Mobilität für alle - Andreas Herrmann - E-Book

Mobilität für alle E-Book

Andreas Herrmann

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Beschreibung

Für klimagerechte Mobilität Der Zugang zu Mobilität hat maßgeblichen Einfluss auf den individuellen wirtschaftlichen Erfolg: Wer mobil ist, findet leichter einen Arbeitsplatz, verdient mehr und ist zufriedener. Unser aktuelles Mobilitätsverhalten führt allerdings zu großen Belastungen von Umwelt und Infrastruktur mit negativen Auswirkungen auf unser aller Lebensqualität und Gesundheit. Andreas Herrmann, Johann Jungwirth und Frank Huber zeigen, dass Mobilität sehr wohl klimagerecht und barrierefrei sein kann. An Beispielen aus aller Welt illustrieren sie, wie neue Player auf dem Mobilitätsmarkt mit revolutionären Geschäftsmodellen bereits heute die Mobilität der Zukunft gestalten. Autonomes Fahren zu fördern und Mobilität als bedarfsweise buchbaren Service zu begreifen, sind nur zwei der vorgestellten Bausteine auf dem Weg zu einer nachhaltigen Verkehrswende. »In den vergangenen 150 Jahren haben wir alles dafür getan, um die Schwächen des Fahrers auszugleichen. Wir haben Airbags und Sicherheitsgurte eingebaut, haben das Chassis verbessert und vieles mehr. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir das Fahrzeug intelligenter gemacht, um die Fahrer zu unterstützen, damit sie besser sehen und reagieren können. In dieser Dekade werden wir den aufregenden Schritt machen, die Technologie bereitzustellen, welche die Sicherheit im Straßenverkehr wirklich transformieren wird.« Chris Urmson, Mitgründer und CEO von Aurora Innovation, Pittsburgh »Es gibt einen Plan der israelischen Regierung für die neue Mobilität. Das Land soll bis 2030 zu einem weltweit führenden Standort rund um das autonome und vernetzte Fahren und natürlich um Mobility-as-a-Service entwickelt werden.« Anat Bonshtien, Chairman and Director of the Fuel Choices and Smart Mobility Initiative at Israel Prime Minister`s Office, Jerusalem »Mobility-as-a-Service kann entscheidend dazu beitragen, die Verkehrssituation in vielen Megacities zu verbessern. In zahlreichen chinesischen Städten sind bereits Mobility-as-a-Service-Konzepte im Test. Wir befinden uns an der Schwelle zur Umsetzung. Dieses Buch zeigt sehr anschaulich die Idee, Konzepte und Auswirkungen und liefert damit einen wichtigen Beitrag für eine bessere Mobilität – für die Städte, für die Menschen, für die Umwelt.« Prof. Dr. Zheng Han, Chair of Innovation and Entrepreneurship, Sino-German School for Postgraduate Studies (CDHK), School of Economics and Management, Tongji University, Shanghai »Mobility-as-a-Service ist die Chance, unsere Städte neu zu entwerfen. Straßen und Parkplatzflächen können zurückgebaut und anderweitig genutzt werden; etwa für Sport- und Spielareale, für Cafés und Restaurants. Dieses Buch beschreibt zahlreiche Ansätze, um die Städte zukünftig nicht mehr um die Autos, sondern um die Menschen zu bauen.« Gabe Klein ist Mitgründer von Cityfi und ehemaliger Commissioner of the Chicago and Washington, D.C., Departments of Transportation

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Über das Buch

Für klimagerechte MobilitätDer Zugang zu Mobilität hat maßgeblichen Einfluss auf den individuellen wirtschaftlichen Erfolg: Wer mobil ist, findet leichter einen Arbeitsplatz, verdient mehr und ist zufriedener. Unser aktuelles Mobilitätsverhalten führt allerdings zu großen Belastungen von Umwelt und Infrastruktur mit negativen Auswirkungen auf unser aller Lebensqualität und Gesundheit.Andreas Herrmann, Johann Jungwirth und Frank Huber zeigen, dass Mobilität sehr wohl klimagerecht und barrierefrei sein kann. An Beispielen aus aller Welt illustrieren sie, wie neue Player auf dem Mobilitätsmarkt mit revolutionären Geschäftsmodellen bereits heute die Mobilität der Zukunft gestalten. Autonomes Fahren zu fördern und Mobilität als bedarfsweise buchbaren Service zu begreifen, sind nur zwei der vorgestellten Bausteine auf dem Weg zu einer nachhaltigen Verkehrswende.»In den vergangenen 150 Jahren haben wir alles dafür getan, um die Schwächen des Fahrers auszugleichen. Wir haben Airbags und Sicherheitsgurte eingebaut, haben das Chassis verbessert und vieles mehr. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir das Fahrzeug intelligenter gemacht, um die Fahrer zu unterstützen, damit sie besser sehen und reagieren können. In dieser Dekade werden wir den aufregenden Schritt machen, die Technologie bereitzustellen, welche die Sicherheit im Straßenverkehr wirklich transformieren wird.«Chris Urmson, Mitgründer und CEO von Aurora Innovation, Pittsburgh»Es gibt einen Plan der israelischen Regierung für die neue Mobilität. Das Land soll bis 2030 zu einem weltweit führenden Standort rund um das autonome und vernetzte Fahren und natürlich um Mobility-as-a-Service entwickelt werden.«Anat Bonshtien, Chairman and Director of the Fuel Choices and Smart Mobility Initiative at Israel Prime Minister`s Office, Jerusalem»Mobility-as-a-Service kann entscheidend dazu beitragen, die Verkehrssituation in vielen Megacities zu verbessern. In zahlreichen chinesischen Städten sind bereits Mobility-as-a-Service-Konzepte im Test. Wir befinden uns an der Schwelle zur Umsetzung. Dieses Buch zeigt sehr anschaulich die Idee, Konzepte und Auswirkungen und liefert damit einen wichtigen Beitrag für eine bessere Mobilität – für die Städte, für die Menschen, für die Umwelt.«Prof. Dr. Zheng Han, Chair of Innovation and Entrepreneurship, Sino-German School for Postgraduate Studies (CDHK), School of Economics and Management, Tongji University, Shanghai»Mobility-as-a-Service ist die Chance, unsere Städte neu zu entwerfen. Straßen und Parkplatzflächen können zurückgebaut und anderweitig genutzt werden; etwa für Sport- und Spielareale, für Cafés und Restaurants. Dieses Buch beschreibt zahlreiche Ansätze, um die Städte zukünftig nicht mehr um die Autos, sondern um die Menschen zu bauen.«Gabe Klein ist Mitgründer von Cityfi und ehemaliger Commissioner of the Chicago and Washington, D.C., Departments of Transportation

Vita

Prof. Dr. Andreas Herrmann leitet das Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen und ist Visiting Professor an der London School of Economics und an der Tongji University in Shanghai. Als Autor und Ko-Autor hat er bereits 15 Bücher und mehr als 200 wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht. Zudem führt er zahlreiche Kooperationsprojekte mit Unternehmen durch.

Johann Jungwirth ist Ingenieur und Manager in der Automobilindustrie. Nach Stationen u. a. bei Apple und Mercedes-Benz, wo er auch an selbstfahrenden Autos arbeitete, und im Volkswagen Konzern, wo er für die digitale Transformation verantwortlich war, ist Jungwirth heute Vice President von Mobileye. Dort treibt er die autonome Mobilität voran.

Prof. Dr. Frank Huber hat den Lehrstuhl für Marketing Analytics an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz inne, ist Mitgründer einer Unternehmensberatung und Autor mehrerer Bücher zu Marketing und Produktgestaltung.

INHALT

VORWORT

GELEITWORT VON CEM ÖZDEMIR

GELEITWORT VON CHRISTOPH WOLFF

GELEITWORT VON LUCA DE MEO

TEIL 1MOBILITÄT, WOHLSTAND UND UMWELT

Kapitel 1Dürfen wir noch unterwegs sein?

Kapitel 2Mit Mobilität zu Wohlstand

Kapitel 3Soziale Kosten der Mobilität

Kapitel 4Alles nur ein Missverständnis?

TEIL 2AUF IN DIE STÄDTE

Kapitel 5Alle wollen in die Städte

Kapitel 6Immer mehr Verkehr

Kapitel 7Die Städte wehren sich

Kapitel 8Was passiert auf dem Land?

