Mittsommerleuchten - Åsa Hellberg - E-Book

Mittsommerleuchten E-Book

Åsa Hellberg

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gloria dachte mit ihren 53 Jahren eigentlich, das Leben hätte keine Höhepunkte mehr zu bieten. Jetzt soll die schwedische Operndiva die Hauptrolle in »Carmen« übernehmen. Aber der Gedanke an die Proben versetzt sie in Panik - denn in den beiden männlichen Hauptrollen sollen ausgerechnet zwei ihrer alten Liebhaber auftreten. Glorias Schwester Agnes dagegen führt eine stabile Beziehung. Aber irgendwann hält sie so viel Stabilität und Ereignislosigkeit nicht mehr aus, trennt sich von ihrem Mann und flüchtet zu Gloria. Gemeinsam gelingt es den beiden ungleichen Schwestern, das Gefühlschaos zu lichten. Gloria und Agnes entdecken, dass es nie zu spät ist, das Glück zu suchen - und zu finden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Gloria, 53 und glücklicher Single, würde am liebsten ihren Job an den Nagel hängen, um endlich wieder reisen und das Leben genießen zu können. Das Problem dabei: Sie ist eine berühmte Opernsängerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und soll mit den Proben für Carmen beginnen. Und das auch noch mit zwei verflossenen Liebhabern in den beiden männlichen Hauptrollen – darunter ihre große Liebe Dominic, den sie seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat. Hat er sich womöglich absichtlich um eine Rolle an Glorias Seite bemüht? Außerdem macht ihr der schwedische Winter zu schaffen. Sie hat große Sehnsucht nach Sommer und Wärme.

Glorias Schwester Agnes wiederum ist glücklich verheiratet. Eigentlich. Jetzt aber überrascht sie Gloria mit der Ankündigung, sich scheiden lassen zu wollen. Das Drama kann beginnen – auf und hinter der Bühne …

Die Autorin

Åsa Hellberg wurde 1962 in Fjällbacka geboren. Heute lebt sie mit Sohn, Katze und ihrem Lebensgefährten in Stockholm. Sie arbeitete unter anderem als Flugbegleiterin, Coach und Dozentin, bevor sie mit dem Schreiben begann. Mit ihren Romanen schrieb sie sich auf Anhieb in die Herzen der Leserinnen und stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Von Åsa Hellberg sind in unserem Hause bereits erschienen:

SommerfreundinnenHerzensschwesternSommerreiseMittsommerleuchten

Åsa Hellberg

Mittsommerleuchten

Roman

Aus dem Schwedischen von Katrin Frey

List Taschenbuch

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

Hinweis zu Urheberrechten

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem Buch befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN 978-3-8437-1538-6

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017© Åsa Hellberg 2016Titel der schwedischen Originalausgabe: Gloria (Bokförlaget Forum 2016)Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: living4media / © Winfried Heinze

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Mein Großvater hatte ewig in der Schlange vor der Stockholmer Oper gewartet. Endlich war er an der Reihe und kaufte sich eine Karte für »Elektra« mit Birgit Nilsson in der Titelpartie.

Als ihm jemand die Eintrittskarte aus der Hand riss, zerplatzte sein großer Traum.

Sich noch einmal hinten anzustellen hätte keinen Sinn gehabt, die Karten waren fast ausverkauft, und so fuhr er wieder nach Fjällbacka zurück, ohne sein Idol gesehen zu haben.

Dieses Buch ist für dich, Sven Hellberg, wo auch immer du jetzt bist.

OUVERTÜRE

Sechzehnter Januar

Nachdem sie Dagens Nyheter überflogen und zwei Eier mit Kaviarpaste mit drei Tassen pechschwarzem Kaffee hinuntergespült hatte, holte sich Gloria Stift und Papier. Sie brauchte einen Plan für die Zukunft, denn in ihrem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander.

Natürlich könnte sie die Stockholmer Oper verlassen. Sie hatte nur noch nicht alle Lösungen durchdacht. Genau so war es! Wenn sie erst alle Alternativen aufgeschrieben hatte, würde sie sich viel besser fühlen.

Fünf Punkte, die jede Frau mit 53 erledigen sollte, lautete die Überschrift. Das war ein sehr guter Anfang.

Es gab ein Leben außerhalb der Bühne, sie musste es nur entdecken.

Schnell.

• Sich zur Ruhe setzen oder rauswerfen lassen. Ersteres ist vorzuziehen, weil bestimmt mehr Geld dabei rausspringt. Das man gut gebrauchen kann, wenn man …

• sich weit weg von Schweden eine Wohnung anschaffen will, wo man …

• mal mit jemandem ins Bett gehen könnte, der kein Opernsänger und zwar über dreißig, aber noch keine fünfzig ist. Das ergäbe ein hervorragendes Kapitel, wenn man die Absicht hat …

• eine Autobiographie zu schreiben … die vor Fröhlichkeit und Optimismus strotzen muss, weil man um keinen Preis …

• zusammenbrechen darf.

• zusammenbrechen darf.

• zusammenbrechen darf.

Gloria legte den Stift beiseite und überlegte, ob sie ihren Arzt überreden könnte, ihr zu attestieren, dass die Knoten auf ihren Stimmbändern das Aus für ihre Karriere bedeuteten. Sie hatte schon öfter unter Stimmknötchen gelitten, die monatelange Erholungsphasen erforderten.

Zaghaft räusperte sie sich. Nicht das geringste Kratzen. Ihre Stimme war so gut in Form wie noch nie. Ein vorzeitiger Ruhestand war keinesfalls angezeigt, denn sie war körperlich topfit. Sie ging dreimal die Woche zum Sport. Sie ernährte sich vernünftig, zumindest wenn man den Gesundheitsbeilagen der Boulevardpresse Glauben schenkte, und hatte im Vergleich zu anderen Frauen ihres Alters das Glück, mit sogenannten »guten« Genen gesegnet zu sein. Ihr Körper funktionierte perfekt. Sie hatte keine Zipperlein und immer noch regelmäßig ihre Tage.

Hier gab es also nichts zu holen.

Sie legte den Notizblock neben den Stift, stand vom Sessel auf und schaute aus dem Fenster auf die Östgötagata hinunter.

In dieser Zweizimmerwohnung lebte sie, seit ihr Sohn Marcus vor zwölf Jahren nach London gezogen war, und das Straßenbild war ihr vertraut. Es vermittelte ihr ein Gefühl von Geborgenheit, ob es nun Winter war, so wie jetzt, oder nicht. Der Schnee, der in großen Flocken fiel, war ihr nur recht. Von ihr aus hätte es einen Meter schneien können.

Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Halb zehn. Sie hatte fünf Stunden geschlafen und war um zehn nach acht aufgewacht, was angesichts der Tatsache, dass sie in der Nacht so lange wach gelegen und gegrübelt hatte, gar nicht schlecht war.

Irgendetwas musste sie tun. Ihr lief die Zeit davon.

Während sie in den knallroten Daunenmantel schlüpfte und sich die Mütze so tief wie möglich ins Gesicht zog, überlegte sie, ob sie wegziehen sollte. Alles hinter sich zu lassen war bestimmt das Beste.

Mit dem Geld, das bei ihren vielen Engagements in den vergangenen Jahren herausgesprungen war, könnte sie sich eine ganze Weile, vielleicht sogar einige Jahre über Wasser halten. Wenn sie die Wohnung verkaufte, kämen noch ein paar Millionen Kronen hinzu. Der Verkauf ließ sich auch von einer Mittelmeerinsel aus regeln, nichts hinderte sie daran, Stockholm noch heute den Rücken zu kehren.

Natürlich wäre ihr Ruf ruiniert, und kein Opernhaus der Welt würde ihr je wieder ein Engagement geben, aber war das schlimm? Sich trotz eines unterschriebenen Vertrags aus dem Staub zu machen, wäre zwar kein besonders dankbarer oder höflicher Abschied nach einer langen glänzenden Karriere, aber seltsamerweise konnte man seine Einstellung zu solchen drastischen Schritten plötzlich ändern.

Vor einem Jahr war ihr Leben noch ruhig und friedlich verlaufen. Sie hatte Angebote von der Scala und aus London abgelehnt, aber ein Gastspiel in Deutschland und ein grandioses Konzert in New York gegeben. Nie wäre ihr eingefallen, von der Opernbühne, auf der sie so lange zu Hause gewesen war, zu fliehen.

Jetzt sah die Lage vollkommen anders aus.

Sie sehnte sich nach ihrer Schwester. Agnes war ruhig und besonnen, hatte ihre Gefühle unter Kontrolle und fand stets die richtigen Worte. Leider befand sie sich momentan irgendwo jenseits des Atlantiks, so dass Gloria nichts anderes übrigblieb, als allein klarzukommen.

Sie wickelte sich ihren großen marineblauen Schal um den Hals, stieg in die Boots, steckte die Hände in die Lovvika-Fäustlinge, die auf dem Heizkörper gelegen hatten, und verließ die Wohnung. Eine Sekunde später machte sie die Tür wieder auf, schnappte sich das Portemonnaie von der Kommode im Flur, schloss doppelt und dreifach ab und ging die Treppe hinunter.

Es war schön, vor die Tür zu kommen. An einem verschneiten Montag im Januar war sogar die sonst dichtbefahrene Folkungagata menschenleer.

