Mit Liebe gebacken - Julie Stanbridge - E-Book

Mit Liebe gebacken E-Book

Julie Stanbridge

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Beschreibung

Rezept für ein neues Leben (mit Traummann) Man nehme: • Maddy, 35 Jahre, Single • eine große Entscheidung • eine eigene Firma und einen neuen Ofen • jede Menge Kuchen und die ersten Kunden • eine Handvoll Erinnerungen • eine chaotische und nervige Familie (die man trotz allem liebt) • einen unerwarteten Kuss – mehr nach Belieben • eine kräftige Prise Eifersucht und zahlreiche Tränen Vorsichtig etwas Hoffnung unterheben. Bei mittlerer Hitze ein Jahr lang backen und genießen!

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Seitenzahl: 562

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Julie Stanbridge

Mit Liebe gebacken

Aus dem Englischen von Julia Walther

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Rezept für ein neues Leben

(mit Traummann)

 

Man nehme:

 

• Maddy, 35 Jahre, Single

• eine große Entscheidung

• eine eigene Firma und einen neuen Ofen

• jede Menge Kuchen und die ersten Kunden

• eine Handvoll Erinnerungen

• eine chaotische und nervige Familie (die man trotz allem liebt)

• einen unerwarteten Kuss – mehr nach Belieben

• eine kräftige Prise Eifersucht und zahlreiche Tränen

 

Vorsichtig etwas Hoffnung unterheben. Bei mittlerer Hitze ein Jahr lang backen und genießen!

Über Julie Stanbridge

Julie Stanbridge weiß, worüber sie schreibt. Sie hat einen stressigen Job im Marketingbereich aufgegeben, um ihren Unterhalt mit Kuchenbacken zu verdienen. «Mit Liebe gebacken» erzählt davon, wie es war, das Büroleben gegen den Backofen einzutauschen: eine Geschichte von der turbulenten Suche nach dem perfekten Rezept für die Liebe, das Leben – und Schokoladenkuchen.

Inhaltsübersicht

‹Widme dich der ...RezeptMan nehme: eine fünfunddreißigjährige SinglefrauJanuarBananen-Pekannuss-KuchenMan füge eine Weissagung hinzuFebruarVictoria-Sandwich-KuchenEinen Teelöffel schlechte NachrichtenMärzEarl-Grey-KuchenEine schwere EntscheidungAprilEnglischer Osterkuchen (Simnel Cake)Dreihundert FeentörtchenMaiFeentörtchen (Fairy Cakes)Ein Lächeln und eine Runde rote WangenJuniZitronenkuchenEine Handvoll ErinnerungenJuliFabelhafter MöhrenkuchenEinen Kuss – bei Bedarf gerne auch mehrAugustHimbeer-Blaubeer-LimettenkuchenEine Prise EifersuchtSeptemberSugar and Spice-KuchenEtwas Hoffnung (vorsichtig unterheben)OktoberBeschwipster WeihnachtskuchenFünf gehäufte Esslöffel TränenNovemberEnglische Mince Pies865 englische Mince Pies und zwei WeihnachtswünscheDezemberDer beste Schokoladenkuchen überhaupt

‹Widme dich der Liebe und dem Kochen mit kühner Sorglosigkeit›

(Magnet an meinem Kühlschrank – ein Zitat des Dalai Lama –, wie könnte ich da widersprechen. Manche würden allerdings sagen, dass mir genau das zum Verhängnis wurde …)

***

‹Gehe vertrauensvoll in die Richtung deiner Träume! Führe das Leben, das du dir vorgestellt hast.›

Henry David Thoreau (ein weiterer Kühlschrankmagnet)

***

Foto von meinem Neffen, Bäro dem Bären, und seiner Mutter, meiner Schwester Moo.

(klebt ebenfalls an meinem Kühlschrank)

Rezept

Man nehme: eine 35-jährige Singlefrau

Füge 1 Weissagung hinzu

1TL schlechte Nachrichten

1 schwere Entscheidung

300 Feentörtchen

1 Lächeln und eine Runde rote Wangen

1 Handvoll Erinnerungen

1 Kuss – bei Bedarf gerne auch mehr

1 Prise Eifersucht

Etwas Hoffnung (vorsichtig unterheben)

5 gehäufte EL Tränen

865 englische Mince Pies

und 2 Weihnachtswünsche

 

Alle Zutaten gut mischen.

365 Tage lang backen.

Man nehme: eine fünfunddreißigjährige Singlefrau

Januar

«Mhmmmmm … ist das wunderbar!!!!»

Ich lasse mich in die Kissen zurücksinken, schließe die Augen und gebe mich ganz diesem köstlichen Moment hin. Himmlisch, zart, verführerisch … Ich glaube, ich habe den perfekten Bettgenossen gefunden.

 

Genau genommen ist es eher eine blöde Idee, im Dunkeln im Bett Schokoladenkuchen zu essen, da man am nächsten Morgen überall Schokoflecken findet. Auf dem Laken, den Kopfkissenbezügen, um den Mund herum und im Dekolleté, sofern man eins besitzt. Oder wie in meinem Fall einfach direkt auf dem Lieblingsschlafanzug, der einen dann auf alle Ewigkeit daran erinnert, dass man ganz allein für das Geschwabbel an den Hüften verantwortlich ist.

All das juckt meine Schwester Moo und mich allerdings wenig, während wir uns das Diebesgut aus Mums Speisekammer einverleiben. Einen kurzen Moment lang herrscht Stille, während wir an vergangene Kindertage denken, als Mitternachtsschlemmereien und Fangen mit den Nachbarsjungen zu den aufregendsten Dingen gehörten, die das Leben zu bieten hatte. Diese Erinnerungen haben in den vergangenen zwanzig Jahren nichts von ihrer Süße eingebüßt. Genau das ist das Rezept, das ich wiederbeleben will: Bittersüßer, schokoladiger Teig, der auf der Zunge zergeht. Eine reichhaltige Buttercremefüllung und darüber ein Guss aus geschmolzener Zartbitterkuvertüre. Das Aroma von Kakaobohnen betört die Sinne wie kein anderes. Es verspricht Trost und Verführung, es hüllt dich ein wie eine Decke aus dem weichsten, dunkelsten Samt. So schmeckt Belohntwerden, Geliebtwerden, Bravsein.

Wenn ich brav war, durfte ich mir eine von Mums Erwachsenen-Pralinen aus der Black Magic Box nehmen, die Dad ihr immer zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenkte oder wenn er wieder Überstunden machen musste. Mein Lieblingsnachtisch waren die kleinen Förmchen mit Schokopudding, die sie Pot au Chocolat nannte. Und wenn ich besonders lieb war, dann durfte ich mit ihr zusammen Schokoladenkuchen backen, während im Hintergrund Simon and Garfunkel lief. Es war meine Aufgabe, den abgekühlten Kuchen mit Schokoladenblättern zu dekorieren. Mit konzentriert gerunzelter Stirn tauchte ich die vorher im Garten gesammelten Blätter vorsichtig in die flüssige Kuvertüre und legte sie zum Trocknen auf Backpapier. Moo und mein kleiner Bruder Ben interessierten sich nie für diesen Teil der Backarbeit. Moo verschwand, um mit den anderen Kindern in der Straße Theaterstücke aufzuführen, während Ben sich selbst, die Katze und seine Action-Man-Figur im Sandkasten verbuddelte.

 

Nachdem wir uns geräuschvoll die Finger abgeleckt haben, machen Moo und ich uns in Mums Doppelbett breit. Ich wickele mich fest in die Decke ein. Aber kurz darauf ist es wieder vorbei mit der Gemütlichkeit, weil Moo sie an sich reißt, sodass meine linke Seite akutem Frostbeulenrisiko ausgesetzt ist. Mum heizt nachts nicht, weil sie meint, dass man besser schläft, je kälter es ist

Nachdem ich die Krümel aus dem Bett gefegt habe, lege ich mich wieder hin. Es folgt ausführliches Gezappel mit Armen, Beinen und Kissen. Moo sagt etwas, das ich nicht ganz verstehe, weil ihre Worte in einem Gähnen untergehen.

«Was?», frage ich und muss prompt auch gähnen. Es ist halb zwei Uhr nachts, und wir haben uns zwei Stunden lang flüsternd unterhalten um Bäro, Moos fünf Monate alten, neben uns schlafenden Sohn nicht zu wecken.

«Bist du bald fertig?», fragt sie.

«Tut mir leid. Krümel, flaches Kissen, Krämpfe …», erkläre ich.

«Dir ist schon klar, dass du eine Psychomacke hast, oder?», sagt Moo, als würde sie mich auf einen offensichtlichen Makel hinweisen, den ich nur morgens beim Aufwachen übersehen habe.

«Du sagst es mir ja oft genug.» Ihr nehme ich die Bemerkung nicht übel. Bei jedem anderen würde ich in Tränen aufgelöst um einen Termin beim Arzt bitten.

«Hast du etwa …?», frage ich, als meine Nase plötzlich einen ziemlich aufdringlichen Geruch wittert. Ich wedle wie wild mit der Bettdecke, um das Schlimmste zu vertreiben, während Moo sich vor Lachen schüttelt und man glatt vergessen könnte, dass sie dreiunddreißig ist und nicht dreizehn. Wahrscheinlich gibt es für einige Körperfunktionen keine Altersgrenze, was Moo vor Bäros Geburt auch besonders große Sorgen bereitete. Angesichts ihrer Angewohnheit, in der Öffentlichkeit ungehemmt zu furzen, habe ich jedoch nie ganz verstanden, warum.

