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Als Kind träumte Christian davon, so wie die Trapper und Waldläufer im Fernsehen mit Pferden durch unberührte Natur zu reisen und Abenteuer zu erleben. Weil, so etwas heutzutage und in Deutschland schon einmal gar nicht möglich ist, bereiste er als Jugendlicher und junger Erwachsener Teile Deutschlands, Skandinaviens und Schottlands mit Fahrrad und Zelt. Als er jedoch erfuhr, dass es auch in Deutschland Menschen gab, die mit Schlafsack und Zelt auf teils abenteuerliche Wanderritte gingen, war es um ihn geschehen. Solche Abenteuer wollte er auch erleben! Mit dem Fjordpferd Lasse, dem ersten eigenen Pferd, kam er diesem Ziel ein gutes Stück näher. In dem Buch schildert er, nicht ohne ein Portion Humor und Selbstironie, Erlebnisse und Eindrücke von seinem ersten Gepäckwanderritt zur Nordseeinsel Neuwerk. Weiterhin lässt er den Leser an Reisen in Regionen teilhaben, wo Pferde auch heute noch Verkehrsmittel sind (Island, Kanada und Mongolei). Zum Schluss begleiten wir ihn wieder auf einen Ritt in Deutschland, bei dem auch Lasse, diesmal als Logistikpony, mit einem aus Kanada mitgebrachten Packsattel, mit dabei war.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für Lasse, Snorre und all die Menschen,
die mich bei meinen Ritten und Reisen unterstützt haben.
Mit dem Pferd nach Neuwerk
Reiterlebnisse in der Mongolei
Im Sattel durch Islands wilde Westfjorde
Abenteuer in Kanada
Mit Snorre und Lasse gen Westen
Nachtrag
Sechzehn Mal war ich mit meinem Fjordpferd Lasse schon auf Wanderritten gewesen. Das heißt, auf sechzehn Ritten übernachtete ich mindestens einmal auf der Rittstrecke. Es waren sehr unterschiedliche Ritte.
Mehrere Male hatte ich mich von anderen Reitern organisierten Veranstaltungen angeschlossen. So zum Beispiel den beiden fünftägigen Naturparkritten der VFD in Brandenburg
Mehrmals war ich mit Lasse im Alleingang losgezogen. Schließlich traute ich mich sogar, Teilnehmer auf den von mir organisierten Ritten mitzunehmen.
Es waren sowohl Ritte in der Nähe meines Wohnsitzes bei Gifhorn als auch Ritte in weit über hundert Kilometer entferntem, fremdem Gelände.
Zwei Gemeinsamkeiten hatten all diese Ritte. Zum einen waren die Quartiere schon vor dem Abritt bei der Planung festgelegt worden.
Zum anderen wurde das Gepäck für die Übernachtungen, wie zum Beispiel Paddockmaterial, Eimer, Pferdefutter und Zelt, per Fahrzeug von Quartier zu Quartier transportiert.
Als besonders praktisch hatte sich der Einsatz eines Trossanhängers erwiesen. Beim Abbau des Lagers wurde das Gepäck in diesen verladen.
Im Verlauf des Tages wurde der Trossanhänger vom alten zum neuen Quartier gebracht. Zum Teil wechselten die Zugfahrzeuge und Fahrer dabei von Tag zu Tag. Ein fester Trossfahrer, der über den gesamten Ritt zur Verfügung stehen musste, wurde so nicht benötigt.
Am Pferd selbst führte ich nur das Gepäck für einen Tagesritt mit (Putzzeug, Halfter, Regenzeug, Wasserflasche, Lunchpaket etc.).
Beides sollte nun auf meinem siebzehnten Wanderritt von Gifhorn zur Nordseeinsel Neuwerk anders werden. Diesmal wollte ich mich auf das allernotwendigste Gepäck beschränken und dieses am Sattel auf dem Pferd mitführen.
Bei der Suche nach einer geeigneten Route nutzte ich digitales Kartenmaterial des Niedersächsischen Landesvermessungsamtes (CD TOP 50), ohne allerdings dabei die Quartiere festzulegen.
Somit begann mein siebzehnter Wanderritt erst einmal mit ein paar Stunden Arbeit am PC.
Der Höhepunkt des Rittes sollte der von Familie Schröder für die Interessengemeinschaft Fjordpferd e. V. organisierte Ritt durch das Watt zur Nordseeinsel Neuwerk werden.
Durch diesen Termin einerseits und durch meinen Jahresurlaub war der Zeitrahmen des Rittes festgelegt. Für Hin- und Rückritt reichte die Zeit nicht aus. Daher plante ich die Rückreise eher konventionell mit Pferdeanhänger und Zugfahrzeug.
