Nicht ohne meinen Mops - Silke Porath - E-Book

Nicht ohne meinen Mops E-Book

Porath, Silke

4,7

Beschreibung

Tanja hat ihre Traumwohnung in Stuttgart gefunden: Altbau, drei Zimmer, beste Lage. Der Haken: Allein kann sie sich die Wohnung niemals leisten. So ruft sie kurzerhand ein Mitbewohner-Casting aus. Und entscheidet sich schließlich für Chris, der im Callcenter arbeitet, und Rolf, einen Postboten, der samt seinem Mops »Earl of Cockwood« einzieht. Tanja ist hin und weg von diesen Prachtkerlen. Klar, dass sie als Letzte bemerkt, dass Rolf und Chris ein Paar werden. Der Katzenjammer ist groß - erst recht, als Marc, Tanjas Ex, mit seiner schwangeren Freundin vor ihr steht. Tanja, die Jungs und der Mops schwören Rache …

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Silke Porath

Nicht ohne meinen Mops

Roman

Zum Buch

WARMMIETE Tanja Böhm hat ihre Traumwohnung in Stuttgart gefunden: Altbau, drei Zimmer, beste Lage. Der Haken ist nur: Allein kann sie sich die Wohnung niemals leisten. Mit Hilfe ihres Chefs, dem ehemaligen Werbefachmann und Kioskbesitzer »Onkel Willi«, richtet sie kurzerhand ein Mitbewohner-Casting aus. Sie entscheidet sich schließlich für den Floristen Chris, der im Callcenter arbeitet, und Rolf, einen Postboten, der samt seinem Mops »Earl of Cockwood« einzieht.

Tanja ist hin und weg von diesen Prachtkerlen. Klar, dass sie als Letzte bemerkt, dass Rolf und Chris ein Paar werden. Der Katzenjammer ist groß – erst recht, als Marc, Tanjas Ex, mit seiner schwangeren Freundin vor ihr steht. Tanja, die Jungs und der Mops schwören Rache …

 

Silke Porath, Jahrgang 1971, lebt mit ihrem französischen Mann, einem reinrassigen italienischen Straßenköter, einem rumänischen Findelhund und der griechischen Landschildkröte Else in ihrer Heimatstadt Balingen. Die Mutter dreier Kinder ist Mitglied bei den 42erAutoren und im Verband deutscher Schriftsteller. Die bekennende Schwäbin wohnt im Internet unter www.silke-porath.de – dort gibt es auch »Leckerlis« zu den Folgebänden »Mops und Möhren« sowie »Mops und Mama«. Denn das Chaos in der WG geht weiter!

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Klostergeist (S. Porath u.a., 2016)

Ein Lama zum Verlieben (Silke Porath, 2015)

Wer mordet schon in der Oberlausitz? (S. Prescher/S. Porath, 2015)

Wer mordet schon zwischen Alb und Donau?

(S. Prescher/S. Porath, 2014)

Hermingunde ermittelt in Balingen (S. Porath, 2014)

Mops und Mama (S. Porath, 2014)

Mops und Möhren (S. Porath, 2013)

Klosterbräu (S. Porath u.a., 2012)

Nicht ohne meinen Mops (S. Porath, 2011)

Klostergeist (S. Porath u.a., 2011)

 

Impressum

Ausgewählt von

Claudia Senghaas

 

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

 

2018 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

© Originalausgabe: 2011, Gmeiner-Verlag

 

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © nuraann/fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5720-3

Vorwort

»Der Mops macht seine Besitzer zu Gefangenen – wer einmal in seinem Leben einen Mops besaß, bleibt für den Rest seines Lebens meist bemopst. Er ist ein strammer kleiner Hund mit rundem Kopf, kleinen Samtohren und großem Charme. Sein Fell ist beige, schwarz oder – nur noch selten – silbergrau, immer mit schwarzer Maske. Er ist handlich, riecht und sabbert nicht und reagiert im Allgemeinen recht gut auf eine Grunderziehung. Er ist mit einer halben Stunde Auslauf zufrieden, schafft aber auch spielend fünf. Er schnappt nicht, schnarcht dafür aber entsetzlich – was Mopsbesitzern allerdings meist erst dann auffällt, wenn er nicht mehr schnarcht. Der Mops hatte nie eine andere Aufgabe, als geliebt zu werden. Die erfüllt er hervorragend.«

Katharina von der Leyen

 

»Ein Leben ohne Mops ist möglich – aber sinnlos.«

Loriot

 

Widmung

Für meine Mädels Jutta Mülich und Monika Detering

Nicht ohne meinen Mops

Die Wohnung mit einer Frau zu teilen, kommt Kamikaze gleich. Du kannst in Bergen von Schuhen versinken. Du kannst die eigene Schweißausdünstung nicht mehr riechen, weil deine Mitbewohnerin ihre krallengleichen Fingernägel mit stinkendem Lack bearbeitet. Du wirst nie wieder das kochen dürfen, worauf du Lust hast – keine blutigen Steaks, keine gebratene Leber. Wenn sie sich erst einmal eingenistet hat, dann ist das Leben vorbei. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin eine Frau.

Und genau deswegen kommt mir keine über die Schwelle. Dabei sah es anfangs noch ganz anders aus …

Das Paradies passt in 100 Quadratmeter Altbau: Zweiter Stock. Drei Zimmer, Balkon mit Blick auf einen grünen Innenhof. Und nur zwei Nachteile: Die Dusche steht mitten in der Küche, und ich kann mir die Wohnung nicht leisten. Aber ich will sie: Ich. will. diese. Wohnung!!!

