Mord auf Rhode Island - Rhys Bowen - E-Book
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Mord auf Rhode Island E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Molly Murphy kann nicht mal in ihren Flitterwochen die Finger von einem Mordfall lassen …
Die spannende Cosy-Crime-Reihe von Rhys Bowen geht weiter

Molly Murphy, jetzt Molly Sullivan, und ihr Mann Daniel, Captain bei der New Yorker Polizei, sind eingeladen, ihre Flitterwochen auf dem Anwesen von Stadtrat Brian Hannan in Newport zu verbringen. Molly traut dem Angebot allerdings nicht ganz. In ihrem Gästehaus scheint es zu spuken und Hannan, der in Politik und Bauwesen seine Finger im Spiel hat, möchte Daniel um einen Gefallen bitten. Noch bevor das junge Paar erfährt, worum es dabei geht, wird Hannans Leiche am Fuß einer Klippe gefunden und Molly ist sich sicher, dass hier jemand mit falschen Karten spielt …

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Erste Leserstimmen
„Rhys Bowens beste Reihe – humorvoll, sympathisch und zum Mitfiebern.“
„Neben Nell Sweeney meine absolute Lieblingsermittlerin!“
„Die Cosy Krimi Reihe geht unterhaltsam, charmant und gewohnt rätselhaft weiter.“
„Molly Murphy Mysteries sind durch den tollen Schreibstil, das historische Setting und die liebenswürdige Detektivin durchweg empfehlenswert.“

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Seitenzahl: 537

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Über dieses E-Book

Molly Murphy, jetzt Molly Sullivan, und ihr Mann Daniel, Captain bei der New Yorker Polizei, sind eingeladen, ihre Flitterwochen auf dem Anwesen von Stadtrat Brian Hannan in Newport zu verbringen. Molly traut dem Angebot allerdings nicht ganz. In ihrem Gästehaus scheint es zu spuken und Hannan, der in Politik und Bauwesen seine Finger im Spiel hat, möchte Daniel um einen Gefallen bitten. Noch bevor das junge Paar erfährt, worum es dabei geht, wird Hannans Leiche am Fuß einer Klippe gefunden und Molly ist sich sicher, dass hier jemand mit falschen Karten spielt …

Impressum

Deutsche Erstausgabe März 2021

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-912-1

Copyright © 2012 by Rhys Bowen. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Hush Now, Don't You Cry

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Martin Spieß Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com: © ShotPrime Studio, © Jim Schubert, © Grisha Bruev, © Fanya Korrektorat: Lennart Janson

E-Book-Version 01.06.2023, 11:28:15.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Mord auf Rhode Island

Dieses Buch ist Maxine und Bill Everest gewidmet, denen ich für ihre Freundschaft, ihre Gastfreundschaft und den Spaß danke, den wir in ihrer schönen Eigentumswohnung in Kona hatten.

Eine besondere Widmung geht an Catherine Swan Gallinger, die freundlicherweise einer der Figuren ihren Namen geliehen hat.

Toora loora loora

Toora loora li

Toora loora loora

Hush now, don’t you cry

Toora loora loora

Toora loora li

Toora loora loora

It’s an Irish lullaby

Eins

8. Oktober 1903

„Wir hätten nicht herkommen sollen!“, rief ich über das Heulen des Sturms hinweg. Heftige Böen vom Meer schleuderten uns Regen entgegen und verschluckten meine Worte. Es war nicht die richtige Nacht, um in völliger Dunkelheit oben auf einer Klippe zu stehen. Unser Regenschirm hatte den ungleichen Kampf gegen den Sturm auf dem Weg vom Bahnhof verloren und lag jetzt in einem Mülleimer, seine Streben ragten heraus wie die Beine einer großen, toten Spinne. Daniel hatte ihn trotz meines Einspruchs dort hineingeworfen, weil er meinte, er sei nicht mehr zu reparieren.

Es war ein weiter Weg vom Bahnhof, und keiner, den man in einer stürmischen Nacht unternehmen sollte. Aber wir hatte keine Wahl. Der Weg, der uns beschrieben worden war, hatte ein entzückender Nachmittagsspaziergang auf einem Pfad entlang einer Klippe werden sollen, der blaue Ozean unter uns. Wir hatten nicht damit rechnen können, dass Daniel eines plötzlichen Problems wegen im Hauptquartier aufgehalten worden würde und wir zusammen mit dem von Einheimischen so genannten Nordostwind eintreffen würden.

Nachdem wir in Providence umgestiegen waren und in Kingston auf eine Nebenlinie gewechselt hatten, waren wir um beinahe zehn Uhr endlich im Bahnhof von Newport eingetroffen. Es war kein Hansom-Taxi oder sonst irgendein Beförderungsmittel aufzufinden gewesen. Die Stadt schien sich in Erwartung des Sturms verschanzt zu haben. Wir waren mutig unter Daniels großem Regenschirm aufgebrochen, aber einmal aus dem Stadtkern heraus und unterwegs in Richtung des Pfads oben an den Klippen, hatte die volle Kraft des Windes den Regenschirm innerhalb von Minuten umgestülpt und zerfetzt.

„Verflixt und zugenäht“, hatte Daniel gemurmelt. Seit wir verheiratet waren, entschuldigte er sich nicht länger bei mir, wenn er in meiner Gegenwart fluchte. „Wir hätten bis morgen früh warten sollen. Ich hätte nicht auf dich hören dürfen.“

„Und einen ganzen Tag unserer Flitterwochen verlieren?“, fragte ich, während ich versuchte, meinen neuen Hut abzusetzen. Es war ein modisches Machwerk mit aufgetürmten Schleifen und Schnüren, und ich wollte ganz sicher nicht, dass er die Klippe hinunterwehte. Ich stopfte ihn in meine Reisetasche, was ihm wahrscheinlich nicht allzu guttat, aber immerhin bewahrte es ihn davor, ins Meer zu segeln. „Kopf hoch. Ich bin mir sicher, dass es nicht weit ist. Newport ist nur eine kleine Küstenstadt, oder? Nicht mehr als ein paar Cottages, sagte man mir.“

Daniel musste kichern und legte mir einen Arm um die Schultern. „Warte aufs Tageslicht, dann siehst du die Zahl der Cottages.“

Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir eine Straße vor, wie sie ins irische Westport hineinführt, gesäumt von einfachen, getünchten Cottages mit Meerblick. Es wäre schön, die Flitterwochen an einem Ort zu verbringen, der mich an meine Heimat erinnert, hatte ich gedacht, als Daniel mir von dieser Gelegenheit erzählt hatte.

Der Weg wurde von einem Ärgernis zu einer furchterregenden Erfahrung. Wir versuchten, einer schmalen, dunklen Straße namens Cliff Avenue zu folgen, aber sie endete an einem hohen, verschlossenen Tor und zwang uns zu unserer ursprünglichen Route entlang der Klippen zurück – kein Weg, den wir in einer dunklen Nacht freiwillig gegangen wären. Kein Licht drang durch den Sturm und unter uns konnten wir die Wellen an die Felsen krachen hören. Die Klippe schien sich ewig hinzuziehen, und selbst ich begann zu bezweifeln, ob es einen Sinn gehabt hatte, unser Cottage noch an diesem Abend erreichen zu wollen. Glücklicherweise kam der Wind vom Meer her, sonst hätte ich befürchten müssen, dass wir über den Rand der unsichtbaren Klippe gefegt würden und in den Tod stürzten.

„Bist du dir sicher, dass dies der richtige Weg ist?“, rief ich und packte Daniels Arm. „Gibt es hier nur solche Pfade? Liegt dieses Cottage nicht an einer anständigen Straße?“

„Offensichtlich“, sagte Daniel knapp. „Aber es kam mir nie in den Sinn zu fragen, wie man den Weg bei miesem Wetter findet. Ich nahm an, dass es eine Droschke gäbe, falls wir eine brauchen.“

Ich starrte in die Dunkelheit. „Hier sind keine Lichter zu sehen. Wir sind unmöglich in der Nähe irgendwelcher Cottages. Ausgeschlossen, dass die gesamte Bevölkerung von Newport um neun Uhr abends ins Bett geht, oder?“

„Es ist Oktober. Keines der Cottages wird zu dieser Jahreszeit bewohnt sein“, rief Daniel zurück. „Sie werden nur im Sommer benutzt.“

Die Vorstellung, die einzigen Menschen in einem abgelegenen Küstenort zu sein, hatte attraktiv geklungen, als Daniel sie mir präsentiert hatte, nachdem unsere eigentlichen Flitterwochen-Pläne ins Wasser gefallen waren, weil Daniel zwei Tage nach unserer Hochzeit wieder an die Arbeit musste. Ich hatte das ausnahmsweise einmal mit erstaunlicher Geduld ertragen, weil ich verstand, dass dies das Los einer Polizistengattin war. Ich glaube, Daniel war von meinem Gleichmut beeindruckt gewesen und hatte mir versprochen, dass wir aus der Stadt fliehen würden, sobald seine Arbeit es ihm erlaubte. Als dann das Angebot für ein Cottage an der Küste kam, hatte er sich darauf gestürzt. Natürlich war der Oktober etwas spät für Strände und Baden, aber wir hatten ohnehin andere Aktivitäten im Sinn. Und dieser Teil des Landes erlebte oft das, was man Altweibersommer nannte, mit glorreichem Wetter und glühenden, herbstlichen Farben. Nur dieses Jahr nicht, wie es schien.

