Mitten in Amerika - Annie Proulx - E-Book

Mitten in Amerika E-Book

Annie Proulx

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Beschreibung

Im Herzen von Amerika, wo die schmalen Ausläufer, die panhandles, von Texas und Oklahoma aufeinanderstoßen, lag einst der »Wilde Westen« mit seinen riesigen Ranches und Viehherden. Inzwischen wandern die Leute ab, die für die Landschaft typischen Windräder fördern kaum noch Wasser, und die trockene Steppe breitet sich immer weiter aus. Hierher verschlägt es Bob Dollar, einen jungen Mann aus Denver, der nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen weiß und nach ein paar Gelegenheitsjobs bei Global Pork Rind anheuert: Im Panhandle-Gebiet soll er nach Land für Schweinemastbetriebe suchen und die Besitzer zum Verkauf überreden. Er läßt sich in Woolybucket nieder, einem kleinen texanischen Ort voll sturer und schrulliger Hinterwäldler. Im Old Dog Café hört er Geschichten von Tornados, eisigen Winden und Sandstürmen, von Hahnenkämpfen und Rodeoshows, von Familienfehden und Liebschaften, aber vor allem vom Niedergang der Prärie. Und ebenjene Schweinefarmen, für die er arbeitet, sind zum großen Teil daran schuld. Allmählich versteht Bob Dollar, der mit sieben Jahren von seinen Eltern verlassen wurde, was diese Menschen mit ihrem Land verbindet, und zum erstenmal in seinem Leben sieht er eine Zukunft vor sich.
Ein modernes Märchen, die Geschichte eines Hans-im-Glück, der in einer bösen Welt nur Gutes will – mit Annie Proulx' Sprachgewalt, ihrem scharfen Blick fürs allzu Menschliche und ihren atemberaubenden Landschaftsbeschreibungen wird daraus ein großer Roman über das heutige Amerika, wie wir es kaum kennen.

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Seitenzahl: 730

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Annie Proulx Mitten in Amerika

Annie Proulx

Mitten in Amerika

R O M A N

Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz

Luchterhand

Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel That Old Ace in the Hole bei Scribner, New York.

Datenkonvertierung eBook:  Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburgwww.kreutzfeldt.de

© 2002 Dead Line, Ltd. © 2003 für die deutsche Ausgabe Luchterhand Literaturverlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-641-01127-7

Dieses Buch ist für Ion und Gail Muffy und Geoff Morgan Gillis

Und für Doug und Cathy in der Hoffnung, daß all ihre Küken Prärieküken sein werden

Alle molens vangen wind

Inhalt

11 1. Global Pork Rind

29 2. Künstlerisches Plastik

43 3. Mist, schon wieder unterwegs

55 4. Der böse dicke Junge

70 5. Kein Zimmer frei in Cowboy Rose

79 6. Sheriff Hugh Dough

95 7. Das ländliche Kompendium

110 8. Pionier Fronk

125 9. Busted Star

15510. Old Dog

17511. Tater Crouch

20112. Rope Butt

22113. Habakuks Glück

23514. Das junge Paar

24915. Abel und Kain

27316. Was ich nicht weiß

27617. Dem Teufel sein Hutband

28518. Nur ein paar Fragen

29219. Das Büro des Sheriffs

29920. Alles soweit okay

31821. Triple Cross

33722. Ribeyes Briefe

34523. Reicher Orlando

35824. Violets Nachtbummel

36925. Spitzenabschlüsse

38726. Bruder Mesquite

39727. Ausflug nach Denver

41628. Gebraucht, aber so gut wie neu

42129. Ribeye Clukes Büro

42830. Schnelle Veränderungen

44631. Mrs Betty Doak

45732. Das As im Ärmel

47133. Schlag ins Wasser

48034. Stacheldraht

505Notiz der Autorin

507Danksagung

1. Global Pork Rind

Im späten März fuhr Bob Dollar, ein fünfundzwanzigjähriger Lockenkopf mit breitem Katzengesicht und hellen unschuldigen Augen, gesäumt von rußigen Wimpern, den Texas State Highway 15 ostwärts durch das Panhandle-Gebiet, von Denver, das er am Vortag verlassen hatte, über den Raton-Paß und durch die Gegend der erloschenen Vulkane im Nordosten New Mexicos bis zum Pistolenlauf von Oklahoma, bevor er eine falsche Abzweigung nach Norden nahm und sich gründlich verfuhr, bis er den richtigen Weg wiederfand. Es war ein brausender Frühlingsmorgen mit grünen Schlieren am Himmel, die Luft von wildem Beifuß und aromatischem Sumach gewürzt. Im Radio entschwand der Sender NPR unter endlosen Danksagungen an seine Sponsoren und wurde durch eine religiöse Station abgelöst, die abwechselnd spirituelle Nahrung und kraftvolle Rhythmen bot. Er schaltete auf Klutentramperfrequenzen um und hörte Lieder über die Heimat, in der man blieb, in die man zurückkehrte, in der man weilte und die man immer wieder sträflicherweise verließ.

Die Straße verlief neben einer Bahnlinie. Die Krümmung der Gleise kam ihm unsäglich traurig vor; die kalten, schimmernden Metallstreifen, die sich in der Ferne verloren, riefen ihm den Morgen ins Gedächtnis, als er vor Onkel Tams Tür abgesetzt wurde und auf das Klirren von Kaffeekanne und Tassen im Haus lauschte, obwohl es dort keine Gleise gegeben hatte. Er hätte nicht sagen können, warum die Schienen für ihn zum Symbol der Traurigkeit geworden waren.