Okay, es gibt noch einen dritten Nachteil. Aber die Schallschutzfenster halten den Autolärm von der Olgastraße draußen. Zählt also nicht. Außerdem kann man vom vorderen Zimmer aus den Leuten in die Cabrios schauen, wenn sie an der Ampel halten müssen.

»Haben Sie sich jetzt entschieden? Ich hab da noch andere Interessenten auf der Liste.« Der Vermieter räuspert sich und wedelt mit dem Mietvertrag vor meiner Nase rum. Sein Aftershave schafft es nicht, den Schweißgeruch zu übertünchen, und ich frage mich, wie viele Schnitzelreste unter seiner Prothese verfaulen.

»Ist ja alles frisch renoviert, also, da komm ich Ihnen schon entgegen, in Stuttgart finden sie so was zu dem Preis nicht wieder.« Herr Baumann bleckt die gelblichen Dritten. »Und dann die Lage …«

Ich kenne die Lage. Die der Wohnung (nur zwei Straßen weiter beginnt das Bohnenviertel, meine Lieblingskneipe ist quasi um die Ecke und einen Aldi gibt’s hier auch) und die auf meinem Konto. Vor allem aber schwirrt mir in diesem Moment die Lage meiner bisherigen Behausung durch den Kopf. Anderthalb Zimmer, ein Bad, das man nur betreten kann, wenn man unter 70 Kilo wiegt, schönster 60er-Jahre-Betonstil in Bad Cannstatt. Also quasi im Nirwana. Szenetechnisch betrachtet. Und direkt nebenan Frau Klose, die wandelnde Kehrwochenwächterin. Erst gestern hat sie mir mit vorwurfsvoller Miene die nicht ordnungsgemäß ausgeschlackerte Fußmatte hochkant vor die Wohnungstür gestellt.

»Ich nehm sie«, sage ich schneller, als mein Bankberater ausrasten kann.

Herr Baumann formt mit seinen trockenen Lippen ein zufriedenes Grinsen und drückt mir den Mietvertrag in die Hand. »Sie tragen mir dann noch den Namen von Ihrem Mann ein, gell?«

Mann? Ich? Wahrscheinlich mache ich ein ähnlich intelligentes Gesicht wie ein Goldfisch, den man nach dem Weg zum Hauptbahnhof fragt. Ich bin seit sieben Monaten unbemannt.

»Sie wollen doch die große Wohnung nicht alleine mieten? Ich vermiete nur an Paare.« Herr Baumann stülpt die Lippen nach vorne. Klar. Die Schwaben sind da korrekt.

»Nein, natürlich, ja«, stottere ich. Ehrlich sein. In die Defensive gehen. »Also, verheiratet bin ich nicht.«

»Na, dann schreiben Sie eben rein, wie Ihr Verlobter heißt.« Herr Baumann schlenkert demons­trativ den linken Arm, bis die schwere goldene Uhr unter der Cordjacke nach vorne rutscht. »Ich muss dann auch weiter«, sagt er, drückt mir den Schlüssel­bund in die Hand und dreht sich um.

»Also, verlobt … naja, da wäre noch …«, piepse ich. Herr Baumann fährt herum und blitzt mich an. Die Wohnungsschlüssel brennen in meiner Hand.

»Ja sagen Sie doch gleich, dass Sie eine WG wollen, das ist auch kein Problem, Hauptsache, die Miete kommt pünktlich.« Baumann schüttelt mit dem Kopf und nuschelt was von »junge Weiber« und »unentschieden«.

Dann knallt die Tür und ich bin allein. Hier. In 100 Quadratmetern Altbau. Mit Stuckrosen an der Decke und französischen Balkonen vor den bodentiefen Fenstern. Und ohne Ahnung, wie ich die Miete für diese Bleibe mit meinem Gehalt bezahlen soll. Seit in den Kneipen nicht mehr geraucht werden darf, sinkt der Umsatz im Tabakladen im Einkaufszentrum beim Killesberg stetig. Und je weniger Leute qualmen, desto lauter jammert mein Arbeitgeber Wilhelm Fritz, genannt »Onkel Fritz«. Das Manko in der Kasse können auch die rasant gestiegenen Umsätze bei Kaugummis und Pfefferminzbonbons nicht auffangen. Mit einer Gehaltserhöhung brauche ich also gar nicht erst zu kommen.

Ich lege die Schlüssel und den Mietvertrag auf das frisch polierte Fensterbrett und gehe in den Flur. Der allein ist größer als mein jetziges Apartment. Der Fußboden ist gekachelt, weiß mit kleinen roten Rauten zwischen den einzelnen Fliesen. Es sieht aus wie bester Jugendstil, kann es aber nicht sein, da das Haus im Krieg komplett zerbombt wurde. Zum Glück, denke ich, denn ein Haus von anno Zwieback hätte ganz sicher kein Oberlicht gehabt, durch das milchig weißes Licht in den Flur fällt.

