Wir sehen uns im Sommer - Åsa Hellberg - E-Book
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Wir sehen uns im Sommer E-Book

Åsa Hellberg

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Beschreibung

Sommerfreundinnen auf Weltreise Susanne, Maggan und Rebecka vermissen ihre Freundin Sonja schmerzlich, obwohl sie schon vor mehr als sieben Jahren gestorben ist. Doch Sonja hat ihnen etwas hinterlassen, das ihnen bei der Suche nach dem Glück auf die Sprünge helfen soll: In zehn Briefen erzählt sie von ihrer eigenen tragischen Liebesgeschichte, die sie vor ihren Freundinnen geheim gehalten hat. Außerdem bekommen die Drei von einem Anwalt die Aufgabe, Sonjas Asche an Orten zu verstreuen, die ihr etwas bedeutet haben. Die Reise führt sie von Schweden aus einmal um die ganze Welt. Die gemeinsame Zeit bringt sie einander wieder näher, und die drei Freundinnen beginnen, nicht nur Sonja, sondern auch ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu sehen.

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Die Autorin

Åsa Hellberg wurde 1962 in Fjällbacka geboren. Heute lebt sie mit Sohn, Katze und ihrem Lebensgefährten in Stockholm. Sie arbeitete unter anderem als Flugbegleiterin, Coach und Dozentin, bevor sie mit dem Schreiben begann. Mit ihren Bestseller-Romanen schrieb sie sich auf Anhieb in die Herzen der Leserinnen.

Von Åsa Hellberg sind in unserem Hause bereits erschienen:

SommerfreundinnenHerzensschwesternSommerreiseMittsommerleuchtenWir sehen uns im Sommer

Das Buch

Susanne, Maggan und Rebecka vermissen ihre Freundin Sonja schmerzlich, obwohl sie schon vor mehr als sieben Jahren gestorben ist. Doch Sonja hat ihnen etwas hinterlassen, das ihnen bei der Suche nach dem Glück auf die Sprünge helfen soll: In zehn Briefen erzählt sie von ihrer eigenen tragischen Liebesgeschichte, die sie vor ihren Freundinnen geheim gehalten hat. Außerdem bekommen die Drei von einem Anwalt die Aufgabe, Sonjas Asche an Orten zu verstreuen, die ihr etwas bedeutet haben. Die Reise führt sie von Schweden aus einmal um die ganze Welt. Die gemeinsame Zeit bringt sie einander wieder näher, und die drei Freundinnen beginnen, nicht nur Sonja, sondern auch ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu sehen.

Åsa Hellberg

Wir sehen uns im Sommer

Roman

Aus dem Schwedischen

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2018© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018© Åsa Hellberg 2017Titel der schwedischen Originalausgabe: Sonjas andra chans(Bokförlaget Forum 2017)Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © Annette Nordstrom/living4media (Stuhl, Ablage);© www.buerosued.de (Fliederbusch, Himmel, Gras, Korb)© Autorenfoto: Nils MoernerE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comISBN 978-3-8437-1773-1

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

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Epilog

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Für meine Großmutter Birgit, die ihre besten Freundinnen Tyra und Göta 1914 in einem Kinderheim in Köping kennenlernte.

Ihre Freundschaft hielt ein Leben lang.

1

Fünf Jahre später

Maggan versuchte den Fleck auf dem Küchentisch wegzureiben, doch es war unmöglich. Es schien, als hätte sich genau an dieser Stelle der Lack gelöst. Sie merkte, wie Zorn in ihr aufstieg. Er begann irgendwo im Bauch und strahlte langsam in ihre Arme und Hände aus, bis sie schließlich den Lappen auf den Tisch schleuderte. Von oben war ein Seufzen zu hören. Ein französisches, schweres, abgrundtiefes Seufzen. Sie nahm den Lappen wieder auf, ging zur Spüle und wusch ihn aus. Sie musste sich zusammennehmen. Paul wartete auf seinen Morgenkaffee und es wurde Zeit, das Tagwerk in Angriff zu nehmen.

Es war Dienstag. Und dienstags putzte Maggan immer. Sie begann mit der Küche, dann kam das Wohnzimmer und zum Schluss das Schlafzimmer. Das Spielzimmer der Enkel brauchte sie nicht aufzuräumen, sie würden erst nächste Woche wieder zu Besuch kommen. Mechanisch goss sie frisches Wasser in die Kaffeemaschine. Dienstag. Ein Tag wie jeder andere, dennoch hatte sie heute etwas Besonderes vor.

Jedes Mal, wenn sie Sonjas Urne zur Seite rückte, versetzte es ihr einen Stich. Unglaublich, dass sie es noch immer nicht geschafft hatten, den letzten Wunsch ihrer Freundin zu erfüllen. Susanne, Rebecka und sie hatten zwar bereits mehrfach versucht, sich auf den Weg zu machen, doch irgendetwas war immer dazwischengekommen. Zuletzt vor einem Jahr.

Maggan staubte das Regal im Wohnzimmer ab. Vielleicht hätten sie Sonjas Überreste lieber in deren eigener Wohnung lassen sollen, doch dort waren sie nur sehr selten. Und als Maggan nach dem Verkauf von Pauls und ihrem Pariser Restaurant nach Farsta zurückgezogen war, erschien es ihr nur natürlich, die Urne in ihr Reihenhaus mitzunehmen, damit Sonja nicht so alleine war.

Jetzt war Maggan sich nicht mehr sicher, ob das so eine gute Idee gewesen war. Schließlich war es ziemlich unfair, dass Susanne in ihrem Londoner Hotel herumspringen und ihre Gäste bedienen konnte und sich dabei keine Gedanken machen musste, dass Maggan durch die Anwesenheit der Urne ständig an ihr schlechtes Gewissen erinnert wurde. Und Rebecka, die Arme, war nicht mehr aus dem Bett aufgestanden, seit Adam vor acht Monaten gestorben war. Dass sie derzeit an niemand anderen denken konnte, war nur verständlich. Doch es waren Maggan und Paul, die mit der Asche leben mussten, die eigentlich schon vor langer Zeit hätte verstreut werden sollen.

Nachdem sie den Lappen wieder verstaut hatte, kehrte Maggan in die Küche zurück und kochte sich selbst einen frischen Kaffee. Obwohl sie Paul bereits eine Tasse gebracht hatte, war er immer noch nicht aufgestanden. Irgendetwas war nach ihrem Umzug nach Schweden mit ihm passiert. Er selbst behauptete, er fühle sich hier fremd, niemand würde ihn verstehen. Es war ihm nicht gelungen, Freunde zu finden, und die Kneipen, in denen er angefragt hatte, brauchten alle keinen neuen Küchenchef. Lediglich Jobs als Küchenhilfe waren ihm angeboten worden, was ihn zutiefst kränkte und nur noch mehr deprimierte.

Als Maggan damals nach Paris gegangen war, war sie vollkommen anders an die Sache herangegangen. Sie hatte Sprachkurse besucht, Käse gegessen und die Stadt genossen. Paul dagegen lief meist nur zu Hause herum und seufzte, was Maggan zutiefst bekümmerte. Vom Erdgeschoss konnte sie hören, wie er oben stöhnte, und sie fühlte sich hilflos, weil sie nicht wusste, wie sie ihm helfen sollte. Manchmal dachte sie, sie müssten vielleicht doch zurückziehen, aber da sie selbst Paris vier Jahre lang eine Chance gegeben hatte, konnte er das doch auch genauso lange mit Farsta tun. Oder?

Hier lebten ihre gemeinsame Tochter Anneli und ihre Enkelkinder. Als Anneli nach ihrer Scheidung von Åre nach Stockholm zurückgekehrt war, war es für Maggan nur selbstverständlich gewesen, nach Schweden zurückzuziehen. Alex wurde an Silvester dreizehn Jahre alt, die Zwillinge sollten im Herbst eingeschult werden, und da schien es ihr wichtiger denn je, in der Nähe ihrer Tochter zu sein.

Auch Paul liebte seine Enkelkinder abgöttisch. Wenn sie zu Besuch kamen, war er voller Energie, und Alex und er spielten hinter dem Haus Fußball, bis sie beide vollkommen erschöpft waren. Doch an den Tagen, an denen die Kinder bei ihrem Vater waren, versank Paul in Düsternis.

»Ich gehe einkaufen«, rief Maggan jetzt die Treppe hinauf. Dann verließ sie das Haus, ohne seine Antwort abzuwarten.

Susanne rief auf die Sekunde pünktlich an.

»Bist du rausgekommen?«, fragte sie.

