Der Vampir von New Orleans - Helen Perkins - E-Book

Der Vampir von New Orleans E-Book

Helen Perkins

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Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Jemand stand ganz in ihrer Nähe. Sie erkannte die Umrisse eines Menschen, einer Frau mit langem Haar. Sie schien etwas Fließendes zu tragen, das an einen Umhang erinnerte, denn ihr Schatten verschmolz gleichsam mit der Umgebung. Doch das war nicht alles. Valene sah noch etwas, das sie allerdings nicht einordnen konnte. Es waren zwei rote Lichtpunkte, auf der Höhe, wo sich eigentlich die Augen der unheimlichen Frau befinden sollten. Was hatte das zu bedeuten? Erlaubte sich hier jemand einen Scherz mit ihr oder … Ihre Gedanken zerfaserten, als die Frau blitzschnell heran war. Valene hatte nicht gesehen, dass sie sich bewegte. Es war, als sei sie einfach auf sie zu geflogen. Im nächsten Moment fühlte die junge Frau sich gepackt. Noch ehe sie zu einer Reaktion in der Lage war, flüsterte eine Stimme, die nur in ihrem Kopf zu sein schien: »Schrei nur, es wird dir nichts nützen.« Und dann versank die Welt ringsum hinter einem Vorhang aus tiefrotem Samt, der sogleich ins Schwarz einer Neumondnacht abtauchte. Valene merkte nicht mehr, dass die Frau sie packte und auf ihren Armen davontrug, als sei das gar nichts. Gleich darauf verließ die unheimliche Erscheinung mit ihrer lebenden Last den kleinen Park. Sie war sicher, dass niemand sie gesehen hatte und keiner von ihrem Treiben wusste. »Also, macht's gut, bis nächste Woche!« Valene verließ das Fitnesscenter, das in einer ehemaligen Markthalle in der Nähe des Hafens von New Orleans untergebracht war. Die sportliche junge Frau jobbte hier stundenweise, um ihr Studium zu finanzieren. Valene Gray stammte aus einem Kaff in Texas, dessen Namen kaum jemand kannte und wo im wahrsten Sinne des Wortes der Hund begraben lag.

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Moonlight Romance – 18 –

Der Vampir von New Orleans

Ein Zauberkongress bringt Tod und Verderben

Helen Perkins

Jemand stand ganz in ihrer Nähe. Sie erkannte die Umrisse eines Menschen, einer Frau mit langem Haar. Sie schien etwas Fließendes zu tragen, das an einen Umhang erinnerte, denn ihr Schatten verschmolz gleichsam mit der Umgebung. Doch das war nicht alles. Valene sah noch etwas, das sie allerdings nicht einordnen konnte. Es waren zwei rote Lichtpunkte, auf der Höhe, wo sich eigentlich die Augen der unheimlichen Frau befinden sollten. Was hatte das zu bedeuten? Erlaubte sich hier jemand einen Scherz mit ihr oder … Ihre Gedanken zerfaserten, als die Frau blitzschnell heran war. Valene hatte nicht gesehen, dass sie sich bewegte. Es war, als sei sie einfach auf sie zu geflogen. Im nächsten Moment fühlte die junge Frau sich gepackt. Noch ehe sie zu einer Reaktion in der Lage war, flüsterte eine Stimme, die nur in ihrem Kopf zu sein schien: »Schrei nur, es wird dir nichts nützen.« Und dann versank die Welt ringsum hinter einem Vorhang aus tiefrotem Samt, der sogleich ins Schwarz einer Neumondnacht abtauchte. Valene merkte nicht mehr, dass die Frau sie packte und auf ihren Armen davontrug, als sei das gar nichts. Gleich darauf verließ die unheimliche Erscheinung mit ihrer lebenden Last den kleinen Park. Sie war sicher, dass niemand sie gesehen hatte und keiner von ihrem Treiben wusste. Doch sie täuschte sich …

»Also, macht’s gut, bis nächste Woche!« Valene verließ das Fitnesscenter, das in einer ehemaligen Markthalle in der Nähe des Hafens von New Orleans untergebracht war. Die sportliche junge Frau jobbte hier stundenweise, um ihr Studium zu finanzieren.