Vom Flur aus gehen fünf Türen ab. Im Uhrzeigersinn gesehen geht es zuerst in eine kleine Toilette, mehr lang als breit. Dann kommt die Küche (mit der eingebauten Duschkabine) samt herrlichem Balkon auf den Hinterhof. Auf 11 und auf 1 Uhr befinden sich zwei Räume, der dritte ist etwa auf 4 Uhr. Ich gehe nach 4 Uhr. Zwei Fenster, die bis zum Boden reichen. Davor ein französischer Balkon mit zwar staubigem, aber schön verschnörkeltem Gitter. Das Schönste in diesem Raum ist aber ein rundes Fenster. Unter dieses Bullauge werde ich mein Bett stellen, bewacht von einer nackten Frau aus Tiffanyglas, durch deren blauen Hut jetzt ein Sonnenstrahl auf das Schiffsbodenparkett fällt. Es sieht aus, als ob diese Dame mir zuzwinkert und sagt: »Herzlich willkommen.« Ich streichle über das kühle Glas und die Bleieinfassungen. Und fühle mich wohl. Sauwohl.

Die anderen beiden Zimmer sind beinahe identisch. Zwischen ihnen ist noch eine Verbindungstür, wie der Vermieter mir sagte. Allerdings wurde diese durch eingebaute Regale auf beiden Seiten dicht gemacht. Im Zimmer neben meinem ist ein fast raumfüllendes Stuckgebilde an der Decke. Das andere Zimmer glänzt mit einem kleinen gemauerten Balkon.

Ich gehe zurück in den Flur. Meine Absätze klackern auf den Fliesen, die Sonne linst durchs Oberlicht. Auch auf die Gefahr hin, mich sofort bei meinen Nachbarn, einen Stock tiefer, unbeliebt zu machen, stoße ich einen lauten Schrei aus, der selbst Tarzan geweckt hätte, und tanze einen wilden Cha-Cha-Cha unterm Oberlicht. Für dieses Schmuckstück müssen sich doch Mitbewohner finden lassen! Und zur allergrößten Not – aber nur unter Herzschmerzen – kann ich den Mietvertrag ja binnen einer Woche widerrufen …

Am nächsten Morgen bin ich überpünktlich im Tabakladen. Zum ersten Mal seit Monaten fahre ich an Bushaltestellen vorbei, an denen noch Schüler stehen, die auf den Transport ins Wagenburg-­Gymnasium oder die Waldorfschule warten. Onkel Fritz starrt mich verwundert an, als ich mich kurz nach acht an den Stapeln mit frisch gelieferten Tageszeitungen vorbeischlängle, die zwischen den Regalen auf dem Boden liegen. Sein Doppelkinn vibriert fragend, als ich an ihm vorbeihusche, meine Tasche und Jacke ins Büro werfe und gleich darauf, mit einem Teppichmesser bewaffnet, in den Ladenraum zurückkomme. Onkel Fritz brummt etwas, das wie »Guten Morgen« klingt. Dann machen wir uns gemeinsam daran, die Plastikbänder von den Paketen zu schneiden und die Zeitungen in die Regale zu räumen. Die »Süddeutsche« macht wie immer Mucken, weil sie viel zu dick ist für das schmale Regal. Dafür leuchtet die »Hürriyet« in schönem Rosa. Am besten riecht, wie jeden Tag, die »Welt«. Meine Theorie: Die mischen in der Druckerei irgendeinen Duftstoff in die Druckerschwärze, damit die Leute die Zeitung nach Geruch kaufen. Die Bäckerei nebenan jedenfalls hat vor zwei Monaten eine Duftanlage installiert, aus der in regelmäßigem Abstand künstlich erzeugtes Aroma von frischen Brötchen in den Supermarkt geblasen wird. Was funktioniert – seit dem habe ich zwei Kilo zugenommen, weil ich mindestens dreimal während einer Schicht meiner Nase folge und ein süßes Teilchen essen muss.

»Sag mal, Tanja, was machst du eigentlich schon hier? Du hast doch Spätschicht?« Onkel Fritz keucht, als er seine schwere Wampe (zu viele Schokoriegel aus dem eigenen Bestand) durch die Reihen mit Zeitschriftenregalen schiebt. In seinen blauen Augen prangt ein großes Fragezeichen.

»Na ja«, stöhne ich und überlege zum x-ten Mal, wie ich es meinem Chef beibringe. Ich könnte sagen, dass ich die ganze Nacht sowieso kein Auge zugetan habe, weil ich a) an meinen Kontostand gedacht und b) schon mal mein künftiges Zimmer mit meinen wenigen Habseligkeiten möbliert habe. Ich könnte ihm direkt das Plakat unter die Nase halten, das ich heute Nacht um vier gemalt habe und eigentlich an der Eingangstür des Ladens aufhängen will, direkt neben der Werbung für den kommenden Lottojackpot. Ich könnte auch irgendwas säuseln von wegen, dass er es ja so schwer hat und seine Rückenschmerzen, all die vielen Zeitungen und dass ich einfach so gerne im Laden bin. Aber all das sage ich nicht, weil in dem Moment der erste Kunde kommt. Herr Koslowski, der Geschäftsführer des Supermarktes, um den herum sich unter einem Dach der Bäcker, Metzger, Schuhreparaturservice, eine kleine Apotheke, der Blumenladen und eben unser Tabakgeschäft gruppieren. Wie immer greift Koslowski, die Brötchentüte schon unter den Arm geklemmt und in der linken Hand den Grande Latte to go, nach der BILD-Zeitung, legt wortlos das abgezählte Geld auf den Tresen und tritt gleich darauf den Rückzug in sein Büro an, von wo aus er die Geschicke des Supermarktes und die Kassiererinnen wie Marionetten lenkt.

»Was willst du also?« Onkel Fritz starrt mich unverwandt an.