Sie überquerte die Straße, spürte beim Anblick der armen Frau mit der leeren Blechdose vor dem Ica-Supermarkt wie immer einen Stich in der Brust und setzte, nachdem sie einen Hundertkronenschein hineingelegt hatte, rasch ihren Weg in Richtung Götgata fort. Beim nächsten Mal würde sie daran denken, die Frau zu fragen, ob sie einen Fleecepullover gebrauchen könne. Sie hatte einen nagelneuen zu Hause liegen, an dem sogar noch das Preisschild hing.

Der eisige Wind ließ sich von den lockeren Maschen ihres Schals nicht abhalten. Schnee peitschte ihr ins Gesicht. Sie hätte umkehren und wieder nach Hause gehen sollen. Feuer im Kamin machen und Tee trinken. Eine Duftkerze anzünden und sich wie eine normale Frau verhalten. Sie wusste jedoch, dass sie sich, wenn sie jetzt nach Hause ging, in ihr ungemachtes Bett legen und an die Decke starren würde. Vermutlich bis zum Abend.

Sie hatte einen freien Tag, und den konnte sie nicht genießen.

Morgen musste sie wieder zur Probe, und einen Moment lang erschien es ihr verlockender, in einer Schneewehe einzuschlafen, als in der Königlichen Oper als Solistin zu arbeiten.

Als ihr einfiel, dass Wünsche manchmal wahr werden, klopfte sie sich dreimal an die Stirn. Gab es denn keinen anderen Ausweg?

Vielleicht sollte sie lieber darüber nachdenken, was sie wollte, anstatt dauernd zu überlegen, was sie alles nicht wollte. Nein, nein und wieder nein hatte sie gesagt und sich nicht gefragt, wozu sie eigentlich ja gesagt hätte. Und das betraf alles: Liebe, Arbeit und Freunde. Sie wollte ihr Leben austauschen. Abgesehen von der Familie ihres Sohnes. Und der ihrer Schwester. Und ihren besten Freundinnen Lena und Kit, wobei ihr die Freundschaft mit Kit im Moment auch nicht viel nützte.

Sie hatten seit Ewigkeiten nicht miteinander gesprochen. Gloria hatte um eine andere Inspizientin gebeten, und Kit wollte nur noch bei Produktionen mitarbeiten, an denen Gloria nicht beteiligt war. Auf die Dauer war beides nicht möglich, und da die Premiere von Carmen nur noch zwei Monate hin war, würden sie wieder zusammenarbeiten müssen.

Sie hatten sich nahegestanden, waren sich aber nie besonders ähnlich gewesen. Im Gegensatz zu Gloria war Kit blond und blauäugig. Weicher. Die Art von Mensch, die jeder mag, und zwar aus so vielen Gründen, dass es leichter ist, den einen zu nennen, der sie und Gloria entzweit hatte:

Adrian Lofti.

»Wir müssen reden«, sagte Kit.

»Du klingst wie ein Ehemann, der seine Frau um die Scheidung bittet.« Lachend sah sich Gloria in Kits aufgeräumtem Büro um. Wie immer standen frische Blumen auf dem Tisch. Alles war ordentlich sortiert. In Glorias heimischem Arbeitszimmer hingegen herrschte abgesehen von ihren Notizbüchern Chaos.

»Nicht ganz, aber du wirst auch nicht begeistert sein.«

»Jetzt mache ich mir Sorgen. Du bist doch nicht krank?« Gloria musterte sie ernst.

Kit räusperte sich und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich habe mit Adrian geschlafen. Nicht nur einmal. Ich glaube, ich bin in ihn verliebt. Und er in mich.« Sie starrte auf die Schreibtischplatte.

»In Adrian? Meinen Adrian? Warte mal. Das ist ein Witz, oder? Ich habe so was läuten hören, aber ich habe es natürlich für ein Gerücht gehalten.«

Kit war kreidebleich. Gloria vermutlich puterrot. Ihre Wangen glühten, und ihr Puls raste, als wäre sie von der Loge auf die Bühne gerannt.

Sie lachte auf. Kit sollte mit Adrian geschlafen haben? Sie glaubte ihr kein Wort. Das war doch nicht möglich. Oder?

»Nein, es ist kein Gerücht.«

»Wie lange geht das schon?«

»Sechs Wochen.«

Blitzschnell rechnete Gloria nach, dass ihre Romanze mit Adrian da seit genau einer Woche beendet gewesen war.

»Warum hast du mir nicht früher davon erzählt? Du hast mich hintergangen, als ich nicht verstanden habe, warum er mich nicht mehr sehen wollte. Ich habe doch mit dir darüber geredet. Verdammte Scheiße, Kit, verdammte Scheiße.«

Am liebsten hätte sie Kit das blasse Gesicht zerkratzt. Sie musste die Hände zu Fäusten ballen, um nicht gewalttätig zu werden.

Stattdessen spuckte sie auf den Fußboden.

»Der Teufel soll dich holen, Kit! Und Adrian kannst du gleich mitnehmen in die Hölle. Das werde ich dir nie verzeihen.«

Adrian war Gloria mittlerweile vollkommen egal, und wenn sie ehrlich war, war er ihr schon vorher ziemlich gleichgültig gewesen, und laut den Gerüchten, die ihr zu Ohren gekommen waren, waren er und Kit glücklich zusammen. Auch das war ihr egal.

Tief im Innern wusste Gloria, dass sie Kit um Verzeihung bitten musste, etwa: Es tut mir leid, dass ich so ausfällig geworden bin. Aber sie konnte nicht.

Dass Kit sich ihr nicht anvertraut hatte, war ein Vertrauensbruch, und so gern Gloria auch darüber hinweggekommen wäre, es ging einfach nicht. Sie fühlte sich von Kit betrogen, weil sie nichts gesagt hatte. Sie hätte ihr davon erzählen müssen. Sofort. Nicht erst nach Wochen.

Vielleicht nahmen manche Menschen einen Vertrauensbruch nicht so schwer.

Aber Gloria gehörte nicht zu ihnen.

Sie hatte gar nicht die Absicht gehabt, ins Reisebüro zu gehen, aber es sah so warm und gemütlich darin aus, und nur weil sie sich über Urlaubsreisen informierte, musste sie ja nicht unbedingt eine buchen.

Falls sie diesen Winter irgendwohin fuhr, dann an einen Ort, an dem sie noch nie gewesen war. Die Besuche bei Marcus und seiner kleinen Familie in London zählten nicht.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Mann hinter dem Schalter.

Gloria zog sich den Schal vom Gesicht, bevor sie ihm antwortete. »Nein danke, ich bin in erster Linie wegen dieser verdammten Kälte reingekommen.« Sie lächelte.

Sie drehte sich zu der großen Tafel mit den Last-Minute-Reisen um. Ihre Wangen schienen taub zu sein. Sie zog die Fäustlinge aus und betastete ihr Gesicht. Es war eiskalt. Sie rieb sich die Wangen, während sie die Reiseziele studierte.

»Kein Winterurlaub?«, fragte er.

Sie wandte sich wieder ihm zu.

»Nicht geplant, nein.«

»Ich selbst fahre ja im Frühjahr nach Irland. Drei Wochen. Mit dem eigenen Auto, da ist man mobiler. Waren Sie schon mal dort?« Er strahlte, hielt aber die Hand hoch, als das Telefon klingelte. Gut, dann brauchte sie nicht zu antworten. Sie hatte überhaupt keine Lust auf Konversation, schon gar nicht über Irland. Bloß nicht daran denken.

Welche Erinnerungen willst du denn stattdessen, liebe Gloria?, fragte sie sich. Möchtest du reisen? Dann kauf dir ein Ticket und los. Lass das Lamentieren, und hör ausnahmsweise mal auf dein Bauchgefühl.

Auf dem Heimweg schaute sie kurz bei Lena vorbei. Gloria war noch nie dort gewesen, aber als sie an der fröhlichen rotgestrichenen Tür vorbeikam, hielt sie inne und trat ein.

Nachdem sie im Flur ihren dicken Mantel aufgehängt hatte, beugte sie sich zu den Kindern hinunter, hob das verrotzteste von allen hoch und dachte bei sich, als Lena mit fragendem Lächeln auf sie zukam, dass dies eine ausgezeichnete Gelegenheit war, sich die Lungenentzündung zuzuziehen, für die sie ihre warme Wohnung verlassen hatte.

Achtzehnter Januar, ein Sonntag

Dominic sah sich in der Ankunftshalle um und winkte dem Mann, der das Schild mit der Aufschrift Evans in der Hand hielt.

»Grand Hôtel, Sir?«

»Ich spreche Schwedisch«, sagte Dominic. »Ja, Grand.« Er reichte dem Fahrer seinen Koffer.

Er war vor sieben Jahren zum Arbeiten hier gewesen und wollte nun für immer bleiben. Die Idee war entstanden, als man ihm die Rolle des Don José in Carmen anbot. Eigentlich hatte er frei und wollte sich vielleicht sogar endgültig zur Ruhe setzen, aber wenn die Stockholmer Oper anfragte, konnte Dominic einfach nicht nein sagen. An diesem Engagement passte zu vieles perfekt.