«Ich muss gestehen, dass mir ein kleines Lüftchen entwischt ist.» Die Verwendung von Mums bevorzugter Formulierung erheitert Moo noch mehr. Meine Schwester kommt ganz nach unserer Großmutter väterlicherseits, die, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Geräusch von sich gab, das sich nur als ein ‹Pffft› beschreiben lässt. Ich wünschte, ich wäre auch so frei, statt schier zu platzen. Furzen und Fernsehsendungen mit derben Witzen – eigentlich alles, was mit Körperfunktionen und Sex zusammenhängt – war in unserer Familie streng verpönt. Mums goldene Regel «Quält dich ein Lüftchen, geh aufs Örtchen» hat sich tief in mir festgesetzt. Die logische Kinderfrage, was passiert, wenn kein Örtchen in der Nähe ist, wurde mit einem strengen Blick und der Verkneif-es-dir-Regel beantwortet. Im Gegensatz zu Moo verbrachte ich meine Kindheit in einem Zustand akuter Panik.

«Wo waren wir stehengeblieben?», fragt Moo, nachdem sie sich wieder beruhigt hat.

«Keine Ahnung», antworte ich, weil ich mich wirklich nicht erinnern kann. Zwischen dem mitternächtlichen Schokokuchenraubzug und der Furzerei habe ich irgendwie den Faden verloren.

«Du stehst am Scheideweg deines Lebens?»

«Ahhh!» Jetzt fällt es mir wieder ein. «Wo war ich? Ach ja.» Ich hole tief Luft, als hätte mein folgender Redebeitrag gravierende Auswirkungen auf sämtliche Zuhörer.

«Ich habe einfach das überwältigende Gefühl, dass ich mein Leben dramatisch ändern muss. Und zwar schnell.»

«Was willst du damit sagen?» In der Dunkelheit des Zimmers kann ich vage Moos fragenden Gesichtsausdruck ausmachen. Diese Miene kündigt normalerweise ihre drei W-Fragen an: Was? Wo? Und natürlich die wichtigste: Warum? Wie ein mit Ws geladenes Maschinengewehr feuert meine Schwester sie ab, woraufhin der Getroffene völlig widerstandslos wird und nur noch antworten kann.

«Hattest du jemals das Gefühl, nicht das zu tun, was du wirklich willst? Dass dein Leben an dir vorbeizieht, ohne dass du je dein wirkliches Selbst findest?» Schon während ich das ausspreche, spüre ich das beunruhigende, nagende Gefühl, das mich die letzten Monate ständig begleitet hat.

«Leider ja.» Moos Antwort überrascht mich, schließlich wusste sie immer, was sie wollte. Ich dagegen bin nach der Schule von Job zu Job gedümpelt und schließlich in der Marketing-Abteilung eines riesigen internationalen Pharmakonzerns gelandet. Moo hatte immer ein Ziel vor Augen. Nach der Uni gründete sie ihr eigenes Theaterensemble und tingelte mit einer Gruppe ehemaliger Kommilitonen durch Europa. Anschließend hatte sie vier Jahre lang ein Engagement bei der Royal Shakespeare Company. Niemand zweifelte daran, dass sie diesen Kindheitstraum verwirklichen würde. Unklar war immer nur, wie lange Moo es an einem Ort aushalten würde, ehe sie die nächste Sprosse der Karriereleiter erklomm. Im leidenschaftlichen Glauben, durch die Schauspielerei das Selbstwertgefühl von Kindern stärken zu können, leitet sie seit sechs Jahren die Jugendtheatergruppe Real Time Theatre, und bis eben war ich überzeugt, dass sie ihren Job liebt. Sie dreht sich ein bisschen und schiebt mich damit noch weiter an die Bettkante. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich rausfalle.

«Kannst du mal dein Bein da wegnehmen?», sagt sie und versucht, es mit ihrem wegzuschieben.

«Natürlich. Tut mir leid.» Ich entknote meine Beine und ziehe sie beiseite.

«Ist bei der Arbeit alles in Ordnung?», frage ich.

«Ja, alles okay. Wahrscheinlich bin ich einfach nur müde», antwortet sie. «Woher kommt denn dein Wunsch nach Veränderung?»

«Keine Ahnung. Irgendwie hab ich immer gedacht, ich will so richtig Karriere machen mit allem, was dazugehört: schickes Auto, tolle Klamotten und ein dickes Konto. Jetzt bin ich mir plötzlich gar nicht mehr so sicher.»

«Das ist doch kein Wunder, Maddy. Ich bin eher überrascht, dass es so lange gedauert hat, nach allem, was passiert ist.»

«Wahrscheinlich wollte ich, dass sich nicht gleich alles verändert. Ich hab mich sicher gefühlt mit all den gewohnten Abläufen.»

«Und was willst du jetzt tun?», fragt Moo.

«Irgendetwas anderes. Etwas, wofür ich mich begeistern kann. Etwas, das sich gut anfühlt und mir Freude macht.»

«Das ist ja nicht besonders viel verlangt», lautet Moos trockener Kommentar.

«Nach den Sternen greifen. Ist es nicht das, was Mum sagen würde?» Ich ziehe meinen Arm unter der Decke hervor und strecke ihn gen Himmel.

«Gut. Was willst du also machen?» Moo lässt nicht locker.

«Hmmmm, weiß nicht.»

«Also. Was kannst du gut?»

«Weiß ich auch nicht so richtig.»

Stille.

«Mann, sind deine Füße kalt.» Moo klappert mit den Zähnen. «Wie tote Fische im Bett.»

«Ich weiß», entgegne ich, denn das höre ich nicht zum ersten Mal.

Wieder Stille.

«Ist mit Bäro alles in Ordnung?», frage ich.

«Warum?»

«Ich kann ihn nicht atmen hören.»

«Es geht ihm gut», versichert Moo, aber ich bin nicht überzeugt.

«Bist du ganz sicher?» Ich setze mich im Bett auf und lausche angestrengt nach Atemgeräuschen.

«Willst du, dass ich nach ihm schaue?» Ich kann das Grinsen meiner Schwester förmlich hören.

«Ja, bitte.»

Moo steht auf und verkündet kurz darauf, ihr Sohn sei definitiv wohlauf. Dann krabbelt sie zurück ins Bett.

«Also. Wo waren wir? Was wolltest du schon immer machen?», setzt sie geduldig ihr Verhör fort.

«Ein Buch schreiben und von Richard und Judys Buchclub zur Ferienlektüre empfohlen werden.»

«Noch was?»

«Gibt’s was dagegen einzuwenden?»

«Hinz und Kunz wollen ein Buch schreiben. Was noch?»

«In Michael Parkinsons Talkshow auftreten.» Ich bin ein bisschen in Parkie verknallt. Bescheuert, aber wahr.

«Obwohl ich niemals diese Treppe hinunterschreiten könnte!», füge ich hinzu. «Ich müsste durch eine Seitentür auftreten …» Ich habe nämlich panische Angst, Treppen herunterzufallen. Keine Ahnung, warum. Eine der vielen irrationalen Ängste, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben. Unter anderem sind da: tot in nicht zusammenpassender Unterwäsche gefunden werden, Achterbahnen, mir einen Bandwurm einfangen, Fliegen und Dunkelheit.

«Können wir mal kurz von Parkie, Richard und Judy absehen? Was wolltest du schon immer machen, das nichts mit deinen Puppenhaus-Tagträumereien zu tun hat?»

Das Puppenhaus kränkt mich ein wenig, aber ich gehe drüber hinweg.

«Kuchen backen.»

«Kuchen backen?», wiederholt Moo, als traue sie ihren Ohren nicht.

«Kuchen backen!», sage ich im Brustton der Überzeugung. Ich spüre meine nahende Erleuchtung und bin noch nicht mal betrunken.

«Wofür? Um sie zu verkaufen?»

«Ja.»

«Gut. Was für Kuchen?»

«Du weißt schon, so altmodische, wie Mum sie früher immer gebacken hat.» Sofort sehe ich mich in Mums Küche stehen, Mehl rieselt sanft wie Schnee auf meinen Kopf herunter, während ich auf den Löffel zum Abschlecken warte.

«Victoria Sandwich mit Himbeermarmelade.»

«Genau. Kannst du dich an den noch erinnern?»

«Mhmmmmm.»

Das ist ein anderes Mhmmm als die anderen. Dieses Mhmmm hütet köstliche Erinnerungen. Ständig sagen wir Mhmmm oder Hmmm, wenn wir über etwas nachdenken, Zeit schinden wollen, niemanden verärgern oder eine konkrete Meinungsäußerung vermeiden wollen. Mhmmm ist ein ziemlich nützliches Werkzeug, besonders im Umgang mit empfindlichen Familienmitgliedern.

«Davon hätte ich jetzt gerne ein Stück», sinniert Moo.

«Was ist mit Schokoladenkuchen? Männer lieben Schokoladenkuchen.»

«Ben nicht.»

«Ben ist komisch.»

«Mhm.»

«Wir könnten es gemeinsam aufziehen», schlage ich vor. «Schwester Moo, bitte in die Küche?»

«Mhm …» Moo geht auf meinen blöden Spruch nicht ein. Besser so.

Und so wurde, wie es so schön heißt, unsere Firma Sugar and Spice geboren, auch wenn zwischen uns und diesem Namen noch ein langer, steiniger Weg liegen sollte.

***

Interview mit Richard und Judy von Englands beliebtestem Buchclub:

 

«Erzählen Sie uns, Maddy, wie sind Sie auf die Idee mit Sugar and Spice gekommen?»