»Moment«, sage ich und verschwinde im Büro. Dort liegt das zusammengerollte Plakat. Ich ziehe das Gummiband ab, entrolle die Pappe und halte sie wie ein Schild vor mich, als ich zurück in den Laden komme.

»Zimmer in WG zu vermieten, 300 € Warmmiete, zentrumsnah«, liest mein Chef vor. Dann meine Handynummer.

»Könnte ich das aufhängen?«

»Wieso?« Fritz schnauft und schiebt gelangweilt einen Stapel Lottoscheine hin und her.

»Na ja, damit jemand anruft?«

»Hmmm.«

»Ach, Fritz, jetzt komm schon«, säusele ich und ziehe eine Schnute. Schnute wirkt eigentlich immer.

»Jetzt mal von Anfang an, Mädchen«, brummt Fritz und hievt sich auf den Barhocker hinter dem Tresen. Die Jeans, Größe Dreimannzelt, spannt sich über seinen Schenkeln. »Du willst also umziehen?«

»Jaaa«, antworte ich und wedle mit dem Plakat. »Fritz, ich muss aus dem Loch raus. Als Azubi war das ja noch okay, aber jetzt? Ich krieg da keine Luft mehr, Cannstatt ist nicht gerade der Nabel der Welt und wenn du die Wohnung gesehen hättest, den Stuck an den Decken und Fenster bis zum Boden, das Parkett …« Ich rede mich in Fahrt und fünf Minuten später hat mein Chef eine virtuelle Wohnungsbegehung hinter sich.

»Die Wohnung hat nur einen Haken – sie ist für mich allein zu teuer.«

Einen Moment lang herrscht Schweigen. Draußen flitzen die ersten Hausfrauen mit ihren Einkaufswägen vorbei. Ein Muttchen dreht den Ständer mit den Postkarten, der vor dem Kiosk steht. Die Ansichtskarten mit zehn Jahre alten Fotos vom Landtag, der Staatsgalerie und dem Fernsehturm sind unsere Ladenhüter. Mit Abstand. Fritz macht mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen für Penunze, Kohle, Steine und zieht die Augenbrauen hoch.

»Nein, natürlich will ich keine Gehaltserhöhung«, versichere ich im Bruchteil einer Sekunde und setze wieder mein Schnutengesicht auf. Fritz nickt zufrieden. Die letzte Gehaltsverhandlung vor drei Monaten endete mit Tränen bei mir und einem Wutanfall bei ihm.

»Das Plakat kannst du trotzdem nicht aufhängen.«

»Wie bitte?« Ich sehe meine Hoffnung schwinden. Wenn ich jetzt noch eine Anzeige schalten muss, ziehen wertvolle Tage ins Land und dann …

»Ja, also das ist doch total nichtssagend und wenn du möglichst heute noch Klarheit willst, dann muss ein ordentliches Plakat her.« Fritz hievt seine geschätzten 120 Kilo vom Hocker, verschwindet im Büro und kommt mit einem quietschgrünen Werbeplakat von der Lottogesellschaft wieder. Das Ding passt genau in den Aufsteller, den Fritz in der Passage platziert hat. Er dreht das Plakat um, sodass die Lottowerbung nicht zu sehen ist. Dann fummelt er aus der Lade neben der Kasse einen schwarzen Edding. Ich knispele nervös an meinem Plakat.

»Du magst zwar eine passable Arzthelferin gewesen sein und eine halbwegs talentierte Verkäuferin, aber von Werbung hast du keine Ahnung«, knurrt Fritz schließlich und hält das Plakat in die Höhe. »Und das hängst du jetzt auf!«

»Wow!« Auf apfelgrünem Untergrund prangt eine von Fritz gemalte Haustür mit Löwenkopf-Klingel. Darunter steht: »Nur heute: Dein Traumzimmer in der schönsten Altbauwohnung Stuttgarts! Top Lage, 20 Quadratmeter Luxus für nur 300 € Warmmiete. Die Ersten ziehen ein!«

Fritz legt den Kopf schief. Aus meiner Schnute wird ein breites Grinsen.

»Wow«, sage ich noch einmal.

»Tja, gelernt ist gelernt«, lacht Fritz und ich erinnere mich, dass er in einem früheren Leben mal Grafiker war, bis ihm der tägliche Terror in den Werbeagenturen in den schmucken Villen rund um die Villa Reitzenstein auf den Keks ging. Jetzt verkauft er die Zeitschriften mit den Anzeigen, die seine ehemaligen Kollegen auf dem Weg zum Herzinfarkt oder Burn-out, aber in direkter Nachbarschaft zum Sitz des Ministerpräsidenten, geschaffen haben. Völlig stressfrei, wie er sagt.

Zwei Minuten später prangt das Plakat im Aufsteller.

»Und du gehst jetzt ins Büro und wartest auf Anrufe«, befiehlt Fritz und seine Schweinsäuglein blitzen. Manchmal ist er so – manchmal. Als Chef kann er auch ganz anders, aber wenn er mal Feuer gefangen hat für eine Sache, dann ist er nicht zu bremsen. Durch die als Spiegel getarnte Scheibe (wie bei der Kripo!) habe ich die Theke und den Eingangsbereich im Blick. Fritz meint, wenn mir jemand gar nicht gefällt, dann könne ich das auf den ersten Blick sehen, denn er wettet Stein, Bein und eine Packung Haribo, dass die Leute direkt in der Passage das Handy zücken und mich anrufen. Ich bin da weniger zuversichtlich, aber die Idee, unsympathisch von sympathisch auszusortieren, gefällt mir. Von draußen hole ich mir die neueste »Schöner Wohnen« und schwelge in italienischem Möbeldesign, das ich mir nie leisten kann. Egal. Heute ist das egal.