Valene Gray stammte aus einem Kaff in Texas, dessen Namen kaum jemand kannte und wo im wahrsten Sinne des Wortes der Hund begraben lag. Schon als Teenager hatte sie den unbändigen Wunsch verspürt, der Enge des Farmlebens mit fünf Geschwistern zu entfliehen. Es war nie in Traum gewesen, Bill, Bob oder Joe von nebenan zu heiraten und dann das Leben ihrer Mutter zu wiederholen. Da sie ein helles Köpfchen hatte, war die Highschool für sie nur ein Klacks gewesen. Und mittels eines Stipendiums hatte sie sich ihren Traum erfüllen können: sie studierte nun im dritten Jahr Sprachen in New Orleans. Zuerst hatte diese Stadt sie fast erschlagen mit ihrer Größe und ihrer lärmenden Buntheit. Doch mittlerweile liebte sie ihr Leben hier und sie hatte sich in einer WG mit drei anderen Studentinnen wunderbar eingelebt.

Heute hatte Valene zwei Kurse von einer erkrankten Kollegin übernommen und erst kurz vor zehn Uhr am Abend Schluss gehabt. Sie beeilte sich, zu ihrem etwas in die Jahre gekommenen Beetle zu gelangen, der auf dem Parkplatz vor dem Fitnesscenter stand. Ihr Vater und ihr Bruder Ted hatten ihn für sie aufgemöbelt, das war sozusagen ihr Abschiedsgeschenk gewesen. Thomas Gray hatte seine Tochter nicht in eine Stadt wie New Orleans ziehen lassen wollen ohne eigenen fahrbaren Untersatz. Die öffentlichen Verkehrsmittel waren ihm zu unsicher, vor allem nachts. Und nun war Valene ihm dafür einmal mehr dankbar. Es war ein warmer, etwas stickiger Abend Ende April. Der Vollmond hing wie eine reife Apfelsine über dem Delta. Im Hafen wurde rund um die Uhr gearbeitet. Die riesigen Verladekräne bewegten Unmengen von Containern. Wie gigantische Urzeitwesen zeichneten sie sich vor dem dunstigen Abendhimmel ab. Zwischen dem Delta des Mississippi-River im Süden und dem Lake Pontchartrain im Norden erstreckte sich die Stadt und erhellte den Himmel mit ihrem Neonlicht. New Orleans, deren Form ihr den Namen Mondsichel-Stadt eingebracht hatte, war für Valene noch immer der Ort ihrer Sehnsucht. Sie liebte dieses bunte Durcheinander von Ethnien, Baustilen und Lebenseinstellungen. Und sie konnte sich mittlerweile nicht mehr vorstellen, woanders zu leben.

Die junge Frau hatte den Parkplatz vor dem Fitnesscenter verlassen und fuhr Richtung City. Das alte Mietshaus, in dem sie wohnte, fand sich ganz in der Nähe des berühmten französischen Viertels. Hier gab es unzählige Kneipen und Cafés, die einen Besuch wert waren.

Valene hatte ihr Ziel fast erreicht. Der Weg dauerte mit dem Auto nur gut eine Viertelstunde. Sie sah schon den kleinen Park, in dem sie oft joggen ging. Gegenüber gab es einen Esoterikladen, der von einer netten jungen Frau geführt wurde. Ihr Name war Lucy Turner. Valene hatte sich mit ihr angefreundet, denn sie kaufte dort gern Raumdüfte oder auch mal eine schöne Deko für ihr Zimmer. Lucy war ein sehr einfühlsamer Mensch, sie wusste meist schon im Voraus, was Valene suchte. Manchmal noch, bevor es ihr selbst überhaupt bewusst wurde.

