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Dieser „Klassik-Krimi“ verwandelt Schillers Theaterstück "Die Räuber" in einen modernen Krimi.Tatort ist Ludwigsburg, Schiller- und Mörike-Stadt. Hier ermitteln Hauptkommissar Castor, geschlagen mit einer Schreib- und Leseschwäche, und Oberkommissarin Luchs, die für Romane und Theater schwärmt. Ausgerechnet auf dem berühmten Barock-Weihnachtsmarkt von Ludwigsburg wird die Gräfin zu Trauttberg ermordet aufgefunden. Der Täter ist ihr Verlobter. Er bekennt sich per Video-Botschaft zu seiner Tat, aber ist nicht zu fassen. Seit vielen Jahren ist Jakob Venn verschollen. Früher trat er als moderner Robin Hood in Leipzig auf. Castor und Luchs müssen sich tief in die Geographie aktueller Konflikte in der Welt einarbeiten, bis sie Jakobs Spur finden. Und ohne seinen Vater, den Weingutsbesitzer Daniel Venn und seinen habgierigen Bruder Roman, hätten sie es nie geschafft.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Inhaltsverzeichnis
1. „Oh, sie ist ein unglückliches Mädchen...“
2. „Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen Körper...“
3. „Ich fühle eine Armee in meiner Faust...“
4. „Verzeihung sei seine Strafe...“
5. „So – Du bist ein gescheiter Mann, ein guter Mann...“
6. „Er mordet nicht um des Raubes willen wie wir“
7. „Er ist Euer Augapfel gewesen bisher...“
8. „Rache ist mein Gewerbe...“
9. „Ich werde unsinnig, ich laufe davon...“
10.“Weil Dir Deine Lappereien missglücken...“
11. „Hier steckt ein Geheimnis. – Heraus!“
12. „Dass mein Herz nicht so warm für ihn schlüge...“
13. „Kamerad! Mit den Narrenstreichen ist’s nun am Ende...“
14. „Deine Weisheit sei die Weisheit der grauen Haare, aber dein Herz...“
15. „Deine Retter sind Räuber und Mörder...“
16. „Dem Mann kann geholfen werden...“
Epilog
Impressum
Hauptkommissar Castor sah missbilligend auf die tote Frau, die vor ihm im Schnee lag. Seine Missbilligung hatte viele Gründe: Die Frau war viel zu jung zum Sterben. Ende zwanzig schätzte er. Aber da würde die Gerichtsmedizin Klarheit schaffen. Einen Ausweis hatten sie bisher nicht gefunden. Die Frau war viel zu schön, um schon wieder zu Staub zu werden. Eine altmodische Schönheit mit einem blassen ovalen Gesicht wie sie die alten Meister malten. Vermeer, Leonardo, Botticelli.
Die Frau war in gewisser Weise zu passend für den Tod gekleidet. Paradox, denn fürs Totenhemd gibt es keine Kleidervorschrift : Um gedeckte Kleidung wird gebeten. Er holt dich im Abendkleid, in der Badehose oder splitterfasernackt. Und trotzdem hatte Castor das Gefühl, dass das Kleid unschicklich sei zu diesem endgültigen Anlass. Castor hielt viel von seiner emotionalen Kompetenz. Dem Riecher, wie andere es nannten. Dieses Kleid war aus dunkelrotem Samt mit tiefem Ausschnitt, enger Korsage und einem langen schwingenden Rock. Die Ärmel waren länger als die Arme, teilten sich am Handgelenk in zwei Streifen und schlängelten sich über den weißen Schnee. Schneeweißchen und Rosenrot. Ein Burgfräulein. Sie trug ein Kleid wie ein Burgfräulein. Und das schickte sich nicht in einer Zeit, wo weibliche Tote in der Mehrzahl nabelfreie Tops trugen. Es wirkte zu feierlich.
Auch die Umgebung passte Kommissar Castor überhaupt nicht: Mitten auf dem Weihnachtsmarkt von Ludwigsburg war das Burgfräulein erstochen worden. Mord auf einem der schönsten Weihnachtsmärkte der Republik. Mitten in einer Barock-Kulisse, die täglich Dutzende von Bussen aus aller Welt anlockte. Das bedeutete Presse, Fernsehen, Sensations-Touristen und Kommunal-Politiker, die aus Angst um das Image der Stadt nervös werden würden.
Der Tatort war weiträumig abgesperrt. Aber was nutzte das schon. Die Besucher des Weihnachtsmarktes drängten sich neugierig an die rot-weißen Bänder. Drei Marktstände lagen innerhalb der Absperrung. Ihre Inhaber würden bald ungeduldig werden, weil sie keine Geschäfte mehr machten.