Er hatte lange darüber nachgedacht, wie es sein würde, wieder nach Schweden zu ziehen. Wenn er ehrlich war, hatte er diesen Schritt bisher gescheut. Doch nachdem so viele Jahre ins Land gegangen waren, erschien er ihm ungefährlich. So hatte er es zumindest empfunden, als er das Angebot annahm, in der kommenden Saison hier zu singen. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher, und sobald er schwedischen Boden unter den Füßen hatte, war die Angst zurückgekehrt. Dabei hielt ihn in London nichts. Und zudem lebte in Stockholm seine Mutter, die mit ihren 87 Jahren immer noch munter und von ernsthaften Gebrechen bislang verschont geblieben war.

Das kleine Ein-Zimmer-Apartment in Söder, das er sich vor seinem Umzug nach London gekauft hatte, stand meistens leer, wurde aber momentan von irgendeiner Nichte oder einem Neffen genutzt, so dass er die kommenden drei Wochen im Hotel überbrücken musste. Währenddessen würde er sich nach einer anderen Wohnung umsehen. Auf die Dauer war ein Zimmer natürlich zu wenig, aber für die ersten Monate reichte es ihm vollkommen.

Er fragte sich, wie sie auf die Nachricht reagiert hatte, dass sie wieder zusammen auf der Bühne stehen würden. So wie er sie kannte, hatte sie sich nichts anmerken lassen.

Oder sie war, im Gegensatz zu ihm, mittlerweile über die Geschichte hinweg.

Davor fürchtete er sich vielleicht am meisten.

»Grand Hôtel, Monsieur?«

»Oui.«

Sebastian Bayard liebte Stockholm. Seitdem er hier nach seiner Ausbildung ein Jahr gelebt hatte, betrachtete er die Stadt als seine zweite Heimat. Einige Gastspiele in den vergangenen Jahren hatten ihn nur noch in dem Gefühl bestärkt, dass ihm diese Stadt eine Freiheit bot, die er in Paris niemals finden würde. Zudem erkannte ihn hier niemand, was ungeheuer angenehm war.

In Frankreich wurde er, wie in vielen anderen Ländern, auf Schritt und Tritt von Paparazzi belagert. In Schweden fotografierte man ihn vielleicht bei der Premiere, aber ansonsten ließ man ihn in Ruhe.

Das Angebot war spät gekommen. Einer der Solisten war krank geworden, und man hatte in letzter Minute jemand anderen engagieren müssen.

Sebastian hatte die Rolle schon oft gesungen und musste, als man einen Tag zuvor bei ihm anfragte, nicht lange überlegen. Als ihm die Intendantin eröffnete, dass er wieder mit Gloria Moreno singen würde, war jede Faser seines Körpers in Schwingung geraten. Dass auch Dominic dabei war, hatte die letzten Zweifel ausgeräumt.

Gloria war grandios. Sie hatte so viel Leben in sich, dass er sie im Gegensatz zu den meisten Frauen, mit denen er eine Affäre gehabt hatte, nie vergessen konnte.

Es würde ihm ein wahres Vergnügen sein, sie erneut zu verführen und ihr ins Gedächtnis zu rufen, was für ein wunderbares Paar sie einst gewesen waren. Die Anwesenheit von Dominic Evans steigerte seine Vorfreude noch.

Sebastian und Gloria hatten seit vielen, vielen Jahren keinen Kontakt mehr, und es war unwahrscheinlich, dass sie noch an ihn dachte, aber er wusste, wozu er fähig war, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Diesmal würde er sich nicht aufhalten lassen.

»Mr Novak, can I take your luggage?«

Pjotr überreichte dem Fahrer, der von da an kein Wort mehr von sich gab, seinen Kalbslederkoffer. Die Stille war herrlich. Sein Sitznachbar im Flieger aus Warschau hatte nicht eine Minute den Mund gehalten.

Als sich das Taxi Stockholm näherte, beugte sich Pjotr hinunter und wischte den Staub von seinen Schuhen. Dann griff er nach seinem Hut, versetzte ihm von oben einen gezielten Hieb in die Mitte und setzte ihn sich auf den kahlen Schädel.

Den Rest des Abends würde er in seinem Zimmer im Grand verbringen. Er konnte es kaum erwarten, mit den Vorbereitungen auf eine Inszenierung zu beginnen, die bei dieser Besetzung eine echte Herausforderung darstellte.

Es war ein Wagnis, über fünfzigjährige Solisten zu engagieren, aber niemand hatte ihn nach seiner Meinung gefragt, obwohl er »Carmen« schon so oft dirigiert hatte. Zuletzt an der Metropolitan, wo das Ensemble vom begeisterten Publikum stehende Ovationen bekommen hatte.

Und er hatte natürlich kein Problem mit Sängerinnen wie Gloria, deren phantastische Stimme mit Sicherheit noch auf dem Sterbebett nichts von ihrer Kraft eingebüßt haben würde. Wie alt war sie? Über fünfzig, meinte er, obwohl es kaum zu glauben war.

Er hatte immer für sie geschwärmt, aber da sie natürlich in einer ganz anderen Liga spielte, hatte er ihr das nie gesagt. Für sie war er nicht mehr als ein guter Freund. Doch man konnte nie wissen. Wenn sie von den leidenschaftlichen Sängern genug hatte, stand ihr der Sinn vielleicht nach einem Mann zum Anlehnen.

Im Abstand von jeweils einer Stunde hatten die drei Männer in dem luxuriösen Hotel in Stockholm eingecheckt. Die erfahrene Rezeptionistin war zwar an Prominenz, aber nicht an die aus der Opernwelt gewöhnt und hatte keine Ahnung, wer sie waren. Sie hatte jedoch rasch erkannt, dass sie – falls sie Lust hatte – mühelos den appetitlichen Franzosen verführen oder sich von dem ernsten Polen zum Abendessen einladen lassen konnte, aber bei dem Engländer auf Granit beißen würde. Schade. Dabei war er der heißeste Gast, den dieses Hotel seit langem beherbergte, dachte sie, während er auf den Fahrstuhl zuschlenderte.

Neunzehnter Januar

Kit blieb so lange wie möglich im Büro. Als Adrian hereinschaute, sagte er, sie sehe blass aus. Dann strich er ihr über die Wange, beteuerte, er fände sie trotzdem schön, und hastete weiter zur Kostümprobe.

Was hatte sie nur gemacht, bevor sie sich näher kennenlernten? Wenn sie bedachte, wie lebendig sie sich jetzt fühlte, musste ihr Leben nahezu tot gewesen sein.

Sie hatte immer geglaubt, dass sie für ihn nicht in Frage käme, weil er Frauen wie Gloria liebte, die Männer magnetisch anzog. Kit hatte sie eigentlich nicht darum beneidet, und es hatte ihrer Freundschaft keinen Abbruch getan. Ihre Freundin konnte sich die Männer eben aussuchen, während Kit es mit dem anderen Geschlecht nie ganz leicht gehabt hatte, aber wenn sie ehrlich war, war sie auch nicht so hinter den Männern her gewesen wie Gloria.

Als ihr jedoch Adrian zum ersten Mal über den Weg lief, verliebte sie sich Hals über Kopf, und es tat weh mitanzusehen, wie Gloria ihn um den kleinen Finger wickelte. Kit erzählte ihr natürlich nichts von ihrer Verliebtheit, es waren ja doch nur Flausen. Sie hatte die fünfzig überschritten und musste sich damit abfinden, dass der Zug für sie abgefahren war. Als Adrian und Gloria ein Paar wurden, verdrängte sie ihre Gefühle, so gut es ging.

Dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Nachdem Adrian und Gloria einige Monate zusammen gewesen waren, gestand er Kit seine Gefühle für sie.

Sie merkte, dass ihre Hände krampfhaft einen Stoß Papier umklammert hielten, und zwang sich, ihn loszulassen. Sie legte den Stapel auf dem Schreibtisch ab, strich das oberste Blatt glatt und sah auf die Uhr. Bald würden sich die Stars einfinden, und sie würde notgedrungen auf Gloria treffen. Das hieß, falls sie erschien.

Zwanzigster Januar

Gloria konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt eine Erkältung mit Fieber, Heiserkeit und so starke Halsschmerzen gehabt hatte. Sie konnte auf keinen Fall proben. Ein seltsames Gefühl hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet, seit sie vor einigen Tagen den Kindergarten verlassen hatte, und im Laufe des nächsten Vormittags hatte sie dann richtig abgebaut.

»Wie soll ich denn bloß arbeiten?«, hatte sie in den Hörer gekrächzt.

»In diesem Zustand können Sie das natürlich nicht«, hatte Doktor Näslund freundlich erwidert. »Darf ich Ihnen den Vorschlag machen, Sie ab morgen für eine Woche krankzuschreiben? Danach sehen wir weiter. Sie sollten Ihrer Stimme Ruhe gönnen und nach Möglichkeit nicht telefonieren.«

Gloria hustete. »Kann ich das schriftlich haben?«

Das war drei Tage her.

Noch fünf weitere Tage krankgeschrieben zu sein erschien ihr wie eine Ewigkeit, als sie brummend in die Küche ging, um sich noch eine Kanne Tee zu kochen.

Dafür, dass sie so schwerkrank war, fühlte sie sich eigentlich ganz frisch, und sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sie bei der Schilderung ihrer Symptome vielleicht einen Hauch übertrieben hatte. Im Grunde lag es ihr so fern zu behaupten, sie hätte neununddreißig Grad Fieber, dass sie hinterher ganz tief hatte Luft holen müssen. Für einen Moment hatte ihr die Lüge fast die Kehle zugeschnürt.