Bei diesem Gedanken musste sie schmunzeln und beschloss, dem kleinen Laden und Lucy am nächsten Tag mal wieder einen Besuch abzustatten. Sie parkte ihren Beetle und stieg aus. In diesem Moment hörte Valene laute Hilfeschreie. Sie kamen aus dem nahen Park und wurden von einer Frau ausgestoßen, offenbar in höchster Panik oder vielleicht sogar in Todesangst. Ohne lange nachzudenken, eilte Valene auf die Stimme zu. Wenn sie spontan handelte, kam wieder das Mädel vom Land zum Vorschein. Die wichtigsten Grundregeln, um in einer Großstadt sicher leben zu können, hatte sie hingegen noch nicht wirklich verinnerlicht.

Die junge Frau querte die breite Fahrbahn und betrat den Park. Es war dunkel hier, die altmodischen Laternen standen in recht weitem Abstand voneinander. Zwischen ihnen erstreckten sich lange Schattenfelder. Valene blieb stehen und schaute sich um. Wo war die Frau? Die Schreie waren verstummt, und einen schlimmen Moment lang schien es, als komme sie zu spät. Dann aber hörte Valene wieder etwas. Ein leises, verzweifeltes Wimmern. Es kam ganz aus der Nähe.

»Hallo?« Die Studentin drehte sich einmal um die eigene Achse und ließ ihren Blick schweifen. Unter dem dichten Blätterdach der alten Parkbäume erstreckten sich schmale Wege, gesäumt von eisernen Bänken. Der Park war gepflegt, eine private Initiative von Anwohnern kümmerte sich darum. Es gab schöne Blumenbeete mit exotischen Pflanzen und auch einen kleinen Teich, auf dem der Lotus blühte und süß duftete. Valene kannte hier jede Ecke. In der Dunkelheit erschien ihr die Umgebung trotzdem fremd und auch ein wenig bedrohlich. Sie ärgerte sich, weil sie keine Taschenlampe mitgenommen hatte. In ihrem Auto lag eine, die sie nun gut hätte gebrauchen können. Denn das Wimmern drang hinter einem mannshohen Magnolienstrauch hervor. Die junge Frau zögerte. Sollte sie nicht besser die Polizei verständigen? Sie griff in ihre Tasche und hatte das Handy bereits in der Hand, als das Wimmern sich verstärkte und die Frau rief: »Bitte, hilf mir! Ist denn da niemand? Bitte …« Sie schluchzte dermaßen gepeinigt auf, dass Valene ihre Überlegung beiseite schob und auf den Magnolienstrauch zuging. »Hallo? Wo sind Sie? Sagen Sie etwas! Ich komme, um Ihnen zu helfen!«

»Ich bin hier, bitte …« Die Stimme erstarb, so als ob die Bedauernswerte am Ende ihrer Kraft war. Das gab für Valene den Ausschlag. Sie umrundete den Strauch und tauchte so gleichsam von der Bildfläche ab, denn vom Weg aus war sie nun nicht mehr zu sehen. Es war düster hinter dem Strauch, die junge Frau musste sich zunächst orientieren und wartete darauf, dass ihre Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten. Und dann sah sie etwas. Doch es war keine hilflose Person, die auf dem Boden lag. Jemand stand ganz in ihrer Nähe. Sie erkannte die Umrisse eines Menschen, einer Frau mit langem Haar. Sie schien etwas Fließendes zu tragen, das an einen Umhang erinnerte, denn ihr Schatten verschmolz gleichsam mit der Umgebung. Doch das war nicht alles. Valene sah noch etwas, das sie allerdings nicht einordnen konnte. Es waren zwei rote Lichtpunkte, auf der Höhe wo sich eigentlich die Augen der unheimlichen Frau befinden sollten. Was hatte das zu bedeuten? Erlaubte sich hier jemand einen Scherz mit ihr oder …

Ihre Gedanken zerfaserten, als die Frau blitzschnell heran war. Valene hatte nicht gesehen, dass sie sich bewegte. Es war, als sei sie einfach auf sie zu geflogen.

