden oder Elefanten. Anschaulich erzählt er von Gegenden, in denen seine Begleiterin für ungläubiges Staunen sorgte, und davon, wie dank ihr manche Menschen zu Tierliebhabern wurden. Von Regionen, in denen Katzen nur auf den Straßen leben und im Haus unerwünscht sind. Davon, wie wichtig bei der Quartiersuche Rückzugsraum für Mogli ist, dass er sie mehr als einmal fast verloren hätte – und wie er ihr zuliebe auf manch holprige Offroad -Strecke verzichtete. Von brenzligen Grenzübertritten und Wetterumschwüngen auf hohen Gebirgsstraßen. Von Begegnungen mit aufstrebenden Mollywood-Stars und begeisterten Motocross-Fans, von Städten wie Istanbul, wo Katzenliebe großgeschrieben wird. Und von der Aufgeschlossenheit und Großzügigkeit unserer Mitmenschen, die die beiden ohne Argwohn und mit offenen Armen bei sich aufnahmen. Mit der Katze über Kontinente Spannend, nahbar und ehrlich berichtet der Weltenwanderer von seinen Erfahrungen und Eindrücken und zeigt, wie gut man mit einer Katze überall hinreisen kann und wie Mogli Türen und Herzen öffnet. Er taucht tief in verschiedene Kulturen und Länder ein; blickt, dank seiner außergewöhnlichen Reisegefährtin, mit besonderer Perspektive auf die bereisten Länder, erzählt vom Miteinander der beiden unterwegs und von der ganz besonderen Freundschaft zu seiner treuen Begleiterin Mogli.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:
www.malik.de
Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Mit der Katze weiter um die Welt« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.
Mit 134 Fotos, fünf Zeichnungen und einer Karte
© Piper Verlag GmbH, München 2025
Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de
Coverabbildung: privat
Redaktion: Ulrike Gallwitz, Freiburg
Bildteilfotos: Martin Klauka, außer anders angegeben
Karte: Birgit Kohlhaas, München, unter Verwendung von Icons: Bär: © Adi Nuranjaya/iStock by Getty Images; Kamel: © Artnivora Studio/iStock by Getty Images; Istanbul: © Alina/Adobe. Fotos in der Karte: Martin Klauka; außer linke Seite, ganz oben: Sascha Mayer
Zeichnungen: Younus Backer, Calicut
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44 b UrhG vor.
Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.
Cover & Impressum
Karte
Vorwort: Ein neues Leben
Die Prinzessin
Ab in den Orient!
TEIL 1:Indien
Das Abenteuer kann weitergehen
Im Strom der Seelen
Couchsurfing unter dem Radar
Weihnachten bei Freunden
Kampf der Sturköpfe
Oase am Tungabhadra-Fluss
Knatternde Motoren
Der vermaledeite Visumslauf
Auf den Spuren Shir Khans
Ein ganz anderes Land
Mit göttlicher Unterstützung
Jenseits des Lärms
Täglich wechselnde Pläne
Ungeahnte Einblicke
Teil einer indischen Familie
Ein Hauch von Freiheit
Eine wahre Odyssee
Unter Junggesellen
Neugierige Nachbarn
Zwischen Tradition und Moderne
Tarzan und die wilden Tiere
Wieder auf Tour
Menschenleere Strände
An der Südspitze Indiens
Stille Weihnachten
Völlerei aus Höflichkeit
Abschied auf Umwegen
Übersinnliches
Lebe wohl, Arabisches Meer!
Tapfere Prinzessin
Eine Klimaanlage für Mogli
Im Wüstenstaat Rajasthan
Die Blaue Stadt
Ein durch und durch bunter Tag
Rückzug in die Berge
Im Visier der Leoparden
Überraschung an der Grenze
TEIL 2:Pakistan und Iran
Ein herzliches Willkommen
Der Rattenfänger von Mirpur
Auf nach Belutschistan
Fasten wider Willen
Gemischte Gefühle
Eine neue Königin
Wohin der Zufall uns treibt
Tortur an der Grenze
TEIL 3:Armenien und Georgien
So frei wie lange nicht
Magische Orte
Querfeldein
Spuren der Vergangenheit
Ein herzlicher Abschied
Blick nach Westen
»KATASTROPHE!«
Ein vorzeitiges Ende?
Standleitung nach Dresden
Zeit fürs Vergnügen!
Ein herrliches Fleckchen Erde
Endlich wieder Garnelen!
TEIL 4:Durch die Türkei, Bulgarien und Rumänien zurück nach Hause
Familientreffen
Die Stadt der Katzen
Herbsteinbruch auf dem Balkan
Paradies für Biker
Kreuz und quer durchs Land
Unter Abenteurern
Mitten durch die Walachei
Eine bestechliche Prinzessin
Abschied und Neuanfang
»Nix Schengen – not open!«
Die letzten Meter
Falscher Alarm
In guten Händen
Stolz wie ein Löwe
Ein erfüllter Traum
Nachwort:Eine neue Tür öffnet sich
Danke!
Bildteil
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
An einem strahlenden Augusttag vor mittlerweile acht Jahren schwang ich die Tür meines goldenen Käfigs auf, warf einen letzten Blick auf das abgewetzte Hamsterrad und wagte den ersten Schritt in ein neues Leben. Es war keine einfache Entscheidung, alles hinter mir zu lassen, was ich mir mühselig aufgebaut hatte und was mir Halt gab. Aber die Angst, ich könnte es später bereuen, diesen Schritt nicht gemacht zu haben, war größer als die vor dem Ungewissen. Außerdem war ich der Überzeugung – und bin es bis heute –, dass sich die Dinge zum Guten wenden, wenn man nur den Mut aufbringt, ihnen ihren Lauf zu lassen. Mein »Plan« war daher ganz simpel: mein altes Leben in ein paar Kisten verpacken, mit dem Motorrad nach Dubai fahren und sehen, was die Welt für mich bereithielt. Wo mein Weg mich hinführte, wusste ich noch nicht – nur dass ich ihn selbst gehen musste und dass es der richtige war.
Als mir fünf Monate zuvor auf dem Rückweg von einer Motorradreise ein verwahrlostes Kätzchen in die Arme gelaufen und erschöpft darin eingeschlafen war, ahnte ich noch nicht, wie sehr es meinen weiteren Weg prägen würde. Vielmehr fragte ich mich, was ich nun mit ihm machen sollte. Meine Wohnung war bereits gekündigt, die Vorbereitungen für das große Abenteuer waren in vollem Gange, und ich war obendrein mit dem Motorrad unterwegs. Den kleinen Flohbeutel interessierte das alles herzlich wenig – er hatte in meinen Armen Wärme und Geborgenheit gefunden, und was die Zukunft brächte, würde sich ergeben. Im Moment zu leben war vielleicht die erste Lektion, die ich von ihm lernen sollte.
Seine Feuertaufe – die erste Fahrt auf dem Motorrad – bestand das Kätzchen mit Bravour. Nur anfangs wusste es nicht, wie ihm geschieht, und einmal wollte es sogar abspringen. Bei unserer ersten Pause hüpfte es aber schon wieder unbeschwert durchs Gras, und als ich es danach zurück in den ausgepolsterten Tankrucksack setzte, blinzelten mich zwei zufriedene Äuglein an. Es spürte vermutlich, dass ihm bei mir nichts Böses zustoßen würde. Erleichtert, es nicht seinem Schicksal überlassen zu müssen, taufte ich das unerschrockene Findelkind mit den großen Ohren Mogli. Hallo, Mogli!
Erst beim Tierarzt erfuhr ich, dass ich eine kleine Prinzessin gerettet hatte – auch wenn sie diesen Spitznamen erst später bekommen und ihm gerecht werden sollte. Ihr verletztes Schwänzchen – vermutlich hatte jemand daran gezogen – war leider nicht mehr zu retten.
Dass Mogli mich einmal auf meiner großen Reise begleiten würde, konnte ich mir lange Zeit nicht vorstellen. Mit dem Training dafür begannen wir aber vorsichtshalber trotzdem gleich. Am wichtigsten war, dass sie mich – und nicht die Wohnung – als Bezugspunkt sah. Ich erstand also ein kleines Geschirr mit Leine und nahm mein neugieriges Findelkind, so oft es ging, mit an den Fluss, zum See, in die Arbeit oder zu Freunden und spielte alle denkbaren Szenarien mit ihm durch. Bis auf ein paar Ausnahmen – als ich Mogli beispielsweise einmal beim Zelten im Wald verlor oder wir aus dem Supermarkt geworfen wurden – klappte es erstaunlich gut. Auch an die skeptischen Blicke einiger meiner Mitmenschen hatte ich mich schnell gewöhnt. Zum Glück zauberte die angehende Prinzessin den meisten dann aber doch eher ein Lächeln ins Gesicht! Mit jedem Tag und jedem gemeinsamen Erlebnis wuchs mir Mogli mehr ans Herz, und lange bevor es losging, war mir klar, dass ich sie niemals mehr zurücklassen könnte.