Bis zur Nordsee zu reiten und mich dann dort von jemandem abholen zu lassen, kam für mich nicht in Frage. So entschied ich mich dazu, mein Auto und meinen leeren Pferdeanhänger vorab zu Schröders nach Wremen an die Nordsee zu bringen.
Im Vorfeld meiner Anmeldung hatten sie mir angeboten, bei ihrer eigenen Anreise zum Wattritt mein Gespann nach Sahlenburg mitzubringen.
Da ich nicht nur gerne reite, sondern auch gerne Fahrrad fahre, plante ich, die gut zweihundertsiebzig Kilometer zurück nach Gifhorn mit dem Fahrrad zu fahren.
Dabei konnte ich schon vorab den Großteil meiner späteren Rittstrecke abfahren, ich hatte die Möglichkeit, nach potenziellen Quartieren Ausschau zu halten und tat nebenbei noch etwas für meine Fitness.
So holte ich nach einer Nacht bei Schröders mein Fahrrad und das Gepäck aus meinem VW-Bus und machte mich startklar. Hans und Helga hatten mir ein paar Minuten zuvor eine gute Fahrt gewünscht und waren dann zur Arbeit gefahren.
Nun war ich fast startklar.
Mir fehlte nur noch die Kartentasche mit den von mir gedruckten Karten.
Diese lag allerdings unerreichbar auf dem Beifahrersitz.
Nun rächte es sich, dass der Kastenwagen, den ich so nach und nach in ein Wohnmobil umgebaut hatte, eine Trennwand hatte. Diese trennte die vorderen Sitze vom Lade-/Wohnraum ab.
Als ich mit Schröders aus dem Haus ging, hatte ich nur die Schiebetür im hinteren Teil des Wagens aufgeschlossen und den Schlüssel anschließend Hans gegeben, damit er während meiner Abwesenheit mein Gespann notfalls umparken konnte. Hans hatte den Schlüssel sogleich in Haus gebracht und war zur Arbeit gefahren.
Nun hatte ich ein Problem.
Ohne die Landkarten würde ich den von mir ausgearbeiteten Weg nicht finden.
Schröders Tochter Stephanie hatte Semesterferien und war noch zu Hause.
Sollte ich sie wachklingeln?
Oder sollte ich mich als Autoknacker versuchen?
Bei meinem früheren Auto hatte ich mal den Autoschlüssel eingeschlossen. Damals baute ich nach dem Tipp eines Bekannten einfach die Abdeckleiste am Fenster der Fahrertür ab. Dadurch konnte ich mit einem Schraubenzieher an die Türmechanik gelangen und die Tür entriegeln.
Leider waren die Türen meines Volkswagens in dieser Hinsicht gewissenhafter konstruiert. Nachdem ich die Abdeckung an der Fahrertür abgehebelt hatte, musste ich feststellen, dass ich nicht an die Türmechanik herankam.
Also beschloss ich, doch Stephanie wachzuklingeln.
Allerdings führte auch ein mehrmaliges Klingeln an der Haustür zu keiner Reaktion.
So unternahm ich einen weiteren Versuch als Autoknacker.
In der Blechwand, die mich von meiner Kartentasche trennte, war ein kleines Loch. Wenn ich einen Faden mit einer Schlinge durch das Loch stecken würde und es mir gelänge, damit den Knopf von der Türverriegelung auf der Innenseite der Beifahrertür zu angeln, könnte ich so die Tür öffnen.
Aus einem Fahrradbowdenzug, einem Nähfaden und einem bisschen Klebeband bastelte ich mir eine geeignete Schlinge.
Zu meinem Verdruss rutschte die Schlaufe jedes Mal, wenn ich endlich den Knopf getroffen hatte, wieder ab.
Sollte ich vielleicht doch lieber versuchen, Schröders anzurufen?
Würden die mir von der Arbeit aus helfen können?
Dann wurde mir klar, dass ich bisher mit Schröders nur über ihren Festnetzanschluss telefoniert hatte. Handynummern hatte ich keine von ihnen.
So blieb mir nichts anderes übrig, als meine »Angelversuche« mit dem Bowdenzug fortzusetzen. Diese verliefen jedoch weiterhin erfolglos.
Schließlich sah ich Stephanie beim Verlassen des Hauses und lief sogleich zu ihr hin, um sie wegen meiner misslichen Lage anzusprechen.
