Mit dir oder ohne dich - Kristin Ullmann - E-Book

Mit dir oder ohne dich E-Book

Kristin Ullmann

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Beschreibung

Ihr denkt, Silver Heights wäre ein verschlafenes Städtchen in Pennsylvania? Dann macht euch auf eine humorvolle Liebesgeschichte gefasst.   Cara, die fehlende Zeit durch die Arbeit in deinem Bistro ist keine Ausrede, um Dates zu vermeiden. Auch deine Lebensmittelintoleranz sperrt dich nicht ein. Deine Unsicherheit ist völlig okay, aber lass dich nicht von ihr definieren. Du musst nicht alles alleine schaffen. Adam, gib der Vergangenheit keine Chance, deine Schuldgefühle zu verstärken. Du kannst nicht die ganze Welt retten. Wichtig ist, dass du deinen Freunden vertraust. Nimm wieder die Melodie anderer wahr.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Danksagung

Dieses Buch behandelt sensitive Themen (physische, mentale und emotionale Gewalt), die bei manchen Menschen schlechte Erinnerungen oder Flashbacks auslösen könnten.

Impressum

GedankenReich Verlag

N. Reichow

Neumarkstraße 31

44359 Dortmund

www.gedankenreich-verlag.de

Mit dir oder ohne dich

C-Up of trust

Text © Kristin Ullmann, 2022

Cover & Umschlaggestaltung: Phantasmal Image

Lektorat & Korrektorat: Luise Deckert

Satz & Layout: Kristin Ullmann

eBook: Grit Bomhauer

Illustrationen: Christina Port

ISBN: 978-3-947147-76-2

© GedankenReich Verlag, 2022

Alle Rechte vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen

sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Frittierte Pommes. Ihr Geruch übertüncht den aller außergewöhnlichen Speisen, die in der prallen Sonne angeboten werden.

Mein Bauch grummelt bösartig, weil ich ihm das Gold in Stäbchenform verweigere. Wackelnd stelle ich mich auf die Zehenspitzen, um die krakelige Schrift der Speisetafel an dem VW-Truck im Retrostyle besser entziffern zu können. Das Kleingeschriebene über dreißig hungrige Leute hinweg zu lesen, gestaltet sich schwierig.

Pizzawaffeln. Das ist es. Die könnte ich leicht abwandeln.

Ich hole mein altes Handy aus der Jeanstasche und tippe gegen die Sonnenstrahlen Stichpunkte ein, die mir sofort zu der herzhaften Waffelvariante einfallen. Als ich gerade Maismehl notiere, wird mir die Sicht auf mein Handy versperrt. Eine riesige Papiertüte mit fettigem Inhalt befindet sich gefährlich nahe an meinem weißen Oberteil. Ein gelbes Getränk gesellt sich dazu und ich spüre die Haut knapp über meiner Brust warm werden.

»Oh, nein. Nein. Das tut mir leid. Wirklich«, stottert eine tiefe Stimme.

Ich mustere ungläubig den gelb leuchtenden Fleck auf meinem Oberteil. »Mist!« Schnell stecke ich mein Handy in die Hosentasche und reibe hektisch über die nasse Stelle. »Nicht Emilias Bluse.«

»Ich … Ich mache das wieder gut. Versprochen.«

Erst da schaue ich langsam auf, um zu sehen, wer sein quietschgelbes Getränk rücksichtslos über mich gekippt hat.

Mein Blick bleibt kurz an einer glitzernden Jeansjacke hängen. Weiter oben funkeln mich mit dunklem Eyeliner umrandete, smaragdgrüne Augen an. Schwarze Haare sind an den Seiten etwas kürzer geschnitten, der Rest steht in wilden Wellen vom Kopf ab. Ein Tunnelpiercing blitzt im Sonnenlicht auf und ein gepflegter Anchor-Bart lenkt meine Aufmerksamkeit auf den geöffneten Mund, aus dem weitere Entschuldigungen strömen.

Von dem Anblick meines Gegenübers beeindruckt schüttele ich mich. »Kein … ähm Problem.«

»Kein Problem? Ich habe gerade dein Shirt versaut. Kurkumaflecken bekommt man nur schwer wieder raus.«

Erneut schiele ich zu der jetzt durchsichtigen Stelle über meinem BH, der mit seinen rosa Pünktchen förmlich Hallo schreit. Mit einer Hand verdecke ich intuitiv das Unglück und spüre, wie meine Wangen rot werden. »Wirklich … kein Problem.«

»Ich wohne hier um die Ecke und wir haben zu Hause ein Mittelchen, mit dem der Fleck sicher rausgeht.«

Einem verdammt attraktiven fremden Mann in seine Wohnung folgen. Alleine. Ganz sicher nicht. Auch wenn ich für Emilias Lieblingsbluse eine Beerdigung mit anschließender Trauerfeier organisieren müsste. Die Bluse würde allerdings nicht einsam begraben werden, denn Em würde mich kaltherzig zu ihr in das Loch stoßen. Aber selbst das könnte mich nicht dazu bringen, ihm in seine Wohnung zu folgen. Ich atme tief ein. »Das ist nett gemeint, allerdings –«

»Du gehst nicht mit einem wildfremden Typen mit«, meint er sachlich. »Das ist vernünftig. Hol dein Handy raus und öffne den Chat mit deiner besten Freundin.«

Perplex mustere ich ihn. Ist das sein Ernst?

Sein Blick wirkt aufrichtig und das Lächeln ehrlich.

Da mich sein Charme ordentlich um den Finger gewickelt hat, ergebe ich mich und reiche ihm einfach so mein Telefon.

»Und jetzt«, in einer geschmeidigen Bewegung legt er seinen Arm um meine Schultern und hält das Handy vor uns in die Höhe, »lächeln!«

»Hey, was –«

Er betrachtet das Display. »Das ist echt gut geworden. Lass mich nur kurz noch …« Wild tippt er auf dem Handy herum und händigt es mir dann mit einem lässigen Zwinkern wieder aus. »Deine beste Freundin weiß jetzt, wer bei dir ist und wo du die nächste Stunde sein wirst. Wenn du dich nach dieser Zeit nicht meldest, hat sie die Erlaubnis, die Polizei zu mir nach Hause zu schicken. Als Fahndungsfoto hat sie das Selfie.«

Ich kann nicht glauben, was gerade passiert. Innerlich kopfschüttelnd schaue ich zu allen Seiten, ob sich nicht irgendwo ein Kamerateam versteckt hält.

»Was ist? Kommst du?«, fragt er und geht voraus.

Ein wenig beeindruckt von seiner Kühnheit hebe ich die Augenbrauen, während meine Füße ihm hörig hinterhertrotten.

»Darf ich dir was von meiner goldenen Milch oder der Waffel anbieten?« Mit einem schüchternen Lächeln hält er mir beides vor die Nase.

Ich mustere den Becher, den er in seinen Finger hält, deren Nägel schwarz lackiert sind. »Willst du mir das gleich noch einmal drüber kippen?«, scherze ich.

Abschätzend schaut er mich an und lässt dann seine Hände sinken. »Richtig. Blöde Idee.«

Ich schenke ihm ein zustimmendes Lächeln und wir entfernen uns von der Menschenmenge, die vor dem Foodtruck immer weiter anwächst.

»Jetzt hast du ganz umsonst angestanden.« Er nimmt im Gehen einen Schluck von der Milch.

»Pass auf, dass du nicht auch noch etwas davon abbekommst«, warne ich ihn mit tadelndem Finger. »Ich wollte wirklich nichts essen. Geht leider nicht.«

»Dann stehst du also nur gerne zwischen vielen Menschen? Ist das ein Fetisch von dir?«

Ich stolpere über meine eigenen Füße und hätte mich beinahe reflexartig an seinem Arm festgehalten.

Glücklicherweise geht er einen schnellen Schritt zur Seite.

