Mörderisches Taubertal - Heike Wolpert - E-Book

Mörderisches Taubertal E-Book

Heike Wolpert

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Beschreibung

Das Taubertal ist eines der beliebtesten Ferienziele Deutschlands. Doch zuweilen geht es auch in dieser schönen Region mörderisch zu. Von Wertheim bis nach Rothenburg ob der Tauber, überall gibt es kriminelle Machenschaften: Alte Rechnungen werden mit tödlichem Ausgang beglichen, unliebsame Partner oder ungerechte Vorgesetzte sterben eines gewaltsamen Todes. Manche kommen allerdings auch davon - genau wie der ein oder andere Mörder …

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Heike Wolpert

Mörderisches Taubertal

Krimis

Zum Buch

Immer lieblich – manchmal tödlich Das Taubertal – nicht umsonst eines der beliebtesten Ferienziele Deutschlands. Doch zuweilen geht es in dieser schönen Region mörderisch zu. Von der Burgruine in Wertheim über das Kloster zu Bronnbach und den Kurpark Bad Mergentheims bis hin zur Touristenhochburg Rothenburg ob der Tauber, überall gibt es neben Sehenswürdigkeiten auch kriminelle Machenschaften zu entdecken. Mal werden alte Rechnungen mit tödlichem Ausgang beglichen, mal sterben unliebsame Partner oder ungerechte Vorgesetzte eines gewaltsamen Todes. Letztere haben es vielleicht verdient? Bei anderen ist es einfach nur dumm gelaufen. Aber nicht immer enden die mörderischen Aktivitäten mit einer Leiche, genauso wie mancher Mörder ungeschoren davonkommt.

Begleiten Sie die Autorin auf ihrer spannenden Reise die Tauber entlang und lernen Sie neben originellen Mordmethoden auch interessante Ausflugsziele kennen.

Heike Wolpert, Jahrgang 1966, lebt und arbeitet in Hannover. Abwechslung von ihrem Alltag als Businessanalystin bei einer großen Landesbank findet sie im Schreiben von Krimis in Kurz- und Langversion. An ihrer Reihe rund um den tierischen Schnüffler Kater Socke erfreuen sich Katzen- und Krimifreunde gleichermaßen. Durch den kriminellen Freizeitführer „Mörderisches aus Hannover“ fand sie außerdem Gefallen am Verfassen von Kurzgeschichten und mit dem Krimi „Taubertaltod“ entdeckte sie die Liebe zu ihrer Geburtsstadt Bad Mergentheim und der umliegenden Region neu. Beides zusammen führte zum vorliegenden Kurzgeschichtenband.

 

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Susanne Tachlinski

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © ThomBal / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-0058-2

 

 

 

Vorwort von Inge Braune, freie Journalistin aus dem Taubertal

Heike Wolpert ist Datenverarbeitungskauffrau, Softwareentwicklerin, Businessanalytikerin – und Krimiautorin. Nach Abitur und Ausbildung zog es die gebürtige Bad Mergentheimerin gen Norden. Hannover, groß im platten Land: ein krasser Gegensatz zur beschaulichen Kurstadt im lieblichen Taubertal. Da geht man doch nie so ganz. Kein Wunder also, dass es sie immer wieder heimwärts zieht, besuchsweise sowie gedanklich.

Wenn ihr das Tal fehlt, schreibt sie’s eben – und macht schon mal, wie hier, aus der so anmutigen Region eine mörderische. Von Wertheim bis Rothenburg wird munter hin und her geklaut, gemordet, eingebrochen, werden Menschen mal aus Versehen, mal mit voller Absicht zu Übeltätern. Heike Wolpert lässt sie in 14 Storys reüssieren oder scheitern, stets anders als erwartet.

Die Täter- und Opfervielfalt ist dabei enorm, reicht vom überspannten Filmsternchen bis zum ehrbaren Mütterchen, von der Taubertaler Miss Marple bis zum Kommissar im Unruhestand, vom verwöhnten Unternehmerstöchterlein bis zur stoischen Unternehmergattin, von um Verbrecher-Devotionalien konkurrierenden Sammlern bis zum Escort-Service-Pärchen, vom Sekretärinnen-Trio bis zum tagträumenden Werbefotografen.

Sie faszinieren und amüsieren, entdecken und berichten über Ausflugsziele und Geschichte. Wir treffen sie in Feierlaune hoch auf Burg Wertheim, gedanken- und traumverloren im Bronnbacher Klostergarten oder im Schlossgarten zu Weikersheim, interessiert im Creglinger Fingerhutmuseum, in der Herrgottskirche leise plaudernd und bei einer Recherche-Sonderführung im kleinen Heimatmuseum bei Rothenburg. Natürlich tummeln sie sich auch bei Schlemmertouren durch Weinstuben, Feste und Messen, beim morgendlichen Fitnesstraining und nächtlicher Turmbesteigung.

