MS und Gesund - Claudia Brunner - E-Book

MS und Gesund E-Book

Claudia Brunner

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Beschreibung

Lebe selbstbestimmt - auch mit Multipler Sklerose! Die Diagnose kann erschreckend sein - doch den Kopf in den Sand stecken? Ganz sicher nicht! Denn es gibt viele Möglichkeiten und Wege, wie man auch mit Multipler Sklerose ein erfreuliches und selbstbestimmtes Leben führen kann. Die Frage ist bloß: Wo setze ich an? Welcher ist der richtige Weg für mich? Dieses Buch zeigt übersichtlich, welche Möglichkeiten es zusätzlich zur herkömmlichen Schulmedizin gibt, um den Krankheitsverlauf bei Multipler Sklerose positiv zu beeinflussen und die eigene Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen sind wissenschaftlich belegt. Außerdem haben sie die Kraft, das eigene Leben über die Krankheit hinaus zu bereichern. Denn MS ist nicht das Ende, es ist der Anfang eines neuen Kapitels! Das erwartet Sie: * 9 umsetzbare Maßnahmen - "Gesund Leben für ein Gesundes Leben!" Das Buch zeigt 9 selbst umsetzbare Maßnahmen, die den Verlauf der MS positiv beeinflussen können. Es fasst hierbei die Essenz aus mehreren hundert wissenschaftlichen Studien zusammen. Alle Empfehlungen sind einfach verständlich und umsetzbar! * Eine persönliche Geschichte - "Von der Diagnose bis heute" Begleiten Sie die Autorin durch Ihre eigene Krankheitsgeschichte. Sehr persönliche Einblicke von der Diagnose bis hin zu Erfahrungen mit Fatigue und Schüben finden Sie speziell markiert immer wieder im ganzen Buch. * Hintergrundwissen - "Schulmedizin und Lebensstil ergänzen sich!" Daher sollte auch jede/r Betroffene über die Erkrankung Bescheid wissen und Zugang zu Informationen über Behandlungsmöglichkeiten haben. Sie finden Kapitel, die die MS erklären, aber auch verschiedene Basistherapien und deren Wirksamkeit aufzeigen. Nutzen Sie diese Kapitel um Ihr Verständnis von MS zu vertiefen und als Referenz und Grundlage für das Gespräch mit dem/ der behandelnden Arzt/ Ärztin.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 423

Veröffentlichungsjahr: 2022

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MS und gesund

Wissenschaftlich belegte Empfehlungen für ein aktives Leben mit Multipler Sklerose

Haftungsausschluss und allgemeiner Hinweis zu medizinischen Themen:

Die hier dargestellten Inhalte dienen ausschließlich der neutralen Information und allgemeinen Weiterbildung. Sie stellen keine Empfehlung oder Bewerbung der beschriebenen oder erwähnten diagnostischen Methoden, Behandlungen oder Arzneimittel dar. Das Werk inklusive aller Inhalte wurde unter größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Druckfehler und Falschinformationen nicht vollständig ausgeschlossen werden. Der Verlag und der Autor übernehmen keine Haftung für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der Inhalte des Buches, ebenso nicht für Druckfehler. Es kann keine juristische Verantwortung sowie Haftung in irgendeiner Form für fehlerhafte Angaben und daraus entstandene Folgen vom Verlag bzw. Autor übernommen werden. Sämtliche Angaben entsprechen dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Der Text ersetzt keinesfalls die fachliche Beratung durch einen Arzt oder Apo- theker und er darf nicht als Grundlage zur eigenständigen Diagnose und Beginn, Änderung oder Beendigung einer Behandlung von Krankheiten verwendet werden. Konsultieren Sie bei gesundheitlichen Fragen oder Beschwerden immer den Arzt Ihres Vertrauens! Nehmen Sie niemals Medikamente (auch keine Heilkräuter) ohne Absprache mit Ihrem Arzt oder Apotheker ein! Sie sollten daher die hier bereitgestellten Informationen niemals als alleinige Quelle für gesundheitsbezogene Entscheidungen verwenden. Bei Beschwerden sollten Sie auf jeden Fall ärztlichen Rat einholen. Die Autorin übernimmt keine Haftung für Unannehmlichkeiten oder Schäden, die sich aus der Anwendung der hier dargestellten Informationen ergeben.1