»Ja, ich bin gleich in Farsta Centrum«, sagte Maggan und verlangsamte ihr Tempo. Sie würde sich auf die Bank dort drüben setzen, um zu telefonieren. »Wie läuft es in London?«

»Ach, wie immer. Wir sind ausgebucht. Ich arbeite zwölf Stunden am Tag, dann gehe ich nach Hause, esse irgendetwas, das ich mir aus dem Hotelrestaurant mitgenommen habe, und schlafe ein, bevor ich damit fertig bin. So sieht mein Leben aus, sieben Tage die Woche. Mir fehlt der Sex, und ich überlege gerade, wie ich wieder welchen haben könnte, ohne mich deshalb zu irgendetwas verpflichten zu müssen.«

Normalerweise konnten sie über fast alles reden, doch heute konnte Maggan ihr auch keinen Rat geben, schon gar nicht zu diesem Thema.

»Was sollen wir mit Rebecka machen?«, fragte sie stattdessen. »Ich musste heute schon wieder den ganzen Tag an sie denken.«

Die Freundinnen waren von Rebeckas Trauer ausgeschlossen. Die wenigen Male, die sie überhaupt ans Telefon ging, war sie kurz angebunden und einsilbig gewesen. Laut Rafaela, die in ihrem Haus auf Mallorca für sie arbeitete, lief es gerade gar nicht gut. Anscheinend vergrub sie sich von Tag zu Tag mehr in der Trauer um ihren Mann.

»Ich weiß, wir müssen dringend etwas unternehmen«, sagte Susanne. »Aber was? Wir können sie schließlich nicht dazu zwingen, das Haus zu verlassen. Wir sind bei ihr gewesen, und ich habe sie unzählige Male zu mir eingeladen, aber sie lehnt immer ab.«

»Am Telefon, ja. Aber was hältst du davon, noch einmal zu ihr zu fliegen?«, fragte Maggan.

Sie hörte, wie Susanne zögerte. Dann antwortete sie: »Das könnte funktionieren. Ich kann mir hier problemlos ein paar Tage freinehmen. Aber wie ist es mit dir? Kannst du von zu Hause weg?«

Es wäre so schön, mal eine Pause von Paul zu haben! Maggan liebte ihn über alles, machte es sich selbst jedoch unnötig schwer, indem sie sich pausenlos um ihn kümmerte. Dabei wäre es für ihn wahrscheinlich sogar besser, wenn er aufstehen und sich seinen Kaffee selber holen müsste oder zur Abwechslung einmal ihr einen machen würde … Doch so einfach war das eben nicht. Sie behandelte ihn wie ein Kind. Maggan seufzte. Wenn man es genau betrachtete, lag Paris nur zwei Stunden entfernt. Er konnte jederzeit dorthin fahren, wenn er so großes Heimweh hatte. Oder Schwedisch lernen, irgendeinen Job annehmen. Doch nichts davon tat er, weil seine Frau sich um alles kümmerte. Er brauchte keinen Finger zu rühren.

»Du kannst dir nicht zufällig länger freinehmen?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Was meinst du damit?«

»Sonjas Asche.«

»Oje, die hatte ich völlig verdrängt. Es ist ein Jahr her, seit wir es zuletzt versucht haben. Es scheint einfach nicht klappen zu wollen. Können wir den Rest nicht auch einfach in einem Friedwald verstreuen?«

Maggan schnappte nach Luft. »Susanne!«

»Ja, entschuldige. Aber jetzt sind schon so viele Jahre vergangen, ohne dass es uns gelungen wäre, mit dem Wenigen, das noch da ist, etwas anzufangen. Steht die Urne immer noch in deinem Bücherregal?«

»Ja, das tut sie, und es ist eine Schande, dass wir ihrem letzten Willen noch nicht nachgekommen sind, nach allem, was sie für uns getan hat.«

Susanne schwieg eine Weile.

»Verdammt«, sagte sie dann, »jetzt schäme ich mich wirklich. Du hast natürlich recht. Wenn du die Anwaltskanzlei bittest, einen neuen Reiseplan für uns zu machen, bin ich dabei. Wie viel Zeit benötigen wir denn insgesamt für die Reise? Sechs Wochen?«

Maggan nickte. »Ungefähr.«

»Am Stück?«

»Ich glaube, das können wir selbst entscheiden.«

»Weißt du, was das Schlimmste ist? Ich glaube, das Hotel kommt ausgezeichnet ohne mich klar. Meine Leute sind großartig. Ich wäre ja gern unentbehrlich, aber das bin ich nicht.« Susanne lachte. »Und was ist mit Paul, kommt er klar? Du kannst ihn ja keinen Tag alleine lassen, ohne dass er sich beschwert. Ich weiß noch, was er für ein Theater gemacht hat, als wir uns letztes Jahr auf den Weg machen wollten.«

»Er kann nach Paris fahren oder Michael in London besuchen. Es wird bestimmt nicht leicht für ihn, aber ich brauche das, Susanne. Ich muss mich endlich mal wieder eine Weile frei fühlen.«

Es war mittlerweile kein ungewohntes Gefühl mehr, doch sie hätte nicht gedacht, dass sie es jemals laut sagen würde. Aber mit sechzig hatte man ja wohl das Recht, ein bisschen mehr an sich selbst zu denken?

Sonja hatte Maggan gut gekannt, und als sie ihre Freundin vor sieben Jahren mittels ihres Testaments nach Paris geschickt hatte, war ihr vor allem daran gelegen, dass Maggan sich als freie, reife Frau fühlen sollte, die sich um sich selbst und ihre eigenen Interessen kümmerte. Und genau das hatte Maggan getan. Sie war aufgeblüht in Paris. War mutiger geworden. Und hatte schließlich sogar ein Buch über Sonja geschrieben, das zwar kein Bestseller geworden war, doch bei vielen Lesern für Begeisterung gesorgt und sich immerhin so gut verkauft hatte, dass der Verlag damit zufrieden gewesen war. Es war sogar auf Französisch erschienen, weil Maggan die beliebtesten Rezepte aus Sonjas Restaurant eingefügt hatte.

Als sie und Paul dann aber in das Reihenhaus in Farsta zurückgezogen waren, in dem Maggan ihr ganzes Leben verbracht hatte, war sie wieder in ihre alte Rolle zurückgefallen, obwohl sie nie mit ihm zusammen dort gewohnt hatte. Sie trug die schicken Kleider nicht mehr, auf die sie in Paris so stolz gewesen war. Die Krücke, die sie bereits früher wegen ihres kaputten Beins hatte benutzen müssen, kehrte zurück und sie buk wieder ihre Zimtschnecken, die sie später heimlich aß. Ihr Verlag wollte, dass sie weitere Bücher schrieb, doch sie hatte ihr Selbstvertrauen anscheinend in Paris zurückgelassen.

Wenn sie ehrlich war, ging es nicht nur Paul schlecht. Sie selbst war nur viel besser darin, es zu verbergen.

»Okay, dann machen wir es doch so«, sagte Susanne, die es gewohnt war, das Kommando zu übernehmen. »Du sprichst mit der Kanzlei und sagst, wir müssten von Mallorca aus starten, weil wir Rebecka wahrscheinlich gewaltsam entführen müssen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass sie freiwillig mitkommt. Sie hat Angestellte, die sich um das Haus kümmern, und wird dort im Grunde ebenso wenig gebraucht wie ich in meinem Hotel. Was ist deiner Meinung nach realistisch? Wollen wir in zwei Wochen starten?«

Maggan wurde schwindlig. Vor einem Jahr waren sie nicht losgekommen. Doch diesmal würde es ihnen hoffentlich gelingen.

Sie selbst, Susanne und Rebecka. Nur sie drei. Und Sonja natürlich, in ihrer Urne.

2

Auf dem Weg zu dem Hotel, das sie geerbt und anschließend nach Sonja benannt hatte, musste Susanne daran denken, dass schon wieder beinahe ein Jahr vergangen war. Fast auf den Tag genau. Michaels Augen hatten wütend geblitzt, doch das war ihr schnuppe gewesen. Sie hatten schon so viele Male über genau diesen Punkt gestritten.