TEIL 3AUTOMOBILINDUSTRIE IM UMBRUCH

Kapitel 9Die Wertschöpfungskette zerfällt

Kapitel 10Autonom, elektrisch und vernetzt

Kapitel 11Wir fahren zusammen

TEIL 4PERSPEKTIVEN VON MOBILITY-AS-A-SERVICE

Kapitel 12Eine bessere Mobilität

Kapitel 13Ohne Apps geht nichts

Kapitel 14Wertschöpfungskette 2.0

Kapitel 15Verkehr ist multimodal

Kapitel 16Pods und Shuttles

Kapitel 17Rechnet sich das Ganze?

Kapitel 18Eine Wette auf die Zukunft?

TEIL 5WAS KUNDEN WOLLEN

Kapitel 19Wünsche gibt es viele

Kapitel 20Unterwegs sein, aber anders

TEIL 6WAS UNTERNEHMEN KÖNNEN (MÜSSEN)

Kapitel 21Worauf es ankommt

Kapitel 22Ein Geschäftsmodell muss her

TEIL 7DIE STÄDTE GEHEN VORAN

Kapitel 23Ideen, Projekte, Visionen

Kapitel 24Es geht auch anders

TEIL 8WAS BRINGT MOBILITY-AS-A-SERVICE?

Kapitel 25Arbeit und Wohlstand

Kapitel 26Mehr Leben, weniger Verkehr

Kapitel 27Mobilität für Alle

Kapitel 28Neue Standorte, neue Nationen

TEIL 9DAMIT ES MIT DEM KNOPFDRUCK FUNKTIONIERT

ANMERKUNGEN

Andreas HerrmannJohann JungwirthFrank Huber

MOBILITÄT FÜR ALLE

… auf Knopfdruck

Campus VerlagFrankfurt/New York

VORWORT

Was trieb uns an, ein Buch über »Mobilität für alle … auf Knopfdruck« zu schreiben? In erster Linie der Mensch, der im Mittelpunkt von Mobilitätslösungen stehen muss, die dieses Jahrhundert bestimmen werden. Natürlich geht es auch um Technologie, ganz konkret um elektrische, vernetzte und vor allem autonome Fahrzeuge, die man per App rufen kann. Selbstfahrende Autos und Busse, gesteuert von einer Mobilitätsplattform. Es geht aber auch um die Verknüpfung von Autos, Bussen, Bahnen und der Mikromobilität zu einer Reisekette. Eine faszinierende Vorstellung. Fahren ohne Lenkrad. Unser Leben und unser Alltag lassen sich ganz anders gestalten. Und unser Mobilitätsverhalten erst. Wir können das Reisen, das Unterwegssein neu erfinden.

Noch sind nicht alle Details dieses Entwurfs zur Mobilität als Dienstleistung ausgearbeitet. Manches ist noch vage. Gleichwohl schien es uns wichtig, diese Tour d’Horizon anzutreten, da kaum eine andere Errungenschaft wie das elektrische, vernetzte, autonome Fahren im Zusammenspiel mit den anderen Verkehrsmitteln unser Leben und Reisen so gravierend verändern dürfte. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um sich mit der Mobilität auf Knopfdruck zu befassen, sie auf die Bühne des sozialen Diskurses zu heben und damit einen Beitrag zu leisten, damit sie unser Leben zum Besseren verändert.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat auch uns Autoren bewegt, vor allem, weil es nur vordergründig um Fahrzeuge, Sensoren, Algorithmen und Mobilitätsplattformen geht. Viel spannender sind die Geschichten dahinter über die neuen Möglichkeiten, die Mobilität als Dienstleistung den Menschen bietet. Vor allem in den Megacitys dieser Welt können wir jeden Tag erfahren, dass Mobilität eine wichtige Voraussetzung für die persönliche Entfaltung ist. Wenn es uns gelingt, mit Mobilität auf Knopfdruck die Menschen schneller, einfacher und weiter zu befördern, dann bekommen sie bessere Arbeit, mehr Lohn und können ihr Leben meistern. Denken wir auch an die Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten, an die Alten und Jungen, die in vielen Ländern und Städten gar keine Möglichkeit haben, ohne die Hilfe anderer am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Schauen wir auf die ländlichen Regionen, wo die jungen Menschen abwandern, die alten zurückbleiben, Geschäfte schließen und selbst lebenswichtige Dienstleistungen wie die Hausarztpraxis verschwinden. Mobilität als Dienstleistung mit autonomen Fahrzeugen für Mensch, Güter und Services – das könnte zumindest ein Teil der Lösung für diese Probleme sein.

Es geht noch um mehr: 197 Staaten einigten sich bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 auf ein neues, globales Klimaschutzabkommen. Die Vereinbarung zielt darauf ab, die Erwärmung der Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dazu soll in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität erreicht werden, also nicht mehr Emissionen entstehen, als zum Beispiel durch Wälder gebunden werden können. Es ist dringend erforderlich, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zur Treibhausgasneutralität leistet.

Auch hierzu lassen sich eindrückliche und bewegende Geschichten erzählen. Beispielsweise von den Menschen in vielen asiatischen und afrikanischen Städten, die in den Abgasen des rasant wachsenden Autoverkehrs zu ersticken drohen. Oder von gigantischen Projekten rund um den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in vielen Metropolen, der den enorm steigenden Mobilitätsansprüchen der Bewohner gerecht werden soll. Fügt man noch hinzu, dass nach wie vor jedes Jahr Millionen von Fußgängern, Fahrradfahrern, aber auch Autofahrern im Straßenverkehr zu Schaden kommen, so liegen die alles entscheidenden Fragen auf der Hand: Müssen wir nicht endlich unsere Mobilität besser organisieren? Sind die sozialen Kosten nicht viel zu hoch? Können wir uns diese Art von Mobilität noch leisten, wohlwissend, es könnte besser gehen? Machen wir uns auf. Gehen wir auf die Reise. Verfolgen wir die Spur von Mobilität als Dienstleistung. Loten wir aus, was uns dieses Mobilitätskonzept bietet.

Viele Mitarbeiter, Kollegen, Experten und herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben uns Anregungen und Impulse vermittelt. Unser Dank gilt ihnen allen für die Bereitschaft, all ihr Wissen und alle ihre Erfahrungen einzubringen. Besonders wertvoll waren die Gespräche mit Chris Urmson zum autonomen und vernetzten Fahren, mit Anat Bonshtien über die neue Mobilitätsindustrie in Israel, mit Seung Won Kim zur Smart City Daegu in Südkorea und mit Cem Özdemir über die Herausforderungen für Politik und Gesellschaft. Ganz besonders danken wir Patrik Ludwig vom Campus-Verlag für seine Unterstützung. Er konnte sich von Anfang an für dieses Projekt begeistern.

Wir hoffen, dass ein Buch entstanden ist, das dieses Thema aus vielfältigen Perspektiven beleuchtet und dazu beiträgt, eine offene, ehrliche, vielschichtige und differenzierte Diskussion über die Möglichkeiten einer Mobilität für alle, und zwar auf Knopfdruck zu führen. Wir Autoren sind euphorisch und optimistisch, das geben wir gern zu. Wir wollen den Wandel! Wir sind davon überzeugt, dass das elektrische, vernetzte und vor allem autonome Fahren in einer Welt, in der man Mobilität nicht mehr »besitzt«, sondern als Dienstleistung »nutzt«, unser Leben, unsere Umwelt und unsere Gesellschaft zum Besseren verändert. Aber natürlich gibt es auch Zweifel und Sorgen, die in diesem Buch ebenso zum Ausdruck kommen.

Andreas Herrmann

Johann Jungwirth

Frank Huber

GELEITWORT VON CEM ÖZDEMIR

Überall auf der Welt klagen die Menschen über Staus und Verkehrsbehinderungen. Wenn wir uns umschauen, sieht es so aus, als stoße die uns allen so lieb gewordene Mobilität vielerorts an ihre Grenzen. In Afrika, Teilen Asiens und Lateinamerikas steigt die Zahl der Menschen, die im Verkehr umkommen oder verletzt werden, immer noch an. Und auch bei uns in Europa sterben immer noch zu viele Menschen im Straßenverkehr. Die »Vision Zero«, also das Ziel von möglichst keinen Verkehrstoten, ist noch weit entfernt. Hinzu kommen lokale Abgase, die mancherorts auf der Welt dazu führen, dass Menschen Masken tragen müssen gegen den Smog. Gleichzeitig werden jedes Jahr weiter wertvolle Flächen versiegelt, um dem wachsenden Verkehr hinterherzubauen. Und als wäre das nicht schon genug, ist unsere Art der Mobilität zurzeit ein großer Treiber der Klimakrise. Etwa 25 Prozent aller Kohlendioxidemissionen resultieren aus dem Verkehrssektor.