«Nun ja, Richard, wir haben intensive Marktforschung betrieben, die aktuellen Trends und demographischen Entwicklungen analysiert und jede Menge Brainstorming-Sessions abgehalten. Wir haben wirklich nichts dem Zufall überlassen.»

«Sie hatten ein ziemlich aufregendes Jahr: Sie wurden zur Geschäftsfrau des Jahres gewählt und zur Vorsitzenden des Bundesverbandes der Konditoren. Sie sind das neue Gesicht bei Estée Lauder und haben eben Ihren fünften Torten-Shop in New York eröffnet.»

«Einfach war das alles natürlich nicht, aber ich habe von Anfang an fest an unsere Vision geglaubt.»

«Sie haben erst kürzlich ein Buch über Ihre Erfahrungen veröffentlicht?»

«Ja, und ich konnte es kaum glauben, als mein Agent mich anrief und sagte, dass es den Da Vinci Code von Platz eins der Bestsellerlisten verdrängt hat. Das ist ja alles so aufregend!»

«Sie sind eine Inspiration für alle Frauen, und deshalb empfehlen wir diese Woche Ihr Buch als absolute Pflichtlektüre», sagt Judy, und ich überlege, ob ich sie um ein Autogramm bitten soll. Mum würde sich riesig freuen.

***

«Du wirst dieses Jahr jemanden kennenlernen», flüstert Moo in die Dunkelheit hinein und zerstört meine Triumphträume von Richard und Judy.

«ER wird die große Liebe deines Lebens sein.» Sie klingt so überzeugt, dass ich es vor Neugier kaum aushalte.

«Wann? Wo? Wie?» Die Fragen sprudeln nur so aus mir heraus.

«Ich weiß natürlich keine Einzelheiten, aber es wird ganz schnell gehen, und zwar noch dieses Jahr.»

«Wie ist er denn so?», frage ich aufgeregt. Seit langem habe ich keine so guten Neuigkeiten mehr gehört.

«Wie ein Bananen-Pekannuss-Kuchen», säuselt Moo. «Mit Schokoladenraspeln!»

«Wow!» Jetzt verstehen wir uns – Moo spricht meine Sprache: die Sprache des Essens, der Liebe und all der süßen Köstlichkeiten.

«Riecht fabelhaft, hat eine etwas raue Schale, die aber trügt, denn unter der knusprigen Kruste verbirgt sich eine unwiderstehliche Mischung aus Geschmack, Konsistenz und Farbe.»

«Er klingt perfekt», seufze ich. Ich habe mich in den Kerl bereits verliebt, bevor ich ihm überhaupt begegnet bin.

Vielleicht sollte ich das etwas genauer erklären. Moo ist ein bisschen seltsam. Nein, so kann man es nicht sagen. Sie ist anders. Das klingt noch schlimmer! Etwas Besonderes? Ja, das trifft es schon eher. Sie ist auf eine schöne Art besonders. Sie ist Spiritistin und steht mit der Welt der Geister in Verbindung. Deshalb ist sie für übersinnliche Nachrichten empfänglich. Seltsam, aber wahr. Dieser Kelch ist zum Glück an mir vorbeigegangen. In meinem Kopf gibt es schon genug Stimmen, die mir das Leben schwer machen. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wie es funktioniert. Ist das wie mit dem Internet? Hört Moo dieses kksschhhhhhh-Modem-Geräusch, wenn sie Kontakt aufnimmt? Oder ist es, als würde sie eine SMS bekommen? Vielleicht flüstern die Stimmen ja auch bloß. Egal wie, ich glaube an ihre Fähigkeiten und das, was sie mir erzählt. Wenn Moo mir also sagt, dass die große Liebe meines Lebens vor der Tür steht, dann werde ich bei der Vorstellung ganz aufgeregt und ein bisschen nervös. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was ich bei so einer Begegnung tun würde. Ich kann mich gar nicht mehr an mein letztes Date erinnern. Nein, das war gelogen. Ich kann schon, aber lieber würde ich es vergessen, also zählt es nicht. Jedenfalls kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, mich je wieder zu verlieben. Meine Trefferquote im Liebesglück lässt bisher erheblich zu wünschen übrig. Auch wenn ich felsenfest von der Existenz der Hollywood-Happy-Ends überzeugt bin, bei denen ich im Kino immer heule – um mich scheinen sie bisher einen weiten Bogen zu machen. Irgendwann im letzten Jahr habe ich das L-Wort im Ordner mit der Aufschrift «Archiv» abgelegt und das S-Wort in einer verstaubten Mappe namens «Kann mich nicht daran erinnern» abgeheftet.

«Woher weiß ich denn, welcher es ist?», flüstere ich im Dunkeln.

 

Ich kann nicht sehen, ob sie schläft, aber das Ausbleiben einer Antwort und einige gegrunzte Schnarcher scheinen meinen Verdacht zu bestätigen. Alle weiteren Fragen werden also warten müssen. Ich liege ganz still und versuche, mich nicht zu bewegen. Sonst falle ich nämlich aus dem Bett. Wir sind keine guten Bettgenossinnen: Während meine Schwester Arme und Beine von sich streckt und fast das ganze Bett einnimmt, verharre ich wie in Leichenstarre in Rückenlage auf den verbleibenden zehn Zentimetern. Ich gebe ihr einen sanften Schubs, damit sie a) aufhört zu schnarchen und b) Platz macht. Doch sie bleibt regungslos, ein röchelndes Etwas, dem meine missliche Lage völlig gleichgültig ist.

Meine Schwester und ich sind beste Freundinnen. Das war nicht immer so, aber das ist wohl normal unter Schwestern. Eben noch hat sie deine Lieblingspuppe geklaut, und du schwörst, ihr das im Leben nicht zu verzeihen, und im nächsten Augenblick tröstet sie dich, wenn du denkst, dein gebrochenes Herz wird nie wieder heilen. Zwischen uns liegen drei Jahre, und insgesamt sind wir drei Geschwister. Ich bin die Älteste, dann kommt Moo und dann Ben, unser Nesthäkchen. Ben wäre gerne der Älteste, aber da hat er Pech gehabt. Beharrlich klammere ich mich an das Privileg der Ältesten, obwohl er wahrscheinlich für den Job besser geeignet wäre.

Bevor sie meinen Vater kennenlernte, hat meine Mutter studiert und war Hut-Designerin in Paris. Daher kam ihre Begeisterung für alles Französische, sodass wir als Kinder französische Filme (mit Untertiteln, die wir nicht verstanden) und am Wochenende Croissants zum Frühstück vorgesetzt bekamen. Das ärgerte vor allem meinen Vater, der Speck und Eier haben wollte, wie «jeder stinknormale Mensch, verdammt nochmal». Auch unsere Namen sind französisch: Ben heißt in Wirklichkeit Pierre, aber wir haben ihn aber schon immer bei seinem zweiten Vornamen gerufen, Moo wurde auf den Namen Michelle getauft, und ich heiße Madeleine, nach den muschelförmigen Küchlein, die die Franzosen in ihren Kaffee tunken. Alle nennen mich Maddy.

Außer unserem lauten Lachen und einem sehr ähnlichen Sinn für Humor haben meine Schwester und ich nicht viel gemeinsam. Moo hat kräftige, schwarze Haare wie unsere Mutter, aber die helle Haut, ihre Wesensart und zu Moos großem Leidwesen auch die Wurstfinger stammen von unserem Vater. Ich habe dafür seine Sommersprossen und das rötliche Haar geerbt. Meiner Ansicht nach hat meine Schwester noch Glück gehabt. Moo ist genau wie ihr Lieblings-Himbeer-Blaubeer-Zitronenkuchen: luftig und goldgelb, mit leuchtenden Farbflecken wie mit Edelsteinen durchsetzt und einer bissigen Würze. Sie ist lebhaft, witzig und wunderschön. Ihre Augen funkeln vor Lebensfreude, ihr großer Mund ist ausdrucksstark, und ihre Ehrlichkeit kann Fremde ganz schön überrumpeln. Manche Menschen sind einfach zum Strahlen bestimmt, und meine Schwester ist eine von ihnen. Ihre starke Persönlichkeit und ihre Kleidung bringen jeden Raum zum Leuchten: knallige Farben, ungewöhnlicher, auffälliger Schmuck und ihr Markenzeichen – pflaumenfarbener Lippenstift, mit dem sie vermutlich schon auf die Welt gekommen ist.

Ich dagegen bin die Stille, die sich bei Partys eher in der Küche aufhält und meistens so schlichte Sachen trägt wie Jeans (ich besitze zwölf Stück und kann von mir selbst sagen, eine echte Expertin in Sachen Schnitt zu sein). Mein Schmuck besteht seit Jahren nur aus einer silbernen Kette, einem Ring und Kreolen. Ich wäre gerne mutiger, aber alle meine Versuche, meinen Look aufzupeppen – etwa mit einem lässig um den Hals geschlungenen Tuch oder einer bestickten Bluse –, sind bisher kläglich gescheitert. Ich sehe dann aus wie eine exzentrische alte Frau, die aus einer Anstalt ausgebrochen ist. Ich war auf Partys noch nie die Stimmungskanone, sondern sonne mich lieber in dem Glanz von anderen. Mein ganzes Leben habe ich mich zu den leuchtenden, starken Persönlichkeiten hingezogen gefühlt, möglicherweise in der Hoffnung, ein wenig von ihrem Glitzern und Funkeln würde wie Feenstaub auf mich herunterrieseln. Erstaunlicherweise fühlen auch sie sich von mir angezogen. Vielleicht weil sie wissen, dass ich ihnen nie die Show stehlen werde. Ich bin ihr tollpatschiger Gegenpart. Laut Moo ist das keine schlechte Sache. Manchen Leuten, sagt sie, wird nach einem Stück Sahnetorte schlecht, und sie wünschten, sie hätten sich für den Marmorkuchen mit seiner Mischung aus Vanille und Schokolade entschieden. Warum gerade Marmorkuchen? Musste das denn sein? Wie dem auch sei, so gern ich ein bisschen mehr vom Funkeln und Selbstvertrauen meiner Schwester gehabt hätte, war ich immer gerne ich selbst. Bis jetzt! Jetzt stelle ich alles in Frage und bekomme keine Antworten. Jetzt habe ich Angst. Punkt.

