Mops und Möhren - Silke Porath - E-Book

Mops und Möhren E-Book

Porath, Silke

4,4

Beschreibung

Stuttgarts charmanteste WG mit Tanja, dem Männerpärchen Rolf und Chris und natürlich dem Mops Earl of Cockwood geht unter die Schrebergärtner! Doch das Idyll der Laubenkolonie ist bedroht, denn ein Investor will dort schicke Lofts bauen. Doch nicht nur das: Chris und Rolf verlieren beinahe gleichzeitig ihre Jobs und dann taucht auch noch die Ex von Tanjas Freund Arne wieder auf …

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Silke Porath

Mops und Möhren

Roman

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Fotos von © stockone - Fotolia.com,

© NinaMalyna - Fotolia.com und © chriskuddl | ZWEISAM / photocase.com

ISBN 978-3-8392-4010-6

Der nächste Tag fängt für mich schon um 4.42 Uhr an. Mudel, der sich irgendwann in der Nacht in mein Bett geschlichen und auf meinem Bauch eingerollt hat, sieht mich fassungslos an, als ich mich aufsetze, herzhaft gähne und die Beine über die Bettkante schwinge. Allerdings lande ich auf dem Boden der Tatsachen, sobald meine Füße den Vorleger berühren. Arne, gestern, Streit. Meine schlaftrunken-zufriedene Laune ist mit einem Schlag dahin. Stattdessen macht sich ein bitteres Gefühl breit, irgendetwas zwischen Wut und Scham. Der Mann muss mich ja für komplett hysterisch halten!

»Ach, Mudel, und nun?«, frage ich. Der Hund gähnt, hüpft vom Bett und trollt sich. Natürlich rennt er zu seinem Papa: Earl schläft in seinem Körbchen im Flur und zuckt nicht mal, als ich an den beiden vorbei in die Küche watschele. Wo Rolf bereits am Küchentisch sitzt. Seine Postuniform hat er auch schon an.

»Kommst du gerade erst heim?«, fragt er mich mit Blick auf die Klamotten, die ich unter der Uniform gestern anhatte und mit denen ich ins Bett geklettert bin.

»Schön wär’s«, brumme ich und schnappe mir seine Tasse. Muss mich allerdings zusammenreißen, um die zuckersüße Milchplörre nicht in die Spüle zu speien.

»Bah!«

»Tja, wer anderen den Kaffee klaut.« Rolf steht auf und schnappt sich seine Jacke, die über der Stuhllehne hängt. »Geh noch mal schlafen, Prinzessin. Du siehst irgendwie … zerknittert aus.«

»Ich hab dich auch lieb, Rolf!«

Mein Mitbewohner wirft mir eine Kusshand zu, dann ist er weg. Wie viele Liebesbriefe er wohl heute in die Kästen steckt?

Nach einer Tasse richtigen Kaffee, ohne Zuckerschock, fühle ich mich stark genug, einen ersten Blick in den Spiegel zu werfen. Stimmt, ich sah schon frischer aus. Die Mascara vom Vortag hat sich rings um meine Augen verteilt, sodass ich aussehe wie ein Pandabär. Auf der rechten Wange haben sich die Abdrücke des Kissens eingegraben. Ich strecke mir selbst die Zunge raus und beschließe, erst einmal ausgiebig zu duschen. Unter dem heißen Wasser kann ich gut nachdenken, und während die Haarkur mit Schokoladenextrakt einwirkt, plätschert in meinem Hirn eine Idee heran. Mit der gleichzeitig mein Kampfgeist zurückkehrt. Ich werde mich doch von einer Brillenschlange nicht um meinen Tierarzt bringen lassen!

Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es noch immer fies früh ist, als ich meine Dusche beendet habe. Auch gut, so bleibt genug Zeit für ein ausgiebiges Schönheitsprogramm: Augenbrauen mit einem bleistiftgroßen Rasierer in Form bringen – ich kann nicht verstehen, wie Frauen es aushalten, sich die Haare über den Augen mit einer Pinzette auszurupfen –, Zähne zwei Mal mit Zahnseide reinigen, unterdessen die noch leicht feuchten Haare auf zehn übergroße Wickler drehen, Handnägel feilen, Fußnägel schneiden. Nach einer guten halben Stunde bin ich durch. Mit den Wicklern auf dem Kopf mache ich mich auf die Suche nach Klamotten. Was gar nicht so einfach ist, denn mein Bestand ist noch immer sehr klein. Zwar nicht mehr so klein wie letztes Jahr, als ich kaum wusste, wovon ich mir das Essen kaufen sollte, aber ein prall gefüllter Kleiderschrank sieht definitiv anders aus. Ich nehme mir fest vor, mit dem nächsten Gehalt den Läden in der Königstraße einen Besuch abzustatten. Bis dahin muss ich eben mit den üblichen Jeans und Shirts vorliebnehmen. Ich entscheide mich für eine hellblaue Hose mit überbreitem Schlag, weil die einen Knackpo und eine schlanke Silhouette formt. Darüber ziehe ich das schwarze Shirt mit den üppigen Rüschen am Ausschnitt. Was frau nicht hat, muss sie eben dazumogeln, und dem wattierten BH sei Dank kann ich jetzt wenigstens mit einem Dekolleté aufwarten.

Was ich sonst für meinen Plan brauche, finde ich dank meiner Jungs in der Küche. Alle Zutaten packe ich in einen kleinen Korb. Dann wecke ich die Hunde. Mudel springt mir sofort entgegen, als ich mit der Zunge schnalze. Schwanzwedelnd steht er vor mir.

»Tut mir leid, wir gehen nicht Gassi«, sage ich. Was dem Mopspudelmischling ziemlich egal zu sein scheint, Hauptsache, es ist was los. Sein Vater Earl lässt sich länger bitten. Der Mops öffnet seine Augen, hebt aber die Schnauze nicht von den Pfoten, auf die er seinen Knautschkopf gebettet hat.

»Hopp, Earl, komm!«, versuche ich es. Der Hund sieht mich an, regt sich aber nicht. Mudel wuselt um meine Beine und kläfft. Was wahrscheinlich heißt ›Los, Papa, aufstehen, ich will spielen!‹ Jedenfalls kommt jetzt ein bisschen Regung in das hellbraune Fellknäuel. Earl hebt den Kopf und gähnt. Dann seufzt er, pupst leise und endlich, endlich geruht der Earl of Cockwood, seinen mopsigen Astralkörper aus dem Körbchen zu heben. Mit beiden Hunden platziere ich mich vor Arnes Tür, das Körbchen in der Hand. Ich klingele. Nichts. Klopfe. Nichts. Mudel will spielen und springt an meinen Beinen hoch.

»Sitz!«, befehle ich. Könnte das aber genauso gut der Fußmatte mit dem abgetretenen Bärchenmotiv erzählen, die Arne vom Vormieter übernommen hatte. Der schwarzgelockte Junghund kläfft. Earl sieht seinen Sohn mit schief gelegtem Kopf an. Dann bellt auch er.

»Nicht das ganze Haus wecken«, zische ich. Zu spät. Die Kehrwochenpolizei aus der Wohnung unter unserer WG reißt ihre Tür auf.

»Ruhe da oben!«, brüllt Frau Stiller ins Treppenhaus. Was die beiden Hunde mit einer neuerlichen Kläfforgie quittieren. Sie können Frau Stiller, deren Kittelschürzen und Putzfimmel genauso wenig leiden wie alle im Haus.

»Heimadsogga, isch jetzt a Ruah! Hend sie mol uff d’Uhr guckt?«

»Tschuldigung, Frau Stiller, ich weiß, dass es noch früh ist«, rufe ich nach unten und versuche dabei gleichzeitig, Mudel davon abzuhalten, an mir hochzuspringen und sich etwas aus dem Korb zu mopsen.

»Jetzt langt’s so langsam mit den Kötern«, kreischt die Stiller. Dann knallt sie ihre Tür mit Schmackes zu. Wer jetzt noch nicht wach war im Haus, den hat es spätestens jetzt aus den Federn gefetzt. Und tatsächlich – endlich geht die Wohnungstür auf.

»Überraschung«, rufe ich gegen das Gebell an.

»Hä?« Vor mir steht … Sandra. Mit verquollenen Augen, zerzaustem Haar und einem Nichts aus Seide am Leib. Sie fixiert mich und ich muss grinsen – wahrscheinlich ist sie ohne Kontaktlinsen und Brille blind wie der berühmte Maulwurf.

»Für Arne, nicht für dich«, sage ich ein bisschen pampig.