Allmählich erfaßte ihn die instinktive Erregung, sich in die weite gelbe Ferne zu bewegen, dem Horizont entgegen, denn trotz Zäunen und Straßeneinschnitten hatte sich die überwältigende Gegenwart der Steppe erhalten, auch wenn von der einstigen Prärie nichts geblieben war. Es gab nur ebene Fläche und weiten Himmel. Zwei Kojoten trotteten auf der Suche nach Nachgeburten durch wogendes Gras über das Weideland gen Osten, und Sonnenlicht brach sich in ihrem Pelz, so daß es aussah, als wären sie mit silbrigen Streifen eingefaßt. Bewässerte kreisrunde Flächen Winterweizen, mit Mastochsenkälbern gesprenkelt, wuchsen auf dem Boden, der so eben war wie eine Rennbahn. Auf anderen Feldern zogen Traktoren Staubquasten hinter sich her. Ihm fiel auf, daß langsamere Fahrer auf die Standspur auswichen, die hierzulande Gefälligkeitsspur hieß, um ihn vorbeizuwinken.

Vor ihm ragten Großstädte auf, doch als er näher kam, verwandelten sich die Wolkenkratzer, Moscheen und Kirchtürme in Getreidesilos, Wassertürme und Vorratsspeicher. Die Silos waren die höchsten Gebäude der Ebene, symmetrische, kecke Formen, die wirkten, als bärgen sie kinetische Energie. Nach einer Weile bemerkte Bob ihren vertikalen Rhythmus, denn sie erhoben sich regelmäßig alle fünf oder zehn Meilen in den Städten an der Bahnstrecke. Meistens waren es Betonzylinder, hin und wieder Backstein oder Ziegel, doch an vielen Nebengleisen standen noch die alten Holzsilos, abgeblättert und verlottert, manche mit Asbestschindeln verkleidet und einige wenige mit rostigen Metallplatten, die der Wind gelockert hatte. Schnurgerade Straßen kreuzten sich im Winkel von neunzig Grad. Jede Stadt besaß ein Motto: DIE STADT, WOKEINERSCHLECHTE LAUNEHAT; DASBESTE LANDUNDDIEBESTEN LEUTE; 10000 NETTE MENSCHENUNDHÖCHSTENSZWEI STINKSTIEFEL. Er fuhr am Kar-Vu Drive-In vorbei, an einem Sperrholzchristus mitten im Ort und an toten Kühen am Straßenrand, die auf den Lastwagen des Abdeckers warteten, die Beine so steif wie Winkelhölzer. Zur Linken und zur Rechten sah man wippendes Pumpengestänge und Pivot-Beregnungsanlagen (eine davon noch immer mit Weihnachtsbeleuchtung), Gärbehälter und komplexe Gefüge aus Rohren und Ventilen, doch in dem weiten Land nahmen sie sich so zufällig aus wie metallenes Spielzeug, von einer Riesenhand nachlässig verstreut. Orangerote und gelbe Schilder bezeichneten unterirdische Leitungen, denn unter Feldern und Weiden lag eine unsichtbare Welt aus Rohren, Kabeln, Bohrlöchern, Pumpen und Fördermaschinen, die im Verein mit den oberirdischen Zäunen und Straßen ein monströses dreidimensionales Gitter bildeten. Über Kondensstreifen und unsichtbare Satellitenübertragungen reichte dieses Gitter bis in den Himmel. Am Rand der Felder fielen ihm buntlackierte V-8- Dieselmaschinen auf (in der Mehrzahl auf Erdgas umgerüstet), die aus dem Ogallala-Aquifer in der Tiefe Grundwasser hochpumpten. Und er kam an Dutzenden anonymer, niedriger grauer Gebäude vorbei, mit riesigen Ventilatoren an der straßenabgewandten Rückseite und von Maschendrahtzaun umschlossen. Aus der Luft wirkten diese bewachten Schweinemastbetriebe wie Konzertflügel mit sechs oder zehn weißen Tasten; den trapezoiden Klangkörper bildete der Auffangteich dahinter.

Dennoch hatten all diese Maschinen und Leitungen und Metallbauwerke etwas Ephemeres. Er wußte, daß er sich in der Prärie befand, die einst zu der endlosen, von Kanada bis nach Mexiko reichenden nordamerikanischen Kurzgrassteppe gehört hatte und ihre tausend Gesichter Generationen von Reisenden zeigte, die einander widersprechende Beschreibungen hinterließen: Im stürmischen Frühlingswind neigte sich das Gras, geblümt mit Blauaugengras und Anemonen, Katzenpfötchen und wilden Stiefmütterchen, von Vögeln und Antilopen belebt; im Hochsommer wanderte man abseits der abgegrasten Wegesränder durch hüfthohes Gras, das in Wellen wogte; und wer im Spätsommer unterwegs war, erblickte dürres nutzloses Wüstenland, gespickt mit Kakteen, die ein Pferd zum Krüppel machen konnten. Mit Ausnahme der Cowboys, deren Arbeit es erforderte, wagte sich kaum jemand im Winter in die Prärie hinaus, wenn eisige Nordwinde Schnee über sie hinfegten. Wo einst Wölfe heulten, quietschten jetzt Reifen.

Bob Dollar hatte keine Vorstellung davon, daß er sich in eine Region unermeßlich komplexer Natur begab, deren Ressourcen in den Augen mancher bis zum Versiegen ausgebeutet wurden. Er sah nur, was andere vor ihm gesehen hatten: die schiere Weite, Pumpen mit nickenden Flugechsenköpfen, Gummifetzen, die sich von den Reifen großer Sattelanhänger gelöst hatten und wie plattgefahrene Kaimane aussahen. Alle paar Meilen überwachte ein Rotschwanzbussard sein Jagdrevier. Der Straßenrand verschwamm im purpurnen Blütenmeer des Ackersenfs, dessen stechender Geruch der Luft einen bitteren Geschmack verlieh. Bob sagte in den Rückspiegel: »So eine plattärschige Gegend.« Obwohl es den Anschein hatte, daß er es weniger mit einer Gegend als mit dem Rohmaterial zu tun hatte, das Menschen bearbeiteten.

