Mototherapie bei Sensorischen Integrationsstörungen - Gudrun Kesper - E-Book

Mototherapie bei Sensorischen Integrationsstörungen E-Book

Gudrun Kesper

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Beschreibung

In diesem Buch wird ein klinisch erprobtes, praxisorientiertes Konzept der Mototherapie vorgestellt. Auf den neurophysiologischen Grundlagen der Arbeiten von Jean Ayres sind in diesem Konzept verschiedene Methoden der sensomotorischen Förderung von Kindern eingebunden. Der erste Teil beschreibt die Diagnose und Therapie von Sensorischen Integrationsstörungen mit einer ausführlichen Erläuterung der Elternarbeit und Lehrerberatung. Im zweiten Teil werden die Übungen nach einem Entwicklungsorientierten Aufbau beschrieben, geordnet nach Therapieelementen. Genaue Anwendungshinweise für die im Diagnostik-Kapitel aufgeführten Störungsbilder und weiteren Behinderungen (z. B. Down-Syndrom) runden den Praxisteil ab.

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Gudrun Kesper Cornelia Hottinger

Mototherapie bei Sensorischen Integrationsstörungen

Eine Anleitung zur Praxis

10., durchgesehene Auflage

Mit 79 Abbildungen

Ernst Reinhardt Verlag München

Gudrun Kesper, Motopädin, 26 Jahre am Sozialpädiatrischen Zentrum der Kinderklinik Siegen. Seit über 20 Jahren Fortbildungen für pädagogische und therapeutische Fachkräfte im In- und Ausland. Leitung des SIM-Instituts für Weiterbildung und der Praxis für Mototherapie seit 1998. Kooperationspartner der Donau-Uni in Krems/A. Lehrgangsleitung des postgradualen Uni-Lehrgangs Si-Mototherapie (MSc).

Cornelia Hottinger, Heilerziehungspflegerin und Motopädin, war lange am Sozialpädiatrischen Zentrum der Kinderklinik Siegen, jetzt Freie aktive Schule Wülfrath, Montessori-Ausbildung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03252-5 (Print)

ISBN 978-3-497-61866-8 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61867-5 (EPUB)

10., durchgesehene Auflage

© 2024 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Covermotiv: © Köpenicker – fotolia.com

Satz: Rist Satz & Druck GmbH, 85304 Ilmmünster

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639

München Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Vorwort zur 9. Auflage

Für die 9. Auflage haben wir unser Buch, nachdem es vor 28 Jahren erstmals veröffentlicht wurde, erneut überprüft. Die Beschreibung der Grundlagen der Sensorischen Integration und ihrer Störungen sind unverändert gültig, ihre Behandlung in Gruppen, nach dem beschriebenen Konzept, bewährt sich immer noch, sodass keine grundlegende Überarbeitung erforderlich wurde. Einzig das Literaturverzeichnis haben wir aktualisiert und um einige sehr interessante und hilfreiche Literaturhinweise ergänzt.

Vorwort zur 6. Auflage

Das vorliegende Buch bietet Informationen und Anleitungen für die Diagnostik und Therapie bei Sensorischen Integrationsstörungen und für die Arbeit mit den Eltern betroffener Kinder. Jedes Kapitel ist in sich geschlossen dargestellt; das Buch kann auch als Nachschlagewerk benutzt werden, aus dem einzelne Themen herausgreifbar sind.

Eine Übersichtstafel stellt die neurophysiologischen Grundlagen, die Entwicklung der Psychomotorik, die Diagnostik und den Aufbau der Therapie dar. Sie erleichtert das Lesen des Buches und soll die Einordnung der einzelnen Inhalte in das Gesamtkonzept übersichtlicher machen.

Das Konzept wurde von uns über viele Jahre in der klinischen Praxis des Sozialpädiatrischen Zentrums der DRK-Kinderklinik in Siegen entwickelt und erprobt. Das integrative Konzept des Sozialpädiatrischen Zentrums (Leitung Dr. J. Pelster) und der rege Austausch mit den Kollegen der anderen Fachbereiche im Zentrum gaben uns viele Anregungen und ließen uns unsere Arbeit immer wieder neu überdenken. Das vorliegende Buch erhebt nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Abhandlung, sondern berichtet über unsere tägliche praktische Arbeit mit den Kindern.

Wir verwenden den Begriff „die Therapeutin“, schließen aber damit unsere männlichen und alle pädagogischen und therapeutischen Kollegen selbstverständlich ein.

Zum Abschluss möchten wir unseren Dank an alle aussprechen, die uns bei der Entstehung dieses Buches unterstützt haben. Unser besonderer Dank gilt Jutta Berg, die mit großem Engagement das Tippen des Manuskripts übernahm. Wir danken Horstgünther Siemon, der treffsicher die Fotos schoss, und den Eltern und Kindern, die beim Fotografieren mit großer Freude mitmachten.

Gudrun KesperCornelia Hottinger

Inhalt

1.Einleitung

2.Grundlagen der Sensorischen Integration

2.1.Aufbau und Funktion des Gehirns

2.1.1.Der Hirnstamm

2.1.2.Das Kleinhirn

2.1.3.Das Zwischenhirn

2.1.4.Der Balken

2.1.5.Limbisches System oder der „alte Kortex“

2.1.6.Die Großhirnrinde (Neokortex)

2.1.7.Die Funktionsprinzipien des Gehirns

2.2.Entwicklung der kindlichen Motorik

2.2.1.Die wichtigsten Schritte der grobmotorischen Bewegungsmuster

2.2.2.Die Prinzipien der motorischen Entwicklung

2.2.3.Die frühkindlichen und persistierenden Reflexe

2.2.4.Die Beschreibung der tonischen Nackenreflexe

2.3.Entwicklung der Wahrnehmung

2.3.1.Der Hautsinn oder die taktile Wahrnehmung

2.3.2.Der Stellungs- und Spannungssinn, die Tiefensensibilität oder kinästhetische Wahrnehmung

2.3.3.Der Gleichgewichtssinn oder die vestibuläre Wahrnehmung

2.3.4.Der Geruchssinn

2.3.5.Der Geschmackssinn

2.3.6.Der Gehörsinn

2.3.7.Der Gesichtssinn oder das Sehen

2.3.8.Die Wahrnehmungsverarbeitung

3.Sensorische Integration

3.1.Was ist Sensorische Integration?

3.1.1.Die Handlungsebenen

3.1.2.Verhalten eines gut sensorisch integrierten Kindes

3.1.3.Prinzip der verschiedenen Funktionsebenen

3.2.Bereiche der Sensorischen Integration

3.2.1.Taktil-kinästhetischer Bereich

3.2.2.Vestibulärer Bereich

3.2.3.Körperorientierung

3.2.4.Praxie (Bewegungsplanung)

3.3.Störungen der Sensorischen Integration

3.3.1.Taktil-kinästhetischer Bereich

3.3.2.Vestibulärer Bereich

3.3.3.Körperorientierung

3.3.4.Dyspraxie

4.Sensorisch-integrative Motodiagnostik

4.1.Verlauf des diagnostischen Prozesses

4.1.1.Ärztliche Untersuchung

4.1.2.Indikationen zur Mototherapie

4.1.3.Erstgespräch mit den Eltern

4.1.4.Elternfragebogen zur Verhaltensbeobachtung

4.1.5.Gespräch mit Erziehern/Lehrern

4.2.Klinische Beobachtung

4.2.1.Organisation der klinischen Beobachtung

4.2.2.Beobachtungen zum Verhalten und zur Motorik

4.3.Beschreibung der Beobachtungsaufgaben

4.3.1.Aufgabe 1: Bild ergänzen nach Vorlage (Grafomotorik)