 

Nicht nur das Schnarchen meiner Schwester hält mich wach. In meinem Kopf kreisen die Gedanken um die Vorstellung, ein unbekanntes, aber aufregendes neues Kapitel in meinem Leben anzufangen, eine Firma zu gründen und mich Hals über Kopf zu verlieben.

Ich kann es schon fast schmecken: Puderzuckerwolken, klebrige Finger, freudige Erwartung, warm, umhüllend, tröstend. Auf der Zunge zergehend, goldgelb, leicht, würzig, luftig, knusprig, zartbitter, himmlisch, saftig, lecker. Reiner, unverfälschter Genuss, und Lachen, süß und köstlich.

 

Als wir aufwachen, prasselt Schneeregen gegen die Fensterscheiben, doch der kalte Wind der Realität dringt noch nicht bis zu uns herein. Wir verbringen den Morgen am alten Küchentisch aus Kiefernholz, der jahrzehntelang Teeflecken und Abnutzung und Bens eingeritzte Initialen überstanden hat. Hier setzen wir unsere nächtliche Unterhaltung über die Weltherrschaft des Konditoreiwesens bei Tee und Mums restlichem Weihnachtskuchen fort. Dunkler Rohrzucker, Zitronat, Orangeat, glasierte Kirschen und jede Menge mit Brandy vollgesogene Früchte waren in Pergamentpapier und Alufolie gewickelt worden und durften dann fast ein ganzes Jahr lang wie edler Käse reifen. Das Ergebnis ist wie schwarzer Rübensirup, dick und reichhaltig. Dadurch reicht, ungewöhnlich für einen Kuchen, bereits ein schmales Stückchen. Wir pulen beide den Guss und das Marzipan ab. Mum schnalzt verächtlich, verkneift sich aber komischerweise alle weiteren Kommentare, dass ihrer stundenlangen Arbeit an der perfekten Glasur kein Respekt gezollt wird. Die Tatsache, dass wir offenbar den Verstand verloren haben und eine Kuchenbäckerei aufziehen wollen, quittiert sie ebenfalls mit verächtlichem Schweigen.

Wir reden, essen und schreiben, unterbrochen von zahlreichen Bärenfütterungen und -wickelungen.

Bäro, mein Neffe, ist ein großer Junge mit großem Appetit. Ein weicher, knautschiger Donut, nach dem man sich jedes Mal die Finger abschleckt. Von hinten erinnert er an einen Rugby spielenden Pu Bär. Orangefarbener Brei ist um Mund, Nase und bis hinauf in die Haare geschmiert. Wie eine rundliche kleine Babyeule, mit weißem Flaum auf dem Kopf und weitaufgesperrtem Schnabel. Moo kann ihm das Futter gar nicht schnell genug in den Schnabel stopfen, und sobald sie ihre Aufmerksamkeit zu lange abwendet, verzieht er das Gesicht und beginnt zu weinen.

Mum meint, er ist eben ein Mann, und sein Bedarf an Essen, Aufmerksamkeit und Hinterhergeräume wird nie enden. Moo und ich lächeln uns zu. Wir wissen, was als Nächstes kommt: «Sobald man ihn aus den Augen lässt, wird er sich aus dem Staub machen und sich jemanden suchen, der ihm mehr Beachtung schenkt.» Die Platte hat einen Sprung, und auch heute macht Mum keine Ausnahme. Mum ist ein Madeira-Kuchen. Der leichte, luftige Rührteig steht für den liebevollen, umsorgenden Teil von ihr, der stets Umarmungen und freundliche Worte auf Lager hat. Doch die Frau, die auf Französisch flucht und meinem Vater am liebsten ein Messer durchs Herz bohren würde, das ist die Zitrussäure. Wenn Mum von Dad spricht, sieht sie aus, als würde sie in eine Zitrone beißen.

Er hat sie damals für Susan, eine Handelsvertreterin und fünfzehn Jahre jünger, verlassen. Sechs Monate lang sahen wir ihn nicht. Von Mum waren keinerlei Erklärungen zu seinem Verschwinden zu bekommen, und als er schließlich mit seiner neuen Frau im Schlepptau wieder auftauchte, war ich längst davon überzeugt, dass er entweder tot war oder mich nicht mehr liebte. Mein Vater ist ein sturer, forscher Selfmademan, der die Schule mit vierzehn ohne einen Abschluss und mit seinem Wunsch, etwas aus sich zu machen, verließ. Zuerst arbeitete er als Autoverkäufer, dann in einer Verpackungsfirma, die unter anderem Eierkartons herstellte. Mum wird nie müde, uns von dem Tag zu erzählen, als er nach Hause kam und ihr mitteilte, er habe gekündigt und ein Gebot für einen alten zusammenbrechenden Familienbetrieb abgegeben. Offensichtlich war ihm nicht bewusst, dass mit einem Kleinkind und einem Säugling im Haus das Geld nicht mal zum Abbezahlen der Hypothek reichte. Der Rest ist Geschichte, wie mein Vater gerne sagt: Durch Zufall traf er einen Mann von einer großen Kosmetikfirma, von dem er einen Auftrag zur Produktion von Plastikpuderdosen, Seifenschalen und Lippenstiftgehäusen mit Drehmechanismus erhielt. Mums Schlafzimmer und das Bad standen immer voller knallbunter Behälter mit eingravierten Namen wie Coty, Charlie oder Tweed, die wie magische Raumschiffe von fernen Planeten die Regale bevölkerten. Inzwischen beschäftigt Brown Casings Ltd. achtzig Mitarbeiter, meinen Bruder Ben eingeschlossen. Der Erfolg meines Vaters setzte uns mächtig unter Druck. Obwohl er nie auch nur einen einzigen Elternabend besuchte, gab es ein Riesendonnerwetter, wenn wir keine erstklassigen Noten nach Hause brachten. Die Botschaft war eindeutig: «Ich habe mich von ganz unten hochgearbeitet, aber ihr habt keine Ausrede. Von euch erwarte ich Großes.» Ben und Moo erfüllten selbstverständlich alle Erwartungen, aber ich habe meinen Vater wohl immer enttäuscht. Dass ich ihn außerdem vermutlich an Mum erinnere, ist daher auch nicht hilfreich.

 

Ich dachte immer, meine Mutter und ich wären ganz unterschiedlich. Inzwischen stelle ich fest, dass ich ihr mit den Jahren immer ähnlicher werde – etwa beim Blick in den Spiegel oder wenn ich mich lachen höre. Mit unseren 1,65 m sind wir beide durchschnittlich groß, haben grünbraune Augen (laut einem meiner Ex-Freunde die Farbe eines schlammigen Flusses – und er wunderte sich, dass ich beleidigt war) und rund gebogene Augenbrauen, die meinem Gesicht einen konstant überraschten Ausdruck verleihen. Ich habe außerdem Mums mangelndes Selbstvertrauen, ihren Jähzorn und das Bedürfnis nach permanenter Bestätigung geerbt. Noch vor ein paar Jahren hätte mich diese Erkenntnis im Erdboden versinken lassen, aber inzwischen finde ich, es hätte schlimmer kommen können. Meine Mutter hat keinen Damenbart, das ist ein Vorteil. Dafür schrumpft sie mit erschreckender Geschwindigkeit, was wiederum nicht so gut ist. Aber machen wir uns nichts vor, geringe Körpergröße ist doch übermäßiger Gesichtsbehaarung im Alter eindeutig vorzuziehen. Irgendwo habe ich gehört, dass Frauen im Alter die Schamhaare ausgehen. Vielleicht sprießen sie dann stattdessen auf der Oberlippe und am Kinn? Ich werde Mum fragen müssen.

 

Mit all den Kindheitserinnerungen aus unseren Träumen der letzten Nacht und Schuldgefühlen, weil wir den Rest von Mums Schokokuchen vernichtet haben – auch wenn sie kein Wort darüber verloren hat –, beschließen Moo und ich für den Besuch von Ben, seiner Frau Freya und ihrer kleinen Tochter, der Prinzessin, einen frischen Schokoladenkuchen zu backen. Moo schlägt Butter und Zucker, bis sie zusammen eine hellgelbe, luftige Masse ergeben. Bäro schläft trotz des ganzen Lärms in seinem Wippstuhl ein.

«Genau. Traditionelle Rezepte», sage ich mehr zu mir selber als sonst irgendwem, während ich Moo zusehe.

«Zu Hause selbst gebacken», fahre ich fort. «Das sollte unser Hauptverkaufsargument sein, unser USP.»

«USP?» Moo nimmt den Rührbesen in die andere Hand.

«Unser ‹Unique Selling Point› – dass unsere Kuchen nicht aus einer Massenproduktion, sondern aus unserer eigenen Küche stammen. Genau wie früher aus Mums Backofen.»