Ein weißer Lieferwagen bog vor ihm von einer Seitenstraße ein, und er blinzelte; er wußte, daß weiße Lieferwagen von kriminellen Irren und entflohenen Sträflingen bevorzugt wurden und auf alle schlechten Fahrer dieser Welt hypnotische Anziehungskraft ausübten. Der Lieferwagen beschleunigte, überschritt die Höchstgeschwindigkeit und entschwand. Auf der anderen Straßenseite zeigte sich in der Ferne ein schwankender schwarzer Punkt, der sich zu einem Radfahrer verdichtete. Die Hitze verzerrte das Fahrrad, das aussah, als wäre es zehn Meter hoch, und wie ein Wackelpudding zitterte. Er fuhr an einem weiteren Bussard auf einem Telegrafenmast vorbei.

Die großen Anlagen der Präriehunde in den Kurzgrassteppen, die einst Hunderte Quadratmeilen bedeckten, gab es nicht mehr, doch vereinzelte nostalgisch gestimmte Rotschwanzbussarde jagten noch im Stil der Altvorderen, kreisten mit ausgebreiteten Schwingen in großer Höhe aufmerksam über der Prärie und suchten mit ihren gelben Augen das Gras nach Bewegung ab. Die Mehrzahl hatte sich moderne Methoden angeeignet und hockte auf praktischen Masten und Stangen, wo sie darauf wartete, daß Fahrzeuge Kaninchen und Präriehunde erlegten. Das Aas holten sie sich mit der dreisten Nonchalance ab, mit der eine Hausfrau eine Packung Koteletts in den Einkaufswagen befördert. Einer dieser Bussarde, dem ein Stück Fell aus dem Schnabel hing, beobachtete den Radfahrer, der nach Westen strampelte. Als das Fahrrad langsam den Fokus der bernsteingelben Augen durchquerte, verlor der Vogel das Interesse; in der Welt der Greifvögel hatte das Fahrrad keine Zukunft; lohnender waren Lastwagen auf den geteerten Schnellstraßen, blutbespritzte Kühlergrills und Pickups, die es im Zickzackkurs auf Schakale und Schlangen abgesehen hatten, als handelten sie im Auftrag des höheren Willens auf dem Telegrafenmast.

Der Radfahrer, zu normaler Größe geschrumpft, und Bob Dollar in seiner Limousine fuhren aneinander vorbei; der Radfahrer erblickte ein gerötetes Gesicht, Bob erhaschte einen Blick auf ein sehniges Bein und eine Goldkette, bevor der Radfahrer in einer Straßensenke verschwand. Wieder allein auf dem Highway, spähte Bob zu einer dick gepolsterten Wolkendecke hoch, die über den Himmel kroch. Neben dem Saturn breitete sich die Ebene aus, jeder Zentimeter genutzt durch Feldbau, Erdöl- und Gasförderung, Viehzucht, landwirtschaftliche Anlagen. Die Gehöfte lagen von der Hauptstraße entfernt; hin und wieder kam Bob an einem Geisterhaus vorbei, verwittert, von Pappelstümpfen umstanden. In den verfallenen Windrädern und eingestürzten Scheunen sah er die zersplitterte Vergangenheit dieser Gegend verstreut wie Stifte auf dem Tisch eines Zeichners, der zum Essen gegangen ist. Die Ahnen der Gegend schwebten über den Relikten ihres vollendeten Lebens. Den Präriehund bemerkte er nicht, der ihm aus dem Unkraut am Straßenrand in den Weg lief, und die Reifen überfuhren ihn wie eine leichte Unebenheit. Ein Bussardweibchen schwang sich in die Luft. Das war die Chance, auf die es gewartet hatte.

Bob Dollar war in dem zweifachen Panhandle-Gebiet nördlich des Canadian River ein Fremder. In den fünf Jahren seit seinem Abschluß an der Horace Greely Junior University, einer Möchtegernhochschule in einem Klinkergebäude am Rand eines Zwiebelfelds neben der Interstate 70 im Osten Denvers, hatte er zwei Stellen gehabt. Er hatte sich von Horace Greely eine Erleuchtung erhofft, hatte gehofft, ein Interessensgebiet zu finden, das zu einer erfüllenden Laufbahn führte, doch das war nicht der Fall gewesen, und seine wohlvertrauten Zweifel blieben ihm erhalten. Er dachte sich, daß umfassendere Bildung Abhilfe schaffen könnte, und bewarb sich an der Universität, doch von dem bescheidenen Stipendium, das man ihm anbot (er besaß einen großen Wortschatz, war ein eifriger Leser und hatte hervorragende Noten), konnte er nicht sein Leben fristen.

Er stellte fest, daß sein Diplom von Horace Greely ihm nicht ohne weiteres zu dem verhalf, was er als »gute Stelle« betrachtete, und nach einem Intermezzo in der Lebensmittelbranche nahm er eine schlechtbezahlte Arbeit als Lagerist in der PlatteRiver-Glühbirnenfabrik an, weil sonst Onkel Tams Laden der einzige Ausweg gewesen wäre.