4.3.2.Aufgabe 2: Eine Linie ziehen (Grafomotorik)

4.3.3.Aufgabe 3: Hautreaktion (Taktile Sensibilität)

4.3.4.Aufgabe 4: Punkte lokalisieren und diskriminieren (Taktile Wahrnehmung)

4.3.5.Aufgabe 5: Ertasten von Formen (Tastwahrnehmung)

4.3.6.Aufgabe 6: Formen erkennen und zeichnen (Hautzeichnung)

4.3.7.Aufgabe 7: Fingerdifferenzierung (Kinästhesie)

4.3.8.Aufgabe 8: Fußdifferenzierung (Kinästhesie)

4.3.9.Aufgabe 9: Augenmuskelkontrolle (Vestibulärer Bereich)

4.3.10.Aufgabe 10: Armstellungen nachahmen und Körperteile benennen (Körperschema)

4.3.11.Aufgabe 11: Nachklatschen (Bewegungsplanung)

4.3.12.Aufgabe 12: Nachlegen von Formen (Bewegungsplanung)

4.3.13.Aufgabe 13: Reihenfolge erkennen und nachlegen (Bewegungsplanung)

4.3.14.Aufgabe 14: Übungen auf dem Rollbrett (Stellungsintegration)

4.3.15.Aufgabe 15: Rolle vorwärts (Stellungsintegration)

4.3.16.Aufgabe 16: Krabbeln mit Sandsäckchen auf dem Kopf (Stellungsintegration – Handstütz)

4.3.17.Aufgabe 17: Gehen mit geschlossenen Augen (Raumwahrnehmung, kinästhetische Wahrnehmung, Gleichgewicht)

4.3.18.Aufgabe 18: Drehen auf dem Rollbrett (Nystagmus)

4.3.19.Aufgabe 19: Einbeinstand (Gleichgewicht)

4.3.20.Aufgabe 20: Hüpfen (Lateralisation)

4.3.21.Aufgabe 21: Balancieren auf einer Linie (Gleichgewicht)

4.3.22.Aufgabe 22: Beidhändiges Fangen (Bilateralintegration)

4.3.23.Aufgabe 23: Armkreise (Stellungsintegration)

4.3.24.Aufgabe 24: Beobachtungen bei den Aufgaben

4.4.Differenzialdiagnostik

4.4.1.Hyperaktivität

4.4.2.Autistische Züge

4.4.3.Dyspraxie

4.4.4.Grafomotorische Störungen

4.4.5.Umerzogene Linkshänder

4.4.6.Lese-Rechtschreib-Schwäche

4.4.7.Dyskalkulie

4.5.Auswertung und Zielplanung

5.Elternkonzept

5.1.Erstgespräch

5.2.Beratung

5.3.Therapie

5.3.1.Verarbeitung von Behinderung/Störung

5.3.2.Hilfestellung in der Verarbeitung

5.3.3.Therapeutinnenverhalten

6.Sensorisch-integrative Mototherapie

6.1.Therapieplanung

6.1.1.Struktur des therapeutischen Prozesses

6.1.2.Beratung von Lehrern und Erziehern

6.1.3.Einzelbehandlung

6.1.4.Gruppenbehandlung

6.2.Arbeitsmethoden

6.2.1.Die allgemeinfördernden Maßnahmen

6.2.2.Therapeutinnenverhalten

6.2.3.Individualisierende Maßnahmen

6.3.Therapieziele

6.4.Elemente der Therapie

6.4.1.Taktil-kinästhetischer Bereich

6.4.2.Vestibulärer Bereich

6.4.3.Körperorientierung

6.4.4.Praxie

6.5.Struktur der Therapiestunde

6.6.Verlauf einer Behandlung

6.7.Anwendungsbeispiele

6.7.1.Hyperaktivität

6.7.2.Autistische Züge

6.7.3.Aggressive Verhaltensweisen

6.7.4.Dyspraxie

6.7.5.Down-Syndrom

6.7.6.Mehrfachbehinderungen

6.7.7.Störungen der Augenmuskelkontrolle (Schielen)

6.7.8.Athetoide und ataktische Mitbewegungen

6.7.9.Sprachstörungen

7.Praxis der Mototherapie

7.1.Taktil-kinästhetischer Bereich

7.1.1.Taktil-kinästhetische Stimulation (Therapieelement A1)

7.1.2.Übungen zur taktilen Wahrnehmung (Therapieelement A2)

7.1.3.Kinästhetische Stimulation (Therapieelement B1)

7.1.4.Übungen zur kinästhetischen Wahrnehmung (Therapieelement B2)

7.2.Vestibulärer Bereich

7.2.1.Vestibuläre Stimulation und Übungen zum Gleichgewicht (Therapieelement C)

7.2.2.Systematische Übungen zur Stellungsintegration und Augenmuskelkontrolle (Therapieelement D)

7.3.Körperorientierung

7.3.1.Aktive Finger- und Fußübungen (Therapieelement E)

7.3.2.Aufbau der Lokomotion (Therapieelement F)

7.4.Praxie

7.4.1.Auge-Hand- und Auge-Fuß-Koordination (Therapieelement G)

7.4.2.Kombinationen von Bewegungsmustern, konstruktive Aufgabenlösungen (Therapieelement H)

7.4.3.Kooperationsspiele, Regelspiele, Spiele ohne Sieger (Therapieelement I)

7.4.4.Pantomimische Spiele, einfache Tänze (Therapieelement K)

8.Anhang

8.1.Liste der Therapiematerialien

8.2.Literatur

Eine Übersichtstafel „Mototherapie bei Sensorischen Integrationsstörungen“ ist als Poster diesem Buch beigelegt.

Weiterbildungsseminare zum Thema des Buches

Info und Anmeldung:

SIM – Institut für Weiterbildung und Praxis für Mototherapie

Unterer Hardtweg 17,57462 Olpe, Tel. +49(0)2761/969847

E-Mail: [email protected], Net: www.sim-kurse.de

1. Einleitung

In den vergangenen Jahren beschäftigten sich immer mehr Mediziner, Therapeuten und Pädagogen mit dem Thema der Lern- und Verhaltensauffällig-keiten/-störungen bei Kindern. In diesem Zusammenhang wurden viele Bezeichnungen für gleiche oder ähnliche Störungen geschaffen, z. B. Minimale cerebrale Dysfunktion (MCD), Hyperkinetisches Syndrom (HKS) oder Zentrale Koordinations- und Tonusstörungen (ZKTS), Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS, ADHS). Diese Begriffe umfassen eine Vielzahl von Störungen, die in unterschiedlichen Kombinationen auftreten können, beschreiben jedoch die individuellen Störungen eines Kindes nicht.

Gleichgewichtsprobleme, mangelhafte oder verarmte Bewegungsmuster, Steuerungsprobleme, Lern- und/oder Sprachstörungen, sekundäre Verhaltensprobleme – dies sind Auffälligkeiten, die mit den verschiedenen Bezeichnungen in Zusammenhang gebracht werden.

Bei der Suche nach geeigneten Therapiemaßnahmen wurde ein Ansatz plötzlich ganz aktuell, die Sensorische Integration: Sensorische Integration als therapeutische Möglichkeit, Kindern mit Lern- und Verhaltensproblemen zu helfen. Das ist richtig, wenn die Sensorische Integration als ein neuropsychologisches Entwicklungsprinzip verstanden wird, von dem das therapeutische Vorgehen abgeleitet wird. Falsch wird die Aussage, wenn Sensorische Integration als eine Methode der Therapie gesehen wird.