Ich gebe vorsichtig die Eier dazu. Die dunkelgelben Eidotter verbinden sich schnell mit der restlichen Masse.

«Alle Zutaten von bester Bio-Qualität und keine künstlichen Zusatzstoffe.»

«Genau!»

«Das könnte ein weiterer UPS sein», meint Moo und wechselt wieder den Rührarm.

«USP!», korrigiere ich sie lachend.

Moo fängt an zu schwächeln. Ihre Wangen sind gerötet, und auf ihrer Oberlippe bilden sich kleine Schweißperlen. Wir hätten es uns natürlich auch leicht machen und einfach alles in die Küchenmaschine kippen können. Doch irgendwie haben wir heute das Gefühl, es ganz genauso machen zu müssen wie unsere Mutter früher – obwohl Moo anscheinend jetzt schon an der Fabelhaftigkeit unserer Idee zu zweifeln beginnt.

«Ich geb auf.» Sie reicht die Rührschüssel an mich weiter.

«Und was ist mit der Verpackung?» Sie setzt sich hin.

«Wir wollen, dass die Kuchen besonders aussehen. Wie ein Geschenk.» Ich rühre wie wild in der Schüssel herum.

«Wie wäre es mit Zellophanfolie und Geschenkband wie bei einem Blumenstrauß?»

«Zusammen mit einer Grußkarte direkt nach Hause geliefert!», schlage ich vor. Das macht richtig Spaß.

«Ja! Super!» Moo springt begeistert auf, als hätte sie soeben im Lotto gewonnen.

«Wie würden wir die Bestellungen aufnehmen?», überlegt sie.

«Per Internet und Telefon. Also brauchen wir eine Nummer und eine Website.» Das ganze Projekt wird immer ehrgeiziger und teurer.

«Ich will ja kein Spielverderber sein, meine Süßen, aber wo wollt ihr denn das ganze Geld hernehmen?», unterbricht Mum. Die Stimme der Realität. Moo und ich schauen sie an, als hätte sie uns soeben eröffnet, dass wir eigentlich adoptiert sind. Keine von uns weiß eine Antwort. Einen Moment lang herrscht ungemütliches Schweigen in der Küche, als unsere kleine phantastische Seifenblase zu platzen droht.

«Darüber können wir uns später Gedanken machen», wischt Moo Mums Einwand vom Tisch. Ich atme erleichtert aus, weil unser Luftschloss noch steht, während ich vorsichtig Mehl und Kakaopulver unter die Masse hebe. Mum hilft mir, die wunderbare Schokoladencreme in Formen zu füllen. Dann betrachtet sie das Schlachtfeld, in das sich ihre Küche verwandelt hat. Moo und ich sind fürchterlich unordentliche Köchinnen. Kleckse von Zuckerbutter, glitschigem Eiweiß und eine Mehlschicht bedecken Mums Arbeitsplatte und Moos Hemd. Darauf kleben ohnehin schon die Überreste von Bäros Mittagessen, und es sieht aus, als könnte sie eine ordentliche Dusche vertragen. Das ist nicht die makellose, in superhippe Designerstücke gehüllte Schwester, die ich kenne. Sogar ihr Lippenstift fehlt, was wirklich beunruhigend ist. Ich hätte schwören können, er gehört zu ihrem Gesicht wie das kleine Muttermal. Ohne das Pflaumenrot sieht sie blass und gar nicht mehr wie Moo aus. Ein schrecklicher Verdacht befällt mich: Außerirdische haben meine Schwester entführt und durch ein fremdes Wesen ersetzt, eines, das seine Haare nicht jeden Tag wäscht. Sie fährt mit dem Finger die ausgekratzte Teigschüssel entlang, und ich lecke den Rührlöffel ab.

«Wir müssen uns ein Design für die Website ausdenken», schlägt sie vor.

«Schreib’s mit auf die Liste.»

Moo fügt noch einen weiteren Punkt hinzu: einen Mann für Maddy finden!

«Ich brauche keinen Mann!», protestiere ich halbherzig.

«Es ist also völlig normal für eine Fünfunddreißigjährige, Silvester mit ihrer Mutter zu verbringen und nicht mal bis halb elf durchzuhalten?»

«Silvester war schön!», mischt Mum sich gekränkt ein.

«War es auch», versichere ich ihr. Moo erntet einen warnenden Blick. «Nur weil ich mich für ein ruhiges Silvester mit Mum entschieden habe, brauche ich noch lange keinen Mann!»

«Na gut. Aber du brauchst auf jeden Fall mehr Spaß!»

«Dann schreib das auch auf die Liste», erwidere ich mutlos. Sie hat ja recht. «Ach, und notier doch auch gleich Milch, Brot und Soja-Joghurt, ja?»

 

Fünfundzwanzig Minuten später werden zwei luftige Biskuits in Form von zwei riesigen Schokoknöpfen aus dem Ofen geholt, und wir machen uns ans Anrühren der Buttercreme-Füllung. Wir halten es nicht bis zu Bens Ankunft aus und stibitzen uns ein paar Stückchen, während wir weiterplanen. Aufgeregt notieren wir unsere Ideen, bis die Liste beängstigend lang wird. Ich kennzeichne mit unseren Initialen, wer für was zuständig ist. Als ich Moo ansehe, müssen wir beide lachen. Was Listen anbelangt, hält sie mich für kindisch. Im Grunde findet sie mich in vielen Sachen kindisch. Vielleicht hat sie ja recht. Vielleicht muss sich deshalb in meinem Leben etwas verändern. Mir gefällt zwar die Vorstellung, impulsiv zu handeln, ohne mir über die Konsequenzen Gedanken zu machen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, und sobald ich anfange nachzudenken, werde ich wieder zum alten Angsthasen. Moo wischt meine Bedenken einfach vom Tisch, und ihre Begeisterung reißt mich mit. Mit Moo zusammen sein ist ein bisschen wie Surfen: Ich kraxele ängstlich und wackelig aufs Brett, sie schwingt sich schon beim ersten Versuch mühelos hinauf. Und während sie lachend aus dem blauen Tunnel der Welle schießt und alle Beachboys klatschen und um ein Date betteln, falle ich vom Board und schlucke Wasser.

«Wenn wir unsere erste Million erwirtschaftet haben, kann ich endlich meine Theaterschule für sozial benachteiligte Kinder eröffnen.» Ihre Augen funkeln.

«Wow! Ich hatte eher daran gedacht, ein Strandhaus in Malibu neben dem von Brad Pitt zu kaufen», erwidere ich. «Aber ich würde natürlich auch was an Kinder in Not spenden», füge ich schuldbewusst hinzu und denke, dass ich das sowieso tun sollte. Dieses Jahr bestimmt!

«Aber bis dahin behalten wir unsere Jobs und bauen das Unternehmen langsam auf.»

Ich nicke. In meinem tiefsten Inneren bin ich überzeugt, dass keine von uns beiden so richtig an unsere Idee glaubt. Seien wir doch mal ehrlich: Es wäre verrückt, eine Kuchenbäckerei zu gründen. Oder?

Als Ben und Freya mit einem Wirbelsturm aus Taschen, Spielzeug und Babynahrung einfallen, ist nicht mehr viel vom Kuchen übrig, aber wir haben uns auf unser Unternehmensziel geeinigt.

«Mit hausgemachtem Kuchen süße und köstliche Kindheitserinnerungen bei den Menschen wecken.»

«Hurra!»

 

Während ihre Eltern genug Gepäck für einen Umzug anschleppen, hält Fräulein Prinzessin in ihrem Reisesitz Hof. Sie ist gerade mal sechs Wochen älter als Bäro und sieht haargenau aus wie Ben in dem Alter: rote Apfelbäckchen, verwuschelter dunkler Haarschopf, lange Wimpern und ein süßer kleiner Kirschmund. Da sitzt sie in ihren lila-pink geringelten Leggings wie ein Törtchen mit rosa Zuckerguss und bunten Streuseln. Ihr freches Lächeln verlässt selten ihr Gesicht und verspricht ein Leben voller Übermut und gebrochener Herzen.

Es folgt eine hektische Runde Windelnwechseln, Tränen, Fläschchenabkochen und Milchanrühren – wir müssen alle leise sein, damit Moo und Freya sich beim Pulverlöffeln nicht verzählen. Ich halte mich etwas abseits und komme mir plötzlich vor wie das fünfte Rad am Wagen, ohne Aufgabe in diesem täglichen Ritual. Moo bemerkt meine Traurigkeit und reicht mir Bäro zum Aufpassen. Das ist ihre Art, mich ins Geschehen einzubeziehen, aber manchmal wird dadurch alles nur noch schlimmer. Mit geschlossenen Augen drücke ich ihn fest an mich und tauche ein in den Geruch duftender Pfingstrosen, weicher, reifer Pfirsiche, Kirschblüten und winziger, mit Rosenwasser beträufelter Biskuittörtchen mit leichter Vanillebuttercreme, verziert mit zarten Rosenblättern und Puderzucker. Ich spüre, wie mein Hals mal wieder eng wird und meine Augen sich mit Tränen füllen. Mum mit ihrem guten Gespür kommt zu mir herüber, drückt meinen Arm und nimmt mir Bäro ab, damit ich mich an einen ruhigen Ort verdrücken kann, fern von weichen, süßen Babydüften.