„Wir sind fast da, glaube ich.“ Daniel trieb mich voran, den Arm um meine Taille gelegt. „Dann werden uns ein Bad und ein heißes Getränk wieder ins Lot bringen. Ah, hier entlang. Ich glaube, wenn wir dieser Mauer folgen, führt sie uns zum Tor.“

Als Daniel meine Hand nahm und mich vom Pfad an den Klippen wegführte, donnerte es unheilvoll über unseren Köpfen. Einige Momente später erleuchtete ein Blitz ein schmiedeeisernes Tor, das vor uns aufragte. Daniel tastete nach einem Riegel, aber das Tor weigerte sich, uns einzulassen.

„Elende Verdammnis!“, rief er. „Dieses verfluchte Tor muss sich doch irgendwie öffnen lassen.“ Er rüttelte voller Enttäuschung daran, aber es weigerte sich nachzugeben.

„Sie wissen, dass wir heute eintreffen , oder?“, fragte ich. „Ich sehe kein Licht.“ Ich war nass bis auf die Knochen, meine Zähne klapperten, die Haare klebten mir im Gesicht und die Kleider am Körper. Alles, was ich wollte, war nach drinnen zu gelangen, an ein Feuer und zu einer Tasse Tee.

„Ich verstehe es nicht. Ich weiß, dass die Familie zu dieser Jahreszeit für gewöhnlich nicht hier ist, aber es muss einen Verwalter geben, der sich um das Anwesen kümmert.“ Daniel blaffte die Worte. „Aber wir haben keine Möglichkeit, jemanden zu benachrichtigen, es sei denn, wir laufen in die Stadt zurück und schauen, ob wir telefonisch jemanden erreichen.“

Dieser Vorschlag erschien mir nicht allzu verlockend. „In der Stadt schien alles für die Nacht geschlossen zu haben. Davon abgesehen können wir nicht den ganzen Weg zurücklaufen“, sagte ich. „Wir sind schon jetzt völlig durchnässt. Ich schätze nicht, dass rufen einen Sinn hätte, oder?“

„Bei diesem verdammten Lärm würde uns niemand hören.“

Donner grollte erneut und wieder wurde die Szenerie von einem zuckenden Blitz erhellt. Das Licht enthüllte eine lange Auffahrt hinter dem Tor und in der Entfernung den großen schwarzen Umriss von etwas, das ein gewaltiges Schloss zu sein schien. Ich starrte das Gebäude erstaunt an.

„Ich dachte, du hättest gesagt, es sei ein Cottage.“

„Ich wollte dich überraschen“, antwortete Daniel mit verärgerter Stimme. „Die Wohlhabenden, die Sommerhäuser in Newport besitzen, nennen sie Cottages, aber es sind tatsächlich Villen. Diese hier heißt Connemara.“

„Heilige Mutter Gottes“, murmelte ich. „Wir haben doch nicht eine ganze Villa nur für uns, oder doch?“

„Nein, uns wurde das Gäste-Cottage auf dem Anwesen angeboten. Wenn wir nur einen Weg hineinfänden.“ Er rüttelte erneut wütend am Tor.

Ich spürte Angst in mir aufsteigen. Es waren nicht nur das Heulen des Sturms und die zuckenden Blitze. Gott weiß, dass ich an der Westküste Irlands genug Stürme erlebt hatte. Es war noch etwas anderes. „Daniel, lass uns nicht hierbleiben“, platze ich plötzlich heraus. „Vielleicht sollten wir doch in die Stadt zurückgehen. Es muss ein Hotel oder irgendein Gasthaus geben, wo wir die Nacht verbringen können. Das Haus will uns offensichtlich nicht.“

Daniel sah mich fragend an. „Das Haus will uns nicht?“

„Ich habe das überwältigende Gefühl, dass wir nicht hier sein sollten, dass wir nicht erwünscht sind.“

„Du und dein sechster Sinn“, sagte Daniel. Er war noch immer fest entschlossen und starrte am Tor und der hohen Steinmauer hinauf. „Du wirst dich anders fühlen, wenn wir drinnen und in Sicherheit sind. Ich bin entschlossen, einen Weg hinein zu finden, selbst wenn ich die Mauer erklimmen muss.“

Lauter Donner krachte genau über unseren Köpfen und übertönte seine letzten Worte, während die Welt gleichzeitig in blaues, elektrisches Licht getaucht wurde. Ich starrte zum Haus hinauf und sah ziemlich deutlich ein Gesicht, eingerahmt von einem Fenster im oberen Stockwerk. Es war das Gesicht eines Kindes und es lachte in wahnsinniger Freude.

Ich ließ die Stangen des Tores los, als hätte ich mich verbrannt. „Komm weg!“, rief ich. „Wir sollten nicht hier sein.“

Zwei

„Ruhig Blut.“ Daniel packte mich, als hätte er gespürt, dass ich drauf und dran war, wie ein aufgescheuchtes Pferd davonzustieben. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein wildes, irisches Mädchen wie du Angst vor einem leichten Sturm hat.“

„Hast du es nicht gesehen?!“, fragte ich.

„Ich kann verdammt noch mal gar nichts sehen“, sagte Daniel. „Es ist stockfinster.“

„Das Gesicht im Fenster. Ich habe im Fenster des Türmchens ein Gesicht gesehen, Daniel.“

„Dann ist das Haus immerhin bewohnt“, sagte Daniel. „Hoffen wir, dass die Person uns ebenfalls gesehen hat und jemanden herunterschickt, um das Tor aufzuriegeln.“

„Es war ein Kind und es hat gelacht. Genau genommen ein ziemlich beängstigendes Gesicht.“

Wir warteten, doch es wurden keine Lichter entzündet. Der Sturm wütete weiter, der Wind heulte in den Bäumen und ließ sie wie verrückt tanzen. Ich starrte weiter zu dem Türmchen hinauf und wartete darauf, wieder das Gesicht zu sehen.

„Ich werde verdammt noch mal die Mauer erklimmen, wenn ich muss.“ Daniel beäugte die acht Fuß hohe Steinmauer abwägend.

„Und was würde das bringen? Wenn das Tor verschlossen ist, wärst du nicht in der Lage, mich hereinzulassen, und ich komme eine solche Mauer nicht hoch.“

„Ich dachte, weibliche Detektive könnten alles, was ein Mann auch kann. Hast du das nicht mal gesagt?“

Ich war nicht in der Stimmung, mich triezen zu lassen. „Ich gehe zurück in die Stadt“, sagte ich. „Wenn wir noch länger in dieser Kälte stehen, holen wir uns den Tod.“

„Hilf mir hoch“, sagte Daniel und ignorierte mich. „Ich glaube, ich kann hier hochklettern.“

„Und wenn du das Tor nicht öffnen und nicht wieder zurückklettern kannst? Schlägst du vor, die Nacht auf der einen Seite zu verbringen, während ich auf der anderen bin?“

„Mach dir keine Sorgen. Ich wecke jemanden im Haupthaus.“

Er begann, an der groben Steinmauer hochzuklettern.

„Komm schon, gib mir einen Stoß.“

„Führ mich nicht in Versuchung“, blaffte ich. Er lachte. Ich gab nach und schob.

Es schien seltsam, mit meinen Händen einen Gentleman zu berühren, auch wenn wir allein in der Dunkelheit waren. Er hievte sich mit einem Ächzen höher, dann schwang er ein Bein über die Mauer. Einen Moment später verschwand er und ich hörte einen Schrei.

„Was ist passiert? Bist du in Ordnung?“

„Stechpalme“, erklang es schwach. Dann erschien er auf der anderen Seite des Tores.

„Ah, ich verstehe!“, rief er. Er beugte sich vor, um einen Bolzen aus der Erde zu ziehen und wunderbarerweise schwang das Tor mit einem lauten Stöhnen auf.

„Hoffen wir, dass sie keine Wachhunde haben, die auf dem Gelände patrouillieren“, sagte ich, als Daniel unsere Taschen holte und mir hindurchhalf.

„Die wären mittlerweile aufgetaucht. Davon abgesehen werden wir erwartet. Gäbe es Wachhunde, hätte man sie weggesperrt.“

„Nicht gerade das, was ich ‚den roten Teppich ausrollen‘ nennen würde“, sagte ich. „Wer genau war es, der sagte, dass wir hier wohnen können? Einer der Bediensteten?“

„Stadtrat Hannan selbst“, sagte Daniel. „Es ist sein Haus.“

„Stadtrat? Mir war nicht bewusst, dass du mit Stadträten verkehrst.“

„Ah. Es gibt immer noch eine Menge Dinge, die du nicht über mich weißt“, antwortete er mit einem Hauch der typischen Daniel-Sullivan-Prahlerei, die ich abwechselnd anziehend und lästig fand.

Wir gingen vorsichtig die Kiesauffahrt hinauf, auf den dunklen Umriss dieses Schlosses zu. Kein einziges Licht war zu sehen, und ich zögerte, die Stufen hinauf auf die imposante Haustür zuzugehen.

„Du sagtest, wir wären im Gäste-Cottage untergebracht.“ Ich packte Daniels Arm und hielt ihn zurück. „Sollten wir nicht versuchen, es zu finden?“

„Inmitten mehrerer Morgen Waldlandschaft?“, antwortete Daniel und ich konnte hören, dass die Anspannung in seiner Stimme anstieg. „Wir stolpern dabei wahrscheinlich noch die Klippen hinunter.“

„Was schlägst du also vor?“

„Dies“, sagte Daniel. Er ging die Stufen hinauf, hob den Türklopfer und hämmerte beharrlich. Wir hörten das Geräusch drinnen nachhallen, aber es kam keine Antwort.