Zehn Minuten sitze ich da. Zwanzig. Eine halbe Stunde. Mit der Zeitung bin ich durch. Im Laden stehen die Kunden in der allmorgendlichen Schlange und decken sich mit Kippen und Zeitungen ein. Fritz kommt ganz schön ins Schwitzen und mein schlechtes Gewissen meldet sich. Ich hab zwar keine Lust dazu, dennoch schnappe ich mir den aktuellen Ordner und den Stapel mit Lieferscheinen, die mein Chef mal wieder seit Tagen auf dem Schreibtisch sammelt. 38 Zentimeter Lieferscheine. Ich fange an, die Blätter nach dem Alphabet zu sortieren. Da bimmelt mein Handy.

Tatsächlich! Vor dem Laden steht eine Frau, den Rücken zu mir gewandt, das Telefon am Ohr.

»Ja?«, melde ich mich und starre der Blondine auf den langen geflochtenen Zopf.

Vom anderen Ende höre ich ein tiefes Räuspern, das so gar nicht zu der zarten Erscheinung passen will. In dem Moment klappt die Blondine das Handy zu und trollt sich. Das Räuspern höre ich noch immer.

»Ich wollte nur wissen, ob du das Telefon auch eingeschaltet hast.«

»Ja, Chef, hab ich.«

»Gut. Und denk dran, die Lieferscheine von Süßwaren-Langer kommen unter ›L‹ in den Ordner, nicht ›S‹.«

»Jaaaa, Scheffe, is klar, Scheffe.«

Fritz zieht die Nase kraus und legt auf. Eine Horde Schüler stürmt den Laden. Wahrscheinlich kommt jetzt wieder die Nummer »Ich bin schon 18 und darf rauchen, habe aber leider meinen Ausweis eingebüßt, als ein zwei Meter großer Schäferhund mich angefallen hat.« Ich grinse. Es bimmelt erneut. Ich linse durch die Scheibe. Eine Watschelente im selbst gestrickten Pullover starrt auf das Plakat. Die kurz geschnittenen Haare stehen in alle Richtungen ab. In beiden Ohren steckt mehr Blech, als man für den Bau eines Smart braucht.

»Tag, die Vanessa hier.«

»Hallo?«

»Bin ich da richtig wegen der Wohnung?«

»Ja, sind Sie.«

»Ach, sag doch du zu mir.«

»…«

»Also, kannst du mir was erzählen über das Zimmer?«

Ich mache einen virtuellen Rundgang durch die Wohnung, beschreibe Küche, Balkon, Oberlicht. Vanessa leckt sich über die Lippen und ich sehe ein silbernes Zungenpiercing blitzen.

»Du, ich glaub, das klingt gut für mich.«

»Schön, und kann ich jetzt was über dich wissen?« Als Vermieterin muss ich ja schließlich wissen, mit wem ich es zu tun habe.

»Ja, also, ich bin die Vanessa, ich studiere Biologie, eigentlich, aber mir geht’s grade nicht so gut, also psychisch und so, und ich war jetzt ein Semester in Mailand.«

»Hm«, mache ich. Vanessa hinter der Scheibe knispelt mit den Lippen an ihrem Daumen.

»Was ich noch sagen wollte«, beginnt sie und ich sehe, wie ihre Wangen rot werden. »Also, ich hab da eine Sammlung, die müsste mit.«

Ich bin aufgeschlossen. Für alles. Gegen tausend Plastiküberraschungen aus Schokoladeneiern, Enten aus billigem Porzellan oder handgefilzte Ansteckblumen hab ich nichts, solange sie in Vanessas Zimmer bleiben. Das sage ich ihr auch. Prompt hört sie auf zu knispeln und strahlt.

»Ja super, weißt du, ich bin seit Monaten dran, Ratten und Mäuse zu sezieren für meine Semesterarbeit, und die Kadaver muss ich halt einfrieren, aber wenn dich das nicht stört, die sind ja in Tüten.«

Meine Fischstäbchen neben geköpften Nagetieren? Niemals.

»Äh, ja, also, ich würd sagen, ich melde mich«, stottere ich. Vanessa nennt mir ihre Telefonnummer. Ich schreibe nicht mit.

Fritz steckt den Kopf zur Tür rein. »Die war wohl nichts?«

Statt einer Antwort bekommt er einen zirkusreifen Augenverdreher.

»Wird schon, ist ja grade erst kurz nach neun«, sagt Fritz. Er guckt demonstrativ auf seine Armbanduhr, eine schwarze Swatch aus seinen Jugendtagen.

»Verstanden, Chef«, sage ich und springe auf. Für das Plakat werde ich mindestens drei Wochen lang mit morgendlichem großem Milchkaffee bezahlen.

Als ich mit zwei dampfenden Bechern wiederkomme, hält Fritz mein Handy an sein Ohr.

»Augenblick, ich verbinde«, sagt er und grinst schief.

Also doch: Das Mädel im Kostümchen, das ich eben vor dem Laden fast umgerannt hätte, will mich sprechen. Ich schnappe mir das Telefon und ziehe mich ins Büro zurück. Das Kostümmädel dreht draußen nervös eine braune Locke um den Zeigefinger. Sie ist echt nett. Jasmin, 25, Rechtsanwaltsgehilfin. Keine toten Frösche für die Gefriertruhe. Wir unterhalten uns fünf Minuten und mit jedem Zimmer, das ich beschreibe, wird ihr Lächeln breiter. Bis ich in der Küche und der dort installierten Dusche ankomme. Jasmins Gesicht entgleist schneller, als ein ICE mit gebrochenem Radreifen es könnte.