»Weißt du was, Susanne, du bist der sturste Mensch, mit dem ich je klarkommen musste.«

»Musste? Bitte sehr, da ist die Tür!«, hatte sie gefaucht. Das Reihenhaus gehörte ihr, sie hatte es ebenfalls von Sonja geerbt. Er konnte jederzeit zu sich nach Hampstead fahren, wenn es ihm nicht passte. Oder in seine Suite im Hyatt. »Aber zieh dich an, bevor du gehst. Mit einem Handtuch um die Hüfte durch Notting Hill zu laufen, sähe lächerlich aus.«

»Wir sind seit sechs Jahren zusammen, und du weigerst dich immer noch, auch nur einen der Ringe zu tragen, die ich dir geschenkt habe. Warum, Susanne? Ich verstehe es einfach nicht!«

Die Zornesader auf seiner Stirn trat deutlich hervor, wie immer, wenn sie wegen Susannes Unwillen stritten, den nächsten Schritt in ihrer Beziehung zu wagen. Dabei handelte es sich in Michaels Augen nur um eine Verlobung, die nicht zwangsläufig in einer Hochzeit münden musste. Susanne sollte den Ring lediglich als Symbol für ihre Liebe tragen. Und er wünschte sich, dass sie mit ihm zusammenlebte und nicht darauf bestand, dass jeder seine eigene Wohnung hatte.

»Weil ich dir nicht auf diese Weise gehören will. Ich werde wahrscheinlich für den Rest meines Lebens mit dir zusammen sein wollen, aber ich brauche Luft. Ich möchte nicht dein Eigentum sein, dein Vorzeigeobjekt. Du willst mich markieren, und ich will nicht markiert werden.«

Er trat näher und packte ihren Arm. »Du wirst wahrscheinlich mit mir zusammenbleiben wollen?«

Sein Blick war unerwartet finster, doch ein Schauer des Wohlbehagens durchfuhr sie, als er ihn über ihren Körper gleiten ließ.

»Ja. Wie sollen du oder ich wissen, was in Zukunft passiert? Guck dir doch an, wie es Sonja ergangen ist. Und ich selbst habe Brustkrebs gehabt. Vielleicht kehrt der noch mal zurück.«

»Wahrscheinlich?«, wiederholte er und ließ ihren Arm wieder los, weil ihm das Handtuch von der Hüfte rutschte.

Sie schmunzelte. Er hatte einen gewaltigen Ständer, der unter dem Handtuch hervorlugte. Das hier war das perfekte Vorspiel für die beiden. Ein Quickie jetzt sofort, und sie war bereit für einen langen Arbeitstag im Hotel. Sie öffnete den Gürtel und ließ den Bademantel fallen.

»Ich werd’s dir zeigen, wahrscheinlich«, knurrte er und zog sie mit sich auf den Boden.

Ein paar Tage später kam er in ihr Büro und baute sich breitbeinig mit überkreuzten Armen vor ihr auf.

»Einmal um die Welt?«

Ganz langsam nahm sie die Brille ab und legte sie auf den Schreibtisch neben den Ordner mit dem Budget, das sie gerade durchging.

»Du hast mit Paul telefoniert?«, fragte sie ruhig.

»Ja. Und ich musste zugeben, dass die Frau, mit der ich seit sechs Jahren zusammen bin, mir gegenüber keinen Mucks darüber gesagt hat.«

»Ich habe es vergessen. Wir haben uns gestritten, und dann ist es irgendwie untergegangen. Es ist noch so frisch, dass ich einfach nicht dazu gekommen bin.« Sie legte den Ordner in die Schreibtischschublade, das musste warten.

»Laut Paul ist es aber schon seit einem Monat beschlossen, und ihr fliegt bereits in zwei Wochen. Ich nehme an, alle deine Mitarbeiter wissen längst Bescheid?«

Susanne erinnerte sich, wie sie ihm in die Augen geschaut hatte. Er hatte bekümmert ausgesehen. Und wütend. Diese Kombination hatte seinen sonst so warmen Blick ungewöhnlich finster wirken lassen.

»Es tut mir leid, Michael, ich hätte es dir sagen sollen.«

Sie meinte es aufrichtig. Es war niemals ihre Absicht gewesen, etwas hinter seinem Rücken zu entscheiden.

Er beugte sich über den Schreibtisch. So nahe, dass sie sein Rasierwasser riechen konnte. »Vertraust du mir nicht? Ist es das, worum es geht? Deine Weigerung, dich zu binden, und dass du mir nichts von einer sechswöchigen Reise erzählst, die du mit Freundinnen unternehmen willst, die ich selbst seit vielen Jahren kenne? Ich war ebenfalls mit Sonja befreundet, hast du das vergessen? Ich habe sie sogar noch vor dir gekannt! Ihr haben wir es zu verdanken, dass wir uns kennengelernt haben. Glaubst du, ich hätte mich ihrem letzten Willen widersetzt, glaubst du das wirklich? Ich wusste doch von ihrem letzten Brief, seit ihr ihn bekommen habt. Deshalb verstehe ich es einfach nicht! Vielleicht überlegst du dir in diesen sechs Wochen mal, was du eigentlich willst. Diese Art von Beziehung will ich nämlich nicht mehr führen. Es wird Zeit, dass du dich entscheidest.«

Nur wenige Stunden nach Michaels Ultimatum hatte sie beschlossen, die Beziehung zu beenden. Sie tat ihm nur weh, weil sie nicht den nächsten Schritt gehen wollte.

Das war nun genau ein Jahr und zwei Tage her.

Eine Woche später hatten Adam und Rebecka die Diagnose über seine Krebserkrankung bekommen, und das hatte natürlich alle Reisepläne wieder über den Haufen geworfen.

Susanne öffnete die Eingangstür und ging zu ihrem Büro. Diskret winkte sie der vollauf beschäftigten Rezeptionistin, zwinkerte dem Frühstückspersonal zu und begrüßte fröhlich das Küchenteam. In ihrem Büro angekommen, wünschte sie Vera, die sich um die Verwaltung kümmerte, einen guten Morgen und ließ sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand, die sie sich noch im Vorbeigehen organisiert hatte, auf den Bürostuhl ihr gegenüber sinken. »Ist alles okay?«

Vera war neunundsiebzig Jahre alt und in Topform. Sie war eine der vielen Senioren, die Susanne im Laufe der letzten Jahre eingestellt hatte. In der Spülküche arbeitete Otto, neunzig Jahre alt, und unter ihren Zimmermädchen hatte sie zwei Sechsundsiebzigjährige, ein Zwillingspärchen, das sein Leben lang stets Seite an Seite gearbeitet hatte. Zwei Männer, die nicht viel redeten, aber sehr gute Arbeit leisteten. Susanne hatte festgestellt, dass es viele Vorteile hatte, Personal verschiedensten Alters zu haben und jedem die Arbeit zuzuteilen, die ihm lag. Bei ihr gab es Männer, die Toiletten putzten, und Frauen, die Glühbirnen wechselten. Sie teilten sich die Arbeit, und Susanne glaubte, dass das mit dazu beitrug, dass so viele unterschiedliche Gäste von ihrem Hotel angezogen wurden. Sowohl Geschäftsfrauen als auch Männer, die die Oper besuchen wollten, übernachteten gern im Sonjas.

»Ja, ja, alles gut«, sagte Vera. »Ich bin schon seit halb sieben hier. Mir fällt es immer schwerer, morgens lange zu schlafen. Aber du hast anscheinend Spaß gehabt«, ihre Augen leuchteten erwartungsvoll, »deine Wangen sind ganz rosig.«

»Leider nein, es muss daran liegen, dass ich zu Fuß gekommen bin.« Susanne wusste genau, worauf Vera abzielte. Schließlich hatte sie unzählige Male gesagt, Susanne und Michael gehörten zusammen und es wäre bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder zueinanderfänden.

Und natürlich kam es immer noch vor, dass Susanne sich fragte, was eigentlich so schlimm daran wäre, sich an Michael zu binden. Er liebte sie und hatte es ihr auf jede erdenkliche Weise gezeigt. Und sie küsste den Boden, auf dem er ging, auch wenn sie nicht dasselbe Verlangen nach Nähe hatte wie er. Sie hatte versucht, ihm zu erklären, wie viel Energie sie daraus zog, auch mal für sich zu sein, doch da er selbst das genaue Gegenteil war, fiel es ihm schwer zu verstehen, dass es nichts mit ihm persönlich zu tun hatte.

Manchmal überlegte sie, ob sie nicht auch lernen könnte, aus etwas anderem Kraft zu ziehen als aus dem Alleinsein. Anderen gelang es schließlich auch. Vielleicht war es ja auch gar nicht so anstrengend, mit jemandem zusammenzuwohnen.

»Michael ist ein wahnsinnig gut aussehender Mann. Mir dürfte er so viele Diamanten schenken, wie er wollte«, sagte Vera träumerisch.

»Denkst du schon wieder an Verlobungsringe?« Susanne lächelte. Nur wenige verstanden sie, und es war nicht leicht, es einer so romantisch veranlagten Dame wie Vera zu erklären.