Die neurophysiologischen Grundlagen und die sensorischen und motorischen Entwicklungsschritte wurden von J. Ayres ausführlich beschrieben. Die Störungen im Prozess der Sensorischen Integration brachte sie mit Auffälligkeiten im Verhalten und Lernen in Zusammenhang. Ayres hatte damit eine wichtige und bedeutsame Grundlage für die Arbeit mit lern- und verhaltensauffälligen Kindern geschaffen, da sie deren Störungen und Auffälligkeiten in Beziehung zu neurologischen Funktionen bzw. Funktionsausfällen setzte. Vielfältige und vieldeutige Symptome lassen jedoch keine kausalen Rückschlüsse auf die Ursache oder die zu erwartende Störung zu. Zur Beurteilung des Stellenwertes einer Funktionsstörung in der Gesamtpersönlichkeit ist die Einschränkung entscheidend, die das Kind in seiner Entwicklung erfahren hat. Entwicklungsblockaden aufgrund von Funktionsstörungen können durch ein optimales Umfeld weitgehend kompensiert oder überlagert werden, ohne zu störendem oder auffälligem Verhalten zu führen.

Ausgehend von diesen Überlegungen schien es uns erforderlich, ein Konzept auf der Grundlage neurophysiologischer Zusammenhänge, der Sensorischen Integration und ihrer ungestörten Entwicklung zu erstellen, in dem die Eltern mit ihren Wünschen, Vorstellungen, Sorgen und Ängsten sowie das erweiterte soziale Umfeld einen bedeutsamen Platz einnehmen. Dieses umfassende Konzept der Diagnostik und Therapie von Sensorischen Integrationsstörungen mit der Einbeziehung, Anleitung und Beratung der Eltern beruht auf der ganzheitlichen Betrachtung des Kindes in seiner individuellen Persönlichkeit und Problematik und den Bedingungen und Anforderungen seines sozialen Umfeldes.

Die Diagnostik orientiert sich an der störungsfreien Entwicklung und untersucht die Qualität von Motorik und Wahrnehmung, die nicht nur altersbezogen betrachtet wird, sondern im Zusammenhang mit den Auffälligkeiten im Lern- und Sozialverhalten. Die diagnostischen Daten aus verschiedenen Lebensbereichen werden untereinander verglichen und es wird geprüft, ob ein Zusammenhang zwischen der Symptomatik und den psychomotorischen Störungen festzustellen ist.

Die Vervollständigung der „sensomotorischen Basis“ von Lernen und Verhalten und die Veränderungen des sozialen Umfeldes durch die aktive Mitgestaltung von Eltern, Erziehern/Lehrern ist die Grundlage der Mototherapie. Am effektivsten kann die Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit in einer unter therapeutischen Gesichtspunkten zusammengestellten Gruppe mit Eltern und Kindern gefördert werden.

Das therapiebegleitende Elternkonzept will den Eltern helfen, mehr Verständnis für ihr Kind aufzubauen und geeignete Bedingungen zur Entwicklung der individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Kindes zu schaffen, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der gesamten Familie. Der Alltag soll dadurch nicht zur Therapie werden, sondern die Therapie wird in den Alltag integriert. In einem gemeinsamen Gespräch werden Lehrer oder Erzieher über die Störung des Kindes aufgeklärt und durch Maßnahmen, zugeschnitten auf ihr Aufgabenfeld, an der Förderung beteiligt.

In zahlreichen Fortbildungen für verschiedene Berufe, die in der Frühförderung tätig sind, ist dieses Konzept der Mototherapie weitergegeben worden. Die Rückmeldungen der Teilnehmer haben gezeigt, dass das Konzept, leicht modifiziert, erfolgreich auf verschiedene Einrichtungen übertragbar ist.

2. Grundlagen der Sensorischen Integration

In diesem Kapitel werden der Aufbau, die Funktionen und Funktionsprinzipien des Gehirns beschrieben. Die motorischen Entwicklungsprinzipien stellen die Grundlage dar, an die sich die entwicklungsorientierte Bewegungsförderung anlehnt. Die Kenntnis der frühkindlichen Reflexe und ihrer möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung ist notwendig, um Bewegungsstörungen und Verhaltensweisen eines Kindes einordnen und gezielte Übungen zur Verbesserung anbieten zu können. Die Beschreibung der einzelnen Sinnessysteme sowie deren Funktionen in der Entwicklung des Kindes lässt verstehen, dass viele kognitive Funktionen das Endprodukt sensorischer Integrationsprozesse darstellen. Die sinngebende Verarbeitung von Wahrnehmungsreizen beschreibt die Entwicklung des Lernens auf der Basis der Ausbildung eines erfahrungsbedingten Gedächtnisses.

Neurophysiologische Prozesse sind immer an Verhalten, Motorik und Lernen beteiligt. Die Zusammenhänge neurophysiologischer Funktionen ergeben Aufschlüsse über die Entstehung vieler Fähigkeiten; sie zeigen Erklärungsmöglichkeiten und Hinweise auf Störungen sowie einen möglichen Ansatzpunkt in der Förderung. Neurologische Symptome sind kein statischer Zustand, sondern sie sind durch ein adäquates Übungsangebot und ein positives Einwirken des sozialen Umfeldes beeinflussbar. Für das Verständnis Sensorischer Integrationsstörungen halten wir deshalb die Beschreibung neurophysiologischer und entwicklungspsychologischer Grundlagen für sehr wichtig. In den Erläuterungen werden wir uns auf die Aspekte beziehen, die uns für die praktische Arbeit Hinweise und Zusammenhänge liefern.

2.1. Aufbau und Funktion des Gehirns

Die Phylogenese beschreibt die stammesgeschichtliche Entwicklung des Gehirns aus einfachen Gehirnstrukturen zu dem hochentwickelten und komplizierten Gebilde des menschlichen Gehirns. Neue Gehirnstrukturen kamen zu den bereits vorhandenen hinzu, ohne diese jedoch zu ersetzen.

Der Antrieb für diese Gehirnentwicklung war ein lang anhaltender umweltbedingter Stress, der so auf die Art einwirkte, dass diese quasi „gezwungen“ war, (im Rahmen der Evolutionsmechanismen) neue Gehirnstrukturen auszubilden, um den Anforderungen der Umwelt weiterhin gerecht werden zu können. Das Nervensystem der Wirbeltiere entwickelte sich aus dem Neuralrohr, einem einzigen Nervenstrang, der es dem Tier ermöglichte, einfache Interpretationen der Umweltreize und Reaktionen auszubilden. Das Hinzukommen des Hirnstammes erweiterte die Fähigkeit des Organismus, sensorische Reize differenzierter zu interpretieren und qualifiziertere Verhaltensmuster auszubilden als es durch das Neuralrohr möglich war. Der Hirnstamm, einschließlich des Thalamus, stellte lange Zeit das höchste Zentrum neuraler Prozesse dar. Mit der Entwicklung der Hemisphären konnten zusätzliche Fähigkeiten ausgebildet werden. Erst durch die Weiterentwicklung der auditiven Zentren z.B. konnten sich auch die Sprachzentren ausbilden. Das Hinzukommen neuer Gehirnstrukturen ermöglichte ein Anwachsen der Qualität und Quantität des Austausches zwischen dem Organismus und der Umwelt.

Aus der phylogenetischen Entwicklung des Gehirns lässt sich ableiten, dass Funktionen, die überwiegend von der Großhirnrinde gesteuert werden, also von einer kortikal höheren Funktionsebene, ohne ausreichende Funktionen der subkortikalen Gehirnstrukturen (wie z.B. des Hirnstamms und des Zwischenhirns) sich nicht umfassend und ausreichend entwickeln können. Erst die optimale Funktion der „niederen“ Gehirnstrukturen lässt eine adäquate und komplexe Verarbeitung auf kortikaler Ebene entstehen.