Ohne Zweifel, wollen wir uns den genannten Herausforderungen stellen, müssen wir unsere Mobilität anders gestalten. Wir brauchen eine Mobilitätswende. Zentrale Herausforderung dabei ist, zwei auf den ersten Blick durchaus widersprüchliche Ziele miteinander zu vereinen: Einerseits ist Mobilität ohne Frage eine zentrale Voraussetzung, damit Menschen zu Arbeit kommen und dadurch Einkommen erzielen. Vor allem ist Mobilität auch eine grundlegende Voraussetzung für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Austausch zwischen Menschen, Kulturen, Ländern und Kontinenten. Es kann also in keiner Weise darum gehen, Mobilität grundsätzlich einzuschränken oder übergreifend zu verteuern.

Auf der anderen Seite bleiben die erheblichen Kosten für Mensch, Klima und Umwelt, wenn wir nicht umsteuern. Der Handlungsbedarf ist groß. Damit wir die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen und unseren Kindern und Enkeln keinen kaputten Planeten überlassen. Und damit wir unsere Städte nicht weiter um den Verkehr herumbauen, sondern den Verkehr zukünftig für die Bedürfnisse der Menschen bauen. So wird derzeit zum Beispiel etwa ein Drittel der Fläche einer Stadt für den Verkehr benötigt. Lebensqualität, Wohnlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Effizienz gehen anders!

Wie kann es uns gelingen, beide Ziele zusammenzuführen? Neben einem starken öffentlichen Verkehrsangebot, dem massiven Ausbau des Schienennetzes und des Radverkehrs lauten zentrale Stichworte: elektrisch, vernetzt, autonom und geteilt.

In Sachen Antrieb ist die Entscheidung im Pkw-Bereich gefallen: Auf dem Weg zur Klimaneutralität setzen schon so gut wie alle führenden Automobilhersteller auf die Elektromobilität. Gegenüber Autos mit Wasserstoff-Brennstoffzellen und Verbrennern, die irgendwann synthetische Kraftstoffe tanken sollen, hat das E-Auto den Vorteil, dass der erneuerbare Strom nahezu direkt eingesetzt werden kann. Ein Auto mit synthetischen Kraftstoffen braucht wegen der Umwandlungsprozesse fünf bis sechs Mal mehr Strom als ein batterieelektrisches Auto. Voraussetzung für die Elektrifizierung des Verkehrs ist, dass es uns gelingt, ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen bereitzustellen. Die Mobilitätswende ist auch eine Energiewende. Und ohne Energiewende funktioniert sie nicht.

Zudem sollten die Fahrzeuge rasch untereinander und mit der Infrastruktur vernetzt werden. Beispielsweise kann eine sprechende Ampel den herannahenden Fahrzeugen signalisieren, dass sie demnächst von Grün auf Rot schalten wird. Die Autos können sogleich gedrosselt und bei Erreichen der Ampel wieder beschleunigt werden. Das würde schon einiges an Energie einsparen. Autonomes Fahren wäre nochmals ein Schritt weiter. Wie auf einer Perlenkette aufgereiht, könnten sich die Fahrzeuge im Verkehr bewegen. Die Manöver wären harmonisch, es gäbe keine ruckartigen Stop-and-go-Bewegungen. Eine enorme Wirkung auf Energieverbrauch und Emissionen.

Schön und gut. Richtig spannend für den Klimaschutz wird das autonome Fahren aber erst, wenn es uns gelingt, dass immer mehr Menschen Fahrten teilen. Schließlich birgt das autonome Fahren als Einzelbaustein durchaus die viel diskutierte Gefahr, dass noch mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind. Es macht also für Mensch und Klima einen Riesenunterschied, ob das autonome Fahren genutzt wird, einen SUV selbstständig über mehrere Kilometer in ein Parkhaus fahren zu lassen, oder ob wir es auch dafür nutzen, mithilfe autonomer Shuttles Fahrtwünsche in der Stadt zu bündeln oder Randgebiete und ländliche Räume anzubinden, wo Bus und Bahn zu selten fahren. Nutzen wir Fahrzeuge durch Teilen und Poolen effizienter, lässt sich die Zahl der Fahrzeuge und der Fahrten auf der Straße deutlich reduzieren. Nicht nur der Energieverbrauch würde sinken, wir hätten auch wieder mehr Platz in unserer Stadt.

Das alles kommt nicht automatisch. Es braucht den richtigen Rahmen und intelligente Impulse für die Mobilitätswende. Es gibt die Chance für eine moderne, saubere, sichere und bezahlbare Mobilität. Lasst sie uns nutzen, im Sinne der Menschen, der Umwelt und unseres Klimas.

Cem Özdemir im Sommer 2021

Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur des Deutschen Bundestages

GELEITWORT VON CHRISTOPH WOLFF

Mobilität betrifft uns alle, begleitet uns auf Schritt und Tritt und jeden Tag aufs Neue: auf dem Weg zur Arbeit, zu Familie und Freunden, zu Einrichtungen des Gesundheitssystems und des öffentlichen Lebens. Mobilität ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die Voraussetzung der Urbanisierung schlechthin. Wie wir in Städten leben, ist damit verbunden, wie wir uns bewegen. Die Identität einer Stadt ist mit ihrem Transportsystem ikonisch verknüpft: die »black cabs« in London, die Tokyo-Metro, die Tuk-Tuks in Bangkok und die Three-Wheelers in Mumbai; die Freeways von Los Angeles und Dallas. Mobilität »bildet« nach Mark Twain, sie bringt den Menschen zur ökonomischen Entfaltung und – zum Träumen. Aber – sind die Kosten der Mobilität nicht zu hoch?

Andreas Herrmann, Johann Jungwirth und Frank Huber nehmen uns mit auf eine höchst aktuelle Postpandemie-Tour-d’Horizon durch die verschiedenen Aspekte der Mobilität – individuell, gesellschaftlich, technologisch und ökonomisch – mit vielen spannenden Tiefbohrungen aus der ganzen Welt überall da, wo gerade neue Mobilität entsteht.

Angesichts des vor uns liegenden weiteren Wachstums der Städte und der damit verbundenen sozialen Kosten der Mobilität wie Staus, Flächenbedarf für das Parken, Luftverschmutzung, Unfälle und anderer Folgen ist ein Weiter-so nicht möglich. Ein Systemwechsel ist unausweichlich. Die Verknüpfung von autonomem, vernetztem und elektrischem Fahren in einem System, in dem Transportmittel geteilt werden und die Verkehrsmodi digital verknüpft und abgestimmt sind, verspricht die technische Grundlage für einen umfassenden Lösungsansatz. Mobilität für alle … auf Knopfdruck haben die Autoren ihr Buch genannt und machen damit klar, dass es ihnen um mehr geht.

Was sind die Beharrungskräfte auf dem Weg zur neuen Mobilität – ökonomisch und psychisch? Die Automobilindustrie ist ein signifikanter Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor, der Umbau hin zu Elektromobilität schafft neue Arbeitsplätze. Aber er macht auch viele obsolet, insbesondere in der mittelständischen Zulieferindustrie. Sind Autos nicht auch Statussymbole, Lustgewinn und Rückzugsorte, die wir nicht teilen wollen? Sind die Menschen bereit für den Sprung von der individualistischen »City of Play« zur utilitaristischen »City of Speed«? Die »Stadt der 15 Minuten«, in der der Rhythmus der Geschwindigkeit des Menschen entspricht, ist ein Leitbild, aber der Weg dorthin verlangt den Menschen einiges ab und bedeutet vielerorts Rückbau der physischen Infrastrukturen und der täglichen Gewohnheiten.

Rechnet sich Mobility-as-a-Service und schafft es Wohlstand? Bisher ist noch kein wirklich überzeugendes Geschäftsmodell gefunden worden, und die Automobilindustrie zieht sich zurück. Offensichtlich gelingt es nur dort, wo viele mitmachen, eher bei den Millennials und den Digital Natives in den Megacitys, die mit der Sharing Economy aufgewachsen sind. Aber was ist mit den Menschen, die auf dem Land leben und die sich abgehängt fühlen? Wie sieht die neue Mobilität dort aus und wie rechnet sie sich? Was ist mit den Menschen, die in Elendsvierteln der großen Städte ohne öffentliches Nahverkehrssystem leben und nur begrenzten Zugang zu Jobs und öffentlicher Versorgung haben?