„Was jetzt?“, fragte ich. Mir kam ein Gedanke. „Bist du dir sicher, dass dies das richtige Haus ist? Es wäre nicht schwer, in dieser Dunkelheit eine falsche Abzweigung zu nehmen.“

„Ja, ich bin mir sicher“, sagte Daniel, klang aber nicht wirklich überzeugt. Er trat von der Tür zurück und spähte an der Fassade hinauf. „Ja, ich bin mir sicher, dass dies das Haus ist. Ich habe Bilder gesehen. Ich klopfe noch mal.“

„Jemand muss bei diesem Kind im Türmchen sein“, sagte ich. „Ich schätze, ein Kindermädchen wäre mittlerweile ins Bett gegangen, und das Kind dürfte nicht verstehen, dass wir hereinwollen.“

„Wir können nicht die ganze Nacht auf der Türschwelle stehen“, sagte Daniel gereizt. „Wirklich, das ist zu dumm vom alten Hannan.“

„Vielleicht hat er vergessen, die Bediensteten zu informieren“, sagte ich.

Daniel lief auf und ab, blickte erst die Fassade hinauf und dann in die Dunkelheit der Nacht. Es regnete womöglich noch heftiger – dicke Tropfen prasselten unaufhörlich auf den Kies der Auffahrt. Über unseren Köpfen grollte immer wieder der Donner.

„Es muss irgendwo einen Wagenschuppen geben“, sagte er. „Einen Ort für die Automobile.“

Er verschwand im Sturm und rief mir dann zu. „Hier drüben! Hier ist ein Wagenschuppen. Lass mich sehen, ob ...“ Ich hörte, wie er an einer Tür rüttelte. „Die Stallungen scheinen offen zu sein. Macht es dir etwas aus, die Nacht bei den Pferden zu verbringen?“

„Alles ist besser als das hier.“ Ich rannte durch den Vorhang aus Regen auf ihn zu, obwohl ich nicht weiß, warum ich mir die Mühe machte zu rennen, wo doch keine Möglichkeit bestand, noch nasser zu werden. Meine Röcke waren jetzt schwer und durchtränkt und wickelten sich mir um die Beine, als ich versuchte, mich zu bewegen, sodass ich beinahe stolperte. Daniel streckte eine Hand aus, um meine zu nehmen, und führte mich dann hinein. Es roch schwach nach Pferd, aber die Stallungen waren leer. Keine Tiere anwesend. Regen trommelte aufs Dach und immer noch grollte der Donner, aber jetzt weiter weg.

„Das genügt völlig“, sagte Daniel. „Sauberes Stroh. Was willst du mehr?“

„Eine warme Mahlzeit, ein Bad und ein Feuer wären reizend“, murmelte ich mit klappernden Zähnen. „Aber alles ist besser, als draußen im Regen zu stehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je so durchnässt war.“

Es war stockfinster in den Stallungen und wir tasteten uns vorwärts, bis wir eine leere Box voller Stroh fanden.

„Du ziehst besser deine nassen Sachen aus“, sagte Daniel. „Hoffen wir, dass ein paar der Sachen in unseren Reisetaschen trockengeblieben ist.“

Meine Hände waren eiskalt. Ich fummelte am Verschluss meiner Reisetasche herum und fand etwas, von dem ich hoffte, dass es mein Nachthemd war. Es fühlte sich klamm an, aber das mochten auch meine kalten, nassen Hände sein. Ich zitterte mittlerweile unkontrollierbar und fühlte mich den Tränen nahe. Ich schluckte sie herunter. Ich versuchte, die Schleife zu öffnen, die unter meinem Kinn den Umhang hielt. Meine Finger weigerten sich, mir zu gehorchen, und der Knoten war durchnässt und steif.

„Es hat keinen Zweck. Ich kann es nicht!“, schrie ich wütend.

„Was?“, fragte Daniel sanft.

„Meinen Umhang abnehmen. Ich bekomme den Knoten nicht auf.“ Ich musste wie ein kleines, hilfloses Kind geklungen haben, denn er legte seine Arme um mich.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte er. „Wir sind jetzt in Sicherheit. Und du hast einen Ehemann, der dich liebend gerne auszieht.“ Ich spürte seine Hände an meinem Hals. „Verdammter Knoten“, murmelte er, nachdem er sich abgemüht hatte. „Ich muss die Schleife zerreißen.“ Ich setzte zum Protest an. Es war mein neues Reisegewand, Teil meiner Aussteuer. Allerdings wollte ich es auch nicht die ganze Nacht tragen. Daniel zerrte und zog und ich hörte Stoff reißen, während das durchnässte Kleidungsstück von mir abfiel. „Das hätten wir“, sagte er und warf es zur Seite. „Dreh dich um.“ Dann bewegten sich seine Hände von meinem Umhang zu meinem Kleid und er löste geduldig alle Haken. „Gott sei Dank, dass du kein Korsett trägst“, murmelte er. „Ich glaube, das überstiege meine Fähigkeiten.“ Seine Hände verweilten auf meinem Körper. „Mein Gott, bist du kalt“, sagte er. „Zieh dir schnell etwas Trockenes an.“

„Mein Nachthemd ist ganz feucht“, sagte ich. „Ich weiß nicht, was ich sonst anziehen soll.“

Ich hörte ein Klicken, als er seine Reisetasche öffnete. „Hier, nimm mein Nachthemd.“

„Was ziehst du dann an?“

„Ich komme zurecht. Ich nehme an, meine Unterwäsche ist trocken genug.“

Ich hörte, wie er damit rang, seine eigene Kleidung auszuziehen, dann sagte er: „Komm her“, und schloss mich in die Arme.

„Du bist so kalt wie ich“, sagte ich und spürte, wie sich sein halbnackter Körper an meinen presste.

„Uns wird bald warm werden.“ Er zog mich mit sich nach unten ins Stroh. Ich lag an ihn gelehnt, mein Kopf ruhte auf seiner Brust.

„Das erinnert mich an ein anderes Mal“, fügte er hinzu. „Erinnerst du dich?“

„Natürlich.“ Es war vor langer Zeit gewesen. Ein ähnlicher Sturm, eine einsame Scheune und das erste und einzige Mal, dass ich so schwach geworden war, Daniels Liebeswerben nachzugeben. Eine Menge Wasser war seit dieser Nacht den Fluss hinuntergeflossen. Damals war ich nicht sicher gewesen, ob er mich je heiraten würde. Und jetzt war ich seine Ehefrau, lag ganz legal in seinen Armen. Ich kuschelte mich an ihn und fühlte mich augenblicklich besser.

„Ich bin froh, dass dies nicht unsere tatsächlichen Flitterwochen sind“, murmelte Daniel. „Es wäre eine höllische Art, unsere Ehe zu beginnen, oder?“

„Ach, ich weiß nicht“, flüsterte ich. „Recht romantisch, wenn du mich fragst.“

„Wenn dir das verflixte, kratzende und kitzelnde Stroh und der der durch die Ritzen der Tür pfeifende Wind nichts ausmachen.“

„Ich weiß, wie ich dich davon ablenken kann.“ Ich schmiegte mich an ihn. Daniel brauchte keine zweite Einladung.

Ich erwachte, weil ein heller Sonnenstrahl auf mich fiel und eine riesige Gestalt über mir aufragte.

„Heilige Mutter Gottes!“, murmelte eine Stimme. „Was haben wir hier? Fahrendes Volk? Wie um Himmels willen haben Sie es auf das Anwesen geschafft? Kommen Sie schon, ab mit Ihnen, und zwar sofort, ehe ich die Polizei rufe.“

Daniel setzte sich auf und beäugte die Gestalt mit trübem Blick. „Guten Morgen“, sagte er. „Ich nehme an, Sie sind die Hauswirtschafterin, und ich nehme ebenfalls an, dass Sie entweder taub sind oder einen tiefen Schlaf haben.“

„Was um Gottes willen plappern Sie da?“ Sie sprach mit einem starken irischen Akzent und klang damit beinahe wie eine Bühnen-Irin aus dem Varieté.

Ich war jetzt wach genug, um zu bemerken, dass sie eine große, ältere Frau war, die ganz in Schwarz gekleidet war und die Hände in die Hüften gestemmten hatte.