»Komm rein.« Sandra tritt zur Seite und die Hunde sausen an ihr vorbei Richtung Wohnzimmer. Mit einem Satz sind beide auf der Couch. Sandra verschwindet im Büro. Durch die halb geöffnete Tür sehe ich die Klappcouch, auf der eine zerwühlte Decke liegt. Arnes sonst penibel aufgeräumter Schreibtisch verschwindet förmlich unter einem Berg Klamotten. Sandra gibt der Tür einen Tritt mit der Hacke.

»Gute Nacht«, rufe ich der geschlossenen Tür zu. Keine Reaktion. Auch gut. Ich gehe zum Schlafzimmer und öffne vorsichtig die Tür. Arne liegt zusammengerollt wie ein Embryo auf der Seite, mit dem Rücken zu mir. Er schnarcht leise. Der Mann hat einen Schlaf, von dem sich jedes Baby eine Scheibe abschneiden könnte. Den holt so schnell nichts aus den Träumen – aber genau das habe ich jetzt vor. Mit einem Blick erfasse ich die Lage im Schlafzimmer. Ein Kissen. Eine Decke. Arne trägt ein ausgewaschenes Shirt vom VfB Stuttgart. Ich nehme an, sein Po steckt in einer der Boxershorts, die er zum Schlafen gern trägt, durch die Decke kann ich das nicht erkennen. Jedenfalls sieht nichts hier so aus, als hätte es eine heiße Liebesnacht gegeben. Ich stelle den Korb auf das Bett neben Arnes Kopf, dann pfeife ich leise. Mudel saust sofort her und springt aufs Bett. Earl trottet hinter seinem Sohn her, setzt sich auf den Teppich vor dem Bett und sieht zerknautscht aus.

»Hey!« Arne setzt sich mit einem Ruck auf, als Mudel auf ihn springt und ihm mit seiner Schlabberzunge einen Hundekuss auf die Wange gibt.

»Frühstück ist fertig«, flüstere ich und bin heilfroh, dass ich die Hunde als Verstärkung mitgenommen habe. Arne sieht nicht gerade begeistert aus – aber er krault Mudel, der das mit einem begeisterten Schwanzwedeln quittiert.

»Tanja, was …«

»Ich habe dir was mitgebracht!« Ich scheuche Mudel aus dem Bett, gebe ihm und Earl jeweils ein Wiener Würstchen und breite meine Schätze auf dem überbreiten Bett aus: eine kleine Thermoskanne mit Kaffee, zwei Becher, zwei Teller, Messer, Servietten. Dazu frisch aufgebackene Croissants, von Chris im Herbst aus den Himbeeren im Schrebergarten eingekochte Marmelade, irische Butter, Honig vom Hobbyimker aus Parzelle89 und eine Packung Serranoschinken. Dazu einen Apfel, zwei Sahnejoghurts und mein strahlendes Lächeln.

»Guten Appetit!«

»Ist heute Weihnachten?« Arne sieht mich fragend an.

»Wenn du möchtest, darfst du später auch noch was auspacken …« Ich zwinkere ihm zu und fasse mir so diskret-auffällig wie möglich an den Ausschnitt.

»Sag mal, Tanja, hast du ein schlechtes Gewissen?« Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Neulich habe ich gelesen, dass der Magen von innen auch rot wird, wenn man sich schämt. Zum Glück hat Arne keinen Röntgenblick!

»Na ja … nicht direkt … also … sieh es als Friedensangebot.«

»Okay.« Arne greift nach dem Apfel. Er isst gern erst ein Stück Obst zum Frühstück, ehe er seinen Magen mit ungesundem Zeugs vollstopft. Die Hunde haben ihre Würstchen längst vertilgt und betteln um Nachschub.

»Tut mir leid wegen gestern«, gestehe ich. »Ich habe da wohl ein bisschen überreagiert.«

»In der Tat.« Arne legt das Kerngehäuse auf seinen Teller und schnappt sich ein noch warmes Croissant. Er beißt genüsslich hinein und ein ganzer Schwall Krümel landet auf dem Leintuch.

»Ich weiß auch nicht, was ich sagen soll …«

»Sag gar nichts«, meint Arne mit vollem Mund. »Mach es aber bitte nie wieder. Ich mag keine Zicken. Und außerdem ist das mit Sandra wirklich völlig harmlos.« Ich spüre einen kleinen Stich, als er ihren Namen erwähnt, reiße mich aber zusammen.

»Was hat sie denn«, heuchele ich Interesse.