Dass die Eingeborenen immer wieder auf Norddeutsche treffen, lässt sich in der Touristenregion ebenso wenig vermeiden wie bei der Autorin, für die der zur Kür entwickelte Nord-Süd-Spagat zum Lebenselexier geworden ist. Nehmen Sie ein Schlückchen!

01 – Wunder gibt es immer wieder (Wertheim; Burgruine)

»Chaos-Wunder«. Diesen Namen hatte die Presse Pa­tricia Wunder gegeben, und das nicht zu Unrecht.

Schon bei ihrer Teilnahme an der populären Modelcasting-Sendung »Germany’s next Catwalk-Star« war sie dafür bekannt geworden, kein Fettnäpfchen auszulassen. Irgendwann schaffte sie es, sich bei einer Modenschau den Arm zu brechen, als sie auf dem Laufsteg stolperte und direkt vor Tim Mühles Füßen landete. Für künftige Catwalk-Star-Folgen fiel sie zwar aus, doch brachte ihr dieser spektakuläre Abgang einige Schlagzeilen, die Einladung zu diversen Talkshows und nicht zuletzt eine Schauspielkarriere ein.

Daran wiederum war Tim Mühle nicht ganz unbeteiligt.

Eigentlich als Leibwächter eines medienbekannten Designers auf der Schau anwesend, bei der Patricias Unfall geschah, leistete er dem »gefallenen Mädchen« Erste Hilfe und erlag ihrem tollpatschigen Charme. Er bot ihr seine Dienste als Beschützer an, wurde erst ihr Manager und später ihr Ehemann. Da er schon eine Weile im Geschäft war, verfügte er über gute Kontakte und es gelang ihm, ihr kleinere Rollen in trivialen Vorabendserien und Dokusoaps zu verschaffen. Für die Schlagzeilen sorgte sie durch ihre zahllosen Missgeschicke ganz von selbst.

Bei einer Liveübertragung verlor sie ihren Minirock, sehr zur Freude vor allem der männlichen Zuschauer, den Moderator einer berühmten Fernsehshow sprach sie mit dem Namen seines größten Konkurrenten an und beim Dreh einer Vorabendserie fiel sie so unglücklich, dass sie die Kamera zerstörte. Spätestens als sie bei einer Gameshow ihren prominenten Spielpartner unabsichtlich k. o. schlug, war Tim froh über die Haftpflichtversicherung, die er für Patricia abgeschlossen hatte.

Das Versicherungsunternehmen wiederum warb fortan mit seiner bekannten Kundin und auch andere Werbepartner machten sich ihre Ungeschicklichkeit zunutze. Die Öffentlichkeit liebte das »Chaos-Wunder«. Man schmunzelte über die kleinen und großen Katastrophen, die sie verursachte, und so manchen trösteten sie über das eigene Unglück hinweg.

Im gleichen Maße allerdings, in dem ihre Gunst bei den anderen wuchs, nahm sie bei Tim ab. Schon ihr lang gezogenes »Tiiiiimi!«, mit dem sie beinahe jeden Tag begann, weil sie ihre Brille mal wieder nicht fand, war ihm verhasst geworden. Ohne ihre Sehhilfe wiederum war Patricia blind wie ein Maulwurf, was ebenfalls bereits zu unzähligen Missgeschicken geführt hatte, wenn sie etwa zum wiederholten Male ihre Kontaktlinsen verloren hatte. Ersatzlinsen befanden sich ebenso in dem »Notfallkoffer«, den Tim ihr stets hinterhertrug, wie ein kompletter Satz Kleidung, Schminkzeug, Haarteile und Nahrungsergänzungsmittel.

Tim kam sich vor wie ihr Laufbursche und in letzter Zeit behandelte sie ihn auch immer öfter so. Am liebsten hätte Tim das Filmchen, das er von der schlafenden Patricia – laut schnarchend mit offenem Mund und einem Sabberfaden auf der Wange – mit seinem Handy aufgenommen hatte, ins Netz gestellt. Dann wäre er sie sicher schnell losgeworden, aber mit ihr genauso seinen Wohlstand. War sie sonst nach seiner Meinung »dümmer als ihre Schmerztabletten«, bei denen sie sich immer »wunderte«, dass sie stets »wussten, wo es ihr wehtat«, hatte sie bei der Anfertigung ihres Ehevertrages offenbar einen lichten Moment gehabt. Oder einen guten Anwalt. Jedenfalls würde Tim im Falle einer Scheidung leer ausgehen. Die Marke »Chaos-Wunder« gehörte ausschließlich Patricia.

Er musste sich also etwas einfallen lassen, und spätestens seit Patricia den Dreh einer Folge »Promis jagen Modeschnäppchen« geschmissen hatte, weil sie ihre Vi­taminpillen mit einem Abführmittel verwechselt hatte, reifte in ihm eine Idee …

*

»Tiiiiimi!«

»Ich komme, Schatz!« Tim Mühle seufzte. Manche Dinge änderten sich nie.