Um mir meinen Traum vom Himalaja zu erfüllen, fehlte mir – obwohl ich monatelang nach der Arbeit Pizzen ausgeliefert hatte – das nötige Kleingeld. Warten und weiter darauf sparen wollte ich trotzdem nicht, denn bis ich genug zusammenhätte, käme bestimmt wieder etwas anderes dazwischen, da war ich mir sicher. Bis nach Dubai reichte mein Erspartes aber sehr wohl, und wenn ich recht behielte und sich alles zum Guten wendete, dann könnte ich dort unsere Reisekasse wieder aufstocken und weiterziehen. Mein Plan war gefasst!
Auf kleinsten Straßen führte unsere Reise von Rosenheim im beschaulichen Oberbayern zunächst über meine geliebten Alpen und dann entlang der malerischen Adria bis nach Griechenland. Nach einem Monat erreichten wir mit der Türkei das Land der Katzenliebhaber, wo wir so herzlich empfangen wurden, dass unsere anfänglichen Schwierigkeiten nur mehr wie ferne Erinnerungen wirkten. Selbst den schwer bewaffneten Soldaten, die in Kurdistan den Islamischen Staat abwehrten, vermochte Mogli ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern! Im Iran hatten die meisten Menschen hingegen keinen Bezug zu Haustieren – viele von ihnen fürchteten sich gar vor der Prinzessin. Ihrer überschwänglichen Gastfreundschaft tat aber selbst das keinen Abbruch, und wir wurden so oft eingeladen wie nie zuvor in meinem Leben. Nach drei aufregenden Monaten erreichten wir unser Ziel am Persischen Golf – und durften wegen eines fehlenden Gesundheitszertifikats für Mogli fast nicht einreisen! Zum Glück wendete sich am Ende doch alles zum Guten, und gerade als mein Visum auslief, fand ich schließlich auch einen Job.
Nach sieben Monaten in Dubai war mein Traum vom Himalaja in greifbare Nähe gerückt. Noch mehr freute ich mich aber darüber, dass ich Feras – einen meiner besten Freunde – überreden konnte, Mogli und mich dahin zu begleiten. Trotz der elendigen Hitze und der obligatorischen Polizeieskorten in Pakistan gehörten die nächsten 4000 Kilometer zu den schönsten unserer gesamten Reise. Ein Unfall, der Feras beinahe das Leben kostete, setzte unserer gemeinsamen Zeit leider ein jähes Ende.
Ein Jahr nach unserer Abreise bezwangen Mogli und ich die hohen Pässe auf dem Dach der Welt. Mein Traum war in Erfüllung gegangen! Bald darauf setzte allerdings auch mich ein Sturz für eine Weile außer Gefecht, und so begann ich damit, unsere Abenteuer niederzuschreiben. Mogli genoss die Pause – nur dass sie wegen der Leoparden nachts drinnen bleiben musste, passte ihr nicht. Ein weiteres Jahr später – mittlerweile waren wir in Nepal – reichte ich das fertige Manuskript beim Verlag ein. Nun konnte ich nur hoffen, dass es den Menschen da draußen genauso viel Freude bereiten würde, über unsere Abenteuer zu lesen, wie es uns gemacht hatte, sie zu erleben.
Fünf Monate hatten Mogli und ich bei Yangkey und Pemba in Pokhara verbracht. Wir waren zu einer kleinen Familie zusammengewachsen, und der Abschied fiel uns nicht leicht. Insgeheim erfüllte mich jedoch selbst der Abschiedsschmerz mit Freude, hieß es doch nur, dass es uns hier gut ergangen war. Vor allem aber freute ich mich auf das, was uns jetzt bevorstand: ein neues Abenteuer.
Gesegnet mit einer Khata – einem tibetischen Gebetsschal – und nach einer herzlichen Umarmung drehte ich den Schlüssel herum und startete die »Königin der Wüste« – unsere treue Africa Twin, die ihren Spitznamen der Wüstenrallye zu verdanken hat, für die sie einmal entworfen worden war. Ihr Tacho zeigte 72 913 Kilometer, und wenn sie noch einmal von vorn anfangen würde zu zählen, so dachte ich, dann wären wir zurück daheim.
Da jetzt der Winter Einzug hielt, lag mein eigentlicher Plan, mit Sack und Pack von Nepal nach Kasachstan zu fliegen, fürs Erste auf Eis. Bis es vier Monate später wieder warm genug dafür wäre, wollte ich daher zunächst einen »Abstecher« nach Südindien machen. Dafür mussten wir zwar – auf dem kürzesten Wege – erst einmal 3000 Kilometer in die entgegengesetzte Richtung fahren, aber falls uns die Zeit ausging, konnten wir jederzeit einen Zug zurück nach Nepal nehmen, von wo aus es die besten Flugverbindungen gab. Und wer wusste schon, wann sich die Gelegenheit, Indien mit dem Motorrad zu durchqueren, je wieder böte.
Obwohl ich die neuen Reifen, ein paar Ersatzteile, meine warmen Sachen und den klobigen Schnellkochtopf in Pokhara gelassen hatte, fühlte sich die voll bepackte Königin schwer und behäbig an. Wie üblich hatte ich mir nur Gedanken um Mogli gemacht – dabei war ich es, dem ein bisschen Übung gutgetan hätte. Mogli hingegen schien sofort wieder in ihrem Element und rollte sich kurz nach unserer Abfahrt in ihrer Tasche ein. Erst als ich an einer Brücke hielt, um diese mit den Khatas zu segnen, die mir Yangkey extra dafür mitgegeben hatte, streckte sie ihr neugieriges Köpfchen wieder heraus. Ich nutzte die Gelegenheit und machte mich nun auch über das Lunchpaket – Fladenbrot mit Ei und Chutney – her, das Yangkey für mich gepackt hatte. Während ich aß, blickte ich mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Wehmut auf die halsbrecherische Straße am Abhang zurück. Es war mein großer Traum gewesen, den Himalaja zu bereisen. Nun wurde die Landschaft immer flacher, und die Berge im Rückspiegel wurden immer kleiner. Noch ein zweites Mal musste ich mich an diesem Tag von etwas, das mir ans Herz gewachsen war, verabschieden. Es war an der Zeit für neue Träume.
Kurz vor unserer Abfahrt aus Pokhara hatte ich zufällig erfahren, dass es als Tourist illegal war, Haustiere nach Indien einzuführen. Und so hatte ich nun, obwohl wir mittlerweile schon dreimal nach Indien eingereist waren, wieder ein flaues Gefühl im Magen, als wir uns der Grenze näherten. Manche Dinge werden sich nie ändern! Ich musste unweigerlich schmunzeln.
Es war bereits dunkel, als wir den Grenzübergang bei Sonauli erreichten, aber zum Glück hatten die Beamten dieses Mal nicht vor, mich zu schikanieren. Ganz im Gegenteil – einer von ihnen schickte sogar seinen jüngeren Kollegen, damit dieser mir den Weg zu einem günstigen Hotel zeigte. Natürlich blieb das nicht unbemerkt, und als ich mit Mogli auf meiner Schulter – ihrem Stammplatz – zu unserem Zimmer lief, wurden wir von einem halben Dutzend aufgedrehter Kinder verfolgt.
Es dauerte eine Weile, bis die Luft wieder rein war und ich mich aufmachen konnte, um Sand für Moglis Toilette und etwas zu essen für mich zu suchen. Und obwohl ich zu müde war, um die Hochzeit zu besuchen, zu der mich ein paar Jungs auf der Straße spontan eingeladen hatten, fiel ich an diesem Abend mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit ins Bett. Die erste Hürde war genommen, und zurück in Indien zu sein fühlte sich ein bisschen an, als wären wir heimgekommen. Vermutlich rührte es daher, dass hier viele Menschen Englisch sprachen, selbst wenn sie nichts mit Tourismus am Hut hatten – etwas, was ich in Nepal oft vermisst hatte.
Das Highlight des nächsten Tages war das Frühstück: für 20 Rupien, umgerechnet 24 Cent, schlug ich mir den Bauch mit leckerem Kichererbsen-Curry voll, und sogar einen Chai gab es noch dazu. Danach ging es auf staubverwehten Straßen mit durchschnittlich kaum mehr als 30 Stundenkilometern 220 Kilometer weit nach Azamgarh. Als wir endlich ankamen, brauchte ich zu meinem Verdruss noch eine ganze Weile, bis ich eine einigermaßen günstige Unterkunft gefunden hatte. In der Nacht raubten mir Scharen von Mücken den Schlaf, und als um fünf Uhr morgens das Wasser wieder angestellt wurde – ich hatte mir am Vorabend nicht einmal den Staub vom Gesicht waschen können –, kam es plötzlich aus allen Hähnen geschossen. Auch das war Indien. Ich erinnerte mich vage.