Nach dreißig Monaten Plackerei mit Kisten und Glasscherben und winzigen jährlichen Lohnerhöhungen hatte er ein unerfreuliches Erlebnis mit Mrs. Eudora Giddins, der Firmeninhaberin und Witwe des Firmengründers Millrace Giddins. Er wurde gefeuert. Und er war froh, denn er stellte sich unter »leben« etwas anderes vor, als zwischen Glühbirnen nervös auf sein Zeugnis zu warten. Er wollte hoch treffen, an einer weit entfernten Wand. Wenn die Zeit schon vergehen mußte, sollte sie nicht sinnlos vergehen. Er wollte ein Ziel und Anerkennung.

Es folgten fünf Monate Stellensuche, bis man ihn als Scout für Global Pork Rind anheuerte, eine Firma mit Hauptsitz in Tokio und Chicago und einer Zweigstelle in Denver. Man teilte ihm das Panhandle-Gebiet von Texas und Oklahoma zu und schickte ihn auf seine erste Geschäftsreise.

Am Tag vor seiner Abreise verzog Mr. Clukes Sekretärin Lucille die grellroten Lippen zu einer Art Lächeln und winkte Bob ins Büro. Hinter seinem Schreibtisch mit Glasplatte, deren Oberfläche wie ein kleiner See glänzte, erhob sich Mr. »Ribeye« Cluke, der Einsatzleiter, sagte: »Bob, da unten in den Panhandles haben wir nicht viele Freunde, abgesehen von ein paar etwas schlaueren Politikern, und deshalb müssen wir sehr umsichtig an die Sache herangehen. Ich erwarte, daß Sie so diskret wie möglich auftreten – wissen Sie, was das Wort ›Diskretion‹ bedeutet?« Seine wäßrigen Augen glitten über Bob. Er hob eine seiner großen Hände und glättete den borstigen Schnurrbart, der Bob an ein Stachelschwein denken ließ. Seine Schultern waren so gebeugt, daß es von hinten aussah, als säße sein Kopf auf einem Bogen.

»Ja, Sir. Nicht auffallen.«

Mr. Cluke ergriff eine Dose Rasiercreme, die auf dem Aktenschrank stand, und schüttelte sie. Aus einer Schreibtischschublade holte er ein Gebilde aus Riemen, Gurten und Scharnieren, das er sich über den Kopf zog, bis es teilweise auf seinen Schultern ruhte und eine große Scheibe auf seiner Brust auflag. Er zog die Scheibe zu einem Spiegel am Ende eines Teleskoparms aus. Er trug Rasiercreme auf seine Hängebakken auf, nahm ein Rasiermesser aus seinem Bleistiftbehälter, klappte es auf und begann sich zu rasieren, ohne den Schnurrbart anzutasten.

»Das ist gut, Bob. Der letzte Bursche, von dem wir dachten, er könnte für uns das Terrain sondieren, war der Ansicht, es hätte etwas mit Geschlechtskrankheiten zu tun. Er war eine Niete. Aber Sie sind schlau, Bob Dollar, Sie sind Ihr Geld wert, jeden Cent, ha, ha.«

»Ha, ha«, lachte Bob, der seit seinem neunten Lebensjahr mit Das große Kinderlexikon, einem Geschenk von Onkel Tam, seinen Wortschatz vergrößert hatte. Doch er lachte verhalten, denn von Schweinen hatte er keine Ahnung, abgesehen davon, daß sie auf geheimnisvolle Weise den Frühstücksspeck lieferten.

»In anderen Worten, Bob, lassen Sie sich bei den Leuten dort unten nicht anmerken, daß Sie nach Land Ausschau halten, das für Schweinemastbetriebe geeignet ist, denn sonst halten die uns hin oder versuchen uns reinzulegen, bombardieren die Zeitungen mit Briefen und machen uns jede Menge Ärger, weil sie vom Sierra Club dazu abgerichtet worden sind, Schweinemastbetriebe für schlecht zu halten, sogar die unter ihnen, die gerne Spanferkel essen, sogar die, denen es an Arbeit fehlt. Aber ich will Ihnen was sagen: Das Panhandle-Gebiet ist ideal für Schweineprojekte – jede Menge Platz, dünn besiedelt, lange Trockenperioden, gutes Wasser. Es gibt nichts, was dagegen spräche, im texanischen Panhandle fünfundsiebzig Prozent des weltweiten Schweinefleischbedarfs zu decken. Das ist unser Ziel. Bob, mir ist aufgefallen, daß Sie braune Oxford- Schuhe tragen.«

»Ja, Sir. « Er drehte einen Fuß etwas und freute sich an dem Wachsschimmer der Cole-Haan-Schuhe, die über dreihundert Dollar kosteten und die sein Onkel Tambourine Bapp aus einem Karton mit Spenden am Lieferanteneingang seines Trödelladens in den Außenbezirken der Colfax Avenue gefischt hatte.

Onkel Tam hatte ihn aufgezogen. Er war ein schmächtiger kleiner Mann mit lebhaften wasserblauen Augen, den gleichen Augen, wie sie Bob und seine Mutter und der Rest der BappSippschaft besaßen. Dichtes ergrauendes Haar, von einer breiten Stirn zurückgekämmt. Seine hüpfenden Trappelschritte und vorschnellenden Handbewegungen wirkten auf manche irritierend. In den ersten Wochen hatte Bob sich ein wenig vor ihm gefürchtet, weil sein linkes Ohr einen Zentimeter höher war als das rechte, was ihm ein leicht irres, verzerrtes Aussehen verlieh, doch nach und nach gewannen Tams Güte und seine ungeheuchelte Anteilnahme sein Herz. Das gestutzte Ohr seines Onkels war Folge eines Kindheitsunfalls, als seine Schwester Harp ihm das obere Stück Fleisch mit der Schere abgeschnitten hatte zur Strafe dafür, daß er mit ihrer geliebten Barbiepuppe gespielt hatte.

»Das war kein Spiel! Er hat sie erhängt!« hatte sie geschluchzt.