Zum Glück hatte sie noch ein bisschen Zeit, wusste allerdings nicht, wo ihr Vater Hans meine Autoschlüssel verwahrte. Nachdem wir erfolglos versucht hatten, ihn telefonisch zu erreichen, machten wir uns gemeinsam auf die Suche, bei der wir schließlich die Schlüssel fanden.
Nun konnte es endlich losgehen.
Obgleich viele der Wege auf der geplanten Rittstrecke schöne Reit-, aber eher mäßig gute Fahrradwege waren, kam ich anfangs gut voran.
Bis sich mit einem hohen Pfeifen ein Plattfuß ankündigte. Schnell war das Hinterrad zum Flicken des Schlauches ausgebaut.
Einen Ersatzschlauch hatte ich aus Nachlässigkeit nicht mitgenommen. In der letzten Zeit hatte ich auf weit über tausend Kilometern keinen Platten mehr gehabt.
Schnell war der Schlauch geflickt und das Rad wieder eingebaut. Es ging weiter – für etwa einen Kilometer.
Dann fühlte sich der eben noch prall aufgepumpte Hinterreifen wieder schlapp an.
Nun hieß es abermals, das Hinterrad auszubauen, um zu sehen, warum dieses Luft verlor. Leider erwies sich der eben aufgebrachte Flicken als undicht. Es sah danach aus, dass die Vulkanisierlösung des Flickzeugs zu alt war und nicht mehr funktionierte. Außerdem war das Loch, das die Scherbe geschnitten hatte, ziemlich groß und genau an einer nahtartigen Wulst des Fahrradschlauchs.
Unweit der Wiese, auf der ich mich zwecks erneuter Fahrradreparatur niedergelassen hatte, standen ein paar Häuser.
Vielleicht hatte einer der Bewohner Fahrradflickzeug, welches nicht so alt wie meines war?
Einen Versuch war es zumindest wert.
Zum Glück war in einem der Häuser jemand zu Hause und die nette Familie hatte sogar Flickzeug für mich. Als ich erfuhr, dass meine Retter selbst Pferde hatten, erzählte ich ihnen von meinem geplanten Wanderritt. Sie waren so begeistert, dass sie mich spontan zu einem verspäteten Mittagessen einluden.
So konnte der neue Flicken, den ich nach dem Entfernen des »alten« mit frischer Lösung aufgebracht hatte, eine knappe Stunde trocknen, während ich von meinen Plänen berichten »musste« und mir dabei Spaghetti munden ließ.
Leider blieb der Schlauch auch nach dieser Trockenzeit undicht.
Durch den weggeschlossenen Schlüssel und den Platten hatte ich inzwischen viel Zeit verloren und der Abend nahte.
Daher zögerte ich nicht, als man mir das rettende Angebot machte, mich mit dem Auto nach Bad Bederkesa zu fahren, damit ich dort noch vor Ladenschluss im Fahrradladen einen neuen Schlauch kaufen konnte. Eine gute Stunde später konnte ich mich dann wieder mit gewechseltem Schlauch auf den Weg machen, natürlich nicht, ohne mich ausgiebig bei meinen Rettern bedankt zu haben.
Nach dem flachen Weideland, durch das ich bis zum Plattfuß gekommen war, führte mich mein Weg durch einige Hügel mit zum Teil sandigen Wegen.
Der Gedanke, diese Wege in knapp zwei Wochen mit dem Pferd entlangzutraben, bereitete mir große Freude, während ich mich mit dem Fahrrad die Sandwege entlangkämpfte.
Den Hügeln schloss sich ein sanft zum Fluss Oste hin abfallendes Weideland an.
Nach dem schwierigen Start und dem Plattfuß hatte ich mir vorgenommen, bis spät in den Abend hinein zu radeln, um noch ein paar Kilometer zu schaffen.
Als ich endlich die Fähre über den kleinen, aber schiffbaren Fluss erreichte, musste ich jedoch feststellen, dass diese schon für den Rest des Tages den Betrieb eingestellt hatte. Hier war kein Weiterkommen möglich.
Zur nächsten Brücke zu fahren, hätte einen kilometerweiten Umweg bedeutet. Dieser hätte mich auch weit von meiner zu erkundenden Rittstrecke weggeführt.
Ich überlegte kurz, ob ich nicht hier in der Nähe der Fähre im Gelände biwakieren sollte, um am nächsten Morgen die Fähre zu nehmen.
So wie auf meinem späteren Ritt war ich auch schon mit dem Fahrrad nur mit leichtem Gepäck unterwegs. Schlafsack und Isomatte hatte ich dabei, jedoch kein Zelt.
