Flucht aus dem Bodmin-Moor - Scarlet Wilson - E-Book

Flucht aus dem Bodmin-Moor E-Book

Scarlet Wilson

0,0

Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Sollte sie einen Hilfsbedürftigen im Regen stehen lassen und bei der Sichtbehinderung einfach weiterfahren? Der Mann ging um das Fahrzeug herum auf die andere Wagenseite und riss die Tür auf. Mit großer Behändigkeit sprang er auf den Beifahrersitz. Harriets Herz begann wie wild zu klopfen, als sie den Atem des Fremden dicht neben sich spürte. »Das ist wirklich nett von Ihnen«, sagte der Mann, der das Licht in seiner Schwenklaterne gelöscht und sie zwischen die Füße gestellt hatte. Seinen Hut hatte er abgenommen, der Regen tropfte ihm aus dem schwarzen Haar. Er sah nicht gerade vertrauenerweckend aus, fand sie. Seine Gesichtszüge waren grob, die Nase breit und die Haut leicht pockennarbig. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, diesem Menschen schon einmal begegnet zu sein. Harriet, worauf hast du dich da eingelassen, dachte sie bei sich und schalt sich insgeheim wegen ihrer Gutheit. Wenn dieser Mann nun ... »Ich denke, es wird schon ein wenig heller«, sagte der Mann freundlich und zeigte nach draußen. Sie schaute in das Wetter, konnte aber noch keine Besserung entdecken. Da spürte sie plötzlich ein Stück kaltes Metall im Nacken. Sie wusste sofort, dass dies ein Revolver war. »Machen Sie keine Mätzchen, dann wird Ihnen nichts geschehen«, drohte ihr der Fremde. »Warum?«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 146

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Moonlight Romance – 20 –

Flucht aus dem Bodmin-Moor

Aber Harriet wird von gespenstischen Bestien gehetzt

Scarlet Wilson

Sollte sie einen Hilfsbedürftigen im Regen stehen lassen und bei der Sichtbehinderung einfach weiterfahren? Der Mann ging um das Fahrzeug herum auf die andere Wagenseite und riss die Tür auf. Mit großer Behändigkeit sprang er auf den Beifahrersitz. Harriets Herz begann wie wild zu klopfen, als sie den Atem des Fremden dicht neben sich spürte. »Das ist wirklich nett von Ihnen«, sagte der Mann, der das Licht in seiner Schwenklaterne gelöscht und sie zwischen die Füße gestellt hatte. Seinen Hut hatte er abgenommen, der Regen tropfte ihm aus dem schwarzen Haar. Er sah nicht gerade vertrauenerweckend aus, fand sie. Seine Gesichtszüge waren grob, die Nase breit und die Haut leicht pockennarbig. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, diesem Menschen schon einmal begegnet zu sein. Harriet, worauf hast du dich da eingelassen, dachte sie bei sich und schalt sich insgeheim wegen ihrer Gutheit. Wenn dieser Mann nun ... »Ich denke, es wird schon ein wenig heller«, sagte der Mann freundlich und zeigte nach draußen. Sie schaute in das Wetter, konnte aber noch keine Besserung entdecken. Da spürte sie plötzlich ein Stück kaltes Metall im Nacken. Sie wusste sofort, dass dies ein Revolver war. »Machen Sie keine Mätzchen, dann wird Ihnen nichts geschehen«, drohte ihr der Fremde. »Warum?«, fragte Harriet entsetzt und wagte kaum zu atmen. »Weil es jemandem nicht gefällt, dass Sie leben«, erwiderte die fremde Stimme. Dann traf sie ein Schlag auf den Hinterkopf, der sie sofort völlig außer Gefecht setzte.