»Frag lieber, was sie nicht hat. Sie hat ab kommendem Monat einen Job in einer PR-Agentur in der Richard-Wagner-Straße.«

»Ist doch super«, sage ich lahm. Da wird sie fett Kohle scheffeln, wenn sie in einer der imposanten Villen aus der Jugendstilzeit Werbung für illustre Unternehmen macht. Ich bin nicht so oft in jener Gegend, aber die paar Mal, als ich am Staatsministerium vorbeigefahren bin, das auch in der Straße ist, war ich doch mächtig beeindruckt, welche Prachtbauten Stuttgart in der von Maklern so genannten ›exponierten Halbhöhenlage‹ zu bieten hat.

»Ja, schon«, sagt Arne und schraubt den Deckel vom Marmeladenglas auf. »Nur fehlt ihr eine Wohnung.«

Dann soll sie ins Hotel ziehen, denke ich. Sage aber nichts.

»Ich habe ihr angeboten, bei mir zu wohnen, bis sie was Passendes gefunden hat.« Das kann ich mir vorstellen, was für Fräulein Magister passt – exponierte Halbhöhenlage. Möglichst toprenovierter Altbau. Das ist natürlich nicht so leicht zu finden.

»Was würdest du eigentlich sagen, wenn Marc plötzlich zu mir zieht?«, platze ich raus. Ich kann mir zwar selbst nicht vorstellen, dass ich mit meinem Ex noch mal länger als fünf Minuten im selben Raum bin, ohne ihm an die Gurgel zu springen oder den Mops auf ihn zu hetzen. Aber ich frage ja nur mal. Als Antwort bekomme ich ein Schulterzucken.

»Ich würde davon ausgehen, dass die Beziehung beendet ist«, kommentiert Arne wenig gerührt.

»Aber …«

»Tanja, meine Oma sagte immer, eine aufgewärmte Liebe schmeckt nicht.«

»Bitte?«

»Das mit Sandra und mir ist vorbei. Wir haben unser gemeinsames Haus verkauft, das Geld steckt in der Tierrettung, zwischen uns ist nichts mehr«, sagt Arne mit Nachdruck. »Und jetzt hör bitte auf damit.«

Ich nicke stumm. Ich weiß ja, dass die beiden längst kein Paar mehr sind, und es wäre auch nicht logisch, sich zu trennen, das gemeinsam auf der Insel gekaufte Haus zu verkloppen und dann im Süden in einer Mietwohnung zu hausen. Das versuche ich meinem Herzen klarzumachen. Weit komme ich allerdings nicht.

»Ich stehe mehr auf frische, knackige Liebe«, sagt Arne und zieht mich zu sich hin.

»Vorsicht, der Kaffee!« Zu spät. Wir liegen in einem Milchkaffee-See. Da ist es nur logisch, dass wir uns gegenseitig von den nassen Klamotten befreien …

Wenn es sein muss, können der Mops und sein Filius sehr diskret sein. Die beiden hatten sich erst über den Schinken hergemacht, der von der Matratze auf den Boden gefallen war, dann hat Arne sie aus dem Zimmer gescheucht und die Tür hinter ihnen geschlossen. Nach dem ›Frühstück‹ werde ich bleimüde und kuschele mich zufrieden in Arnes Armbeuge. Ich bin eben dabei, in einen süßen Traum zu gleiten, als das Handy des Tierdocs bimmelt.

»Och nööö«, mosere ich verschlafen. Mein Liebster grunzt etwas Unverständliches, dann schält er sich aus dem Bett und tappt nackt zum Schrank, wo an der Tür auf einem Bügel seine Uniform hängt. Er fischt das Handy aus der Brusttasche der Jacke.

»Tierrettung Stuttgart«, meldet er sich. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Ich bin nicht da. Ich will nicht raus! Arne macht »Hm« und »Prima«. Klingt nicht nach Einsatz. Dann sagt er »Danke für die Info« und krabbelt zu mir unter die Decke.