Sie nahm sich vor, rasch das Thema zu wechseln, und setzte demonstrativ ihre Lesebrille auf. Dann schaltete sie den Rechner ein. »Wie sieht es denn hier aus, gibt es irgendetwas, das ich direkt in Angriff nehmen müsste?«

Während der Computer hochfuhr, lehnte Susanne sich zurück. Auch wenn sie sich dagegen wehrte, war es doch, als würden die erneuten Reisepläne ihre Gedanken wieder zum vergangenen Jahr zurückführen.

Nachdem Schluss war, hatten Michael und sie sich erst auf Adams Beerdigung vier Monate später wiedergesehen. Das Herz war ihr beinahe zersprungen, als sie ihn erblickte. Er stand ein paar Meter von ihr entfernt neben Paul und sie musste sich zusammenreißen, um nicht zu ihm zu treten und ihren Kopf an seine Schulter zu legen. Er nickte ihr kurz zu und sah ebenso bewegt aus wie alle anderen, die sich versammelt hatten, um von Adam Abschied zu nehmen.

Bleischwer lag die Trauer über dem schönen Garten. Susanne und Maggan standen an Rebeckas Seite und hielten sie fest, während der Priester der Schwedischen Kirche über Adam sprach. Rebecka war kaum wiederzuerkennen. Ihr ganzes Leben lag in Scherben.

Nach der Zeremonie waren sie zum Mittagessen ins Haus eingeladen. Am Buffet trat Michael langsam auf Susanne zu. Einen Schritt weiter, und sie hätte angefangen zu weinen.

»Wie geht es dir?«

Ihre Blicke begegneten sich.

Susanne versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten. »Jetzt gerade bin ich einfach nur traurig und weiß nicht, wie ich Rebecka helfen soll«, sagte sie leise und blinzelte eine Träne weg.

»Verstehe.« Er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen, küsste sie behutsam. »Susanne, ich …«

»Sch«, sagte sie und blickte ihm in die Augen. »Sag jetzt nichts mehr, sonst kann ich mich nicht mehr beherrschen.«

»Ich kann ohne dich nicht leben«, murmelte er. »Ich weiß einfach nicht, wie das geht.«

Sein Atem war heiß, und obwohl er nur ihre Hand berührte, reagierte sie mit dem ganzen Körper. Jede einzelne Zelle hatte seine Berührung vermisst. Alles öffnete sich ihm.

»Bitte, Michael«, flüsterte sie und kämpfte gegen den Wunsch an, sich von ihm trösten zu lassen. Ein einziges Wort noch, und sie …

Er ließ ihre Hand los. »Entschuldige. Wahrscheinlich bin ich heute besonders sensibel.«

Während des Essens wandte er sich ausschließlich dem Gast auf seiner anderen Seite zu, doch dann wurde es Abend. Nachdem sie Rebecka ins Bett begleitet hatten, gingen Susanne und Michael zusammen zu den Gästezimmern. Seines lag direkt gegenüber von ihrem.

Sie blieben davor stehen und sahen sich lange schweigend an, bis sie die Hand ausstreckte. Sie konnte nicht anders.

»Nur heute Nacht, Michael. Halte mich bitte, nur heute Nacht.«

3

Maggan und Susanne landeten im Abstand von nur einer Stunde in Palma und fielen sich in der Ankunftshalle weinend in die Arme. Freudentränen, dachte Maggan, doch in ihrem Fall waren es auch Tränen der Erleichterung.

»Wie geht es dir?«, schluchzte Susanne.

»Danke, gut, und dir?«, schniefte Maggan. Dann fügte sie flüsternd hinzu: »Die erste Hürde ist geschafft.«

»Welche?«, fragte Susanne und trocknete sich die Augen.

»Sonja aus Schweden herauszubekommen. Sie liegt verteilt auf drei Puderdosen in meinem Koffer.« Maggan zog ein Taschentuch aus der Packung, die Susanne ihr hinhielt.

»Gut gemacht«, sagte Susanne. »Ab jetzt ist jede von uns für ein Drittel von ihr verantwortlich.«

Endlich konnte Maggan sich wieder entspannen. Sie hatte solche Angst gehabt, jemand könnte nach den Dosen fragen, doch ihr Gepäck war ohne Probleme durchgekommen, keiner der Zollbeamten hatte reagiert.

»Dann lass uns mal ein Taxi suchen. Weißt du, ob Rebecka zu Hause ist?«, fragte Maggan.

»Ja, ich habe gleich nach der Landung mit Rafaela gesimst. Rebecka sitzt im Garten.«

Die Taxis standen vor der Ankunftshalle Schlange, und so dauerte es nicht lange, bis sie in einem klimatisierten Wagen auf dem Weg zu Rebeckas Haus in Puerto Andratx waren. Sie redeten über dies und das, so dass Maggan nicht mehr an Paul denken musste, der bei ihrem Abschied am Flughafen in Arlanda geweint hatte. Sie machte sich Sorgen um ihn, vielleicht sogar mehr, als sie zugeben wollte. Er war so empfindlich. Wenn nun etwas passierte, während sie weg war … Sie würde es sich nie verzeihen.

»Wir werden das doch hinkriegen?«, fragte sie und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was vor ihnen lag. Schließlich könnte es sein, dass Rebecka sich weigern würde, mitzukommen. Dann müssten sie womöglich einfach auf Mallorca bleiben: Die grandiose Aussicht von Rebeckas Haus und Garten aus genießen, im Pool baden und reden, wie nur drei beste Freundinnen es können. Die Frage war allerdings, ob es Rebecka überhaupt guttat, in diesem Haus zu bleiben, das ihr und Adams Zuhause gewesen war. So viele glückliche Erinnerungen waren damit verbunden, doch während Adams dramatischem Krankheitsverlauf war es eben auch zu einer Krankenstation geworden. Bereits zwei Tage nach seinem Tod wurde er beerdigt, und anschließend war Rebeckas Lebenswille verschwunden.

Acht Monate war das jetzt her. In der Zwischenzeit waren Maggan und Susanne viermal auf Mallorca gewesen, und auch wenn Rebecka jedes Mal so tat, als würde sie sich freuen, war sie doch stets abwesend gewesen. Ihre Augen wirkten leblos, auch wenn der Mund lächelte.

Rebeckas Haus war groß, es gab genügend Platz für zahlreiche Gäste, und Adam und Rebecka hatten früher Alleinerziehende mit ihren Kindern in den beiden Flügeln wohnen lassen. Der Verein Alleinstehende Eltern hatte sich darum gekümmert, dass sie nach Mallorca fliegen und dort eine Woche lang baden und in der Sonne liegen konnten. Es war ein Herzensprojekt der beiden gewesen, doch als Adam Ende Juli von seiner Krankheit erfuhr, hatten sie für den Rest der Saison alles abgesagt. Sowohl er als auch Rebecka waren gerne von Kindern umgeben, doch während seiner Behandlung brauchte Adam Ruhe. Zu Beginn hatte es noch ein wenig Hoffnung gegeben, doch die verging, als sich herausstellte, dass sich die Metastasen bereits in seinem ganzen Körper ausgebreitet hatten. Nur drei Monate nach der Krebsdiagnose war er gestorben – Rebeckas große Liebe, die sie erst mit fünfundfünfzig kennengelernt hatte.

Es ist so ungerecht, dachte Maggan, als sie in das kleine Dorf hineinfuhren und dann die gewundene Straße zum Haus hinauf. Denn Rebecka hatte bereits ihr Päckchen zu tragen gehabt. Das große Erbe, das Geld, das Haus und alles andere, was Sonja ihren drei Freundinnen hinterlassen hatte, konnte sie nicht darüber hinwegtrösten.

Ohne Adam stand Rebecka quasi vor dem Nichts.

Als das Taxi hielt, wartete Rafaela bereits in der Tür.

»Sie sitzt hinten in der Laube«, sagte sie leise. »Wollt ihr gleich zu ihr? Ich kümmere mich um euer Gepäck und bringe es in eure Zimmer.«

Vom Eingang aus blickte man durch das Wohnzimmer direkt auf den prunkvollen Garten, der Rebeckas ganzer Stolz war. Ganz hinten stand die Laube, in der die drei Freundinnen so oft zusammengesessen hatten. Oft unter lautem Gelächter. Obwohl Sonja, die Vierte im Quartett, nicht mehr dabei gewesen war, hatten sie sich vom Glück gesegnet gefühlt. Es hatte den Anschein gehabt, als wären sie immun gegen jeden neuen Kummer. Alles hatte sich für sie zum Guten gewendet, und sie alle hatten die Möglichkeit bekommen, ihre Träume zu verwirklichen.