Dr. Claudia Brunner

MS und gesund

Wissenschaftlich belegte Empfehlungen für ein aktives Leben mit Multipler Sklerose

Impressum

© 2022 Dr. Claudia Brunner

ISBN Softcover: 978-3-347-58512-6

ISBN Hardcover: 978-3-347-58513-3

ISBN E-Book: 978-3-347-58514-0

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die In- halte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

1.1 Meine persönliche Geschichte mit MS

1.2 Multiple Sklerose – Was ist das eigentlich genau?

2. Die Gesundheit in die eigenen Hände nehmen – 9 Bausteine für einen guten Verlauf

2.1 Sonnenexposition und Vitamin D

2.2 Schlaf

2.3 Sport – Bewegung

2.4 Meditation und Stressmanagement

2.5 Ernährung

2.6 Fasten

2.7 Umgang mit Genussmitteln

2.8 Psychologie – Therapie, Netzwerke

2.9 The Power of Connection – Soziales Leben

2.10 »Kognition« – Lebenslanges Lernen

3. Die 9 Bausteine in Kürze

4. MS und Beruf

5. Die nächsten Schritte

5.1. Gewohnheiten ändern

5.2 Das Gespräch mit Ärzten

5.3 Weitere Grunderkrankungen abklären und behandeln!

6. Schulmedizin

6.1 Erläuterungen – Grundlagen

6.2 Schubtherapie

6.3 Verlaufsmodifizierende Therapie

6.4 Symptomatische oder Begleittherapie

6.5 Ausgewählte Medikamente der verlaufsmodifizierenden Therapie

6.6 Überblick Medikamente – Absolutes vs. Relatives Risiko

7. Hilfreiches für Angehörige

7.1 Wer trägt die Last?

7.2 Empathie für die erkrankte Person

7.3 Was kann ich als Angehöriger tun?

8. Fazit

8.1 Ein gesunder Lebensstil oder Medikamente? Eine Kombination machts!

8.2 Fragen und Antworten

8.3 Gründe, warum ein gesunder Lebensstil bei MS äußerst wirksam sein kann

9. Schlussworte

10. Anhang

10.1 Die Autorin

10.2 Danksagung

10.3 Quellen

10.4 Endnoten

Vorwort

Dieses Buch richtet sich in erster Linie an alle Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind und deren Angehörige.

Darüber hinaus spricht es alle an, die sich auf verständliche Weise über die Erkrankung informieren möchten. Im Besonderen aber richtet es sich an Menschen, die nach wissenschaftlich belegten Möglichkeiten zusätzlich zur Schulmedizin suchen, um besser und gesünder mit ihrer Erkrankung leben zu können.

Sehr viele der verfügbaren Informationen über Multiple Sklerose sind schwer verständlich oder beschränken sich auf den medizinischen Aspekt der Erkrankung. Es gibt zahllose Informationsquellen über Medikamente. Aber nur weniges, was den erkrankten Menschen ins Zentrum setzt und anerkennt, dass es auch jenseits von Spritzen oder Tabletten wissenschaftlich belegte Möglichkeiten gibt, den Verlauf positiv zu beeinflussen.

Dieses Buch wird genau diese Lücke schließen. An der Schnittstelle von Schulmedizin und Lebensstilmedizin wird aufgezeigt, wie jede/r Betroffene selbst Einfluss auf den Verlauf seiner Erkrankung nehmen kann.

In diesem Buch werden Sie keine Schamanen finden, keine Mittel zur Wunderheilung oder homöopathische Kügelchen.

Was Sie aber finden werden, sind wissenschaftlich geprüfte und belegte Empfehlungen, die einzeln oder noch besser in Summe einem besseren Verlauf der MS zuträglich sein können!

***

Nachdem bei mir vor mehr als 13 Jahren MS diagnostiziert wurde, habe ich über die Jahre einen streng-wissenschaftlichen Ansatz gewählt, mich meiner MS zu nähern. Jahrelanges Training und Ausbildung in der Forschung an Universitäten und auch während meiner Promotion haben mich diesbezüglich nicht nur geschult, sondern auch geprägt.

Mein Weg der letzten Jahre führte mich nicht nur in Arztpraxen und Krankenhäuser, sondern auch in zahlreiche Bibliotheken und Zeitschriftendatenbanken, um die neueste Forschung zu MS zu verstehen.