»Die Eule kommt durch, das war die Quarantänestation in der Wilhelma. Die Schwäche ist auf Parasiten zurückzuführen. Ein paar Wochen und sie kann in die Voliere.«

»Das freut mich!«

»Mich auch, aber mich würde noch etwas ganz anderes freuen.« Der mit Abstand knackigste Tierarzt der Stadt knabbert an meinem Ohrläppchen. Ich kichere und knabbere zurück. Lange lassen uns die Hunde aber nicht knabbern – Earl kratzt an der Tür und jault. Ein Blick auf den Radiowecker auf dem Nachttisch zeigt mir, dass wir eine Stunde über der Gassizeit sind. Vermutlich platzt der Mops bald, wenn er sich nicht auf Arnes Teppich entleert. Während Arne im Bad verschwindet – und hinter sich abschließt, wie ich wohlwollend beim Gedanken an seine Mitbewohnerin bemerke –, machen Mops, Mudel und Tanja sich auf zur Gassirunde. Die Leinen hole ich in unserer Wohnung ab. Chris’ Tür steht offen, von ihm selbst ist nichts zu sehen. Wahrscheinlich ist er schon beim Dienst im Callcenter. Mudel saust wie immer die Treppen runter, während sein Vater Earl sich von mir tragen lässt. Unten angekommen leine ich beide Hunde an. Wie immer hat der Sohn etwas anderes vor als sein Vater. Und beide wollen etwas anderes als ich. Ich will nach links abbiegen, Earl zieht nach rechts und Mudel stürmt geradeaus. Es ist ein Kuddelmuddel aus Fell, Beinen und Leinen, das sich den Weg zum Hundeplatz bahnt. Als wir endlich die große Wiese neben dem Spielplatz erreichen – beinahe die einzige, auf der Hunde noch gestattet sind –, mache ich die Hunde los. Earl setzt sofort einen immensen Haufen aufs Gras, und beim Aufsammeln mit der Hundetüte frage ich mich wieder einmal, wie so viel in einen so kleinen Hund reinpasst. Mudel schnuppert erst einmal quer über die Wiese und pinkelt jeden Busch an, den er finden kann. Wie immer sieht er erst nach, ob ich auch zuschaue. Erst dann kackt er und dreht sich dabei immer wieder Beifall heischend nach mir um. Heute habe ich allerdings keine Zeit, mit den beiden zu spielen. Arne und ich wollen in den Schrebergarten fahren, um Mariam wegen der Eule Bescheid zu sagen. Danach müssen wir mit dem ehemaligen Krankenwagen in die Werkstatt. Mir ist jetzt schon ganz flau bei dem Gedanken an die Rechnung.

Auf dem Parkplatz der ›Wonne‹ entdecke ich meinen Wagen. Nanu, sind die Jungs hier? Chris und Rolf haben immer Zugriff auf mein Auto; eigentlich brauche ich den Wagen ja nur zum Einkaufen oder wenn wir am Wochenende in die Laubenkolonie fahren. Aber normalerweise fragen sie mich, ob sie das Auto benutzen können. Mudel und Earl, die wir hinten in einer großen Transportbox gesichert hatten, stürmen sofort zum Wagen und nehmen die Fährte auf. So, wie Earl mit seinem Ringelschwanz wedelt und dabei grunzt, können seine Herrchen nicht weit sein. Wir folgen den Hunden zu Parzelle 42 – und tatsächlich: vor der Laube liegt Rolf in der Sonne, einen Gartenratgeber in der einen und eine Dose Bier in der anderen Hand. Chris präsentiert uns seinen Allerwertesten, jedenfalls zur Hälfte. Mein Lieblingsflorist steht, den Rücken zum Gartentor, gebückt am Rosenbeet und zupft Unkraut. Als die beiden Earl und Mudel kläffen hören, zucken sie zusammen.

»Tanja? Äh … also, wegen des Wagens, dein Handy war aus und Klaus sagte, er muss dringend mit allen Mitgliedern reden und …«

»Schon gut«, antworte ich lachend. »Ich habe meinen Privatchauffeur!« Stolz hake ich mich bei Arne ein. Rolf zwinkert mir zu, dann windet er sich aus dem Liegestuhl.

»Auch ein Bier?«, fragt er Arne. Der nickt und folgt Rolf in die noch immer schwer baufällige Laube. Strom haben wir zwar keinen, dafür aber fließendes Wasser und eine Kühlbox mit extra starken Akkus, die Chris im Internet ersteigert hat. Die halten alles erstaunlich lange kühl.

»Oha, große Versöhnung, Prinzessin?«, will Chris wissen und scheucht den Mops aus dem frisch geharkten Blumenbeet. Ich lächle und schweige.

»Was ist denn so wichtig mit dem Hünken?«, frage ich stattdessen und sehe eben noch, wie Mudel in der Laube verschwindet.