In Sichtweite des abgesperrten Karrees drehte sich das altmodische Kinderkarussell mit Pferdchen und Elefanten. Aber die lieben Kleinen hatten nur Augen für die Polizei. Sehr weihnachtlich, dachte Castor.
Und dann war da noch die Tatwaffe, die seine tiefe Missbilligung hervorrief: Ein Schwert. Ein Schwert wie aus einem Ritter-Film. Und kein einziger Finger-Abdruck. So viel hatte ihm die Spurensicherung schon verraten.
„Und dann und wann ein weißer Elefant“, hörte er eine Stimme hinter sich. „Auch das noch. Was soll das heißen?“ fuhr er seine Kollegin an. Paula Luchs lächelte. „Entschuldigung, das kam mir wegen dem Karussell in den Sinn. Rilke.“
Castor seufzte. Sein Hobby war bildende Kunst, Bilder. Nicht Buchstaben oder Bücher. Er war ein Kind mit Schreib-Lese-Schwäche gewesen. Er hasste dicke Bücher, die ihn daran erinnerten. Deswegen hatte er die Bilder gewählt. Oberkommissarin Luchs war da ganz das Gegenteil. Auch deswegen waren sie ein gutes Team. Ein kunstsinniger Staatsanwalt, Hobby: griechische Klasssik, hatte sie mal Castor und Pollux getauft. Und das war hängen geblieben.
„Komischer Aufzug für eine junge Frau, findest Du nicht?“, fragte Castor seine Kollegin. „Nicht unbedingt. Die Frau machte Werbung für ihr Geschäft.“ Pollux hielt ihm eine Visitenkarte unter die Nase. Amelie Gabriele Sophia Désirée zu Trauttberg, Schneideratelier für Historische Kostüme. „Ach, du liebe Zeit. Auch noch adelig. Siehst Du schon die ersten Paparazzi?“
Pollux grinste. „Ja. Unser Freund Merlin Meyer friert sich schon seit einer halben Stunde die Zehen in seinen Tanzschuhen ab.“ Sie deutete auf einen kleinen, dünnen Mann mit schütterem Haar, der hinter der Absperrung nervös von einem Fuß auf den anderen trat und ein großes Tele-Objektiv vor der Brust trug. Er winkte Castor und Pollux aufgeregt zu.
„Der wittert das Foto seines Lebens. Endlich raus aus der Ludwigsburger Kreiszeitung, in die großen gelben Blätter.“ Castor konnte das nicht so lässig hinnehmen wie Pollux. „Das wird ja wohl noch Zeit haben“, knurrte er. Nach den ersten Angaben des Arztes war Amelie zu Trauttberg gegen sieben Uhr morgens ermordet worden. Es war noch dunkel gewesen. Die Müllabfuhr war schon durchgefahren. Gegen acht Uhr hatte sie der Inhaber des Standes gegenüber gefunden. „Was machen die alle so früh hier, frage ich mich? Der Markt öffnet doch erst um 10.00 Uhr.“ „Ihr Standnachbar traf sich mit Amelie manchmal zum Frühstück. Vorher haben sie die Ware für den neuen Tag vorbereitet. Amelie ging häufig noch einkaufen und brachte die Sachen dann in ein Altersheim. Das wissen alle Verkäufer in den Nachbarständen. Sie war Mitglied in einem Hilfsverein der mittellose Senioren im Seniorenheim „Hahnhof“ versorgt. Eine Familientradition, wie man hört. Schon ihre Mutter soll da sehr engagiert gewesen sein.
Amelie zu Trauttbergs Stand wirkte nach wie vor verschlossen. Die Läden zugeklappt. Erst als die Spurensicherung mit den Fußabdrücken im Schnee fertig war, konnte Castor sich dem Holzhäuschen nähern. Das Schloss an den Läden war offen, die Flügel ließen sich leicht aufklappen. Auf dem schrägen Verkaufstisch lagen ordentlich gestapelt bunte Pullover und Samtwesten. Schwarze, grüne und braune Hüte mit breiten Krempen, an denen Pfauenfedern steckten, Ellenlange Samthandschuhe in Rot, Blau und Grün. Auf einer Garderoben-Stange im Inneren des Standes hingen Kleider. Burgfräulein-Kleider, tiefrot, dunkelgrün, königsblau.