Maggan ließ den Blick über das Haus gleiten, in dem die Liebe zwischen Rebecka und Adam gewachsen war, während er ihr beim Ausbau behilflich gewesen war. In den Wänden steckten so viele schöne Erinnerungen. Doch zugleich war dieses Haus eine permanente Erinnerung an die Trauer, und es war schwer nachzuvollziehen, wie Rebecka es eigentlich empfand. War es gut oder schlecht für sie, hier weiterhin zu wohnen?

Susanne nahm Maggan bei der Hand.

»Komm. Wir müssen.«

Rebecka saß in einem Liegestuhl. Der große weiße Hut hing ihr bis auf die Schultern herab. Sie saß zurückgelehnt, den Blick auf das Meer gerichtet. Ihre Strickjacke und die Jeans konnten nicht verbergen, wie dünn sie geworden war.

Sie musste sie aus dem Augenwinkel gesehen haben, denn sie stand auf, als sie näher kamen. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und ging ihnen entgegen.

»Ihr albernen Gänse, was macht ihr denn hier?«, fragte sie leise.

»Wir kommen mit Liebe, Essen und Abenteuern«, antwortete Susanne und umarmte sie.

»Genau das hat mir gefehlt«, sagte Rebecka und deutete auf die Laube. »Kommt, setzt euch.«

Hätten die Freundinnen sie vor anderthalb Jahren überrascht, hätte sie laut aufgeschrien und wäre vor Freude umhergetanzt wie ein Kind. Maggan fragte sich, ob unter der trauernden Oberfläche überhaupt noch etwas von der alten Rebecka übrig war.

»Wollt ihr etwas trinken?«, rief Rafaela von der Terrasse herüber.

»Ja, gerne. Saft«, antwortete Rebecka.

»Saft?«, fragte Susanne ungläubig und zog einen Stuhl aus dem Schatten, um in der Sonne zu sitzen. »Aber wir trinken doch immer Champagner, wenn wir uns sehen?«

Rebecka hob eine Augenbraue und Maggan warf Susanne einen wütenden Blick zu. Das war doch vollkommen überflüssig, dachte sie.

»Ja, ja, ich weiß genau, was ihr denkt. Aber wisst ihr was? Adam war mein Freund. Und ich weiß, dass er es sehr merkwürdig gefunden hätte, wenn wir drei bei einem Wiedersehen nach so langer Zeit plötzlich Saft statt Champagner getrunken hätten. Er hätte sich ernsthaft gefragt, warum wir nicht das Leben feiern, solange wir die Möglichkeit dazu haben.« Susanne stellte die Lehne nach hinten und wandte ihr Gesicht der Sonne zu. »Aber Saft geht natürlich auch«, sagte sie trocken.

Maggan war wie erstarrt. Vielleicht hätten sie besser vorher besprochen, welche Strategie sie Rebecka gegenüber anwenden sollten. Sie selbst war davon ausgegangen, dass sie es behutsam angehen würden. Wie sollten sie sie sonst dazu bringen, mit auf die Reise zu kommen? Susanne war schon immer ein Bulldozer gewesen, doch jetzt passte das wirklich nicht. Ihre Freundin brauchte Fürsorge und Mitleid, keinen Tritt in den Hintern.

Rebecka setzte sich die Sonnenbrille auf. »Du kannst gerne Alkohol trinken, Susanne, wenn du das brauchst.« Nur wer sie gut kannte, konnte ihre Verärgerung heraushören. »Ich habe nur gesagt, worauf ich selber Lust habe, mittags um …«, sie sah auf ihre Armbanduhr, »… halb eins.«

Susanne winkte ab. »Saft ist okay. Danke.«

»Was macht ihr eigentlich hier? Hat Rafaela euch hergebeten?«

Maggan blickte Susanne flehend an. Sie wollte ihr ein Zeichen geben, doch bitte nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Doch genauso gut hätte sie versuchen können, ein durchgehendes Pferd zu stoppen.

»Wir holen dich zu der Weltreise ab, die wir vor Adams Krankheit geplant hatten. Es wird höchste Zeit, dass wir Sonjas letztem Wunsch nachkommen und ihre Asche verstreuen.«

Sie lächelte breit, als würde sie begeisterte Zustimmung erwarten.

Doch Rebecka war überhaupt nicht angetan.

»Kommt gar nicht in Frage«, sagte sie und wandte sich Rafaela zu, die mit einem Tablett herankam. »Wusstest du davon?«

»Wovon?«, fragte Rafaela und wurde so rot, dass sie gar nichts weiter zu sagen brauchte.

Rebecka seufzte. »Was wollt ihr von mir? Es geht mir, wie es mir eben geht, und es wird nicht besser werden, nur weil ich mit euch verreise.«

»Kann sein, trotzdem wollen wir gern mit dir zusammen sein«, sagte Susanne. »Stimmt’s, Maggan?«

Maggan nickte. »Ja, natürlich.«

Sie war überzeugt, dass sie das Rennen verloren hatten. Das hier konnte gar nicht gut gehen. Susannes Taktik hatte Rebecka nur noch weiter in ihr Schneckenhaus getrieben.

»Tatsache ist, dass es Sonjas Wunsch war und wir es schon viel zu oft aufgeschoben haben. Erinnere dich, was sie geschrieben hat. ›Denkt daran, dass Freundschaft das Allerwichtigste ist. Nicht zuletzt, wenn Ihr Krisen durchstehen müsst, denen niemand entgeht, bloß weil er Geld auf dem Konto hat.‹«

»So stand das da gar nicht«, schnaubte Rebecka, »das denkst du dir nur aus.«

»Kann sein, aber ungefähr so. Unsere Freundschaft ist das Wichtigste, für mich zumindest«, sagte Susanne und sah Rebecka herausfordernd an.

»Bloß weil du zu dumm bist, um schätzen zu können, was du an Michael hast? Ich brauche dich wohl nicht daran zu erinnern, dass es eines schönen Tages zu spät sein könnte, wenn du ihn wiederhaben willst?« Rebecka starrte aufgebracht zurück.

Maggan hätte sich am liebsten unter den Tisch verkrochen. Jetzt war Rebecka wütend. So hatte Maggan sich das nicht vorgestellt, als sie die Reise vorgeschlagen hatte. Jetzt konnten sie genauso gut kehrtmachen und mit ihren Puderdosen wieder nach Hause fahren.

4

Normalerweise schlichen die Leute auf Zehenspitzen um sie herum, fragten vorsichtig, wie es ihr ging, und wenn die Antwort »beschissen« war, zogen sie sich zurück und ließen sie wieder in Ruhe. Sie hatte beinahe vergessen, wie penetrant Susanne sein konnte. Jetzt hatte sie also beschlossen, sie aus ihrem Loch zu locken, und nichts würde sie dabei aufhalten.

Nun, dazu gehörten immer noch zwei.

Rebecka ließ den Blick über ihren Garten wandern. Als sie zum ersten Mal hierhergekommen war, nachdem sie das Grundstück und das noch nicht fertige Haus von Sonja geerbt hatte, war es so ein Glücksgefühl für sie gewesen, einfach nur dazustehen und über das Meer zu blicken. Nach vielen schwierigen Jahren, in denen sie versucht hatte, über ihre missglückte erste Ehe hinwegzukommen, hatte das Leben endlich ein wenig schöner ausgesehen. In diesem Augenblick, vor beinahe sieben Jahren, hatte sie das Gefühl gehabt, auf einmal alles zu haben, was sie brauchte. Und dann war auch noch der Architekt Adam in ihr Leben getreten und hatte ihm damit noch einmal eine neue Wendung gegeben.

Die Jahre nach Sonjas Tod waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen, genau wie Sonja es sich wahrscheinlich erhofft hatte, als sie ihren drei besten Freundinnen ihr komplettes Vermögen vererbt hatte. Sie wollte ihr Leben verändern, und das war ihr in jeder Hinsicht gelungen. Rebecka war unendlich dankbar für ihre Großzügigkeit, doch es gab Momente, in denen ihr der Verlust von Adam so wehtat, dass sie sich beinahe wünschte, ihn niemals kennengelernt zu haben.

»Dann findest du also, ich habe genug getrauert?«, fragte Rebecka und drehte ihren Kopf zu Susanne. »Wie kannst du dir anmaßen, darüber zu entscheiden?«

»Habe ich irgendetwas davon gesagt?«, fragte Susanne und klappte die Lehne wieder hoch. »Ich verstehe nur nicht, warum deine Trauer dich hier ans Haus fesseln muss. Nimm sie doch einfach mit. Du kannst doch genauso gut auf einer Reise trauern wie hier? Oder hast du Angst, du könntest aus Versehen lachen, wenn du von hier wegkommst? Oder ein Fünkchen Lebensfreude empfinden, obwohl Adam nicht mehr da ist? Wovor hast du eigentlich Angst, Rebecka?«

Angst? Sie hatte doch keine Angst! Das war ja wohl das Absurdeste, was sie seit Langem gehört hatte! Sie war verzweifelt, begriffen sie das denn nicht? Das Haus war ihr und Adams Zuhause gewesen, ein Paradies, das sie zusammen geschaffen hatten. Sie würde hier nicht weggehen, denn das hieße zugleich, Adam allein zu lassen.