Doch im Grunde war sie Schwedens ehrgeizigster und zuverlässigster Sängerin so leicht über die Lippen gegangen, als wäre sie nach dem Preis ihrer neuesten Handtasche gefragt worden.

Noch vor Ende der Krankschreibung wollte sie entschieden haben, wie der Rest ihres Lebens verlaufen sollte. Die gegenwärtige Lage war fürchterlich, und um in aller Ruhe nachzudenken, tat sie, was der Doktor ihr geraten hatte – und ließ das Telefonieren sein. Ihr Arbeitgeber hatte mehrmals angerufen, aber das ignorierte sie geflissentlich. Die Oper war schließlich an allem schuld.

Einer ihrer abgelegten Liebhaber kehrte nach vielen Jahren im Ausland zurück, und die Oper konnte es nicht lassen, ihn prompt in einer Inszenierung mit ihr zu besetzen.

Vor über einem Jahr hatte sie sich überreden lassen, das Angebot anzunehmen, und beschlossen, sich nicht eine Sekunde länger als nötig den Kopf darüber zu zerbrechen.

Leider hatte sie seitdem an nichts anderes gedacht.

Er wollte für immer zurückkommen, hieß es.

Das Opernhaus war außer sich vor Freude, weil es sich jetzt wieder mit Dominic brüsten konnte. Jeder Sopran war scharf darauf, mit ihm zu singen, nur sie nicht.

Im Gegenteil. Obwohl es sich um ihre absolute Lieblingsrolle handelte, sollten sie sie doch irgendeiner anderen Sängerin geben, ihr war das völlig egal. Dominic war unheimlich gut, keine Frage, aber wenn man zusammen singen wollte, musste die Chemie stimmen, und das konnte man von ihnen nicht mehr behaupten.

Als sie sich 1989 in der Opernhochschule in Göteborg kennengelernt hatten, war das anders gewesen. Von der ersten Sekunde entbrannte die Leidenschaft zwischen ihnen und beseitigte alle ihre Vorurteile über große, dunkelhaarige Männer mit breiten Schultern und verschleiertem Blick.

Die Kombination aus Dominic und Gloria war so heiß, dass sie am liebsten all seinen anderen Partnerinnen die Perücken vom Kopf gerissen hätte. Er gehörte ihr, und sie gehörte ihm, und beide hatten ihre Eifersucht kaum unter Kontrolle. Sie stritten sich so heftig, dass die Nachbarn sich beschwerten, und wenn sie sich liebten, hatten die Nachbarn ebenfalls Grund zur Beschwerde.

Ihre Beziehung endete, wie diese Art von Beziehung häufig zerbrach, und mittlerweile war ihr Dominic völlig egal. Zumindest versuchte sie, sich das einzureden. Sie konnte jedoch nicht leugnen, dass sie jetzt am liebsten gekniffen hätte, woraus sich möglicherweise schließen ließ, dass er ihr alles andere als egal war.

In Wahrheit war sie unsicher, welche Wirkung die Zusammenarbeit mit ihm auf sie ausüben würde, und sie wollte kein Risiko eingehen. Nie wieder wollte sie sich so fühlen wie vor zwanzig Jahren. Noch dazu würden sie dieselben Rollen singen, die damals den Funken entzündet hatten …

Die Rolle der Carmen steckte voller Leidenschaft, und Gloria wusste ungefähr, was der Regisseur sich vorstellte. Dominic und sie würden sich nahekommen, körperlich nah. Sie würde ihn locken und reizen, damit er sich in sie verliebte. Nur auf der Bühne, aber Gloria hatte trotzdem Angst.

Die Distanz zwischen Stockholm und London war perfekt gewesen. In wenigen Tagen würde sie sich auf ein paar Millimeter reduzieren.

Wenn sie sich das doch nur vor einem Jahr überlegt hätte. Jetzt waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Die Solisten hatten ihre Rollen monatelang einstudiert. Die Kostüme waren größtenteils fertig. Die Premiere – sie ging zum Wandkalender und betrachtete die großen blutroten Kreuze, mit denen sie den Tag markiert hatte – fand in nur 55 Tagen statt.

Jetzt standen die Proben als Ensemble an. Die Personen mussten so inszeniert werden, dass das Publikum mit ihnen fühlte. Normalerweise gefiel Gloria das am meisten, besonders bei dieser Oper. Die Carmen hatte einen so vielschichtigen Charakter, dass man als Zuschauer nicht wusste, ob man sie hassen oder lieben sollte.

Auf der einen Seite verführte sie einen Mann nach dem anderen und ließ alle mit gebrochenen Herzen zurück, andererseits war Carmen ihre Freiheit wichtiger als alles andere, und daher verließ sie jeden, der sie daran hinderte, frei zu sein. Die Handlung spielte zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, aber es war nicht zu übersehen, dass Carmen Feministin war.

Die Oper war wundervoll, die Musik weltberühmt, und Gloria bedrückte es, sich zum ersten Mal nicht auf die Premiere zu freuen. Diesmal hatte sie nicht einmal Kit als Stütze.

Sie musste mit ihr reden. Obwohl sie niemals zugegeben hätte, wie verletzlich sie sich fühlte, brauchte sie im Moment wirklich ihre Freunde und die Familie an ihrer Seite.

Doch das konnte sie sich kaum selbst eingestehen.

Was vor kurzem noch ein fröhliches Brummen gewesen war, wich bleierner Müdigkeit, und sie schleppte sich wieder ins Schlafzimmer. Sie hatte noch nicht mal das Rollo hochgezogen, und das war auch gut so, dachte sie, als sie sich unter ihrer Bettdecke verkroch.

Wäre ihre Mutter hier gewesen, hätte sie ihre berühmte spanische Suppe gekocht, dabei vermutlich ihren Lieblingssender P4 gehört und grummelnd die Nachrichten kommentiert, aber fröhlich zur Musik gesummt. Wenn sie die Suppe dann servierte, schimpfte sie mit ihrer Tochter, weil sie sich in die schwedische Kälte hinausgewagt hatte.

Mama Carmen hätte den ganzen Winter keinen Fuß vor die Tür gesetzt, zumindest nicht öfter als unbedingt nötig. Als sie und Papa Erland in den Ruhestand gingen, zogen sie nach Südspanien und kamen nur hin und wieder nach Stockholm zu Besuch. Etwa einmal im Jahr spendierte Gloria ihnen Flugtickets, damit sie eine ihrer Premieren besuchen konnten, aber sie waren nie länger als über Nacht geblieben.

Während sie den Kopf noch tiefer im Kissen vergrub, wählte sie die Nummer ihrer Schwester. Wenn irgendjemand gute Ratschläge gab, dann Agnes.

Als ihre Schwester ans Telefon ging, achtete sie darauf zu husten.

»Du klingst ja mies«, sagte Agnes.

»Ich bin krank.«

»Ernsthaft?«

»Äh, wie meinst du das?«, fragte Gloria beleidigt.

»Ich meine damit, dass du eine Dramaqueen bist und dich wegen der kleinsten Erkältung ins Bett legst.«

»Ich lebe aber zufällig von meinen makellosen Stimmbändern, und deswegen ist es natürlich eine Katastrophe, wenn es ihnen nicht gutgeht.« Sie hustete erneut.

Agnes lachte, und Gloria wusste nicht genau, ob es ein höhnisches oder ein herzliches Lachen war. Wahrscheinlich ersteres.

»Ich dachte, ich könnte wenigstens ein bisschen schwesterliche Fürsorge von dir erwarten, aber wenn du dich über mich und meine Krankheit lustig machst, lege ich auf.«

»Ich werde mich zusammenreißen, entschuldige«, sagte Agnes. »Wie geht es dir, meine geliebte große Schwester?« Ihre Stimme klang warmherzig, Gloria hörte sie geradezu lächeln.

»Danke der Nachfrage, ich werde überleben. Jedenfalls nehme ich das an. Ich brauche ein bisschen Mitgefühl, und da ist mir Mamas Suppe eingefallen. Es gibt niemanden außer dir, bei dem ich anrufen und jammern kann, außer dir versteht das niemand.«

»Ich weiß. Du hast vollkommen richtig gehandelt, auch wenn ich weiß, dass du etwas übertrieben hast. Ich bin deine Schwester, und du kannst mich ruhig anrufen. Darf ich jetzt von mir erzählen?«

»Unbedingt.«

»Wir trennen uns.«

Glorias Hand begann zu zittern. Sie klammerte sich fester an den Hörer.

»Wie bitte? Agnes, ich hatte keine Ahnung, dass eure Beziehung so schwierig ist.«

Agnes hatte mal gesagt, dass bei ihnen die Luft raus war, aber so ging es doch allen Paaren hin und wieder.