Dadurch hat er zwar das Essen gerettet und eine weitere Sauerei verhindert, ich aber lande auf dem aufgeheizten Teer. Überrascht von meiner eigenen Schusseligkeit sitze ich auf dem Boden und schiele peinlich berührt zu ihm hinauf.

»Warte. Bleib genau so«, sagt er und läuft wieder Richtung Truck.

Verwundert über seinen Befehlston sehe ich ihm nach.

Er trinkt den Becher auf ex leer, schmeißt ihn mit einem Schnauben in den Abfalleimer und kommt zurück. Dann reicht er mir eine Hand und hilft mir hoch.

Ich klopfe mir den Straßenstaub von der Hose. »Du hättest die Milch nicht in einem Schluck austrinken müssen.«

»Oh doch. Ich habe gerade das Zeug vor einem Fall gerettet anstatt dich. Das ist nicht in Ordnung. Und jetzt, da die Gefahr gebannt ist … ein bisschen Waffel als Wiedergutmachung?«

Ich winke ab. »Immer noch nicht.«

Seine Stirn legt sich in Falten. »Du bist hoffentlich nicht eine von denen, die unnötigerweise auf ihre Figur achten.«

Mein Herz schlägt aufgeregt Purzelbäume. Vielleicht ist das aber auch nur Pennsylvanias unerträglicher Mittagshitze zuzuschreiben. Durchatmen. »Das ist wirklich keine gute Idee. Ich bin nicht ganz flexibel, was Essen angeht.«

Wir biegen in eine kleine Seitengasse ein und unsere Schuhe knirschen auf dem Schotter, der den schwarzen Teer ersetzt.

»Erklär mir das.« Beherzt beißt er in die Waffel.

Normalerweise habe ich kein Problem, darüber zu reden. Vielen, denen es so wie mir geht, ist es hingegen oft unangenehm und in diesem Moment kann ich das gut nachvollziehen. »Ich habe eine Lebensmittelunverträglichkeit«, sage ich deshalb nur knapp.

Er nickt verständnisvoll. »Dann ist es fies, wenn ich das hier weiteresse.« Abrupt bleibt er stehen und sieht sich um.

»Solltest du gerade einen Mülleimer suchen, hau ich dich«, rutscht es mir heraus. »Sorry, aber ich hasse es, wenn Leute deswegen Rücksicht auf mich nehmen. Also lass es dir schmecken.«

»Aye, aye, Ma’am!« Er steht stramm und salutiert.

Ich schnaube belustigt.

Er grinst ebenfalls. »Dann schlemme ich eben für dich mit.«

»Das klingt nach einem guten Deal.«

Zwischen uns wird es genauso ruhig wie auf den Straßen, in die wir einbiegen. Kein einziges Auto kommt uns entgegen.

»Schönes Sommerwetter«, brabbele ich.

Fast zeitgleich zeigt er auf ein hellblau angestrichenes Haus. »Wir sind da.« Er hält und starrt mich mit hocherhobenen Augenbrauen an. »Hast du gerade ein banales Thema angesprochen, um die Stille zu brechen?«

Ja? Nein? Doch, definitiv.

»Ähm …«

»Stille kann auch schön sein. Für mich war sie alles andere als unangenehm.« Er zwinkert mir schelmisch zu und steuert ein großes Schiebefenster in etwa drei Metern Höhe an.

Darunter steht eine kleine Trittleiter. Er wird doch wohl nicht …

Ich beäuge unsere Umgebung. Bis gerade habe ich das hier noch für ein sicheres Viertel gehalten. »Du willst da jetzt aber nicht einbrechen, oder?«

Ein kurzes Auflachen folgt. »Es ist kein Einbruch, wenn es sich um die eigene Wohnung handelt. Denke ich zumindest.«

»Hallo, Adam«, grüßt ein älterer Mann mit gezwirbeltem Schnauzer plötzlich neben mir, was mich ertappt zusammenschrecken lässt. »Mal wieder die Tür kaputt?«

»Hi, Peter. Ach, mittlerweile haben wir uns an das Fenster gewöhnt.«

Peter winkt mir freundlich im Vorbeigehen zu, öffnet die Tür des Nebenhauses und verschwindet hindurch.

»Kommst du?« Während ich dem Nachbarn hinterhergeschaut habe, ist Adam durch das Fenster gestiegen. Nun mustert er mich erwartungsvoll.

Ich klettere auf die Leiter. Zwar habe ich lange Beine, aber ich bin ziemlich ungelenk und der Abstand zum Fensterbrett ist riesig.

»Nimm meine Hand«, bietet Adam mir an.

Ich lasse mich von ihm nach oben ziehen, falle alles andere als elegant in die Wohnung und lande auf ihm.

»Uff«, macht es unter mir.

»Sorry«, murmele ich und rolle mich schnell von ihm hinunter.

Wir bleiben auf dem Rücken liegen und starren nach oben.

Ich beiße nervös auf der Innenseite meiner Lippe herum. »Schöne Decke.«

Unerwartet fängt er lauthals an zu lachen.

Und ich stimme ein.

Sein Lachen ist schön. Es klingt voll und herzhaft.

Wir prusten und Tränen strömen wie Wasserfälle aus meinen Augen. Ich wische sie mir aus dem Gesicht und muss dabei noch mehr lachen.

Gerade als ich denke, dass ich mich unter Kontrolle habe, drehe ich meinen Kopf zu ihm und lache wieder los.

Auch Adam macht munter weiter.

»Schluss jetzt!«, befehle ich und richte mich nach Luft ringend auf. Ich spüre, wie meine Beach Waves zu allen Seiten abstehen, und versuche Ordnung in meine Haare zu bringen. Meine Beine im Schneidersitz verschränkt warte ich darauf, dass auch er wieder zu Atem kommt.

Er fährt sich mit den Fingern über die Augen. »Puh!«, stößt er aus, setzt sich auf und reicht mir die Hand. »Übrigens, ich bin Adam.«

»Schön, dich kennenzulernen, Adam. Ich bin Cara.«

»Cara«, testet er flüsternd meinen Namen und zieht mich mit sich nach oben.

Erst nach einem kleinen Augenblick lösen wir unsere Hände, und ich lenke meine Aufmerksamkeit auf den Raum, in dem wir gelandet sind.

Es ist eine große, helle Wohnküche. Saftig grüne Pflanzen schlängeln sich um hellbraune Deckenbalken.

»Hobbygärtner?«, frage ich und deute auf den Efeu, der sich kunstvoll um die Vorhangstange rankt.

Diese ist nicht weniger spektakulär, denn statt klassischem Metall ist es ein provisorisch angebrachter Ast, der sauber entrindet wurde.

»Die«, er zeigt mit dem Finger auf die zahlreichen Pflanzen um uns herum, »befinden sich alle in Eds Obhut. Ich darf keine einzige davon auch nur schief ansehen. Berühren ist ein absolutes No-Go.« Er kramt in dem Schränkchen unter der Spüle und stellt ein Glas mit milchiger Flüssigkeit auf die Arbeitsplatte. »Deine Bluse bitte.«

Verlegen versuche ich die Hände in die Hosentaschen meiner Shorts zu zwängen, was eine blöde Idee ist, da diese nur Fake sind.

»Oh, warte.« Er verschwindet in einem Zimmer, woraus er mit einem fuchsroten, wild gemusterten Shirt zurückkommt. »Denk ja nicht, ich hätte dich unter einem Vorwand in meine Wohnung gelockt.« Er deutet in den Flur hinter seinem Rücken. »Du kannst dich im Badezimmer umziehen.«

Gut, dass dort nur vier Türen zur Auswahl stehen.

Er hantiert konzentriert über der Spüle mit dem Glas, also mache ich mich, ohne nachzufragen, unsicher auf den Weg ins Bad, wo auch immer das sein mag.

Die erste Tür rechts schließe ich aus, da Adam dort das Shirt geholt hat. Außerdem hat er sie einen kleinen Spalt offen gelassen und ich kann dahinter ein Bett und schwarze Wände erkennen.