»Rufst du den Zimmerservice!« Das war keine Frage, sondern ein Befehl. »Ich will Toast und ein Fünf-Minuten-Ei. Und russischen Kaviar!« Langsam wurde sie größenwahnsinnig. »Und Champagner, aber Dom Perinonne!« Sie sprach es tatsächlich so aus, obwohl sie die korrekte Artikulation sicher schon 1.000 Mal gehört hatte. Ob sie dies in gespielt naiver Absicht oder aus purer Dummheit tat, war Tim unklar, doch er unterstellte ihr das Zweite.

Er griff zum Hörer und bestellte.

»Wo bleibt meine Brille?«, rief sie aus dem Schlafzimmer ihrer Suite, »du weißt doch, dass ich ohne sie hilflos bin wie ein Baby.«

»Aber lange nicht mehr so niedlich«, murmelte er.

»Hast du was gesagt?«

»Ich habe nur mit dem Zimmerservice gesprochen«, erwiderte er und reichte ihr das Etui.

»Hoffentlich beeilen die sich«, maulte Patricia, »ich habe keine Zeit. Immerhin ist man nicht jeden Tag Stargast bei einer Filmpremiere.«

Tim verdrehte die Augen. Patricia war mitnichten Stargast der heutigen Filmpremiere, die sich am Abend auf der Burgruine zu Wertheim ereignen sollte. Star dieser Veranstaltung war kein Geringerer als Carlo Castens. Der international bekannte Regisseur war in Wertheim ob der Tauber geboren. Deshalb war die Premiere seines neuesten Werks, einer Liebeskomödie mit dem Titel »Sommerwind«, auch in dieser idyllischen Kleinstadt, der nördlichsten Baden-Württembergs, geplant. Und zwar standesgemäß im wunderschönen Ambiente der Burgruine zu Wertheim, im Rahmen und als Highlight der dort stattfindenden diesjährigen Filmfestspiele. Patricia, die in seinem Streifen lediglich eine unbedeutende Nebenrolle spielte, war nur deshalb dazu eingeladen, weil die beiden Hauptdarsteller miteinander zerstritten waren und beide abgesagt hatten, vermuteten sie doch, die oder der jeweils andere würde am Ort des Geschehens auftauchen. Außerdem, so nahm Tim an, war Patricia billiger gewesen. Und zwar in mehrfacher Hinsicht, wie er in Gedanken gehässig hinzufügte.

*

»Wo ist der Kaviar?«, nörgelte Patricia.

»Wahrscheinlich bei den Fischen im Schwarzen Meer, wo er hingehört«, erlaubte Tim sich einen Scherz, der aber ungehört verhallte.

»Hast du keinen Kaviar bestellt?«, beschwerte sich seine Frau.

»Du magst doch gar keine ›Fischeier‹.«

»Das ist egal, Kaviar ist teuer und ich habe etwas zu feiern.« Sie nahm einen Schluck Champagner. »Immerhin ist man nicht jeden Tag Stargast bei einer Filmpremiere«, intonierte sie dann erneut – er sprach leise mit.

Dann schenkte sie sich ein weiteres Glas Champagner ein und bedachte ihn mit einem koketten Aufschlag aus den noch ungeschminkten blauen Augen. »Trink doch auch ein Schlückchen.«

Früher hatte er diesem Blick, ihrem Schlafzimmerblick, nicht widerstehen können, heute fand er ihr laszives Getue einfach nur lächerlich. Da konnte auch die sündhaft teure Nachtwäsche von »Victoria’s Secret« nichts ausrichten.

»Du bist in letzter Zeit ein bisschen unentspannt«, flüsterte sie ihm mit heiserer Stimme ins Ohr. »Vielleicht sollten wir etwas dagegen tun.« Sie strich mit ihrem Zeigefinger über die Knopfleiste seines Hemdes.

Er verdrehte die Augen. »Später, Liebling«, vertröstete er sie. »Spar dir deine Energie für deinen Auftritt. Immerhin ist man nicht jeden Tag Stargast bei einer Filmpremiere.«

Gegen Ironie war Patricia immun. »Wenn du meinst«, ließ sie sich widerwillig von seinem Argument überzeugen. »Vielleicht heute Nacht?« Zu Tims Entsetzen förderte sie ein Döschen mit blauen Pillen zutage und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

»Bist du verrückt? So ein Zeug brauche ich nicht!« Er schnappte nach den Tabletten, die sie schnell hinter ihrem Rücken verschwinden ließ.

»Hol sie dir doch«, lockte sie mit einer Unschuldsmiene, die so falsch war wie ihre künstlichen Wimpern.