Während die bunten Luftballons noch im Nachtwind zwischen den Apfelbäumen schaukelten und sich die letzten Geburtstagsgäste lautstark von Harriet verabschiedeten, begann ihre Großmutter eilig die Tische im Garten abzuräumen. Ängstlich schaute sie dabei immer wieder hoch zum Himmel, als müsste jeden Augenblick mit einem Gewitter gerechnet werden. Dabei funkelten unzählige Sterne am nachtblauen Firmament und ein blutroter Vollmond hing wie ein riesiger Feuerball über dem Blütenmeer der Obstwiese. Ihre Sorge musste also wohl einen anderen Grund haben. Jetzt sagte sie leise mit einem flehenden Blick nach oben: »Du kannst es nicht zulassen, Melanie, dass sie uns das Kind wegnehmen! Ich werde Harriet auf keinen Fall noch heute den Brief mit der Abmachung übergeben, auf die wir uns vor achtzehn Jahren auf Druck deiner englischen Schwiegereltern eingelassen haben. Der heutige Tag soll für sie auf jeden Fall glücklich und unbeschwert enden und nicht mit einem Schock. Morgen ist auch noch ein Tag.«

Ein befreites Lächeln huschte bei diesem Entschluss über ihr Gesicht. Doch dann musste sie an ihren Mann denken, der im Wohnzimmer auf sie wartete. Joachim Bergmann war die Korrektheit in Person, hoffentlich machte er ihr nicht einen Strich durch die Rechnung. Ihre Sorgen waren auf einmal zurück. Sie seufzte.

»Harriet, kann ich dir helfen, die Geschenke ins Haus zu tragen?«, fragte der junge Mann, der mit seinem Rücken am Rande des Terrassengitters gelehnt hatte und nun langsam auf Harriet zukam. Im Hintergrund schlug die letzte Autotür zu und das fröhliches Gelächter ein paar junger Mädchen übertönte fast das Geräusch des gestarteten Motors.

»Gern Robert«, erwiderte das Geburtstagskind überrascht und strich sich eine rote Haarlocke aus die Stirn. Sie wunderte sich darüber, dass er nicht zusammen mit den anderen Gästen gegangen, sondern noch geblieben war. Doch das wollte sie ihm natürlich nicht verraten, denn es schmeichelte ihr. Robert war fünf Jahre älter als sie, ein Nachbarssohn, der bereits seit drei Jahren Jura in Hannover studierte. Wegen der räumlichen Entfernung und der seltenen Besuche bei seinen Eltern, hatten sie sich in den letzten Jahren fast aus den Augen verloren. Umso mehr hatte sie sein Erscheinen auf ihrer Fete überrascht. Sie sah ihm gerade zu, wie er ein paar Diskscheiben in die dazugehörenden Cover steckte und diese dann sorgfältig stapelte.

»Interessante Auswahl«, sagte er anerkennend.

Harriet nickte, ohne daran zu denken, dass er das vielleicht nicht sehen konnte. Sie fühlte sich ein wenig verunsichert in seiner Nähe, denn er wirkte erwachsener, als sie ihn in Erinnerung hatte. Zwar war Robert genau so lässig in Jeans und T-Shirt gekleidet, wie die meisten ihrer Klassenkameraden aus der Abiturklasse, und doch wirkte er darin um ein paar Nuancen eleganter.

Als sie noch jünger waren, hatte sie immer zu ihm aufgesehen wie zu einem älteren Bruder, den sie leider nicht hatte. Doch das war schon ein paar Jahre her.

»Wir haben uns vorhin bei der ­lauten Musik kaum unterhalten können«, sagte sie bedauernd und begann den Berg bunter Schleifen und Geschenkpapierreste zu entwirren.

»Stimmt. Das müssen wir unbedingt nachholen«, erwiderte Robert. Und als Harriet nicht sofort antwortete, fragte er: »Oder bist du schon sehr müde und möchtest jetzt lieber zu Bett gehen?«

»Ach wo!«, wehrte sie ab und drehte ihm den Rücken zu, damit er die feine Röte in ihrem Gesicht nicht sehen sollte.