Als ich die Klinke des Raumes daneben nach unten drücke, zieht Adam laut die Luft ein. Ich lasse sie sofort los, wende mich ihm mit dem Gefühl, ertappt worden zu sein, zu und lächele schief.

»Geh da nicht rein«, sagt er scharf. Dann schüttelt er den Kopf und räuspert sich. »Bitte.«

»Ich wollte nicht … Sorry, ich wusste nicht, welche Tür du gemeint hast.«

Wieder schleicht sich ein angedeutetes Lächeln in sein Gesicht und er zeigt einladend auf eine Holztür, die geradeaus am Ende des Flures liegt.

»Danke«, stottere ich und verziehe mich schnell.

Im Badezimmerspiegel erkenne ich das volle Ausmaß der Katastrophe. Ich bin immer noch knallrot. Meine schulterlangen Haare stehen wie explodiert ab. Der rote Lippenstift ist kaum noch sichtbar und meine Wimperntusche durch den Lachanfall verwischt.

Super, Cara.

Vorsichtig schlüpfe ich aus der Bluse und bemerke traurig, dass auch mein BH einen gelben Fleck abbekommen hat. Den werde ich Adam aber sicher nicht zum Reinigen geben.

Mit seinem kurzärmeligen Oversizeshirt ähnele ich meinem viel zu bequemen Kater. Dabei wünsche ich mir, mehr wie eine verführerische Raubkatze auszusehen als das Elend, das gerade verzweifelt versucht, den größten Schaden einzudämmen.

Für einen Moment erlaube ich meinem Gedankenkarussell durchzudrehen. Fremde Wohnung. Fremder Typ. Fremdes Shirt. Das ist nichts für die Nerven einer Introvertierten.

Aber der Geruch, der mir in die Nase steigt, ist definitiv etwas für mich. Ich halte das Shirt näher an mein Gesicht.

Es riecht leicht nach verbranntem Holz.

Ich studiere die Deodorants, die unter dem Badspiegel aufgereiht stehen, auch eins von Old Spice ist dabei. Das drehe ich auf und schnüffle wie ein Spanner daran.

Neben den Deos stapeln sich Bartpflegeprodukte.

Neugierig schraube ich das oberste Döschen auf.

Das duftet eins zu eins wie Lagerfeuer. Das Shirt riecht nach der Mischung aus diesem Mittel und dem Deo.

Es klopft an der Tür und mir fällt vor Schreck beinahe die Dose auf den kleinen Teppich.

»Alles okay dadrin?«, fragt Adam mit dumpfer Stimme.

»Ja, klar, Moment.« Ich gehe sicher, dass ich alles wieder an seinen Platz gestellt habe, atme tief durch und traue mich vor die Tür. »Hier.«

Adam nimmt die Bluse entgegen, schlendert damit zur Küchenfläche und breitet sie dort aus. Dann tröpfelt er sachte die Flüssigkeit aus dem Glas darauf und massiert sie mit den Handballen kräftig ein. »Kannst du mir das Tuch dort geben?«

Ich folge seinem Fingerzeig und reiche ihm das weiße Geschirrtuch.

Damit tupft er die eingeriebene Stelle ab.

Im Kopf höre ich schon die Schimpftirade, die auf mich wartet, sollte Em gelbe Überbleibsel auf ihrem heiß geliebten Oberteil finden.

Nur selten kann ich mir Klamotten von ihr leihen, da meine beste Freundin eine weitaus zierlichere Figur hat. Aber diese teure Bluse hat auf magische Weise uns beiden gepasst. Nach viel Betteln darf ich sie heute tragen, weil wir am Morgen Bilder für die Homepage des C-Up geschossen haben. Ich hätte sie gleich danach wieder ausziehen sollen.

Immer noch Stoßgebete gen Himmel sendend luge ich über Adams Schulter.

Er riecht tatsächlich wie eine Fackel.

»Bitte sag, dass es funktioniert.«

»Ich denke, wir können den Patienten retten.« Noch einmal wiederholt er die Prozedur aus Reiben und Tupfen. Siegessicher hält er sein Meisterwerk in die Höhe.

»Super! Du hast mir soeben das Leben gerettet.«

»Nachdem ich es in Gefahr gebracht habe«, sagt er und seufzt laut. Dann stutzt er. »Warum habe ich es eigentlich gefährdet? Ganz klar ist das eine schöne Bluse, aber dass es deshalb um Leben und Tod geht …«

»Sie gehört nicht mir, sondern meiner besten Freundin Schrägstrich Kollegin.« Dankbar nehme ich das Oberteil entgegen und hänge es mir so über den Arm, dass die feuchte Stelle trocknen kann. »Frag mich bitte nicht, wie oft sie mir bereits gedroht hat, zu kündigen. Sie ist manchmal sehr temperamentvoll.«

»Ich hatte ja schon ein schlechtes Gewissen, aber jetzt …« Mit einem schiefen Lächeln reibt er sich den Hinterkopf.

»Mach dir keine Gedanken.« Ich lehne mich an die Marmorplatte der Küchenzeile und richte meinen Blick in den hellen Raum, an dessen anderem Ende eine riesige Couch steht. »Außerdem ist es Berufsrisiko. Ich war ein bisschen leichtsinnig, was die Kleiderwahl angeht.«

»Berufsrisiko? Nein, verrate es mir nicht.« Adam verstaut das Einmachglas mit der rettenden Flüssigkeit wieder unter der Spüle und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an. »Du bist Street-Artist und wolltest den Truck ausspionieren, um in der Nacht mit einer Spraydose zurückzukommen.«

»So was von daneben.«

Er tippt mit dem Finger an seine perfekt geschwungene Lippe. »Du bist eine Superheldin, die auf diejenigen aufpasst, die kurz davor sind, in ein Fresskoma zu fallen.«

Belustigt schüttle ich den Kopf. »Wie kommst du bitte von einem Street-Artist zu einem Superhelden?«

»Indem ich ausgeschlossen habe, dass du eine Geheimagentin oder Diebin sein könntest.«

»Das ergibt doch alles keinen Sinn.« Ich schnaube amüsiert über seine konfusen Gedankengänge, die irgendwie zu seinem Paradiesvogel-Look passen.

Seine Wangen heben sich über den Grübchen und bilden Fältchen um die Augen. Dieses Lächeln … »Da muss ich dir recht geben.«

»Ich erzähle es dir lieber, bevor du mich noch für einen Terroristen oder Zoowärter hältst.«

Mit gespannter Miene lehnt er sich über einen Küchenstuhl.

»Mir gehört ein Bistro. Ich habe tatsächlich den Truck ausspioniert, weil ich immer auf der Suche nach neuen Gerichten bin, die ich abwandeln kann. Also hast du mit Geheimagentin gar nicht so falschgelegen.«

»Quasi doch eine Diebin.« Gespielt enttäuscht lässt er die Schultern hängen und schluchzt übertrieben.

»Eher eine Superheldin oder gute Fee.«

Jetzt habe ich wieder seine volle Aufmerksamkeit.

»In meinem Bistro verkaufe ich nämlich Speisen für Leute, die wie ich an einer Lebensmittelunverträglichkeit leiden. Und damit ich meine Kunden mit etwas Neuem überraschen kann, muss ich mir Ideen holen.«

Adam blinzelt ein paarmal langsam. »Wow. Die müssen dir echt dankbar sein. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich wohne mit einem Veganer zusammen, der oft frustriert ist.«

»Es ist für Leute wie uns schwer, etwas Essbares in einem Lokal zu finden, wonach der Körper nicht rebelliert. Also erleichtere ich einigen Leuten in Silver Heights das Auswärtsessen.«

»Und damit kannst du dich über Wasser halten?« Er lässt nicht den Blick von mir ab.