Taktile Reize müssen auf Hirnstammniveau entsprechend verarbeitet und mit sensorischen Daten aus anderen Sinneskanälen verknüpft werden, sodass sie der Großhirnrinde als präzise Empfindung bewusst werden und eine entsprechende Reizantwort eingeleitet werden kann.

Das Gehirn ist der in der knöchernen Schädelhöhle liegende Teil des zentralen Nervensystems (ZNS). Das ZNS setzt sich zusammen aus Rückenmark und Gehirn. Im Gehirn unterscheidet man verschiedene Abschnitte (vgl. Abb. 1).Jedem dieser Gehirnabschnitte kommen bestimmte Funktionen zu, die im Folgenden beschrieben werden, wobei immer nur die Aspekte beschrieben werden, die für die Sensorische Integration von besonderer Bedeutung sind:

1. Hirnstamm mitFormatio reticularis (1a).

2. Kleinhirn (Cerebellum).

3. Zwischenhirn mit Thalamus und Basalganglien.

4. Balken (Corpus callosum).

5. Limbisches System oder der „alte Kortex“.

6. Großhirnrinde (Neokortex).

Abb. 1: Schematische Übersicht über die Abschnitte des Gehirns (Erläuterung im Text)

2.1.1. Der Hirnstamm

Stammesgeschichtlich gesehen ist der Hirnstamm der „alte“ Teil des Gehirns. Man unterscheidet im Hirnstamm das verlängerte Rückenmark (Medulla oblongata), die Brücke (Pons), das Mittelhirn und die Formatio reticularis. Der Hirnstamm nimmt eine zentrale Stellung im Nervensystem ein, denn hier laufen viele Nervenbahnen aus allen Gehirngebieten (Rückenmark, Kleinhirn, Großhirn) zusammen. Impulse werden vom Hirnstamm zu den entsprechenden Kerngebieten der Großhirnrinde weitergeleitet. Nur was auf Hirnstammniveau adäquat verarbeitet wird, kann von der Großhirnrinde als Information genutzt werden, um Impulse für eine angemessene Reaktion zu produzieren. Die Integration der Sinnesreize auf Hirnstammniveau stellt so die Grundlage dar, auf der sich Lernen entwickeln kann. Der Hirnstamm ist über die Steuerung einfacher Halte- und Stellreflexe verantwortlich für die Kontrolle des Körpers im Raum. Über Hirnstammmechanismen werden einfache Kopf- und Augenbewegungen gesteuert. Der Hirnstamm regelt auch lebenswichtige Funktionen wie Atmung und Kreislauf. Saugen und Schlucken sind ebenso Funktionen, die von Hirnstammmechanismen gesteuert werden.

Die Formatio reticularis ist eine netzförmige, wenig gegliederte Nervenmasse, die ganz zentral im Hirnstamm liegt. Sie erhält sensorische Informationen aus allen Sinnesgebieten und stellt ein wichtiges Zentrum zur Integration aller hier einlaufenden Informationen dar. Die Informationen werden dort miteinander verknüpft und ergänzt für die weitere Verarbeitung auf höheren Funktionsebenen. Einen ganz besonderen Zugang zur Formatio reticularis haben taktile, kinästhetische und vestibuläre Reize.

Die Formatio reticularis unterliegt Einflüssen aus allen Gehirngebieten, sie hat einen weitreichenden Einfluss auf den Rest des Gehirns. Sie stellt den Hauptkontrollmechanismus des ZNS dar; ihre Hauptfunktion ist es, die Großhirnrinde zu wecken. Über aufsteigende Impulse steuert sie den Wachheitszustand und den Grad der Aufmerksamkeit des ZNS. Ein aufmerksamer Organismus ist in der Lage, mehr Informationen über einen Reiz zu erhalten und wird dadurch besser auf effektivere Reaktionen vorbereitet. Eine weitere Funktion der Formatio reticularis ist die Hemmung oder Verstärkung von sensorischen Reizen auf dem gesamten Übertragungsweg eines Reizes von der Befehlszelle bis zur Großhirnrinde. Durch ihre diskriminative und differenzielle Funktion, das heißt, einen sensorischen Reiz durch die Hemmung anderer Reize hervorzuheben, schützt sie das Gehirn vor Reizüberflutung. Besondere Aufmerksamkeit für einen Reiz wird gebraucht, um diese Information für eine adäquate Interaktion mit der Umwelt zu nutzen.

Die Dysfunktion dieser diskriminativen Mechanismen zeigt sich in Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität, Störungen der Aufmerksamkeit oder des Wachheitszustandes. Viele Lernstörungen, aber auch Störungen der Haltungskontrolle, der Augenmuskelkontrolle sowie ein abnormaler Muskeltonus lassen sich mit Dysfunktionen der Formatio reticularis und des Hirnstammes in Verbindung bringen.

2.1.2. Das Kleinhirn

Das Kleinhirn ist an der Feinsteuerung der Körperbewegung und -haltung beteiligt und ermöglicht die Erhaltung des Gleichgewichts. Der Ursprung des Kleinhirns und des Labyrinths im Ohr aus gemeinsamen Nervensträngen erklärt und beschreibt die Funktion des Kleinhirns beim Menschen. Das Kleinhirn steht in enger Verbindung mit Hirnstamm und Großhirnrinde. Zur Bewältigung seiner Funktionen – Koordination von Bewegungen, Speicherung von willkürlichen Bewegungsmustern, Verknüpfung von Haltung und Bewegung, Aufrechterhaltung des Gleichgewichts, Steuerung des Zusammenspiels der Muskeln – ist das Kleinhirn abhängig von Informationen aus dem taktilen, kinästhetischen und vestibulären Bereich.

2.1.3. Das Zwischenhirn

a) Der Thalamus

Der Thalamus ist eine der mächtigsten Ansammlungen von Kernen im zentralen Nervensystem. Er steht in Verbindung mit Kleinhirn, Hirnstamm und Großhirn. Alle einlaufenden Sinneserregungen werden dort gefiltert und übersetzt für die Verarbeitung in der Großhirnrinde. Der Thalamus gilt als „Tor des Bewusstseins“, denn alles, was als Empfindung bewusst werden soll, wird vom Thalamus weitergeleitet. Über den Thalamus werden Tastempfindungen, Tiefensensibilität, Temperatur- und Schmerzempfindungen integriert. Im Thalamus werden Informationen zu elementaren Gefühlen und Gemütszuständen wie Freude, Angst und Lust ausgewertet.

b) Die Basalganglien

Die Basalganglien sind eine Masse von subkortikaler Substanz. Sie beeinflussen die Regulation der Haltung und der Bewegung des Körpers im Raum und sind an der Planung und Ausführung auch komplexerer motorischer Handlungen beteiligt. Die Basalganglien sind im Prozess der sensorischen Integration von Bedeutung, da sie sensorischen Informationen eine gegenseitige Beeinflussung ermöglichen, um sie für die verhältnismäßig komplexe Aufgabe der Haltung und Körperbewegung sinnvoll zu nutzen. Die Basalganglien vermitteln ein angepasstes Bewegungsverhalten, das komplexer und weniger stereotyp ist als das Verhalten, das durch den Hirnstamm gesteuert wird. Es ist jedoch auch nicht so differenziert und präzise wie die Bewegungen und Verhaltensweisen, die die Großhirnrinde ermöglicht.

2.1.4. Der Balken

Der Balken ist eine Masse markhaltiger Nervenfasern. Im Balken kreuzen die Axone der Nervenzellen zur jeweils gegenüberliegenden Großhirnhemisphäre. Er stellt die Verbindung zwischen beiden Hemisphären her, sodass ein Austausch der Informationen zur Bewältigung komplexer Leistungen gegeben ist.