»Du warst heute Abend die umschwärmteste Frau des Festes und bei jedem Tanz bereits vergeben, wenn ich dich holen wollte. Ich habe es immer wieder versucht, aber deine Schulkollegen sind mir leider zuvorgekommen.« Robert lachte.

»Kunststück, ich war schließlich auch die Gastgeberin«, erwiderte Harriet lachend.

Jetzt standen sie sich direkt gegenüber und sie spürte plötzlich, wie ihr Herz schneller schlug. Das war ihr bei Markus noch nie passiert. Markus der Klassenkamerad, mit dem sie ab und zu im Nachbarort eine Disco besuchte und den sie schon ein paar Mal, allerdings ohne dabei Schmetterlinge im Bauch zu spüren, geküsst hatte. Markus hatte sein erstes Auto im vergangenen Jahr von seinem Vater zur Volljährigkeit geschenkt bekommen. Die ganze Clique war damals sehr beeindruckt gewesen, auch sie. Im Moment herrschte allerdings Eiszeit zwischen ihnen. Er war aber auch so ein verdammter Machotyp, dessen neugierigen Hände sie immer wieder in die Schranken weisen musste, wenn sie auf der Heimfahrt von einem Kino- oder Diskobesuch neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. Das hatte ihn aber nicht daran gehindert, zu ihrer Fete zu erscheinen und als Geburtstagspräsent ein sündhaft teures Parfum mitzubringen. Aber auch dadurch würde er ihr Herz nicht gewinnen können. Sie lächelte in Gedanken, als sie dabei an einen anderen Mann dachte.

Robert, der große Bruder von nebenan, stand jetzt direkt neben ihr und hielt eine der silbernen CD-Scheiben in der Hand. »›Pur‹ hat sich zurückgemeldet und nichts von seiner Anziehungskraft verloren«, sagte er nachdenklich an Harriet gewandt.

»Ja, die Gruppe macht noch immer echt gute Musik«, erwiderte das Geburtstagskind und roch den feinen Duft seines herben Aftershaves. Es gefiel ihr.

»Harriet, darf ich um diesen Tanz bitten?«, fragte Robert plötzlich, schob die CD in die Anlage und dann legte er seinen Arm wie selbstverständlich um ihre Schultern, ohne auf ihre Antwort zu warten. Er war ein guter Tänzer, fast einen Kopf größer als sie und Harriet erinnerte sich daran, dass er schon als Junge fantastisch Gitarre und Klavier spielen konnte.

Sein jüngerer Bruder Klaus hatte ihn zur Party mitgebracht, doch der war bereits mit den anderen gegangen. Sie waren erst gegen zwanzig Uhr zu ihrer Fete erschienen, als die meisten Geburtstagsgäste schon ganz schön in Fahrt waren. Ob Robert sich wohl gelangweilt hatte, weil er die meisten Anwesenden nicht kannte?

»Entschuldigung, jetzt habe ich nicht aufgepasst«, entschuldigte er sich gerade bei ihr, obwohl sie es gewesen war, die ihn aus dem Takt gebracht hatte.

»Nein, ich hatte Schuld«, erwiderte sie wahrheitsgemäß und dann mussten sie beide wie auf ein Kommando lachen. Da war sie wieder die alte Vertrautheit von früher. Harriet lächelte, als sie es spürte. Robert war fast einen Kopf größer als sie. Seine schwarzen Haare trug er im Gegensatz zu früher jetzt sehr kurz geschnitten. Und sein Körper wirkte durchtrainierter als damals, als er noch aushilfsweise in der Pizzeria seiner Eltern arbeitete und die Bestellungen mit einem kleinen beschrifteten Lieferwagen auslieferte.

»Weißt du denn schon, was und wo du demnächst studieren wirst?«, fragte er, nachdem die Melodie verklungen war und sie zum Geschenktisch zurückgekehrt waren.