»Das ist sie auch nicht. Sie ist einfach leblos. Abgestorben. Stefan und ich sind uns einig, dass wir so nicht weiterleben wollen. Wir reden seit zwei Jahren darüber, und nun ist es so weit.«

»Aber warum hast du nichts davon gesagt? Ich erzähle dir alles, und du behältst so eine große Sache für dich.«

»Ich hatte das Gefühl, es geht nur mich und Stefan etwas an. Ich wollte ihn nicht hintergehen, und im Grunde ist es auch nicht so dramatisch. Die Kinder sind erwachsen, und wir gehen nicht im Streit auseinander. Das Haus wird verkauft, ich suche mir eine Wohnung. So in etwa.«

»Du sprichst darüber, als würde es dir gar nichts ausmachen.«

»Natürlich macht es mir etwas aus, aber ich habe schon so lange darüber nachgedacht, dass ich mich daran gewöhnt habe. Wir sind ja auch nicht das erste Paar, das sich trennt.«

»Nein, aber es ist deine erste Trennung. Nach, warte mal, dreißig Jahren?«

»Wir waren dreiunddreißig Jahre zusammen.«

»Mein Gott, warst du erst siebzehn, als ihr euch kennengelernt habt? Dreiunddreißig Jahre sind ein ganzes Leben. Geht es Stefan genauso gut, wie du von dir behauptest?«

Gloria glaubte Agnes nicht. Man ließ nicht ein ganzes Leben hinter sich und fühlte sich gut dabei. Schlagartig begriff sie. »Du hast einen Neuen.«

Agnes lachte. »Nein, wirklich nicht. Allerdings hätte ich nichts dagegen. Ich war schon ewig nicht mehr verliebt. Und ja, Stefan geht es gut. Er hat eine Wohnung gefunden, die ihm gefällt, und zieht um, sobald er sie bekommen hat.«

»Und wo willst du hin?«

»Ich weiß es noch nicht, hast du eine Idee?«

»Vielleicht sollten wir nach Spanien ziehen«, schlug Gloria vor. »Unsere Wurzeln erforschen und Mamas Verwandtschaft kennenlernen. Ich habe mich oft gefragt, was für Menschen das sind. Sie hat so selten über sie geredet, und ich war zu beschäftigt damit, ein gefeierter Star zu werden, um sie zu fragen. Hat sie dir von ihrer Familie erzählt? Wir müssten doch Cousinen und Cousins haben.«

»Das glaube ich eigentlich nicht«, sagte Agnes. »Papa hat irgendwann mal gesagt, sie sei ganz allein gewesen.«

»Wirklich? Hat er das gesagt? Das habe ich noch nie gehört.«

»Du hast vieles nicht gehört«, sagte Agnes leise.

»Wie meinst du das? Über unsere Familie? Wovon redest du?«

»Nicht jetzt, Gloria, ich habe keine Zeit. Stefan hat gekocht und ruft mich zum Abendessen. Ich werde dir ein andermal erzählen, was Papa alles gesagt hat. Werd schnell wieder gesund, wir hören voneinander.«

»Komm mich mal besuchen, ich vermisse dich.«

Einundzwanzigster Januar

Nachdem sie den Film »Das Beste kommt zum Schluss« gesehen hatte, war Gloria auf die Idee gekommen, eine Wunschliste für den Rest ihres Lebens zu schreiben. Das konnte ja nicht so schwer sein. Sie stellte täglich Listen auf, sei es für notwendige Besorgungen oder mit Namen von Menschen, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt und aus einem speziellen Grunde anrufen musste.

Eine halbe Stunde später rollte sie immer noch den Kuli zwischen den Fingern.

Nicht einmal, als sie vom Küchentisch aufstand, um sich in die kühle Nische im Wohnzimmer zu setzen, kam ihre Phantasie in Schwung. Anstatt dass ihre Kreativität zum Leben erwachte, schlief ihr vor den zugigen alten Fenstern der Hintern ein, obwohl die ganze Fensterbank voller Sofakissen war.

Sie musste einfach mit den Punkten beginnen, die für sie lebensnotwendig waren. Vielleicht wurde es dann leichter.

Glorias Lebensliste:

1. Aus Stockholm wegziehen.

Es erschien ihr unumgänglich. Punkt.

Aber es konnte doch nicht ihre einzige Sehnsucht sein. Sie blätterte in ihrem Notizbuch zurück, sie hatte sich doch erst kürzlich etwas aufgeschrieben.

Da.

Einen Mann finden, der kein Opernsänger ist, so ein Quatsch.

Sie hatte nichts gegen Männer, im Gegenteil. Solange sie sich in der Oper aufhielten, hatte sie sie gern um sich, am liebsten in ihrer Loge. Unter den Krinolinen spielte sich mehr ab, als man ahnte. Hatte man sich erst der steifsten Unterröcke entledigt, konnte sich der Körper relativ frei bewegen, falls man darauf aus war.

Gloria hatte es immer genossen, von hingebungsvollen Verehrern angebetet zu werden, aber nun sehnte sie sich nicht mehr danach. Der Wunsch nach Bestätigung schien sich ebenso verflüchtigt zu haben wie die Freundschaft mit Kit. Es bestand keinerlei Zusammenhang, aber Gloria hatte Lust auf Sex, wenn sie ausgeglichen und glücklich war, und so fühlte sie sich mittlerweile selten.

Wie traurig. Wann war sie eigentlich zum letzten Mal glücklich gewesen? Natürlich war sie glücklich, wenn sie ihren Sohn und ihr Enkelkind sah, aber darüber hinaus?

Wenn sie schlecht drauf war, wollte sie allein sein, und das war sie im Grunde ziemlich oft gewesen. Die Einsamkeit war ihr angenehm.

Aber glücklich? Wer war das schon!

Sie kannte jedenfalls niemanden.

2. Agnes als Singlefrau kennenlernen.

Wenn ihre Schwester solo war, konnten sie vielleicht mehr Zeit miteinander verbringen. Hervorragend!

Es lag an ihnen beiden, dass sie sich so selten sahen.

Gloria hatte ihre Engagements, und Agnes arbeitete als Pilotin bei SAS. Nine-to-five und freie Wochenenden sind nichts für uns. Lächelnd schrieb Gloria weiter.

Wenn sie jemals etwas zusammen unternehmen wollten, dann jetzt, bevor Agnes eine neue Liebe fand. Ihre Schwester hatte natürlich keine Ahnung, was sie in Gestalt von vollkommen unbrauchbaren Männern erwartete, und wenn es erst so weit war, würde Gloria ihr eine Schulter zum Anlehnen und Ausweinen bieten, sie wäre für ihre Schwester da, wenn diese auf eine Wand aus Gefühlskälte stieß.

Das klang vielleicht ein wenig melodramatisch, aber Agnes hatte seit dreißig Jahren keine Dates mehr gehabt, und auf dem Liebessektor wehte seitdem ein viel eisigerer und schärferer Wind. Zumindest hatte Gloria die Erfahrung gemacht.

Sie musste Agnes eben alles beibringen, was sie gelernt hatte.

Der Gedanke fühlte sich irgendwie gut an.

3. Ein Hobby suchen.

Sie hatte überlegt, ob sie irgendwann ihre Geschichte niederschreiben sollte. Von ihren spanischen Wurzeln erzählen und damit ihrer Mutter, die sich nicht einfach an ihren Mann gehängt, sondern in einem fremden Land ein eigenes Leben aufgebaut hatte, ein Denkmal setzen. Da sie außer ihm keine Menschen kannte, hatte sie damals eine Ausbildung zur Friseurin gemacht und eröffnete 1967, als Gloria fünf und Agnes erst ein Jahr alt waren, ihren eigenen Salon und nannte ihn Carmens Haar.

Es dauerte ein halbes Jahr, bis Kunden kamen, aber dann ging alles ganz schnell. Eine erfolgreiche Geschäftsfrau italienischen Ursprungs sah mit ihrem modernen Haarschnitt so todschick aus, dass all ihre Freundinnen den gleichen wollten, und bald darauf brauchte Carmen Angestellte.

Gloria hatte den Salon geliebt. Mucksmäuschenstill saß sie auf einem Hocker und lauschte den Gesprächen. Carmens Salon war gut besucht. Nicht nur, weil sie so gut schnitt, sondern auch wegen der Stimmung. Viele Frauen setzten sich auch ohne Termin auf das Sofa am Eingang, um ein Weilchen zu plaudern, bevor der Ehemann von seiner wichtigen Arbeit nach Hause kam.

Schließlich brauchte Carmen größere Räumlichkeiten, aber als sie mehr Zeit im Büro als mit ihren Kundinnen verbrachte, machte sie der Expansion ein Ende. Sie hatte den Laden eröffnet, um Freunde zu finden, und nicht, um sich allein mit dem Papierkram herumzuschlagen, erklärte sie immer.

Ihre Mutter war ein besonderer Mensch, und vor gar nicht allzu langer Zeit hatten Agnes und Gloria darüber gesprochen, dass keine von ihnen sie richtig gekannt hatte. Sie arbeitete viel, behielt bei der Erziehung ihrer Töchter die Zügel straff in der Hand, und Erland, ihr Mann und der Vater von Agnes, widersprach ihr nie.

An ihrem Schwedisch hatte sie so intensiv gearbeitet, dass man so gut wie keinen Akzent mehr hörte, und über ihre Kindheit und Jugend wollte sie nicht reden. Wenn man sie danach fragte, erntete man einen so kohlrabenschwarzen Blick, dass man es fortan tunlichst bleiben ließ. Gloria war gespannt, was Agnes ihrem Papa entlockt haben mochte. Gloria nannte ihn auch so, obwohl er nicht ihr biologischer Vater war. Sie war als Baby nach Schweden gekommen und konnte sich an keinen anderen Mann erinnern. Ihre Mutter offenbar auch nicht, denn sie fegte neugierige Fragen weg wie lästige Fliegen.