2.1.5. Limbisches System oder der „alte Kortex“

Das Limbische System ist ein komplexes Gebilde aus mehreren Hirnstrukturen. Es legt sich wie ein Ring um den Balken. Es steht mit allen sensorischen Systemen in Verbindung und stellt die Verknüpfung aller Informationen her. Reize, Empfindungen, Eindrücke werden auf dieser Verarbeitungsstufe erstmals bewusst erlebt. Das Limbische System steuert einfache Grobbewegungen und Fortbewegungsmuster. Es ist an der Entstehung der Gefühle und gefühlsbetonter Verhaltensweisen beteiligt. Über das Limbische System erhalten alle Informationen und Lernvorgänge ihre affektive Färbung und Bewertung, wichtig oder unwichtig, angenehm oder unangenehm. Von daher sind alle Lernprozesse immer mit Emotionen verknüpft. Das Speichern von Informationen vor allem im Kurzzeitgedächtnis ist unter anderem eine Funktion des Limbischen Systems.

2.1.6. Die Großhirnrinde (Neokortex)

Die Großhirnrinde ist eine stark gefaltete Nervengewebsschicht, die sich wie ein Mantel um die vorher genannten Gehirnstrukturen legt. Sie steuert Funktionen wie Bewusstsein, Denken, Sprache, Körpergefühl. Die Großhirnrinde wird in spezifische und unspezifische Gebiete eingeteilt.

Die spezifischen Rindenareale können entweder in einer festen Beziehung zu bestimmten Sinnesbereichen stehen oder sie übernehmen die Steuerung spezifischer Muskelgruppen. Mit den unspezifischen Rindenarealen vermag der Mensch eine ganze Reihe menschlicher Verhaltensweisen auszubilden, wie Phantasien, Denkmodelle, Wesenszüge.

Die Großhirnrinde ist in zwei Hemisphären aufgeteilt, die jeweils spezifische Aufgaben übernehmen (siehe funktionale Asymmetrie 2.1.7. f.). Der Balken integriert die unterschiedlichen Funktionen beider Gehirnhälften, da an dieser Stelle die Axone der Nervenzellen der einen Hemisphäre zur jeweils gegenüberliegenden Hemisphäre kreuzen. Dadurch ist der Austausch von Informationen, die Überleitung von Erinnerungs- und Lerninhalten gewährleistet und ein unvermeidliches Chaos im Gehirn ausgeschlossen. Erst durch die Interaktion beider Großhirnhemisphären werden Aufrichtung, Fortbewegung, das Einhalten einer Bewegungsrichtung möglich, da diese Funktionen das dosierte und feinabgestimmte Zusammenspiel beider Körperhälften erforderlich machen. Bei völlig fehlender Funktionsintegration der beiden Gehirnhälften wüsste die eine Körperhälfte nicht, was die andere tut.

Jedoch wird vermutet, dass auch noch andere interhemisphärisch integrierende Mechanismen im Gehirn vorhanden sind bzw. ausgebildet werden können. So konnten bei Epilepsie-Patienten, bei denen aus therapeutischen Gesichtspunkten der Balken durchtrennt wurde, weiterhin bilaterale Aktivitäten beobachtet werden. Die Spezialisierung der Großhirnhemisphären auf spezifische und differenzierte Funktionen macht den Informationsaustausch unbedingt erforderlich. Die Lateralisierung der Hemisphären stellt aber auch die Grundlage dar für die Entwicklung der Händigkeit oder Handdominanz und der Fähigkeit, die Körpermitte zu überkreuzen. Die Großhirnrinde kann nur diejenigen Informationen verarbeiten, die von den niedrigen oder subkortikalen Gehirnstrukturen entsprechend weitergeleitet werden. Sie ist abhängig von dem optimalen Funktionieren subkortikaler Gehirnstrukturen, beeinflusst und begrenzt aber auch deren Aktivitäten.

2.1.7. Die Funktionsprinzipien des Gehirns

Die Funktionsprinzipien werden als Hypothesen beschrieben. Sie stellen Erklärungskonstrukte dar, die im Einzelnen nie so beobachtet werden können wie sie im Folgenden dargestellt sind. Beobachtbare Reaktionen erfordern immer die gleichzeitige Funktion mehrerer Mechanismen. Aber die Funktionsprinzipien können uns wichtige Hinweise für die Therapie, den Therapieaufbau sowie die therapeutische Vorgehensweise liefern.

a) Die Interdependenz der Gehirnstrukturen

Das Gehirn funktioniert im Wesentlichen immer als Ganzes. Kein Teil des Gehirns kann isoliert oder unabhängig von anderen Gehirnstrukturen arbeiten. Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Gehirnstrukturen, die sich auf die Effizienz einer Funktion bezieht, jedoch nicht auf deren Funktionsfähigkeit. Je größer die Interaktion zwischen verschiedenen Gehirnstrukturen ist, desto größer ist auch die adaptive Kapazität und desto mehr Reaktionsmöglichkeiten bestehen. Die Großhirnrinde kann einen taktilen Reiz erst als eine freundliche Art der Berührung interpretieren, wenn der Reiz differenziert und exakt im Einklang mit Wahrnehmungen anderer Sinnesbereiche vom Hirnstamm weitergeleitet wird.

b) Die Plastizität des Gehirns

Der Teilungsvorgang der Nervenzellen im Gehirn ist vorgeburtlich ab der 22. Schwangerschaftswoche weitgehend abgeschlossen. Das weitere Wachstum des Gehirns beruht auf der Entwicklung der Nervenfortsätze und der Synapsen. Es werden zwei Arten von Nervenfortsätzen ausgebildet. Zum einen die Axone, zum anderen die Dendriten. Jede Nervenzelle bildet in der Regel ein Axon aus. Dieses Axon zeigt wenige Verzweigungen auf. Über das Axon werden Informationen an andere Zellen weitergeleitet. Jede Zelle besitzt eine große Anzahl von Dendriten, die eine Vielzahl von Verzweigungen aufzeigen, den sogenannten Dendritenbaum. Die Dendriten nehmen Informationen auf, die von den Axonen weitergeleitet werden, um sie an die Nervenzellen weiterzugeben. Die Dendriten übernehmen in der Informationsweiterleitung keine aktive Funktion, sie haben die Aufgabe eines Empfangs-systems.

Die Synapsen sind die Verbindungsstellen der Axone mit anderen Zellen (Nerven-, Muskel- oder Drüsenzellen) oder deren Dendriten. An den Synapsen werden Informationen übermittelt, im zentralen Nervensystem überwiegend auf chemischem Weg. Es werden zwei Arten von Synapsen unterschieden. Die aktivierenden oder erregenden Synapsen geben Informationen weiter, die hemmenden Synapsen können einen Informationsfluss stoppen.

Die optimale Hirnfunktion ist abhängig von einer ausreichenden Anzahl von Dendriten sowie von der schnellen und störungsfreien Weiterleitung der Informationen über die Synapsen. Erst dadurch kann eine Vielzahl von Informationen zusammengeführt, ausgetauscht und verglichen werden.