Daher hieß es nun, einen geeigneten, blick- und ein wenig witterungsgeschützten Platz zu finden.
Allerdings versprachen die tief hängenden dunklen Wolken Regen, sodass mir Zweifel kamen, ob eine Nacht unter freiem Himmel wirklich eine gute Idee war.
Auf der Suche nach einem Schuppen oder Ähnlichem radelte ich unweit der Oste durch das Weideland. Dieses wurde nur durch Gräben und gelegentlich Baumreihen unterbrochen.
Als es dann schließlich anfing zu regnen, kam mir der Wegweiser zu einer Pension gerade recht. Ich beschloss, Urlaub vom Abenteuer zu machen und diese Nacht in der Pension zu verbringen.
Dem Wegweiser folgend, führte mich ein Feldweg direkt an das Ufer der Oste.
»Eine Sackgasse?«, ging es mir durch den Kopf.
Drüben auf der anderen Seite des Flusses sah ich das Haus Osteblick.
Dort war an einem Steg ein Kahn festgemacht. Dies schien eine Fähre zu sein. Da, wo der Feldweg in die Oste führte, war an einem Poller eine Kette befestigt, die geradewegs in der Oste verschwand.
Gab es hier tatsächlich noch eine Fähre, die an der Kette per Muskelkraft über den Fluss gezogen wurde?
Schließlich fiel mein Blick auf ein Schild mit einer darunter angebrachten teekesselgroßen Glocke. Auf dem Schild standen die Betriebszeiten der Fähre und dass man im Falle des Wunsches einer Überfahrt die Glocke läuten solle.
Auch hier war ich inzwischen zu spät.
Ob ich es dennoch einfach versuchen sollte?
Schließlich nahm ich den an einer Kette hängenden Hammer zu Hand und schlug mit diesem gegen die Glocke.
Während der Klang der Glocke verhallte, schaute ich ans andere Ufer zum Haus Osteblick.
Nichts passierte.
Hielten die sich auch hier genaustens an ihre Betriebszeiten?
Ich nahm den Hammer ein zweites Mal zur Hand und versetzte der Glocke gleich drei weitere Schläge. Diesmal schlug ich auch kräftiger nach der Glocke.
Als sich der Hall der Glocke gelegt hatte, sah ich, dass ich diesmal mehr Erfolg hatte.
Drüben war eine Frau aus dem Haus gekommen und stand nun auf dem Steg.
»Wollen Sie rüberkommen?«, rief sie mir zu.
Ich antwortete ihr, dass ich ein Quartier für die Nacht suchen würde, worauf sie mir zurückrief, dass ich einen Moment warten sollte.
Kurz nachdem sie wieder im Haus verschwunden war, kam ein älterer Mann zum Steg und setzte sich dort in ein Ruderboot, um mit diesem zu mir ans diesseitige Ufer zu rudern.
Beim Erreichen des Ufers lief das Ruderboot knirschend auf Grund. Der Mann forderte mich auf einzusteigen. Um mein Fahrrad an Bord hieven zu können und selber einzusteigen, musste ich bis zu den Knöcheln ins Wasser waten.
Die kleine Seilfähre, die hier sonst verkehrte, hatte eine Rampe, mit der sie den letzten Meter zum Ufer überbrücken konnte. Allerdings war sie zum Feierabend so festgemacht worden, dass sie nun bei Ebbe auf Grund lag. Durch die Nähe zur Elbmündung ist der Wasserstand der Oste gezeitenabhängig.
Drüben angekommen, gestaltete sich das Anlanden des Fahrrades als nicht ganz so einfach, musste ich es doch aus dem wackeligen Boot hinauf auf den Steg heben. Aber als Belohnung dafür gab es im Restaurant leckeren Fisch und anschließend ein trockenes, warmes Zimmer für die Nacht.
Für den kompletten Weg zurück benötigte ich drei weitere Tage, wobei ich das eine Mal in einem Heuhotel und das andere Mal in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz übernachtete.
Der kräftezehrendste Teil war ein hügeliger Sandweg im Wald. Auf diesem fuhren gelegentlich Panzerhaubitzen der Bundeswehr, um von Feuerstellungen außerhalb des Truppenübungsplatzes bei Munster in diesen hineinzuschießen. Der Sandboden war von den schweren Kettenfahrzeugen durchgewühlt und grundlos. Auch die dicken Reifen meines Mountainbikes sackten hier ein. An einigen Steigungen kam ich irgendwann auch mit den Berggängen des Mountainbikes nicht mehr weiter. Ich kam nur noch im Schritttempo vorwärts, das Hinterrad drehte immer wieder durch und ich hatte Probleme, die Balance zu halten. Schlussendlich blieb mir nichts anderes über, als abzusteigen und berghoch zu schieben.