Wie sieht das System von »carrots und sticks« aus, das Menschen mitnimmt und begeistert, aber gleichzeitig an die Hand nimmt und den Systemwechsel durch Anpassungen der Infrastruktur deutlich macht?

Das Buch ist global gedacht und für eine globale Audienz geschrieben mit vielen anschaulichen Beispielen, wie es gehen kann und welche Innovationen vor uns liegen. Eine höchst gelungene Balance von Optimismus und Nachdenklichkeit.

Christoph Wolff im Sommer 2021

Executive Committee World Economic Forum

GELEITWORT VON LUCA DE MEO

Mobilität ist eine Quelle der Erfüllung und eine Freiheit.

Ich glaube, dass diese Freiheit mit dem Erhalt des Planeten und einem besseren Zusammenleben einhergeht. Die Zukunft der Mobilität zu antizipieren und zu gestalten ist eine echte Herausforderung für Automobilhersteller.

Die Entwicklung neuer Shared Mobility Services basiert auf der kontinuierlichen Logik der Automobilindustrie, sich stets weiterzuentwickeln. Es lag schon immer in der Natur der Automobilhersteller, beim Verständnis von Verbrauchertrends und -nutzungen führend zu sein, um Transportdienstleistungen anzubieten, die den heutigen und zukünftigen Anforderungen am besten gerecht werden.

Mobilität wurde in den vergangenen Jahren immer multimodaler – dank Shared Mobility und Mikromobilität –, heute beschleunigt sich die Diversifizierung von Mobilitätsgeschäftsmodellen mit einem Marktwachstum von 60 Prozent bis 2035. In der neuen Mobilitätswertschöpfungskette sind intelligente Systeme im Fahrzeug die neue treibende Kraft.

Angesichts dieser technologischen Herausforderung ist die Zusammenarbeit zwischen großen Unternehmen und Behörden, aber auch Universitäten und Forschungszentren von entscheidender Bedeutung. Um die Mobilität von morgen zu gestalten, brauchen wir einen Ökosystemansatz, bei dem Software und Algorithmen eine große Rolle spielen.

Daher müssen wir uns selbst herausfordern, die Auswirkungen auf das Klima und die Ressourcen zu begrenzen und die Mobilität für alle inklusiver und sicherer zu machen. Inklusion durch Mobilität zu fördern, ist für die Branche in den kommenden Jahren eine starke Verpflichtung, da Mobilität eine Quelle von Ungleichheit sein kann und manchmal eine Hürde ist, um einen Arbeitsplatz zu finden, zu behalten oder sich für einen Arbeitsplatz auszubilden. Tatsächlich sagen 50 Prozent der Arbeitssuchenden, dass sie eine Ausbildung oder eine Beschäftigung ablehnen, weil sie keine Transportmöglichkeiten haben.

Für eine nachhaltigere Zukunft müssen Automobilkonzerne Mobilitätslösungen und -dienste entwickeln, die das traditionelle Autokaufsystem ergänzen und eine bessere Nutzung von Vermögenswerten durch die Kreislauf- und Sharing-Ökonomie fördern und dabei die Erwartungen von Verbrauchern, Unternehmen, Betreibern und Gebieten berücksichtigen.

Luca De Meo im Sommer 2021

Chief Executive Officer von Renault S. A. und Chairman von Renault s. a. s.

TEIL 1

MOBILITÄT, WOHLSTAND UND UMWELT

Kapitel 1Dürfen wir noch unterwegs sein?

Reisen bildet

»Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.« So legte einst Johann Wolfgang von Goethe den Menschen nahe, aufzubrechen, unterwegs zu sein und nicht zu Hause zu verkommen. Viele Dichter und Denker schrieben ganz ähnlich, allen voran Mark Twain, für den das Reisen fatal ist, wenn Vorurteile, Bigotterie und Engstirnigkeit aufrechterhalten werden sollen. Reisen, so sein Fazit, erheitert, ermuntert, belebt und fasziniert. Und, ganz wichtig: Reisen macht Menschen glücklich! Gründe genug, um immer wieder Neues zu erkunden, das Weite zu suchen und sich nicht allein mit dem Alten und Nahen zufriedenzugeben. Alle diese Weisheiten und Erkenntnisse lassen sich am besten in dem berühmten Satz von Wilhelm Busch zusammenfassen: »Drum, o Mensch, sei weise, pack die Koffer und verreise.«1

Es gibt wohl nicht viele andere Ratschläge, die so viel Widerhall gefunden haben wie die Aufforderung, zu reisen oder, modern ausgedrückt: unterwegs zu sein. Mobilität hat sich zu einem zentralen Wert in unserer Gesellschaft entwickelt. Vielleicht ist sie sogar Voraussetzung für ein faszinierendes, spannendes, attraktives und erfülltes Leben. Es geht schon lange nicht mehr um den berühmten Tapetenwechsel oder um eine gelegentliche Veränderung des Mittelpunkts im Leben. Mobilität ist der Normalzustand, Stillstand ist die Ausnahme! Nahezu alles, was die Menschen früher an einem bestimmten Ort taten, erleben sie heute unterwegs: arbeiten, ihr Leben reflektieren, im Internet surfen, einkaufen, telefonieren, fernsehen, bei sich sein, ausruhen, womöglich sogar ein wenig wohnen, all das lässt sich überall erledigen.

Trotz der von vielen Individuen geteilten Begeisterung für das Unterwegssein kommt inzwischen die Einsicht auf, dass Mobilität an ihre Grenzen stößt. Die mit dem Reisen verbundenen Schäden für Mensch und Natur sind so gravierend, dass einige eine Rückbesinnung auf Langsamkeit und Beschaulichkeit fordern. Das rast- und ruhelose Mühen scheint vielen übertrieben. Menschen hetzen von einem Ziel zum nächsten ohne erkennbaren Sinn und ohne nachvollziehbaren Zweck. Die Skepsis am unermüdlichen Reisen äußert sich in den Debatten um autofreie Zonen, den Flugverkehr und um zu viele Parkplätze in den Innenstädten. Müssen Menschen wirklich um die halbe Welt reisen, überall vor Ort sein, während in vielen Metropolen die Einwohner regelrecht im Verkehr ersticken?

Hat uns die Coronapandemie nicht etwas völlig anderes gelehrt? Es geht auch ohne Mobilität! Virtuelle Treffen und Reisen via Zoom oder Teams, mit einem Klick in die ganze Welt. Man muss nicht mehr unterwegs sein! Man kann alles von einem Ort aus erledigen. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite: Homeoffice, Lagerkoller, das Gefühl, etwas im Leben zu verpassen, vielleicht sogar eingesperrt zu sein und natürlich der Corona-Blues. Ist Mobilität also doch viel mehr, als nur von einem Ort zu einem anderen zu gelangen? Ist das Unterwegssein nicht etwas Schönes, Erhabenes, Bereicherndes, vielleicht sogar Berauschendes per se, unabhängig davon, wohin die Reise geht? Müssen wir unterwegs sein, vielleicht sogar ohne Ziel? Ist das Verharren an einem Ort nicht auch ein persönlicher Stillstand?

Wir erinnern uns: die Autofahrt in den Urlaub nach Italien. Vorfreunde auf Sonne und Strand, trotz Stau und Hitze. Acht Stunden Zeit, sich die 14 Tage in Bibione an der Adria auszumalen. Nicht nur die Familie im Auto, sondern auch die Gedanken und Gefühle gehen auf Reisen. Oder die Fahrt vom Arbeitsplatz nach Hause. Endlich Ruhe, endlich allein, keine Mitarbeitenden, kein Telefon, keine To-dos. Unterwegssein als Flucht vor dem grauen und tristen Alltag, um anderen Vorstellungen und Empfindungen einen Raum zu geben. Oder der Läufer, der das Runner’s High erlebt, ein Zustand, in dem allein die Bewegung und nicht das ins Auge gefasste Ziel ein Glücksgefühl vermittelt. Mihaly Csikszentmihalyi hat dieses Empfinden als »Flow« bezeichnet. Es stellt sich ein, sobald die Herausforderung aus einer Tätigkeit oder in unserem Fall aus einer Bewegung mit den eigenen Fähigkeiten einhergeht.2

Natürlich geht es häufig darum, möglichst schnell, möglichst einfach, möglichst sicher irgendwo anzukommen. Auf dem Weg zum Einkaufen, zum Arbeitsplatz, zum Sport, zur Schule, zu einem Kunden oder Zulieferer, hier geht es um einen effizienten Transport. Nicht die Reise zählt, sondern die schnelle und einfache Ankunft am Zielort. Aber Mobilität ist mehr! Nicht nur der Mensch ist unterwegs, sondern auch seine Ideen, Träume, Wünsche und vieles mehr. Zugegeben nicht auf jeder Reise, aber gelegentlich eben doch. Deshalb herrscht zumeist Freude, das Ziel erreicht zu haben, aber eben auch Leere, bevor man ein neues Ziel ins Visier nimmt. Jeder kennt dieses Gefühl. Es begleitet uns durchs Leben. Offenbar gilt: Einen Ort erreichen zu wollen, treibt uns an, aber wehe, wir haben ihn erreicht!