Als Bob acht war, hatten seine Eltern ihn in aller Herrgottsfrühe auf der Türschwelle des Trödelladens abgesetzt und ihm eingeschärft, neben einem Karton mit eselsohrigen Liebesromanen sitzen zu bleiben.

»Und wenn Onkel Tam aufgestanden ist und drinnen Krach macht, dann klopfst du an die Tür. Du wirst bei ihm wohnen. Wir müssen jetzt weiter, sonst verpassen wir noch das Flugzeug. Komm, schnell ein Abschiedsküßchen«, hatte seine Mutter gesagt. Sein Vater, der in der Limousine wartete, hob die Hand zu einem forschen Gruß. Jahre später dachte Bob, daß das vielleicht die Chance gewesen war, auf die der alte Mann gewartet hatte.

Zu Anfang tat sein Onkel so, als hätten die Eltern ihn nicht ausgesetzt. Sie saßen in der Küche am Tisch, und Onkel Tam machte seine samstägliche Kaffeepause.

»Ich habe Viola und Adam vorgeschlagen, daß sie dich herbringen. Wir hatten vorgehabt, daß du bei mir bleibst, bis sie aus Alaska wiederkommen. Sobald sie ihr Blockhaus gebaut hatten, wollten sie zurückkommen und dich abholen, und dann solltet ihr alle in Alaska leben. Daß du bei mir wohnst, war nur eine Übergangslösung. Wir wissen einfach nicht, was passiert ist. Viola hat nur einmal angerufen und gesagt, daß sie ein Stück Land gefunden haben, aber sie hat nicht gesagt, wo das war, und Unterlagen gibt es keine. Der Pilot, der sie dahin geflogen hat, wo sie hinwollten, ist von Alaska nach Missouri gezogen, um dort die Felder zu besprühen. Als wir ihn endlich aufgespürt haben, konnte er uns nicht mehr helfen. Er war auf einem Baumwollfeld runtergekommen und hatte einen Hirnschaden. Konnte sich nicht mal an den eigenen Namen erinnern. Deinen Eltern kann alles mögliche zugestoßen sein – ein Grizzly, Gedächtnisverlust. Alaska ist groß. Ich glaube keine Sekunde lang, daß sie dich ausgesetzt haben.« Er klopfte mit den Fingern auf den Tisch, verärgert über die eigenen Worte, die in seinen Ohren töricht und unangemessen klangen. Zwei erwachsene Menschen konnten nicht so gründlich verschwinden wie Adam und Viola.

»Wovon haben sie denn gelebt?« fragte Bob in der Hoffnung, einen Hinweis auf die eigene Bestimmung zu erlangen. Er wußte nur, daß er nicht wichtig genug gewesen war, um mitgenommen zu werden. Er lernte, sich nichts daraus zu machen, daß er uninteressant war, daß seine Eltern ihn auf einer Türschwelle abgesetzt und sich nie die Mühe gemacht hatten, zu schreiben oder anzurufen. »Ich meine, was war mein Dad, Ingenieur oder Computerfritze oder sonstwas? «

»Na ja, deine Mutter hat Krawatten bemalt. Du kennst doch die mit dem Untergang der Titanic drauf, oder? Die ist von ihr. Ich würde sagen, daß das mein wertvollster Besitz ist. Irgendwann wird sie dir gehören, Bob. Was deinen Dad betrifft, ist es etwas schwierig zu sagen. Er hat immer Tests gemacht, um rauszukriegen, was er mit seinem Leben anfangen sollte – Eignungstests. Versteh mich nicht falsch. Er war ein netter Kerl, ein wirklich netter Kerl, aber ein bißchen ziellos.

Er konnte sich nie richtig für eine Sache entscheiden. Er hat mehr als hundert Jobs gehabt, bevor sie nach Alaska gingen. Und dort muß etwas mit ihnen passiert sein, was sie nicht ändern konnten, davon bin ich überzeugt. Was, wissen wir nicht. Ich habe ein Vermögen für Anrufe ausgegeben. Dein Onkel Xylo ist für zwei Monate hingefahren, aber er hat überhaupt nichts rausgebracht bis auf den Namen des Piloten. Hat Annoncen in die Zeitung gesetzt. Niemand konnte uns was sagen, weder der Polizei noch der Familie, kein Mensch in Alaska hat offenbar je von ihnen gehört. Tja, das war Pech, daß deine Leute verschwunden sind und du um die Chance gekommen bist, in Alaska aufzuwachsen – und statt dessen von einem verrückten Onkel mit einem Ramschladen großgezogen wurdest. « Er bog den Rücken und verdrehte den Kopf, zwirbelte einen losen Faden an der Manschette seines Strickhemds. »Ich glaube, das einzige, was ich dir ans Herz legen möchte, Bob, ist ein gewisses Verantwortungsgefühl. Viola hat das nie besessen und Adam ganz sicher nicht. Wenn du eine Sache anfängst, dann bring sie verdammt noch mal auch zu Ende. Sieh zu, daß dein Wort etwas gilt. Es hat mir schier das Herz gebrochen zu sehen, wie du jeden Tag zum Briefkasten gelaufen bist in der Hoffnung auf einen Brief aus Alaska. Adam und Viola waren nicht unbedingt das, was ich verantwortungsbewußte Leute nennen würde.«

»In gewisser Hinsicht hatte ich Glück«, sagte Bob. Das Glück war Onkel Tam. Er las Bob jeden Abend Geschichten vor, fragte ihn nach seiner Meinung zum Wetter, zum Garungsgrad von gekochtem Mais, durchwühlte den Schrott des Ramschladens nach Dingen, die ihn interessieren konnten. Bob Dollar konnte sich nicht vorstellen, wie sein Leben im Haushalt von Onkel Xylo verlaufen wäre, dessen Frau Siobhan leidenschaftliche Holzschuhtänzerin war und in ihrem Wohnzimmer in Pickens, Nebraska, dem Astrologiegewerbe nachging. Über der Eingangstür hatte sie ein Neonschild mit einer winkenden Hand unter den Worten OKKULTES MEDIUM.