»Ich soll neben dem Herd duschen?« Ein leichtes Kreischen mischt sich in das ansonsten warme Timbre ihrer Stimme. »Also, hmmm, das muss ich mir noch überlegen.« Zack. Die Leitung ist tot. Jasmin schüttelt die ondulierte Haarpracht, lässt das Handy mit angewidertem Blick ins Lederhandtäschchen gleiten und zieht von dannen.

Zicke.

Im Laufe des Vormittags bleiben Dutzende Menschen vor Fritz’ Plakat stehen. Ungefähr jeder Fünfte wählt meine Nummer. Gegen halb zwölf glüht mein linkes Ohr. Der Zettel, auf dem ich die Nummern der Kandidaten notieren wollte, bleibt leer. Ich will weder mit Dirk zusammenziehen, der mir quasi sofort einen Heiratsantrag macht (»Ich bin Diabetiker und du weißt ja, Diabetiker haben keine Erektionsprobleme.«). Noch mit Corinna, die als Verkäuferin in einer Kosmetikabteilung arbeitet und deren schweres Parfum noch fast eine Stunde lang durch den Laden wabert. Auch Frauke (Veganerin und selbst ernannte spirituelle Heilerin), Kai (der kein Problem mit einer Dusche in der Küche hat, aber offensichtlich jemand ist, der keinen großen Wert auf Benutzung derselben legt), Wiebke (Kunststudentin, die alle Wände mit Graffitis gestalten will), Frank (geschätztes Gewicht 160 Kilo – geschätzter Sympathiefaktor null) und Pamela, die vier Perserkatzen, drei Degus und eine Horde Meerschweinchen besitzt, fallen durch mein Raster.

Veronika stellt sofort einen Haushaltsplan auf (»Du, weißt du, ich hab da so ein Ekzem an den Händen, wenn du den Abwasch machen könntest?«), Patrizia besteht darauf, ihren Crosstrainer und die Sonnenbank im Flur aufzustellen. Gegen Gebühr dürfte ich beides benutzen. Angelika schlägt vor, dreimal am Tag gemeinsam zu singen und zu beten. Gerne würde sie mich in ihrer freikirchlichen Gemeinde taufen lassen.

Dann ruft Maria an. Ich beobachte sie durch die Scheibe. Maria ist Italienerin und arbeitet als Kellnerin in der Pizzeria ihres Onkels. »Wir bekämen uns quasi nie zu Gesicht«, lacht sie. »Ich arbeite jeden Abend und wenn du nach Hause kommst, fängt meine Schicht gerade an.« Klingt gut. Maria ist begeistert von meiner Wohnungsbeschreibung, besitzt weder eine raumfüllende Sonnenbank noch eine tiefgekühlte Reptiliensammlung. Endlich, endlich notiere ich die erste Nummer auf dem bis dahin schreiend weißen Block und vereinbare, Maria am Abend nochmals anzurufen. Sie legt auf, geht in den Laden und kauft eine Schachtel rote Gauloises. Fritz bedient sie ausgesprochen höflich und Maria flirtet ihn aus schwarz blitzenden Augen an. Mein Chef ist hin und weg.

Vor dem Laden reißt Maria die Folie von der Zigarettenpackung und lässt sie auf den Boden segeln. Fritz’ eben noch so breites Lächeln wird eine gute Spur schmaler. Ein Junge, vielleicht drei Jahre alt, saust auf seinen Stummelbeinchen um die Ecke und juchzt. Prallt gegen Marias Schenkel. Bleibt stehen und schaut sie mit großen Augen an. Maria macht ebenfalls große Augen und starrt auf den Schokoladenfleck auf ihrer Jeans. Die Mutter des Rasers biegt um die Ecke. Und Maria zetert los. Italienische Flüche schallen durch die Passage. Der Kleine beginnt zu weinen. Maria zetert wild gestikulierend weiter. Ich streiche ihre Nummer durch.

Um halb eins habe ich schlechte Laune. Mein Magen hängt bis zu den Knien durch – und mein Kontostand auch bald. Ich fange an, mir auszumalen, mit welcher Entschuldigung ich den Mietvertrag wieder auflösen kann. Plötzliche Allergie gegen Stuckdecken? Jobangebot aus Neuseeland? Fritz schaut herein.

»Mach mal Pause«, sagt er und drückt mir einen Zehner in die Hand. »Für mich Schinken und Käse.« Ich latsche mit hängenden Schultern zum Metzger und hole belegte Semmeln. Unterwegs überlege ich mir, dass ich auch zurück zu meiner Tante Trude ziehen könnte. Bei ihr bin ich aufgewachsen, nachdem meine Eltern kurz nach ihrem zehnten Hochzeitstag auf dem Heimweg von einer Faschingssparty von einem sturzbesoffenen Teenager aus der Spur verunfallt wurden. Aber Trude wohnt in einem Kaff in der Poritze der Welt. Wo es keine Jobs gibt. Nach der Kneipe und dem mobilen Bäcker, der zweimal die Woche ins Dorf fährt, ist Schluss mit Zivilisation. Aber Hotel Tante kostet keine Miete … und mein ehemaliges Kinderzimmer ist vier Quadratmeter größer als mein jetziges Apartment.