„Lediglich, dass wir gestern Abend an die Haustür gehämmert haben und niemand uns eingelassen hat“, sagte Daniel. „Also mussten wir darauf zurückgreifen, in der Scheune zu schlafen.“

Die Frau nahm die Hände aus den Hüften und erhob sie zu einer Geste des Schreckens. „Jesus, Marie und Josef! Sagen Sie mir nicht, dass Sie Mr. und Mrs. Sullivan sind.“

„Die sind wir in der Tat“, sagte Daniel. „Also haben Sie uns erwartet. Und doch war das Tor verschlossen und niemand hat auf unser Klopfen an der Haustür reagiert. Ein schöner Empfang, wenn ich das so sagen darf.“

„Gott vergib mir“, sagte sie. „Ich habe bis nach neun Uhr auf Sie gewartet und dann gedacht, dass Sie unmöglich so spät und während dieses Sturms kommen würden. Mir wurde gesagt, ich solle Sie am frühen Nachmittag erwarten, also nahm ich an, dass Sie sich verspätet hätten und erst heute eintreffen würden. Also habe ich wie gewöhnlich abgeschlossen. Ich schlafe nicht auf dem Anwesen, wenn die Familie nicht hier ist, verstehen Sie? Ich kehre in mein eigenes kleines Haus in der Stadt zurück. Und der Herr nimmt es sehr genau, wenn es darum geht, dass jeden Abend alles abgeschlossen wird.“

Ich setzte mich ebenfalls auf und mir war bewusst, dass ich wahrscheinlich einigermaßen unanständig aussah, so wie meine Beine aus Daniels Nachthemd herausschauten. „Also wollen Sie sagen, dass gestern Abend niemand im Haus war? Aber ich habe ein Gesicht im Fenster gesehen – das Gesicht eines Kindes.“

„Das Gesicht eines Kindes?“ Ich sah, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich, als sie mich kurz voller Furcht anblickte. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. „Das muss eine optische Täuschung durch das Licht gewesen sein, meine Liebe. Es ist niemand im Haus. Gewiss keine Kinder. Aber wo sind meine Manieren?“ Sie hatte sich wieder gefangen. „Ich bin Mrs. McCreedy. Und das war ein schrecklicher Empfang in Connemara, den Sie hatten. Erlauben Sie mir, Sie zu Ihrem Quartier zu bringen. Und dann mache ich Ihnen ein schönes, warmes Frühstück.“

Sie trat diskret nach draußen, während wir versuchten, genug trockene Kleidungsstücke zu finden, um uns anzuziehen, dann folgten wir ihr an den hoch aufragenden Steinwänden des Schlosses vorbei und einen Pfad hinunter zu einem kleinen, von Bäumen eingerahmten Cottage. Es sah aus wie meine Definition eines Cottages, getüncht und reetgedeckt, genau wie man es in Irland finden würde. Die Blätter der umstehenden Bäume, färbten sich bereits golden und rot, sodass sich mit dem blauen Ozean dahinter ein entzückendes Bild ergab. Ich seufzte voller Freude.

„Erinnert Sie an die Heimat, nicht?“, fragte die Frau. „Ich weiß. Ich kriege immer etwas Heimweh, wenn ich es ansehe. Ich selbst komme aus Galway und ich kann hören, dass auch Sie aus diesem Teil von Irland stammen.“

„Ein Dorf nahe Westport“, gab ich ihr recht. „Und Stadtrat Hannan muss ebenfalls aus der Region stammen, wenn er sein Zuhause Connemara nennt.“

„In der Tat“, sagte die Frau. „Die Familie floh während der Großen Hungersnot aus Galway. Er war noch ein kleines Kind, als er nach Amerika kam. Beide Eltern starben, als er zwölf Jahre alt war, und seitdem ernährt er die Familie. Ich würde nicht sagen, dass er es schlecht getroffen hat, für jemanden, der mit leeren Händen herkam, oder?“

Ich wandte mich um und warf einen Blick auf das Schloss. Bei Tageslicht wirkte es nicht ganz so unheilvoll, aber es war eindeutig gebaut worden, um einer alten Bastion zu ähneln, eine, wie man sie in den ländlichen Gegenden Irlands sehen würde. Die Wände bestanden aus grob behauenen Steinen, teilweise mit Efeu und wildem Wein bedeckt, der einen entzückenden Rotton angenommen hatte. Die Fenster waren gewölbt und in die Wände eingelassen, entlang des Daches verliefen Zinnen und in einer Ecke erhob sich ein Türmchen – mit einem Fenster. Ich hätte schwören können, gestern Abend in diesem Fenster ein Kind gesehen zu haben. Die Außenanlagen rundherum waren tadellos gepflegt, mit Baumbestand, Beeten, einem Tennisplatz und einem verzierten Brunnen. Die ganze Szenerie wurde vom blauen Ozean im Hintergrund eingerahmt.

„Die Außenlangen sind wunderschön“, sagte ich. „Ich bin mir nicht sicher, ob das Haus nach meinem Geschmack ist.“

„Ich mir auch nicht“, sagte sie. „Ich selbst würde mich für mehr Gemütlichkeit entscheiden, und dass der Wind im Winter durch diese hohen Flure pfeift, macht es unmöglich, das Haus zu heizen.“

Daniel hatte sich, wie mir auffiel, nicht an der Unterhaltung beteiligt. Ich nahm an, es gefiel ihm nicht, in einem solch ungepflegten Zustand erwischt worden zu sein. Sein Stolz und seine Würde waren verletzt worden, und die waren ihm wichtig. Die Hauswirtschaftlerin schien im selben Augenblick zu bemerken, dass wir beide Daniel ignoriert hatten. Sie wandte sich ihm wieder zu. „Sie sind also ein Freund des Stadtrats, Sir?“

„Kein Freund, aber der Stadtrat und ich sind miteinander bekannt. Und als er hörte, dass unsere Flitterwochen ruiniert wurden, war er freundlich genug, mir anzubieten, dieses Haus zu benutzen.“

Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Frau aus. „Oh, ja, er ist ein freundlicher und großzügiger Mann. Sanftmütig wie nur was, wenn er will, obwohl ich gehört habe, dass er in Geschäftsangelegenheiten so gnadenlos ist wie ein Tiger.“

„Ist er das?“, fragte Daniel.

Wir hatten die Haustür des Cottages erreicht.

„Und es sind Ihre Flitterwochen. Stell sich einer vor“, sagte Mrs. McCreedy. „Nun, dieser schreckliche Sturm ist vorübergezogen. Sie können es sich jetzt gutgehen lassen.“ Sie öffnete die Tür und trat beiseite, sodass wir in den Flur treten konnten. Das Haus roch nicht wie ein Cottage aus der Heimat. Zum einen gab es keinen bleibenden Geruch nach Torffeuer, zum anderen nicht die Kombination aus Feuchtigkeit und Möbelpolitur, die man mit alten Häusern in Verbindung bringt. Dies war ein neues Haus, auf alt gemacht, was bestätigt wurde, als Mrs. McCreedy sagte: „Sie wollen Zweifels ohne ein Bad nehmen. Es gibt oben bei den Schlafzimmern ein reizendes Badezimmer. Und genug heißes Wasser.“

Wir brauchten keine zweite Einladung. Eine halbe Stunde später kamen wir die Treppe hinunter, sahen wieder zivilisiert aus und stellten fest, dass uns Eier und Bacon erwarteten. Die Schrecken der Nacht waren vergessen.

„Nun, dann lasse ich Sie mal allein“, sagte sie, wischte sich die Schürze ab und nickte zufrieden. „Die Speisekammer sollte gut gefüllt sein, aber wenn Sie irgendetwas brauchen, ich bin im Haupthaus. Am Wochenende werden alle hier sein, also werde ich eine Menge damit zu tun haben, Schlafzimmer auszulüften und Vorräte zu besorgen.“

„Sie werden alle hier sein?“, fragte ich. „Die Familie des Stadtrats, meinen Sie?“

„Alle miteinander.“ Mrs. McCreedy sah uns mit einem Ausdruck vollkommenen Verdrusses an.

Ich blickte fragend zu Daniel. „Ich dachte, du hättest gesagt, die Cottages werden zu dieser Jahreszeit nicht benutzt.“

„Das werden sie normalerweise auch nicht“, antwortete Mrs. McCreedy für ihn. „Für gewöhnlich ist jetzt schon alles für den Winter verschlossen, aber ich habe gehört, dass Mr. Archie dieses Wochenende an irgendeinem Bootsrennen teilnimmt und der Stadtrat die gesamte Familie hierher eingeladen hat. Aber es ist nicht an mir, das Warum zu erörtern. Er gibt die Befehle und ich führe sie aus. Und ich setze mich jetzt besser in Bewegung, wenn ich alles fertig haben will, ehe sie eintreffen.“

„Gibt es keine weiteren Bediensteten?“, fragte Daniel. „Ein großes Haus, um es von nur einer Frau führen zu lassen.“

Sie nickte zustimmend. „Natürlich bringen sie ihre persönlichen Dienstmädchen und Diener mit, und der Stadtrat hat stets seinen persönlichen Koch dabei. Er ist sehr speziell, wenn es um sein Essen geht.“

„Ich könnte heraufkommen und Ihnen zur Hand gehen, wenn Sie mögen“, schlug ich vor.

Sie wirkte entsetzt. „Eine Freundin des Stadtrates geht mir zur Hand? Das ginge nicht. Aber Sie haben eine herzliche und großzügige junge Dame geheiratet, Sir.“

„Eindeutig.“ Daniel lächelte mich an. „Sie mag es, stets beschäftigt zu sein.“ Ich verstand die Doppeldeutigkeit seiner Aussage. Wir hatten monatelang debattiert, ob ich meine Karriere aufgeben würde, wenn wir heirateten. Ich hatte zustimmen müssen, meine Detektei aufzugeben – weil ich einigermaßen widerwillig verstand, dass sie Daniels Position im New York Police Department kompromittieren könnte. Aber ich hatte ebenfalls ziemlich deutlich gemacht, dass ich nicht bereit war, müßig herumzusitzen und mich hausfraulichen Tätigkeiten zu widmen.

„Wir holen einheimische Mädchen her, um uns beim Saubermachen zu helfen, wenn die Familie hier ist“, sagte Mrs. McCreedy und hielt in der Tür inne. „Soll ich arrangieren, dass eine von ihnen für Sie kocht und saubermacht, während Sie hier sind?“

„Oh, nein. Ich bin mir sicher, das bekommen wir hin“, sagte ich. „Ich bin daran gewöhnt, selbst zu kochen.“

„Nun, lassen Sie es mich wissen, wenn Sie irgendetwas brauchen. Und ich würde von der Einsamkeit Gebrauch machen, wenn ich Sie wäre, denn ab Freitag wird es hier ziemlich lebhaft.“

Damit ging sie und ließ uns allein.