»Es geht. Meine Eltern haben mir mit dem Startkapital geholfen. Und meine beste Freundin, deren Bluse du fast ruiniert hättest, ist in Teilzeit bei mir eingestellt, nimmt allerdings nicht so viel Geld, wie ihr eigentlich zusteht. Viele Leute sind mir dankbar und zu treuen Stammkunden geworden. Dadurch kann ich knapp verhindern, in die roten Zahlen zu rutschen. Mein vorheriger Bürojob war sicherer, aber seitdem ich selbst mit der Intoleranz kämpfe, wollte ich etwas gegen die Marktlücke unternehmen.«

»Cara. Du haust mich gerade echt um.«

Ich kann mit Komplimenten nicht umgehen und weiche deshalb seinem neugierigen Blick aus. »Es ist auch nur eine Art, sein Leben zu finanzieren. Nichts Besonderes.«

»Nichts Besonderes? Du rockst ein eigenes Lokal, mit dem du das Leben für den ein oder anderen etwas leichter machst. Und du bist gerade einmal …«

»Zweiundzwanzig«, ergänze ich schulterzuckend.

»Glaub mir, ich weiß, wie schwer es ist, selbstständig zu sein. Ich –« Seine Worte gehen in einem lauten Klappern unter.

Das große Schiebefenster öffnet sich und ein schlaksiger Kerl kriecht in die Wohnung. »Liebling, ich bin zu Hause!«, ruft er, während er uns noch den Rücken zugewandt hat.

Liebling? Heißt das, Adam und der rothaarige Neuankömmling sind … Da habe ich seine nette Art gewaltig fehlinterpretiert. Warum muss ich auch immer gleich Gefallen an einem Mann finden, der mich nur nett anschaut? Mental ohrfeige ich mich.

Hat Adam eventuell bemerkt, dass ich mit ihm geflirtet habe? Habe ich wirklich mit ihm geflirtet? Nein, oder? Nein. Definitiv nein. Aber was, wenn etwas falsch rübergekommen ist?

Nervöse Hitze steigt in mir auf und ich beschließe, die Flucht zu ergreifen, ehe sich mein Gesicht knallrot färben kann. »Ich muss sowieso los. Emilia wartet. Die Stunde ist bald um, nicht dass sie wirklich die Polizei hierherschickt.« Ich will an dem fremden Typ vorbeirauschen, als dieser extra zur Seite geht.

Nur leider ist es die gleiche, die ich mir als Fluchtweg ausgesucht habe.

Gleichzeitig machen wir einen Schritt in die andere Richtung.

»Moment, ich geh dort lang«, sagt Adams Freund und deutet auf meine linke Seite, »und du –«

»Da«, ergänze ich und dränge mich rechts an ihm vorbei. Dann bin ich mit einem Fuß durch das Fenster. »Danke noch mal.«

»Warte! Cara!«, ruft Adam, während ich über die kleine Leiter flüchte.

Ed schaut genauso baff aus dem Fenster wie ich. »Was war das denn?«

»Das war … Cara«, stammele ich verwirrt.

»Und Cara ist –«

»Weg.« Frustriert stiefele ich durch die Wohnküche und schmeiße mich auf das Sofa. Ich streife mir die Schuhe von den Füßen und versinke in den weichen Kissen.

Hat etwas, das ich gesagt habe, sie vergrault? War vielleicht mein Flirtmodus zu hoch aufgedreht? Schon lange habe ich nicht mehr mit jemand so Interessantem geredet. Ich hätte mich noch Ewigkeiten mit ihr unterhalten können. Ihre schüchternen, ausweichenden Blicke gingen mir durch Mark und Bein. Ihr strahlendes Lächeln und das peinlich berührte Kichern …

Ed reißt sich endlich in einer schnellen Bewegung vom Fenster los und geht zu seiner neusten Errungenschaft. »Liebling, Papa hat dich vermisst.« Er streichelt die Korkenzieherstängel des afrikanischen Gewächses. »Hat die Fremde dich in Ruhe gelassen?«

»Ed. Es ist eine Pflanze. Kein Baby, kein anderes Lebewesen. Und nein, Cara hat sie nicht angefasst. Ich glaube, sie war sogar von dem ganzen Grünzeug beeindruckt.«

»Adam, also wirklich«, äfft er meinen dozierenden Tonfall nach. »Weißt du eigentlich, wie viel Überredungskunst es mich gekostet hat, dieses Wunderwerk meinen Eltern abzuluchsen? Das ist eine Frizzle Sizzle. Die ist extrem selten.«

»Und wir bauen hier wirklich keine Drogen an? Je öfter du den Namen sagst, desto verdächtiger klingt er.« Ich schiele genervt an die Decke. »Lass die Finger von deiner Fitzel-Sitz-Dings und mach dich nützlich.«

Er öffnet die Kühlschranktür. »Das Übliche?«

Ich brumme zustimmend.

»Ein Pale Ale, der Herr.« Ed öffnet meine Flasche mit seiner und wir stoßen an. »Auf?«

»Auf … uns?«

Seine Augenbraue wandert nach oben und auch er legt sich auf die Couch. »Vielleicht auf Cara? Mann, du hättest deinen Blick sehen sollen, als die Kleine aus dem Fenster geflohen ist. Was hast du angestellt?«

»Nichts. Wir haben uns normal unterhalten und dann bist du reingeschneit.« Frustriert nehme ich einen großen Schluck von dem Bier und meine Kehle begrüßt die Kälte.

»Woher kennst du sie eigentlich?«

»Ich war bei dem neuen Foodtruck um die Ecke und habe ihr meine goldene Milch über die Bluse gekippt.«

Schockiert mustert mich Ed. »Du hast dir eine gekauft, obwohl wir alles zu Hause haben, um sie selbst zu machen?! Wenn du jetzt auch noch sagst, dass du sie in einem Plastikbecher bekommen hast, dann …«

»Beruhig dich. Es war ein Pappbecher. Das ist doch jetzt egal.«

»Meinst du vielleicht. Unser Fußabdruck, Adam!« Theatralisch hebt er sein Bein und schaukelt den Fuß hin und her.

»Ich muss auch nicht weitererzählen.«

Er macht eine Reißverschlussbewegung vor dem Mund.

»Also. Ich habe ihre Bluse versaut und ihr gesagt, dass wir ein Mittelchen daheim haben.« Das Craftbeer leert sich erstaunlich schnell. Wäre ich nicht zu faul, um aufzustehen, hätte ich schon das nächste in der Hand.

»Mutig, dass sie einfach so mitgegangen ist.«

»Das hat wohl daran gelegen, dass die Bluse nur geliehen war und ihre beste Freundin sie einen Kopf kürzer gemacht hätte. Dein Zeug ist auf jeden Fall echt gut. Ich habe den Fleck rausbekommen und wir haben gesmalltalkt. Sie hat mir erzählt, dass sie ein Bistro führt.«

Ed fläzt sich auf die Seite und stützt seinen Kopf ab. »Und weiter?«

»Nichts und weiter. Du hast uns leider unterbrochen, bevor ich mehr erfahren konnte.« Der Durst siegt und ich hole mir ein weiteres Ale aus dem Kühlschrank. »Willst du auch noch eins?«

»Nö, lass mal. Aber, wenn du schon mal da stehst, kannst du die Musik anmachen.«

Ich drehe ich die Boxen neben dem Kühlschrank auf und verlinke mein Handy mit ihnen. »Rock? Pop?«

»Reggae.«

Ich greife reflexartig das Erste, was ich in die Hände bekomme, und werfe eine Packung Taschentücher nach Ed.

»Mann, das war nur ein Scherz. Irgendwas von Queen.«

Schon besser.

Mercurys unverkennbare Stimme tönt aus den Boxen und schmettert die wohl bekannteste Hommage an das Radio.

Lautstark singen wir mit, klatschen an den dafür vorgesehenen Stellen und trinken Bier.

»Drei Fakten! Los!«, fordert Ed mich am Ende des Liedes auf.