»War sicher nicht leicht, ein fremdes Kind aufzuziehen«, murmelte er. Die Gutenachtgeschichten hatten ihn an Onkel Tam und an das Geschichtenerzählen geschmiedet. Vom ersten Abend an, als Onkel Tam in der kleinen Wohnung eine Seite umblätterte und sagte: »Erster Teil: Der alte Freibeuter«, war Bob erzählten Geschichten verfallen. Er schlüpfte in Phantasiewelten, passiv, ganz Ohr, weitgeöffneten Mundes, begierig jeder sich entfaltenden Geschichte lauschend.

»Ach, du warst ein pflegeleichtes Kind. Bis auf die Mahngebühren der Bücherei. Du warst immer brav, du hast immer mitgearbeitet und geholfen. Ich mußte mir nie Sorgen machen, weder wegen Anrufen von der Poliei noch wegen Drogen, geklauten Autos oder Supermarktüberfällen. Das einzige Mal, daß du mir Sorgen gemacht hast, das war, als du dich mit diesem fetten Burschen abgegeben hast, mit diesem Freak Orlando. Der war nichts für dich. Wundert mich nicht, daß sie ihn eingelocht haben. Ich bin froh, daß du nicht mit ihm dort gelandet bist.«

»Es war ja kein Raubüberfall oder so. Er war nur ein harmloser Computer-Hacker.«

»Ach ja? Wenn du mir erzählen willst, daß jemand, der alle Gelder des Colorado U. S. Forest Service auf das Konto eines Puffs in Nevada transferiert, nur ein harmloser Computer- Hacker ist, dann danke ich bestens.« Er streckte sich und zwirbelte an seiner Manschette, sah auf die Uhr. »Fast elf. Ich muß wieder in den Laden.«

In den ersten Jahren kam Bob sich oft wie fragmentiert vor, wie in lauter Teilchen zersplittert, die sich nicht aneinanderfügten, ein innerer Sack von Holzspänen. Ein Splitter war das frühere Leben bei seinen Eltern, ein anderer waren die Jahre mit Onkel Tam und Wayne »Bromo« Redpoll, danach nur mit Onkel Tam. Ein anderes Teilchen waren Orlando und Fever und Splatterfilme, dann die Glühbirnenzeit und Mrs. Giddins, die verlangte, daß er ihre Füße massierte, und böse wurde, als er würgend vor dem Gestank klammen Nylons zurückschrak. Bob hatte immer mitgearbeitet und geholfen, das stimmte schon, beim Geschirrspülen und Kochen und im Haushalt, aber hauptsächlich weil er sich wegen Onkel Tams schrecklicher Armut so schämte, die irgendwie weniger gravierend wirkte, wenn alles sauber und ordentlich aufgeräumt war. Er ordnete die Bücher in den Bücherregalen nach Größe und Farbe, bis Bromo Redpoll, der Geschäftspartner seines Onkels, sagte: »Sei doch nicht so eine alte Mamsell.«

Onkel Tam war in Bob Dollar vernarrt, doch er konnte seine Zuneigung nur selten in substantielleren Gaben ausdrücken als besorgter Anteilnahme und verhältnismäßig ausgesuchten Schätzen aus dem Trödelladen, darunter die neuen braunen Oxford-Schuhe.

»Bob! Sieht aus wie deine Größe, 43. Probier sie. In einer Tüte mit Sachen von einem feinen Pinkel aus Cherry Creek. Wahrscheinlich vom Dienstmädchen ausrangiert.«

»Tolle Schuhe! Jetzt brauche ich nur noch einen Trenchcoat. « Die Schuhe sahen mit Bobs Jeans und T-Shirt tatsächlich etwas befremdlich aus.

»In unseren Trenchcoats würdest du nicht mal tot gesehen werden wollen, aber ich habe einen sehr schönen sportlichen Ledermantel, Wildleder mit Schurwollfutter. So gut wie neu und fast deine Größe. Solche Mäntel sind aus der Mode gekommen, aber vielleicht kannst du ihn brauchen. Man kann nie wissen. Das Problem ist nur, daß er – nun ja, eine komische Farbe hat. Komm mit in den Laden und schau ihn dir an.«

Der Mantel war an den Schultern etwas eng, und die Ärmel waren ein bißchen zu kurz, doch es ließ sich nicht leugnen, daß er trotz der verpfuschten gelblichen Färbung ein gutgearbeitetes Kleidungsstück war. Bob lebte in ständiger Furcht, daß der Vorbesitzer den Mantel eines Tages auf der Straße wiedererkennen und eine vernichtende Bemerkung machen würde. In der Schule war ihm das zweimal widerfahren, einmal mit einem Pullover mit Argyle-Muster, einmal mit einer Wollmütze, auf deren Krempe die Buchstaben CharleS standen. Er hatte versucht, die Buchstaben mit Filzstift zu übermalen, doch sie blieben deutlich zu erkennen. Schließlich war eine große schwarze Baskenmütze mit Zigarettenlöchern aufgetaucht, die er jahrelang getragen hatte, wobei er sich einredete, ein echter Franzose habe sie in Denver liegenlassen.