»Er kommt nicht wieder zurück, Rebecka. Er ist fort. Er ist nicht mehr hier, er lebt in dir, und wo immer du hingehst, nimmst du ihn mit. Ich glaube, er fände es sogar ganz gut, mal eine Weile von hier wegzukommen«, sagte Susanne, als könnte sie ihre Gedanken lesen.

Rebecka spürte, wie die Wut sich in ihrem Bauch sammelte und sich dann rasch im ganzen Körper ausbreitete. »Glaubst du, ich weiß nicht, dass er fort ist, wenn doch jede Faser meines Körpers danach schreit, denselben Weg zu gehen?« Zitternd erhob sich Rebecka. »Verschwinde! Wenn ich wiederkomme, will ich dich hier nicht mehr sehen.«

Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte ins Haus und weiter in ihr Schlafzimmer, wo sie die Tür hinter sich zuschlug. Sie war so wütend, dass Susanne einfach hier auftauchte und ihre Gedanken durcheinanderwirbelte, die so hübsch an ihrem Platz lagen, wenn man sie nur in Ruhe ließ. Was wollten die Leute nur immer von ihr? Sie wollte sich ganz den Erinnerungen widmen, die Zukunft war ihr vollkommen egal. Sie hatte ja gar keine, ohne Adam.

Rebecka sah aus dem Fenster zu der Stelle im Garten hinüber, die Adam und sie so geliebt hatten. Dort hatte er ihr den Heiratsantrag gemacht. Und dort hatte er auch seinen letzten Atemzug getan.

Das Pflegeteam, bestehend aus den freundlichsten und warmherzigsten Menschen, denen sie je begegnet war, hatte Adams Krankenbett hinausgerollt, als es so weit war. Über den Rasen, an der Laube und an dem Pool vorbei. Es war früher Abend gewesen, angenehm warm und seltsam still, so als begriffen alle Nachbarn, dass auf dem Grundstück nebenan etwas Trauriges geschah. Nicht einmal die Grillen veranstalteten ihren üblichen Lärm. Das Personal ließ sie und Adam allein. Rebecka hatte darum gebeten, hatte gesagt, sie wolle mit ihrem Mann allein sein, wenn er sie verließ.

Rebecka tat ihr Bestes, um es ihm bis zum Schluss so angenehm wie möglich zu machen. Sie hatte seine Kissen aufgeschüttelt und sich so gelegt, dass sein Kopf bequem an ihrer Brust liegen konnte. Seine Augen waren weit offen, als wolle er ein letztes Mal alles in sich aufnehmen. Sie schloss die Augen, ihre Lippen berührten den Flaum auf seinem Schädel. Tränen rollten ihr über das Gesicht. Er war kaum noch bei Bewusstsein, sein Atem ging immer flacher und sie betete ein letztes Mal zu Gott, er möge ihn retten, obwohl sie wusste, dass es zu spät war.

Und dann war es vorbei gewesen. Rebecka schrie vor Verzweiflung und wiegte Adam vor und zurück, vor und zurück. Erst als die Nacht sternenklar über sie hereinbrach, gelang es dem Personal, Adam aus ihren Armen zu lösen.

Obwohl seitdem acht Monate vergangen waren, lebte der Schrei in ihrem Inneren fort. Adam war ihr Ein und Alles gewesen, und jetzt war er nicht mehr da. Sie wandte den Blick vom Fenster und schaute auf das Bett. In der Schublade ihres Nachttisches lag die Schachtel mit den Schlaftabletten, die sie gesammelt hatte. Siebenundsechzig Stück. Erst gestern hatte sie noch einmal nachgezählt.

»Setz dich«, sagte Susanne zu Rafaela, nachdem Rebecka hineingerannt war. »Wir müssen uns beraten.«

Susanne sah genau, wie aufgebracht Maggan war, kümmerte sich jedoch nicht darum. Die einzige Möglichkeit, die Mauer zu überwinden, die Rebecka um sich herum gebaut hatte, lag darin, andere Gefühle in ihr zu wecken als die, in denen sie sich in den vergangenen Monaten vergraben hatte. Das zumindest war Susannes Plan, und sie betete, dass er funktionieren möge.

»Wie konntest du nur«, sagte Maggan empört. »Du siehst doch, wie niedergeschlagen sie ist.«

»Genau deshalb«, sagte Susanne. »Wut ist wesentlich gesünder als das, worin sie sich gerade suhlt und was vermutlich der Grund dafür ist, dass sie so leidet.«

»Puh, wie gemein du bist.«

»Ich glaube, Susanne hat recht«, sagte Rafaela vorsichtig. »Seit Adams Tod habe ich sie nicht mehr so energisch über die Wiese gehen sehen.«

»Gut, dass wir uns einig sind. Ich schlage vor, wir lassen sie eine Weile in Ruhe«, sagte Susanne und stand auf. »Ich brauche erst mal etwas zu essen und schaue jetzt im Kühlschrank nach, was da ist. Kommt ihr mit?«

Bestimmt gibt es Schinken und andere Leckereien, dachte sie hungrig. Sie würde Rebecka eine Stunde geben und sie dann wieder in die Mangel nehmen. Sie war fest entschlossen, diese Mauer zu durchbrechen, und wenn es den ganzen Tag dauern würde. Morgen früh musste Rebecka mit ihr und Maggan ins Taxi steigen, etwas anderes kam gar nicht in Frage.

Sie öffnete den Kühlschrank und holte Käse, Schinken und Oliven heraus. Einen Teller nach dem anderen stellte sie auf den langen Bartisch.

»Du hättest mir sagen sollen, welche Taktik du anwenden willst«, sagte Maggan, als sie in die Küche kam, und setzte sich auf einen Barhocker.

»Nichts da! Dann wärst du gar nicht mitgekommen. Oder du hättest sie vorher angerufen und gewarnt.« Susanne nahm einen großen Bissen von dem Käse, den sie sich abgeschnitten hatte. »Du willst sie verhätscheln, aber das funktioniert im Moment nicht«, schmatzte sie mit vollem Mund.

»Bist du jetzt auch noch Trauer-Expertin geworden?«

»Nein. Das sagt mir allein mein gesunder Menschenverstand.« Sie rollte eine Scheibe Schinken zusammen. »Willst du auch etwas?«

Maggan schüttelte den Kopf. »Und was schlägst du jetzt vor?«

»Dass wir sie eine Stunde in Ruhe lassen. Dann versuchen wir es erneut.«

»Weil es eben so gut gelaufen ist?«

»Sei nicht so zynisch. Sie weiß, dass wir sie lieben und nur ihr Bestes wollen. Glaub mir, sie wird mitkommen.«

Im Flur öffnete sich eine Tür, und Susanne und Maggan drehten sich gleichzeitig um. Rebecka ging schnurstracks zur Toilette und knallte die Tür hinter sich zu.

»Na siehst du«, sagte Susanne ruhig.

»Was? Dass sie auf Toilette muss?«

»Sie hat eine Toilette direkt an ihrem Zimmer«, sagte Susanne. »Sie will wissen, was wir tun.« Sie betrachtete eingehend die Oliven und nahm sich dann die größte. Die mit den Kernen schmeckten am besten. »Bist du sicher, dass du nichts essen möchtest?«, fragte sie und steckte sie sich in den Mund. Sie schmeckte genauso gut, wie sie erwartet hatte.

Susannes und Maggans Zimmer lagen an einem anderen Flur. Sie hatten jeweils ihr eigenes Zimmer hier im Haus. Für die übrigen Gäste blieb noch genügend Platz, wobei seit Adams Beerdigung ohnehin nur noch selten jemand zu Besuch kam.

Rafaela betrat nun ebenfalls die Küche. Sie arbeitete seit vielen Jahren für Rebecka und hatte sich, vor allem im letzten halben Jahr, unentbehrlich gemacht.

»Ich habe nie so ganz verstanden, wie ihr euch eigentlich kennengelernt habt«, sagte sie. »Sonja war ja anscheinend auch mit euren Männern befreundet?«

Susanne nickte, spuckte den Kern in ihre Hand und legte ihn auf den Teller. »Warte kurz«, sagte sie, nahm sich noch ein Stück Käse und kaute gierig. Rafaela lächelte und wartete geduldig, bis Susanne mit einem Schluck Wasser alles hinuntergespült hatte.