»Radio Ga Ga war kein Nummer-eins-Hit, dafür die erste Zugabe auf Freddies letzter Tournee. Und, Trommelwirbel, Lady Gagas Name wurde davon inspiriert.« Erschöpft falle ich auf das Sofa.

Ed macht weiter Brian May mit seiner Luftgitarrendarbietung Konkurrenz. »Irgendwann müssen wir dich zu einem Musikquiz anmelden. Dann hätten wir endlich genug Kohle, um unsere Tür reparieren zu lassen«, sinniert er.

»Wir müssten nur unsere Prioritäten anders setzen. Zum Beispiel weniger Essen bestellen.«

Mein Handy piepst schwach und zeigt einen fast leeren Akku an.

Um Queen zu ehren, schalte ich das Radio an und lade mein Handy an der Steckdose neben der Kaffeemaschine. »Prioritäten hin oder her, langsam gewöhne ich mich an das Fenster.«

»Apropos Fenster. Warum bist du dem Mädchen nicht nachgerannt?«

Ich zucke mit den Schultern. »Caras Flucht hat eindeutig signalisiert, dass sie keinen Verfolger wünscht.«

Ed greift hinter sich und legt unser Tablet auf seinen Schoß. »Kennst du den Namen ihres Bistros?«

»Was hast du vor?«

»Wir finden sie. Immerhin war das dein Shirt, das sie getragen hat. Du willst das Teil sicher zurückhaben, oder? Und bei der Gelegenheit kannst du noch mit ihr quatschen.«

»Ed, manchmal hast auch du eine gute Idee.«

»Ich weiß, ich weiß. Man danke mir später. Was hat sie über ihren Laden erzählt?«

»Sie hat sich auf Lebensmittelunverträglichkeiten spezialisiert.«

Er klatscht die flache Hand gegen seine Stirn. »Sag das doch gleich. Ich weiß, wo sie arbeitet.«

»Das ist der Wahnsinn«, tönt es aus dem Radio.

Ed lacht. »Siehst du, der Moderator weiß mich zu schätzen.«

»… Powerground stattet Silver Heights endlich wieder einen Besuch ab.«

Schnell halte ich einen Finger an den Mund.

»Wer Powerground live hören möchte, bekommt bei uns die Chance dazu. Wir verlosen drei Karten …«

Mir wird heiß und kalt zugleich. »Fuck.«

Ed presst die Lippen aufeinander. »Chris wird wieder in der Stadt sein.«

»Was denkst du, habe ich gerade mit Fuck gemeint, Idiot?«

»Hey, du musst mich nicht so angehen. Ich habe dir nichts getan.«

Das Kissen neben mir zweckentfremde ich und boxe mit voller Kraft hinein. »Zwei verdammte Jahre haben sie sich von uns ferngehalten.«

»Nur weil sie hier spielen, muss das nicht bedeuten, dass ihr euch seht.«

Ich rolle mit den Augen.

Manchmal wünsche ich mir, die Beziehung zu Chris wäre langsam zu Ende gegangen, indem wir uns mit der Zeit einfach entfremdet hätten. Das hätte weniger wehgetan. Aber nein, es ist von einem auf den anderen Tag bergab gegangen. Holprig und steil, bis nichts mehr von uns übrig war.

Meine Finger verkrampfen und die Nägel bohren sich qualvoll in meine Handflächen. Das fühlt sich verdammt viel besser an, als an die Vergangenheit zu denken.

Ed fixiert mich mit finsterer Miene. »Es spielt keine Rolle, was war. Ein Grund mehr, diese Cara wiederzusehen.«

Er hat recht. Ich denke an sie und entspanne langsam. »Fährst du morgen mit mir zu ihrem Bistro?«

»Klaro. Aber nur, wenn ich ausschlafen darf.« Ed ist mit seinem Schönheitsschlaf wirklich pingelig.

Ich lege meinen Kopf in den Nacken, schließe die Augen und stöhne genervt. »Dir ist schon klar, dass ich morgen eher wach sein werde als du, obwohl ich heute Abend arbeiten muss.«

»Natürlich ist mir das bewusst. Für dich stehe ich auch ein halbes Stündchen eher auf.«

»Wie großzügig.«

Die Powder Tough Girls treten heute im Pluto auf.

Ich mag den Saal. Er ist perfekt gebaut und wirft den Hall so zurück, dass ich normalerweise nicht viel am Mischpult einstellen muss.

Tobias’ neuer Helfer Patrick justiert auf einer wackeligen Leiter die letzten Scheinwerfer. »So okay?«

Ich muss schlucken, weil ich für eine Sekunde an Powergrounds letzten Auftritt denke. Dann hebe ich aber meinen Daumen und beobachte, wie die drei Sängerinnen für den Soundcheck auf die Bühne stöckeln.

Die Powder Tough Girls kenne ich nicht. Wie bei den meisten meiner Gigs bin ich durch Tobias auch an den heutigen gekommen. Allem Anschein nach muss ich Tobe nach diesem leider in den Arsch treten, denn bei dem Soundcheck stellt sich heraus, dass die Sängerinnen Stimmen haben, die mit Kreischen auf Helium vergleichbar sind. Schrill und viel zu hoch. Daran können auch meine Mischkünste nichts ändern. Außer …

»Tobe? Was würdest du sagen, wenn ich aus Versehen die Mikrolautstärke runterdrehe?«

»Dann sorge ich dafür, dass du in dem Business keinen Fuß mehr fasst«, sagt er fast schon gelangweilt. »Aber meine Ohren würden es dir danken.« Er zieht an seiner E-Zigarette und bläst mir den Dampf ins Gesicht.

Wenn ich mir um mein Einkommen keine Gedanken machen will, darf ich es mir unter keinen Umständen mit ihm verscherzen, denn Tobias hat die besten Connections in ganz Silver Heights.

»Junge, ich weiß, dass du großartig am Mischpult bist. Du zauberst heute Abend schon was aus denen.«

Patrick läuft an uns vorbei auf die Bühne zu und widmet sich den Monitorboxen, da die Damen keine Headsets leiden können. Dabei starrt er immer wieder zu einer der Sängerinnen.

»Der ist total scharf auf die kleine Blondine«, meint Tobias. »Die linke schnappe ich mir und du kannst die Rothaarige haben.« Er redet oft denselben Mist. Jeder weiß, wie treu er seiner Frau ist.

Und ich habe gerade keinen Kopf für dieses dumme Geschwätz. »Powerground kommt wieder in die Stadt«, platzt es aus mir heraus.

Wie in Trance legt er seinen Dampfer neben das Pult und schaut mich eindringlich an. »Halte dich bloß von Chris fern. Du hast gerade wieder dein Leben zurück, also bau keine Scheiße.« Er fasst sich an die Nasenwurzel. »Du bist auf einem guten Weg. Verschwende keinen Gedanken an die Vergangenheit. Such dir jemanden Nettes.«

Vielleicht habe ich diesen Jemand heute gefunden, Cara geistert unablässig durch meinen Kopf. In ihrer tollpatschigen Art schwingt ein warmer Klang mit, der meine monotone innere Welt in Aufruhr bringt. Es ist über zwei Jahre her, dass jemand so ein Durcheinander in mir ausgelöst hat.

»An wen denkst du?«, fragt Tobias geradeheraus.

Ich lächle verlegen. »An ein Mädchen, das ich kennengelernt habe. Wobei kennengelernt wohl übertrieben ist. Unser Treffen hat damit geendet, dass sie aus dem Fenster geflüchtet ist.«

Immer wieder schaue ich auf sein verspieltes Lächeln.

»Schmachtest du immer noch das Bild an?«, fragt Emilia, die mit zwei voll geschichteten Tellern aus der Küche schwankt.

Verlegen gucke ich wieder zwischen dem Selfie und seinem Shirt hin und her, das ich direkt neben mein Handy gelegt habe. »Es war so peinlich. Er denkt bestimmt, dass ich mit ihm geflirtet habe.«

Sie stellt die Teller neben dem roten Kleidungsstück ab und schlingt einen Arm um meine Schultern. »Selbst wenn. Man darf auch mit vergebenen Leuten flirten, solange …«

»… man nicht weiß, dass sie in festen Händen sind«, beende ich ihren Satz.