„Würdest Du Dir so was zu Weihnachten wünschen?“, fragte Castor. „Ich nicht, aber denk dran, dass hier in Ludwigsburg einige Frauen bei den historischen Spektakeln im Barock-Schloss auftreten. Die brauchen so was. Und andere haben einfach Spaß daran, im historischen Kostüm zum Silvesterball zu erscheinen. Für Amelie war das ein schöner Nebenverdienst. Als freiberufliche Kostümschneiderin verdient man nicht viel am Theater. Gut verdient hat sie beim Film, aber in letzter Zeit hatte sie Probleme, ein Engagement zu bekommen. Anscheinend ist sie von einigen Produzenten gemobbt worden.“
Castor hatte einen Handschuh übergezogen. Er war aus weichem, hellbraunen Leder mit langen, weiten Stulpen und passte wie angegossen. Eine Männergröße. „Und woher weißt Du das alles?“
„Ich habe mich mit dem Standnachbarn unterhalten. Der Herr mit dem Öko-Wein gegenüber. Er heißt Peter Salisch.“
Nachdenklich betrachtete Castor den Handschuh. Möglicherweise hatte der Mörder sich solche Handschuhe vom Stand genommen, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Möglicherweise war das aber auch gar nicht nötig gewesen, denn bei den Temperaturen trugen sowieso die meisten Menschen Handschuhe. Und wieso sollte ein Mann die Tat begangen haben?
Wegen dem Schwert, beantwortete Castor sich selbst die Frage. Dieses Schwert war schwer, fast zu schwer für eine Frau. Und man musste damit umgehen können, um genau ins Herz zu treffen. Mit einem Fleischmesser war das sehr viel leichter.
Der Sarg mit Amelie zu Trauttbergs Leichnam wurde abtransportiert. Merlin Meyer knipste und knipste. Die Menge der Fotografen war beachtlich angewachsen. Auch der SWR war mit einem Kamera-Team eingetroffen. Mord auf dem Weihnachtsmarkt – was für eine Schlagzeile.
Castor und Pollux gingen zum Nachbarstand. Peter Salisch saß kreidebleich auf einem Hocker hinter seinem Verkaufstisch. Er hatte die Hände um einen Becher mit dampfendem Tee gepresst, um sie zu wärmen. „Haben Sie keine Handschuhe?“, fragte Castor. Salisch sah ihn erschrocken an. „Noch mal guten Morgen“, sagte Pollux freundlich, „wir haben uns ja schon kennen gelernt. Das ist mein Kollege, Hauptkommissar Castor.“ Peter Salisch nickte und presste seine Hände noch fester um den Becher. „Entschuldigung“, murmelte Castor, „guten Morgen.“ Salisch nickte wieder. Er hatte keine große Lust zu sprechen. Wieder und wieder fragte er sich, warum er ausgerechnet heute erst um neun Uhr gekommen war. Und warum ausgerechnet er die tote Amelie finden musste.
Aber sie würden ja doch keine Rücksicht auf seinen Gemütszustand nehmen. Ohne gefragt zu werden, begann er schleppend zu erzählen.“ Ich kam kurz vor neun zum Stand. Ich hatte Brezeln gekauft und wollte Amelie auf eine Tasse Tee einladen. Mit Honig, selbstgemachtem Honig.“ Er deutete auf die Gläser, die neben den Weinflaschen standen. Und da bin ich über sie gestolpert. Er starrte den Kommissar an, Tränen standen in seinen blauen Augen.
„Sie kannten Frau zu Trauttberg gut?“, fragte Castor leise. „Wir kennen uns von Kind auf. Aber in den letzten Jahren haben wir uns vor allem auf dem Weihnachtsmarkt getroffen. Wissen Sie, man kann hier vier Wochen lang nebeneinander leben und kein Wort miteinander wechseln. Man kann aber auch gute Gespräche führen und über Gott und die Welt reden.“ Er trank einen Schluck Tee. „Außerdem haben wir gemeinsame Verwandte und Bekannte.“ Pollux notierte diesen Satz.
Castor war der Mann sympathisch. Das tat zwar nichts zur Sache, aber der Kommissar schloss Gefühle nie aus den Ermittlungen aus. Auch seine eigenen nicht. Was oft genug zu Krisen führte, wenn Pollux nicht richtig aufpasste.
„Sie haben Glück, dass es frisch geschneit hat. Ihre Fußabdrücke beweisen eindeutig, dass Sie erst gegen neun Uhr gekommen sind. Dass Sie allerdings vorher schon mal da gewesen sind, sagen wir gegen sieben Uhr, ist nicht eindeutig von der Hand zu weisen.“ Salisch nickte traurig. „Sicher. Allerdings habe ich um sieben Uhr dreißig Wein ausgeliefert, in der Schlossstraße in Stuttgart, und bin dann auf der Rückfahrt auf der B27 in den Stau geraten.“
Das klang alles sehr plausibel. Der Stau zwischen Ludwigsburg und Stuttgart war an diesem Morgen wegen des Schneefalls noch länger gewesen als an einem normalen Werktag. Der Anruf war schnell erledigt. Pollux ließ sich von Salischs Kunden die Lieferung bestätigen.