Gloria wusste noch, wie überzeugt sie davon gewesen war, dass sie denselben Beruf wie ihre Mutter ergreifen würde, wenn sie groß war. Bis zu dem Moment, in dem Gina Dolores zur Tür hereinschwebte.

Die weltberühmte Opernsängerin, die angeblich mit Franco liiert gewesen war, hatte von Carmens Salon gehört, und während ihres Gastspiels an der Stockholmer Oper ließ sie niemanden an ihr kostbares taillenlanges und pechschwarzes Haar außer Carmen.

Die zehnjährige Gloria war fasziniert.

Alles an Gina, ihr Haar, ihre großen Ohrringe, ihre kräftig geschminkten Augen, zog sie magisch an. Ihre Mutter erzählte ihr, dass Gina Sängerin war. Sie sang Opern, und als die ganze Familie zu einer Vorstellung eingeladen wurde, hatte sich Gloria bereits entschieden.

Das wollte sie auch machen.

Sie würde genauso ein großer Star werden wie Gina.

Sie ließ den Stift fallen und stieg aus dem Bett. Bevor sie ihre Liste fortsetzte, musste sie etwas essen. Bis jetzt hatte sie herausgefunden, dass sie aus Stockholm wegmusste, mehr Zeit mit ihrer Schwester verbringen wollte und sich irgendeine Beschäftigung neben ihrem Beruf suchen würde.

Bereitete man aus diesen Zutaten eine Suppe zu, musste sie natürlich mit Agnes zusammen irgendwohin fahren. Nicht, dass sie es für wahrscheinlich hielt, ihre hart arbeitende und unheimlich pragmatische Schwester dazu überreden zu können, aber fragen kostete ja nichts.

Gloria war überzeugt, dass es ihrer kleinen Schwester finanziell recht gutging. Zum einen war ihr Pilotenjob sicher gut bezahlt, und vom Erlös des Einfamilienhauses in Sigtuna war bestimmt auch noch etwas übrig, nachdem Agnes in eine neue Wohnung investiert hatte.

Gloria hatte keinen Scherz gemacht, als sie sagte, sie wolle nach spanischen Verwandten suchen. In letzter Zeit musste sie öfter an Mamas Herkunft denken, was vielleicht daran lag, dass sie die Oper mit ihrem Namen einstudiert hatte. Die Träume, in denen ihre Mutter vorkam, wurden immer belastender. Nachdem sie anfangs nur hin und wieder auftraten, erwachte sie nun oft mitten in der Nacht aus ihnen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war sie wirklich gestresst und überzeugt davon, dass sich das auch auf ihre Träume auswirkte.

Gloria war Carmens Tochter, und Agnes stand ihrem Vater näher.

Natürlich hatte er einen Unterschied zwischen den Töchtern gemacht, ob nun absichtlich oder nicht. In diesem Fall war sicherlich die Biologie ausschlaggebend, denn Agnes war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Auch die Ruhe und Ausgeglichenheit hatte sie von ihm. Carmen hingegen war alles andere als ausgeglichen, selbst sie als Hitzkopf zu bezeichnen wäre eine maßlose Untertreibung gewesen.

Gott im Himmel, was hatten sie und Gloria sich gestritten! Papa zog meistens den Kopf ein, und auch Agnes verkrümelte sich, wenn es richtig schlimm wurde. Zum Glück wohnten sie in einem Haus, denn aus einer Wohnung hätte man sie mit Sicherheit rausgeschmissen.

Doch von Carmen lernte Gloria, sich Gehör zu verschaffen. Sich von niemandem den Mund verbieten zu lassen. Was sie zu sagen hatte, war wichtig, trotz der Streitereien.

Von ihrem Stolz und der Fähigkeit, sich zu behaupten, hatte sie ihr Leben lang profitiert.

Da Agnes und sie sich schon oft über ihre Kindheit unterhalten hatten, wusste Gloria, dass Agnes ihre Mutter als ungerecht empfunden hatte. Immer sollte sie sich ein Beispiel an ihrer großen Schwester nehmen, aber da die beiden sowohl äußerlich als auch vom Wesen her vollkommen verschieden waren, konnte sie sich gar nicht mit Gloria vergleichen.

Trotzdem verstanden sich die Mädchen gut. Der Altersabstand betrug fast vier Jahre, und niemand kannte Gloria so gut wie Agnes. Sollte Gloria ihr vielleicht den Tipp geben, dass die Wohnung über ihr zu verkaufen war? Von hier aus hatte es ihre Schwester zwar ein bisschen weiter zum Flughafen Arlanda, aber auch sie ging ja auf die Pensionierung zu. Wie lange arbeitete man eigentlich als Pilotin? Vielleicht bis fünfzig? Danach konnte ja alles Mögliche passieren. Wenn es nach Gloria gegangen wäre, dürfte ihre Schwester nur noch ein Jahr fliegen.

Nach dem Essen machte sie ein Nickerchen. Im Traum hatte sie Sex mit Dominic und einen so intensiven Orgasmus, dass sie davon aufwachte.

War es ihr im Schlaf gekommen?

Das hatte sie jedenfalls schon lange nicht mehr erlebt. Auch von Dominic hatte sie seit ewigen Zeiten nicht geträumt. Aber vielleicht war es kein Wunder, dass gerade er im Traum ihr erster Liebhaber war. Zum einen kehrte er nach Schweden zurück, und zum anderen war ihr Liebesleben damals äußerst wild gewesen. Wenige Männer, falls es überhaupt jemanden gab, hatten sie so verrückt gemacht wie er.

Ihre Affären mit Gastsängern beruhten ausschließlich auf Bequemlichkeit. Nach ihren kurzen Engagements an der Stockholmer Oper fanden die Beziehungen ein natürliches Ende, und das passte Gloria gut in den Kram. Etwas Intimeres wollte sie nicht. Dazu war sie auch nicht in der Lage. Einmal verlassen zu werden hatte ihr gereicht, und jetzt war sie zu alt, um sich dieser Gefahr noch einmal auszusetzen. Es ging ihr gut allein, und sie brauchte nur hin und wieder einen warmen Körper an ihrer Seite.

So war es jedenfalls früher gewesen.

Da ihr mittlerweile schon der Traum von einem früheren Liebhaber einen Orgasmus bescherte, konnte sie eigentlich zufrieden sein. Und falls sie wirklich mal realen Sex wollte, konnte sie mindestens fünf Männer anrufen, die sofort liebend gern vorbeikommen würden.

Der Gedanke stimmte sie allerdings kein bisschen froher.

Und schon fiel ihr der nächste Punkt auf der Liste ein.

4. Das Adressbuch ausmisten.

Es war an der Zeit, neue Leute kennenzulernen.

Einige wenige würde sie auch weiterhin treffen. Zum Beispiel Lena, eine richtig gute Freundin. Sie kannten sich seit der ersten Klasse. Obwohl sie sich selten sahen und mehr telefonierten, weil Lena permanent von Kindern umgeben war – was sich nicht gut mit Glorias Angst vor Bakterien vertrug –, wussten sie fast alles voneinander.

Gloria war diejenige gewesen, die Lena und Kit miteinander bekannt gemacht hatte, und die beiden waren auf Anhieb ein Herz und eine Seele gewesen, worüber sich Gloria damals gefreut hatte. Jetzt war sie die Außenseiterin, obwohl Lena sich noch genauso oft meldete wie früher.

Was hatten sie zusammen gelacht! Über alles. Vor allem über sich selbst. Über mangelnde Distanz zu sich selbst (Gloria), Hängebrüste (Lena) und nicht vorhandene Liebhaber (Kit).

Nun amüsierten sich die beiden anderen sicher auf ihre Kosten. Es war eigentlich eine abwegige Vorstellung, aber sie wusste, dass sie sich hochnäsig und starrsinnig verhalten und Kit bestimmt jemanden zum Reden gebraucht hatte. Irgendwann, aber zu früh, als dass Gloria das Angebot aufgreifen konnte, hatte Lena vorgeschlagen, zwischen den beiden zu vermitteln. Damals hatte Gloria die Nase gerümpft, und Lena ließ das Thema seitdem auf sich beruhen. Gloria griff nach einem Taschentuch und tupfte sich das Gesicht ab, dann putzte sie sich die Nase. Es war überhaupt nicht gut zu weinen, wenn man stark erkältet war. Mit verstopfter Nase schleppte sie sich ins Badezimmer und suchte nach dem Nasenspray, während ihr die Tränen übers Gesicht strömten.

Sie war wirklich zu bedauern.

Als es klingelte, ging sie mit schweren Schritten zur Tür. Sie sah durch den Spion. Nie im Leben wäre ihr eingefallen, in diesem Zustand zu öffnen, aber als sie feststellte, dass es nur ein Blumenbote war, schluckte sie ihren Stolz hinunter, warf einen kurzen Blick in den Spiegel und fuhr sich durchs Haar. Bestimmt von der Oper, dachte sie, während sie die Tür aufmachte und den Strauß entgegennahm. Ihren Stars schenkte die Oper immer viel Aufmerksamkeit, und ihre Krankmeldung gab natürlich Anlass zur Besorgnis.

Weiße Lilien. Die hatte sie schon lange nicht mehr in ihrer Wohnung gehabt. Bedächtig öffnete sie den kleinen Umschlag und zog die Karte heraus. Sie wusste, dass die Blumen von ihm waren.