Die Ausbildung der Dendriten und der Synapsen ist abhängig von einem adäquaten Reizangebot. Ein geringes Angebot an Reizen oder gar Reizentzug führen zu einer Störung der Entwicklung des Dendritenbaumes, Synapsen werden lahmgelegt, die Funktionsfähigkeit des Gehirns reduziert sich. Sensorische Reize sind, wie J. Ayres beschreibt, Nahrung für das Gehirn. Das Gehirn ist in den ersten Lebensjahren besonders veränder- und beeinflussbar. Die Plastizität des Gehirns geht mit den Jahren zurück. Die neurologische Organisation wird überwiegend im ersten Lebensjahrzehnt abgeschlossen. Es wäre falsch, nun anzunehmen, das kindliche Gehirn verändere sich nur in seinem ersten Lebensjahrzehnt. Veränderung ist noch im späteren Lebensalter und beim Erwachsenen möglich. Das kindliche Gehirn ist jedoch leichter beeinflussbar. Veränderungsprozesse gehen schneller vonstatten, Lerninhalte können leichter integriert werden. Deshalb ist es notwendig, Fördermaßnahmen so frühzeitig wie möglich einzuleiten. Hier kommt der Frühförderung ein spezieller Stellenwert zu.

c) Die dynamische Lokalisierung nach Luria

Bei der Bewältigung komplexer Anpassungsleistungen wie Sprechen, Lesen, Schreiben sind viele Hirnstrukturen gleichzeitig tätig. Komplexe Funktionen können nicht einzelnen Gehirnstrukturen zugeordnet werden. Vielmehr macht die Vielzahl der Einzelfunktionen, die zur Bewältigung einer Aufgabe benötigt werden, eine Zusammenarbeit vieler Zellgruppen in verschiedenen Gehirnarealen auf unterschiedlichen Funktionsebenen erforderlich.

Im Gehirn können spezifische Rindenareale bestimmt werden, z. B. das motorische und sensorische Sprachzentrum, die motorische und sensorische Hirnwindung. Doch zu einer sinnvollen Anpassungsleistung (wie das Ergreifen eines Gegenstandes) reicht die Aktivierung einer spezifischen Muskelgruppe nicht aus. Der Gegenstand muss zum eigenen Körper in Beziehung gesetzt werden, die Körperhaltung, die Lage des Körpers im Raum, die Bewegungsrichtung und die Kraftdosierung müssen darauf abgestimmt sein. Die dynamische Lokalisierung besagt auch, dass die Kombination der Zellgruppen nach Bewältigung einer Anpassungsleistung zugunsten neuer Kombinationen aufgelöst wird. Das Prinzip, dass viele Gehirnstrukturen an der Bewältigung einer Aufgabe beteiligt sind, macht deutlich, dass Förderung niemals auf die Funktion einzelner Gehirnstrukturen bezogen sein kann, sondern das Gehirn immer als Ganzes beteiligt ist.

d) Die überlappende Topografie

Teilgebiete des zerebralen Kortex, die Sinnesreize aus den verschiedenen Wahrnehmungskanälen aufnehmen, sogenannte primär-sensorische Teilgebiete, sind von integrierenden Teilgebieten umgeben, die sich wiederum mit anderen Teilgebieten überlappen. Vergleichbar wäre dieser Aufbau mit einem Schichtmodell, in dem die einzelnen Schichten nicht direkt übereinander liegen, sondern überlappend angeordnet sind. Diese Anordnung dient der Koordination von Sinnesreizen und ermöglicht die Vollständigkeit einer Funktion. Die überlappende Anordnung der Teilgebiete macht es möglich, bei Funktionsausfall eines Teilgebietes durch Aktivierung der angrenzenden Teilgebiete die Funktion des ausgefallenen Teilgebietes erneut anzuregen bzw. durch die angrenzenden Gebiete auszugleichen. Dieses Prinzip der überlappenden Topografie bezieht sich nicht nur auf sensorische Teilgebiete, sondern kann auch auf motorische Teilgebiete übertragen werden.

Kinder mit Störungen der Sprachmotorik haben meistens auch Störungen in der Handmotorik und der Fingergeschicklichkeit. Das motorische Sprachzentrum grenzt an das motorische und sensorische Rindenfeld für Mund, Zunge, Finger und Füße. Durch gezielte und regelmäßige Fingerübungen kann eine Aktivierung der angrenzenden Bereiche erreicht werden, was sich deutlich in einer verbesserten Sprachproduktion dieser Kinder zeigt. So erhält dieses Prinzip im Zusammenhang mit der Plastizität des Gehirns in der Frühförderung eine wichtige Bedeutung. Gezielte und frühzeitige Förderung kann Grundlagen im Gehirn schaffen, die es dem Kind ermöglichen, Fähigkeiten auszubilden und Fertigkeiten zu differenzieren.

e) Die funktionale Asymmetrie

Der Kortex teilt sich in zwei Großhirnhemisphären, die in ihren Funktionen eine Differenzierung und Spezialisierung aufzeigen.

Die linke Hemisphäre wird als die sprechende Hemisphäre bezeichnet, dort befindet sich in der Regel das motorische Sprachzentrum. Sie nimmt Gerüche aus der rechten Nase wahr und Eindrücke aus dem rechten Gesichtsfeld. Sie verarbeitet die Sinneseindrücke aus der rechten Körperhälfte und übernimmt die Steuerung der Bewegungen der rechten Körperseite. Die linke Hemisphäre analysiert Zusammenhänge. Ein Ganzes wird zerlegt, isoliert, bis kleinste Einheiten übrigbleiben, die dann nach Regeln (grammatikalisch, logisch, mathematisch) in einen Zusammenhang gebracht werden. Die linke Hemisphäre ist überall dort gefordert, wo es um das genaue Erfassen von Einzelheiten geht. Sprache erfassen, das Erkennen von Figuren in Such-bildern, das Heraushören eines Instrumentes in einem Orchester sind Aufgaben, die einen analysierenden Prozess erfordern. Sprachverständnis und Sprachproduktion, ebenso die Planung und Produktion von Handlungsfolgen setzen sequenzanalytische Prozesse voraus und sind somit Aufgaben der linken Hemisphäre.

Die Kompetenz der rechten Hemisphäre äußert sich in nicht verbalen Leistungen. Sie nimmt Gerüche aus der linken Nase wahr, Sinneseindrücke des linken Gesichtsfeldes, der linken Körperseite, werden in der rechten Hemisphäre wahrgenommen. Die Steuerung der Körperbewegungen der linken Körperhälfte werden von der rechten Hemisphäre übernommen. Ihr kommt die Aufgabe zu, den Gesamtzusammenhang einer Sache zu erfassen. Sie betrachtet Dinge holistisch, als Gesamtbild, setzt Einzelteile zueinander in Beziehung, analysiert die räumlichen Zusammenhänge. Die rechte Hemisphäre ist die schöpferische oder künstlerische Hemisphäre. Sie erfasst den atmosphärischen Gesamteindruck einer Wohnung, den ersten Eindruck einer Person, den Gesamtsinn von Gesprochenem. Die rechte Hemisphäre kann Raumrichtungen, aber auch Ereignisrichtungen weiterdenken. Einzelne Striche können räumlich so weiter rekonstruiert werden, dass ein Gesamtbild entsteht. Das Ergänzen von Bruchstücken auf ein Ganzes ist ein Grundmuster menschlicher Informationsverarbeitung. Die rechte Hemisphäre ist diejenige, die träumt. Sie hat ein elementares Melodieverständnis, da sie einzelne Töne zu einem Ganzen zusammenfügt. Sie produziert Melodien beim Singen und Summen, sie schafft die Sprachmelodie, die Intonation des Gesprochenen. Die rechte Hemisphäre erfasst und überblickt soziale Situationen und Handlungen, die Handlungsrichtungen müssen gleichzeitig erfasst und zueinander in Beziehung gesetzt werden, um so die Gesamtheit der Situation von Anfang bis Ende zu verstehen.