Das Bedürfnis, unterwegs zu sein, bezieht sich nicht nur auf die körperliche Bewegung von einem Ort zu einem anderen. Vielmehr geht es immer auch um ein Weiterkommen, um ein Fortbewegen, sogar um einen »Fort-Schritt« im übertragenen Sinne. Vielleicht kann man es so ausdrücken: Die wichtigen, die entscheidenden Reisen in unserem Leben finden dann statt, wenn neben dem Physischen auch das Psychische unterwegs ist. So verstanden ist Mobilität eben beides:3 Der effiziente Transport eines Menschen, aber eben auch das individuelle Fortkommen in einem emotionalen, gedanklichen, vielleicht sogar manchmal auch spirituellen Sinne. Wir lernen daraus: Wer sich mit Mobilität befasst, greift ein bedeutendes Thema auf! Es geht um den effizienten Transport, aber eben auch um den persönlichen »Fort-Schritt«. Beidem wollen wir in diesem Buch gerecht werden.

Gehen wir nochmals zurück: Das Misstrauen gegenüber dem Wunsch, immer unterwegs zu sein, und der wiederkehrende Verweis auf die schädlichen Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt bis hin zum globalen Klimawandel münden häufig in der Forderung nach einer substanziellen Mobilitätswende. Dieser von vielen Menschen geforderte Wandel setzt auf Mäßigung und Verzicht, will eine Rückbesinnung auf Natur und Umwelt und verlangt das Ende von Stress, Hetze und ständiger Bewegung. Es geht um das Besinnliche, das Langsame, das Unaufgeregte, das Gemächliche, das Verwurzelte und das Lokale. Man ist geneigt zu sagen: Es geht um das Gute in einer Zeit des übersteigerten, überhitzten, überhöhten und übertriebenen Unterwegsseins. Man möchte daher den Menschen zurufen: Kommt endlich zur Ruhe, körperlich und seelisch, und ihr habt mehr vom Leben.

Ohne Zweifel ist die Kritik an der heutigen Mobilität, vor allem daran, wie wir sie organisieren, berechtigt und notwendig. Die vielen Unfälle und das damit verbundene Leid, die gravierenden Emissionen und die Auswirkungen auf die Gesundheit, der enorme Platzbedarf für Straßen und Parkplätze, kurzum: Die sozialen Kosten der Mobilität sind in den letzten Jahren sehr stark angestiegen, womöglich sind sie zu hoch. Dies darf aber nicht dazu führen, Mobilität per se zu verurteilen und abschaffen zu wollen. Wie eingangs erwähnt, vermag das Reisen zu bilden, den Horizont zu erweitern, Urteile zu überdenken und die Welt immer wieder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Hinzu kommt, dass Mobilität viele Menschen in Arbeit und Wohlstand bringt, damit Einkommen und Beschäftigung ermöglicht. Vielleicht ist sie sogar der entscheidende Faktor für eine florierende Wirtschaft und eine stabile Demokratie. Deshalb ist es unerlässlich, die Diskussion um die Mobilität der Zukunft anders, hoffentlich besser, zu führen als bislang. Es geht nicht um das Entweder-oder: Bleib zu Hause oder sei ein Umweltverschmutzer. Wir plädieren für ein Sowohl-als-auch. Lasst die Menschen unterwegs sein, lasst sie reisen, schickt sie hinaus in die Welt. Aber Bitteschön mit einer anderen Mobilität als bislang! Denkt an die Umwelt!

Mobilität wirkt. Das zeigt ein Blick auf die politische Landkarte. Es ist nicht mehr nur das Brot, wie zu Beginn der Französischen Revolution, sondern die schlechte oder teure Mobilität, die Regierungen inzwischen in die Knie zwingt. Denken wir an die Unruhen 2014 in Brasilien oder 2019 in Chile und Ecuador, allesamt wegen einer Preiserhöhung der Bahntickets oder des Benzins. Selbst im Sudan, im Iran oder in Haiti waren steigende Benzinpreise der Grund für Aufruhr. Allein 2019 gab es in sieben Staaten erhebliche Zwischenfälle wegen der dramatisch wachsenden Kosten für die Mobilität. Oder die berühmten Gelbwesten, die in Frankreich samstags protestierten. Was als Bürgerbewegung gegen eine höhere Besteuerung von Kraftstoffen begann, endete mit der Forderung, alle Steuern zu senken, den Mindestlohn und die Renten anzuheben und alle wichtigen politischen Geschäfte per Referendum zu entscheiden.

Hierzu zwei Überlegungen: Ja, wir müssen die Art und Weise verändern, wie wir Mobilität betreiben. Alle Kritik an den Nebenwirkungen ist berechtigt und muss ausgesprochen werden. Ohne Zweifel, es braucht dringend eine nachhaltige Verbesserung. Die Verkehrssituation vor allem in den Metropolen ist katastrophal. Wir können diesen Zustand nicht mehr hinnehmen. Nein, wir dürfen dabei nicht den Anspruch auf Mobilität per se aufgeben. Sie ist wie der Kitt unserer Gesellschaft und Voraussetzung für die Entwicklung eines jeden Einzelnen. Mobilität ist ein besonderes Gut, eine Errungenschaft unserer Zivilisation. Sie aufzugeben, wäre ein enormer Rückschritt. Es wäre geradezu töricht. Daher verfolgen wir mit diesem Buch ein wichtiges Ziel: Mobilität neu zu denken und die Konturen eines alternativen Verkehrskonzepts zu zeichnen mit dem alleinigen Anliegen, dass wir auch in Zukunft noch unterwegs sein können, ohne unseren Planten zu zerstören.

Der Kern aller Gedanken bildet die Idee, die Mobilität als Dienstleistung zu organisieren. Mobility-as-a-Service ist das Konzept dafür. Man muss Verkehrsmittel, allen voran das Auto, nicht mehr sein Eigen nennen, um unterwegs sein zu können. Ganz im Gegenteil: Die intelligente Verknüpfung mehrerer Verkehrsmittel wie Zug, Auto, Roller und Fahrrad verbessert das Reisen in vielerlei Hinsicht. Am besten noch mit autonomen Fahrzeugen, also selbstfahrenden Pods und Shuttles. Es geht günstiger, einfacher, sicherer, leichter und oft auch schneller. Aber wichtiger noch: Mobility-as-a-Service ist der entscheidende Ansatz, um die vielfältigen Kosten der Mobilität deutlich zu reduzieren. Hierzu zählen insbesondere Staus und Unfälle, der Flächenbedarf für Straßen und Parkplätze, der Lärm und die Abgase. Wir kommen noch im Detail darauf.4

Stellen wir eines klar: Wir Autoren wollen den Menschen die Freude am Automobil nicht nehmen. Wir wollen den Fahrspaß nicht vereiteln. Wir wollen keine neuen Verbote, keine weiteren Gesetze und keine zusätzlichen Eingriffe in die Selbstbestimmung. Wir wollen auch die Faszination, die aus der Bewegung resultiert, nicht einschränken. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass diese Welt eine Alternative zur gegenwärtigen Mobilität braucht. Dieser Befund kann uns eigentlich nicht überraschen: Vor nahezu 140 Jahren wurde das Auto erfunden, vor beinahe 200 Jahren der Zug.5 Im Grunde nutzen wir diese Verkehrsmittel auf die immer gleiche Weise. Und das, obwohl sich die Welt in dieser Zeit total verändert hat. Es geht intelligenter, es geht besser; machen wir uns auf eine spannende Reise!