Den kompletten letzten Tag musste ich im Regen radeln, der mich trotz Funktionsjacke so durchweichte, dass sogar mein Outdoor-Handy den Tod durch Ertrinken starb.
Den Traum, mit meinem Fjordpferd Lasse zur Nordseeinsel Neuwerk zu reiten, träumte ich schon seit Jahren.
Die Ausrüstung dafür hatte ich so nach und nach zusammengekauft. Einiges war schon bei den Ritten mit Trossfahrzeug eingesetzt worden, wie zum Beispiel das mobile Weidezaunset. Andere Dinge, wie die wasserdichten Pferdepacktaschen der Firma Ortlieb, lagen seit Jahren ungenutzt bei mir im Keller.
In diesen Jahren hatte ich immer wieder anderen davon erzählt, dass ich plante, mit Lasse von meinem Wohnsitz Gifhorn aus nach Neuwerk zu reiten.
Ohne jedoch wirklich aufzubrechen.
Ein bisschen kam ich mir schon vor wie James Garner in der Westernkomödie »Auch ein Sheriff braucht mal Hilfe«. In dieser heuert er in der Rolle des Jason McCullough auf seiner Reise nach Australien in einer Goldgräberstadt des Wilden Westens als Sheriff an, um im weiteren Verlauf der Geschichte fast allen Stadtbewohnern wenig glaubhaft zu erklären, dass er ja eigentlich auf der Reise nach Australien wäre und dieser Job nur eine kleine Unterbrechung sei, um seine Reisekasse aufzubessern.
Mein Gewicht war es, das mich vom Aufbruch abhielt. Zusammen mit dem Gepäck war ich einfach zu schwer für Lasse. Mit vielen schweißtreibenden Stunden im Fitnessstudio und konsequentem Achten auf meine Ernährung hatte ich letzten Endes doch Erfolg.
Ich nahm fünfzehn Kilo ab.
Mein Traum vom Neuwerkritt hatte mir die Kraft dazu gegeben. Fünfzehn Kilo, ganz so schwer sollte mein Gepäck nicht werden. Außerdem plante ich, auf jeder Tagesetappe mehrere Gehpausen zu machen, in denen ich Lasse führte und dadurch entlastete.
Nach reiflicher Überlegung entschloss ich mich, nicht ohne jede Art von Absicherung mit Lasse auf Tour zu gehen. Die Vorstellung, verletzt im Wald zu liegen und erst nach Tagen vermisst zu werden, war dann doch zu besorgniserregend.
Bei meiner damaligen Freundin hinterlegte ich Kopien der ausgedruckten Landkarten mit meiner eingezeichneten Route.
Bei ihr wollte ich mich allabendlich per SMS mit einer Positionsangabe melden. Im Falle des Ausbleibens der Meldung bis zum nächsten Abend bekam sie von mir die Anweisung, die Suche nach mir zu veranlassen.
Außerdem hatte ich Lasses Ausrüstung mit mehreren Schlüsselanhängern versehen. Auf ihnen stand die Telefonnummer meiner Freundin und mir.
Wäre Lasse also ohne mich aufgegriffen worden, so hätte der Finder mich oder meine persönliche »Rettungsleitstelle« anrufen können.
Allerdings musste ich, um überhaupt wieder mobil telefonieren zu können, noch kurz vor Aufbruch ein neues Handy kaufen, da mein altes trotz Trocknung auf der Heizung nicht mehr funktionieren wollte. Das neue Handy war, nach einer neuen Kartentasche der Firma Ortlieb und einer Minitaschenlampe für den Schlüsselbund, der letzte Gegenstand, der meine Ausrüstung komplettierte.
Diese hatte ich auf das Nötigste beschränkt. So nahm ich zum Beispiel einen Schlafsack mit, verzichtete jedoch auf Zelt und Isomatte.
Auf den letzten Trainingsritten war ich bereits mit Gepäck geritten. Trotzdem zog sich das Packen bei meinem Aufbruch ziemlich hin.
Zu allem Überfluss hatte ich mich auch noch mit einer Verabredung unter Zeitdruck gesetzt. Bei der Westernreitgemeinschaft in Müden war ich zum Mittagessen verabredet. Meine Route verlief unweit des Vereinsheims und so bot es sich als idealer Platz für die Mittagspause an.
Schließlich war doch alles Gepäck am Pferd befestigt und es konnte endlich losgehen.