Drei

Ich wartete, bis sich die Tür hinter ihr schloss, dann wandte ich mich um und blickte Daniel wütend an.

„Wusstest du, dass ein ganzer Haufen Leute mit uns hier sein würde?“, fragte ich.

Daniel wand sich unbehaglich unter meinem Blick. „Nein, wusste ich nicht.“

„Warum genau hat dieser Stadtrat uns dann zur selben Zeit hierher eingeladen wie seine Familie? Das ist doch gewiss nicht die beste Zeit dafür. Und ein Mann wie er muss einen anderen Grund gehabt haben, abgesehen von seiner Herzensgüte.“

Daniel kicherte. „Du bist scharfsinniger, als gut für dich ist. In Ordnung, ich schätze, es muss ein Motiv gegeben haben, abgesehen von seiner Herzensgüte.“

„Ich wusste es!“, sagte ich wütend. „Ich wusste, dass an dieser Sache etwas verdächtig war. Mächtige Männer tun nichts aus reiner Herzensgüte – es sei denn, sie wollen etwas. Also, was glaubst du, sollst für diesen Stadtrat tun? Du bist doch nicht hier, um an einem Fall zu arbeiten, oder?“

Daniel legte mir seine Hände auf die Schultern. „Beruhige dich, Hitzkopf. Ich bin nicht zum Arbeiten hier. Er wollte mit mir über irgendetwas reden – etwas mache ihm Sorgen, sagte er. Er glaubte, er habe es vielleicht falsch verstanden.“

„Was falsch verstanden?“

„Das hat er nicht gesagt. Er hat lediglich gesagt, dass er mein Urteilsvermögen schätzt und dass er möchte, dass ich es mir persönlich ansehe. Das ist alles, was ich weiß.“

„Also hast du schon mal mit ihm gearbeitet? Du weißt alles über seine Geschäfte?“

Daniel lächelte. „Ich bezweifle, dass irgendjemand alles über seine Geschäfte weiß. Wenn man über jemanden sagen könnte, dass er überall seine Finger im Spiel hat, dann über Brian Hannan. Ihm und seinem Bruder gehört ein großes Bauunternehmen, wie du wahrscheinlich weißt. Sie übernehmen nur wichtige Aufträge – Brücken, Tunnel, sowas in der Art. Du hast vielleicht gehört, dass sie die Untergrundbahn unter den Straßen von New York bauen. Und du musst wissen, dass er außerdem in der Politik mitmischt – er ist seit Jahren ein hohes Tier in Tammany Hall und wurde kürzlich zum Stadtrat gewählt. Und jetzt strebt er noch größere Dinge an, wie wir hören. Ich glaube, er hat ein Auge auf einen Senatssitz geworfen, will aber nicht die Kontrolle über Tammany Hall abgeben, um sicherzustellen, dass er alle Stimmen in der Tasche hat.“

„Meine Güte“, sagte ich. „Ein wirklich geschäftiger Mann.“

„Vielleicht hat er sich endlich übernommen“, sagte Daniel. „Er hat die Tagesgeschäfte von Hannan Construction an seinen Bruder übergeben. Und um dir die Wahrheit zu sagen, wir haben Hannan Construction seit einiger Zeit im Auge. Sie bewegen sich hart am Rande der Legalität, aber wir haben es nie geschafft, sie hochzunehmen.“

„Wie genau am Rande der Legalität?“

„Auftragsmanipulationen, sowas in der Art. Mit der Hilfe von Tammany Hall natürlich. Aber die Tammany-Wahlen stehen kurz bevor. Brian Hannan will sichergehen, dass sein Kandidat gewinnt. Aber die Basis scheint einen Mann namens Murphy zu bevorzugen. Also haben Hannans politische Ambitionen ihn vielleicht an Einfluss verlieren lassen. Stadtrat zu sein bedeutet, dass er jetzt zum Establishment gehört. Das kommt bei Tammany Hall nicht immer gut an. Sollte interessant werden.“

„Glaubst du, er hat dich hierher eingeladen, um dich zu bestechen?“, fragte ich.

„Das werden wir sehen, nicht wahr?“ Daniel lächelte wieder. „Und in der Zwischenzeit machen wir das Beste aus der Gastfreundschaft. Lass uns schauen, ob er uns einen gut bestückten Weinkeller dagelassen hat.“

„Daniel!“ Ich lachte nervös. Ich begann gerade erst zu verstehen, was es bedeutete, die Frau eines New Yorker Polizisten zu sein. Es gab Regeln, aber diese Regeln konnten, wie es schien, zur rechten Zeit und am rechten Ort umgangen werden. Immerhin musste ich mir keine Sorgen darum machen, dass Daniel korrupt war, wie einige seiner Kollegen.

Wir unternahmen eine rasche Tour durch unser kleines Gäste-Cottage. Es war einfach, aber zufriedenstellend – das Erdgeschoss bestand aus einem Wohnzimmer, einem Esszimmer und der Küche, oben befanden sich zwei Schlafzimmer und das Badezimmer. Die Speisekammer war gut gefüllt und zu Daniels Zufriedenheit gab es auch ein Fass Bier und einige Flaschen Wein. „Lass uns einen Spaziergang machen. Die Sonne scheint“, sagte Daniel.

„Wir müssen erst das Frühstücksgeschirr wegräumen“, sagte ich.

„Ich frage mich, ob sie eine Zeitung ins Haupthaus geliefert bekommen.“ Daniel sah sich um.

„Glaube nicht, dass du dich darum drücken kannst, deinen Teil der Hausarbeit zu machen, während wir hier sind, Daniel Sullivan“, sagte ich. „Du hast keine Arbeitssklavin geheiratet. Hier, staple diese Teller auf, während ich heißes Wasser hole.“

Daniel seufzte, protestierte aber nicht. Eine halbe Stunde später liefen wir über das hübsche Anwesen und genossen die warme Sonne auf unseren Gesichtern. Vereinzelt herumliegende Äste und Verwehungen von Blättern waren die einzigen Anzeichen für das Wüten der letzten Nacht. Heute war die Luft mild genug, um uns zu erlauben, ohne Mäntel spazieren zu gehen; und die Brise, die vom Meer heraufkam, war sanft und brachte gerade genug salzigen Geruch mit sich, um entzückend zu sein. Ich ließ meine Hand unter Daniels Arm gleiten, hakte mich bei ihm ein und freute mich immer noch über das frische Gefühl, ein Paar zu sein. Die Ehe war am Ende gar nicht so schlecht. Ich weiß nicht, warum ich so lange aufbegehrt hatte.

Unser Weg führte uns vom Haupthaus fort, durch einen Bestand von Waldkiefern und Rhododendronbüschen. Plötzlich waren wir hindurch und fanden uns oben auf der Klippe wieder, unter uns übel aussehende Felsen an der Küstenlinie. Es gab keinen Zaun und keine Mauer, Daniel packte meinen Arm und zog mich zurück. „Keinen Schritt weiter“, sagte er. „Wir wissen nicht, ob der Rand überhängt.“

„Ich bin froh, dass wir letzte Nacht nicht zu weit gestolpert sind“, kommentierte ich. „Wir hätten auf diesen Felsen enden können.“

Wir traten zurück, als eine besonders große Welle auf die Felsen krachte und ein Vorhang weißen Schaums zu uns heraufschwappte. Aber die Klippe war zu hoch, und das Wasser erreichte uns nicht.

„Hast du Lust zu schwimmen?“, fragte Daniel bösartig.

„Ich bin in wilderen Meeren geschwommen, als ich ein Kind war“, antwortete ich und begegnete seinem Blick. „Aber das war vor einer langen Zeit. Ich glaube, ich bleibe bei ruhigeren Beschäftigungen. Und ich würde gerne einen Blick ins Haupthaus werfen, solange wir alleine hier sind, du nicht?“

„Es wäre interessant zu sehen, ob Hannan mit seinem Geld auch zu Geschmack gekommen ist“, stimmte Daniel zu.

Wir vollendeten den Rundgang, indem wir am Tennisplatz, dem Krocketrasen und dann am Springbrunnen vorbeigingen. Es gab sogar eine hübsche, kleine und offene Gartenlaube, versteckt zwischen Bäumen.

„Dieser Ort hat alles“, sagte Daniel. „Ich frage mich, ob Hannan sich je genug Freizeit gestattet hat, um ihn zu genießen. Männer wie er widmen ihr Leben dem Gelderwerb.“

„Wir werden uns eindeutig genug Zeit nehmen, uns zu amüsieren, oder nicht?“ Ich zog an Daniels Ärmel.

„Wenn ich Polizist bleibe, wird unser Leben nicht darauf hinauslaufen, dass wir ein Vermögen verdienen wie Brian Hannan, soviel ist sicher“, sagte er. „Und ich habe dich gewarnt, dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten muss.“

„Du lässt das so verlockend klingen“, sagte ich trocken, was ihn zum Lachen brachte. Er legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. „Wir werden uns Zeit nehmen, um uns zu amüsieren. Das verspreche ich.“

Wir kamen zur Vorderseite des Hauses und mein Blick wurde wieder von dem Ecktürmchen angezogen. In welchem Fenster hatte ich das Gesicht gesehen? Gab es überhaupt ein Fenster, das in Richtung des Haupttors zeigte?

„Kommst du?“, unterbrach Daniel meinen Tagtraum. Ich folgte ihm die imposanten Stufen zur Haustür hinauf. Diesmal stand sie halb offen. Daniel spähte hinein. „Hallo!“, rief er. „Jemand zu Hause?“

Niemand erschien, als wir in ein gewaltiges, eichengetäfeltes Foyer eintraten, dessen Wände wie in einem alten Schloss mit Schwertern und Bannern dekoriert waren.