Nach einer kurzen Fahrt erreichten wir Varanasi, die heiligste Stadt des Hinduismus und die Stadt Shivas – des Gottes der Zerstörung. Wie der Tod zum Leben, so gehört im hinduistischen Glauben die Zerstörung zur Wiedererschaffung. Stirbt man hier und wird am Ufer des heiligen Ganges im Feuer bestattet, so heißt es, werde man vom Samsara – dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt – erlöst. In der Hoffnung, hier zu sterben, pilgern deshalb seit Tausenden von Jahren Menschen in diese Stadt, und von den »brennenden Ghats« – den Ufertreppen, an denen die Feuerbestattungen stattfinden – steigt beständig Rauch empor. Seit ich eine Reportage darüber gesehen hatte, wollte ich diese mystische Stadt unbedingt einmal mit eigenen Augen erblicken.
Bevor es so weit war, brauchten wir aber erst einmal eine Unterkunft. Während ich uns auf der Suche danach mit Ach und Krach durch die engen und geschäftigen Gassen manövrierte, thronte Mogli – mit den Vorderpfoten auf der Windschutzscheibe – stolz auf der Königin und versuchte neugierig, den vorbeiziehenden Gerüchen und Geräuschen zu folgen. Ich hingegen bekam vom vielen Kupplungziehen schon bald Schmerzen in der linken Hand und wollte nur noch eins: raus aus dem Gewusel!
Zum Glück war Hilfe nicht weit: Pankaj, ebenfalls Biker und Mitglied in einem ansässigen Motorradclub, entdeckte uns völlig verloren am Straßenrand und eilte herbei. Nachdem er mich eingeladen hatte, am Abend auch die anderen Mitglieder seines Clubs kennenzulernen, fuhr er voran und brachte uns zu einem schönen Hostel. Ich mochte Hostels – wegen der Atmosphäre und weil man dort auf andere Reisende traf. Mit Mogli an meiner Seite blieb mir ein Bett in den günstigen Schlafsälen jedoch meist verwehrt, und die Einzelzimmer lagen in der Regel über meinem Budget. Bevor er sich wieder auf den Weg machte, half mir Pankaj aber glücklicherweise auch noch dabei, einen guten Preis auszuhandeln.
Für Mogli war unser neues Zuhause perfekt: Sie durfte sich im kompletten Hostel frei bewegen, und wenn die Müdigkeit sie übermannte, konnte sie sich jederzeit in unser Zimmer zurückziehen. Dank der vielen streunenden Hunde brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, dass sie zur Eingangstür hinaushuschte, und bald fanden wir uns stattdessen auf der großen Dachterrasse wieder. Von hier aus konnte ich fast ganz Varanasi überblicken und sogar den Rauch am Ganges aufsteigen sehen. Ich konnte es kaum erwarten, diese Stadt zu erkunden!
Am nächsten Morgen war es endlich so weit, und zusammen mit Gavri aus Israel, den ich am Vorabend bei einer Runde Schach kennengelernt hatte, machten wir die nächsten zwei Tage die Stadt unsicher. Selbst ein Bad im heiligen Ganges, der Personifizierung der Göttin Ganga, gönnte ich mir – um etwaige Sünden wegzuwaschen. Das verseuchte Flusswasser auch noch zu trinken, so wie es hier eigentlich üblich ist, traute ich mich dann aber doch nicht – heilig hin oder her. Trotzdem spürte ich, dass dies kein gewöhnlicher Ort war. Nie zuvor war ich in einer Stadt wie dieser gewesen, wenngleich anfangs auch alles ein wenig makaber auf mich wirkte: Die Luft an den Ghats war durchdrungen vom Rauch der Scheiterhaufen, ständig zogen Leichenzüge vorbei, und an jeder Ecke stapelte sich das Holz für die Feuerbestattungen. Es gab sogar ein Gesetz, das vorschrieb, wie viel Kilogramm davon für eine Bestattung benötigt wurden.
Dieses »Spektakel« zog natürlich auch viele Touristen an – sowie findige Einheimische, die sich erhofften, an ihnen schnelles Geld zu verdienen. Daran hatte ich mich jedoch längst gewöhnt, und ich bildete mir zudem ein, mittlerweile die meisten Maschen durchschauen zu können. Als mich dann aber eine junge Frau nicht um Geld, sondern um Milch für ihr hungriges Baby bat, das sie auf dem Arm trug, staunte ich nicht schlecht. Der Trick war mir neu! Trotzdem war ich mir sicher, dass etwas faul daran war. Später lernte ich, dass die Frauen die von den Touristen gekaufte Milch sofort wieder zu einem geringeren Preis an die Ladenbesitzer zurück verkauften und sich dann das nächste gutmütige Opfer suchten. Oft waren es nicht einmal ihre eigenen Babys, und wie die meisten Bettler durften die Frauen am Ende des Tages vermutlich auch nur einen Bruchteil ihres Verdienstes behalten, während der Löwenanteil bei irgendwelchen Hintermännern landete. Dies ist ja leider nicht nur in Indien ein Problem.
Als die Dunkelheit Einzug hielt und die letzten Feuer erloschen waren, versammelten sich plötzlich immer mehr Menschen an den Ghats. Sie kamen, um den allabendlichen Ganga Aarti, den spirituellen Ritualen zu Ehren der Göttin Ganga, beizuwohnen. Bald glich die Promenade einem Festivalgelände, und unzählige Menschen – darunter auch eine beträchtliche Anzahl an Touristen – bahnten sich ihren Weg durch die Menge und suchten nach einem guten Platz, um die feuerschwenkenden und muschelhornblasenden Priester zu bestaunen. Als die Zeremonie vorbei war, wurde es zum ersten Mal ruhig.
Am nächsten Tag verließen wir Varanasi und setzten unsere Fahrt in der Gangesebene fort. Der Ganges ist dabei nicht nur von spiritueller Bedeutung, sein Becken ist auch eine der landwirtschaftlich produktivsten Regionen der Welt und beherbergt etwa ein Drittel aller Einwohner Indiens. In den Städten, die wir durchfuhren, wuselte es regelrecht von Menschen. Außerhalb reihte sich dann eine Farm an die nächste, und die vielen Traktoren, Lkw und Tiere auf der Straße ließen uns nur schleppend vorankommen. Wann auch immer ich irgendwo für Chai oder einen Happen zu essen anhielt, versammelte sich sofort eine ganze Menschentraube um uns herum. Und da die meisten von ihnen kein Englisch sprachen, begnügten sie sich eben damit, mich mit großen Augen genauestens zu studieren. So ähnlich musste sich Mogli wohl öfter fühlen! Jetzt zog sie es zum Glück vor, erst gar keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und beobachtete das Treiben meist heimlich von ihrer »Höhle« aus. Die Kamasutra-Tempel in Khajuraho markierten schließlich das Ende der Gangesebene. Wir waren in Madhya Pradesh, der »zentralen Provinz«, angekommen.
Unser nächstes Ziel war Indore, doch außer dass es dort einen Couchsurfing-Gastgeber namens Rajiv gab, der uns zu sich eingeladen hatte, wusste ich nichts über diese Stadt. Als wir Rajivs Adresse nach einer kurzen Suche gefunden hatten, wartete er schon vor der Tür. Noch bevor ich es schaffte, unsere Sachen abzuladen, hatten sämtliche Kinder in der Nachbarschaft schon Wind von unserer Ankunft bekommen. Wir waren einmal mehr umzingelt. Die Erwachsenen – obwohl ebenso neugierig wie die Kinder – hielten noch ein wenig Abstand und beäugten uns gespannt vom anderen Ende der Straße aus. So hatte ich mir das nicht vorgestellt! Denn offiziell musste man als Ausländer in Indien bei der Einwanderungsbehörde registriert werden, wenn man irgendwo übernachtete. Wenn ich gehofft hatte, unter dem Radar fliegen und mir den Aufwand sparen zu können, hatte ich mich wohl geschnitten.
Es wäre nicht das erste Mal, dass uns diese leidige Vorschrift einen Strich durch die Rechnung machte, und ein paarmal waren wir deshalb bereits an Hotels zurückgewiesen worden. Zum Glück wusste sich Rajiv aber zu helfen, und so machten wir uns, nachdem ich die Prinzessin versorgt hatte, erst mal auf den Weg zur Polizeistation. Bis die Formalitäten erledigt waren, dauerte es eine ganze Weile, was unter anderem daran lag, dass es in der ganzen Station keinen Drucker zu geben schien. Aber die Beamten hatten es offensichtlich auch nicht besonders eilig – mir kam es eher so vor, als freuten sie sich über unseren Besuch. Einer der Polizisten packte die Gelegenheit beim Schopfe und ließ sich von Rajiv, der einen erfolgreichen YouTube-Kanal betrieb, ein paar Tipps für seinen eigenen Kanal geben. Ein anderer eilte währenddessen hinaus, um für uns alle Chai zu holen. Der Tag war gelaufen.
Wieder daheim erklärte mir Rajiv zu meiner Überraschung, dass er auf eine Hochzeit eingeladen war und leider keine Zeit hatte, uns Gesellschaft zu leisten. In zwei Tagen wäre er aber zurück, und wenn wir dann noch da seien, wollte er mir seine Stadt zeigen. Er überreichte mir den Schlüssel zu seinem Apartment, bat mich, keine fremden Leute hineinzulassen, und machte sich auf den Weg. Wie viel Vertrauen mir die Leute entgegenbrachten, erstaunte mich immer wieder!