Den Weg in den Lagenklint zu Veranstaltungen der Westernreit- gemeinschaft war ich schon viele Male geritten, sodass wir zunächst auf für uns schon bekannten Wegen und Pfaden unterwegs waren. Viele der Gras- und Sandwege auf der Strecke luden zum Traben ein, sodass wir die beim Packen verlorene Zeit zum Teil wieder einholen konnten und fast pünktlich zum Mittagessen eintrafen.
Für Lasse gab es nach dem Absatteln einen Paddock mit frischem Gras, einen Eimer Wasser und eine Portion Kraftfutter.
Mir wurde dagegen leckerer gegrillter Käse mit Salat aufgetischt.
Als ich ein paar Tage zuvor bei der Verabredung am Telefon angekündigt hatte, mit dem Pferd zu kommen, hatte ich nichts von meinem Ritt zur Nordsee erzählt.
Obgleich ich darauf brannte, Jutta, Heinz, Karl-Heinz und Torsten zu erzählen, dass ich es nun endlich geschafft hatte, mich auf den Weg zur Nordsee zu machen, erzählte ich ihnen bei Tisch nichts von meinen Plänen.
Ich wollte, dass sie mich darauf ansprachen.
Denn eigentlich hätte mein Gepäck samt Schlafsack ihr Interesse wecken müssen.
Nach dem Essen, als wir schon wieder draußen an der Feuerstelle bei einem Kaffee saßen, kam von Torsten endlich die erlösende Frage:
Er wollte wissen, wo ich mit alldem Gepäck hinwolle.
Als ich von meinen Plänen für die nächsten Tage berichtet hatte, brach spontane Begeisterung aus und ich wurde mit Fragen überschüttet.
Was ich alles mithätte?
Wann ich vorhatte anzukommen?
Wie viel Kilometer ich am Tag reiten wollte?
Schließlich wollte Heinz noch einen Blick auf die von mir geplante Route werfen.
Für den weiteren Verlauf meiner ersten Tagesetappe gab er mir noch ein paar Verbesserungsideen, die ich dankbar annahm.
Mit meinem Aufbruch bei der Westernreitgemeinschaft verließen Lasse und ich das uns bekannte Reitgelände. Die Strecke bis zu der Pension, in der ich für Lasse eine Box und für mich ein Zimmer reserviert hatte, war ich auch nicht mit dem Fahrrad gefahren. An dem Regentag hatte ich eine Abkürzung genommen, um nicht noch länger durch den Regen zu radeln.
Durch das späte Mittagessen und die lange Zeit beim Kaffee am Lagerfeuer war ich nun wieder unter Zeitdruck. Obwohl wir flott vorankamen, wollte das noch zu reitende Stück auf der Landkarte nicht weniger werden.
Ich fing langsam an zu bereuen, dass ich für die erste Nacht ein Quartier gebucht hatte.
Zwischenzeitlich hatte ich unweit meines Weges einen Reitplatz gesehen, auf dem eine Westernreiterin trainierte. Am Platz standen ein paar junge Leute, die ihr zusahen. Dort hätte ich fragen können, ob sie nicht ein Quartier für die Nacht wüssten.
Wenig später passierten wir einen Grillplatz.
»Der perfekte Platz zum Biwakieren«, ging es mir durch den Kopf.
Unter dem Dach der Grillhütte hätte ich ein trockenes Plätzchen für die Nacht gefunden. Rundherum gab es Gras, sodass ich Lasse einen Paddock mit genug Futter für die Nacht hätte bauen können.
Um alles perfekt zu machen, stand direkt neben der Hütte auch noch eine Schwengelpumpe, sodass es auch Wasser für Lasse und mich zu geben schien.
Da das Zimmer allerdings schon gebucht war und ich die Wirtsleute nicht versetzen wollte, musste ich weiter. Den Kontakt zu ihnen hatte mir eine Bekannte vermittelt.
Schließlich erreichte ich mit dem Dunkelwerden das Wirtshaus, wo ich trotz meiner verspäteten Ankunft noch empfangen wurde. Obwohl man mir dort, trotz mittlerweile geschlossener Küche, noch ein leckeres warmes Abendessen servierte, fühlte ich mich dort nicht wohl.
Schuld war in erster Linie die Unterbringung von Lasse. In der Box lagen im Juli noch die Pferdeäpfel aus dem Frühjahr und schimmelten vor sich hin. Als ich um eine Karre und eine Mistgabel bat, um wenigsten ein bisschen sauber machen zu können, erntete ich nur Unverständnis.