»Sei nicht albern. Ich sagte doch: später. Nach der Premierenfeier. Jetzt mach dich schön und halt den Mund.«

Patricia zog einen Schmollmund. »Ich bin überhaupt nicht albern und den Mund lass ich mir von dir schon gar nicht verbieten.« Sie klapperte mit dem Tablettendöschen und drückte ihm demonstrativ ihre Brüste entgegen. »Diese blauen Dinger vollbringen angeblich Wunder.«

Wut kochte in ihm hoch. Wie konnte sie ihm unterstellen, er, Tim Mühle, würde es im Bett nicht mehr bringen? Mühsam beherrscht, wechselte er das Thema: »Ich muss noch dein Köfferchen packen.« Damit erhob er sich und fügte leise hinzu: »Aber heute Nacht, da wirst du dein blaues Wunder erleben, Patricia Wunder!«

*

»Die Burg Wertheim ist eine der größten Burgruinen Süddeutschlands«, erklärte der Fahrer, der sie am frühen Abend zur Premierenfeier brachte. »Sie wurde im 12. Jahrhundert errichtet und in den darauffolgenden Jahrhunderten weiter ausgebaut, im Dreißigjährigen Krieg allerdings weitgehend zerstört. In den 80er-Jahren wurde die Ruine mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg saniert. Seit 1995 ist sie im Besitz der Stadt Wertheim.« Offenbar hatte der junge Mann den Reiseführer auswendig gelernt und ausnahmsweise hielt Pa­tricia seinen Ausführungen nichts entgegen. Stattdessen bestaunte sie mit offenem Mund die festlich beleuchtete Burg. »Der Zugang erfolgt über das Neue Archiv mit seinen prachtvoll stuckierten Festsälen. Das Neue Archiv diente in früherer Zeit als Torhaus und erinnert noch heute an ein solches«, referierte ihr Chauffeur weiter, während sie erwähntes Portal mit seinen beiden beeindruckenden Rundtürmen erreichten.

Carlo Castens stand hier bereits und hielt Hof. Seine Leibwächter sorgten dafür, dass ihm der »Hofstaat« in Form zahlreicher Bewunderer nicht zu nahe kam. Das Kamerateam eines Privatsenders hielt das Ganze für die Nachwelt fest.

»Halten Sie an!«, befahl Patricia.

Der Fahrer tat, wie ihm geheißen. Patricia öffnete noch im Ausrollen die Tür und streckte ihr seidenbestrumpftes Bein hinaus. Ein Großteil der Fans wandte sich daraufhin ihr zu. Hastig stieg Tim aus. Auch wenn sich sein Beschützerinstinkt ihr gegenüber längst im Tiefschlaf befand, so war er doch immer noch ihr Manager. Er drängte ein paar der für seinen Geschmack allzu vorwitzigen Bewunderer zurück und half Patricia aus dem Wagen. Der Blick, den Carlo Castens ihnen über die Menge hinweg zuwarf, war alles andere als liebevoll.

Schon während der Dreharbeiten an seinem Film hatte er keinen Zweifel daran gelassen, was er von dem »Chaos-Wunder« hielt. »Ein talentfreies Sternchen«, so hatte er sie einmal genannt. Aber das Sternchen hatte eben seine Verehrer und ohne die hätte sein Film nicht nur deutlich weniger Aufmerksamkeit während der Produktion bekommen, sondern würde längst nicht die Anzahl an Zuschauern erreichen, die man derzeit prognostizierte.

Patricia posierte für diverse Selfies und auch Tim lichtete sie noch schnell vor der beeindruckenden Kulisse der Burgruine ab, um das Foto ins Netz zu stellen. Kurz darauf hatten bereits ein paar Hundert »Chaos-Wunder«-Fans das Bild mit dem Text »Patricia als Burgfräulein« geliked.

*

Endlich begann die Vorstellung. Tim hatte nach den langen Dankesworten des Regisseurs und peinlichen Szenen Patricias nicht mehr darauf zu hoffen gewagt. Kaum war das Licht aus, öffnete Patricia ihre Handtasche und wühlte im Dunkeln darin herum.

»Was ist denn los?«, knurrte er ihr zu.

»Meine Vitaminpillen, ich hab vergessen, meine ­Vi­tamine zu nehmen. Warum hast du nichts gesagt?«

»Pssst!«, zischte es von hinten.

Patricia maulte weiter. »Du weißt doch, dass ich die immer pünktlich nehmen muss. Nicht umsonst habe ich so eine glatte und ebenmäßige Haut.«

»Du bist hier nicht in einem Werbefilm!«, raunte er zurück. »Deine Tabletten kriegst du noch früh genug.« Zufrieden lehnte er sich in seinem Sitz zurück. Er hatte sie absichtlich nicht erinnert, sein Plan schien aufzugehen.

»Aber ich …«, gab Patricia noch einige Dezibel lauter zurück.

»Ruhe!«, »Pssst!«, tönte es nun von verschiedenen Seiten. Jemand stieß unsanft gegen Patricias Sitzlehne.

»Meine Kontaktlinsen«, kreischte sie daraufhin. »Jetzt sind mir beide Kontaktlinsen runtergefallen!« Sie machte Anstalten, sich auf den Boden niederzulassen.

Tim zerrte sie hastig auf den Sitz zurück. Carlo Castens räusperte sich vernehmlich.

»Asoziales Pack!«, schimpfte jemand leise.