Als Wirtschaftswissenschaftlerin, die sich eigentlich mit Fragen der Unternehmensführung beschäftigt, erarbeitete ich mir über die Jahre zahlreiche Kenntnisse im Bereich der Medizin, der Ernährungswissenschaften und der Psychologie, um die Zusammenhänge der Erkrankung und ihrer Behandlung verstehen zu können.

Mein persönlicher Fokus lag dabei immer auf Möglichkeiten, wie ich persönlich Einfluss auf den Verlauf meiner Erkrankung nehmen kann. Natürlich kann man Medikamente nehmen und die Verantwortung an einen Arzt abgeben. Mir hat dies nie gereicht, ich wollte alles verstehen und selbst aktiv werden.

Mittlerweile habe ich hunderte, wenn nicht tausende Studien zu MS gelesen und ob ihrer Qualität und Aussagekraft bewertet. Dazu kamen diverse Weiterbildungen an den besten Universitäten der Welt. Ich erarbeitete mir nicht nur ein Zertifikat der Ernährungswissenschaften an der Stanford School of Medicine, ich besuchte einen Kurs an der Yale University zur Science of Wellbeing und begann schließlich ein Masterstudium in Harvard in Psychologie, welches noch etwas dauern wird. Eines meiner absoluten Highlights bisher war ein Kurs in Neuroanatomie an der Harvard Medical School, wo Gehirne von Verstorbenen seziert und MRT Bilder analysiert wurden. Absolut spannend waren auch diverse andere Kurse, wie etwa Brain Health oder Life Style Medicine im Rahmen des Psychologiestudiums.

Das Spannendste an all meinen Kursen war schließlich DIE eine Erkenntnis: Alle Teile fügen sich in ein Ganzes zusammen. Jede dieser Wissenschaften, jeder dieser Kurse hat für sich etwas zu der Frage beizutragen, wie ich oder besser WIR gesund leben können.

Bitte nehmen Sie sich die Zeit und profitieren Sie von meinen endlosen Studien in der Kurzfassung.

Ja, es gibt Möglichkeiten, seinen eigenen Krankheitsverlauf zu beeinflussen!

Dieses Buch wird Ihnen wissenschaftliche Empfehlungen an die Hand geben, die jede/r Einzelne für sich umsetzen kann.

Es ist mir eine Herzensangelegenheit, jeder/m Betroffenen alles nötige Wissen zu vermitteln, was nötig ist, um ein gesundes und selbstbestimmtes Leben mit der Diagnose MS zu führen!

Aufbau

Das Buch unterteilt sich in verschiedene Bereiche. Zunächst wird in der Einleitung meine persönliche Geschichte erzählt. Im Anschluss gibt es einen leicht verständlichen Überblick über die Erkrankung.

Der Hauptteil des Buches befasst sich mit neun Bausteinen für einen guten Verlauf der MS. Neben Kapiteln zu Sport und Meditation werden Sie Teile zu Ernährung, aber auch zur psychischen Gesundheit finden.

Jeder Teilbaustein wird im Anschluss zu einer speziellen Empfehlung zusammengefasst.

Um die Umsetzung der Empfehlungen zu erleichtern, folgt ein Kapitel mit nächsten Schritten.

Im Laufe der MS wird man früher oder später (mit-)entscheiden müssen, ob und wenn ja, welches Medikament man einnehmen möchte. Der zweite große Teil des Buches wird daher als Referenz und kompaktes Nachschlagewerk ausgewählte Therapien erklären. Dazu finden sich jeweils mögliche Nebenwirkungen, Punkte, auf die man besonders achten sollte, und schließlich die Wirksamkeit der Therapien.

Das folgende Kapitel richtet sich speziell an Angehörige und beantwortet einige Themen und Fragen, die auftreten könnten.

Das Buch schließt mit der Frage, ob und wie Schulmedizin und ein gesunder Lebensstil zusammenspielen können, um ein gesundes Leben mit MS zu erreichen.

Im Anhang finden Sie das Literaturverzeichnis und Informationen über die Autorin.

Leseleitfaden

»MS und Gesund« ist ein Sachbuch, welches sich an Betroffene richtet. Dennoch finden sich immer wieder persönliche Einblicke und Erfahrungswerte. Darüber hinaus gibt es Exkurse für jene, die gern mehr wissen möchten und Erklärungen für Zusammenhänge suchen. Um Ihren individuellen Wünschen gerecht zu werden, sind die einzelnen Teile jeweils wie folgt markiert.