Mobilität als Menschenrecht

Weltweit leiden etwa eine Milliarde Menschen an Behinderungen aller Art, das sind etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung.6 Die meisten von ihnen leben in Entwicklungsländern, wo es zumeist keine Möglichkeit gibt, ohne die Hilfe anderer von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Busse und Bahnen sind oft nicht erreichbar. Daher fristen viele von ihnen ein Dasein in Armut, ohne Möglichkeit, sich beruflich und persönlich zu entwickeln. Viele Behinderte in diesen Ländern haben keinen Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur allein schon deshalb, weil sie ihren Heimatort gar nicht verlassen können. Armut und Behinderung bedingen sich oft gegenseitig: Wer arm ist, besitzt ein hohes Risiko, eine Behinderung zu erleiden, und wer mit einer Behinderung lebt, weist ein größeres Armutsrisiko auf.7

In der Diskussion, wie und wo man Menschen mit Behinderungen am besten ins öffentliche Leben einbindet, geht es häufig um angemessene Löhne, eine umfassende Krankenversicherung sowie um den Zugang zu Ausbildungsplätzen und die sich daran anschließende berufliche Entwicklung. Dabei wird übersehen, dass die Bereitstellung von zugänglichen, zuverlässigen, bezahlbaren und sicheren Transportmöglichkeiten zumindest ebenso wichtig ist. Ein Mobilitätssystem, das alle Menschen nutzen können, ermöglicht private und berufliche Perspektiven und vermittelt das Gefühl von Freiheit, Unabhängigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Hierzu zwei eindrückliche Stimmen: Anil Lewis, Executive Director, National Federation of the Blind, USA, schildert seine Erblindung und die damit verbundenen Auswirkungen auf seine Mobilität so: »Das Schlimmste war, dass ich das Autofahren aufgeben musste. Davor war das Fahrzeug wie eine Therapie für mich: Ich stieg ein und fuhr los.« Myreo Dixon, Repräsentant der United Spiral Association, USA, lebt im Rollstuhl und meint zu Mobilität Folgendes: »Es geht um Unabhängigkeit, Selbstvertrauen und Selbstachtung. Dies alles ist wichtig für die persönliche Entwicklung behinderter Menschen …«.8

Untersuchungen auf der ganzen Welt zeigen jedoch immer wieder das gleiche Bild: Behinderten Menschen sind Busse und Bahnen oft verwehrt, sei es durch kaum zugängliche Fahrzeuge oder durch bauliche Hindernisse an den Bahnhöfen und Busstationen.9 Hierzu eine Episode aus London: Aus eigener Beobachtung wissen wir Autoren, dass selbst Uber-Fahrer es immer wieder ablehnen, blinde Menschen zu befördern. Der Grund? Blinde können nicht immer ihren Standort genau beschreiben und sind daher oft nicht ohne Weiteres zu finden. Zudem werden sie meist von einem Blindenhund begleitet, der auch eingeladen werden muss. Das alles kostet Zeit und Geld.

Wegen dieser und weiterer Geschichten werden überall auf der Welt immer mehr Stimmen laut, die fordern, Mobilität als ein Menschenrecht zu verstehen. Diese Idee ist nicht neu, da die »Universal Declaration of Human Right« der Vereinten Nationen in Artikel 13 die »Freedom of Movement« als ein zentrales Recht jedes Menschen beschreibt: »Everyone has the right to freedom of movement and residence within the borders of each state. Everyone has the right to leave any country, including his own, and to return to his country.«10 Eigentlich eine unmissverständliche Aussage, nur mit der Umsetzung will es noch nicht so richtig klappen.

Aus Artikel 13 lässt sich wohl ein Grundrecht auf Mobilität ableiten. Das reicht vielen noch nicht. Einige sind noch mutiger, gehen einen weiteren Schritt und fordern eine Grundmobilität. Allen Menschen, auch den jungen, alten, kranken und behinderten, müssten Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die per Knopfdruck gerufen werden können. Dies ist die Vision, die wir Autoren in diesem Buch verfolgen: Mobilität für alle … auf Knopfdruck! Es geht um Gleichberechtigung. Jeder Mensch soll eine faire Chance erhalten. Wir dürfen es nicht zulassen, dass abhängig von Land und Region 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung von der Mobilität ausgeschlossen sind.

Nicht nur die Behinderung, auch die soziale Lage kann eine kaum zu überwindende Hürde sein. Schauen wir nach Delhi: geringstes Einkommen, ärmlichste Unterkunft, bescheidenster Lebensstil und das Schlimmste: gefangen in der eigenen Stadt. Viele Delhier haben gar keine Möglichkeit, an der wirtschaftlichen Entwicklung oder am sozialen Leben teilzuhaben. Die Tickets für Busse und Bahnen sind unerschwinglich. Mobilität ist zu teuer. Damit sind auch viele Chancen im Leben verbaut. Arbeitsplätze und Bildungseinrichtungen in anderen Stadtteilen sind unerreichbar. Die meisten verbringen das ganze Leben in ihrem Quartier.

Wir erkennen daraus: Mobilität ist die zentrale Voraussetzung, damit Menschen in Arbeit und Lohn kommen, sozial und beruflich aufsteigen können. Busse und Bahnen, natürlich auch Fahrräder, Roller und vor allem Autos erlauben es den Individuen, ihre Reichweite und ihr Einzugsgebiet auszudehnen, Schulen zu besuchen, Berufe zu erlernen und damit die persönliche Entwicklung voranzubringen. So gesehen gibt es für eine Gesellschaft nicht viel Wichtigeres, als eine funktionierende Mobilität bereitzustellen. Eine, die tatsächlich funktioniert, wohlgemerkt! Also eine sichere, zugängliche, saubere, verlässliche und bezahlbare. Und zwar für alle.

Schließen wir diesen Gedanken mit einigen Nachrichten, die Hoffnung machen: Die Stadtbahnen von Tokyo sind dabei, möglichst viele Barrieren, wie Treppen und für Rollstühle nicht passierbare Ein- und Ausgänge, zu beseitigen. Mit besonders preisgünstigen Sonderbussen versucht die Regierung von Bangalore, Menschen mit sehr niedrigem Einkommen den Zugang in andere Stadtteile zu ermöglichen. In Mexico City können behinderte Menschen alle Schnellbusse gratis nutzen, und in Estland ist das öffentliche Busnetz sogar für die gesamte Bevölkerung kostenlos.

Kapitel 2Mit Mobilität zu Wohlstand

Greifen wir eine wichtige Überlegung noch einmal auf. Immer häufiger setzt sich in der gesellschaftlichen Diskussion die Erkenntnis durch, dass der Wohlstand der Menschen von ihrer Mobilität abhängt. Eine verbesserte Mobilität führt vor allem in den Städten dazu, dass die Menschen bessere Jobs bekommen, höheres Einkommen erzielen und weniger Gefahr laufen, in die Arbeitslosigkeit zu fallen. Wer weiter kommt, wer den eigenen Radius vergrößert, die eigene Reichweite ausdehnt, hat mehr Arbeitsplätze zur Auswahl und damit bessere Chancen für die berufliche und persönliche Entwicklung. Wenn das stimmt, dann kommt dem Staat die wichtige Aufgabe zu, genau für diese Mobilität zu sorgen. Verkehrspolitik ist so gesehen Sozialpolitik: Biete den Menschen zuverlässige, bezahlbare und sichere Transportmöglichkeiten, und sie haben die Möglichkeit, sich zu entfalten. Dieser Spur wollen wir im Folgenden nachgehen.

Pendler in New York

Schauen wir dazu nach New York. Für die Bewohner dieser Megacity besteht überall dort eine gute Möglichkeit, der Armut zu entkommen, wo es zuverlässige, leistungsfähige und sichere Transportmittel gibt.1 Kein anderer Faktor, so ergab eine Studie der New York University, beeinflusst die Chance, in Wohlstand zu gelangen, so deutlich wie der verfügbare private und öffentliche Verkehr. Je mehr Arbeitsplätze der Einzelne von seinem Wohnort aus erreichen kann, desto mehr Optionen hat er, persönlich, beruflich und sozial voranzukommen.

Menschen mit Zugang zum öffentlichen Verkehr in New York City sind demnach beruflich ähnlich erfolgreich wie Menschen, die sehr weit außerhalb der City wohnen, jedoch ein Fahrzeug besitzen und morgens und abends ohne Staus pendeln können. Am schlechtesten sind hingegen jene Menschen gestellt, die weder ein eigenes Auto noch Zugang zum öffentlichen Verkehr haben. In der Studie wurden die 177 Stadtteile von New York City in eine Rangfolge gebracht. Wie viele Jobs können ihre Einwohner an einem Montagmorgen innerhalb einer Stunde Fahrzeit mit dem Fahrzeug oder dem öffentlichen Verkehr erreichen? Zudem wurden das Einkommen der Einwohner und die Arbeitslosigkeit in diesen Stadtteilen erfasst.