Als es am nächsten Morgen klingelte, tat ich einfach so, als ob keiner daheim wäre. Schließlich war Rajiv auf der Hochzeit und ich nur zu Gast. Kurz darauf aber klopfte es an der Tür, und als ich aufmachte, standen die Nachbarn davor. Es war ihnen nicht entgangen, dass sich in ihrem Haus eine waschechte Prinzessin aufhielt, und nun erhofften sie sich eine Audienz. Noch bevor ich es schaffte, ihnen zu erklären, dass ich niemanden hereinlassen durfte, waren sie auch schon im Wohnzimmer und machten Fotos von ihrem kleinen Kind, das sie direkt neben Mogli gesetzt hatten. Ganz geheuer war der Prinzessin die Situation nicht. Ihren Platz wollte sie deswegen aber auch nicht aufgeben, und so harrte sie geduldig der Dinge, die da kommen sollten, und fauchte, wenn ihr jemand zu nah kam. Einer der Männer, der verschont geblieben war, lachte und bemerkte, dass vermutlich nur Brahmanen – als Angehörige der höchsten Kaste – die Prinzessin anfassen dürften. Dass ich keiner Kaste angehörte, passte dagegen nicht ganz in ihr Weltbild, und zum Glück waren sie dann auch, so schnell sie gekommen waren, wieder weg.
Der Besucherstrom riss deswegen aber noch lange nicht ab, und bald schon klingelte es erneut. Dieses Mal zog ich schnell meine Schuhe an und fragte die Jungs an der Tür, ob sie nicht Lust hätten, mir ein wenig von ihrer Stadt zu zeigen. Das hatten sie! Und zum Glück konnte Nikhil, mit seinen 13 Jahren der Älteste in der Gruppe, auch ein wenig Englisch. Während er ein Bonbonpapier auf den Boden fallen ließ, erklärte er mir stolz, dass Indore die sauberste Stadt Indiens sei. Dass ich mir dabei mit der flachen Hand auf die Stirn schlug, konnte er nicht verstehen. Schließlich war die Stadt sauber, weil es Menschen gab, die damit beauftragt waren, sie zu säubern, nicht weil man Müll in Papierkörbe warf. Aus seiner Sicht trug er mit seinem Verhalten lediglich dazu bei, dass diese Menschen ihren Job nicht verloren.
Ich beließ es dabei. Mein Magen grummelte, und als ich die Jungs fragte, wo man hier etwas zu essen bekam, leuchteten ihre Augen regelrecht auf. Indore war anscheinend nicht nur die sauberste Stadt Indiens, sondern auch »The City of Food« – die Stadt des Essens. Anders als im Norden des Landes, wo man, wie mein Kumpel Arjun es mal formulierte, »isst, um die notwendigen Nährstoffe zu erhalten«, war die Kulinarik hier ein bedeutender und zelebrierter Teil der Kultur. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt solch eine große Auswahl an Gerichten und Getränken gesehen hatte wie am Chappan Dukan, dem Platz mit einst wortwörtlich »56 Läden«.
Auf unserem weiteren Weg durch Indien würde ich immer wieder auf neue, mir unbekannte Gerichte stoßen. In der Region um Indore aß man zum Beispiel keine Rotis – Fladenbrote – mit Gemüse zum Frühstück, sondern Poha, also gepresste Reisflocken, die mit Ghee und unraffiniertem Zucker oder manchmal auch mit Kokosflocken und getrockneten Früchten angebraten wurden. Ein paar Kilometer weiter westlich wiederum war Poha in der Regel herzhaft. Wenn sich auch die Zutaten nicht weiter änderten, die Gerichte, das Klima und die kulturellen Traditionen taten es sehr wohl.
Meine Begleiter und ich verbrachten den restlichen Tag mit Essen, und als die Schmuckstände des Sarafa Basars um acht in Imbissstände umgewandelt wurden, aßen wir dort zu Abend. Selbst um Mitternacht machten die Standbetreiber noch lange keine Anstalten zu schließen. Dafür telefonierte Dev, einer der Jungs, jetzt ganz aufgeregt mit jemandem, und ich bildete mir ein, ein paar Mal das Wort »Angresi«, also Engländer, rausgehört zu haben. Dass dieser Begriff mir galt, hatte ich mittlerweile gelernt, und in der Tat wandte sich Dev kurz darauf an mich: Er fragte, ob ich mit ihm nach Hause kommen und er mich seinen Eltern vorstellen könnte. Er hätte nämlich schon längst daheim sein sollen, und um keinen Ärger zu bekommen, bediente er sich kurzerhand meiner als Ausrede. Selbstverständlich half ich ihm aus der Patsche.
Es war tiefste Nacht, als ich endlich wieder zurück bei Mogli war. Aber wo war sie nur abgeblieben? Ich bereute augenblicklich, ihr den Tracker zuvor abgenommen zu haben, den sie sonst zur Sicherheit trug. Zunächst war ich dennoch der festen Überzeugung, sie hätte sich nur irgendwo versteckt. Da alles Rufen nichts half, holte ich also ihre Leckerlis raus und presste, sicher, dass sie darauf reagieren würde, meine Lippen zusammen, um den »Leckerli-Ruf« zu machen. Nichts. Als Nächstes rief ich Rajiv an, um mich zu vergewissern, dass niemand sonst einen Schlüssel zu seiner Wohnung hatte. Aber er versicherte mir, ich hätte den einzigen Zweitschlüssel. Die Wertsachen waren auch noch da, es war also auch niemand eingebrochen. Verzweifelt stellte ich das ganze Zimmer auf den Kopf, durchwühlte dreimal den Schrank und hob mehrmals das Bett an. Aber Mogli war wie vom Erdboden verschluckt.
Doch was war das? Plötzlich glaubte ich, ein entferntes »Miau« gehört zu haben. Da war es wieder! Mein Blick fiel auf das Fenster, und als ich mein Ohr an die Gitter presste, konnte ich Mogli hören, wie sie nach mir rief. Ihre Stimme würde ich unter Hunderten von Katzen erkennen! Ich schnappte mir den Schlüssel und rannte, so schnell ich konnte, die Treppen hinunter zur Straße, um die Ecke und zum Nachbarn. Dort saß die tollkühne Prinzessin tatsächlich auf dem Vordach.
Wie schon so oft zuvor fiel mir eine ganze Lkw-Ladung Steine vom Herzen. Nun konnte ich auch erkennen, was passiert war: Sie hatte sich durch die Gitter des Fensters gequetscht und war aufs Vordach gehüpft. Nur zurück kam sie aufgrund des fehlenden Vorsprungs nicht mehr von alleine. Ich fragte mich, wie lange sie wohl schon dort auf mich gewartet oder welche Abenteuer sie in der Zwischenzeit erlebt hatte. Eins war klar: Mogli war mindestens ebenso glücklich, mich zu sehen, wie ich sie. Als sie mich um die Ecke biegen sah, miaute sie laut und hüpfte, sowie ich in Reichweite war, auf meine Schulter. Unsere Welt war wieder in Ordnung.
Am nächsten Morgen standen dann Journalisten samt Kamerateam vor der Tür – einer unserer vielen Besucher vom Vortag hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, ein Interview für eine der größten Hindi-Tageszeitungen zu geben. Die Reporter stellten die üblichen Fragen zu unserer Reise und freuten sich besonders, als ich erzählte, dass ich ab und an unsere Lagerplätze oder schöne Stellen in der Natur von Müll befreit hatte. Später las sich das dann allerdings, als wäre ich nach Indien gekommen, um hier aufzuräumen, und ich schämte mich fast ein wenig dafür. Zwar war es durchaus in meinem Interesse, anderen Menschen ein gutes Vorbild zu sein, aber ich hielt mich nicht für etwas Besseres und wollte auch niemandem meine Meinung aufzwingen.
Die Leute von der Presse hatten für noch mehr Aufmerksamkeit gesorgt, und nachdem der Artikel am nächsten Tag erschienen war, konnten wir uns vor Besuchern kaum mehr retten. Und so verabschiedete ich mich von unserem Gastgeber Rajiv, der mittlerweile von der Hochzeit zurückgekehrt war, und wir machten uns wieder auf den Weg.
Weihnachten stand vor der Tür, und obwohl ich noch nicht wusste, wo wir die Feiertage verbringen würden, so hoffte ich doch inständig, dass es nicht alleine in irgendeinem Hotel sein würde. Ich erinnerte mich daran, dass uns Anam – Indiens erste Stuntbikerin – vor einer ganzen Weile zu sich nach Pune eingeladen hatte. Damals waren wir auf dem Weg in den Himalaja gewesen, und ich hatte es mir nur auf meiner Karten-App notiert. Jetzt aber waren wir bloß zwei Tagestouren von Pune entfernt, und die Richtung stimmte. Vielleicht könnten wir Weihnachten ja dort verbringen? Und vielleicht würde mir Anam ja sogar beibringen können, wie man einen Wheelie mit dem Motorrad macht, also wie man auf dem Hinterrad fährt. Ich hinterließ ihr eine Nachricht, und die Antwort folgte prompt: Mogli und ich waren herzlich willkommen.