»Ist da jetzt endlich mal Ruhe!«, donnerte ein anderer laut.

Die Einblendung ihres Namens im Vorspann verpasste Patricia. »Ich sehe fast gar nichts«, jammerte sie.

»Dann musst du halt hören«, wisperte Tim zurück, »und jetzt sei endlich still!«

Unruhig rutschte seine Frau auf ihrem Platz hin und her, gab aber keinen weiteren Ton von sich.

Tim wischte sich heimlich den Schweiß von der Stirn. Ein Kleinkind war einfacher im Zaum zu halten. Wie hatte er ihre Ungeschicklichkeit nur irgendwann einmal charmant finden können? Er atmete tief durch. Nicht mehr lange, dachte er. Bisher lief alles nach Plan.

*

Der anschließende Umtrunk fand im Rittersaal der Burgruine Wertheim statt. In dem Gewölbe mit der massiven Steinsäule standen dem Anlass entsprechend geschmückte Stehtische mit bodenlangen weißen Tischdecken, um die sich die Besucher zwanglos gruppieren konnten. Zwei Security-Leute in Ritterrüstung sorgten dafür, dass wirklich nur geladene Gäste Zutritt erhielten. Patricia und Tim benötigten keine Einladungskarte, um hineinzugelangen. Das »Chaos-Wunder« war bekannt.

Tim schob seine Frau mit einem Nicken an den beiden Rittersleuten und ehemaligen Kollegen vorbei.

Patricia kicherte. »Hihi, ich sehe nix.«

Tim hatte darauf verzichtet, ihr ihre Ersatzkontaktlinsen zu geben. Für das, was er vorhatte, war der Zustand, in dem sie sich befand, ideal. »Dann musst du halt fühlen«, raunte er ihr ins Ohr.

»Au, ja!«, sie versuchte, ihre Hand unter sein Hemd zu schieben.

Schnell entwand er sich ihren Zudringlichkeiten. »Lass uns erst ein Glas Champagner trinken.« Er dirigierte sie zu einem der Tische und schnappte schnell zwei Gläser von einem der Tabletts, die als Burgfräulein verkleidete Serviererinnen umhertrugen.

»Weißt du noch, wie wir es in meiner Garderobe bei den Dreharbeiten zu ›Liebestränen‹ getrieben haben?«, fragte Patricia im Flüsterton.

Er sah sich hastig um. Zum Glück waren noch nicht so viele Menschen anwesend, die beiden Sicherheitskräfte am Eingang nahmen ihren Job ernst und so füllte sich der Rittersaal nur langsam. Es war der perfekte Zeitpunkt. »Nimm erst mal deine Vitamintabletten.« Er schob unauffällig ein Pillendöschen zuoberst in ihre geöffnete Handtasche.

Patricia trank einen tiefen Schluck von ihrem Champagner. »Zu Befehl, mein Herr!«, schnarrte sie dann und zog einen Schmollmund. »Holst du mir gleich noch eins?«, deutete sie auf das zur Hälfte geleerte Glas und dann mit dem Kinn auf das Büffet am anderen Ende des Saales. »Und ein paar Häppchen. Dann ist deine liebe Patricia auch ein ganz braves Mädchen und nimmt ihre Pille.«

Wie ihn dieses Kleinmädchengehabe ankotzte! Schnell wandte er sich ab. Aus den Augenwinkeln sah er sie in ihrer Handtasche wühlen. Ja, dachte er frohlockend, nimm sie endlich, deine Vitaminpillen!

*

Eilmeldung am Sonntagmorgen:

Filmpremiere endet tödlich

 

Die bekannte Schauspielerin Patricia Wunder wurde gestern Nacht in die Rotkreuzklinik von Wertheim eingeliefert. Die Mimin erlitt einen schweren Schock, nachdem für ihren Ehemann, Tim Mühle, zuvor jede Hilfe zu spät gekommen war. Das »Chaos-Wunder«, wie Frau Wunder von ihren Fans auch liebevoll genannt wird, gestand Presse und Polizei gegenüber, ihrem Gatten unter dem Namen »Viagra« bekannte Potenzpillen in den Champagner gemischt zu haben. Noch ist unklar, ob diese für das Ableben ihres ehemaligen Leibwächters verantwortlich sind.

Gemäß ersten Andeutungen der Kriminalpolizei kann auch ein Suizid nicht ausgeschlossen werden. Einer anonymen Quelle zufolge hat der Verstorbene in einem Chat im Darknet nämlich nach morphiumhaltigen Tabletten gefragt. Diese gelten als starke Schmerzmittel, machten jedoch in der letzten Zeit auch als Mittel bei Selbsttötungen von sich reden. Mit dieser Tatsache konfrontiert, ist Frau Wunder erneut in Tränen ausgebrochen. Sie habe ihren Ehemann keinesfalls mit ihrem Bedürfnis nach Liebe unter Druck setzen wollen, beteuerte sie gegenüber der Presse. Tatsächlich sei er in letzter Zeit allerdings kaum noch seinen ehelichen Pflichten nachgekommen, weshalb sie ihn gelegentlich geneckt habe.