Gehst du mit mir essen? Wir müssen über den letzten Akt reden. /D

Zweiundzwanzigster Januar

Agnes stocherte in ihrem Salat, und Gloria fand, dass ihre Schwester abgekämpft wirkte.

Gloria wusste selbst, dass sie eigentlich gesund genug war, um wieder zur Arbeit zu gehen, wenn am nächsten Tag das Ensemble zusammenkam, aber sie pfiff darauf. Noch war sie krankgeschrieben.

»Du siehst furchtbar aus.« Gloria schenkte Agnes Mineralwasser nach.

»Danke, gleichfalls.«

»Gut, dass du es ansprichst. Wir sollten in den Süden fahren.« Gloria hob ihr Glas. »Was hältst du von den Kanaren? Dort ist es um diese Jahreszeit perfekt.« Sie trank ein paar Schlucke und sah aus dem Fenster. Der Schnee auf dem Nytorg war unberührt. Der Januar war ein grauenhafter Monat, und wenn sie sich, wie dieses Jahr, noch nicht einmal auf etwas freuen konnte, war er kaum zu ertragen.

Wenn im April am Straßenrand der erste Huflattich blühte, lag sie vielleicht schon mit einem Nervenzusammenbruch in der Klinik.

»Du und ich?« Agnes machte ein fragendes Gesicht.

»Wäre das so seltsam?«

»Nun, wir haben seit Ibiza keine gemeinsame Reise gemacht, und das war … 1984, glaube ich. Nicht mal Mama und Papa haben wir zusammen besucht. Also ja, es wäre seltsam. Aber bestimmt nett. Du bist mir als amüsante Reisebegleitung im Gedächtnis geblieben.« Sie lächelte, aber ihr Lächeln erreichte ihre Augen nicht.

»Jetzt erzähl mal.« Gloria sah Agnes ernst an. »Es ist doch offensichtlich, dass es dir total beschissen geht. Liegt es an der Scheidung?«

»Ich nehme an, eine Kombination aus allem Möglichen.« Seufzend schüttelte Agnes den Kopf. »Nicht zuletzt habe ich das Gefühl, dass wir uns totarbeiten. Ich verstehe nicht, warum sie uns so viel fliegen lassen, und habe kein gutes Gefühl mehr dabei. Vielleicht bin ich zu alt dafür, jedenfalls bin ich immer müde. Manchmal landen wir nach Mitternacht und sollen am nächsten Tag um vier Uhr morgens wieder in Arlanda sein, das ist kaum zu schaffen.«

»Genau das sage ich ja. Wir sollten auf die Kanaren fliegen. Kein allzu langer Flug, keine Zeitumstellung, und dann müssen wir uns nur noch zwei Liegestühle schnappen, um wieder Energie zu tanken.«

»Was würde denn die Oper dazu sagen, wenn du dich jetzt beurlauben lässt?«

»Die würden durchdrehen, ich kann mir jetzt nicht freinehmen. Aber da ich erkältet bin, will mich dort im Moment sowieso niemand haben, was mir sehr gelegen kommt. Hab ich dir erzählt, dass Dominic hier ist?« Gloria sah Agnes in die Augen, und die zog die Brauen hoch.

»Hoppla. Ist er in Carmen dein Partner? Was ist das nach so vielen Jahren für ein Gefühl?«

»Ich will nicht in derselben Inszenierung singen wie er. Ich bereue, dass ich das Angebot angenommen habe. Du hast Carmen ja gesehen. Wir sitzen uns praktisch auf dem Schoß, zumindest in den ersten beiden Akten.« Sie blickte auf ihren Teller. Obwohl der Salat mit Hühnchen gut aussah, hatte sie nicht den geringsten Appetit. »Er hat mir Blumen geschickt.«

»Weiße Lilien.«

»Du erinnerst dich daran.«

»Ich weiß noch, dass du sie nicht mehr ertragen konntest, nachdem er dich verlassen hatte.«

»Ich habe ihn verlassen.«

»Warum eigentlich? Ihr wart doch verrückt nacheinander.«

»Ja, aber das ist vorbei.« Gloria nahm ihr Wasserglas und trank ein paar Schlucke, bevor sie es heftig auf den Tisch stellte. Das Gesprächsthema behagte ihr gar nicht.

»Unsinn.« Agnes steckte sich ein Stück Hähnchenbrust in den Mund. Mit den Fingern. Gloria lief ein Schauer über den Rücken. Ihre Schwester sollte wirklich mehr auf Hygiene achten. Genau so fing man sich Krankheiten ein.

»Jetzt bekommst du also Hunger«, sagte Gloria säuerlich. »Wie schön, dass meine friedliche und gründlich überlegte Trennung von Dominic diese Wirkung auf dich hat.«

»Es ist okay, traurig zu sein, wenn man auseinandergeht.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob du von dir oder mir sprichst, aber ich habe diesen Menschen seit zwanzig Jahren nicht gesehen. Du bist mittendrin. Deine eigene Traurigkeit erwähnst du mit keinem Wort.«

»Wir haben ja auch nicht abrupt eine leidenschaftliche Romanze beendet. Obwohl wir alles versucht haben, empfinden wir nichts als Freundschaft. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mit Stefan zu schlafen, und habe es auch seit drei Jahren nicht getan.«

»Hör auf. Im Ernst? Noch ein Grund, die Koffer zu packen und irgendwohin zu fahren, wo man leicht bekleidet rumlaufen kann. Du musst dich unbedingt mit einem feurigen Spanier amüsieren!«

»Ich dachte, du kennst mich besser. Du bist diejenige, die sich mit Männern amüsiert. Ich bin zu schüchtern, zu prüde und zu unerfahren. Und außerdem habe ich kein Interesse. Gelegenheitssex ist nichts für mich. Aber verlieben würde ich mich gern wieder.«

»Dann fahren wir eben nach Spanien, damit du dich verliebst. Ich kann dir bestimmt behilflich sein, weil ich so viel Übung darin habe, mich zu amüsieren. Ich weiß, wie das geht.« Sie warf Agnes einen wütenden Blick zu und griff zur Serviette, die sie sich auf den Schoß gelegt hatte.

»Es war überhaupt nicht böse gemeint, aber du hast einfach mehr Erfahrung und außerdem viel mehr Leichtigkeit im Umgang mit Sex. Du machst keine große Sache daraus und kannst ja sogar von deinen Erlebnissen berichten. Ich hatte zwei Männer in meinem ganzen Leben, wobei der erste mich während einer Schuldisco für die zehnten Klassen auf dem Rasen hinter der Turnhalle entjungfert hat. Sex wird überbewertet, wenn du mich fragst.«

Gloria tupfte sich die Lippen ab, obwohl sie keinen Bissen zu sich genommen hatte, und legte die Serviette auf den Tisch.

»Bist du fertig? Ich kenne ein Reisebüro ganz in der Nähe. Für dich wird es höchste Zeit, dich ein bisschen gehenzulassen.«

Derselbe Mann, der hinter dem Tresen gesessen hatte, als Gloria vor wenigen Tagen hereingekommen war, um sich aufzuwärmen, winkte nun freundlich, als die beiden Schwestern eintraten.

»Haben Sie es sich anders überlegt?«, fragte er.

»Vielleicht«, antwortete Gloria und ging zu der Infotafel mit den Last-Minute-Reisen. »Das Hotel kann man sich doch bestimmt aussuchen.« Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an.

»Selbstverständlich. Hier sind nur die günstigsten Preise aufgeführt. Wie möchten Sie denn gern untergebracht werden? Wenn Sie jetzt fahren, kann ich fast alles arrangieren. Wenn erst die Winterferien beginnen, wird es schwieriger, alle Wünsche zu erfüllen.«

Agnes zupfte Gloria am Arm. »Ich muss mal mit dir reden.« Sie zog ihre Schwester beiseite. »Wir können nicht einfach eine Reise buchen«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht mal, ob ich Urlaub bekomme.«

»Sei doch mal ein bisschen wild und crazy. Mach es wie ich, und lass dich krankschreiben. Du bist nicht gesund, jedenfalls nicht so ausgeruht, wie man es von einer Pilotin erwarten darf«, sagte Gloria. »Was ist das Schlimmste, was passieren kann?«

»Dass ich vom Lügen richtig krank werde.«

Gloria musste lachen. »Du kannst mir nichts vormachen, ich weiß, dass du nicht an übernatürliche Kräfte glaubst.«

Wenn Agnes nicht mitkam, würde sie allein fahren. Sie wollte weder die Oper noch ihre Kollegen in die Bredouille bringen, weil sie mit dem neuen Ensemble nicht zurechtkam, aber sie hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Entweder Flucht oder emotionale Kernschmelze.

»Ich will sowieso noch mal darüber nachdenken«, sagte Agnes.