Zwischen Cola light und einem kräftigen Happen Käsebrot beobachte ich vom Büro aus, wie ein groß gewachsener Mann den Laden betritt. Die blaue Postuniform verbirgt offensichtlich muskulöse Schultern. Als er sich vor dem Regal für Musikzeitschriften hinhockt, spannt sich die Uniformhose über einem perfekten Hintern. Ich seufze und pule die Eierscheibe vom Brötchen. Lecker sieht er aus, mit den grau melierten Haaren und dem Anderthalb-Tage-Bart.

Der Postler zahlt seine Zeitung, nimmt noch zwei Packungen Camel light mit und überfliegt am Ständer mit den Tageszeitungen rasch die Überschriften. Ich beiße in ein knackiges Gürkchen und blättere die »Schöner Wohnen« auf. Solch ein Metallbett mit Verschnörkelungen am Kopfteil würde theoretisch auch in meine alte Kinderbude passen. Sähe aber unter dem runden Fenster um Klassen besser aus. Ich seufze. In dem Moment vibriert und bimmelt mein Handy.

»Büddschön?«, nuschele ich mit einem großen Bissen Brötchen im Mund.

»Hallo?«

Ich schlucke, ein Krümel kratzt am Zäpfchen. Tränen schießen mir in die Augen, als ich huste und röchele. Ich habe das Gefühl, ich würde mich von innen nach außen umstülpen. Fritz kommt ins Büro gesaust und haut mir mit seiner Pranke zwischen die Schulterblätter. Der Krümel und ein labbrig gekautes Stück Salatblatt fliegen anderthalb Meter weit aus meinem Mund und bleiben am Wandkalender kleben. Genau auf Ostermontag. Das Handy rutscht mir aus der Hand.

»Besser?« Fritz grinst.

»Hallo? Hallooooo?« Unter dem Tisch ruft eine Männerstimme aus dem Handy.

»Besser«, keuche ich und ziehe die Nase hoch. Dann angle ich nach dem Telefon.

»Ja bitte?« Meine Stimme hat das Timbre von zu viel Whisky-Cola und durchzechter Nacht. Ich räuspere mich.

»Ich habe eben das Plakat gesehen wegen der Wohnung.« Schon wieder einer, denke ich ohne große Hoffnung. Trotzdem linse ich durch die Spiegelscheibe. Der Postbote!

»Wäre das Zimmer noch frei?«

Hach. Er. Ich. Sein Knackarsch. Unter demselben Dach.

»Ja, jajaja!«, rufe ich in den Hörer. Der Briefbote grinst. Er hat sexy Grübchen.

»Und ab wann wäre es frei?«

Gleich, sofort, jetzt!, will ich rufen. Stattdessen besinne ich mich und sage so professionell und unbeteiligt wie möglich: »Können Sie noch einmal in den Tabakladen kommen? Da sitze ich nämlich gerade.« Oh mein Gott! Er sagt »Ja« und steuert auf den Eingang zu – und mir bleiben ungefähr zwölf Sekunden, um mein verschmiertes Mascara abzuwischen, die Haare zu taften und Lippenstift aufzulegen. Unmöglich! Hektisch fege ich die Reste der Semmel in den Papierkorb und habe eben noch Zeit, mir die Nase zu schnäuzen, als es schon an der Tür klopft.

Und dann streckt er den Kopf herein.

»Hallo!«, piepse ich und wische hastig ein paar Krümel vom Tisch.

»Ich hoffe, ich störe nicht?« Der Uniformierte schließt die Tür hinter sich und sein würziges Aftershave kommt als lockende Duftwolke bei mir an. Ich starre in Augen, die Richard Gere vor Neid ergrauen lassen würden, wenn der nicht längst seniorenblond wäre.

»Nein, nein!«

»Ich hab schon Feierabend, einen Vorteil muss mein Beruf ja haben.«

Ich nicke stumm und der Postler setzt sich mir gegenüber an den Resopaltisch, der mir mit einem Mal schäbig wie ein abgewetztes Vesperbrett vorkommt.

»Ich bin Rolf. Rolf Schröder.« Er streckt mir die Hand hin. Seine Finger sind lang und angenehm kühl.

»Böhm. Tanja Böhm.«

»Freut mich, Tanja. Du vermietest also ein WG-Zimmer?«

Keine 20 Sekunden kennen wir uns und sind beim Du. Der Typ gefällt mir. Ich schätze, er ist gut zehn Jahre älter als ich. Warum sucht solch ein Mannsbild ein WG-Zimmer? In meiner Vorstellung wohnen Typen wie er entweder in pervers teuren Lofts oder kühlen Wohnungen in der Bauhaussiedlung am Killesberg. Oder mit der Gattin im Vorort-Reihenhaus in Ludwigsburg. Zwei Kinder und Katze inklusive.

»Eigentlich sind es zwei Zimmer«, antworte ich und beginne zum x-ten Mal an diesem Tag mit der Beschreibung der Wohnung. Als ich in der Küche bei der offenen Dusche ankomme, unterbricht Rolf mich.

»Stopp, das reicht!« Na klasse, klar, die Dusche …

»Ich sehe mir das am besten selbst an. So, wie du klingst, muss die Wohnung ja perfekt sein.«

»Perfekt, ja, perfekt«, freue ich mich und starre auf die Grübchen in seinem Gesicht.