Das telefonisch zugesicherte Kraftfutter fand ich in der Stallgasse neben einer Mülltonne mit Gastronomieabfällen in Form eines Sackes, der schon vor längerer Zeit angebrochen worden war.
Ein wenig beschlich mich der Gedanke, dass dem Wirt nur dann seine Pferde einfielen, wenn sich seine Gäste für eine Kutsch- oder Planwagenfahrt interessierten.
Weitaus weniger störend war letztendlich die Fußballmannschaft, die für ihr Trainingslager in der Pension Quartier bezogen hatte.
Auch wenn die »Jungs« echt laut waren, fiel ich nach einem bewegungsreichen Tag und zwei Flaschen Hefeweizen im Bett auf meinem Zimmer sofort in den Schlaf.
Am nächsten Tag machten wir recht früh eine Pause, in der ich Lasse grasen ließ. Damit wollte ich ihn für die Nacht in der Box und das eher miese Heu entschädigen.
Eine weitere Pause machten wir in dem kleinen Heideörtchen Dalle. Nachdem ich den dortigen Reiterhof als verriegelt und verlassen vorgefunden hatte, baute ich Lasses mobilen Elektropaddock direkt auf dem großen, grasbewachsenen Dorfplatz auf.
Kaum stand Lasse abgesattelt in dem Paddock, kam einer der Bewohner aus einem der rund um den Dorfplatz erbauten Häuser zu uns. Ich rechnete schon damit, von einem aufgebrachten Anwohner zum Weiterziehen aufgefordert zu werden.
Aber stattdessen wurde ich gefragt, ob ich eventuell Wasser oder Äpfel für mein Pferd bräuchte.
Kaum war Lasse mit Wasser versorgt und mit Äpfeln verwöhnt, bot mir ein weiterer Anwohner sogar gequetschten Hafer an.
Obendrein wollte er auch noch wissen, ob die Beschläge meines Pferdes noch in Ordnung wären.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass er Hufschmied war. Da Lasses Eisen noch fest und so gut wie neu waren, konnte ich sein nett gemeintes Angebot, ihn notfalls neu zu beschlagen, dankbar ablehnen.
Als ich schon zum Aufbruch rüstete, kam ein älterer Herr auf einem Fahrrad des Weges. Auch er bot mir Wasser und Futter für Lasse an, was ich jedoch ablehnte, da ich schon genug für ihn bekommen hatte.
Ich selbst musste in der Pause auf Müsliriegel und eine Minisalami aus meinem Gepäck zurückgreifen.
***
Zu meinem Glück war die Minisalami wenigstens eine solche. Ein Jahr später im Jahr der Fußball-WM 2006 hatte ich für einen Ritt auch eine Packung aus sechs Minisalamis mit dabei. Genauer gesagt war es eine Aktionspackung anlässlich der Fußball-WM mit sechs Minisalamis zum Preis von fünfen.
So dachte ich es jedenfalls.
Als ich bei einer Pause im Brandenburgischen Wald die letzte der sechs Salamis aus meiner Packtasche herausgeholt hatte, musste ich beim Öffnen der Packung feststellen, dass diese statt einer Minisalami eine stabförmige schwarz-gelb-rot gestreifte Tröte enthielt.
Glücklicher wäre ich über eine Salami gewesen …
***
Kurz nach dem Verlassen von Dalle verlief der Weg zwischen Teichen hindurch. Ich sah die Schutzhütte, in der ich auf dem letzten Tag meiner Fahrradtour für ein paar Minuten Schutz vor dem Dauerregen gefunden hatte.
Immer noch waren große Pfützen auf dem Weg, die zum Teil so groß waren, dass sie über den ganzen Weg hinweg reichten und wir durch sie hindurchmussten.
Das Queren solcher »Gewässer« gehörte nicht zu Lasses Stärken und das, obgleich Fjordpferden nachgesagt wird, dass sie es lieben, baden zu gehen.
Nachdem Lasse nach kurzer Diskussion die Vorderhufe in die Pfütze gesetzt hatte, blieb er wie angewurzelt, mit aufgeblähten Nüstern und aufgerissenen Augen stehen, um ins Wasser zu schauen.
Dort brachte sich gerade ein kleiner grüner Frosch mit ein paar Schwimmschlägen vor uns in Sicherheit, um dann spurlos unter der Oberfläche des dreckig braunen Wassers zu verschwinden.
Erst nach einiger Überzeugungsarbeit glaubte er mir schließlich, dass von dem Frosch da unten auf dem Grund der Pfütze keine Gefahr ausging.
Nachdem ich für ein paar Kilometer in Sichtweite der Bahntrasse Hannover – Hamburg geritten war, führte uns unser Weg weiter nordöstlich zu dem kleinen Heideörtchen Lutterloh.