„Ich frage mich, wo er die herhat“, sagte Daniel und blickte an den Wänden empor. „Aus einem irischen Schloss oder einem Laden für Theaterrequisiten.“

„Still, Daniel, jemand wird dich hören“, flüsterte ich. Ich zitterte und wünschte, ich hätte meinen Umhang dabeigehabt. Nach dem hellen Sonnenschein fühlte sich die Eingangshalle kalt und unfreundlich an und ich fragte mich, warum irgendjemand ein Haus würde bauen wollen, dass sich alt und ungemütlich anfühlt.

„Ich frage mich, wohin die Hauswirtschafterin verschwunden ist“, sagte Daniel und lief ungeduldig auf und ab.

„Es ist ein großes Haus.“ Ich sah mich um, mein Blick folgte der breiten, geschwungenen Treppe, die zu einer dunklen Empore hinaufführte. „Sie ist wahrscheinlich oben und macht Betten. Wir sollten wieder rausgehen und klingeln, um sie wissen zu lassen, dass wir hier sind.“

„Unsinn“, sagte Daniel. „Wir können uns auch ohne sie umsehen. Hannan würde es nichts ausmachen. Es ist ja nicht so, als würden wir das Tafelsilber mitgehen lassen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist“, sagte ich. Seit ich die Eingangshalle betreten hatte, verspürte ich wachsendes Unbehagen. Ich stellte fest, dass ich über meine Schulter blickte, als würden mich unsichtbare Augen voller Ablehnung beobachten. Aber Daniel ging bereits voraus, durch einen Bogengang und in einen eindrucksvollen Salon hinein. Dieses Zimmer hatte eine ganz andere Atmosphäre – geräumig, hell und üppig möbliert, mit Brokatsofas und kunstvoll vergoldeten Tischen und Spiegeln. Mit wenigen Schritten waren wir aus einer irischen Festung in ein französisches Chateau gelangt. Daniel sah sich voller Belustigung um.

„Ich frage mich, ob er sich das aus Versailles hat herüberschicken lassen“, sagte er und sprach damit genau meine Gedanken aus. „Diese Sachen sind keine Kopien, sie sind echt. Und die Gemälde sind auch nicht schäbig. Diese da sehen nach echten italienischen Meistern aus, glaube ich.“

„Dieses hier ist ein Raphael, glaube ich“, kommentierte ich.

Daniel wirkte überrascht und beeindruckt. „Woher weißt du das?“

„Ich bin eine gebildete junge Frau.“ Ich lächelte ein wenig selbstzufrieden. „Du glaubst doch nicht, dass du ein Bauernmädchen aus dem Sumpf geheiratet hast, oder?“ Mein Blick wurde von einer Ansammlung silbergerahmter Fotografien angezogen, die zusammen auf einem Glastisch standen. „Ich schätze, das ist die Familie“, sagte ich. „Guck mal, hier ist ein Gruppenfoto. Sie sind ein gutaussehender Haufen. Wer ist der Stadtrat? Es gibt anscheinend drei Männer, die sich sehr ähnlich sehen.“

„Hannan hat einen Bruder, der dieser Tage das Geschäft führt, und es kann sehr wohl noch einen weiteren Bruder geben. Lass mich mal sehen.“

Er kam herüber und betrachtete über meine Schulter hinweg das Foto. Es hatte etwas Seltsames an sich. Die Ober- und Unterseite hatten einen weißen Rand, aber die beiden anderen Seiten der Fotografie verschwanden unter dem Silberrahmen, beinahe, als wären sie abgeschnitten worden.

„Schau dir das an“, sagte ich und zeigte auf die Seiten des Bildes. „Sieht das nicht so aus, als wären mehr Menschen auf dem Foto gewesen, als es aufgenommen wurde? Schau, links von dem kleinen Jungen. Hält er nicht jemandes Hand? Und die rechte Seite ist ebenfalls abgeschnitten worden. Warum sollte man das tun?“

Als ich Daniel das Foto hinhielt, ertönte direkt hinter uns eine Stimme, die uns schuldbewusst herumfahren ließ. „Captain Sullivan! Wie um alles in der Welt sind Sie hereingekommen? Ich habe die Türklingel nicht gehört.“

Mrs. McCreedy stand da und wirkte beinahe durcheinander.

„Die Haustür stand einen Spaltbreit offen“, sagte Daniel und stellte die Fotografie wieder auf den Tisch zurück. „Wir haben gerufen, aber niemand kam, also dachten wir, dass Sie vermutlich anderswo beschäftigt sind.“

„Das war ich in der Tat“, sagte sie. „Und ich habe keine Ahnung, wie diese elende Tür aufgegangen ist. Der Herr wäre ganz und gar nicht glücklich zu hören, dass Leute von der Straße einfach hereinkommen und sich bedienen könnten.“

„Wir waren daran interessiert, das Haus zu sehen, bevor die Familie eintrifft“, sagte ich, und mir gefiel diese Unterstellung nicht. „Ich versichere Ihnen, wir waren nicht im Begriff, etwas einzustecken.“

Ob dieser Bemerkung geriet sie noch mehr durcheinander. „Gewiss nicht. Ich habe nichts dergleichen angedeutet. Sie sind Gäste des Stadtrats und natürlich würde er sie in seinem Haus willkommen heißen. Zu jeder anderen Zeit würde ich Sie liebend gerne herumführen – es ist nur so, dass ich jetzt bis über die Ohren in Arbeit stecke, wenn es Ihnen also nichts ausmacht ...“

Und sie versuchte, uns zur Haustür zu geleiten wie ein großer Hütehund.

„Wir können uns alleine umsehen, wenn Sie beschäftigt sind“, sagte Daniel.

„Oh, nein. Das ist unmöglich“, antwortete sie eilig. „Ich hätte lieber alles so, wie es gehört, ehe Sie es sehen.“

Mir kam der Gedanke, dass sie mit dem Saubermachen nachlässig gewesen war, während die Familie nicht hier gewohnt hatte, und sich jetzt beeilen musste, um ihre Faulheit wettzumachen.

„Das ist ganz und gar kein Problem“, sagte ich. „Wir haben alle Zeit der Welt. Wir lassen Sie jetzt Ihre Arbeit weitermachen und Sie können uns wissen lassen, wenn Sie eine freie Minute für eine Tour haben.“

„Das werde ich tun. Sehr freundlich.“ Ich konnte sehen, wie die Sorge aus ihrem Gesicht wich.

Als wir die düstere Eingangshalle durchquerten, verspürte ich plötzlich einen Luftzug im Nacken und wieder dieses seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Ich konnte nicht anders, als die Treppe hinaufzuschauen. „Sagen Sie mir, Mrs. McCreedy“, sagte ich. „Spukt es in diesem Haus?“

„Spuken?“ Sie lachte. „Oh, nein, Ma’am. Dieses Haus ist viel zu neu, als dass es hier spuken könnte. Erst 1890 fertiggestellt. Das ist zu jung, um sich einen oder zwei Geister zu verschaffen, selbst wenn dem Herrn ein ansässiger Geist gefallen würde, um seinem Schloss etwas mehr Atmosphäre zu verleihen. Nun, in Irland habe ich genug heimgesuchte Orte gesehen und ich nehme an, Sie auch. In der Nähe unseres Dorfs gab es eine Schlossruine und die Einheimischen schworen, dass sie eine weiße Gestalt auf den Zinnen gesehen hätten. Eines Nachts haben meine Freundinnen und ich eine Mutprobe gemacht. Als wir näherkamen, hörten wir dieses unheimliche Stöhnen und sind um unser Leben gerannt. Wenn ich jetzt zurückblicke, schätze ich, dass es eine Kuh war.“ Sie hielt lachend inne. „Ach, nun, ich habe keine Zeit für Klatsch. Ich habe Arbeit zu erledigen. Aber kommen Sie zur Tee-Zeit wieder, dann können Sie mein frischgebackenes Sodabrot probieren. Ich werde für den Herrn eine ganze Menge backen. Er mag sein Sodabrot besonders, jawohl, und er sagt, ich verstünde mich aufs Backen.“

Damit schob sie uns beinahe zur Haustür hinaus und schloss sie entschieden hinter uns.

Vier

„Sie hatte es wirklich eilig, uns loszuwerden, oder nicht?“ Daniel blickte zum Haus zurück.

„Ich vermute eher, dass sie ihre häuslichen Pflichten vernachlässigt und jetzt festgestellt hat, dass sie zu viel zu tun hat“, sagte ich.