»Und du hast es nicht geahnt, bis sein Freund nach Hause kam. Entweder ist ihm gar nicht aufgefallen, dass du ihm schöne Augen gemacht hast, oder er hat sich geschmeichelt gefühlt.«

»Trotzdem ist es mir peinlich. Gott, ich bin ihm wortwörtlich in die Arme gefallen.« Themenwechsel. Schnell. Ich drücke Em die Teller wieder in die Hand. »Tisch zwei wartet übrigens auf seine Bestellung.«

Sie wirft mir einen gespielt vernichtenden Blick zu und bedient dann mit einem zuckersüßen Lächeln auf den roten Lippen die wartenden Gäste.

Emilia ist der Grund, weshalb sich so viele Männer ins C-Up verirren. Sie zieht mit ihren langen Beinen und den strahlend blonden Haaren jede Menge Aufmerksamkeit auf sich.

Ich versuche wirklich nicht auf meine beste Freundin neidisch zu sein, aber manchmal wünsche ich mir mehr von ihrer Ausstrahlung und dafür etwas weniger Rundungen. Allerdings war es Adams Glück, dass ich nicht so dünn wie Em bin. Bestünde ich nur aus Haut und Knochen, hätte ich ihm vermutlich mehr wehgetan, als ich ihn unter mir begraben habe.

»Ich habe deine Grübelei bis zu den Gästen gespürt, echt unangenehm. Du musst mit dem Denken aufhören.« Em schlendert zu mir hinter die Theke und grinst unser Selfie an. »Ich wäre mit dem Typen überallhin verschwunden. Die Aktion mit der Nachricht gestern fand ich super. Versteh mich nicht falsch, ich wollte dich töten, als ich den Fleck auf meiner Bluse gesehen habe. Aber dann habe ich mich für dich gefreut.«

»Wenn du nur das kleinste Überbleibsel auf ihr findest, kaufe ich dir eine –«

»Sie hat es überlebt, also lenk nicht vom Thema ab. Ich hätte ihn dir gegönnt.«

Seufzend schüttele ich den Kopf und schalte das Display aus.

»Lass dich doch endlich mal auf jemanden ein. Dieses ganze Rumgehocke vorm Fernseher kann nicht so spannend sein, du brauchst Action.«

Daraufhin verdrehe ich die Augen. Ich gehe in die Küche und schnappe mir ein glutenfreies Baguette. Wütend schneide ich es auf, klatsche Butter, Feldsalat und laktosefreien Käse darauf.

Warum muss sie immer wieder erwähnen, dass ich noch nie eine richtige Beziehung hatte? Durch das C-Up habe ich kaum Zeit für mich selbst. Ich freue mich deshalb umso mehr, den Feierabend nur mit Sam und Dean Winchester oder den Salvatore-Brüdern zu verbringen und so abzuschalten. Nach einer Stunde auf der Couch schlafe ich sowieso ein.

Um vier Uhr früh schmeißt mich der Wecker aus dem Bett und ich schließe das Bistro um Punkt halb sechs auf, damit die ersten Gäste sich vor der Arbeit ihr Frühstück holen können. Wo soll ich da bitte eine Beziehung unterbringen? Und selbst wenn ich Zeit frei machen könnte, wäre da noch meine monströse Unsicherheit.

Genervt schüttele ich den Kopf. Ich habe es satt, mich vor mir selbst zu rechtfertigen, warum ich mich auf niemanden einlassen kann oder will. Adam wäre sowieso kein Kandidat. Er war nett zu mir, das ist alles. Wieso bekomme ich also jedes Mal weiche Knie, wenn ich an ihn denke? Ich werde ihm heute Abend sein Shirt vorbeibringen und ihn dann aus meinen Gedanken verbannen.

Nachdem ich frustriert noch ein paar Gurkenscheiben auf das Brot gelegt habe, klappe ich es zusammen. Mit dem Essen in der Hand öffne ich die Schwingtür zum Gastraum und trete sofort wieder den Rückzug an.

Das ist doch jetzt wohl ein schlechter Witz.

Er ist da. Adam ist in meinem Bistro. Und er unterhält sich mit Emilia, die hinter der Theke steht.

Verdammt.

Ich schnappe mir schnell einen Edelstahltopf und überprüfe, dass ich nicht aus jeder einzelnen Gruppe der Ernährungspyramide etwas im Gesicht kleben habe, was mir zugegebenermaßen leider oft passiert. Dann löse ich meinen Pferdeschwanz und greife mir in die Haare, damit sie nicht so platt aussehen.

Meine Mundwinkel zwinge ich zu einem leichten Lächeln, als ich erneut die Tür nach vorne aufschwinge. »Adam, was machst du denn hier?«, frage ich, da meine Stimme drei Oktaven höher als sonst ist, bleibt es allerdings nur bei dem Versuch, es bemüht gelassen zu klingen.

Er unterbricht die Unterhaltung mit Emilia und kommt wie selbstverständlich zu mir hinter die Theke.

Oh, nein. Was soll ich tun? Ihn umarmen? Die Hand geben? Winken?

»Du denkst wieder zu viel«, flüstert mir Em ins Ohr und schleicht sich dann davon.

Ich schnappe mir das Shirt und halte es Adam entgegen, was ihm die Chance nimmt, näher an mich heranzukommen. »Du bist bestimmt deswegen hier.«

»Ähm, ja klar. Und wegen dir.« Er nimmt es und drückt mich kurz. Mit verdutzter Miene tritt er einen Schritt zurück. »Alles okay mit dir?«

Ich bin völlig überrumpelt und erstarre. Nur ein kleines Quieken kommt aus meinem Mund und ich hoffe, dass er es nicht gehört hat.

Durchatmen, Cara. Er hat einen Freund und ist somit kein potenzieller Beziehungskandidat. Bekomm das endlich in deinen Schädel.

Wild nicke ich. »Ja, natürlich. Ich habe nur nicht mit dir gerechnet. Das da wollte ich dir heute Abend vorbeibringen.« Ich deute auf das Shirt, das ich gestern Nacht gewaschen und gebügelt habe. Danach habe ich enttäuscht festgestellt, dass ich damit auch seinen Geruch weggespült habe. Nicht, dass ich noch einmal intensiv daran gerochen hätte. Nein. So was machen nur verknallte Teenies.

Er grinst. »Ich dachte, ich erspare dir das Fenster«, einen kurzen Moment schaut er verlegen auf seine Schuhe, »durch das du erstaunlich schnell geklettert bist. Respekt.«

»Ich … Ich musste zu Em zurück«, verteidige ich mich hastig.

»Verstehe. Themenwechsel. Was hältst du hiervon?« Er befördert ein gefaltetes Papier aus seiner Hosentasche und gibt es mir.

Ich klappe die Broschüre auf. »Ein Foodtruck-Festival? In Johnstown?«

»Es ist nicht direkt in der Stadt. Wir würden also eher einen Ausflug aufs Land machen. Also ja, um deine stumme Frage zu beantworten, da fahren du und ich jetzt hin.«

Hilfesuchend schaue ich zu Emilia, die einem Gast Kaffee nachschenkt.

Sie dreht sich mir zu und formt mit ihren Lippen tonlos das Wort geh.

Meine Hände werden schwitzig und ich spüre meinen Herzschlag auf der Zunge.