Am Beispiel des Lesens wird deutlich, wie wichtig die Kommunikation zwischen den beiden Großhirnhemisphären ist. Beim Lesen eines Textes analysiert die linke Hemisphäre die einzelnen Satzteile und Sätze nach semantischen und grammatikalischen Gesichtspunkten. Die rechte Hemisphäre erstellt den Gesamtzusammenhang, das Sprachverständnis. Erst das Zusammenführen beider Fähigkeiten macht es möglich, einen Text zu lesen und den Inhalt des Gelesenen zu erfassen.

Die Voraussetzung für die Spezialisierung und Lateralisierung der Hemisphären ist, dass beide Gehirnhälften sich zunächst symmetrisch entwickeln. Beide Gehirnhälften können in gleichem Maße Aufgaben bewältigen, beide sind gleichermaßen an der Bewältigung vieler Aufgaben beteiligt. Erst über diesen Entwicklungsschritt kann die Spezialisierung der Hemisphären beobachtet werden. Die endgültige Lateralisation wird erst im Alter von acht bis neun Jahren abgeschlossen.

Die Entwicklung hin zur Lateralisation der Hemisphären lässt sich im motorischen Bereich beobachten. Die beiden Körperhälften müssen integriert werden, damit der Körper zunächst symmetrisch funktionieren kann. Die Integration der beiden Hemisphären ist dazu Voraussetzung und macht auch erst das Überkreuzen der senkrechten Körpermittellinie möglich. Mit der Spezialisierung der Hemisphären auf spezifische Funktionen setzt auch im motorischen Bereich die Entwicklung zur Lateralisation ein. Einer Körperseite wird die Führung bei koordinierten Bewegungen ermöglicht, das Kind entwickelt seine dominante Seite.

f) Das holistische Modell

Es wird vermutet, dass im Gehirn Erfahrungen, Informationen, Lerninhalte nicht nur in einem Gehirngebiet verarbeitet und gespeichert werden. Es sind immer viele Bereiche im Gehirn beteiligt. Diese gespeicherten Erfahrungen können durch Aktivierung der Gehirngebiete wieder hervorgerufen werden und ermöglichen die vollständige Planung und Durchführung einer Funktion.

Bei Unfall- oder Schlaganfallpatienten werden Gehirngebiete geschädigt, Funktionen und Fähigkeiten scheinen verloren, primitive Muster wie Reflexe können wieder in Erscheinung treten. In der Rehabilitation kann beobachtet werden, dass Funktionen durch entsprechende Aktivierung wieder auftreten, die durch den Unfall verloren gingen. Die gespeicherten Erfahrungen werden in nicht beschädigten Gehirnzentren reaktiviert.

Kinder, die einen Unfall erlitten haben, können auf einen fundierten Erfahrungsschatz zurückgreifen, im Gegensatz zu Kindern, bei denen von Geburt an eine Schädigung vorliegt. Frühgeschädigte Kinder sammeln und speichern auch Erfahrungen, jeweils mit den Einschränkungen, die durch die Schädigung vorgegeben sind. Sie müssen Bewegungsmuster und Handlungsstrategien oft mühsam Schritt für Schritt erarbeiten und erlernen, während bei Unfallkindern oft nach gewisser Zeit die gespeicherten Erfahrungen wieder hervorgerufen werden können und dadurch Bewegungs- und Handlungsmuster präsent werden.

2.2. Entwicklung der kindlichen Motorik

Die Motorik eines Kindes entwickelt sich auf der Grundlage eines intakten Nervensystems und ist die Voraussetzung für die Vervollständigung einerumfassenden sensomotorischen Basis. Die motorischen Muster werden durch Erfahrungen erworben, verfestigt und erweitert. Das Gehirn kennt keine Muskeln, sondern die Bewegungserfahrungen werden als ein Programm einer Nervenreizungskette im Gedächtnis festgehalten und sind jederzeit wieder abrufbar. Die Entwicklung neuer Muster bis zum Erreichen eines großen Repertoires an Bewegungsfertigkeiten ist Voraussetzung für ein intaktes Bewegungsverhalten. Die Reihenfolge der motorischen Entwicklungsschritte eines Kindes stellt deshalb die Grundlage des Therapieaufbaus dar.

2.2.1. Die wichtigsten Schritte der grobmotorischen Bewegungsmuster

a) Die Kopfkontrolle

Die Kopfkontrolle ist der erste und wichtigste Schritt in der motorischen Entwicklung. In den ersten Lebenswochen kann ein eher reflexartiges Anheben des Kopfes in Bauchlage beobachtet werden. Dies dient hauptsächlich dazu, den Kopf zur Seite legen zu können, um die Atemwege freizuhalten.

In Bauchlage wie in Rückenlage überwiegt beim Säugling zunächst die Beugehaltung (Abb. 2). Die Arme sind in allen drei Gelenken, das heißt, im Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk, gebeugt. Die Beine sind von der Hüfte aus in Beugehaltung, nach außen gedreht, die Knie sind gebeugt und die Füße mit dem Fußrücken nach außen gedreht. In den Extremitäten können anfangs symmetrische reflexartige Strampelbewegungen beobachtet werden.

Im Alter von drei Monaten kann das Kind in Bauchlage eine symmetrische Haltung einnehmen. Der Kopf kann jetzt relativ sicher bis 45° angehoben werden, das Gesicht schaut geradeaus. Das Kind liegt noch etwas instabil, auf die Unterarme gestützt, die Hände sind noch gefaustet. Das Heben des Kopfes in Bauchlage aktiviert die Nacken- und Rückenmuskulatur. Die Hüfte wird jetzt schon besser gestreckt, die Beine sind noch nach außen gedreht, die Knie gebeugt.

Abb. 2: Bauchlage des Säuglings

Liegt das Kind auf dem Rücken, kann es jetzt seine Hände in der Mitte zusammenführen und sie betrachten. Gegenstände, die in die Hand gelegt werden, werden gehalten, können jedoch noch nicht bewusst losgelassen werden.

Im fünften Lebensmonat kann der Kopf bis auf 90° angehoben werden, der Unterarmstütz mit überwiegend geöffneten Händen bietet schon ein relativ sicheres Gleichgewicht. Durch Gewichtsverlagerung auf einen Arm wird der andere frei, um sich nach einem Gegenstand auszustrecken. Die Rotation der Wirbelsäule setzt ein. Der Oberkörper wird höher gehalten als zuvor. Die anfängliche Beugehaltung löst sich immer mehr auf, sodass jetzt die Hüfte in Bauchlage auf der Unterlage liegt, in der Rückenlage können die Fußsohlen auf die Unterlage gestützt werden.

In der weiteren Entwicklung wird durch die zunehmende Streckung der Arme in den Ellbogengelenken aus dem Unterarmstütz der Handstütz. Das Kind versucht zusehends, sein Gewicht so zu verlagern, dass es die Beine bewusst unter den Bauch ziehen kann. Ein stabiler Vierfüßlerstand kann jedoch noch nicht eingenommen werden.

b) Die Roll- und Drehbewegungen

Wird der Kopf des Säuglings passiv gedreht, folgt zunächst der ganze Körper ohne Rotation der Wirbelsäule. Mit drei bis vier Monaten wird die Rollbewegung differenzierter, sodass auf eine passive Drehbewegung des Kopfes zur Seite die Schulter mit angehoben wird, dann folgen die Hüfte und zuletzt die Beine. Diese differenzierte Rollbewegung erfordert die einsetzende Rumpfrotation, übt diese aber auch. Die Rollbewegung verläuft in umgekehrter Reihenfolge, wenn sie durch das Legen eines Beines über das andere eingeleitet wird.

Ab dem fünften bis sechsten Monat kann das Kind diese Rollbewegung, ausgelöst durch eine Kopfdrehung, selbst aktiv ausführen. Zunächst dreht sich das Kind nur bis zur Seitlage und dann zurück in die Ausgangslage.