1. Einleitung

1.1 Meine persönliche Geschichte mit MS

»Sind Sie verheiratet?«

Das waren seine ersten Worte.

Mit ungläubigem Staunen über die unerwartete Frage schaute ich den Neurologen mir gegenüber an und sagte »Nein.« Aus irgendeinem Grund fuhr er fort: »Dann sollten Sie das bald tun! Sie können auch ganz normal Kinder bekommen. Ich habe zahlreiche Patienten mit Kindern.«

Mir war vollkommen unklar, was diese Worte sollten. Sie passten so überhaupt nicht zu dem, was ich die letzten Tage durchgemacht hatte. Auch war ich weit entfernt von jeglicher Kinderplanung oder dem Wunsch zu heiraten.

Mit meinen 26 Jahren stand ich mitten im Leben. Ich war eine gesunde, junge Frau. Nach meinen Studienabschlüssen hatte ich einige Monate zuvor bei einer Unternehmensberatung angefangen. Mein Wunsch war es, eine Karriere zu haben, viel zu reisen, verschiedenste Kulturen zu erleben und einfach selbstständig und frei das Leben zu genießen.

Seinen unheilvollen Lauf nahm meine Krankheitsgeschichte bei einem Personalgespräch etwa zwei Monate zuvor. Wenig charmant war mir verkündet worden, dass ich meinen Job verlieren sollte.

Im Vorjahr hatte es einen starken Börsencrash in den USA gegeben, auch die Wirtschaft in Deutschland war betroffen. Die Folge waren Massenentlassungen, unter anderem bei Unternehmensberatungen. Ich war eine davon.

So plötzlich wie ein Messerstich und genauso scharf fuhr ein furchtbarer Schmerz in meinen Kopf. Ich konnte nicht mehr klar denken und beendete das Gespräch bald. Noch im Büro verlagerte sich der Schmerz hinter mein rechtes Auge. Ein unsägliches Druckgefühl entwickelte sich. Ich musste raus. Ibuprofen und eine Flut an Tränen entspannten mich etwas und so ließ auch der Schmerz nach.

Leider verblieben noch einige Wochen bis zum Vertragsende und so ging ich die folgenden Tage weiter in die Arbeit. Am nächsten Morgen öffnete ich die Tür zum Büro. Wie auf Knopfdruck steigerte sich das Druckgefühl hinter meinem Auge. Diesen und die folgenden Tage verbrachte ich im Büro damit, Stellenausschreibungen zu suchen und Lebensläufe auf teures Papier zu drucken. Dennoch wurde der Schmerz stetig schlimmer.

Allein die Mittagspausen und die Feierabende entspannten meinen Kopf. An jedem restlichen Tag des aktuellen Monats wiederholte sich das Ansteigen von Schmerz morgens beim Gang ins Büro, die kurzzeitige Linderung zu Mittag und die allmähliche Besserung nach Feierabend. Obwohl es diese Phasen der Linderung gab, wurde der Schmerz täglich stärker. Das Druckgefühl hinter meinem Auge nahm stetig zu und ich hatte bereits am dritten Tag nach dem Gespräch das Gefühl, mein Auge würde herausspringen wollen.

Zu diesem Zeitpunkt war mir bereits klar, dass ich unter diesen Umständen nicht die verbliebenen drei Monate durchhalten würde. Zähneknirschend reichte ich meine Kündigung ein, verzichtete auf zwei Monate Gehalt, hatte aber dafür nach weiteren 28 Tagen meine Freiheit – und hoffentlich keine Schmerzen mehr.

***

Da war ich nun, arbeitslos und unter Schmerzmitteln. Die erhoffte Besserung und Entspannung blieben leider aus. Über den Tag verteilt hatte ich nach wie vor deutliche Schmerzen und Druck hinter dem Auge. Zwar war es deutlich besser als noch die Woche zuvor, aber dennoch musste ich wohl einen Arzt aufsuchen. So war mein erster Gang am Montagmorgen zu unserem Hausarzt. Mit der Diagnose eines akuten stressbedingten Spannungskopfschmerzes und einer Krankmeldung für den ganzen Monat verließ ich die Praxis voller Hoffnung auf Besserung und mit Tatendrang.