Adam wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. »Erde an Cara.«

»Mmh. Ja, okay«, sage ich zwar, hoffe aber immer noch auf etwas, das mich schnell aus der Situation befreit. »Erst muss ich das mit Em absprechen. Ich kann sie nachmittags nicht allein lassen. Und ich muss für abends vorkochen. Und –«

»Ich habe vorhin mit ihr geredet. Sie meinte, sie würde das heute locker schaffen.«

»Ach, hat sie das?« Emilia, du bist tot. Laut rufe ich in zuckersüßem Ton: »Em, kommst du für ein Sekündchen? Wir müssen noch etwas besprechen.« Kurz wende ich mich an Adam. »Bitte entschuldige mich, ich bin gleich wieder da.« Dann schiebe ich Em auch schon in die Küche.

»Sag mal, spinnst du?«, fahre ich sie an, als ich sicher bin, dass die Tür sich hinter uns ausgependelt hat.

»Hey, beruhige dich. Es ist doch nur ein kleiner Abstecher.«

»Mit einem Typen, vor dem ich mich blamiert habe.« Mir platzt gleich der Kragen.

Sie legt die Hände auf meine Schultern. »Durchatmen. Du kannst einen freien Nachmittag dringend gebrauchen. Komm aus deiner Komfortzone heraus und unternimm was mit neuen Leuten.«

Irgendwo muss ich ihr recht geben, ich verlasse mich viel zu sehr auf meine Wohlfühlorte. Ich lasse die Schultern noch tiefer hängen und stapfe ins Büro, wo ich widerwillig die Schürze ablege.

Em wartet mit wippendem Fuß in der Küche auf mich.

Ich drehe mich zu ihr um. »Geht das so?«

»Zumindest keine Vollkatastrophe«, meint sie und erntet einen vernichtenden Blick. »Das war ein Witz. Du siehst gut aus. Vielleicht solltest du eine leichte Jacke mitnehmen, für den Fall, dass ihr bis in die Nacht unterwegs seid.« Ihre Augenbrauen machen eine anfeuernde La Ola.

Ich beachte sie nicht mehr und mache mich auf den Weg nach vorne, wo Adam an die Theke gelehnt steht.

»Kann’s losgehen?«, fragt er und hält mir die gläserne Ladentür auf.

»Danke. Wo hast du geparkt?«

Er zeigt auf ein kleines weißes Auto. »Ihre Kutsche, Madame.«

»Ein Renault?« Ungläubig sehe ich zwischen ihm und dem nagelneuen Fahrzeug hin und her. »Ich dachte eher, du bist ein Oldtimer-Typ. Chevy, Benz oder so.«

Adam geht zur Beifahrertüre und öffnet sie mir. »Glaub mir, ich habe mich auch nicht unbedingt in einem E-Auto fahren sehen.«

»Das ist ein E-Auto?«, frage ich überrascht und steige ein. Ich höre den Unterschied, als er den Motor anlässt und wir fast lautlos davonrollen.

»Ed hat es bei so einem Öko-Preisausschreiben gewonnen. Und wer beklagt sich schon über ein geschenktes Auto inklusive lebenslanger Übernahme der Stromkosten?«

»Das Einzige, was ich je gewonnen habe, war ein Eis-Coupon, den ich selbst nicht einlösen konnte. Emilia hat sich an meiner Stelle gefreut.«

Per Sprachassistent schaltet Adam leise Musik ein und die Beatles singen darüber, dass die Sonne zurückkehrt. »Das ist ja mal richtig mies. Verkaufst du dafür jetzt dein eigenes Eis?«

»Ja, im Sommer haben wir ein paar laktose- und fructosefreie Sorten.«

Wir halten an der Ampel am Ortsausgang.

»Ich bin übrigens richtig beeindruckt von deinem kleinen Lokal.«

»Wirklich?« Schüchtern richte ich meinen Blick auf die Ampel. »Grün.«

Aus dem Augenwinkel beobachte ich, dass er mich noch eine Sekunde anschaut, ehe er wieder aufs Gas tritt.

Im Seitenspiegel sehe ich das elegant gestaltete Holzschild, das Leute in Silver Heights willkommen heißt. Aktuelle Einwohnerzahl 41.702. Minus einer Bistroinhaberin, die gerade quasi gekidnappt wird. Bye bye, sicherer Rückzugsort.

»Das C-Up würde auch Ed gefallen. Er kennt es leider nur vom Hörensagen. Ihr habt da nette Pflanzen als Deko und du hast ja in unserer Wohnung gesehen, dass er ein großer Fan ist. Mir gefällt besonders, dass es klein ist. Deine Theke hat die perfekte Größe und es wirkt durch die hellen Farben sehr einladend.«

Ich fummle an den Fransen meines Oberteils herum. »Danke. Da steckt unglaublich viel Arbeit drin.«

Ein paar Typen, die offenbar denken, sie wären furchtbar cool, fahren in einem VW Polo neben uns und rufen aus den heruntergekurbelten Fenstern. Demonstrativ drücken sie aufs Gas und lassen den Motor aufheulen. Eine dunkle Wolke steigt aus ihrem Auspuff, als sie an uns vorbeiziehen. Solche …

»Vollidioten«, murmelt Adam. »Ignoriere sie. Hat dir Emilia bei der Renovierung geholfen?«

»Ohne sie wäre ich aufgeschmissen gewesen. Wir konnten zwar viel vom Vormieter übernehmen, aber den Feinschliff habe ich Em zu verdanken. Sie ist eine richtige Künstlerin.«

»Du willst damit jetzt nicht sagen, dass sie alleine die Muster in die Balken geschnitzt hat, oder?«

»Das ist dir aufgefallen? Sie hat Tage dafür gebraucht. Es war zu hundert Prozent ihre Idee und sie hat sich nicht davon abbringen lassen.«

Er hebt anerkennend die Augenbrauen und lacht. Durch die tiefe Stimme klingt es verführerisch sexy.

Stopp! Ruhig, ihr blöden Gedanken!

Ich lenke mich ab, indem ich die vorbeirasenden Bäume an den Seiten des Highways betrachte.

Die Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Baumkronen und werden von dem grünen Blattwerk zerteilt, sodass tanzende Schatten auf den Boden treffen.

Adam bremst ab und fährt von dem Highway. Er räuspert sich. »Ed würden die Details auch sofort auffallen.«

»Du solltest ihn mal mitbringen. Ich koche was Schönes für euch.« Und fühle mich dabei wie das fünfte Rad am Wagen, ergänze ich im Stillen.

»Mache ich. Das wird ihn freuen, ich habe ihn nämlich kurz vor deinem Laden aus dem Wagen geworfen.«

Ich mustere ihn mit heruntergeklappter Kinnlade. »Du hast was?«

»Schau mich nicht so vorwurfsvoll an.« Adam lenkt den Renault durch ein kleines Waldstück und biegt auf einen Feldweg ab. »Es ist alles okay. Er wusste, wo das C-Up ist, und hat mich nur hin navigiert.«

»Und du hast ihn aus dem Auto geschmissen, weil …«

»Weil ich dich nicht gleich zusammen mit ihm überfallen und dadurch verschrecken wollte.«

»Aha«, sage ich ein klein wenig eingeschnappt. Ich weiß, dass ich introvertiert bin und auch nach außen hin so wirke … Aber muss er das laut aussprechen?

»Introvertiert zu sein, ist doch keine schlechte Eigenschaft. Du bist eben vorsichtig, was andere Menschen angeht.«

Wenn er wüsste … Andere Menschen schüchtern mich ein. Jeder musternde Blick, den mir jemand zuwirft, ist wie eine schwere Last auf meinen Schultern.

Anders ist es bei den Gästen im C-Up. Aus irgendeinem Grund ist das sicheres Terrain. Emilia und meine Eltern waren anfangs besorgt, ob ich es schaffe, mit so vielen neuen Gesichtern klarzukommen, aber ich habe sie eines Besseren belehrt.

»Wir sind da«, sagt Adam und holt mich damit aus meinen Gedanken. Er hat auf einem Stoppelfeld geparkt, worauf schon unzählige andere Autos stehen. Grinsend bedeutet er mir sitzen zu bleiben, steigt selbst aus, läuft um den Wagen herum und öffnet mir die Tür. Ein wahrer Gentleman.