Es zeigte sich, dass die Stadtteile am Ende der Reihung eine sehr hohe Arbeitslosigkeit und ein sehr geringes Durchschnittseinkommen aufweisen. Die Einwohner von Tottenville, Elm Park oder Annadale auf Staten Island sind in dieser einen Stunde am Montagmorgen lediglich in der Lage, einige Zehntausend Arbeitsplätze zu erreichen. Viele von ihnen können sich kein eigenes Fahrzeug leisten und müssen ein langes und mühsames Pendeln zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen. Diese Menschen befinden sich im Niemandsland zwischen den Arbeitsplätzen und den Transportmöglichkeiten und zählen daher zu den Verlierern in dieser expandierenden Metropole. Dagegen haben die Bewohner von South Chelsea, North-East Midtown oder South Tribeca in Manhattan ganz andere Möglichkeiten für die berufliche Entfaltung. Sie können über vier Millionen Arbeitsplätze innerhalb einer Stunde Fahrt mit dem Zug oder dem Auto erreichen.

Arbeiter in Chicago

Jetzt nach Chicago. Dort zeigt sich der Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Mobilität und den Chancen für eine berufliche und persönliche Entfaltung besonders deutlich. Diese am Lake Michigan gelegene Agglomeration weist eine Fläche von über 28 000 Quadratkilometern auf und ist damit fast so groß wie Belgien. Die Metropolregion erstreckt sich über Dutzende von Vororten, die alle mit dem Stadtgebiet verflochten sind. Ein nächtlicher Anflug auf den Flughafen O’Hare liefert eine eindrückliche Kulisse: Lichter, soweit man schauen kann. Allerdings führt diese Weitläufigkeit dazu, dass etwa drei Millionen Menschen in Gebieten leben, die man als abgehängt beschreiben kann. Cook County im Süden der Stadt ist am schlimmsten betroffen. Dort haben viele Einwohner kein eigenes Auto, kaum Zugang zum öffentlichen Verkehr und daher nicht viele Möglichkeiten für ihr berufliches oder privates Weiterkommen. Die Folgen überraschen nicht: Viele Bewohner haben keine gute Ausbildung, schlechte Jobs und verdienen daher nicht viel.2 Der übliche Teufelskreis.

Untersuchungen in Chicago zeigen immer wieder das gleiche Bild:3 Fallen Busse und Bahnen aus oder verkehren nicht zuverlässig, können die Menschen ihre Arbeitsplätze nicht erreichen. Einige Unternehmen mussten deshalb sogar schon die Produktion drosseln. Das war ein Ärger! Nicht selten verlieren die Pendler sogar ihren Job, weil die Züge nicht verlässlich verkehren. Dann geht alles wieder von vorn los. Bewerben, Gespräche führen, Job finden, hoffen, dass der Nahverkehr ein Pendeln ermöglicht. Aber auch für die Firmen ist das unzureichende, unzuverlässige und auf manchen Abschnitten sogar marode Transportsystem teuer. Immer wieder müssen sie neue Mitarbeitende einstellen und einarbeiten. Der ständige Personalwechsel kostet Zeit und Geld! Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Aber in einigen Firmen wird davon gesprochen, dass der schlechte Nahverkehr bis zu fünf Prozent Umsatz kostet.

Doch es gibt auch Hoffnung: Inzwischen haben sich einige Unternehmen zusammengetan, um Busse anzuschaffen und einen Linienverkehr zwischen den Wohngebieten und Logistikzentren, Fabriken und Werkshöfen einzurichten. Kein Stress mehr für die Mitarbeitenden. Die Busse fahren stets zuverlässig und regelmäßig. Bosch ist ein Beispiel dafür. Und auch Apple und Google bieten Transportdienste an, um die Mitarbeitenden zu binden. McDonald’s hat nach über 40 Jahren sogar die Hauptverwaltung von Oakbrook nach West Loop verlegt. Der Grund dafür: Der Ort war nur mit Mühe zu erreichen. Die Bewerbungen gingen zurück. Seit dem Umzug steigen sie wieder an.

Mexico City, São Paulo und die Schweiz

Nicht nur in New York oder Chicago fallen jene Stadtteile in der sozialen Entwicklung zurück, die nur unzureichend an das Straßennetz oder den öffentlichen Verkehr angebunden sind. Es kommt darauf an, möglichst viele und schnelle Verkehrsverbindungen in die aufstrebenden Stadtteile zu schaffen. Nehmen wir als Beispiel Santa Fe, ein boomendes Geschäftsviertel im Westen von Mexico City. Es besteht aus Bürogebäuden, Geschäften, Supermärkten sowie drei Hochschulen und vielen Wohnungen. Da Santa Fe jedoch nicht an das öffentliche Bus- und Bahnnetz angeschlossen ist, können die Pendler nur mit dem Auto in diesen Stadtteil gelangen. Die Folgen liegen auf der Hand: Stillstand auf den Straßen vor allem morgens und abends, viele Unfälle und eine enorme Luftverschmutzung. Hinzu kommen gestresste Mitarbeitende, die bis zu sechs Stunden täglich für den Weg zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause benötigen.

Schätzungen zufolge belaufen sich die täglichen Verkehrsstaus in São Paulo auf eine Gesamtlänge von bis zu 600 Kilometern. Die Einwohner sind daher gezwungen, ihren Tag stets mit Blick auf die Verkehrslage zu planen. Während der Hauptverkehrszeiten morgens und abends herrscht auf den Straßen der völlige Stillstand. Dies ist auch ein Problem für die Landbevölkerung, die in der Stadt nach Arbeit sucht. Busse verkehren selten nach Fahrplan und stehen aufgrund fehlender Spuren ebenso im Stau wie Autos, sodass kein sicherer und verlässlicher Pendelverkehr zwischen der Innenstadt und den Außenbezirken möglich ist. Da die Wohnungen im Zentrum für viele Menschen jedoch unerschwinglich sind, entstehen behelfsmäßige Unterkünfte an den Busbahnhöfen. Die Folge: Die Arbeitssuchenden sind gefangen in ihrer eigenen Stadt. Sie kommen hinein, aber nicht mehr hinaus und finden keinen bezahlbaren Wohnraum. Ein stets fließender Verkehr würde ein Pendeln zwischen dem Arbeitsplatz in der Innenstadt und den Wohnungen in den Außenbezirken ermöglichen. Damit hätten die Zuwanderer die Möglichkeit, gering bezahlte Arbeit im Zentrum anzunehmen und sich gleichzeitig bezahlbare Unterkünfte außerhalb der Innenstadt zu suchen. Das Beispiel lehrt uns eine Lektion: Eine funktionierende Mobilität ist Voraussetzung dafür, dass die fortschreitende Urbanisierung für viele Menschen, die voller Hoffnung in die Städte strömen, nicht im sozialen Elend endet.

Abbildung 1.1: Investitionen in die Infrastruktur

Quelle: OECD (2020): https://data.oecd.org/transport/infrastructure-investment.htm

Diese Diskussion legt einen interessanten Gedanken nahe: Müsste man nicht viel konsequenter als bislang auf eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur setzen? Sollte der Staat nicht alles dafür tun, damit die Einwohner möglichst viele Arbeitsplätze in einer Stunde Fahrzeit mit dem Auto, dem Bus oder Zug erreichen können? Ohne jeden Zweifel, die Investitionen in Straßen und Schienen sind erheblich, wie aus den in Abbildung 1.1 dargestellten Zahlen hervorgeht. Pro Kopf ist die Schweiz der Spitzenreiter, gefolgt von China, Japan, den USA und Deutschland.4 Allerdings gibt China beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur mächtig Gas!

Bislang liegen keine Studien vor, die den Sinn und Zweck dieser Verkehrsinvestitionen, gemessen in niedrigerer Arbeitslosigkeit und höherem Einkommen, detailliert ausweisen. Bestenfalls die generellen Zusammenhänge zwischen diesen Größen sind bekannt. Kaum verwunderlich, da sich nicht nur die Verkehrsinfrastruktur, sondern viele weitere Faktoren auf die Arbeitslosigkeit und das Einkommen auswirken. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass der in New York City entdeckte Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Mobilität und der Chance auf berufliche Entwicklung auch in vielen anderen Ländern gilt.