»Nein, noch habe ich das Abitur ja nicht in der Tasche und noch Zeit zu überlegen«, winkte Harriet ab. Dann öffnete sie das Päckchen, das ihre englische Großmutter ihr geschickt hatte, und das noch immer verschnürt auf ihren Geburtstagstisch lag. Zuoberst, unter einem Hauch von hellem Seidenpapier, lag ein flauschig weicher, schwarzer Kaschmirpulli. Sie nahm ihn in die Hand und zog ihn über ihr T-Shirt, denn der kühle Nachtwind ließ sie nun doch leicht frösteln.

»Da hat Lady Rose aber ganz meinen Geschmack getroffen, und er passt­ sogar«, sagte Harriet anerkennend und Robert nickte zustimmend. Dann entdeckte sie das Buch, das unter einer weiteren Lage Seidenpapier lag und nahm es heraus.

»Tod im Bodmin Moor«, las sie laut den Titel vor, der in dicken, roten Großbuchstaben auf dem Cover prangte. Eine leichte Gänsehaut lief ihr in diesem Moment über den Rücken.

»Seit wann liest du Gruselgeschichten?«, fragte Robert interessiert, dem die springende, schwarze Bestie unter dem Titel aufgefallen war.

»Eigentlich gar nicht, aber bitte nicht weitersagen«, verriet Harriet lachend und legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. Er fasste behutsam danach und küsste ihn flüchtig, ehe er ihn schnell wieder losließ, als habe er Angst, sie durch diese Geste zu erschrecken.

»Es ist das neueste Buch von Lady Rose, meiner englischen Großmutter, die ihre Krimis unter einem Pseudonym veröffentlicht. Sie gibt nicht auf, mich für ihre Thriller zu begeistern. Und für gewöhnlich versteckt sie zwischen den Seiten ein paar Pfundnoten, damit ich mir etwas Besonderes kaufen kann.« Nach kurzem Durchblättern hielt Harriet triumphierend eine 5000 Pfundnote in den Händen. Ihre großen grünen Augen weiteten sich vor Verwunderung.

Die Höhe des Geldgeschenks schien sie zu überraschen.

»Großzügig und raffiniert getarnt«, sagte Robert anerkennend und legte seinen rechten Arm um Harriets Schultern.

Die spürte die Wärme seiner Hand durch die weiche Wolle und es war ihr durchaus nicht unangenehm, dass sie dort lag.

»Raffiniert ist sie schon von Berufswegen. Schließlich steht sie fast regelmäßig auf dem ersten Platz der englischen Bestsellerliste. Und meist auch bei uns hier in Deutschland«, erwiderte Harriet nicht ohne Stolz, doch ihre Stimme klang seltsam leise, fast heiser. Sie blätterte in Gedanken weiter und stutzte. Dann hielt sie einen zweiten Schein in der Hand.

»Aber so großzügig wie heute, hat sie sich in all den Jahren Noch nie gezeigt.« Harriet hielt die Scheine immer noch in der Hand.

»So viel Geld, mir wird ganz schwindlig, wenn ich die Summe umrechne«, sagte sie fast andächtig.

»Du bist achtzehn geworden, das ist ein besonderer Geburtstag«, sagte Robert. »Und außerdem sind deine englischen Großeltern ja reich, wie ich von meinen Eltern gehört habe. Besitzen sie nicht sogar ein Schloss und gehören dem englischen Großadel an?«, fragte er.

»Ja. Deshalb waren sie wohl auch so borniert und haben ihrem Sohn gezürnt, als er mit einer armen deutschen Studentin dort ankam. Aber mein Vater hat sich nicht beirren lassen. Er wollte meine Mutter auf jeden Fall heiraten. Sie hatten sich in London eine kleine Wohnung genommen. Dann kam ich auf die Welt. Zu einer Heirat ist es dann aber nicht mehr gekommen, weil sie beide bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen.«

Harriet standen Tränen in den Augen, als sie eine Pause machte.

»Eine solche Summe in ein Paket zu packen, das ist schon sehr ungewöhnlich«, sagte sie, um sich vom Trauma ihrer Kindheit abzulenken.