Chris zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber so, wie er geklungen hat, steht der Weltuntergang bevor, mindestens.« Mudel kommt mit einem Landjäger im Maul zurück. Als Earl das sieht, gibt er auf seinen Stummelbeinchen Gas. Sekunden später hat auch er eine Hartwurst zwischen den Beißern.

»Mist, so spät schon?« Chris hat meinen linken Arm hochgehoben und einen Blick auf meine Armbanduhr geworfen.

»Rolf! Roooolf! Wir müssen!«

»Sollen wir mitkommen?«, frage ich. Immerhin ist das hier irgendwie auch mein Garten, auch wenn ich keinen Spaten schwinge. Arne nickt auch.

»Wir kommen gern mit«, bestätigt er.

»Warum nicht«, meint Chris. Die Einzigen, die keine Lust haben, sind der Mops und sein Sohn. Rolf füllt für die beiden einen Wassernapf, dann schließen wir das Törchen und machen uns auf den Weg zum Vereinsheim der Gartenkolonie ›Zur Wonne‹. Der Bau aus den frühen 1970ern sieht aus wie eine zu groß geratene Gartenlaube. Die Sprossenfenster haben grün gestrichene Läden, an denen der Lack abblättert. Der gelbe Putz ist an vielen Stellen grau und die Dachziegel zum Teil geborsten und mit Moos bewachsen. Ich war noch nie drin, was ich sofort bedauere, als ich meinen drei Männern durch die Eingangstür folge: Wir treten eine Zeitreise an. Schon die Fliesen in Spinatgrün sind eine Schau. Der Raum wird dominiert von einer dunkelbraunen Theke, hinter der Regale mit Gläsern und Tassen hängen. Dahinter geht es offenbar in eine kleine Küche, zwei weitere dunkelbraune Türen führen zu den Toiletten. Im sogenannten Saal stehen – dunkelbraune! – Tische mit jeweils sechs Stühlen. Dunkelbraun mit beigen, ziemlich zerschlissenen Kissen. Die Wände sind in beige gestrichen, vielleicht war das auch mal weiß, über jedem Tisch hängt eine Lampe mit einer groben beigefarbenen Stoffbespannung. Der selbe Stoff dient als Gardinen. Auf den Fensterbänken stehen verstaubte Kakteen, ausgeblichene Gartenzwerge und krumme Kerzen in offensichtlich selbst getöpferten Haltern. Beige Tischdecken. Auf jedem Tisch ein Plastikhalter mit abgenutzten Bierdeckeln. An den Wänden hängen Dutzende Rahmen mit blassfarbenen Fotos der Laubenkolonie. Kurz gesagt: Es ist potthässlich.

»Hui, gemütlich«, sagt Arne. So, wie er guckt, meint er das ernst. Rolf will die Barhocker am Tresen ansteuern, aber Chris zieht ihn zum letzten freien Tisch am Fenster. Arne und ich folgen ihm. Immer mehr Schrebergärtner strömen in die kleine Wirtschaft. Klaus Hünken bahnt sich den Weg durch die Reihen zur Theke.

»Wer was trinken will, ich schenk jetzt mal aus!«, ruft er in den Saal.

»Wollt ihr?«, fragt Arne in unsere kleine Runde. Wir wollen. Und weil alles so schön retro ist, bestelle ich mir eine Spezi. Es dauert ziemlich lange, bis mein Liebster mit meinem Kindergetränk und drei Flaschen Pils wiederkommt – die Leute in der Kolonie scheinen alle einen mächtigen Durst zu haben. Klaus gerät hinter der Theke ins Schwitzen und es ist ihm anzusehen, dass er so was nicht oft macht. Während Arne noch Schlange steht, kommt Mariam herein. Ich winke ihr zu und bitte sie mit Zeichen zu uns an den Tisch. Sie drängelt sich an den Männern in Feinripphemden und abgeschnittenen Jeanshosen vorbei, die beim Vorsitzenden etwas Flüssiges erwerben wollen.

»Hi«, sagt sie ein bisschen atemlos, als sie es endlich zu uns geschafft hat. »Wie geht’s der Eule?«

»Deswegen sind wir eigentlich hier«, erkläre ich. »Sie ist in der Quarantäne in der Wilhelma. Alles wird gut, sie hat massiv Parasiten.«

»Oh, das freut mich!«, strahlt Mariam.

Irgendwann sind alle Mitglieder der Wonne mit Getränken versorgt und ein ziemlich geschaffter Klaus Hünken bittet um Ruhe.

»Was kostet das eigentlich mit der Eule?«, flüstert Mariam.