Die Obduktion und somit Feststellung der tatsächlichen Todesursache ist für den heutigen Tag geplant und bringt hoffentlich endgültige Klärung, ob Selbstmord vorliegt oder ein Unfall .

Patricia Wunder befindet sich auf dem Wege der Besserung und hat für den Herbst ihre Memoiren angekündigt.

02 – Bis dass der Tod uns scheidet (Bronnbach; Kloster)

»Darf ich?« Sie sah Frank aus dunklen Knopfaugen erwartungsvoll an. Ein geriatrisch verkrümmter Finger deutete auf den schmalen Platz links von ihm. Wenn er ehrlich war, wäre er lieber für sich allein geblieben. Doch zahlreiche Besucher bevölkerten an diesem sonnigen Sommernachmittag das Klostergelände und freie Ruheplätze wurden zur Mangelware. Wer war er da, einer alten Frau eine Sitzgelegenheit zu verwehren? »Gerne«, log er deshalb und rückte etwas zur Seite.

Die ältere Dame ließ sich neben ihm auf der Parkbank nieder. Mit ihren weißen, zum Dutt hochgesteckten Haaren und dem altmodischen dunkelblauen Kostüm mit dem weißen Spitzenkragen sah sie ein bisschen so aus wie eine der beiden mörderischen Schwestern aus dem Film »Arsen und Spitzenhäubchen«.

Sie stöhnte. »Ach, die alten Knochen wollen manchmal einfach nicht mehr so recht«, erklärte sie dann. »Da strengt einen das lange Stehen an. Und die Pflanzen hier kenne ich sowieso alle schon.« Ihr Blick wanderte über den Außenbereich des Klosters Bronnbach und blieb an der kleinen Gruppe hängen, die sich soeben zu einer Gartenführung versammelte. »Und Sie?«, wollte sie dann von Frank wissen. »Wollen Sie sich nicht hier umsehen? Es lohnt sich. Sie könnten zum Beispiel das Kloster besichtigen, wenn der Garten Sie nicht so interessiert.« Diesmal zeigte ihr Finger in Richtung des historischen Gebäudes. »Obwohl, der Außenbereich ist wirklich sehenswert. Vor allem der Kräutergarten. Da gibt es nicht nur Küchenkräuter.«

Frank zuckte mit den Schultern. »Kenne ich alles«, beschied er beiläufig und hoffte, seine Sitznachbarin würde ihn nun in Ruhe lassen.

»Dann kommen Sie öfter her?«, wollte die wissen.

»Hm, mit Gästen«, brummte Frank. Er hatte wirklich keine Lust auf ein Gespräch. Es war nicht leicht gewesen, sich einen Moment auszuklinken. Er hatte seinen erst kürzlich beim Joggen verstauchten Knöchel vorgeschützt.

»Sind Sie verheiratet?« Die Alte war ganz schön neugierig.

»Ja«, erwiderte Frank knapp. Den Blick stur auf das Klostergebäude gerichtet. Vielleicht verging ihr durch seine Einsilbigkeit der Spaß an der Konversation.

»Ich war auch verheiratet. Fast 50 Jahre lang, stellen Sie sich das mal vor.«

Das wollte er lieber nicht. Bei ihm stand demnächst der 20. Hochzeitstag an. Er antwortete abermals mit einem kurzen »Hm.«

»Ende 1967 haben wir uns kennengelernt. Da waren Sie wahrscheinlich noch nicht einmal geboren.« Sie musterte ihn neugierig von der Seite.

Frank nickte. »Stimmt, ich bin Jahrgang 1970.«

»Dann haben Sie ja noch fast ihr ganzes Leben vor sich. Haben Sie Kinder?«

Frank seufzte. Seit einer knappen Woche waren er und seine Frau nun täglich mit ihren Freunden unterwegs, die aus Norddeutschland zu Besuch bei ihnen weilten. Das war zwar auf der einen Seite sehr schön, auf der anderen aber auch anstrengend, denn hier in Baden-Württemberg waren noch Sommerferien. Sie mussten also neben dem Programm für ihre Gäste auch für Unterhaltung ihrer Zwillinge Meike und Martha sorgen. Und es war nicht immer einfach, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Der Vorschlag eines Klosterbesuchs hier bei Wertheim war glücklicherweise bei allen auf Zustimmung gestoßen. Seine Frau hatte ihren Töchtern nämlich im Frühjahr eine kleine Ecke ihres heimischen Gartens zur Verfügung gestellt, welche die beiden seither mit großer Begeisterung bewirtschafteten. Ein Hinweis auf den Kräutergarten des Klosters und die Aussicht auf eine Führung hatte genügt. Für später war ein gemeinsames Essen im Restaurant in der Orangerie geplant. Da wäre Frank dann gerne wieder mit von der Partie und würde den munteren Gesellschafter mimen. Aber jetzt brauchte er einfach mal eine Pause.