Im nächsten Moment fühlte die junge Frau sich gepackt. Noch ehe sie zu einer Reaktion in der Lage war, flüsterte eine Stimme, die nur in ihrem Kopf zu sein schien: »Schrei nur, es wird dir nichts nützen.«

Und dann versank die Welt ringsum hinter einem Vorhang aus tiefrotem Samt, der sogleich ins Schwarz einer Neumondnacht abtauchte. Valene merkte nicht mehr, dass die Frau sie packte und auf ihren Armen davontrug, als sei das gar nichts.

Gleich darauf verließ die unheimliche Erscheinung mit ihrer lebenden Last den kleinen Park. Sie war sicher, dass niemand sie gesehen hatte und keiner von ihrem Treiben wusste. Doch sie täuschte sich …

*

Lucy Turner lebte in einer kleinen Wohnung oberhalb ihres Ladens. In dieser Nacht schlief sie schlecht und wurde von einem schrecklichen Albtraum gequält. Für Lucy waren Visionen, die oft als Träume daherkamen, nichts Ungewöhnliches.

Die junge hübsche Frau mit dem langen, dunklen Haar und den tiefblauen Augen war hellsichtig. Das wusste sie schon seit Kindertagen. Es war eine Gabe, die in ihrer Familie bisher in jeder Generation zu finden gewesen war. Lucys Großmutter war ein bekanntes Medium, ihre Mutter legte die Karten.

Als Lucy fünf Jahre alt gewesen war, hatte sie ihren Eltern eines Tages erzählt, dass ihre Kusine Meg in Kürze zu ihnen kommen würde, um von nun an bei ihnen zu leben. Am Abend dieses Tages hatte das Telefon geklingelt: Megs alleinerziehende Mutter war zum Opfer eines Verbrechens geworden, das bis auf den heutigen Tag nicht geklärt worden war. Und Meg, damals sieben Jahre alt, hatte ganz allein gestanden.

Die Turners hatten das verwaiste Mädchen zu sich genommen und die Kusinen waren zusammen aufgewachsen. Meg war allerdings das genaue Gegenteil von Lucy: robust und bodenständig, sportlich und ein kleiner Wildfang. Sie kam nach ihrem Vater, einem Rodeocowboy, mit dem Alice Turner nur eine kurze Affäre verbunden hatte. Die Kusinen waren trotzdem ein Herz und eine Seele gewesen, und das hatte sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert. Es mochte daran liegen, dass sie sich perfekt ergänzten. Beide hatten das Leben gewählt, das ihnen zusagte, und sich doch nie aus den Augen verloren.

Meg hatte ein paar Jahre für eine Sicherheitsfirma gearbeitet und sich dann als Privatdetektivin selbstständig gemacht.

Lucy hatte alternative Schulen besucht, ein Jahr bei einem Guru in Indien gelebt und betrieb nun mit Herzblut ihren kleinen Laden für alles, was Esoterikfans so brauchen konnten.

Meg wäre es nie in den Sinn gekommen, über die Fähigkeiten ihrer Kusine zu spotten; im Gegenteil. Hatte sie mal einen sehr verzwickten Fall, der sich mit herkömmlichen Mitteln nicht lösen ließ, griff sie gerne auf Lucys Hilfe zurück. Und die besprach jede Vision, die sie hatte, mit Meg, denn diese Bilder konnten manchmal schon sehr verstörend sein.

Was Lucy aber in dieser Nacht sah, das ließ sie im Schlaf gepeinigt aufstöhnen. Sie befand sich in einem Keller, der an ein Gewölbe erinnerte. Die Decke war gebogen und ziemlich hoch. Die Wände bestanden aus Ziegelsteinen, zwischen denen die Feuchtigkeit sich staute. Der Mörtel war an vielen Stellen bereits herausgebrochen, Wasser tropfte zu Boden. Es roch alt und muffig. Der Boden war mit Staub und Dreck bedeckt.

Jemand kam einen schmalen Gang entlang. Die Schritte waren leise und tappend. Ein Lichtschein zuckte über die Wände. Etwas schleifte über den Boden. Und dann ein metallisches Rasseln wie von einem altmodischen Schlüsselbund.