»Dann fahre ich allein«, sagte Gloria. »Ich hatte noch nie ein so starkes Bedürfnis, Stockholm zu verlassen.«

»Könntest du nicht ein paar Tage warten, bis ich weiß, ob ich Freizeitausgleich geltend machen kann?«

Gloria schüttelte den Kopf. »Ich muss heute los, das spüre ich.«

»Warum so eilig?«

»Morgen gehen wir das gesamte Libretto durch, am Montag beginnen die Proben, aber ich will nicht dabei sein. Außerdem bin ich krankgeschrieben.«

»Aber du bist doch gar nicht mehr krank, und du willst doch länger wegbleiben, als deine Krankschreibung andauert. Weißt du wirklich, was du tust, Gloria?«

»Ich nehme mal an, dass ich gerade meinen Rausschmiss in die Wege leite.«

Sie wandte sich wieder an den Mann. »Ich möchte ein Zimmer mit Meerblick in Playa del Inglés, und Vollpension wäre wahrscheinlich gut. Ich möchte zwei Wochen weg, und ich möchte noch heute Abend los. Geht das?«

Als sie mit einer Packliste in der Hand auf dem Bett saß, musste sie lachen. Wenn sie schon Hals über Kopf das Land verließ, hätte man annehmen können, sie wäre auch sonst ein bisschen wild und crazy und würde einfach ein paar Klamotten in eine Reisetasche werfen, aber nichts da. Das Chaos auf ihrem Schreibtisch war ihr vollkommen egal, aber keinen Überblick über den Inhalt ihres Koffers zu haben kam nicht in Frage.

Also arbeitete sie einen Punkt nach dem anderen ab und legte alles, was sie mitnehmen wollte, aufs Bett. Strickjacken, Shorts und so weiter und dann ein Häkchen dahinter. Als Letztes packte sie die Liste mit Pass, Portemonnaie, Handy und Lese- und Sonnenbrille in ihre Handtasche.

Nachdem sie geduscht und sich die Beine rasiert hatte, warf sie einen Blick auf die Uhr. Ihr blieb noch eine halbe Stunde, bevor sie zum Auto gehen musste.

Eine dicke Jacke würde sie wohl nicht brauchen, dachte sie, als sie mit geputzten Zähnen und frisch getuschten Wimpern vor ihrer Garderobe stand. Stattdessen griff sie zu dem geschmeidigen Lederblouson, den sie seit Ende August nicht angehabt hatte. Sie hatte den perfekten Parkplatz direkt vorm Haus und zudem einen beheizten Garagenstellplatz zum Sonderpreis am Flughafen Arlanda gebucht, von dem man die Abflughalle erreichte, ohne noch einmal nach draußen zu müssen. Eine Übergangsjacke war also perfekt.

Obwohl es fast fünfzehn Grad minus waren, sprang der Ford Fiesta an, ohne zu murren, und als Gloria aus der Innenstadt hinausfuhr, ließ der Druck nach, den sie seit einiger Zeit auf der Brust verspürte. Auf der fünfzig Kilometer langen Fahrt zum Flughafen ertappte sie sich sogar dabei, dass sie die Musik auf P4 mitsummte. Es würde alles spitzenmäßig werden.

Beim Anblick der schneebedeckten Autos auf dem Langzeitparkplatz war sie froh, dass sie sich für die Tiefgarage entschieden hatte. Tausendfünfhundert Kronen für zwei Wochen waren zwar fünfhundert mehr, als ein Parkplatz unter freiem Himmel kostete, aber so musste sie wenigstens nicht befürchten, dass sie ihr Auto ausbuddeln musste, wenn sie zurückkam.

Falls sie zurückkam.

Vielleicht bekam sie ja einen Gig an der Playa del Sol und konnte bis in alle Ewigkeit in Playa del Inglés bleiben.

Das schlechte Gewissen, dieses lästige Ding!

Immer wieder schlug sie mit beiden Händen auf das Lenkrad.

Was soll denn das, du dumme pflichtbewusste Kuh? Jetzt mach schon, hau ab! Dies ist deine Chance, dir die Konfrontation mit dem Mann, der dir weh getan hat, zu ersparen! Beweg dich!

Es ging nicht. Sie konnte nicht aussteigen.

Sechstausendneunhundert Kronen und ihre Seelenruhe waren dahin.

Aus Pflichtgefühl.

Sollten nicht Lust und Leidenschaft die Triebkräfte ihrer Arbeit sein?

Es blieben noch einundfünfzig Tage bis zur Premiere, sie war nicht unersetzlich, die Solistinnen würden sich um diese Rolle prügeln. Also warum, wenn sie schon so nah dran war?

Warum?

Freitag, dreiundzwanzigster Januar

Mit einem beinahe feierlichen Gefühl betrat Dominic den Bühneneingang der Oper. Ab der kommenden Woche sollten die Proben in der großen Halle in Gäddviken in Nacka stattfinden, was neu für ihn war. Zu seiner Zeit hatten sie hier oder in der Rotunde über dem Opernkeller geprobt, und der einzige Grund, aus dem sie sich heute hier trafen, war der komplette Durchgang. Erst zwei Wochen vor der Premiere würden sie hierher zurückkehren.

Beim nächsten Mal würde er den Publikumseingang nehmen. Die Treppe hinaufschreiten. Durch das goldverzierte Foyer spazieren und den Büsten seiner Vorgänger huldigen. Vielleicht würde er damit auch warten, bis seine Mutter und er sich gemeinsam etwas anschauten. Das würde ihr gefallen.

Seine Mutter hatte ihn mit der klassischen Musik vertraut gemacht und ihn schon als Dreizehnjährigen mit hierhergenommen. Sie hatten Birgit Nilsson zusammen gesehen. In dem Alter in die Oper zu gehen war vielleicht nichts vollkommen Außergewöhnliches, aber die Wahl der Inszenierung erstaunte seine Umgebung. Sein Vater schüttelte nur den Kopf, als der Junge ausgerechnet La Nilsson hören wollte, aber Dominic lag seiner Mutter so lange in den Ohren, bis sie nachgab. Obwohl er kein Wort der dreistündigen Vorstellung in deutscher Sprache verstand, war er hingerissen.

Während seine Klassenkameraden Poster von Fußballern und Rockbands aufhängten, tapezierte er seine Zimmerwände mit Premierenplakaten der Stockholmer Oper. Eine gute Freundin seiner Mutter arbeitete dort als Regieassistentin und besorgte sie ihm.

Vor der Gesamtprobe hatte er noch Zeit, einen Kaffee im Futten zu trinken. Er war angespannt. Sie hatten sich seit zwanzig Jahren nicht gesehen, und er wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er Gloria wiedersah. Irgendwie hoffte er, er würde gar nichts empfinden, aber allein der Gedanke, sich mit ihr in einem Raum zu befinden, verriet ihm, dass es vermutlich nicht so wäre. Eher im Gegenteil.

Welche Gefühle hingegen Sebastian Bayard in ihm auslösen würde, wusste er ganz genau, denn als er ihn in der Tür stehen sah, hätte er ihm am liebsten eine reingehauen. Zwanzig Jahre hatten seinen Zorn offenbar kein bisschen gemildert.

Sebastian sah sich um. Tatsächlich, dahinten saß ganz allein der weltberühmte Tenor. Der piekfeine und überaus von sich selbst eingenommene Mann galt aus irgendwelchen Gründen als der Beste seines Fachs.

Dummes Zeug.

Sebastian hielt gar nichts von ihm.

Gegen seine Stimme war zwar nichts einzuwenden, aber alles andere an ihm war ein Ärgernis. Mit seinen breiten Schultern sah er aus wie ein Grubenarbeiter, und diesen aalglatten italienischen Look, dem gewisse Personen anscheinend verfallen waren, fand er geradezu geschmacklos. Ein uncharmanter Kerl im zu engen Hemd. Man sah, dass Dominic Krafttraining machte. In seinem Alter! War es nicht an der Zeit, etwas kürzerzutreten?

Er zog kurz in Erwägung, sich zu ihm zu setzen und ein wenig über ihren einzigen gemeinsamen Nenner zu plaudern, aber bei näherer Überlegung hielt er es für eine bessere Idee, ihn in Grund und Boden zu singen.

In sich hineinlächelnd, kaufte er sich eine Tasse Kaffee.

Er titulierte die Frau an der Kasse mit mademoiselle und zwinkerte ihr zu. Errötend nahm sie seinen Zwanziger entgegen. Er nutzte die Gelegenheit, mit dem Finger ihre Hand zu streifen, und sie ließ ihn gewähren, wagte aber nicht, ihm in die Augen zu sehen.

Du weißt, dass du das gewisse Etwas hast, du brauchst es dir nicht von unschuldigen jungen Schwedinnen bestätigen zu lassen, so reizvoll es dir auch erscheinen mag. Er zog seine Hand zurück und griff nach dem Kaffeebecher. »Merci.«

Er setzte sich an einen Tisch im hinteren Teil des Lokals. Soweit ihm bekannt war, wusste Gloria nicht, dass er auch engagiert worden war, dafür war alles zu schnell gegangen – er hatte sich, einen Tag nachdem er die Anfrage bekommen hatte, auf den Weg gemacht, und sie war seit einigen Tagen krankgeschrieben. Er fragte sich, wie sie reagieren würde.

Es war wichtig für ihn, dass sie sich darauf freute, wieder mit ihm zusammenzuarbeiten, aber da niemand sie erreichen konnte, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten.

Jeder wusste, dass man nach einer Halsentzündung nicht zu früh wieder mit dem Singen anfangen durfte, und wenn sie eine ganze Woche krankgeschrieben war, würde sie nicht vor der großen Besprechung am Montag erscheinen, an der alle Beteiligten teilnahmen. Heute waren nur die Sänger gekommen. Er kippelte mit dem Stuhl nach hinten, musterte grinsend Dominics Stiernacken und freute sich diebisch auf den Spaß, den er hier haben würde.

Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.