Die Oma neben ihm ließ jedoch nicht locker. »Oder hat es bis jetzt noch nicht geklappt mit dem Nachwuchs?«, setzte sie mit der Indiskretion nach, die manch älteren Herrschaften zu eigen ist.

»Doch«, gab er schließlich zur Antwort. Und weil sie sogleich mit einem interessierten »Aha!« reagierte und es sowieso mit der Ruhe vorbei war, setzte er hinzu: »Zwei Mädchen, Zwillinge. Sieben Jahre alt.« Die Frage wäre sicher ohnehin gleich gekommen.

»Oh, da ist ja einiges los bei Ihnen. Unser Sohn ist in Ihrem Alter. Der ist natürlich schon seit Jahren aus dem Haus. 1992 ist er ausgezogen. Er lebt in Kassel. Er ist nicht verheiratet und Enkel habe ich leider auch keine.« Sie seufzte.

Frank trommelte mit seinen Fingern auf die Sitzfläche neben sich. Na und?, dachte er herzlos. Das war die übliche Geschichte, wahrscheinlich war es der Frau einfach langweilig. Der Sohn war weit weg und kümmerte sich vermutlich nicht um seine Eltern. Frank selber hatte sich auch schon lange nicht mehr bei seinen Erzeugern gemeldet. Und die wohnten in Wertheim, also quasi um die Ecke.

Der Gedanke an die beiden alten Leutchen und sein damit verbundenes schlechtes Gewissen stimmten ihn gnädiger. »Und Ihr Mann?«, fragte er. Warum der Alten nicht ein bisschen die Zeit mit belanglosem Geplauder vertreiben?

»Der ist tot.«

Mist, Fettnäpfchen zielgenau getroffen. »Das tut mir leid«, antwortete er lahm.

»Ach, das braucht es nicht. Ich bin froh, dass ich ihn loshabe. Er war ein Despot! Ein Tyrann!«

Oha! Was für Töne aus dem Mund dieser reizenden älteren Dame? »Das tut mir leid«, fiel ihm auch darauf keine bessere Antwort ein.

»Ach, mir tut es leid. Und zwar, dass ich mir das alles so lange habe gefallen lassen«, schlug die freundliche Seniorin selbstkritische Töne an. »Aber, wissen Sie …« Sie wandte sich zu ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Ich bin noch eine andere Generation als Sie. Da lässt man sich nicht gleich scheiden.« Ihre Knopfäuglein blickten geistesabwesend in die Ferne. »Tja, früher war nicht alles besser. Mein Vater wollte damals, dass ich Friedrich heirate. Wir hatten eine kleine Schreinerei. Familienbetrieb. Friedrichs Sippe war unser größter Lieferant. Die haben, oder besser gesagt hatten, riesige Grundstücke. Auch viel Wald. Friedrich war der einzige Sohn und handwerklich begabt. Der ideale Schwiegersohn.« Jetzt drehte sie sich wieder ihm zu und musterte ihn aufmerksam. »Meine Eltern hatten beide etwas dagegen, dass ich unseren Betrieb übernehme. Das sollte ihrer Meinung nach ein Mann machen. So waren die Zeiten damals. Eine unverheiratete Frau als Chefin in einem Schreinereibetrieb? Wer würde denn da Aufträge vergeben? Das hat mir mein Vater gleich klargemacht.« Sie ballte ihre runzeligen Hände zu Fäusten. »Ich sollte also heiraten und der passende Kandidat, Friedrich, war ja schon gefunden. Er war im richtigen Alter und brachte gleich Ländereien mit in die Ehe. Und – so schlecht sah er schließlich gar nicht aus – ›der könnte jede haben mit seinem Geld‹.« Sie atmete zitternd aus. »Das hat meine Mutter zu mir gesagt. Von wegen Solidarität unter Frauen!« Nun funkelten ihre dunklen Augen wütend. Ich hätte Nein sagen sollen. Einfach durchbrennen. Aber ich habe mich nicht getraut. Viel musste ich ja nicht tun, außer Ja sagen und möglichst bald für einen Stammhalter sorgen. Nun, wenigstens das ist mir dann gelungen.« Plötzlich klang sie, als sei sie den Tränen nahe.

»Hm.« Mehr fiel Frank nicht dazu ein. Er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Hoffentlich fing die Frau jetzt nicht an zu heulen. Er sah zu der Touristengruppe hinüber, die sich langsam durch den Abteigarten bewegte. Ein Klostermitarbeiter erklärte wild gestikulierend die dort wachsenden Pflanzen.

Der Blick der alten Dame folgte dem seinen, ihre Schultern strafften sich. »Ich hätte mein Schicksal viel früher in die eigene Hand nehmen sollen«, bedauerte sie, nun wieder mit festerer Stimme.