Ich freute mich riesig, dass die Einladung noch stand und wir somit auch einen Plan für Weihnachten hatten. Einzig einen Abstecher zu den Ellora-Höhlen, deren 34 Tempel und Klöster in mühevoller Handarbeit aus dem Gestein kilometerlanger Basaltklippen gehauen worden waren, wollte ich davor noch machen.
Priyanka, eine Bikerin und Katzenfreundin, die unsere Reise in den sozialen Medien verfolgt hatte, ließ es sich nicht nehmen, uns die letzten Kilometer nach Pune zu eskortieren. Sie konnte es kaum glauben, dass wir – vor allem Mogli – den weiten Weg bis in ihre Heimat mit dem Motorrad gewagt hatten. Ich freute mich über die Gesellschaft, und mit Priyanka hatte ich endlich auch jemanden an meiner Seite, der den Leuten, die sich immerzu um uns versammelten, ihre Fragen beantworten konnte. Anfangs hakte sie ab und an noch bei mir nach, aber bald hatte sie die FAQ inne, und ich konnte mich schmunzelnd und Chai schlürfend zurücklehnen. Das machte sie richtig gut! Bevor sich unsere Wege wieder trennten, aßen wir noch eine Kleinigkeit in einer Dhaba, einem der typischen Essensstände an der Straße, und machten aus, in den nächsten Tagen eine Runde zusammen zu drehen.
Als wir endlich bei Anam in Pune ankamen, wurden wir mit offenen Armen empfangen. Sie und ihr Freund Sahil hatten es beide kaum erwarten können, Bekanntschaft mit der Prinzessin zu machen, und wollten sie am liebsten gleich in ihre Arme schließen. Ihre Hoheit aber hielt davon nicht viel, und so bekam ich eben die Umarmungen ab.
Eines der Dinge, die ich an Indien lieben gelernt hatte, waren seine Gegensätze. Anam war ein perfektes Beispiel dafür: Sie war aufgeschlossen, emanzipiert und selbstbewusst. Das komplette Gegenteil vieler indischer Frauen, die traditionell oft in jungen Jahren verheiratet wurden, früh Kinder bekamen und sich, ohne es je hinterfragt zu haben, ihrem Schicksal fügten. Für Anam hingegen war es selbstverständlich, ihres eigenen Glückes Schmied zu sein, und wie wichtig ihr das war, musste selbst ihr Vater irgendwann einsehen. Als Belohnung für gute Schulabschlussnoten hatte er ihr nämlich ein Motorrad versprochen, dann aber stattdessen einen Roller – in Indien Scooty genannt – gekauft. Nicht etwa, weil der billiger gewesen wäre, sondern weil es sich als Mädchen nicht schickte, Motorrad zu fahren. Gekränkt weigerte sich Anam aber, mit dem Roller in die Universität zu fahren, und nahm stattdessen den Bus. Kurz nachdem sie dann endlich ihr Motorrad hatte, brach sie gleich mit dem nächsten Tabu und lernte, einen Wheelie zu machen. Auch die anspruchsvollen Strecken durch den Himalaja hatte sie schon bezwungen – ironischerweise auf einem Scooty.
Ich verstand mich auf Anhieb gut mit Anam und Sahil. Wir hatten uns viel zu erzählen, und der Ankunftsabend reichte nicht einmal annähernd dafür aus. Zum Glück hatten wir aber noch genug Zeit, um uns kennenzulernen, denn nach über 2200 Kilometern waren Mogli und ich reif für eine Pause.
Mogli genoss es sichtlich, endlich mal wieder ausschlafen zu können. Nur dass wir weit oben in einem Haus waren, wo sie nicht durchs Fenster nach draußen konnte, passte ihr nicht. Bald schon hatte sie auch die letzte Nische in dem Apartment erkundet und stand miauend vor der Tür. Es war die perfekte Gelegenheit, den neuen Katzenrucksack, den ich an Anams Adresse hatte liefern lassen, auszuprobieren. Im Grunde genommen war es ein normaler Rucksack, nur vorn war ein Guckloch wie in einem U-Boot eingearbeitet, und der »Deckel« war aus einer Art Netz gefertigt. Anfangs wollte Mogli nichts davon wissen, als sie dann aber beim Spazierengehen von einem linken Rasensprenger angegriffen wurde, lernte sie ihren neuen Unterschlupf schnell zu schätzen.
Da Anams Stunt-Motorrad in der Werkstatt war, wurde leider nichts aus meinem Plan, Wheelies von ihr zu lernen. Aber das machte nichts, denn ich hatte auch so jede Menge vor, und auch Anam und Sahil hatten ein paar Sachen geplant. Als Erstes traf ich mich mit Shubham, einem Freund Anams, um endlich unsere eigenen Sticker und Schlüsselanhänger machen zu lassen – etwas, was ich schon lang vorhatte. Da wir hier in einer großen Stadt waren, nutzte ich auch gleich die Gelegenheit, um mit der Königin einen Service zu machen und ein paar Kleinigkeiten zu richten. Danach war ich an der Reihe, denn es war mal wieder Zeit für eine Zahnreinigung. Anstatt einer Rüge – so wie sonst immer – bekam ich diesmal ein Lob für »gute Zahnhygiene«. Wegen einer undichten Plombe brauchte ich aber leider auch noch eine Wurzelbehandlung. Hätte ich zu dem Zeitpunkt schon gewusst, wie oft ich auf meiner Reise mit der Sache noch beim Zahnarzt landen würde, hätte ich den Zahn womöglich gleich ziehen lassen.
Die Zeit verging wie im Flug, und fast hatte ich schon vergessen, dass wir auf einer Reise waren. Als ich aber eines Tages, besser gesagt an unserem zehnten Tag in Pune, ins Apartment zurückkam und Anam ein T-Shirt mit der Aufschrift »I hate you! And I hate your cat!« trug, fragte ich mich kurz, ob das wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl war. Anam aber lachte nur lauthals, als sie meine verdatterte Miene sah, und versicherte mir, dass sie es nur deshalb angezogen hatte.
Wenn Anam Mogli zu Weihnachten nicht ein kleines, selbst gemachtes Kratzbrett für unterwegs geschenkt hätte, hätte ich es vermutlich ganz vergessen. Doch auch wenn es nicht weihnachtete, freute ich mich, die Tage im Kreise von Freunden verbringen zu können. Und am Ende hatte Anam sogar noch ein kleines Geschenk für Sahil und mich: Wir durften sie zum »Glamping« begleiten – einem glamourösen Camping, zu dem sie vom Betreiber des Camps eingeladen worden war. Es war gleichzeitig ein Abschiedsgeschenk, denn von da aus würden Mogli und ich unsere Reise in den Süden fortsetzen.
Der Campingplatz mit seinen luxuriös eingerichteten Tipis lag am Pawna-See, inmitten der Hügel westlich von Pune. Es waren aber nicht etwa irgendwelche Hügel, sondern die ersten Ausläufer der Westghats, jener Gebirgskette, der wir die nächsten Monate fast bis zum südlichsten Punkt Indiens folgen wollten. Und auch wenn ich es noch nicht sehen konnte, so wusste ich doch, dass sich dahinter das Arabische Meer verbarg. Bald schon würden wir es erreichen und einen weiteren Meilenstein unserer Reise setzen.
Als ich auf die Hügel hinausblickte und an die letzten Wochen zurückdachte, überkam mich ein Gefühl von Euphorie. Wenn auch nicht auf dem längsten Wege, so hatten wir doch Indien durchquert, die endlosen staubigen Ebenen hinter uns gelassen und es bis in die Westghats geschafft. Mogli derweil konnte solchen Unsinnigkeiten wie Meilensteinen oder dergleichen nur wenig abgewinnen. Aber auch sie schien euphorisch – vermutlich, da sie sich jetzt endlich mal wieder nach Herzenslust austoben durfte, noch dazu nachts.
An unserem letzten gemeinsamen Abend saßen wir noch bis tief in die Nacht am Lagerfeuer und lauschten dem Knistern der Flammen. Ein paar Stunden später hieß es einmal mehr Abschied nehmen.
Selbst der Abschied von Anam und Sahil und die unerwartet holprigen Straßen taten meiner guten Stimmung am nächsten Morgen keinen Abbruch. Denn endlich waren wir wieder in den Bergen, und der Abschnitt, auf den ich mich am meisten gefreut hatte, hatte begonnen. Als wir allerdings abends bei Dapoli Indiens Westküste erreichten, konnte – oder besser wollte – ich meinen Augen kaum trauen: Der komplette Strand war von Müll übersät, und wegen der vielen Netze und Seile hatten sich sogar ganze Müllballen geformt. Nur 200 Meter weiter vor einem Hotel war dagegen alles blitzblank. Der Anblick tat mir im Herzen weh, und leider sollte es auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich so etwas sah. Ab hier wurden die Strände aber zum Glück erst mal wieder sauberer.