Mein Freund lebte zur damaligen Zeit in New York. Da ich Bewerbungen auch von dort schreiben konnte, war die Entscheidung schnell gefallen. Die folgenden fünf Wochen in New York waren wunderbar, mir ging es besser. Der Schmerz war nicht mehr so häufig und stark. Zudem hatte ich mir kurz vor Abreise beim Optiker noch eine neue Brille machen lassen. Meine Sehschärfe hatte sich offenbar etwas verschlechtert. Und so, vermutete ich, hatten auch die falschen Gläser zu meinen Schmerzen beigetragen.

Leider hatte wohl der Optiker nicht so gut gemessen und schon bald wurden meine Schmerzen wieder häufiger. Auch sah ich zunehmend schlechter mit dem rechten Auge. Den Schluss, dass vielleicht etwas nicht stimmen konnte mit meinem Kopf oder ich krank wäre, zog ich nicht. Selbst der Augenarzt, den ich aufsuchte, bestärkte indirekt meine Annahme, dass ich nichts Schlimmes hatte. Außer trockenen Augen konnte er an meinem Auge nämlich keine Problematik erkennen.

Mit zunehmender Dauer der Schmerzen und einem immer schlechteren Visus, schlich sich das unbestimmte Gefühl ein, dass vielleicht doch etwas Größeres nicht stimmte. Aber noch hielt ich mich an jedem Strohhalm wie dem des Augenarztes fest und benutzte fleißig Augentropfen.

Nur etwa eine Woche nach meiner Rückkehr aus New York begann ich an meiner neuen Arbeitsstelle. Da unmittelbar ein langes Wochenende bevorstand, war ich noch in meiner alten Stadt und der Umzug stand für später auf dem Plan. Mein Freund war mittlerweile auch wieder in Deutschland und wir verbrachten das Wochenende gemütlich in meiner Studentenwohnung.

Es war ein Samstag, an dem ich wieder über sehr starke Schmerzen klagte. Mein rechtes Auge fühlte sich an, als ob es aus der Augenhöhle gedrückt würde. Gleichzeitig konnte ich mit diesem Auge keine Bücher mehr lesen. Es war alles vollkommen verschwommen. Nach und nach sah ich auch verschiedene Rottöne auf meinen Augen. Am linken Auge schönstes Feuerrot, am rechten eher ein sumpfiges Braunrot. Ich war verzweifelt und wie gelähmt.

Mein Freund traf schließlich die Entscheidung und zwang mich, unmittelbar zum Arzt zu gehen. Wir fuhren direkt in die Augenklinik nach München und kamen um 17 Uhr dort an. Das Warten im Krankenhaus fühlte sich ewig an und schließlich bescheinigte mir der Arzt einen Visus von unter 60% und Fehlfarben. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits in Tränen aufgelöst und flehte ihn an, er solle mir sagen, was ich denn hätte. Die einzige Antwort war, er müsse sich mit dem Oberarzt besprechen. Wieder warten. Schließlich wurde ich hereingerufen und mir in Kürze mitgeteilt, dass ich entweder eine Entzündung des Sehnervs hätte oder »Etwas« auf diesen drücke. Ich solle auch unmittelbar in die Uniklinik fahren, vielleicht könne ich ja »heute noch in die Röhre geschoben werden«.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich schon nicht mehr klar denken. Ich flehte nur meinen Freund an, er sollte etwas tun, ich will keinen Tumor in meinem Kopf …

Er behielt die Nerven und wir fuhren unmittelbar in die Uniklinik nach Großhadern. In der Notaufnahme warteten wir sehr lange in einem trostlosen Raum mit hässlichen Gängen. Die folgenden Stunden sind für mich wie mit einem Schleier versehen. Heute kann ich mich nur noch an wenige Details erinnern. Zum Beispiel, dass mein Freund den Befund aus dem CT aufriss, damit ich keine Sekunde länger warten musste. Dass er mir um 2 Uhr morgens einen Burger besorgte und wie der Neurologe mir Nervenwasser entnahm.

Schließlich hieß es, ich hätte eine Sehnerventzündung und ich solle die kommenden Tage zur Infusion wiederkommen. Mit den Worten:

»Suchen Sie sich einen niedergelassenen Neurologen« wurde ich letztlich entlassen.

