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Münsterland, das klingt nach Ruhe und Beschaulichkeit und lässt an Wasserburgen und Wildpferde denken. Aber auch in diesem Idyll ist nicht alles friedlich, was friedlich scheint. Davon könnten Krimi-Buchhändlerin Lena Lensing, Hauptkommissar Reinhard Lensing und der Wandergeselle Paul Rotthues ein Lied singen. Während Lena Lensing sich jedoch eigenmächtig in die Mordrmittlungen ihres Schwagers Reinhard in Borken einmischt, stolpert der Malergeselle Paul Rotthues unverhofft über die Leiche einer jungen Frau in dem sonst so ruhigen Dörfchen Laer. In vier Kurzkrimis sorgen die drei ganz unterschiedlichen Ermittler dafür, dass die Mörder zur Strecke gebracht werden.
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Seitenzahl: 83
Veröffentlichungsjahr: 2025
Birgit Ebbert
Mord für Mord im Münsterland
Kurzkrimis
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Tödliche Vergangenheit
Späte Rache
Zwischen den Türen
Blutrot in der Kirche
Über die Autorin
Impressum neobooks
»Pastor Jochim ist tot«, sprudelte es aus meinem elfjährigen Sohn Gabor heraus. »Er ist ermordet worden«, ergänzte sein Freund Jonas eilig.
Grinsend sah ich die beiden Jungen an, die Hals über Kopf in mein Krimi-Lädchen gestürzt waren.
»Tolle Geschichte, die ihr euch da wieder ausgedacht habt.«
Beide sahen mich entsetzt an und antworteten gleichzeitig empört: »Das stimmt aber!«
»Aha! Und ihr habt den Toten gefunden und wisst auch schon, wer der Mörder ist«, flachste ich weiter.
»Nein«, gaben sie zurück, »Klaus, einer von den großen Messdienern, hat ihn gefunden. Er hat uns nicht in die Sakristei gelassen. Dabei mussten wir uns doch für die Messe umziehen!«
Dieses Mal schwang in der Stimme eine leichte Empörung über den älteren Messdiener mit, der ihnen den Zutritt zur Sakristei der Johanniskirche verwehrt hatte.
»Stell dir vor, die Leute mussten alle vor der Kirche warten. Dabei war das doch ein Beerdigungsgottesdienst. Was passiert denn jetzt mit dem Toten auf dem Friedhof?«
Wieder einmal musste ich erleben, dass heutige Elfjährige wirklich nichts erschüttern konnte. Nicht einmal ein toter Pfarrer, den sie immerhin persönlich gekannt hatten.
Mich dagegen bestürzte die Nachricht. Pastor Jochim kannte ich schon aus meiner Schulzeit. Bis zur zehnten Klasse hatte er das Remigianum besucht wie ich. Wir hatten zwar wenig privaten Kontakt, auch wenn wir in die gleiche Klasse gingen, aber dennoch war es erschreckend zu hören, wenn ein Weggefährte starb. Zumal sich das in den letzten Wochen zu häufen schien. Vor zwei Wochen war in Münster ein ehemaliger Mitschüler auf offener Straße erschossen worden. Erst tags zuvor hatte mir eine Schulfreundin beim Kauf eines Krimis berichtet, dass unser Klassenprimus, der als Professor in München lebte, in seinem Büro erschossen worden war. Es schien fast so, als sollte meine Klasse vernichtet werden. Bei dem Gedanken wurde mir unbehaglich. Ich ermahnte mich selbst zur Vernunft. Wer sollte so etwas tun? Und dennoch, hatte ich nicht erst am Samstag bei meiner Friseurin in einer Frauenzeitschrift gelesen, dass eine Wahrsagerin Jacqueline Jacquot, die als Jessica Kruse in meine Klasse gegangen war, ein früher Tod vorhergesagt hatte?
»So ein Quatsch!«, sagte ich laut, holte mich damit aus meinen Gedanken und blickte in die verblüfften Augenpaare der beiden Jungen.
»Ich habe Unfug gedacht«, erklärte ich meine Bemerkung und schickte die Beiden ins Büro, wo sie sich mit Tee und Schokolade stärken konnten. Ich widmete mich den Kunden, die den Laden betraten, und empfahl ihnen den neuesten Krimi von Donna Leon. Kaum hatten Gabor und Jonas die Tür geschlossen, ging sie schon wieder auf und meine Tochter Onja stürzte herein.
»Hast du gehört?«, setzte sie zu einem Redeschwall an, den ich schleunigst mit den Worten: »Ja, Pastor Jochim wurde ermordet«, stoppte.