Aufgrund des besonders engmaschigen und leistungsfähigen Schienen- und Straßennetzes lässt sich die gesamte Schweiz als ein großer Arbeitsmarkt auffassen. Egal ob man in Bern, Zürich, Luzern oder Basel lebt. Innerhalb einer Stunde kann man mit dem Auto oder Zug in die anderen Städte pendeln. Dadurch eröffnen sich eine Vielzahl von beruflichen Möglichkeiten, die ohne diese bestens funktionierende Mobilität, die den Staat jährlich ungefähr 800 Euro pro Einwohner kostet, verschlossen blieben. Vielleicht ist gerade diese herausragende Verkehrsinfrastruktur der entscheidende Grund für den wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes.

Immerhin wenden die Staaten der OECD durchschnittlich etwa 1 Prozent des Sozialprodukts für Zahlungen an Arbeitslose und circa 20 Prozent für andere Sozialleistungen auf. Zweifellos ist die Streuung enorm, und die Zahlen sind nicht ohne Weiteres miteinander vergleichbar. Jedes Land definiert und strukturiert seine Sozialleistungen anders. Wie auch immer man rechnet, die in Abbildung 1.1 dargestellten Zahlen sind dagegen nicht hoch. Man mag sie sogar als gering einstufen. Folglich liegt der Gedanke nahe, mit weiteren Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur die Sozialkassen zu entlasten.5 Obgleich sich an dieser Stelle nicht endgültig beweisen lässt, dass höhere Investitionen in die Mobilität der Menschen die Wirtschaftsleistung steigern, gilt folgender Tenor: Investiert in die Verkehrsinfrastruktur! Schafft Mobilität für alle! Ermöglicht den Menschen den Zugang ins Verkehrsnetz! Gebt ihnen Reichweite und damit bessere berufliche und persönliche Perspektiven! Am Ende zahlt es sich aus, auch in den Sozialkassen.

Maria und Olivia

Hinter allen Argumenten für eine funktionierende Mobilität stehen letztlich Menschen und ihre Schicksale. Anhand von zwei Geschichten soll der tägliche Kampf von Pendlern in zwei vom wachsenden Verkehr geplagten Städten veranschaulicht werden. Die beiden Fälle verdeutlichen, dass sich eine unzureichende Mobilität nicht nur auf die beruflichen Perspektiven der Betroffenen, sondern auch auf ihr soziales Leben und das Miteinander in Familien auswirkt. Mobilität ist eben mehr als der Transport von einem Ort zu einem anderen. Mobilität ist persönliche und berufliche Entfaltung.

Inspiriert durch Verkehrsprojekte in den USA, setzt die Regierung von São Paulo seit den 1960er Jahren beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur vor allem auf das Auto. Dabei weist diese Metropole eine europäische Stadtstruktur auf und ist im Unterschied zu amerikanischen Städten schon immer durch eine sehr hohe Bevölkerungsdichte geprägt. Die Entwicklung des Schienennetzes für einen funktionierenden öffentlichen Verkehr wurde völlig vernachlässigt, mit den bekannten Folgen: Lärm, Emissionen und einen ungebremsten Autoverkehr. Jene Einwohner, die sich kein eigenes Fahrzeug leisten können, sind auf die Nutzung von Bussen angewiesen, die wiederum selbst im Stau stehen. Folglich dauert die durchschnittliche Fahrt etwa 93 Minuten, und mehr als 95 Prozent der Fahrten dauern länger als zwei Stunden.6

Wie die meisten der 21 Millionen Einwohner von São Paulo kann es sich Maria nicht leisten, im Stadtzentrum zu wohnen. Sie lebt in Itaquaquecetuba, einem Vorort, der aufgrund der enormen Ausbreitung dieser Metropole fast 50 Kilometer vom Zentrum entfernt liegt. Da der öffentliche Verkehr nicht leistungsfähig ist, muss Maria wie viele andere Menschen an manchen Tagen bis zu vier Stunden pendeln, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Bereits mit 14 Jahren verließ sie die Schule, bot zunächst Brausegetränke am Straßenrand an und wechselte danach von einer Anstellung zur nächsten. Nach der Geburt ihrer Tochter versuchte sie zwar einige Male den Schulabschluss nachzuholen, aber die vielen Stunden in Bussen und Zügen ließen dies nicht zu. »Öffentliche Verkehrsmittel sind so schlecht, dass sich die Leute, sobald sie etwas Geld haben, ein Auto kaufen. Die Menschen hoffen damit auf einen Aufbruch zu neuen Lebenschancen, sofern sie nicht wie alle anderen auch damit im Stau stehen«, berichtet Maria.

Inzwischen geht sie jeden Tag um kurz vor 7 Uhr zur Bushaltestelle. Manchmal steht sie dort 10 Minuten, manchmal 30 Minuten, es gibt keinen Fahrplan. Ist der Bus überfüllt oder fällt aus, muss Maria auf den nächsten warten und kommt zu spät zur Arbeit. Um halb neun erreicht der Bus den Vorort Brás, wo sie auf dem Weg zur Metro von einem Schwarm anderer Pendler mitgerissen wird. Einige Minuten später befindet sie sich auf dem Bahnsteig, allerdings sind die ersten beiden Züge bereits so voll, dass nur sehr wenige Personen zusteigen können. »Wir sind sehr dicht gedrängt, und es gibt keine Frauenabteile. Früher wurde ich häufig sexuell belästigt«, sagt Maria. »Ich bekomme anzügliche Kommentare, weil ich schwarz bin. Übergriffe werden jedoch nur selten gemeldet. Die Frauen leiden, aber sobald sie aus dem Zug steigen, vergessen sie es. Die Polizei würde sowieso nur lachen.«

Maria quetscht sich in den dritten Zug und kommt, sofern sie alle Anschlüsse erreicht, nach zwei Stunden Fahrt bei ihrem Arbeitsplatz an. In Itaquaquecetuba leben 300 000 Menschen, aber es gibt nicht genug Beschäftigung. »Alle gut bezahlten Jobs befinden sich im Zentrum von São Paulo«, erzählt Maria, die inzwischen als schlecht bezahlte Praktikantin bei der Staatsanwaltschaft arbeitet. Zudem macht sie an einem Wochenende pro Monat zwei Zwölf-Stunden-Schichten in einem Frisörsalon, da sie das Geld so dringend für ihre Tochter benötigt. In den Pausen bereitet sie das Abendstudium vor, eine Weiterbildung in Recht, jeden Werktag von 18 bis 22 Uhr. Völlig erschöpft tritt sie danach ihre Heimreise an und ist mit etwas Glück gegen Mitternacht zu Hause. Jetzt aber rasch ins Bett, schon bald klingelt der Wecker, und die nächste Fahrt in das Stadtzentrum von São Paulo beginnt.7

Los Angeles gehört zu jenen Städten in den USA, in denen sich der Verkehr zumeist nur im Stop-and-go-Tempo bewegt. Jeder Pendler verbringt jährlich viele Stunden im Stau, was sich in einer enormen Belastung der Umwelt durch Abgase auswirkt.8 Auch der öffentliche Verkehr ist davon betroffen, da die Busse auf den gleichen Fahrspuren wie die Autos um ihr Fortkommen kämpfen. Aufgrund der überfüllten Straßen können die Fahrpläne nicht eingehalten werden, sodass viele Pendler Anschlüsse verpassen und zu spät am Arbeitsplatz eintreffen. Überall das Gleiche. Die Gründe für die Verkehrsüberlastung liegen auf der Hand: In den ländlichen Bezirken um Los Angeles herum sind nur wenige Jobs zu bekommen, und die Gehälter sind zumeist deutlich niedriger als in der Innenstadt. Zudem sind die Mieten in den letzten Jahren im Stadtzentrum sehr stark angestiegen, weshalb sie für die meisten Menschen unerschwinglich sind.

Olivia steht daher jeden Morgen um drei Uhr auf und verlässt pünktlich um halb vier ihr Haus in Hemet, einem Vorort 150 Kilometer von Los Angeles entfernt. Sie fährt mit dem Auto zum Bahnhof, nimmt den Zug um kurz vor vier Uhr und kommt um sieben Uhr an der Union Station in Los Angeles an. Nach einer 20-minütigen Fahrt mit der U-Bahn erreicht sie gegen halb acht das Büro. Dort wartet ein neunstündiger Arbeitstag auf sie. Somit ist Olivia erst gegen halb neun abends wieder zu Hause. Noch den Kindern gute Nacht sagen und gleich ins Bett, da der Wecker schon bald wieder klingelt.