»Wann hast du Feierabend?«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Kurz nach drei. Jetzt lässt Fritz mich sicher nicht gehen, denn wenn die Feierabend-Kunden kommen, steppt noch mal der Bär im Laden.

»Ich denke, so gegen acht kann ich bei der Wohnung sein«, sage ich.

»Passt perfekt!« Rolf strahlt über die schäbige Tischplatte hinweg.

»Perfekt.«

»Soll ich dir noch was über mich erzählen?« Rolf grinst. »Ich denke mal, eine Frau wie du lässt doch nicht jeden x-beliebigen Kerl in die Wohnung?«

Ich schüttele stumm den Kopf. Nicke dann.

»Okay, ich bin Rolf und dass ich als Postbote arbeite, das siehst du ja. Ich bin 43 Jahre alt. Was willst du noch wissen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Warum du ein WG-Zimmer suchst? Ich meine, eigentlich …«

»… sollte ein Mann in meinem Alter in geregelten Verhältnissen leben? Klar!« Rolf lacht und mit einem Mal entspannen sich meine Nackenmuskeln.

»Genau, Reihenhaus. So was.« Ich grinse.

»Na ja, meine Beziehung ist am Ende.« Rolfs Gesicht verdunkelt sich und ich würde ihn am liebsten auf der Stelle in die Arme nehmen.

»Wir wohnen zwar noch zusammen, aber das hat keinen Sinn. Im Moment schlafe ich im Arbeitszimmer und wir gehen uns aus dem Weg, so gut es eben geht, wenn man zwar noch Küche und Bad, aber nicht mehr das Bett teilt.« Rolf versucht ein tapferes Lächeln.

»Ich verstehe«, sage ich und denke an Marc. Marc, den Arsch. Marc und Melanie in unserem Bett. Ich hätte es keine fünf Minuten mehr mit Marc dem Arsch unter einer Decke ausgehalten!

»Ich muss dir noch was sagen.« Rolf hebt den Kopf. Da ist wieder das schiefe Grinsen. Ich schmelze.

»Ich bin nicht alleine«, sagt er.

Kind? Will Rolf mit seinem Ableger bei mir einziehen? Das wär dann doch eine Nummer zu viel.

»Ich habe sozusagen Vaterpflichten.« Oh nein!

»Kinder?«

Rolf grinst noch breiter und ich bin geblendet von seinen perfekten Zähnen. »Nein. Earl ist ein Hund. Wir hatten ihn gemeinsam angeschafft, aber da er mehr an mir hängt, haben wir beschlossen, dass ich ihn behalten soll.«

Die Erdbebenzentrale muss in diesem Moment ein Beben der Stärke fünf auf der Richterskala verzeichnen, so groß ist der Brocken, der mir vom Herzen fällt. Nicht, dass ich was gegen Kinder hätte. Auf Abstand gesehen. Von Nahem sind sie laut, klebrig und nervig.

»Ein Hund! Klar, ich liebe Hunde!«

»Da bin ich aber froh. Earl ist auch ein ganz lieber Mops.« Rolf erhebt sich. Ein Mops! Ich denke an die zerknautschten Fellknäuele, die neben Loriot auf der Couch fläzen. Radiere Herrn von Bülow weg und platziere mich und Rolf neben einen Mops. Schönes Bild.

Das Bild ist so schön, dass ich beinahe das Telefon überhört hätte, als ich gegen 18 Uhr mit Fritz zusammen die nicht enden wollende Schlange von Kunden bediene. Heute bekommt jeder ein Lächeln von mir, ganz besonders die, von denen ich annehme, dass sie einen Hund haben. Fritz langt unter den Tresen und nimmt den Anruf entgegen. Ich schiele zum Plakat vor dem Eingang. Niemand zu sehen.

»Ja, ist noch frei. Nein, ein separates Bad gibt es nicht. Doch, super Lage, Olgastraße. Klar. Ja. Hmmm. Heute Abend um acht.« Ich gebe dem Maurer, dem noch der Staub des Arbeitstages in den Haaren hängt, vor Schreck fünf Euro zu viel raus. Der Kerl grinst und macht sich schnell mit seinem »Kicker« aus dem Staub. Spinnt mein Chef? Da hab ich das Date mit einem der besten Typen der Stadt und der bestellt Gottweißwen?

Ungläubig starre ich Fritz an. »Das war Herr Berger. Klingt sehr nett. Kommt auch um acht«, vermeldet Fritz breit grinsend, nachdem er dem Typen am Telefon die Adresse der Wohnung genannt hat.

»Ich glaub es nicht«, sage ich matt. »Du kannst doch nicht irgendwen in meine Wohnung schicken?«

Mechanisch ziehe ich den Lottoschein durch den Computer. Der Opi trollt sich wortlos, als er sieht, dass er nichts gewonnen hat.

»Das ist nicht irgendwer, der hat mal bei uns im Block gewohnt.« Fritz schiebt beleidigt das Doppeldoppelkinn vor. »Ist ein netter Mensch, der Chris, hat immer die Blumen gegossen, wenn ich im Urlaub war.«

Ich atme tief durch. »Trotzdem …«, nöle ich. Andererseits bin ich froh, dass mein Chef mir hilft.

»Okay, ich kann ihn mir ja mal anschauen«, sage ich und fummele unter dem Tresen nach einem Gratis-Feuerzeug, das jeder Kunde bekommt, der eine komplette Stange Zigaretten auf einmal kauft. Fritz kassiert derweil die 42 Euro von der ausgemergelten Mittfünfzigerin.