»Jetzt kann ich es dir erzählen«, sagte Susanne. Und dann begann sie mit der Geschichte, wie Rebecka, Sonja und Maggan in dem Sommer, bevor sie die drei selbst kennengelernt hatte, zusammen auf Interrail-Tour gegangen waren und wie sie dabei Paul und Michael kennengelernt hatten, die schon damals beste Freunde gewesen waren. Maggan und Paul hatten sich ineinander verliebt, und als Maggan wieder nach Hause kam, stellte sie fest, dass sie schwanger war. Paul hatte von so vielen Projekten geträumt, dass Maggan sich entschied, ihm nichts von dem Kind zu erzählen. Sie waren noch so jung. Er lebte in Frankreich und sie in Schweden. Heute hätte sie sich bestimmt anders entschieden, aber damals hatte sie es einfach nicht besser gewusst. Nicht einmal den Freundinnen gegenüber hatte sie die Wahrheit gesagt.

Paul hatte nach Maggan gesucht, aber keinen Kontakt mehr zu ihr herstellen können. Sonja dagegen hatte die Freundschaft mit ihm weiter gepflegt und schließlich mit ihm zusammen ein Restaurant in Paris eröffnet.

»Und dann wurde ich Teil der Clique«, sagte Susanne und lächelte. »Ich war die Babysitterin von Maggans Tochter und lernte darüber die drei anderen kennen.«

»Und Paul und Michael?«

»Zu denen hatte nur Sonja noch Kontakt. Sie hat allerdings dafür gesorgt, dass wir sie nach ihrem Tod wiedertrafen. Maggan schickte sie nach Paris, wo Paul immer noch lebte, und ich bekam Michael als Mentor, als ich alles über die Hotelbranche lernen sollte. Er war ja damals schon Chef im Hyatt und wusste, wovon er redete.« Sie schob sich noch ein Stück Schinken in den Mund. Sie konnte nicht an ihn denken, ohne dass ihr Herz schneller schlug. Würde das jemals vorbeigehen?

»Aber wie kam Adam mit ins Spiel?«, fragte Rafaela.

»Das Hyatt hat seine Firma häufig engagiert, und bei irgendeiner Gelegenheit hat Sonja ihn getroffen, und als sie dann heimlich die Wohnungen und Häuser für uns umbauen und einrichten ließ, ging der Auftrag an Adam. Er hat mein Hotel eingerichtet, Maggans Mietwohnung in Paris, mein Reihenhaus in London sowie Rebeckas Wohnung in Palma.«

»Und zum Schluss kam er hierher, um Rebecka mit dem Haus zu helfen?«

Susanne nickte.

»Ich ruhe mich jetzt einen Moment aus«, sagte sie dann. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Rebecka in ihr Zimmer zurückhuschte. »Dann bin ich besser gewappnet für den nächsten Akt.«

Sobald Susanne ihr Zimmer betrat, übermannte sie die Sehnsucht nach Michael. Hier hatten sie sich so oft geliebt, und wenn sie dann endlich schliefen, taten sie es so eng umschlungen, dass sie nur das Bein ein wenig heben musste, um ihn wieder in sich zu spüren.

Oh Gott, war das sexy gewesen! Und wunderbar unanständig … Hätte Rebecka nur die Hälfte von dem gewusst, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, wäre sie vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Früher konnte Susanne nicht einmal das Wort »Sex« aussprechen, ohne dass Rebecka errötete.

Sie setzte sich auf das Bett, strich über die Decke und kehrte wieder zu dem zurück, was vor ihr lag. Sicherlich konnte sie nicht ansatzweise ahnen, welchen Schmerz Rebecka mit sich herumtrug. Und sie wollte sie auch nicht dazu bringen, Adam zu vergessen, sondern vielmehr dazu, dass sie daneben auch noch andere Gefühle zuließ. In diesem Haus würde sie irgendwann eingehen, und dabei wollte Susanne nicht tatenlos zusehen.

Wenn es ihr gelang, Rebecka an Bord dieses Flugzeugs zu bringen, durfte sie anschließend so elend sein, wie sie wollte. Das Bild der Freundin, wie sie abgemagert und in diesem riesigen Schlapphut allein über die Wiese ging, hatte sich ihr tief eingebrannt. Irgendwie musste sie sie dazu bewegen mitzukommen. Es musste einfach klappen. Und wenn sie dazu erst Rebeckas Hass auf sich ziehen musste, dann würde sie das eben in Kauf nehmen.

Etwas später am Abend kam, wie von der Kanzlei Andreasson angekündigt, ein gefütterter Umschlag bei ihnen an. Susanne gab der Frau vom Kurierdienst zehn Euro Trinkgeld, schloss die Tür und öffnete dann das Päckchen.

Sie winkte mit dem Inhalt und begab sich ins Wohnzimmer. »Drei Umschläge. Auf einem steht ›Film‹, auf dem zweiten ›Brief‹ und auf dem dritten ›Tickets‹«, rief sie. »Gemäß der Anweisung von Andreasson sollen wir mit dem Film beginnen, oder?«, fragte sie Maggan. Re­becka hielt sich im Hintergrund, aber Susanne sah, dass sie sie beobachtete.

»Genau. Erst den Film, dann den Brief und zuletzt die Tickets.«

Rebecka hatte noch immer nicht gesagt, dass sie mitkommen würde, war aber immerhin aus ihrem Zimmer gekommen, hatte etwas gegessen und mit ihnen geplaudert.

Und als sie die DVD einlegten, kroch sie zwischen Susanne und Maggan auf das Sofa, reichte jedem eine Wolldecke und hüllte sich in ihre eigene. Dann erschien das erste Bild.

Australia.

Keine von ihnen kannte den Film. Rebecka sagte kaum ein Wort, während Susanne jedes Mal nach Luft schnappte, wenn Hugh Jackman zu sehen war. Maggan schluchzte und schniefte, als der kleine Junge seine Mutter verlor und in Nicole Kidman eine neue fand. Erst um zwei Uhr morgens war der Film zu Ende, und sie waren alle ganz ergriffen. Sogar Rebecka gab zu, dass es ein fantastischer Film gewesen war.

»Und nun zum Brief«, sagte Susanne und öffnete das Kuvert.

Erster Brief

Australien

Nun beginnt also unsere letzte gemeinsame Reise. Ich freue mich sehr, dass Ihr mitkommt, dass ich eine zweite Chance bekomme, meine Geschichte zu erzählen, die ich Euch all die Jahre über verschwiegen habe.

Wie Ihr Euch jetzt sicher denken könnt, beginnt sie in Australien.

Unser Umzug nach Sydney veränderte mein ganzes Leben. Doch das wusste ich damals noch nicht. Ich war verzweifelt. Mein Vater hatte dort Geschäftsinteressen, und was ich auch sagte, es half alles nichts. Ich musste mich entscheiden, entweder mit umzuziehen oder auf ein Internat zu gehen.

»Nicht jedes Mädchen hat die Gelegenheit, seine Sweet Sixteen im Ausland zu feiern, Sonja-Liebes«, sagte meine Mutter, als wir uns an unserem letzten Morgen in Schweden anzogen. Geplant war, dass wir zwei Jahre dort bleiben würden. Das kam mir natürlich vor wie eine Ewigkeit. Ich zog die neue Cordhose an, die meine Mutter mir am Tag zuvor gekauft hatte. Sie war mir zehn Zentimeter zu lang. Meine Mutter wünschte sich wahrscheinlich sehnlichst, ich wäre ein bisschen mehr wie sie, oder sie nahm gar nicht wahr, wie verschieden wir waren. Sie war groß, schlank und elegant, während ihre einzige Tochter eher dem Vater glich: rund und rothaarig. Du hast wütende grüne Augen, sagte meine Mutter immer zu mir, und blinzelte mir mit ihren großen blauen zu.

Meine geliebte Mutter. Man konnte ihr nie lange böse sein.

Es dauerte nur fünfzehn Minuten, dann hatte ich Freunde in meiner neuen Heimat gefunden. Zu meiner großen Überraschung betrachtete man mich dort als exotisch. Das war mir mein Leben lang nicht passiert, aber Schweden, Elche und sexuelle Freizügigkeit sorgten dafür, dass ich ganz oben auf der Beliebtheitsliste landete. Sogar die strenge Mrs Pearson, die wir in Englisch hatten, schmeichelte sich bei mir ein. Natürlich trug wahrscheinlich auch der Wohlstand meiner Familie dazu bei, dass ich gute Zeugnisse bekam, obwohl ich ziemlich häufig schwänzte. Alles war neu und wollte von mir entdeckt werden. Diese Art, das Leben in vollen Zügen zu genießen, habe ich anschließend beibehalten, wie Ihr wisst!