»Also, Bob«, sagte Mr. Cluke, der seine Wangen mit einer männlich-herben After-shave-Lotion betupfte, »mit braunen Oxford-Schuhen können Sie sich in Texas nicht blicken lassen. Glauben Sie mir. Ich war lange genug dort, um zu wissen, daß man es sich mit den Leuten da unten wegen solcher Schuhe verderben kann. Ölmillionäre im Anzug und wohlhabende Weizenbarone mit Diamantring haben nichts daran geändert, daß in Texas die Respektsperson schlechthin nach wie vor ein Rinderzüchter ist, und ein Rinderzüchter will nun mal aussehen wie ein Cowboy. Es wäre kein Fehler, wenn Sie sich die entsprechenden Arbeitshosen und die passenden langärmeligen Hemden besorgen würden. Aber vor allem müssen Sie ein Paar anständige Cowboystiefel kaufen und sie auch tragen. Cowboyhut und Fransenhemden sind nicht erforderlich, aber die Stiefel müssen sein.«

»Ja, Sir«, sagte Bob, der das einsah.

»Und hier, Bob, habe ich eine Liste der Dinge, auf die Sie Ihr Augenmerk in dieser Gegend richten sollten – natürlich ganz piano. Sehen Sie sich nach kleineren Rinderzüchtern und Bauernhöfen um, nicht nach den großen, nicht Ranches mit vierhundert Ölquellen. Sehen Sie sich nach Gegenden um, wo Grauköpfe vorherrschen. Ältere Leute. Solche Leute wollen ihre Ruhe haben und sich nicht engagieren oder mit den Behörden Streit anfangen. Das sind die Leute, die wir suchen. Finden Sie heraus, wie die Leute heißen, die etwas zu sagen haben – Bankiers, Kirchenvorsteher –, und stellen Sie sich mit denen gut. Halten Sie Augen und Ohren offen nach Farmern, deren Kinder irgendwohin auf die Schule gegangen sind, denn diese Kinder kommen nur zurück, wenn man sie mit vorgehaltener Waffe dazu zwingt. Lesen Sie die Todesanzeigen frischverstorbener Landbesitzer, deren Sprößlinge gerne Geld sehen möchten, damit sie nach Kansas City oder Key West oder anderen Fleischtöpfen ihrer Wahl zurückgehen können.

Und noch etwas. Sie werden eine Lebensgeschichte brauchen, denn Sie können schließlich nicht dort auftauchen und sagen, daß Sie für Global Pork Rind Grundstücke suchen. Manche Leute würden das glatt als Affront auffassen. Sie werden mehrere Monate am Stück dort sein und dann wieder weg sein, und Sie müssen sich eine Geschichte ausdenken, die das erklärt. Der Knabe, den wir vor Ihnen hatten, hat den Leuten erzählt, er wäre Reporter bei einer Zeitschrift mit dem Auftrag, eine Geschichte über die Panhandle-Gebiete zu schreiben – damit wollte er sich überall Zugang verschaffen und relevante Fragen stellen können. Sie wissen, was ›relevant‹ heißt, oder?«

»Ja, Sir. Auf ein Thema bezogen beziehungsweise von Bedeutung für dieses Thema.«

»Sehr gut, ich sehe, Sie waren ein guter Schüler. Der Knabe, der Ihr Vorgänger war, dachte, es hätte etwas mit Haarimplantaten zu tun. Jedenfalls hielt er das für eine gute Geschichte, die ihm wie geschmiert alle Türen öffnen sollte.«

»Welche Zeitschrift hat er angegeben, Sir? Für die er den Artikel schreiben wollte?«

»Na ja, Texas Monthly war es nicht, weil er dachte, die Einheimischen könnten das Blättchen kennen. Und natürlich wäre es glatter Wahnsinn gewesen, Cockfight Weekly oder Ranch News anzugeben. Ich glaube, er hat sich für Vogue entschieden. Er dachte, damit wäre er im Panhandle-Gebiet aus dem Schneider.«

»Und hat es funktioniert?«

»Nein, hat es nicht.« Ribeye Clukes kleiner Finger schnipste eine Spur Rasierschaum von seinem Ohrläppchen. »Sie werden sich etwas Neues ausdenken müssen. Ich persönlich würde die Zeitschriftenmasche vergessen. Aber Ihnen wird schon was einfallen. Und noch etwas, Bob: Es spricht natürlich nichts dagegen, die ersten Nächte in einem Motel zu schlafen, bis Sie sich besser auskennen, aber am besten mieten Sie sich bei irgendwelchen Leuten ein. Suchen Sie sich eine alte Dame oder ein älteres Paar mit jeder Menge Verwandtschaft. Dann sind Sie immer über alles auf dem laufenden. Haarklein. Also, in erster Linie kümmern Sie sich um die Grundstücke nördlich« – er zog die Wandkarte zu Rate – »des Canadian River. Schauen Sie sich gründlich um! Sobald Sie geeignetes Land finden und der Besitzer einen willigen Eindruck macht, sagen Sie mir Bescheid, und ich schicke unseren Geldboten los. Wir haben eine Unterfirma gegründet, die das Land kauft und es dann an Global weitergibt. Die Anwohner wissen nicht, daß eine Schweinefarm entsteht, bis die Bulldozer den Auffangteich anlegen. Später, wenn Sie Erfahrung gesammelt haben, wenn Sie sich bei Global Pork Rind bewährt haben, dann können Sie die Ankäufe selber tätigen, obwohl wir im allgemeinen lieber eine Frau einsetzen, die den alten Leuten gleich einen Betrag nennt. Das hat seine Vorteile. Und noch etwas: Bleiben Sie nicht zu lange an einem Fleck, ziehen Sie nach einem Monat oder so in einen anderen Ort um. Und so weiter. Der Knabe, von dem ich sprach? Er hatte sich Mobeetie ausgesucht. An Ihrer Stelle würde ich um diesen Ort einen großen Bogen machen. Er hat die Leute mißtrauisch gemacht. Er hat sich Ärger eingebrockt.