»Ich kam gerade an der Johanneskirche vorbei, als der Sarg herausgetragen wurde. Onkel Reinhard war auch schon da«, berichtete sie.
Mein Schwager Reinhard Lensing hat sich vom Streifenpolzisten zum Kriminalkommissar hochgearbeitet. Dabei hat ihm sicher unsere riesige Familie geholfen. Einer von uns war bestimmt in jedes Geschehnis im Kreis Borken verwickelt. Für einen Kriminalkommissar sicher sehr hilfreich. Mich störte dieses Netzwerk manchmal, auch wenn ich natürlich in meinem Laden davon profitierte.
Wenn Reinhard sich mit der Lösung des Mordes beschäftigen musste, konnte ich ihm vielleicht wieder behilflich sein. Schließlich kannte ich Pastor Jochim schon lange, er war ein gutaussehender schwarzhaariger Frauenschwarm gewesen, ehe er sich für die Kirche entschieden hatte. Bis dahin hatte er jedoch nichts anbrennen lassen und so manchen Liebeskummer verursacht. Auch unsere Schauspielerin, Jessica Kruse, hatte in der zehnten Klasse eine Liaison mit ihm. Sie tat sich bis zum Beginn ihrer Schauspielkarriere ohnehin fleißig unter unseren Jungs um. Mit einem war sie sogar verheiratet, ehe sie den Regisseur kennenlernte, der sie nicht nur auf Händen trug und ihren Namen in Jacqueline Jacquot änderte, sondern ihr zudem den Einstieg ins Filmgeschäft ermöglichte. Immerhin berichtete heute die Regenbogenpresse fast wöchentlich über sie. Bei unserem Mädelstreffen ließ sie sich seither nicht mehr sehen.
Schade eigentlich, nach dem Abitur war es meiner Clique gelungen, uns einmal jährlich zu treffen – ohne Unterbrechung fünfundzwanzig Jahre lang. In wenigen Wochen sollte das Jahrgangsjubiläum stattfinden. Pastor Jochim hatte versprochen, aus diesem Anlass die Highlights unserer Schullaufbahn zum Besten zu geben. Erst kürzlich sprachen wir darüber, ob es für einen Politiker problematisch sein könnte, wenn bekannt würde, dass er als Schüler in die Schule eingebrochen war, um die Schülerakten zu stehlen.
An diesen Vorfall konnte ich mich noch gut erinnern. Ich hatte damals Glück, es fehlten nur die Akten von H bis P, sodass ich mit dem Namen Frese nicht befragt wurde. Aber natürlich gehörten Martin Jochim und der damalige Klassensprecher, Hans Oberan, zu denjenigen, die von der Schulleitung verdächtigt wurden. Pastor Jochim schien mehr zu wissen als sonst jemand, den ich kannte.
Onja hatte mich einfach im Laden stehen lassen und war zu den Jungs ins Büro gegangen, wo sie nun rätselten, warum jemand einen Pfarrer umbringen könnte.
»Bestimmt hat einer was gebeichtet, was keiner wissen soll«, mutmaßte mein Sohn.
Sein Freund hingegen vermutete hinter der Tat einen Konkurrenten, der den Job haben wollte – er hatte wohl auch den letzten Tatort im Fernsehen gesehen. Angesichts der Pfarrerknappheit hielt ich das für ein eher unwahrscheinliches Motiv.
Onja spekulierte auf uneheliche Kinder, die sich rächen wollten.
Mit keiner These konnte ich mich anfreunden; mir gingen die Rede für das Jubiläum und die ebenfalls ermordeten Mitschüler nicht aus dem Sinn, auch wenn die Männer heute in anderen Städten gelebt hatten. Andererseits machte gerade diese räumliche Entfernung das Ganze wieder wahrscheinlich. Wer kam schon auf die Idee, das Leben eines Münchener Professors bis in seine Schulzeit zurückzuverfolgen. Da gab es doch sicher in der jüngsten Vergangenheit einige Neider oder Schlechtgesinnte.
Auch ein Lehrer, der mitten in der Nacht auf offener Straße erschossen wurde, hatte scheinbar keinen Bezug zu einem toten Pfarrer in der Sakristei.
Der Kriminaltango meiner Türglocke riss mich aus den Überlegungen. Mein Schwager Reinhard trat ein und grinste mich an: »Na, du bist sicher schon bestens informiert, oder? Ich muss Gabor und seinen Freund sprechen, sind die bei dir?«
Ich deutete mit dem Kopf auf die Tür zum Büro, während aus mir herausplatzte: »Wurde er erschossen?«
Reinhard sah mich verwundert an.