»Äh … also … Wildtiereinsätze … werden eigentlich aus Spenden beglichen«, antworte ich und schaue dabei fragend zu Arne. Der nickt, aber ich sehe seinem Gesichtsausdruck an – und ich weiß es ja selbst, weil ich die Zahlen kenne – dass das Konto mehr als leer ist. Die Leute kaufen Flachbildfernseher, Tablet-PCs oder Klamotten wie verrückt, aber ein paar Euro für die Tiere hat keiner übrig. Und dann auch noch die anstehenden Reparaturkosten für den Krankenwagen …

»Liebe Mitglieder«, beginnt nun Klaus Hünken. Ich gebe Mariam ein Zeichen, dass wir nachher weiterreden. »Danke, dass ihr so vollzählig erschienen seid. Was ich euch mitzuteilen habe, wollte ich nicht mit einem Aushang machen.« Ein Raunen geht durch den Saal und Klaus Hünken nestelt etwas aus seiner Hosentasche. Umständlich entfaltet er ein Blatt Papier.

»Am besten lese ich euch das vor.« Der Vorsitzende räuspert sich, ehe er loslegt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Zuge der Überprüfungen städtischer Liegenschaften und der damit verbundenen steuerlichen Erfassung teilen wir Ihnen mit, dass die Liegenschaftssteuern seit dem Jahre 1973 von Ihrem Verein nicht mehr entrichtet wurden. Wir bitten deshalb um Nachzahlung in Höhe von 42.190,12€ bis zum 1.September. In diesem Betrag enthalten ist bereits der Abschlag für die gesetzlichen Verjährungsfristen.

Des Weiteren weisen wir Sie darauf hin, dass der Erbpachtvertrag für die Gartenkolonie zum 1. Januar kommenden Jahres ausläuft. Die Lauben haben bis zu diesem Zeitpunkt entfernt und die Gärten abgeräumt zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Pukallus, Stadt Stuttgart, Amt für Liegenschaften und Wohnen

Klaus Hünken lässt den Brief sinken. Mir sinkt der Magen Richtung Boden, als in meinem Kopf ankommt, was er da eben gesagt hat. Einen Augenblick herrscht absolute Ruhe. Dann poltern die Ersten los. Ein wahrer Orkan bricht los und ich kann nur Wortfetzen verstehen. Die reichen von »Heimadsogga« über »die Arschlöcher« bis hin zu »Sauerei, hundsgemeine« und »die hend doch nemme älle Latta am Zaun!« Rolf und Chris starren sich entgeistert an. Chris’ Lippen zittern. Rolf schüttelt stumm den Kopf.

»Ruhe! Seid doch mal ruhig!«, versucht Klaus Hünken, sich Gehör zu verschaffen. Es dauert ein paar Minuten, ehe sich der Sturm legt und ein sichtlich nervöser Vorsitzender versucht, die Lage zu analysieren. Chris ist kreidebleich. Rolf knetet nervös die ohnehin schon schäbige zweiseitige Speisekarte, die in einem Ständer auf dem Tisch stand.

»Ich habe bereits mit einem Anwalt gesprochen. Herr Othmer ist heute auch anwesend«, sagt Hünken und deutet auf einen der Tische im hinteren Teil. Ein Mittvierziger erhebt sich und drängt sich zwischen den Tischen hindurch nach vorn. Er sieht gar nicht aus, wie ich mir einen Rechtsverdreher vorstelle: bequemer hellblauer Wollpulli, Jeans und eine runde Brille mit knallrotem Rand.

»Guten Tag«, stellt der Anwalt sich vor. »Mein Name ist Bernd Othmer. Herr Hünken hat mich mit der Wahrnehmung Ihrer Interessen beauftragt. Zunächst einmal werden wir gegen den Bescheid Widerspruch einlegen. Das verschafft uns zumindest einen zeitlichen Vorteil.«

»Ja und dann?«, ruft Rolf aufgebracht. »Machen die die Kolonie eben später zu, oder was?« Chris legt ihm die Hand auf die Schulter, aber Rolf schüttelt sie ab.

»Das ist doch typisch Beamte, ich könnt kotzen, echt!«, poltert er.

»Bitte, bitte«, beschwichtigt Klaus Hünken. So habe ich meinen Mitbewohner noch nie erlebt, aber ehrlich gesagt – mir geht’s auch nicht anders. Stinkwütend wäre untertrieben.