Obwohl sich die kleine Küstenstraße durch jedes Dorf schlängelte und wir daher nur mühsam vorankamen, entschied ich mich, ihr bis nach Goa zu folgen. Die atemberaubenden Blicke auf die malerischen Strände machten jede Unannehmlichkeit und jedes Schlagloch leicht wieder wett. Nur zu gern hätte ich alle paar Kilometer angehalten und unser Zelt aufgebaut. Als ich dann zufällig zwei Franzosen begegnete, die genau dies vorhatten, schloss ich mich ihnen kurzerhand an – wohl wissend, dass die Prinzessin nicht viel davon halten würde. Doch Ihre Hoheit würde sich diese Nacht eben mal mit einem Strand abfinden müssen. Damit sie aber nicht ganz ohne Unterschlupfmöglichkeiten auskommen musste, schlugen wir unser Camp in der Nähe von ein paar Büschen auf.
Charlotte und ihr Freund Nils hatten sich in Goa ein Motorrad gekauft und waren damit auf dem Weg nach Rishikesh am Rande des Himalaja. Spätestens seit die Beatles, Donovan und andere bekannte Musiker in den Sechzigerjahren dort meditiert hatten, war die selbst ernannte »Yoga-Hauptstadt« am Ganges nicht nur ein beliebter Ort unter Pilgern, sondern auch bei Touristen, die der Sommerhitze entfliehen wollten. Im Winter wurde es hingegen schnell zu kalt – vor allem auch, weil Heizungen hierzulande nicht üblich waren. Und so galt die Route zwischen Goa und Rishikesh heutzutage als »das letzte Überbleibsel des Hippie Trails«. Ob die beiden wussten, dass sie gerade in die verkehrte Richtung fuhren?
Während Nils und ich Treibholz für ein Lagerfeuer sammelten, begann Charlotte damit, ein Abendessen für uns alle zu zaubern. Mogli war längst dabei, das Gebüsch zu erkunden, und kam in immer größer werdenden Abständen alle paar Minuten zurück, um sich zu melden. Erst als sie sich sicher war, dass wir dort übernachteten, blieb sie auch mal länger weg. Ich war erstaunt, wie gut sie sich schlug. Vielleicht könnten wir ja in Zukunft doch häufiger mal an Stränden campen?
Doch ich freute mich zu früh – als wir uns schlafen legten, belehrte mich Mogli eines Besseren. Sie hatte sich nämlich bereits einen sicheren Platz für die Nacht auserkoren und wollte nach dem Fressen gleich wieder raus aus dem Zelt. Als ich es ihr nicht erlaubte, protestierte sie lautstark. Wenn ich sie nur ignorierte, dann würde sie sicher bald aufgeben, dachte ich mir und drehte mich zur Seite. Tatsächlich war nach ein paar Minuten endlich Ruhe. Dafür vernahm ich jetzt ein anderes Geräusch, und als mir klar wurde, dass es Krallen waren, die sich in die Zeltplane bohrten, schreckte ich aus meinem Halbschlaf hoch. Mogli meinte es ernst, und nur weil sie nicht mehr jammerte, hieß das noch lange nicht, dass sie aufgegeben hatte. Als ich mit ihr schimpfte und sie zurück in ihre Tasche setzte, die ihr nachts als Bett diente, ging das Spiel von vorn los. Irgendwann war ich völlig übermüdet und am Ende mit meinen Nerven. Nachgeben wollte ich aber trotzdem nicht. Einerseits, weil ich mich nicht um sie sorgen wollte, andererseits sollte sie beim nächsten Mal wissen, dass sie damit nicht durchkäme. Es war ein erbitterter Kampf zwischen zwei Sturköpfen, und erst am Morgen, als die Sonne bereits so stark auf unsere Zelte hinunterbrannte, dass wir zusammenpacken mussten, gab sie auf.
Vom Schlafmangel benommen machte ich mich daran, die Königin, die ich in Strandnähe geparkt hatte, zu beladen. Mogli hatte sich im Schlafsack verkrochen, und als es an der Zeit war, das Zelt abzubauen, setzte ich sie aufs Motorrad. Als ich aber mit den restlichen Sachen zurückkam, hing nur noch ihr Geschirr da. Sie hatte es geschafft, sich herauszuwinden, und so im letzten Moment doch noch ihren Willen durchsetzen können. Ich konnte es nicht fassen! Gleichzeitig war ich genervt. Erst raubte sie mir den Schlaf, und jetzt brachte sie mich dazu, in voller Montur und in der prallen Sonne auf Verstecksuche zu gehen. Wenigstens um Schlangen brauchte ich mir mit meinen Stiefeln keine Sorgen zu machen.
Ein kleiner Junge beobachtete mich gebannt dabei, wie ich mir meinen Weg durchs Gestrüpp bahnte. Und als er erfuhr, nach wem ich suchte, sagte er etwas, das ich nicht verstand, und rannte los. Kurz darauf kam er mit einer Katze im Arm wieder. Leider war es aber nicht Mogli, die er mir da stolz unter die Nase hielt. Ein paar Leute, die das Geschehen von der Straße aus beobachtet hatten, beschlossen, nun ebenfalls bei der Suche zu helfen, und so durchstreiften wir alle Mogli rufend das Gebüsch. Aber es half alles nichts, keiner von uns konnte die Prinzessin entdecken.
Nach und nach löste sich mein Suchtrupp schließlich wieder auf, und auch Charlotte und Nils wünschten mir viel Glück und machten sich auf den Weg. Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass die dickköpfige Prinzessin bald wieder auftauchte. Gerade als ich mit dem Gedanken spielte, unser Zelt erneut aufzubauen, fiel mein Blick aber auf einen alten Hänger, genauer gesagt auf einen kleinen Kasten, der an der Gabel angebracht war. Ich hatte ihr Versteck gefunden!
Glücklicherweise war es nun nicht mehr weit bis nach Goa, und so hatten wir am frühen Nachmittag Indiens kleinsten Bundesstaat erreicht. Hier würde ich besser niemandem erzählen, dass ich bis vor Kurzem noch geglaubt hatte, Goa wäre nur eine Musikrichtung. Zumindest lag ich damit nicht völlig daneben, denn tatsächlich waren die wilden Trance-Partys, die in den späten Achtzigern hier stattgefunden hatten, Namensgeber für den Musikstil.
Nebst unzähligen Bars, Restaurants und Hotels sah ich auf dem Weg zu unserer Unterkunft in Anjuna auch zahlreiche Kirchen und prächtige, europäisch anmutende Häuser mit ausladenden Veranden. Über 450 Jahre portugiesische Kolonialherrschaft hatten ihre Spuren hinterlassen, und es fühlte sich an, als wären wir plötzlich in einem anderen Land. Hatte ich am Vortag noch angehalten, weil wir zwei Europäern auf einem Motorrad begegnet waren, so war dies hier so häufig der Fall, dass man sich nicht einmal mehr gegenseitig grüßte. Selbst die Einheimischen interessierten sich kaum mehr für Mogli und mich. Welch ein befreiendes Gefühl es doch war, stehen bleiben zu können, ohne sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zu ziehen! Das Beste an diesem kulturellen Schmelztiegel aber war, dass es hier guten Kaffee gab.
Einen Tag später kam Gaurav nach Anjuna, den wir während unseres Aufenthalts bei Anam und Sahil kennengelernt hatten. Zu meiner – und Moglis – Überraschung war er aber nicht allein: Aus dem Tankrucksack seines Motorrads streckte sich ein kleines Köpfchen! Gaurav grinste übers ganze Gesicht und stellte mir stolz Captain Roads, den »Kapitän der Straße« vor. Es war schon seit Langem sein Herzenswunsch gewesen, einen Hund zu haben, nur hatte er sich bisher nie getraut, diese Verantwortung auf sich zu nehmen. Nachdem er aber Mogli und mich kennengelernt hatte, gab es für ihn kein Halten mehr. Kurz nach unserer Abreise war er zum Tierheim gegangen und hatte einen Welpen gerettet. Ohne Gaurav hätte der Kleine vermutlich nie ein Zuhause gefunden, denn der angehende Kapitän war, wie so viele der Pelzknäuel dort, ein Mischling von der Straße – nicht gerade die beliebteste »Rasse«. Wenn er wüsste, wie viel Glück er gehabt hatte!
Mittlerweile hatte auch Mogli Captain Roads entdeckt und beobachtete ihn mit großen Augen und aus sicherer Entfernung. Dass sie sich die nächsten Tage ein Zimmer mit ihm teilen sollte, passte ihr gar nicht – auch wenn der Kleine noch zu tapsig war, um von selbst aufs Bett zu hüpfen. Ich hingegen sah es als erneute Chance, an ihrer Hundephobie zu arbeiten. Und was wäre besser geeignet als ein tollpatschiger Welpe? Was mich allerdings neben den Schlangen, die Mogli gefährlich werden konnten, ein wenig beunruhigte, waren die Hunde, die laut Linda, unserer Hausherrin, in Rudeln Jagd auf Katzen machten. Und als wäre das noch nicht Grund genug zur Sorge gewesen, legte sie mir bei unserer Ankunft zudem noch ans Herz, achtzugeben, dass niemand Mogli stehlen würde. Im Vergleich zu den hiesigen zierlichen Katzen mit ihrem kurzen Fell sah die Prinzessin nämlich aus wie eine Rassekatze. Spätestens jetzt war ich wieder froh über ihre skeptische Natur!