Unsere Lucille hat Ihnen Karten und Broschüren zusammengepackt, damit Sie sich über die Gegend informieren können, und hier ist Ihre Firmenkreditkarte – und Sie können Gift darauf nehmen, daß es sich dabei nicht um die Richter-Skala handelt. Sie müssen sie nur noch unterschreiben. Ab mit Ihnen, und viel Glück. Berichten Sie mir einmal in der Woche, postalisch. Auf keinen Fall per E-mail. Das kann ich nicht ausstehen. Besorgen Sie sich ein Schließfach. Schreiben Sie mir nach Hause, und ich antworte Ihnen von dort, damit Ihr Postfritze nicht Global Pork Rind auf dem Absender liest und zwei und zwei zusammenzählt. Ich werde dafür sorgen, daß die Firmenpost Ihnen in neutralen braunen Umschlägen zugeschickt wird. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein. In Notfällen rufen Sie von einem öffentlichen Telefon aus an. «

»Ja, Sir.«

»Und vergessen Sie nicht, das, worauf es wirklich ankommt, ist, daß – daß wir – daß wir das, was wir tun, auch tun. «

Als Bob ging, hatte er das Gefühl, daß Ribeye Cluke ihm nicht alles gesagt hatte.

Abends führte er Onkel Tam zur Feier des Tages in ein berühmtes Inuit-japanisch-irisches Steakhouse aus, wo flüssige Jersey-Butter aus Viertelliterkännchen ausgeschenkt wurde, wo die Ofenkartoffeln, mit winzigen Schirmchen verziert, Fußballgröße hatten und die Steaks so dick waren, daß man sie nur mit einem Samuraischwert schneiden konnte. Sein Onkel zuckte zusammen, als er die Preise las, und dann lobte er das Essen übermäßig, ein sicheres Zeichen, daß er Heimweh nach Chickee’s Place einen Block von seinem Laden entfernt hatte, wo er sich an einem Teller fritierter Hühnermägen oder Catfish-Eintopf gütlich tun konnte. Doch offenbar hatten seine Gedanken einen anderen Verlauf genommen, denn auf dem Gehsteig rülpste er und sagte: »Ich habe mir überlegt, mich auf Gemüse zu verlegen. Vegetarier zu werden. Fleisch ist einfach zu teuer. Oh. Warte mal. Bevor ich es vergesse. Wayne hat dir was geschickt. Und von mir gibt es auch eine Kleinigkeit.« Sein Onkel überreichte Bob zwei flache Päckchen. »Mach sie erst auf, wenn du dort bist«, sagte er.

»Bromo! Ich wußte gar nicht, daß du noch Kontakt zu ihm hast.«

»Tja. Habe ich. Haben wir. Wie auch immer.«

2. Künstlerisches Plastik

Als seine Eltern Bob auf der Türschwelle absetzten, hatte Onkel Tam einen Mitbewohner, Wayne Redpoll, mit wildem Blick und einer Visage wie aus Gummi, deren Züge sich um eine so auffällige Hakennase sammelten, daß seine Augen neben ihr verblaßten. Sein braunes Haar war gekräuselt und unbezähmbar, voll widerborstiger Energie. Bis zehn Uhr morgens, wenn der Laden öffnete, lümmelte er ohne Hemd herum und füllte Kreuzworträtsel aus, wobei er mit dem Stift an seine verfärbten Zähne klopfte. Er hatte eine eigenartige Brust, die Brustwarzen befanden sich beinahe unter den Achseln. Er war kein guter Kreuzworträtsellöser, er hatte keine Geduld und schrieb nach ein paar Minuten hin, was ihm in den Sinn kam, füllte die leeren Stellen mit irgendeinem beliebigen Wort aus, ob es paßte oder nicht. Bob konnte ihn nicht besonders gut leiden, und teilweise, um ihn beim Kreuzworträtsel zu schlagen, begann er sich mit Das große Kinderlexikon zu beschäftigen, das Onkel Tam aus einem Karton gefischt und ihm mit den Worten überreicht hatte: »Herzlichen Glückwunsch zu diesem wundervollen Mittwochmorgen.« Mit zwölf Jahren konnte er das dienstags erscheinende Kreuzworträtsel der New York Times in weniger als zwanzig Minuten mit einem Kuli lösen, doch donnerstags und freitags saß er mehrere Stunden mit dem Bleistift in der Hand davor, weil die Fragen schlau formuliert waren und Kenntnisse kultureller Vorgänge in finsterer Vergangenheit voraussetzten. Alle möglichen Wörter strömten durch seinen Geist – Ozelot, Strabismus, plat du jour, Archipel, Kontemplation, Phantom, Mesa, Sitar, Boutique. Wayne versuchte Bobs Können etwas entgegenzusetzen, indem er alte Informationen über Kreuzworträtsel ausgrub und sie ihm erklärte, als seien sie der Dreh- und Angelpunkt an der Sache: daß Kreuzworträtsel 1913 von einem Zeitungsmann aus Liverpool erfunden worden waren und 1924 ein landesweites Steckenpferd wurden. Meistens rümpfte er die Nase über das New York Times-Kreuzworträtsel, das, wie er behauptete, ein Kinderspiel sei – bedeutungsvoller Blick zu Bob –, verglichen mit den tückischen Rätseln der Briten, besonders denen mit kryptischen Formulierungen, wie sie die Altmeister Torquemada, Ximenes und Azed ersonnen hatten. Doch diese Persiflage nützte ihm nichts. Ihm fehlte das Können, das Bob hatte.

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