»Ich werde ein Gespräch mit den Verantwortlichen anstreben«, gibt der Anwalt bekannt. »Bis dahin bitte ich Sie alle, Ruhe zu bewahren. Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.«

»Allerdings nicht!«, ruft Chris.

»Genau, mit uns machen die das nicht!«, stimmt Rolf zu. Dann reden wieder alle durcheinander, schimpfen, fluchen und hauen mit den Fäusten auf die Tische.

»Komm«, sagt Arne zu mir. »Wir müssen weiter.«

»Ich kann doch meine Jungs jetzt nicht allein lassen«, gebe ich zu bedenken.

»Schon okay, Tanja«, sagt Chris und Rolf nickt.

»Wartet, ich komme mit, muss noch ein paar Sachen aus dem Wagen holen«, sagt Mariam und steht ebenfalls auf. »Mir ist das wurscht, was die sagen, ich pflanze weiter wie geplant!«

»Genau!« Chris hebt beide Daumen.

Auf dem Weg zum Parkplatz schweigen wir alle drei. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, dass es diese kleinen Wege, die Hecken, Lauben und sorgsam beschnittenen Apfelbäumchen bald nicht mehr geben soll. In einem Garten, in dessen Mitte eine hölzerne Windmühle von der Größe eines Schulkinds im lauen Wind träge ihre Flügel dreht, sitzt eine Katze und sonnt sich. Mir kommen die Tränen, aber ich schniefe und wische sie rasch weg. Muss ja keiner sehen, dass Tanja mal wieder zu nah am Wasser gebaut hat. Außerdem habe ich ganz andere Sorgen, erst einmal: Der Bulli braucht eine neue Stoßstange und das ist vermutlich mein finanzielles Desaster. Mindestens.

»Wegen der Eule noch mal«, sagt Mariam, als wir am Parkplatz ankommen. »Ich würde das gern bezahlen.«

»Du kannst eine Spende machen«, schlägt Arne vor. »Ich gebe dir einen Flyer, da stehen alle Daten drauf.« Mein Tierarzt geht zur Fahrertür und schließt sie auf. Mariam folgt ihm.

»Oha!« Mariam zeigt auf das, was von der Stoßstange unter der Motorhaube übrig geblieben ist. Ich werde knallrot. »Unfall?«

»Irgendwie«, knurrt Arne und nestelt im Handschuhfach herum.

»Wer repariert euch das?«, will Mariam wissen.

»Werkstatt«, flüstere ich.

»Werkstatt«, presst Arne zwischen den Zähnen vor. »Hier steht alles drauf.« Er reicht Mariam den Flyer.

»Werkstatt? Na ja … ist doch viel zu teuer«, sagt sie. Ich nicke innerlich, würde aber am liebsten vor Scham im Boden versinken.

»Ja.« Arne springt aus dem Wagen. »Aber was soll man machen?« Zum Glück stehe ich mit dem Rücken zur Sonne, denn so fällt es nicht auf, dass ich noch einen Ton dunkler werde, als mein Tierarzt mich über Mariams Schulter hinweg ansieht.

»Ich kann das doch machen«, sagt die. »Ich meine … statt einer Spende … ist ja mein Job so was.«

»Wie?«

»Was?«

Arne und ich gucken sie an, als wäre sie ein Auto.

»Na ja, bin KfZ-Mechanikerin. Ist keine allzu große Sache.«

»Das wäre super!«, rufe ich begeistert.

»Ja klar«, fällt Arne ein.

»Ihr müsstet nur den Lack besorgen, den Rest erledige ich. Sagt mir einfach, wann es passt.«

Jetzt gleich, will ich sagen, aber Arne kommt mir zuvor.

»Wie wär’s morgen Abend?«

»Klar, gebongt!«

»Gebongt«, sage ich sehr, sehr erleichtert. Ich könnte Mariam knutschen!

»Okay, ich schreibe euch meine Adresse auf, sagen wir gegen sechs, ich habe in der Garage eine kleine Werkstatt.«

»Ja, super, genial!« Ich strahle und Arne sieht auch sehr erleichtert aus. Mariam nennt uns noch die Anschrift eines Autohändlers, bei dem wir günstig eine Dose Lack bekommen können. Dann verabschiedet sie sich.

»Komm mal her, meine Rennfahrerin«, sagt Arne, als Mariam ums Eck verschwunden ist. Er nimmt mich in den Arm und hält mich ganz fest.

Ende der Leseprobe