„Sie kann jederzeit einheimische Mädchen als Aushilfen anwerben“, widersprach Daniel. „Was sollte das mit der Frage, ob es in dem Haus spukt?“

„Ich habe über das Gesicht nachgedacht, das ich gestern Abend gesehen habe“, sagte ich. „Ich weiß, was ich gesehen habe, Daniel. Ich habe es mir nicht eingebildet. Und ich habe heute etwas gefühlt. Als wir in der Eingangshalle standen. Es war beinahe so, als beobachte mich irgendeine Präsenz.“

„Wirst du immer so hellseherisch sein?“, fragte Daniel. „Ich habe gestern Abend keine Gesichter gesehen und heute nichts Böses gespürt. Das einzig Mysteriöse war, wo diese verflixte Frau herkam. Sie ist eindeutig nicht aus der Eingangshalle gekommen und mir ist hinter uns keine Tür aufgefallen, dir etwa? Vielleicht ist sie selbst dein Geist und kann nach Belieben auftauchen und verschwinden.“ Er sah meinen besorgten Gesichtsausdruck und kicherte. „Komm schon, gehen wir Newport erkunden, solange die Sonne scheint.“

Und so liefen wir los. Ich konnte das Schnappen einer Gartenschere hören und bemerkte einen Gärtner bei der Arbeit an den Rosenbüschen. Die großen eisernen Torflügel glitten dieses Mal mühelos auf. Zuerst kehrten wir der Stadt den Rücken zu und folgten der Straße zu unserer Linken. Ein reizendes Anwesen folgte dem nächsten, jedes herrschaftlicher als das vorherige. Hinter hohen Toren erspähten wir Marmorpaläste und Schlösser, die den Landsitz der Hartleys, den ich stets für den Gipfel der Eleganz gehalten hatte, klein und gewöhnlich aussehen ließen. Eines dieser sogenannten „Cottages“ stand an den Klippen wie ein sehr nobles Hotel, eines hatte einen marmornen Säulenvorbau wie ein römischer Tempel. Ich war so eingeschüchtert, dass ich sprachlos wurde, während wir eins nach dem anderen betrachteten. Tatsächlich hatte ich in meinem bisherigen Leben nichts so Prachtvolles gesehen.

„Und das sind nur Sommerhäuser?“, wollte ich wissen. „Schau sie dir an. Man würde erwarten, dass in jedem ein König lebt, oder nicht?“

„Nun, sie gehören den Vanderbilts und Astors, was hier in Amerika beinahe dasselbe ist“, antwortete Daniel. „Sie müssen ihre Pennys nicht zählen.“

„Aber solche Häuser nur für ein paar Wochen im Sommer zu bauen, das scheint kriminell, oder nicht?“

„Sie empfangen eine Menge Gäste“, sagte Daniel. „Obwohl ich gehört habe, dass die meisten Häuser nur ein paar Schlafzimmer haben. Sie erwarten, dass die Gäste ihre eigenen Cottages besitzen.“ Er lächelte.

„Ich frage mich, was die Vanderbilts und Astors davon halten, Stadtrat Hannan als Nachbarn zu haben.“ Ich hielt inne, um durch ein verziertes, vergoldetes Tor zu blicken. „Er ist nicht gerade einer der Vierhundert, oder?“

„Nein, ich schätze nicht, dass er oft zum Abendessen eingeladen wird“, sagte Daniel. „Aber ich nehme an, sie haben ihn auf eine sehr höfliche und kultivierte Art und Weise abgelehnt. Das mag einer der Gründe sein, weshalb er in die Politik will. Ein Stadtrat zu werden hilft sicher. Doch falls er ihr Senator wird, wird er sich einer Menge offener Türen gegenübersehen. Dann wird jeder sein Freund sein wollen.“

Die Straße verlief sich am Ende einer Landzunge im Nichts. Wir standen eine Weile dort und blickten aufs Meer hinaus. Jachten segelten in der steifen Brise und eine Fähre durchquerte die Bucht. Plötzlich stellte ich fest, dass ich mich ungeheuer amüsierte. Etliche Tage ohne Aufgaben, abgesehen davon, das Beste aus Meer, Sonne und frischer Luft zu machen, war nichts, was ich in meinem Leben zuvor erlebt hatte, obwohl ich wusste, dass die Wohlhabenden ständig in die Ferien fuhren. Ich begann zu erkennen, dass mit Daniel verheiratet zu sein vielleicht seine Vorteile hatte!

„Wir sollten eine Bootsfahrt machen“, sagte Daniel, als würde er wieder meine Gedanken lesen. „Fühlst du dich einem Spaziergang in die Stadt gewachsen, um zu schauen, was wir dort finden?“

„Ich bin kein zartes Pflänzchen.“ Ich sah lächelnd zu ihm hinauf. „Ich laufe jeden Tag mehrere Meilen, wenn ich im Rahmen meines Berufs jemanden verfolge.“

„Lief“, sagte Daniel. „Vergangenheitsform, denk dran. Jetzt hast du keine Notwendigkeit mehr, das Leder deiner Schuhsohlen abzunutzen, und kannst stattdessen einen angenehmen Spaziergang rund um den Washington Square machen.“

„Ehe ich mich wieder meiner Stickarbeit widme?“

Dass ich meinen Beruf als Detektivin aufgab, war lange Zeit ein Streitpunkt zwischen uns gewesen. Schließlich hatte ich eingesehen, dass Daniel sich nicht nur um meine Sicherheit sorgte, sondern dass mein Beruf seine eigene Position bei der Polizei kompromittieren könnte. Da er unseren Lebensunterhalt bestreiten würde, hatte ich zugestimmt, keine Fälle mehr anzunehmen. Bisher hatte ich keine Zeit gehabt, um zu überlegen, wie ich mit Langeweile und häuslichem Leben zurechtkommen würde. Wir würden sehen müssen.

Wir kehrten um und folgten der Straße zurück in die Stadt, bewegten uns von der Fantasiewelt draußen auf der Landzunge zurück in die Wirklichkeit. Bald machten die Villen gewöhnlichen, älteren Häusern mit einem kolonialistischeren Erscheinungsbild Platz und schließlich einer kleinen Küstenstadt. Die Häuser hier waren mit Schindeln verkleidet und hatten einen schönen Blick auf Hafen und Fischerboote.

Daniel blickte zum Straßenschild hinauf und grummelte. „Wir hätten gestern Abend dieser Bellevue Avenue folgen und uns ein Abenteuer auf den Klippen ersparen können.“

„Wir wären genauso nass geworden, schätze ich“, sagte ich. „In jedem Fall war es ein Abenteuer und niemand kam zu Schaden.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, sagte Daniel. „Mein Hals fühlt sich kratzig an. Ich habe mich gestern Abend vielleicht verkühlt.“

„Typisch Mann“, sagte ich verächtlich. „Ich fühle mich gesund und munter. Bereit für ein gutes Mittagessen – in einem dieser kleinen Cafés, vielleicht.“

„Zu einem Mittagessen würde ich nicht nein sagen“, stimmte Daniel zu. „Es heißt doch, man soll eine Erkältung füttern, oder nicht?“

Ich grinste und ging voraus. Wir entschieden uns für ein Restaurant am Wasser, das mit vor Ort gefangenem Hummer warb, aber mein Enthusiasmus schwand, als ich herausfand, dass ich meinen Hummer aus einem Aquarium auswählen musste, in dem sie schwammen.

„Es erscheint mir ziemlich brutal, dass ich mein Essen lebendig auswählen muss und es vor meinen Augen getötet wird.“ Ich starrte auf die Tiere hinab und empfand Mitleid.

„Das meiste Essen, das du isst, war irgendwann lebendig“, merkte Daniel an. „Hast du als Kind keine Krebse und Muscheln gefangen?“

„Ich schätze schon“, stimmte ich zu.

„Na dann. Nur zu, such dir einen schönen, fleischigen Hummer aus. Oder soll ich es für dich tun?“

„Mach du es. Ich sehe lieber nicht hin.“

„Und das von der Frau, die es im Alleingang mit Mördern aufgenommen hat.“ Daniel kicherte.

Ich blickte die Kaianlage hinab und beobachtete die Fischer beim Entladen ihres Fangs, während Daniel die Auswahl traf. Bald darauf erschienen die Hummer auf einem Teller mit knusprigem Brot und einem Stück Mais daneben. Und ich muss gestehen, dass ich meinen nach dem ersten Bissen ohne schlechtes Gewissen auseinandernahm.

Nach dem Mittagessen setzten wir unseren Spaziergang durch die Stadt fort. Wir sahen hübsche, alte Kirchen und schöne Backsteingebäude im Kolonialstil. Alles in allem ein entzückender Ort; einer, der in mir leichtes Heimweh nach Irland weckte, da er sich so alt und friedlich anfühlte.

„Dieser Ort ist wirklich alt“, sagte ich, während ich an der Fassade eines Hauses hinaufblickte, an der die Jahreszahl 1631 stand. „Selbst in Irland würde das als alt gelten. Ich bezweifle, dass wir viele Gebäude dieses Jahrgangs in Westport haben.“

„Rhode Island war eine der frühesten Siedlungen“, sagte Daniel. „Ich finde den einfachen Stil dieser alten Häuser selbst recht ansehnlich. Ich war nie für Extravaganz zu haben.“

„Weshalb du dich für ein hübsches, einfaches, irisches Mädchen entschieden hast“, sagte ich.

„Ich weiß nicht so recht“, lachte er.

„Lass uns diese Straße hinuntergehen.“ Ich versuchte, ihn zu lenken. „Es gibt eine Reihe reizender, kleiner Läden.“

„Frauen und ihre Läden“, murmelte Daniel. „Könnt ihr nirgendwo hingehen und nur die Architektur bewundern? Muss jeder Ausflug Einkäufe beinhalten?“

„Aber selbstverständlich“, sagte ich und hielt vor einem Bleiglasfenster inne, hinter dem es von Souvenirs wimmelte – Leuchttürme aus Porzellan, hölzerne Fischerboote und natürlich Salt-Water-Taffy-Kaubonbons. Wegen Daniels Bemerkungen gab ich mich bei dieser Gelegenheit damit zufrieden, nur zu gucken, dann ging ich zum nächsten Schaufenster. Eines der alten Cottages war in eine Kunstgalerie umgewandelt worden und als ich durchs Fenster spähte, erweckte ein Bild an der hinteren Wand meine Aufmerksamkeit.