»Dass deine Großmutter schreibt, habe ich bisher nicht gewusst. Ein ungewöhnliches Hobby für eine Lady«, sagte Robert und schien von der Dame beeindruckt zu sein.

»Ich wusste es auch lange nicht. Erst als ich mit Oma Anna vor acht Jahren meine Großeltern zum ersten Mal in Cornwall besuchte, habe ich es von ihr erfahren. Großvater schien allerdings nicht begeistert darüber zu sein. Damals habe ich auch begriffen, wie reich sie sind, meine englischen Großeltern. Aber eigentlich hat mir das nicht imponiert. Vielmehr habe ich mich darüber geärgert, dass es überall im Haus Bilder von meinem Vater gab, aber nicht ein einziges von meiner Mutter. Sie hat für sie wohl nie existiert. Ihr Anwesen hat mich fast umgehauen, aber sie tun mir leid. Wie kann man nur einen Menschen über den Tod hinaus hassen und ignorieren. Obwohl mein Großvater bei einem Spaziergang zu mir gesagt hat, ich hätte die gleichen schönen roten Haare wie Melanie. So hieß meine Mutter nämlich. Aber wenn ich ehrlich bin sind mir beide Großeltern trotz ihres liebenswürdigen Empfangs fremd geblieben. Ich möchte für kein Geld der Welt bei ihnen leben. Und ich war damals heilfroh, als ich mit Oma Anna wieder nach Deutschland zurückflog.«

»Hoffentlich besinnen sich deine Großeltern nicht eines besseren, denn immerhin bist du ja wohl ihr einziges Enkelkind«, wandte Robert ein.

»Ach wo, ich glaube, sie sind froh, dass sich meine Großeltern hier um die uneheliche Tochter ihres Sohnes kümmern. Sie haben meine Mutter als Schwiegertochter vehement abgelehnt. Eine Frau, nicht aus Adelskreisen, sondern nur eine kleine Studentin aus Deutschland, das war nicht nach dem Geschmack von Lady und Lord Pakenham. Eigentlich müsste ich dem Himmel jeden Tag dankbar sein, dass es so ist, wie es ist!« Harriet lachte.

»Was hätte eine vielbeschäftigte Schriftstellerin mit einem mit einem so wilden Enkelkind wie dir denn auch anfangen sollen? Du hättest sie bei ihrer Arbeit nur gestört«, sagte Robert schmunzelnd.

»Ich und wild?«, begehrte Harriet auf und sah den jungen Mann mit Unschuldsmiene an.

»Na, sagen wir besser temperamentvoll«, verbesserte sich der junge Mann und lachte.

Woher kam nur auf einmal dieses leichte Prickeln auf ihrer Haut! Konnte es sein, dass seine Nähe sie derart irritierte? Er war doch nur ein Nachbarssohn, den sie lange nicht gesehen hatte und der recht sympathisch war.

»Was hast du gesagt?«, fragte sie zerstreut und sah zu ihm hoch.

»Dass du eine richtige Schönheit geworden bist, liebe Harriet und zum Glück noch genauso temperamentvoll bist wie früher«, scherzte der Mann. Seine Stimme klang in diesem Moment fast zärtlich. Und wie er sie dabei ansah! In ihrem Bauch flatterten auf einmal Schmetterlinge, ganz viele bunte Schmetterlinge. Ein Gefühl, auf das sie immer gewartet, aber bisher noch nicht erlebt hatte.

»Wie gefällt dir dein Jurastudium und die Stadt, in der du jetzt lebst?, wählte sie schnell ein anderes Thema, um die Schmetterlinge zu vergessen.

»Gut.« Seine Antwort fiel knapp aus. Könnte er nicht ein wenig konkreter werden. Sie hätte gern mehr über ihn erfahren. Wahrscheinlich hatte ein so gut aussehender Mann wie Robert längst eine Freundin, mit der er sich in Hannover im Studentenwohnheim ein Appartement teilte?