 

Als Bäro und die Prinzessin wieder in ihre Reisebettchen gepackt sind, lassen wir uns alle am großen, ovalen Kieferntisch im Wintergarten nieder. In unserer Runde fehlt nur Moos Mann Bob, der zu Hause auf ihre drei Hunde Hamlet, Ophelia und Macbeth und die sechs weißen Kaninchen aufpasst, die zu seiner Zaubershow gehören. Das ist zumindest seine Ausrede. Wir wissen, dass ihm Moos Abwesenheit die seltene Gelegenheit bietet, an einem seiner Magic-Circle-Zauberertreffen teilzunehmen. Normalerweise ist Bob Mathelehrer, aber am Wochenende schlüpft er in seinen schwarzen Anzug mit der silbernen Fliege und wird zum Magic Man, zu mieten für Partys, Hochzeiten und andere Festivitäten.

«Ich habe ihn gewarnt, er soll ja niemanden von diesen Leuten zu uns einladen, während ich weg bin.» Moo klatscht einen Löffel Kartoffelbrei auf meinen Teller.

«Warum, was ist mit denen?», frage ich und wische mir dabei den Brei, der am Teller vorbeigesegelt ist, von der Jeans.

«Ich will nicht, dass Bäro sich seine Vorbilder unter Männern mittleren Alters sucht, die ‹Der Große Kahuna› genannt werden wollen und ihre Frauen in paillettenbesetzte Turnanzüge stecken.»

Ich denke an Moo und ihren spiritistischen Kreis, wie sie um einen Tisch herum sitzen und mit den Toten reden, halte aber lieber meinen Mund.

 

Draußen ist es dunkel. Die einzigen Lichtquellen sind ein paar Kerzen und eine kleine Tiffany-Lampe in der Ecke, die grüne Lichtstreifen an die Wände malt. Pflanzen jeglicher Form und Größe stehen um uns herum wie in einem Gewächshaus. Jack, der Hund, liegt auf dem Fußboden und schnarcht, trotzdem immer wachsam für möglicherweise vom Tisch fallende Bissen. Wie immer reicht das Essen für mindestens fünftausend Leute, denn in Mums Augen sind wir alle am Verhungern und müssen dringend gemästet werden. «Du bist ja nur noch Haut und Knochen», erklärt sie mir. Wenn man ihr glaubt, bin ich seit zwanzig Jahren am Verhungern. Wenn sie nur recht hätte. Dann müsste ich mich nicht ins Fitnessstudio schleppen oder meine Zufuhr an Kuchen, Keksen und Schokolade einschränken. Mum leidet unter einer besonderen Sehschwäche, die sie ihre Kinder nicht als wohlgenährte Erwachsene wahrnehmen oder erkennen lässt, dass die Kartoffeln locker für sechzehn Leute reichen statt für sechs.

Ihre Brut zu füttern, gehört zu Mums Lieblingsbeschäftigungen. Sie kocht echtes Wohlfühlessen, versehen mit großzügigen Mengen an Liebe und Küssen und einigen Hitzewallungen. Ich merke, dass ihre Hände leicht zittern und Hals und Wangen gerötet sind, als sie auftischt. Für ihr Alter wirkte sie immer sehr jugendlich, die flotteste Mutter am Schultor. Doch jetzt, wo sie die schicke Frisur, die Strick-Tops und Caprihosen unserer Kindheit gegen eine Rentnerdauerwelle (anders lässt es sich nicht beschreiben) und formlose Beinkleider eingetauscht hat, sieht man ihr jedes ihrer sechzig Jahre deutlich an. Sie blickt auf und lächelt mich mit im Kerzenschein funkelnden Augen an. Ich mache mir Sorgen um sie. Aber eigentlich mache ich mir immer Sorgen um sie. Seit sie selber Eltern sind, haben Ben und Moo anderes im Kopf und diese Aufgabe damit an mich delegiert. Ich mache mir Sorgen, dass sie hier draußen zu weit weg von uns ist und dass sie nach und nach zur Einsiedlerin ohne soziale Kontakte wird, seit der Mistkerl Phillip abgehauen ist. Na, hört sich das bekannt an? Ja, wie die Mutter, so die Tochter. Was für eine verdammt niederschmetternde Erkenntnis.

«Hast du dir überlegt, ob du nicht einen Volkshochschulkurs belegen oder zum Yoga gehen willst, wie wir es besprochen haben?», frage ich sie. Ich erinnere mich dunkel, dass Ben mir vor ein paar Wochen eine ganz ähnliche Frage gestellt hat.

Die Unterhaltung und der Wein plätschern fröhlich dahin, während wir Feiertagserlebnisse austauschen und schließlich verstummen, um uns dem Essen zu widmen. Ben stochert in seinem Fisch herum, bis er ihn schließlich zur Seite schiebt und Moo und mir damit die erste Gelegenheit bietet, ihn aufzuziehen. Die Größe seines Kopfes (er kam bereits mit einem enormen Quadratschädel auf die Welt) und seine eigenartigen Essgewohnheiten haben uns Schwestern schon immer viel Vergnügen bereitet – Themen, die keine Gnade verdienen. Seine lange Pfui-mag-ich-nicht-Liste beinhaltet Knoblauch und alles, was grün ist oder Geräusche macht. Am meisten faszinieren mich seine Vorlieben für Quiche ohne Belag und Rührei ohne Eigelb. Freya hat in den vergangenen paar Jahren wahre Wunder vollbracht: Ben, der sich von Pudding, Keksen und Alkohol ernährte und der immer leicht gelblich aussah, weil seine arme Leber nach etwas Nahrhaftem schrie, isst nun sogar Gemüse. Zumindest Erbsen, obwohl sie grün sind. Ich weiß nicht, wie man das durchhält. Freya hält es für einen liebenswerten Wesenszug. Ach, die rosarote Brille! Ich persönlich finde, man sollte ihm bloß mal gründlich die Ohren lang ziehen.

Moo und ich biegen uns auf Bens Kosten vor Lachen, wenn wir an vergangene Kindertage denken, als wir Rosenkohl in Jackenärmeln, Taschen und Blumentöpfen fanden. Wenn meine Schwester und ich lachen, hört man kein leises, perlendes Gelächter, wie man anhand unseres Geschlechts annehmen könnte. Nein, wir pflegen die herzhaft laute, grölende Variante. Wir werfen die Köpfe in den Nacken, reißen die Münder auf und stoßen jene ungehemmten Geräusche aus, die im Restaurant für konsternierte Blicke sorgen. Ob wir schon immer so gelacht haben, weiß ich nicht, aber ich kann mich an nichts anderes erinnern. Wenn wir zu dritt sind, wird es noch lauter. Unser Lachen kommt von unserem gemeinsamen Sinn für Humor und geht meistens auf unsere eigenen, also gegenseitigen Kosten. Unsere Mitmenschen sind ausgeschlossen und sehen irritiert zu, wie wir uns Geschichten von früher erzählen und einander erbarmungslos aufziehen. Wir sind Mitglieder des exklusiven Schwestern-Comedy-Clubs mit unnachgiebigen Türstehern (meine Versuche, eine Kleiderordnung einzuführen, sind bisher leider gescheitert) und einer regelmäßigen Happy Hour, in der wir über Dinge lachen, die andere einfach nicht lustig finden, und uns gegenseitig anstacheln, bis uns vom Lachen die Bäuche weh tun.

Bens scharfsinnige, skurrile und mitunter grausame Beobachtungen über das Leben sind sehr witzig, vor allem wenn sie sich auf uns beziehen. Meine Schwester ist auf andere Art lustig. Ihr Humor scheint angeboren; ihr übersprudelndes Wesen, ihr Lachen und ihre Scharfzüngigkeit machen sie zu einer gleichermaßen gefürchteten wie geschätzten Alleinunterhalterin. Und ich? Ich bin manchmal witzig, wenn ich mit den beiden zusammen bin, aber nur weil sie mir das Gefühl geben, lustig zu sein. In ihrer Gesellschaft lache ich am lautesten, und das fühlt sich gut an. Als sei ich nur dann ich selbst.

«Also, was habt ihr beiden ausgeheckt?», fragt Ben, dem nie etwas entgeht. Seit er ein paar Pfund zugelegt hat, sieht er Dad zum Verwechseln ähnlich: die markanten Züge, eine breite Nase, als hätte man sie ihm ins Gesicht gespachtelt, und die breiten Schultern. Seine kurzen Haare sind dunkel, fast so schwarz wie die von Mum und Moo. Er behauptet schon immer, ich sei adoptiert worden.

«Nichts Besonderes», antworten Moo und ich ein bisschen zu hastig im Chor. Nicht dass wir Ben nichts von unserer Geschäftsidee erzählen wollen, nur jetzt soll es noch unser Geheimnis bleiben. Nur für den Fall, dass es sich als verrücktes, bescheuertes Hirngespinst entpuppt, das wir längst vergessen haben, bis wir nach Hause kommen und uns das normale Leben wieder im Griff hat.

Zum Glück bleibt für weitere Fragen keine Zeit, denn Mum bringt einen Apfelkuchen aus der Küche und einen glasierten Flan nur für mich – einer der Gründe, warum ich sie so liebe. Das war als Kind eine meiner liebsten Süßspeisen, die süße, fast schon zu süße Kombination aus luftigem Pudding und einem Guss in der Farbe gebrannter Orange, mit klebrigem, goldenem Nektar überzogen. Eine Portion davon ist genau richtig, aber selten genug. Zwei Portionen tun definitiv nicht gut. Drei sind reine Gier, aber genial.

Wird er ein Drei-Portionen-Mann sein?

Nein, ganz bestimmt VIER.