Dort fanden wir auf dem Ferienbauernhof der Familie Meyer eine Unterkunft. Lasse bekam eine Wiese und ich eine Ferienwohnung.
Da diese nach der Abreise der letzten Gäste noch nicht gereinigt worden war, ich in meinem Schlafsack schlief und mein eigenes Handtuch benutze, wurde sie mir zum »Freundschaftspreis« von fünf Euro angeboten.
Allerdings sollte ich die Wohnung dafür am Morgen vor dem Arbeitsbeginn der Reinigungskraft wieder geräumt haben.
Darüber hinaus wurde ich vor dem Heidschnuckenbock gewarnt, der die Nachbarwiese von Lasse belebte. Wobei mir der Grund der Warnung nicht so offensichtlich war.
Später am Abend musste ich, um Lasse zu füttern, durch das Gehege des Bockes. Dieser interessierte sich sofort für den Falteimer mit Lasses Kraftfutter. Das Futter zwischen Bock und Lasse aufzuteilen kam für mich nicht infrage.
Da es auf dem Hof außer Heu kein Pferdefutter gab, musste ich Lasse schon mit einem Teil der Notration aus der Packtasche füttern.
Den Eimer außerhalb der Reichweite des Bockes haltend, konnte ich diesen zunächst durch Streicheln besänftigen. Sobald ich jedoch Anstalten machte weiterzugehen, fing er damit an, meine Unterschenkel mit seinen Hörnern zu malträtieren.
Erst ein beherztes Zupacken an beiden Hörnern bewahrte meine Unterschenkel vor weiteren blauen Flecken. In der einen Hand das eine Horn haltend, mit der anderen den Falteimer und das andere Horn haltend, stand ich nun in gebeugter Haltung da.
Wie sollte ich nun zu Lasse kommen, um ihn zu füttern?
Denn eines war klar: Sobald ich den Heidschnuckenbock losließ, wäre er zu einem Rammbock geworden, der meine Unterschenkel attackierte.
Schließlich gelang es mir, den Bock an beiden Hörnern gepackt wie ein Kinderfahrrad neben mir herschiebend, zu dem Zaun zu gelangen, der Schnucke und Pferd voneinander trennte.
Mit ein bisschen Geschick konnte ich dort mit Futtereimer und ohne Bock durch das Tor rüber zu Lasse schlüpfen. Für den Weg zurück in meine Wohnung nahm ich dann einen Umweg in Kauf, der mich nicht durch das Revier meines neuen gehörnten »Freundes« führte.
Später am Abend fanden sich einige der Bewohner der Ferienhaussiedlung an einem Lagerfeuer zusammen. Da konnte ich natürlich nicht fehlen. Tagsüber reiten und abends am Lagerfeuer sitzen, so hatte ich mir das Abenteuer Nordseeritt vorgestellt.
Am Nachmittag des Folgetages beritt ich in umgekehrte Richtung den von Panzern zerfahrenen Waldweg, auf dem ich mich ein paar Tage zuvor mit dem Fahrrad so furchtbar geschunden hatte.
Mit Lasse anstelle des Drahtesels war der Weg ein Genuss und ich kam flott trabend voran.
Für gewöhnlich war es genau andersherum. Ich war per Fahrrad langfristig mehr als doppelt so schnell wie mit dem Pferd und schaffte auch mehr als doppelt so lange Tagesetappen.
Mit jedem Kilometer und jeder Stunde unterwegs fand ich zu einem langsameren Lebensrhythmus. Mein Alltag mit Job war inzwischen weit, weit weg. Mein Leben schien sich auf wundervoll einfache Art und Weise nur noch auf meinen Ritt zur Nordsee zu beschränken.
Die nächste Nacht verbrachte ich auf Heuballen in einer Stallgasse. Dies war zu der vorherigen Nacht in der Ferienwohnung mit Kochnische, Fernseher, Bett und Dusche das Kontrastprogramm.
Dafür lud mich die Stallbesitzerin zu sich zum Abendessen und Frühstück ein. Gerne hätte sie mir auch noch ein Bett im Haus angeboten. Da sie Besuch von einer Freundin und deren behinderter Tochter hatte, konnte sie mir nur noch den Schlafplatz im Stall anbieten.
Herrlich bereitbare Sandwege führten uns am nächsten Tag weiter über die ausgedehnten Heideflächen des Naturparks Nordheide zum Heideörtchen Höckel. Dort hatte ich schon auf der Fahrradtour im Heuhotel übernachtet.