Nur wenig später trafen auch Gauravs Freunde Omkar und Mehout ein, und es wurde voll in unserem Zimmer. Wie Tausende andere waren sie gekommen, um Silvester hier zu feiern. Denn, so heißt es: »Was in Goa passiert, bleibt in Goa!« Daran, dass das neue Jahr noch zwei Tage entfernt war, schien sich hier niemand zu stören, und von überallher tönte Musik – von Rock-Klassikern über Bollywood-Hits bis hin zu dumpfen Bässen, die bis in die Morgenstunden über die Strände hallten. Selbst die Straßen verwandelten sich in Discos, wenn sich der Verkehr mal wieder vor einer Bar mit Musik staute. Kaum zu glauben, dass wir noch im selben Land waren!
Als zu Silvester die Raketen an allen Stränden gleichzeitig gezündet wurden, sah es aus, als stünde das Meer in Flammen. Ein beeindruckender Anblick! Leider hatte das Spektakel aber einen faden Beigeschmack, denn ich musste unweigerlich daran denken, wie viel Müll dadurch im Meer landete. Trotzdem, Goas Strände waren deutlich sauberer als die, die wir weiter nördlich zu Gesicht bekommen hatten.
Wie die meisten anderen machten sich auch Omkar und Mehout im neuen Jahr wieder auf den Weg zurück in den Alltag. Und auch für uns kehrte für eine kurze Weile so etwas wie »Alltag« ein: Gaurav, der noch ein paar Tage Urlaub hatte, lernte, was es hieß, Hundepapa zu sein, und übte sich im Bodenwischen. Roads lernte, dass Katzen kein Spielzeug sind, und Mogli fand heraus, wo es was zu holen gab: Wenn Sergej, unser russischer Nachbar, kochte, fiel meist etwas Fleisch auf den Boden, und bei Linda gab es ab und an ein wenig Milch für sie zum Schlecken. Mit Lindas Sohn Elvis, der im Übrigen noch nie von dem Elvis gehört hatte, konnte sie sich mit dem Palmwedel austoben. Den kleinen Roads hatte Mogli auch bald im Griff, nur mit Lindas Katzen hatte sie anfangs etwas zu kämpfen. Bald schon saßen sie aber zusammen im Gebüsch und stellten Schlangen nach.
Gaurav und ich verbrachten die nächsten Tage damit, Goa zu erkunden oder das Leben in einer der vielen Strandbars mit Livemusik zu genießen. Es fühlte sich an wie ein richtiger Urlaub, und die Zeit raste nur so dahin.
An einem dieser Abende trafen wir in einer der besagten Bars auf eine Musikerin aus Wales. Sie stellte sich uns als Sian vor, von der Band Kosheen. Dass Gaurav nichts damit anzufangen wusste, war kaum verwunderlich, und da ich oft nicht einmal die Namen von Bands kannte, deren Lieder ich mitzusingen vermochte, war es auch keine große Überraschung, dass es bei mir nicht anders aussah. Erst als ich am nächsten Tag auf den Link klickte, den Sian mir geschickt hatte, und die ersten Noten von Catch vernahm, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Den Song hatte ich schon ewig nicht mehr gehört! Als ich meine Augen schloss, war ich wieder 15 Jahre alt, und die Melodie plärrte aus den Autolautsprechern, während meine Mum und ich im Takt mit den Fingern auf dem Armaturenbrett trommelten. Die Sian also war es, die wir getroffen hatten. Welch eine Ehre!
Zum Glück brauchte man in Goa als Sozius bislang noch keinen Helm, und so begleitete Sian uns sogar noch ein Stückchen auf unserer Weiterreise. In Palolem trennten sich unsere Wege wieder. Sian wollte ihre letzten Tage in Indien an den malerischen Stränden verbringen, ich dagegen wollte unbedingt noch Hampi erkunden, bevor es weiter nach Süden ging. Was es damit auf sich hatte und dass die archäologische Stätte zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörte, wusste ich zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht, aber ich hatte von so vielen Leuten von Hampi gehört, dass ich kaum erwarten konnte, es herauszufinden.
Auf dem Weg ins Landesinnere passierte dann genau das, wovor ich mich schon seit Langem gefürchtet hatte: Ein Hund rannte uns ins Motorrad, und das bei 70 Sachen! Er war so fixiert auf einen seiner Artgenossen auf der anderen Straßenseite, dass er uns gar nicht erst hatte kommen sehen, und als er losrannte, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Muskeln anzuspannen und auf den Einschlag zu warten. Jetzt also würde ich herausfinden, wie sich so ein Zusammenstoß anfühlte.
Als ich meine Augen wieder aufmachte, saßen Mogli und ich, wie durch ein Wunder, noch immer auf dem Motorrad. Wäre der Hund auch nur einen Sekundenbruchteil eher losgelaufen oder wären wir nur ein bisschen langsamer gewesen, hätten wir ihn mittig mit dem Vorderreifen erwischt. So aber verlief der Zusammenstoß etwas glimpflicher, auch wenn ich für den Hund leider nichts mehr tun konnte. Ich kam mit einem riesigen Schrecken davon, und Mogli hatte von alldem wohl nicht viel mitbekommen. Als ich kurz darauf hielt, um meine weichen Knie mit einem Chai zu beruhigen, blinzelten mich zwei verschlafene Augen an. Sind wir schon da?
Zum Glück wussten wir beide noch nicht, dass die nächste brenzlige Situation bereits auf uns wartete: Nur wenige Kilometer weiter trieb eine Frau, ohne auf den Verkehr zu achten, ihre Ochsen auf die Straße. Da ich sie früh genug gesehen hatte, wiegte ich mich in trügerischer Sicherheit. Was ich aber nicht bedacht hatte, war, dass der entgegenkommende Lkw auf unsere Spur ausweichen würde. In letzter Sekunde konnte ich mich noch auf den Randstreifen retten. Im nächstbesten Ort hielt ich schließlich an und suchte uns eine Bleibe. Ich hatte genug Aufregung für einen Tag!
Am nächsten Morgen lief, abgesehen vom Passieren eines fragwürdigen Checkpoints, alles glatt, und am Nachmittag erreichten wir Hampi. Fragwürdig war der Checkpoint dabei nicht etwa, weil die »Barrikade« aus einer über die Straße gespannten Schnur bestand, sondern weil man an Checkpoints normalerweise nicht zur Kasse gebeten wurde und die Beamten in der Regel uniformiert waren. Hier aber handelte es sich vermutlich nur um findige Einheimische, die ihre Kasse aufbessern wollten. Nachdem sie – vielleicht in weiser Voraussicht – den geforderten Betrag so niedrig angesetzt hatten, dass es sich nicht lohnte, lang zu diskutieren, zahlte ich zähneknirschend und fuhr weiter.
Fast hätte ich das kleine Hostel, das Gaurav mir empfohlen hatte, übersehen, so gut versteckte es sich inmitten der Bäume und Pflanzen. Als ich das selbst gemachte Schild dann endlich entdeckte, machte mein Herz einen kleinen Freudensprung: Der Zaun, das Tor, selbst die Bungalows und der Schlafsaal waren aus Bambus, Holz und Palmblättern gebaut, in der Mitte lud ein Pavillon mit niedrigen Tischen und unzähligen Kissen zum Verweilen ein, und zwischen den Bäumen hingen Hängematten. Ein paar alte Lautsprecherboxen sorgten für die musikalische Untermalung. Es war wie eine kleine Oase!
Zum Glück war noch ein Bungalow für uns frei. Und zum Glück gab es darin auch ein Moskitonetz, das mir nachts die Spinnen – eine hatte ich schon am Dach entdeckt – vom Leib hielt. Nun galt es nur noch zu hoffen, dass der Hund des Hauses Mogli nicht nachstellen würde. Die Katzen, die hier lebten, ließ er zumindest schon mal in Ruhe.
Nachdem ich die Löcher in den »Wänden« unseres Bungalows gestopft hatte, damit Mogli nicht auf eigene Faust rauskonnte, machte ich mich auf, die anderen Gäste bei einem Chai kennenzulernen. Und da es hier kein Internet gab, saßen wir schon bald alle zusammen am Tisch und schmiedeten Pläne für den Abend.
Obwohl es die kühlste Jahreszeit war, kletterte das Thermometer täglich über die 30-Grad-Marke. Und so war unsere wichtigste Aufgabe am nächsten Morgen, zunächst einmal baden zu gehen. Erst jetzt, als wir auf winzigen Wegen über die Brücken und Dämme der Stauseen des Tungabhadra-Flusses fuhren, fiel mir auf, an welch traumhaft schönem Ort wir gelandet waren. Wie ein grünes Band, das sich seinen Weg durch die mit Felsblöcken übersäten, kargen Hügel bahnte, durchzogen Wasserläufe, Sümpfe, Reisfelder und Palmenplantagen die Landschaft. Es sah aus wie in einem Bilderbuch!