Während ich genüsslich Sirup über meinen Flan träufele, frage ich mich, wo ich den Nachtisch nach dem üppigen Abendessen überhaupt noch hinpacken soll. Dann fällt mir zum Glück mein Ersatzmagen für besondere Fälle wieder ein.

Mit gefüllten Bäuchen und erschöpft nach unserem chaotischen Tag, verabschieden Moo und ich uns bald darauf und schlummern ein, kaum dass unsere Köpfe das Kissen berühren. Ich träume von selbstgezüchtetem Rhabarber, frischgepflückten Brombeeren, von beim Nachbarn geklauten Stachelbeeren und Äpfeln, die fertig für den Kuchen an den Zweigen wippen. Von der lustigen Amsel aus Ton, die beim Backen die Teigdecke beschwert. Von winzigen Rosinenbrötchen, in deren lockerer Mitte ein Klecks Butter schmilzt und die nur darauf warten, mit selbstgemachter schwarzer Johannisbeermarmelade bestrichen zu werden. Von hübschen kleinen Schmetterlingstörtchen mit Buttercremefüllung, von der schweren Süße des Sirup-Flans, von juwelengleichen Marmeladen- und Zitronenquarkküchlein. Von Lebkuchenmännchen mit lächelnden Gesichtern und würzigem Weihnachtsgebäck, das auf dem Rost abkühlt.

 

Nach einem lärmenden und chaotischen Frühstück belade ich mein Auto und verabschiede mich der Reihe nach von allen.

«Musst du denn wirklich schon gehen? Kannst du nicht noch ein paar Tage bleiben?» Mum umarmt mich. Unter ihrem weiten Mantel fühlt sie sich so klein und zart an, dass ich fast Angst habe, sie zu zerbrechen.

«Nein, ich muss zurück. Es gibt so viel zu tun.» Dabei denke ich natürlich vor allem an unsere Aufgabenliste, mit der ich am liebsten sofort anfangen möchte. Außerdem muss ich in zwei Tagen wieder zur Arbeit, worauf ich mich allerdings weniger freue.

«Dieses Jahr wird ein gutes Jahr für dich. Das weißt du, oder?» Sie küsst mich bei diesen Worten auf die Stirn. Ich bin überrascht, eigentlich wollte ich dasselbe zu ihr sagen.

Beim Wegfahren schaue ich in den Rückspiegel, alle winken mir hinterher. Sogar die Babyarme werden geschüttelt, dick und rosa wie Würstchen. Ich muss lächeln und winke aus dem Fenster zurück, bis ich niemanden mehr sehen kann. Obwohl sie nicht viel gesagt hat, weiß ich, dass Mum bei unseren Abschieden traurig wird. Schuldgefühle hängen wie Nebel über mir. Phillips Abgang hat ihr zugesetzt und nur noch einen Schatten von der starken, vor Energie sprühenden Frau übrig gelassen, die alleine drei Kinder großgezogen hat. Phillip war Künstler, er verehrte und imitierte die französischen Meister und schien genau der Richtige für Mum zu sein. So schrecklich wir auch einen anderen Mann anstelle unseres Vaters fanden, wir versuchten uns für sie zu freuen. Ein Jahr nach seinem Einzug entpuppte er sich als der gewalttätige Alkoholiker, der er wohl schon immer gewesen war. Wir Kinder konnten bald entkommen, aber Mum benötigte fünfzehn Jahre und eine gerichtliche Verfügung, um es uns gleichzutun. Jetzt scheint sie uns mehr denn je zu brauchen, und es tut mir besonders leid, nicht für sie da sein zu können. Als ich im vergangenen Juli nicht aufhören konnte zu weinen, fuhr sie die lange Strecke von Devon herauf, packte mich wie ein verwundetes Tier ein und brachte mich zu ihr zurück, damit ich meine Wunden lecken konnte. Aber so sind Mütter, nicht wahr? Der Mutterinstinkt meldet sich, sobald sie ihre Kinder weinen hören. Wie auch immer, ich bin nicht die Mutter meiner Mutter. Ich bin überhaupt keine Mutter, und manchmal frage ich mich, ob ich je eine sein werde.

 

Letztes Jahr, am Nachmittag des 9. Juli: Ich backe gerade Scones zum Tee. Normalerweise hat Backen auf mich eine fast therapeutische und beruhigende Wirkung, doch heute sagt mir eine innere Stimme, dass etwas nicht stimmt. Ich habe krampfartige Schmerzen, und obwohl ich mich nicht krank fühle, ist irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung. Ich warte, bis die Scones fertig gebacken sind. Eine Viertelstunde später ist das ungute Gefühl immer noch da. Ich lege die Scones zum Auskühlen auf ein Gitter und weiß dabei genau, dass niemand sie essen wird. Denn noch bevor ich auf die Toilette gehe, noch vor dem Krankenhaus, noch lange bevor der Arzt es mir bestätigt, weiß ich: Ich werde mein Baby verlieren.

Zwei Monate später hatte Freya meine Nichte, die Prinzessin, zur Welt gebracht, Moo ihren Bären, und ich brach zusammen.

 

Auf der dreistündigen Rückfahrt kriege ich weder von der Landschaft draußen noch vom Radiogedudel viel mit. Stattdessen ziehen vor meinem inneren Auge die Bilder und Texte meiner Vergangenheit vorbei. Auf längeren Strecken neige ich grundsätzlich zum Nachdenken, und weil gerade ein neues Jahr angefangen hat, stelle ich mir dieselben Fragen wie immer um diese Zeit: Was habe ich bisher getan? Wo gehe ich hin? Wer bin ich? Ich male mir aus, eine dieser Frauen aus den Januarausgaben der Hochglanzmagazine zu sein, Frauen, die alles aufgegeben haben, um ihre Träume zu verwirklichen und ihr eigenes Leben zu leben. Ich bewundere ihren Mut, ihren Glauben an sich selbst und die feste Entschlossenheit, mit der sie Leuten begegnen, die ihr Durchhaltevermögen bis zum Schluss anzweifeln. Diese Frauen auf den Fotos sprechen lächelnd davon, wie sie sich selbst und ihre Fähigkeiten durch diese neue Erfahrung nun ganz anders wahrnehmen. Im Hintergrund sieht man ihre frischerworbenen, edeleingerichteten Häuser, einen liebevoll unterstützenden Ehemann und zwei wunderbare Kinder. Jedes Jahr betrachte ich diese Frauen und will das, was sie haben. Während ich durch sanfte Hügel und kleine Dörfer mit so netten Namen wie Noggins Corner fahre, frage ich mich, ob dies ein unerreichbarer Traum ist. Meine aktuelle Situation lässt diesen Eindruck nämlich durchaus zu, und nicht zum ersten Mal beschleicht mich das Gefühl, dass ich das Leben einer anderen führe und irgendein Mistkerl mein eigenes entführt hat. Die echte Maddy Brown möge nun vortreten. Bitte?!

 

Als ich in meinem schmalen viktorianischen Reihenhäuschen ankomme, ist zum Glück alles noch so, wie ich es verlassen habe. Ich räume die Klamotten aus – ich hatte genug für eine sechsmonatige Reise und alle erdenklichen Wetterverhältnisse eingepackt. Anschließend mache ich es mir mit den beiden einzigen Dingen gemütlich, die während meiner Abwesenheit nicht schlecht geworden sind: einer Flasche Wein und einer großen Pellkartoffel, der ich vor dem Kochen allerdings erst diverse Triebe entfernen muss. Verreisen ist schön, aber ins gemütliche eigene Heim zurückkehren auch. Ich klopfe die cremefarbenen weichen Kissen auf, die zu meinem beigen Sofa gehören, zünde ein paar farblich aufeinander abgestimmte Kerzen an und mache es mir bequem. Kissen und Kerzen gehören zu meinen Schwächen – ich besitze davon etwa so viele wie Schuhe, Handtaschen, Bücher und Gesichtspflegeprodukte. Als ich eingezogen bin, war meine Traumvorstellung ein trendy New Yorker Loft so à la Sex in the City, aber ich fürchte, mein Haus ähnelt eher einem IKEA-Ausstellungsraum. Egal, es gehört mir, und bis ich reich und berühmt bin, wird es genügen. Ich denke an die vergangenen paar Tage und werde vor Aufregung wieder ganz kribbelig. Könnten wir es schaffen? Könnten wir unser eigenes Unternehmen gründen? Andere schaffen das doch auch, oder?

Niemand ist da, um meine Fragen zu beantworten, also übernehme ich das selbst.

Ja.

Ja.

Und nochmals ja.

Was glaubst du denn?

Das ist eine Frage und keine Antwort. Wahrscheinlich verbringe ich zu viel Zeit alleine.

Nach einer unruhigen Nacht, in der ich mich hin und her wälze, wache ich früh auf und fahre als Erstes zum Supermarkt, um meine Notvorräte wieder aufzufüllen. Nun sitze ich am Schreibtisch meines Gäste- und Arbeitszimmers und blättere in meinem Rezeptbuch und meiner riesigen Sammlung von Zeitungsausschnitten. Dinge aus Zeitschriften herauszureißen ist auch eine meiner Leidenschaften: Artikel übers Reisen, Rezepte, Geschenkideen – ich habe für alles einen Ordner. Eines Tages werde ich den Tipp für das heißeste Hotel in Barcelona brauchen oder die Schuhe aus Schokolade als ideales Geschenk für jemanden – da bin ich mir sicher.