Lucy öffnete im Traum die Augen weit, um besser sehen zu können. Sie konzentrierte sich und schickte Fragen an die geistige Welt, mit der sie sich stets verbunden wusste: Was ist das hier? Warum sehe ich es? Wo liegt der Sinn?

Gleich darauf veränderte sich die Umgebung. Nun befand die Schläferin sich in einem winzigen Verlies. Es war ein quadratischer Raum, der kaum mehr als zwei auf zwei Meter groß sein konnte. Hier bestanden die Wände aus den gleichen Ziegeln wie eben auf dem Gang. Es gab auch ein Fenster, das allerdings vergittert war. Lucy warf einen Blick hindurch und sah in der Ferne Wasser glitzern. War dies der Hafen, das Delta? Spielte ihr Traum in New Orleans? Wenn, dann an einem Ort, den sie noch niemals zuvor gesehen hatte.

Sie konnte sich keine weiteren Gedanken darüber machen, denn nun wurde die Tür aus schweren Holzbohlen mit einem lang gezogenen Quietschen geöffnet. Im nächsten Moment erschien eine Frau. Sie war groß und schlank, hatte langes, dunkles Haar und trug einen schwarzen Umhang, der ihre gesamte Figur umhüllte. Auf ihren Armen lag ein bewusstloses Mädchen. In dem bleichen Gesicht mit den geschlossenen Augen regte sich kein Muskel. Lebte das Mädchen noch? Lucy wusste es nicht.

Die unheimliche Frau legte das Mädchen fast behutsam ab. Doch der Platz, den sie dafür ausgesucht hatte, ließ Lucy erschaudern: Es war ein dunkler Opferstein, eine Art entweihter Altar, wie er von den Anhängern schwarzmagischer Rituale benutzt wurde. Lucy hatte schon öfter Bekanntschaft mit dieser dunklen Seite der Magie gemacht. Oft genug waren Verbrechen, deren Aufklärung ihre Kusine Meg betrieb, von bösen Mächten motiviert. Lucy fürchtete sich vor der dunklen Seite, aber sie stellte sich ihr auch, wenn es sein musste, denn sie wusste aus Erfahrung, dass dies der einzige Weg war. Das Böse erkannte das Gute immer und überall. Und wer auf der Seite der lichten Kräfte stand, der hatte viele erklärte Gegner.

Die unheimliche Frau begann nun zu reden. Sie benutzte eine alte, längst vergessene Sprache. Und was über ihre Lippen kam, das klang wie ein Zauberspruch. Lucy bemerkte, dass der Vollmond durch das kleine Fenster in die Zelle schien. Sein silbernes Licht spiegelte sich auf dem Gesicht der Frau, die unentwegt die gleichen Worte rezitierte, einer Beschwörung gleich.

Lucy schluckte. Dieses Gesicht war in seiner perfekten Schönheit doch nicht menschlich. Ein böses Feuer brannte in den großen obsidianfarbenen Augen, ein Feuer wie aus den tiefsten Tiefen der Hölle. Sie begriff nun, was hier geschah. Und ihr wurde auch klar, dass dies tatsächlich jetzt passierte.

In dieser Nacht war Vollmond. Die unheimliche Frau hatte ihr Opfer an diesen verlassenen Ort gebracht, um in Ruhe ihre unheilige Zeremonie durchführen zu können. Lucy war dabei praktisch eine Augenzeugin. Doch sie konnte nichts tun, nicht eingreifen, denn sie sah das schreckliche Geschehen ja nur in einem Traum!

Die Schlafende drehte sich stöhnend von einer Seite auf die andere. Sie wollte das Unsagbare verhindern, aber sie war dazu verdammt, als hilfloser Zuschauer alles mit anzusehen. Es war einfach nur grausam und kaum zu ertragen …

Die unheimliche Frau verstummte. Das silberne Mondlicht mischte sich mit einem gedämpften, tiefroten Glosen, das aus den Wänden des Kerkers zu kommen schien. Die gesamte Umgebung verschwamm gleichsam in einem diffusen, rötlichen Nebel.