Eine schöne Stelle an einem breiten Flussabschnitt war schnell gefunden. Von hier aus konnten wir sogar die tierischen Bewohner dabei beobachten, wie sie ihren Alltag bestritten: Kleine Vögel stürzten sich kopfüber ins Wasser, um Fischchen zu ergattern, und als ich mir gerade meine Badehose anzog, sah ich auf der anderen Uferseite einen Mungo vorbeihuschen. Ein paar Otter beobachteten uns neugierig dabei, wie wir von den Felsen sprangen. Mit den Krokodilen, vor denen ein Schild warnte – das wir allerdings erst auf dem Rückweg entdeckten –, machten wir glücklicherweise keine Bekanntschaft.
Die beste Aussicht auf diese atemberaubende Landschaft bot sich uns, als wir abends die über 550 Stufen zum Tempel und Geburtsort des Affengottes Hanuman erklommen hatten. Fast noch beeindruckender aber war, welch gutes Benehmen die wohlgenährten Affen – hier wimmelte es förmlich von ihnen – an den Tag legten. Sie hatten keinerlei Scheu vor Menschen und machten nicht einmal Platz, wenn man an ihnen vorbeiwollte. Aber sie versuchten auch niemanden einzuschüchtern, um ihm den Proviant abzunehmen – eine Taktik, die sich andernorts besonders bei Kindern und jungen Frauen bewährt hatte. Ich hatte mal gehört, dass sich Affen gesitteter verhielten, wenn man ein Bild von Hanuman aufhängte, hatte dies aber als Unsinn abgetan. Jetzt fragte ich mich, ob nicht doch was Wahres daran war.
Obwohl ich die Hauptattraktion Hampis – die alte Stadt mit ihren Tempelruinen – noch gar nicht besucht hatte, hatte ich mich bereits in den kleinen Ort verliebt. Leider lief es bei Mogli nicht ganz so gut. Zwar hielten sie die Krabbeltiere in unserem Bungalow eine Weile bei Laune, aber da der Hund unseren Eingang regelrecht belagerte, konnte sie sich nur im Schutze der Dunkelheit nach draußen schleichen. Und dann waren da ja auch noch die anderen Katzen …
Jetzt bekam ich das überarbeitete Skript meines ersten Buchs vom Verlag zurück. Alles, was noch fehlte, war meine Druckfreigabe, und bevor ich die erteilte, wollte ich es noch mal genau unter die Lupe nehmen – wofür ich allerdings Internet brauchte. Kurz überlegte ich, mich dafür ein paar Tage in ein Café zu setzen. Aber das konnte ich Mogli nicht antun. Es half nichts, wir mussten umziehen.
Als ich am nächsten Tag die alte Hauptstadt mit ihren Tempelruinen erkundete, klopfte ich also auch bei ein paar anderen Unterkünften an. Nirgendwo aber war es auch nur annähernd so gemütlich wie in unserer »Oase«, und überall da, wo sich Mogli hätte austoben können, gab es Hunde. Es sollte wohl nicht sein.
Wir verließen also Hampi und fuhren zurück an die Westküste. An den abgelegenen Stränden Gokarnas fand ich schließlich den perfekten Platz: unseren eigenen kleinen Bungalow, direkt an einem traumhaften Strand und für nicht einmal fünf Euro pro Nacht. Es war wie für uns geschaffen, und sosehr ich auch nach dem berühmten »Haken« suchte, konnte ich keinen finden. Außer vielleicht, dass wir ohne eine Klimaanlage auskommen mussten, aber spätestens seit unserer Pakistan-Durchquerung beeindruckte Mogli und mich das bisschen Hitze kaum mehr.
Schneller, als ich gucken konnte, war Mogli schon durch eine kleine Lücke im Dach entwischt und sah mir – sichtlich zufrieden mit sich selbst – vom Giebel aus zu, wie ich unsere Sachen brachte. Sie war froh, endlich wieder ins Freie zu können. Während sie nun Bekanntschaft mit der scheuen Hündin machte, die hier offenbar schon des Öfteren etwas zu essen abbekommen hatte und deshalb unseren Bungalow belagerte, gönnte ich mir einen Sprung ins kühle Nass. Dann machte ich es mir mit meinem Laptop und einem Kaffee auf der Terrasse gemütlich.
Ein paar Tage später war das finale Skript, allen Ablenkungen zum Trotz, tatsächlich fertig. Nun galt es nur noch zu hoffen, dass es gut ankommen würde – und die Fertigstellung gebührend zu feiern! Nachdem ich meiner Co-Autorin eine Dose Thunfisch aufgemacht hatte, rief ich also Rakesh an, den ich vom Hostel in Hampi kannte, sowie Sian, die ebenfalls gerade in Gokarna war, um mit ihnen die nächstbeste Strandbar unsicher zu machen.
Am liebsten hätte ich uns noch ein paar Tage an »unserem« Strand gegönnt. Aber es war bereits Februar, und da somit die drei Monate, die ich mich am Stück im Land aufhalten durfte, fast vorbei waren, wurde es Zeit für den leidigen »Visumslauf«. Dummerweise war die nächste Landesgrenze von unserem momentanen Domizil aus über 2200 Kilometer entfernt. Alles, was mir in dieser Situation blieb, war, den günstigsten Auslandsflug zu buchen, 550 Kilometer ins Landesinnere nach Bengaluru zu fahren und von dort einen kurzen Ausflug außer Landes zu machen.
Zum Glück wusste ich schon genau, bei wem ich Mogli in dieser Zeit lassen würde! Athul, der uns eineinhalb Jahre zuvor ins Spiti-Tal im Himalaja begleitet hatte, war nämlich gerade in Bengaluru und hatte uns bereits eingeladen. Mogli mochte ihn und hatte bei unserem letzten Treffen sogar auf Athuls Schulter gesessen, und ich wusste, dass ich mich auf ihn verlassen konnte. Trotzdem ärgerte es mich, dass ich wegen des Visums einen solchen Aufwand hatte. Denn es lag schließlich im Ermessen des Konsulats, ob die Dreimonatsklausel hinzugefügt wurde oder nicht, und ganz offensichtlich hatten die Beamten das Anschreiben mit meinen Reiseplänen ignoriert.
Zähneknirschend buchte ich also einen Flug nach Sri Lanka für die nächste Woche. Immerhin hatten wir so gerade noch genug Zeit, um auf dem Weg nach Bengaluru einer anderen Einladung zu folgen, die schon seit einer Weile bestand, nämlich der von Reiston aus Mangaluru. Ich hatte ihn mit seiner Freundin neun Monate zuvor im Himalaja kennengelernt, als ich nach einem guten Platz suchte, um das Covermotiv für unser erstes Buch zu schießen. Damals dachte ich noch nicht, dass Mogli und ich den weiten Weg nach Südindien auf uns nehmen würden, aber wir tauschten trotzdem Nummern aus und verblieben so, dass ich mich bei Reiston melden würde. Nun war es so weit, und ich hatte mich nicht einmal melden müssen. Reiston hatte unsere Reise nämlich in den sozialen Medien verfolgt und seine Einladung bereits erneuert.
Er freute sich riesig, als ich ihm zusagte, und als Mogli und ich in dem kleinen Dorf bei Mangaluru ankamen, wartete er bereits am Straßenrand, um uns abzufangen. Sogar sein Zimmer hatte er für uns geräumt, und auch seine Familie erwartete uns schon gespannt. Die Mama hatte extra für mich die Spezialität des Hauses zubereitet. Nicht aber ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass ich auch Schweinefleisch aß. Denn das war in Indien meist nur bei christlichen Familien üblich.
Aus Mangel an guten Alternativen hatte ich mich seit Hampi vor allem von Sandwiches an Imbissständen und Strandbuden ernährt. Das letzte Mal, dass ich etwas Hausgemachtes essen durfte, war in Pune und lag somit etwa eineinhalb Monate zurück. Nun musste ich mich zusammenreißen, um nicht zu schlingen, so lecker war es. Nach dem Essen holte Reistons Vater stolz eine Flasche selbst gebrannten Stachelbeerschnaps von 1917 aus dem Schrank – natürlich nicht, ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass ich überhaupt Alkohol trank. Denn auch das war in Indien oftmals nicht üblich.
Wir wurden so lieb aufgenommen, dass ich mich auf Anhieb daheim fühlte. Und nachdem Mogli gemerkt hatte, dass die Hunde meist im Zwinger waren, fühlte auch sie sich pudelwohl hier. Ihre Lieblingsbeschäftigung in den nächsten Tagen war es, an den Gittern der Fenster heraufzuklettern und den Vögelchen zuzusehen, wie sie von außen an die verspiegelten Scheiben pickten. Nur Reistons neugieriges Kätzchen, ein kleiner Kater namens Katze, störte ihren Frieden ab und an, wenn er sich wieder einmal anschlich, um mit ihr zu spielen. Seine Schwester war zum Glück zurückhaltender.