Während ich über den Rezepten brüte, blicke in hinunter in meinen winzigen, aber hübschen Garten. Zum Glück hat sich auch dort in meiner Abwesenheit nichts verändert. Von hier oben sehe ich nicht nur auf meinen eigenen Garten, sondern auch auf den des Hauses gegenüber. Und da ist Edmund. Ich habe keine Ahnung, wie er richtig heißt, aber mit seinem spindeldürren, bleichen Körper, dem verhältnismäßig großen Kopf und den ausgeprägten Zügen erinnert er mich immer an Rowan Atkinson in der Serie Blackadder. Ich habe das morgendliche Ritual verpasst, bei dem er seine Vorhänge öffnet und sich der Welt entgegenstreckt. Ob er nackt ist, kann ich nicht sagen, denn so gut sind meine Augen nicht. Wäre er ein junger, knackiger Typ Marke Brad Pitt, hätte ich mir natürlich längst Mums Vogelbeobachtungsfernglas ausgeliehen, aber so ziehe ich Unwissenheit vor. Edmund hackt gern morgens in Unterhosen Holz. Weshalb, kann ich nicht sagen. Friedlich hackt er vor sich hin und hält nur manchmal inne, um seine Unterhose, die perfekt zu seinem Körper passt – grau und leicht ausgebeult –, hochzuziehen, bis seine maximal eins vierzig große und etwa hundert Kilo schwere Frau in ihrem bodenlangen Patchwork-Bademantel in den Garten kommt und ihn hereinholt.

Als das Telefon klingelt, reiße ich mich von Edmunds Anblick los. Ihm muss saukalt sein!

«Ich habe den perfekten Namen», verkündet Moo am anderen Ende der Leitung.

«Deine Stimme hallt irgendwie, wo bist du denn?»

«Im Bad. Was hältst du von Back To Basins?»

«Hmmmm.»

«Das ist doch superkreativ», meint sie.

«Ich dachte eher an so etwas wie ‹Teatime› oder ‹Lecker vom Bäcker›», schlage ich vor.

Die Stille am anderen Ende zeugt von Moos ausbleibender Begeisterung.

«Back To Basins.» Ich versuche, mich an den Klang der Worte zu gewöhnen.

«Es ist klasse! Ich bin klasse!», jubelt meine Schwester, und ich muss ihr zustimmen, auch wenn mir der Name nicht besonders gefällt.

 

Ich öffne die Tür, um James, meinen zukünftigen Ex-Mann, hereinzulassen. Brav folgt ihm unser Hund Frosch nach drinnen. Frosch wird bei mir bleiben, während James übers Wochenende mit sechs Freunden zu einem Junggesellenabschied nach Manchester fährt. Armes Manchester. Frosch ist ein Staffordshire Bullterrier und heißt so, weil er aussieht wie ein Frosch, wenn er beim Liegen die Beine hinter sich ausstreckt. Sein Fell ist gescheckt, vorne auf der Brust hat er einen weißen Fleck und um die Schnauze herum immer mehr graue Haare. Frosch gehört zu den Dingen, die James und mich verbinden, obwohl wir schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr zusammen sind. Kennengelernt haben wir uns auf der Party eines gemeinsamen Freundes, als ich zwanzig und er zwei Jahre älter war. Er hatte sich als Einziger nicht verkleidet, und trotz seiner Vorliebe für hellgrüne T-Shirts und Segelschuhe weiß ich noch genau, dass ich dachte: Den muss ich haben. Und ich wusste, ich würde ihn kriegen. Oh, die Zuversicht der Jugend! James ist eine Art Teekuchen, luftig und goldgelb mit saftigen Sultaninen, Rosinen und Kirschen und einem leckeren, knusprigen Zuckerguss. Die Art von Kuchen, die perfekt zu einem Nachmittagskaffee mit der Oma passt, und wie alle Teekuchen wurde auch James mit zunehmendem Alter besser. Der schlaksige Körper und das blasse David-Bowie-Gesicht, das ich damals so attraktiv fand, sind verschwunden. Nun gleicht er eher einem Surfer als einem ausgemergelten Rockstar. Seine Haare haben die Farbe von Rohrzucker, und seine Haut ist von der Arbeit an der frischen Luft immer karamellbraun. Die Kilos und Muskeln, die er in den letzten Jahren zugelegt hat, stehen ihm gut. Wir waren dreizehn Jahre lang zusammen, und ich dachte eigentlich, es sei für immer. Aber irgendwo auf diesem gemeinsamen Weg haben wir uns verändert. Während ich ein kleines Häuschen mit Holzfeuerherd in der Küche, Freunde zum Abendessen und Kinder wie in der Überraschungseier-Werbung wollte (ja, ich weiß, langweilig und durchschnittlich, aber welche Frau um die dreißig wünscht sich das nicht heimlich?), lebte James immer noch voller Begeisterung das Leben seiner Jugend samt alkoholreichen Wochenendausflügen mit seinen Kumpels und ganzen Sonntagen im Pub und auf dem Fußballplatz. Eine Weile versuchte ich, mit diesen Dingen zu konkurrieren, aber irgendwann wurde mir bewusst, dass ich im Rennen gegen große Mengen Bier und das Champions-League-Finale auf Großleinwand bloß einen erbärmlichen zweiten Platz belegen konnte. Ich hoffte, James würde früher oder später seine Meinung zum Thema Kinderkriegen ändern, aber bald wurde klar, dass ihm der Status quo gefiel und er keinerlei Absicht hatte, sich Vaterfreuden zuzuwenden. Über die Jahre hinweg waren wir zu Freunden geworden, und ich hatte ihn schließlich verlassen, weil ich mehr wollte. Er kämpfte nicht, um mich aufzuhalten, was ziemlich weh tat, mir aber gleichzeitig bestätigte, was ich ohnehin längst wusste: Wir waren am Ende unseres gemeinsamen Weges angekommen.

Zwischen seinen sogenannten «Beziehungen» zu blonden Barbiepuppen kommt James gelegentlich zum Essen vorbei, wir gehen gemeinsam weg oder machen es uns mit einem Video gemütlich. Wie unsere Freunde und Familien haben auch wir mittlerweile aufgehört, unsere Beziehung zu analysieren, und akzeptieren sie einfach so, wie sie ist. Vielleicht wird sich daran nie etwas ändern, und wir teilen uns noch mit neunzig das pürierte Essen oder reservieren für den anderen einen Sessel im Fernsehzimmer des Altersheims. Während dieser ganzen sonst so reibungslosen Trennung hat es nur einen einzigen Rückfall gegeben, und am nächsten Morgen waren wir uns einig, dass es sich um einen Ausrutscher handelte, den wir am besten schnell vergessen wollten. Keiner von uns rechnete damit, dass die Natur andere Pläne für uns hatte.

«Sei schön brav bei Frauchen.» James streichelt Frosch über den Kopf. Dieser wiederum antwortet ihm mit einer Stimme, die erstaunlich nach James klingt, wenn auch in etwas höherer Tonlage.

Nach einem schnellen Kuss auf die Wange düst James davon und überlässt Frosch und mich unseren üblichen Zweikämpfen. In Hundejahren ist Frosch inzwischen einundneunzig, sowohl taub als auch blind und mit Rheuma in den Hinterbeinen, wodurch er eher watschelt als läuft. Doch seine Angewohnheit, mit dem ihm eigenen Hundegrinsen genau das zu tun, was ich ihm verboten habe, ist nach wie vor eine dominierende Charaktereigenschaft. Er ist sozusagen der Grumpy Old Man der Hundewelt. Frosch schnüffelt ein wenig herum, winselt zwanzig Minuten lang und pinkelt dann in die Küche. Runde eins an Frosch. Da weiß ich, dass es ein langes Wochenende werden wird.

 

Ich versuche, im Internet Infos darüber zu finden, wie man eine Firma gründet, doch bald werde ich wieder von Frosch unterbrochen, der dabei ist, verschiedene Slips aus dem Wäschekorb zu zerren. Ich gewinne zwar den Kampf um die Unterwäsche, aber meinen hübschesten, edelsten Slip zieren nun Bissspuren (leider vom Hund, und in Zukunft wird dieses Wäschestück wohl traurigerweise auch keine anderen sehen). Dann mache ich mich erneut an die Suche. Ich klicke mich durch alles, was auch nur entfernt mit Firmengründung zu tun hat, und sauge sämtliche Informationen auf, bis mir die Augen weh tun. All die zu bedenkenden Punkte, bevor man so ein Projekt ernsthaft starten kann, überraschen und beängstigen mich gewaltig: die Firma anmelden zum Beispiel, einen Domain-Namen kaufen, Zahlungsverkehr organisieren, Versicherung, Gesundheitszeugnisse und Hygienevorschriften, Firmenbriefpapier – all das sind wichtige Dinge, um die man sich besser früher als später kümmern sollte. Das eigentliche Kuchenbacken ist der einfachste Teil, wie’s scheint.

Meinen Korb mit der Dreckwäsche habe ich weggeräumt, aber stattdessen schlurft Frosch nun unbeeindruckt an mir vorbei und zerrt mein Schaffell hinter sich her. Beim Versuch, es ihm wieder abzunehmen, sieht er mich nur mit trüben Augen und einem trotzigen Blick an, der zu sagen scheint: Da musst du schon mit mir drum kämpfen. Ich ringe ihn zu Boden, doch dabei fliegen einige Fetzen (des Schaffells natürlich, nicht von Frosch), und am Ende gleicht mein Vorleger einem Schaf mit Haarausfall. Für einen so alten Hund hat Frosch ganz schön viel Kraft.