Beruhigt erlaubte sich Hauptkommissar Castor, den Weinhändler weiter sympathisch zu finden.
„Worüber grübeln Sie nach?“ Peter Salisch schien völlig in den Anblick seines Tees versunken zu sein. „Haben Sie irgendeine Ahnung, was passiert sein könnte?“
Salisch sah hoch und sagte überraschend klar und gefasst: Ich denke, es hat heute morgen wieder Streit gegeben, er hat das Schwert vom Stand genommen und hat zugestochen. Das ist alles.“
„Moment, Moment. Nicht alles auf einmal. Wer hat Streit angefangen. Und wo war das Schwert?“
„Das Schwert diente zur Dekoration und als Gewicht, um die leichte Ware gegen Wind zu sichern. Ein Schwert gehört schließlich zu historischen Ritter-Kostümen, oder?“
„Gut, das wäre geklärt. Und der Mann?“
„Der gehört irgendwie auch dazu. Zu Amelie. Er kam oft mehrmals am Tag vorbei um Streit anzufangen.“
„Worum ging es dabei?“, fragte Pollux
„Immer um dasselbe. Amelie solle nun endlich einsehen, dass sein Bruder sie habe sitzen lassen. Dass er überhaupt nicht die Absicht habe, sie ins Ausland nachzuholen. Dass sie aufhören solle, sich die Augen auszuheulen. Er sei schließlich da, um sie zu trösten. Dass er bald das Erbe antreten werde. Dass er sie reich und glücklich machen werde. Der ganze Schmonzes eben. Aber sie ließ ihn jedes Mal abblitzen. Einmal drohte sie mit der Polizei. Er verschwand, kam aber am Nachmittag mit zwei dicken Body-Guards zurück. Wissen Sie, solche Jungs mit Goldkettchen am Handgelenk und zu dicken Bäuchen in zu engen Lederjacken. Ich bin sofort rüber gegangen, das Handy startbereit. Ich hatte schon den Notruf eingetippt. Aber Amelie hat den Typen irgendwas gezeigt, ein Stück Papier, glaube ich. Und darauf hin sind sie abgezogen. Nicht sehr gut gelaunt übrigens. Am Bratwurststand haben sie sich ein paar Bier rein gekippt und sind dann Weihnachtslieder grölend abgezogen.“
„Sie würden den Mann also bestimmt wieder erkennen?“, fragte Castor. Peter Salisch schien überrascht. „Wieso wieder erkennen? Ich kenne ihn. Ich bin mit ihm in die Schule gegangen. Er heißt Roman Venn.
Auf dem Kommissariat wartete eine Überraschung auf sie. Eine Video-Kassette. Auf der Video-Kassette war ein großer Mann zu sehen, mit schulterlangen braunen Locken und sehr blauen Augen. Er trug einen breitkrempigen schwarzen Hut mit Pfauenfeder, ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln ohne Kragen, eine Lederweste, enge schwarze Hosen, die in Reitstiefeln steckten und hellbraune Handschuhe mit breiten Stulpen. Castor und Pollux waren im ersten Moment sprachlos. Den ganzen Morgen hatten sie von historischen Kostümen gehört und gesprochen, sie gesehen und angefasst. Castor hatte sogar das gleiche Modell von Handschuh anprobiert. Aber das alles am lebenden Modell zu sehen, in Aktion sozusagen, schien den ganzen Fall in eine Bühnenfarce zu verwandeln.
Der Mann schien eine Rede zu halten oder eine Erklärung abzugeben. Pollux drehte den Ton lauter.
Was sie dann hörten, konnten sie einfach nicht glauben.
Castor riss die Tür des Vorführraums auf: „Holt mir sofort den Salisch vom Weihnachtsmarkt. Sofort!“
Da das Kommissariat nur zweihundert Meter entfernt lag, erschien der verschreckte Peter Salisch schon zehn Minuten später im Büro.
„Ist er das?“, fragte Castor nur und ließ das Video wieder los laufen. Ohne Ton.
Salisch schüttelte den Kopf. „Das ist sein Bruder. Jakob.“
Paula Luchs spulte das Band auf Anfang und drehte den Ton auf.