»Deine Eltern sind so was von nett«, fand meine neue Freundin Madeleine. Immer wollte sie bei uns zu Hause und bei meiner hübschen, tollen Mutter sein. Und sie hatte wirklich etwas Besonderes, das fand ich ja selbst. Sie nahm die Dinge nicht so schwer. Schimpfte nicht so viel, wie andere es vielleicht getan hätten. Meine Eltern stritten sich auch nie, zumindest nicht, wenn ich dabei war. Ich fand immer, dass in unserer kleinen Familie eine gute Stimmung herrschte.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich jemals einsam gefühlt oder mir Geschwister gewünscht hätte, außerdem durfte ich wenige Jahre später ja dann Eure große Schwester werden. Vor allem auf Dich musste ich immer ein bisschen aufpassen, Susanne. Schon als Siebzehnjährige warst Du ein heißer Feger. Du, Maggan, hattest ein Kind, deshalb suchte ich bei Dir wahrscheinlich eher Trost. Aber das taten wir eigentlich alle, oder? Schließlich trafen wir uns immer bei Dir, wenn das Leben gerade mal mies zu uns war. Und Rebecka, meine kluge, warmherzige Rebecka. Auf Dich und deinen Kopf konnte ich mich ebenfalls immer verlassen. Als wir Interrail machten, warst Du immer diejenige, die dafür sorgte, dass wir ein günstiges Zimmer bekamen, rechtzeitig am Bahnhof waren und Kondome benutzten. Also bis auf Maggan, natürlich. Doch das war gut so, denn es führte dazu, dass Du eine wunderbare Tochter bekamst. Nicht wahr, Maggan?

Doch zurück nach Sydney. Ich ging auf eine Internationale Schule, und die Schülerschaft bestand aus einer ziemlich wilden Mischung. Da gab es alles, von streng Religiösen bis zu Hippie-Kindern. Manche konnten kein Englisch. Andere hatten Bodyguards. Manche waren so überbehütet, dass sie von ihren Nannys zur Schule gebracht wurden.

Meine Beliebtheit zeigte sich nicht zuletzt beim ersten Schulball. Zu Hause in Schweden hatte man mich gemocht, weil ich witzig war, ansonsten hatte man nichts Besonderes an mir gefunden. Hier dagegen musste ich die jungen Männer geradezu abwimmeln. Andere Mädchen blieben den ganzen Abend sitzen ohne aufgefordert zu werden, während meine beste Freundin Madeleine und ich keine Minute auf unseren Plätzen saßen.

Madeleine, die aus Bangladesch kam, sollte jemanden heiraten, den ihre Eltern für sie ausgesucht hatten. So war das in ihrer Familie. Sex sollte sie erst in ihrer Hochzeitsnacht haben. Doch auf dem Schulball verliebte sie sich. Und wurde schwanger. Anschließend verschwand Madeleine von einem Tag auf den anderen. Ich habe sie nie wiedergesehen. Als ich bei ihr zu Hause klopfte, machte niemand auf. Sechs Monate hatten wir alles geteilt und waren die besten Freundinnen gewesen, ich war verzweifelt. »Du findest schon neue Freunde«, sagte meine Mutter aufmunternd zu mir. Heute würde ich mir vielleicht wünschen, ich hätte damals mehr über das Trauern gelernt, doch meine Mutter wollte sich einfach nicht damit befassen. Sie wollte, dass alles hell und leicht ist. Mir dagegen erschien der Rest des Schuljahres pechschwarz.

Doch dann erschien Luke Danes in der Tür unseres Klassenzimmers, und plötzlich hatte der Raum keine Decke mehr. Die Vögel sangen, Sonne strömte in mein Herz und ein zartrosa Seidentuch legte sich über ganz Australien.

Der junge Amerikaner mit den dunklen Locken war das Schönste, was ich je gesehen hatte.

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Prolog

Ende 2011Anwaltskanzlei Andreasson in Stockholm

Ihr Lieben,

jetzt wird es Zeit, für immer Abschied zu nehmen, und es tut mir weh, wenn ich daran denke.

Eure Liebe und Eure unerschütterliche Loyalität haben mich geheilt. Dafür kann ich Euch gar nicht genug danken.

Wenn Ihr das hier lest, ist bereits viel Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, und ich hoffe natürlich sehr, dass Ihr in Euren neuen Leben angekommen seid und Euch genauso daran erfreut, wie ich es getan habe, als ich sie für Euch geplant habe. Und ich wünsche mir, dass Ihr noch genauso eng befreundet seid wie früher, trotz der Herausforderungen, denen Ihr Euch in verschiedenen Ländern stellen müsst. Ich glaube fest daran. Was uns verbunden hat, war einzigartig. Jedenfalls kenne ich kein vergleichbares Quartett.

Meine liebe Rebecka, ich hoffe, es gefällt Dir auf Mallorca, und der Architekt, den ich Dir zur Unterstützung geschickt habe, war … nach Deinem Geschmack.

Liebe Susanne: Das Hotel in London war mein Baby. Es hat mir so viel Spaß gemacht, mir vorzustellen, wie Du dort eines Tages schalten und walten würdest. Ich hoffe, Du und Michael habt einander gefunden. Ich kann mir kein anderes Paar denken, das besser zusammenpassen würde.

Und Du, meine liebe Maggan, ich hoffe so sehr, dass es Dir in Paris gelungen ist, Deine Kreativität endlich auszuleben. Und dass Du mir verzeihst, dass ich Paul wieder aufgestöbert habe. Er hat niemals aufgehört, Dich zu lieben, und es war einfach zu verlockend zu versuchen, Euch wieder zusammenzubringen.

Wir vier waren immer beste Freundinnen und sind es noch, während ich diese Zeilen schreibe. (Nachher werden wir zusammen bei Maggan zu Abend essen und ich weiß jetzt schon, dass ich mit Bauchmuskelkater nach Hause fahren werde, weil wir den ganzen Abend zusammen gelacht haben werden.)

Wenn Ihr diesen Brief lest, ist das alles längst vorbei. Zumindest was mein Erdenleben angeht; was danach kommt, weiß ja niemand genau. Ich werde immer noch nicht vollständig unter der Erde sein (klingt seltsam, wenn ich das so schreibe, aber genauso ist es). Ich habe Anwalt Andreasson gebeten, damit zu warten, bis Ihr in Euren neuen Leben angekommen seid.

Jetzt aber, da mein Erbe aufgeteilt und alles geklärt ist, bitte ich Euch um Eure Hilfe. Ich möchte, dass Ihr mich zur letzten Ruhe an verschiedene Orte bringt, die mir zu Lebzeiten etwas bedeutet haben. Eine Reise, die Euch rund um die Welt führen wird.

Im Laufe dieser Reise werde ich Euch meine wahre Geschichte erzählen. Sie beginnt mit meinem sechzehnten Lebensjahr.

Ihr werdet meine Asche im Gepäck dabeihaben, was wahrscheinlich verboten ist, aber Ihr seid zu dritt und könnt mich unter Euch aufteilen. Ein Großteil wird bereits verstreut worden sein, doch was noch übrig ist, bitte ich Euch, mitzunehmen. Im Sekretär in meiner Wohnung liegen Puderdosen, die ich von meiner Großmutter geerbt habe. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich darin transportieren.

Nach dieser Reise werden wir für immer voneinander Abschied nehmen, und ich werde, dank Euch, eine zweite Chance bekommen haben. Wofür, werde ich Euch im Folgenden erzählen.

Passt auf Euch auf und bleibt beste Freundinnen, auch wenn ich nicht mehr dabei bin.

Von ganzem HerzenEure Sonja

Lange Zeit sagte keine von ihnen ein Wort. Maggans Wangen waren feucht, Rebecka schnäuzte sich und Susanne sah den Anwalt mit großen Augen an, als dieser sich schließlich auf seinem Stuhl umdrehte und eine Urne aus dem Aktenschrank hinter sich zog. Behutsam stellte er sie auf dem Schreibtisch ab.

»Ich dachte, wir würden nie wieder etwas von ihr hören«, sagte Susanne leise und fasste vorsichtig die Urne an. »Du wirst nie aufhören, uns zu überraschen, stimmt’s, Sonja?«

Die beiden anderen berührten ebenfalls die Urne. Susanne lächelte. »Natürlich gibt es bis dahin noch einiges zu klären … aber wann fahren wir?«