»Wie kommst du darauf?«, wollte er wissen. »Das haben wir noch nicht bekannt gegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Messdiener, der ihn gefunden hat, den Jungs das erzählt hat.«
»Ich habe nur an den toten Lehrer aus Münster gedacht«, erklärte ich meine Frage, »er war ebenso wie Pastor Jochim ein Mitschüler von mir. Und unser Klassenprimus wurde vorige Tage in München in seinem Uni-Büro erschossen«, stellte ich ihm meine Theorie vor.
»Das ist allerdings wirklich interessant«, bestätigte Reinhard. »Auf die Idee würde nie jemand kommen, warum sollte man deine Klassenkameraden erschießen? Du siehst zwar immer noch so aus, als ob du gerade erst Abitur gemacht hättest«, dabei grinste er mich an, »aber man muss den Tatsachen ins Auge sehen. Dein Abi ist sicher schon zwanzig Jahre her.«
»Danke«, gab ich zurück, »fünfundzwanzig Jahre, um genau zu sein. In zwei Monaten wird das gefeiert. Leider ohne die große Enthüllungsrede, die Pastor Jochim angekündigt hat.«
»Unter uns«, senkte Reinhard seine Stimme, »Pastor Jochim wollte seinen Beruf aufgeben und versuchen, in der evangelischen Kirche als Pfarrer anzufangen, um seine Haushälterin und langjährige Geliebte zu heiraten.«
»Also noch ein Motiv: Eifersucht«, schmunzelte ich, denn in Wirklichkeit konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Kirche ihre Probleme mit Schusswaffen löste.
»So ganz falsch liegst du da gar nicht«, vertraute mir Reinhard an. »Es gibt nämlich einen Ex-Freund der Frau, dem es gar nicht passt, dass sie demnächst nicht mehr frei sein würde. Er hatte den beiden so manches Mal als Tarnung gedient und größere Hoffnungen auf eine dauerhafte Beziehung mit ihr gehegt.« Dabei ging er auf die Bürotür zu, um die Jungen zu befragen, ob ihnen vor der Kirche etwas aufgefallen war.
Kaum hatte sich die Tür hinter Reinhard geschlossen, da kramte ich auch schon in der Tresenschublade nach einem Blatt Papier, um meine Gedanken zu sortieren.
Langsam schrieb ich die drei Namen nebeneinander und darunter die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, an die ich mich erinnerte:
Den Namen Jessica Kruse markierte ich, vielleicht lag hier eine Übereinstimmung. Die Mittelstufe im Remigianum und die Religionszugehörigkeit schienen mir zweifelhafte Motive. Eine Frau war wahrscheinlicher. Möglicherweise war der neue Freund von Jessica nicht nur reich, sondern auch eifersüchtig auf ehemalige Liebhaber.
Und was war mit Wolfgang Rasche, unserem Computerfreak, mit dem Jessica drei Jahre verheiratet war? Wo lebte der eigentlich heute? Lebte er überhaupt noch?
Da musste mir meine Freundin Doris weiterhelfen. Sie hatte Borken nur kurz verlassen, um ein Studium zu beginnen. Dann entschied sie sich für einen Borkener, der ein alteingesessenes Familienunternehmen leitete. Dadurch wusste sie am besten, wer wo lebte. Sie besaß viele Kontakte über Eltern oder Geschwister ehemaliger Mitschüler, die mir während meiner langjährigen Abwesenheit verloren gegangen waren.
Doris ging beim ersten Läuten ans Telefon. Natürlich wusste sie schon vom Tod des Pfarrers und schilderte mir gleich ihre Vermutung über die Hintergründe.
»Ich glaube ja, dass es der Ex von der Haushälterin war«, behauptete sie. Wie konnte ich glauben, dass die Beziehung der Haushälterin mit dem Pfarrer geheim geblieben war?
Ich stellte meine Überlegungen dagegen und hatte Doris sofort auf meiner Seite.
»Stefan hatte auch mal was mit Jessica«, ergänzte sie meine Liste aus der Ferne, »aber erst nach dem Abi, da warst du schon weg. Wolfgang Rasche lebt irgendwo im Norden, ich glaube in Hamburg.«
Wenn meine Theorie stimmte und der Mörder es auf Ex-Liebhaber von Jessica abgesehen hatte, dann konnte es gut sein, dass Wolfgang nicht mehr lebte oder bald nicht mehr leben würde. Andererseits gab es da ja noch die Vermutung, dass jemand die Enthüllungen des Pfarrers stoppen wollte. Wenn ich an das Redemanuskript kommen könnte, würde das sicher helfen.
Ehe ich mich von Doris verabschiedete, fragte ich schnell nach Jessica.