Ich verlasse das Auto und wir schlendern stumm über die sandigen Wege.

Tröpfchenweise kommen uns Besucher entgegen, die sich begeistert wild durcheinander unterhalten.

Wir laufen an wunderschönen Hochbeeten mit kunterbunten Pflanzen vorbei. Der Duft blühender Blumen, erwärmt von Sonnenstrahlen, vermischt mit dem Geruch der Süßspeisen ist unbeschreiblich.

Links und rechts des Weges sind Strohballen aufeinandergetürmt. Zwischen ihnen kündigt ein überdimensionales Banner in luftiger Höhe Johnstowns erstes Foodtruck-Festival an.

»Nachdem ich deiner Spionageaktion gestern ein jähes Ende bereitet habe, schenke ich dir heute tausend Inspirationen.«

»Tausend ist vielleicht ein wenig übertrieben, meinst du nicht?«

Wir gehen unter dem Banner hindurch. Als wir auf dem großen Platz halten, bereue ich meinen Satz sofort. Wir sind von mindestens fünfzig Trucks und hunderten Menschen umzingelt.

»Wow«, hauche ich überrumpelt von dem regen Treiben.

»Sag bloß, du warst noch nie auf einem Foodtruck-Festival.«

Baff nicke ich. »Ich habe nur die einzelnen Trucks und Imbisse bei uns in Silver Heights beschattet. Und wenn ich mir das so ansehe, weiß ich auch, wieso.«

Adam dreht sich um die eigene Achse. »Menschenmassen?«

»Menschenmassen.«

Gestern war ich noch davon überzeugt, der Ausflug wäre eine gute Idee. Doch je länger ich Cara ansehe, desto mehr fürchte ich, dass sie gleich eine Panikattacke bekommt. Besorgt mustere ich die Besucher, die sich eingekesselt von einem Foodtruck zum nächsten schlagen. »Wir können auch wieder fahren, wenn dir das …«

»Was? Nein. Das ist doch gar kein Problem.« Die feinen Schweißperlen, die sich auf ihrer Stirn bilden, sagen allerdings etwas anderes.

Was bin ich nur für ein Trampel?! Erst bitte ich Ed extra, mich nicht ins C-Up zu begleiten, damit sie nicht überfordert ist. Und dann bringe ich sie an einen Ort, an dem sich viel zu viele Menschen herumtreiben.

Ich bemerke, wie Cara ihre Hand immer wieder zu einer Faust ballt und mit dem Daumen nervös an den Knöcheln reibt.

Entschlossen verschränke ich ihre Finger mit meinen und führe sie zu einem Verkaufstruck, der nicht von einer gierigen Menge umringt ist. »Hältst du nach etwas Bestimmtem Ausschau?«, frage ich sie extra enthusiastisch.

Sie schmunzelt und lässt meine verschwitzte Hand wieder los. Dann sieht sie mit zusammengekniffenen Augen zur Speisekarte an dem rot-weißen Truck. »Ich brauche noch ein oder zwei Hauptspeisen. Nachtisch habe ich im Moment mehr als genug im Angebot.«

Eine junge Asiatin grüßt aus dem Truck. »Kann ich euch helfen?«

»Wir schauen noch, danke«, winke ich ab.

»Ich hätte da eine Frage.« Cara stellt sich auf die Zehenspitzen. Dabei hebt sich ihr Top ein wenig und gibt einen Streifen nackte Haut frei. »Hast du Erfahrung mit glutenfreiem Teig für Dumplings?« In den nächsten Minuten blüht Cara auf. Sie fachsimpelt mit der Frau, die etwa in unserem Alter ist.

Unauffällig nehme ich etwas Abstand, um ihr Raum zu lassen.

Die unterschiedlichen Gerüche der verschiedensten Gerichte tricksen meine Nase aus. Ich glaube, links neben uns einen Truck mit Süßigkeiten zu erahnen, jedoch stelle ich fest, dass in der unmittelbaren Nähe weder Süßes noch Nachtisch angeboten wird.

Es ist erstaunlich, wie kreativ Foodtruckbesitzer sind. Ich gebe mir nicht mal annähernd so viel Mühe mit meinem eigenen Essen. Stattdessen bin ich der Instantnudel-Typ, der mit sämtlichen Essenslieferanten per Du ist. Wenn es hart auf hart kommt und wir kein Geld mehr zum Bestellen übrig haben, bin ich auf Eds vegane Kochkünste angewiesen.

»Hey, Adam, wir müssen später noch mal her«, sagt Cara euphorisch. »Suzy hat mir angeboten, für uns fructosefreie Dumplings zuzubereiten. In einer Stunde kann ich sie abholen. Wenn sie später Zeit hat, zeigt sie mir, wie man sie richtig faltet. Ich könnte daraus viele Variationen machen. Das Gute ist, dass ich sie vorfertigen und einfrieren kann. Und –« Sie schlägt sich die Hand vor den Mund. »Sorry, das muss echt langweilig für dich sein.«

»Genau für diesen Ideen-Input habe ich dich hergebracht.« Die Lüge geht mir erstaunlich leicht über die Lippen. Ich verschweige, dass ich nur deshalb hier bin, um sie besser kennenzulernen.

Wir streifen weiter durch den Park und halten an fast jedem Stand. Mit manchen Verkäufern kommt Cara erstaunlich schnell ins Gespräch und ich merke ihr bald keinen Funken Nervosität an.

»Du bist gerade voll in deinem Element, was?«, frage ich sie, als wir Foodtruck Nummer zwanzig den Rücken zuwenden.

»Ich konnte mir noch nie so viel Inspiration auf einmal holen.« Ihre bernsteinfarbenen Augen funkeln mich an und ihr helles Haar tanzt sachte im lauen Wind. »Danke, Adam.« Sie richtet den Blick sofort auf den staubigen Boden. »Willst du nicht langsam was essen?«

Mein Bauch grummelt zustimmend. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits hat sie mir gestern eindringlich klargemacht, dass sie es nicht leiden kann, wenn Leute auf sie Rücksicht nehmen. Andererseits ist es für mich nicht in Ordnung, etwas in mich hineinzuspachteln, während sie wahrscheinlich hungert. Da fällt mir ihre Verabredung wieder ein. »Suzy.«

Sie hebt die feinen Augenbrauen.

»Du wolltest bei ihr die Dumplings holen.« Ich schaue sicherheitshalber auf mein Handy. »Die Stunde ist gleich um.«

Wir schlendern in angenehmer Stille über den gesamten Platz zurück zu dem asiatischen Foodtruck.

»Hey, Suzy.« Cara winkt ihr zu, als die Leute vor uns Platz für uns machen, nachdem sie ihr Essen gereicht bekommen haben.

»Super Timing, ihr zwei. Wenn ihr wollt, zeige ich euch, wie man die Dinger richtig faltet.«

Mein Handy vibriert und erlöst mich. Diese Friemelarbeit ist nichts für meine grobmotorischen Hände. Ich entschuldige mich und laufe ein paar Schritte zu einem ruhigeren Ort. Auf einem Stück Wiese unter einem Baum, der mir angenehmen Schatten spendet, halte ich an. »Ed?«, frage ich in mein Handy.

Außer Rauschen höre ich nur Bruchstücke »… Chris … geredet … solltest du auch … gute Idee.«

»Ed? Ed! Ich verstehe dich kaum. Hast du gerade gesagt, du hast mit Chris geredet?« Lieber Gott, bitte lass ihn verneinen.

»Ja. War ganz …« Die Verbindung bricht vollends ab.

Fuck. Langsam lasse ich mich an dem Baum hinuntersinken. Eine meiner großen Halsketten verhakt sich in der Rinde und ich zerre fahrig an ihr, um sie zu befreien.

Ed, der Idiot. Ich hoffe für ihn, dass ich die Bruchstücke falsch verstanden habe. Doch es ist eh zu spät, mit einem einzigen Anruf hat er mich runtergezogen.