Ein paar Meter entfernt zupfte der Führer im Klostergarten soeben eine Nadel von einem üppigen Rosmarinbusch, zerrieb sie zwischen seinen Fingern und schnupperte daran. Dann forderte er seine Schäfchen um sich herum auf, es ihm gleichzutun.

Einen Moment schwiegen Frank und seine Sitznachbarin, während sie den Fortgang der Gartenführung beobachteten. Dann ging ein Ruck durch die Seniorin. »Wer hätte gedacht, dass das Kloster mit seinem wundervollen Garten die Lösung meines Problems sein könnte.«

Frank räusperte sich. So ganz war ihm nicht klar, wo­rauf die Alte mit diesem Themenwechsel hinauswollte. War sie eben noch ein weinerliches Häufchen Elend gewesen, hörte sie sich nun sehr entschlossen an. Vielleicht war sie ja auch dement? Kam es da nicht immer wieder zu Stimmungsschwankungen? »Äh, sind Sie allein hier?«, fragte er nach. Womöglich war sie aus einem Pflegeheim ausgebüxt und wurde bereits verzweifelt gesucht!

»Nein, nein. Mein Sohn hat mich gefahren. Sonst bin ich ja immer mit der Bahn hierhergekommen und das Stückchen vom Bahnhof gelaufen, aber ich bin nicht mehr die Jüngste.«

»Und wo ist Ihr Sohn jetzt? Besichtigt er das Kloster?« Hoffentlich stimmte die Geschichte.

»Ja, er wollte sich die Kirche anschauen und anschließend in den Klosterladen gehen. Wissen Sie, er lebt in Kassel und kommt nicht so oft dazu, hier einzukaufen.«

Das mit Kassel hatte sie schon erwähnt.

»Er ist der Letzte, der mir von der Familie geblieben ist. Meine Eltern und Schwiegereltern sind schon lange tot. Und mein Mann musste den Betrieb schließlich verkaufen, weil Friedrich junior ihn nicht übernehmen wollte. Tja, da hat ihm sein Stammhalter nichts genutzt. Er hat ihn mit seinem Jähzorn aus dem Haus getrieben.«

Frank hatte inzwischen hinreichend mitbekommen, dass die Ehe der Dame wohl nicht glücklich gewesen war. Dann konnte sie ja froh sein, dass der werte Gatte das Zeitliche gesegnet hatte.

»Ich bin erleichtert, dass er endlich tot ist«, erklärte sie prompt und musterte ihn abermals neugierig: »Sind Sie glücklich verheiratet?«

Frank wand sich. »Was heißt schon glücklich …«

»Sie können sich scheiden lassen. Oder eine Trennung auf Probe vollziehen. Heutzutage geht das alles viel einfacher. Nicht, dass es zu meiner Zeit gar nicht möglich gewesen wäre, aber ich habe da irgendwie den richtigen Zeitpunkt verpasst.« Sie seufzte erneut tief. »Irgendwann saß ich dann da. Mit einem unzufriedenen Ehemann, den ich nie geliebt habe und der aufgrund seiner Herzprobleme unseren Betrieb verkaufen musste, weil er vorher unseren Sohn als möglichen Nachfolger mit seiner Unbeherrschtheit vertrieben hatte.«

Was sollte er dazu noch sagen? Frank schwieg. Seine eigene Ehe wollte er hier und jetzt lieber nicht diskutieren. Schon gar nicht mit einer leicht verwirrten Alten. Denn durcheinander schien seine Sitznachbarin ihm schon zu sein. Zumindest ein kleines bisschen.

»Ich saß also da«, wiederholte sie. »Mit einem unzufriedenen kranken Mann, der außer mir niemanden hatte, den er mit seinen Launen quälen konnte. Was sollte ich da tun?« Das war natürlich eine rhetorische Frage. Wieder vergingen ein paar Sekunden des Schweigens, bevor sie sich ein weiteres Mal Frank zuwandte. Ihr Gesicht näherte sich seinem Ohr. Ihr Atem kitzelte seine Wange. »Wissen Sie, was ich getan habe?«

»N… nein.« Er versuchte auszuweichen.

Pause.

»Ich hab ihn umgebracht.« Sie lehnte sich wieder zurück und verschränkte selbstzufrieden die Arme vor der Brust.

»Aha.« Also war sie doch ein wenig mehr als nur ein bisschen verwirrt. Er rutschte weiter weg von ihr.

»Das war wirklich ganz einfach. Er war ja herzkrank. Hatte ich das schon erwähnt? Schon seit vielen Jahren, aber er ist einfach nicht gestorben.« Jetzt lachte sie leise und es klang durchaus fröhlich. »Und da kam es mir zugute, dass ich mich schon immer für Pflanzenkunde interessiert habe.« Sie deutete in Richtung der Besuchergruppe, die sich wie aufs Stichwort um eine blau blühende Blume gruppierte. »Eisenhut.«

Frank saß bereits auf der äußersten Kante der Bank, weiter konnte er nicht von ihr abrücken. Die Alte war nicht nur ein wenig, nein, sie war komplett durchgeknallt!