»Harriet, schließ nachher die Tür ab«, rief Oma Anna ihr in diesem Augenblick zu.

»Mach ich Oma!«

Der verzauberte Augenblick war vorbei und Harriet wieder im Jetzt angekommen. Schnell machte sie sich daran, den Blumenstrauß ihrer besten Freundin Marlene, Ranunkeln, Tulpen und Narzissen mitsamt Vase in die Diele zu tragen. Marlenes Vater besaß eine Gärtnerei, und die würde seine Tochter einmal erben. Für Marlene war seit ihrer Kindheit klar, was sie einmal werden würde, nämlich Floristin. Harriet dagegen wusste immer noch nicht, wie ihr weiteres Leben verlaufen sollte. Einmal tendierte sie dazu Medizin zu studieren wie Großpapa Joachim, und ein anderes Mal neigte sie mehr zur Pharmazie oder Chemie.

»Ich glaube, deine Oma war froh, dass die Party vorbei ist. Den Lärm von zwanzig jungen Leuten ist sie schließlich nicht alle Tage gewohnt«, sagte Robert, als Harriet zurückkam. Er hatte alle CDs in einen Karton gepackt und hielt gerade den Parfumflakon von Markus in der Hand.

»Dieser Duft passt aber gar nicht zu dir. Etwas zu schwer, zu schwülstig«, sagte er und legte ihn wieder zu den anderen Geschenken.

»Meinst du?«, fragte Harriet, obwohl sie genau wusste, dass er recht hatte.

»Ja. Ich würde dir einen leicht blumigen Duft – empfehlen.«

»Du scheinst ja Erfahrung darin zu besitzen, was Frauen mögen«, entgegnete Harriet und musste dabei an seine Mitkommilitoninnen in Hannover denken. Wie vielen hatte er wohl schon das Herz gebrochen? Ach, das konnte ihr doch egal sein. Aber der Gedanke verursachte ihr dennoch leichte Bauchschmerzen. Plötzlich fiel ihr seine Bemerkung über ihre Oma wieder ein.

»Sag mal Robert, was hast du vorhin über Oma gesagt hast, geht mir nicht aus dem Kopf?«

»Was denn? Dass ihr der Lärm von zwanzig jungen Leuten wahrscheinlich für heute gereicht hat. Sie sah ein wenig müde aus heute Abend. Und wortkarg war sie auch, so kenne ich sie gar nicht«, erwiderte der Mann.

»Nun ja, sie hat die Party fast allein vorbereitet, das war eine Menge Arbeit für sie.« Dann wurde Harriet seltsam nachdenklich.

»Ich hoffe mal nicht, dass die leichte Traurigkeit, die mir schon den ganzen Tag über an ihr auffiel, etwas mit diesem Brief zu tun hat, den sie heute bekommen hat. Ohne ihn zu lesen, hat sie ihn in eine Schublade gesteckt. Als ich fragte, ob sie etwas bedrücke, hat sie nur abgewinkt. Und doch hatte ich das Gefühl, dass es etwas mit diesem Brief auf sich haben musste.

Plötzlich spürte Harriet Roberts Hand in der ihren und er drückte sie leicht.

»Komm, wir holen die Luftballons von den Leine. So wie damals nach Kindergeburtstagen, als wir sie zum Ärger der anderen viel zu früh in den Himmel haben fliegen lassen«, schlug er schmunzelnd vor.

»Du erinnerst dich noch?«, wunderte sich Harriet.

»Natürlich, du sahst in deinen langen roten Locken und den hübschen Kleider aus wie eine kleine Prinzessin und ich wollte immer dein Beschützer sein. Eigentlich möchte ich das noch heute, wenn ich darf«, sagte er nachdenklich.

Da waren sie wieder diese bunten Schmetterlinge, die sie in ihrem Bauch spürte. Die nachdenklichen Falten auf ihrer Stirn waren längst verflogen. Übermütig lachend folgte sie ihm. Doch dann stutze sie plötzlich.