Daniel lief bereits voraus, weil er meines Schaufensterbummels müde geworden war.

„Warte, Daniel! Wir müssen hier reingehen.“ Eine Glocke ertönte, als ich die Tür aufstieß, dann stand ich vor dem Bild und starrte es an. Es zeigte ein hübsches, kleines Mädchen mit üppigen, blonden Locken, das inmitten von Blumen saß und ein Lämmchen auf dem Schoß hatte. Sie lächelte, als erzählte sie jemandem zu ihrer Rechten, den man nicht sehen konnte, einen Witz.

„Was gibt es?“ Daniel kam hinter mir herein. „Wir werden keine Gemälde kaufen.“

Ein Mann erschien aus einem Hinterzimmer. Er trug einen blauen Fischerpullover mit Farbklecksen darauf. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Dieses Bild.“ Ich zeigte darauf. „Kennen Sie den Namen des Kindes?“

„Ich habe es nicht selbst gemalt“, sagte er. „Es ist eins von Ned Turnbulls Bildern. Er hat ein Cottage unten am Hafen, falls er nicht irgendwo unterwegs ist und malt.“ Er drehte sich um, um das Bild zu betrachten. Es war klein und zierlich, verglichen mit seinen Nachbarn, auf denen Seelandschaften und Stürme abgebildet waren. „Hübsches, kleines Ding, nicht wahr? Genau richtig für die Wand im Boudoirs einer Dame. Ich frage mich, ob Ned ein einheimisches Kind als Modell verwendet, oder das Ganze einfach aus seiner Fantasie heraus erschaffen hat.“ Er lehnte sich näher. „Oh, warten Sie. Hier steht es – Miss Colleen Van Horn, Mai 1895.“

„Danke.“ Ich wandte mich zum Gehen.

„Sind Sie an dem Bild interessiert? Ich könnte es für Sie reservieren“, rief er mir nach.

Ich schüttelte den Kopf und schaffte es, ein Dankeschön zu stammeln, während ich in den Sonnenschein hinaustrat.

„Worum ging es da?“, fragte Daniel, dem mein Gesichtsausdruck aufgefallen war.

„Das Kind auf dem Gemälde – sein Gesicht hatte etwas an sich. Ich weiß, ich habe es schon mal gesehen.“

„Wirst du plötzlich zur Hellseherin?“, fragte Daniel voller Belustigung. „Siehst Geister und die Gesichter von Kindern, wo wir auch hingehen?“

Ich packte ihn am Arm. „Das ist es. Deshalb sah sie vertraut aus, Daniel. Ich glaube, das Gesicht, das ich im Fenster des Türmchens gesehen habe, war das gleiche.“

Daniel seufzte. „Du hast doch bereits gehört, dass in der Nacht niemand im Haus war.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn das, was ich gesehen habe, ein Geist war, kann es nicht dieses Kind gewesen sein. Van Horn gehört offensichtlich in eine der anderen Villen, nicht ins Schloss eines Iren.“

„Van Horn.“ Daniel wiederholte den Namen. „Der Name ist mir irgendwo schon mal begegnet. Es wird mir wieder einfallen. Also, haben wir uns genug bewegt für einen Tag? Ich bin bereit, wieder zu unserem kleinen Cottage zurückzukehren.“

„Also schön.“ Wir machten uns in diese Richtung auf den Weg. Ich sah mich immer noch voller Interesse um, wollte jede Kirche und jedes Denkmal betrachten. Daniel war in Schweigen versunken und lustlos geworden, und ich war im Begriff, mich nach Hause führen zu lassen, als mir etwas auffiel.

„Daniel, dieser alte Friedhof. Wir müssen uns umsehen, ehe wir nach Hause gehen. Ich finde alte Friedhöfe faszinierend, du nicht?“

„Zuweilen“, sagte er. Wir stießen das rostige Tor auf und schlenderten zwischen moosbedeckten Grabsteinen umher. Ich las Namen und Daten und kommentierte jeden einzelnen. „Schau, Daniel, dieser Mann hatte drei Frauen und sie sind alle mit ihm begraben. Und diese Frau hatte vierzehn Kinder. Vierzehn – stell dir das vor!“

„Ich meine mich zu erinnern, dass dies einer der Orte ist, an denen man früher Glocken über den Gräbern anbrachte“, sagte Daniel, der jetzt Interesse zeigte. „Meinst du, es sind noch welche hier?“ Er begann, im hohen Gras herumzustochern.

„Glocken – wofür?“

„Falls die Person nicht wirklich tot und fälschlicherweise begraben worden war, konnte sie an einer Schnur ziehen und mit der Glocke die Leute alarmieren, dass jemand herauswollte.“

„Bitte nicht.“ Ich zitterte. „Das ist ja schrecklich. Aus Versehen lebendig begraben. Das ist doch sicher nie passiert, oder?“

„Früher konnte man nicht zwischen einem Koma und dem Tod unterscheiden. Vielleicht wollte man es manchmal auch nicht.“

„Lass uns gehen. Ich habe genug gesehen.“ Ich nahm seinen Arm, um ihn wegzuführen. Dann wurde mein Blick von einem hübschen Marmor-Grabmal im klassischen Stil angezogen, mit einem Engel, der Wache hielt, und herumtollenden Amoretten. Ich las die Inschrift und stand dann schweigend da und starrte auf den Schriftzug: COLLEEN MARY VAN HORN. GEBOREN AM 12. FEBRUAR 1891. VON UNS GENOMMEN AM 15. JUNI 1895.

„Schau, Daniel, wie traurig“, sagte ich. „Es ist das kleine Mädchen von dem Gemälde. Sie starb einen Monat, nachdem es vollendet worden war.“

Dann las ich die übrigen Worte, die in den weißen Marmor gemeißelt waren. UNSER KLEINER ENGEL WURDE VON UNS GENOMMEN. GELIEBTE TOCHTER VON ARCHIE UND IRENE VAN HORN. GELIEBTE ENKELTOCHTER VON BRIAN HANNAN UND FREDERICK UND MARIE VAN HORN.

„Ich hatte recht, Daniel“, sagte ich mit zitternder Stimme. „Es war ihr Gesicht, das ich im Fenster gesehen habe. Es gibt einen Geist in Connemara.“

Fünf

Wir gingen schweigend zum Cottage zurück. Ich konnte nicht aufhören, an das hinreißende, kleine Mädchen zu denken, gestorben im Alter von vier Jahren. Ich schätze, dass jetzt, da wir verheiratet waren, eigene Kinder der nächste logische Schritt waren, und versuchte mir vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, ein geliebtes Kind so jung zu verlieren. Natürlich passierte das andauernd. So viele Kinderkrankheiten, so viele Gefahren im Leben. Daniel erahnte meine Gedanken. „Es ist ja nicht so, als hätten wir sie gekannt. Kinder sterben andauernd. Das ist eine Tatsache des Lebens. Man muss das akzeptieren.“

„Ich könnte es nie akzeptieren, mein eigenes Kind zu verlieren.“ Ich wollte mehr sagen, aber ich schluckte die Worte herunter. Tatsächlich hatte ich ein eigenes Kind verloren, eine frühe Fehlgeburt, von der Daniel nie erfahren hatte. Ich hatte zu der Zeit keine Hoffnung gehabt, ihn zu heiraten, tatsächlich hatte er im Gefängnis gesessen, als ich es herausgefunden hatte, und obwohl es nie ein Säugling gewesen war, den ich in meinen Händen gehalten hatte, dachte ich noch immer daran und betrauerte es auf meine Weise. Ich hatte Daniel davon erzählen wollen, aber es hatte nie einen geeigneten Moment gegeben. Jetzt hing es als Geheimnis zwischen uns und ich fragte mich, ob ich ihm je davon erzählen würde.

„Kopf hoch.“ Daniel öffnete mir das Tor. „Wir haben gerade noch Zeit, uns auszuruhen, ehe wir uns auf Tee und Sodabrot freuen können.“ Er hob sich eine Hand an den Hals und rieb darüber, während er sprach.

„Quält dich dein Hals?“

„Ja, er tut höllisch weh. Hoffen wir, dass ich mir gestern Abend keine Erkältung eingefangen habe. Aber ich bin mir sicher, eine Tasse Tee wird dafür sorgen, dass er sich besser anfühlt.“

Wir hatten das Eingangstor erreicht und ich starrte zum Haupthaus hinauf. Daniel ging voraus, dann sah er mich dort stehen.

„Komm schon. Was tust du da?“, rief er.

„Ich frage mich, ob das Gesicht, das ich gesehen habe, der Geist des kleinen Mädchens war“, sagte ich.

„Es gibt keine Geister.“

„Ich merke, du hast nie in Irland gelebt. Jeder, den du dort fragst, würde dir von mindestens einer Begegnung mit einem Geist berichten.“

„Der sich als muhende Kuh herausstellen würde, wie die, von der Mrs. McCreedy uns erzählt hat.“ Daniel lief über den Plattenweg zu unserem Cottage.

Ich beeilte mich, ihn einzuholen. „Aber wie erklärst du dir dann, dass ich ein Gesicht im Fenster eines leeren Hauses gesehen habe und dass es das Gesicht eines Kindes war, das vor acht Jahren gestorben ist?“

Daniel zuckte mit den Schultern. „Es gibt sicher eine logische Erklärung.“

„Zum Beispiel?“

„Mir fällt gerade keine ein“, sagte er in schroffem Ton. „Bis zum Tee werde ich die Füße hochlegen und Zeitung lesen.“