Durch die erweiterte Rollbewegung von Rückenlage in Bauchlage entwickelt das Kind seine erste Fortbewegungsmöglichkeit und erweitert dadurch seinen Handlungsraum.

Die Drehbewegung in die Seitlage bietet dem Kind die Möglichkeit, über den seitlichen Ellbogenstütz zum Sitz zu gelangen. Es stemmt sich mit Unterarm und Hand von der Unterlage weg und richtet den Rumpf zum Sitzen auf. Diese Art der Aufrichtung zum Sitzen benutzt das Kind bis zum Alter von vier Jahren. Erst dann wird das Heben des Kopfes und des Körpers gleichzeitig möglich und das Kind kann sich zum Langsitz aufrichten.

c) Das Sitzen

Eine gut entwickelte Kopfkontrolle ist die Voraussetzung für den Aufbau eines stabilen Körpergleichgewichts, von daher auch Voraussetzung für das Sitzen.

Mit sechs bis sieben Monaten kann das Kind, wenn es passiv in die Sitzposition gebracht wurde, ohne Stütze mit relativ sicherer Kopfkontrolle sitzen. Der Rücken ist zunächst noch stark gekrümmt, die Beine sind in den Hüften nach außen gedreht, die Knie stark gebeugt. Die Beine bieten dadurch eine größere Auflagefläche, was den Erhalt des Gleichgewichts erleichtert. In dieser Position ist die Aufrichtung des Rückens leichter möglich. Das Kind übt in der Sitzposition die Haltemechanismen, die im Hinblick auf das Stehen gut ausgebildet sein müssen. Droht das Kind aus der Sitzposition umzukippen, kann es sich zuerst nach vorne ganz gut abstützen, das Abstützen zur Seite und nach hinten folgt später.

Im Alter von neun Monaten kann sich das Kind über die Seitlage, den seitlichen Ellbogenstütz eigenständig zum Sitzen aufrichten, Kopfkontrolle und Gleichgewicht haben sich gut entwickelt, die Sitzposition ist aufrecht und stabil.

Manche Kinder erproben Fortbewegungsmöglichkeiten im Sitzen, indem sie sich auf dem Gesäß um die eigene Achse drehen oder sich mit den Beinen vorwärts ziehen und das Gesäß nachrutschen lassen.

d) Das Robben

Das Robben auf dem Bauch, das ungefähr ab dem siebten Monat beobachtet werden kann, ist die einfachste Art der Fortbewegung. Das Kind zieht sich anfangs abwechselnd auf je einen Unterarm gestützt nach vorn, die Beine sind noch nicht aktiv an der Bewegung beteiligt. Von daher stellt diese Art der Fortbewegung noch keine natürliche Vorbereitung auf das Krabbeln dar. Durch bewusste Beugung im Kniegelenk, das Abstützen der Zehen auf der Unterlage sowie der einsetzenden Wirbelsäulendrehung wird es dem Kind möglich, das Bein aktiv einzusetzen.

Das Kind schiebt sich mit dem zur Seite gebeugten Bein vorwärts, gleichzeitig wird der Arm auf der Gegenseite gestreckt und an der Vorwärtsbewegung beteiligt. Anschließend wird das Bein der anderen Seite gebeugt sowie der Arm der Gegenseite gestreckt. Kinder können mit dieser Art der Fortbewegung recht flink werden und auch beliebig ihre Richtung ändern. Über das Robben übt das Kind die Gelenkigkeit seiner Wirbelsäule als Vorbereitung auf das Krabbeln. Gleichzeitig bewegt es alle vier Extremitäten in rhythmischer und koordinierter Art und Weise.

e) Das Krabbeln

Das Kind kommt aus der Bauchlage in den Vierfüßlerstand, indem es sich auf Hände und Knie stützt und den Rumpf von der Unterlage hebt. Auch die seitlich abgestützte Sitzposition bietet dem Kind die Möglichkeit, in den Vierfüßlerstand zu kommen. Es dreht den Rumpf so, dass das Gesäß von der Unterlage abhebt, und verlagert sein Gewicht auf Hände und Knie.

Bevor das Kind sich in dieser Position fortbewegt, übt es die Verlagerung des Gewichtes von Arme auf Knie und umgekehrt durch vor- und rückwärts gerichtete Schaukelbewegungen. Der Körperschwerpunkt liegt in der Vierfüßlerposition noch nicht sehr hoch, Arme und Beine bieten insgesamt vier Stützpunkte, was dem Kind hilft, sein Gleichgewicht zu halten. Beim Krabbeln selbst bewegt es einen Arm und das gegenseitige Knie nach vorn, das sogenannte kreuzkoordinierte Krabbeln. Durch das Stützen auf die Hand wird eine reflektorische Ausstrahlung auf die Streckmuskulatur der Arme, des Rückens und des Nackens ausgelöst, die eine aufrechte Kopfhaltung und die freie Kopfbeweglichkeit positiv unterstützt. Durch die Aktivierung der Nackenmuskulatur werden die Augenmuskeln mit angeregt, sodass das Kind durch sein erweitertes Blickfeld und seine neuen Möglichkeiten in dieser Position auch maßgeblich seine Augenbeweglichkeit übt.

Durch den Handstütz werden die Handgelenke stark gebeugt, die Finger gespreizt und gebeugt, sodass die Hände dadurch auf die Greifbewegung vorbereitet werden. Die Entwicklung des Zentralen Nervensystems erlaubt jetzt eine weitere Differenzierung der Gelenke, sodass jetzt Hüft- und Kniegelenke gebeugt, die Sprunggelenke gestreckt werden können. Das kreuzkoordinierte Krabbeln erfordert und unterstützt die Rotation der Wirbelsäule und bereitet dadurch das Kind auf einen natürlichen und gelenkigen Gang vor.

Der Positionswechsel aus der Vierfüßlerstellung wird für das Kind nun sehr vielfältig. Es geht in Bauchlage zurück, es kommt in den abgestützten Seitsitz, es lässt sich auf seinen Fersen nieder zum Fersensitz und kann sich zum Kniestand aufrichten. Auch die Hocke wird aus dieser Position heraus geübt. Indem das Kind die Kniegelenke streckt, kommt es in die Bärenstellung und bewegt sich im Bärengang, das heißt auf Händen und Füßen, fort.

f) Das Stehen

Vom Stehen kann dann gesprochen werden, wenn das Kind sich selbstständig aufrichten, es eine aufrechte Position mit guter Kopfkontrolle einnehmen und Kopf, Rumpf, Arme und Beine frei bewegen kann, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Das Kind richtet sich aus der Hocke auf zum Stehen, indem es beide Knie streckt. Aus dem Kniestand gelangt das Kind über den Einbein-Kniestand, anfangs sich an etwas festhaltend, zum Stehen.

Aus der Bärenstellung heraus kommt das Kind zum Stehen, indem es das Gewicht auf die Füße verlagert und den Rumpf nach und nach aufrichtet. Auch aus der Sitzposition heraus, von einer erhöhten Sitzgelegenheit, Hocker u. Ä., gelangt das Kind bald zum Stehen, wenn es durch Vorneigen des Rumpfes das Gewicht auf die Füße verlagert und anschließend Knie- und Hüftgelenke streckt. Der Stand ist zunächst sehr breitbasig, Knie- und Hüftgelenke sind noch leicht gebeugt und der Rumpf ist leicht nach vorn geneigt. Das Hinsetzen gelingt anfangs noch nicht so geschickt, viele Bewegungszwischenstufen fehlen, das Kind plumpst eher wieder hin.

g) Das Gehen