Und hier waren wir nun. Nach einem Besuch beim Radiologen (»Ach Sie haben eine Verlaufskontrolle«) saßen wir gegenüber des Herrn Privatdozent Dr. Neurologie. Nach der einleitenden Frage, ob wir denn verheiratet wären, folgte ein trockenes: »Sie haben eine chronische Entzündung des Zentralnervensystems. Ich gebe Ihnen mal ein paar Broschüren mit, da können Sie dann über Therapien nachlesen.«

Keine fünf Minuten hat das gedauert.

Dieser Moment ist in meinem Kopf haften geblieben wie ein Film in verlangsamten Bildern.

Ich stand auf. Er hatte schwarze Design-Plastikstühle in der Praxis. Der Fußboden antik und aus dunklem Holz. Ich drehte mich zur Tür. Genau über der Türschwelle senkte ich meinen Blick auf die Broschüren in meiner Hand.

»Leben mit MS« stand darauf. Filmriss …

Ich kannte damals MS nicht. Für mich war es eine nebulöse Krankheit und ich wusste nicht viel mehr, als dass es unheilbar ist und die Menschen im Rollstuhl sitzen. Trotz allem versuchte ich meinem Freund zu erklären, dass ich jetzt ganz froh sei. Jetzt wüsste ich wenigstens, was ich habe.

Nach dem Termin suchte mein Freund für mich einen spezialisierten Neurologen in der Gegend. Dieser Termin stand nicht in weiter Ferne und war kein Vergleich zu meinem ersten Besuch beim Neurologen. Der Arzt nahm sich 1,5 Stunden Zeit, uns die Krankheit, den Verlauf, die Therapiemöglichkeiten und Ähnliches zu erklären. An diesem Tag bekam die MS ihren Namen. Mein innerer Hamster wurde getauft. Einer der wenigen fröhlichen Momente dieser Tage war nämlich tatsächlich das Lesen der Packungsbeilage meines neuen Medikaments. Darin stand beschrieben, dass es aus den Ovarialzellen des chinesischen Hamsters gewonnen wird. Und so taufte ich die MS ganz einfach mit »Mein Hamster«, was sie gleich schon mal etwas verniedlichte und greifbarer machte.

Und so kam nun der Hamster in mein Leben. Wie sich vermutlich jeder vorstellen kann, ist eine schlimme Diagnose ein massiver Einschnitt. Selbst Betroffene oder auch Angehörige kennen dies aus erster Hand. Für mich war es auch genau das, meine Welt war von Grund auf erschüttert. Alles, was ich hoffte zu erreichen und zu schaffen, war zunächst zerbrochen. Zusätzlich zu allen Änderungen in meinem Leben – Job verloren, neuer Job, Umzug – war dies eine sehr schwere Zeit für mich.

Über die folgenden Jahre sollte ich mit vielen Hürden kämpfen müssen. Mit eine der größten war es zu akzeptieren, dass der Hamster zu mir gehört und ein Teil von mir ist. Um zu dieser Akzeptanz zu kommen, brauchte ich Jahre. Ich nahm zig Umwege, weinte Sturzbäche an Tränen, verbrachte Wochen im Streit mit meinem Freund, zwang mich selbst zur Leistung, gestand mir keine Schwäche zu und bestritt die Existenz der MS sogar streckenweise.

Gerade die ersten Jahre nach der Diagnose waren bei mir mit den unterschiedlichsten Schüben und Symptomen verbunden. Neben zahlreichen Missempfindungen, wie etwa taube Beine, kribbelnde Arme, taube Finger oder Ähnliches, hatte ich vor allem mit erneuten Sehnerventzündungen an beiden Augen zu kämpfen. Darüber hinaus war mein linker Arm fast gelähmt und ich litt täglich unter einer starken Fatigue und Kopfschmerzen. Jeden Mittag war ich rund eine Stunde energielos und nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Mittagspause wurde täglich mit einem Kaffee in die Länge gezogen und ich erholte mich an schlimmsten Tagen vor dem Rechner und starrte wie ein Zombie auf irgendwelche Artikel, die ich nicht erfassen konnte.

Über diese Jahre verschlechterte sich der Zustand meines Gehirns deutlich. Mittlerweile hatte ich mehr als 40 Läsionen an diversen Stellen, auch im Rückenmark. Das Gehirnvolumen hatte bereits abgenommen und ich wurde nicht nur einmal von Ärzten darauf hingewiesen, dass meine Bildgebung doch auf einen schweren Verlauf schließen lasse.

Ich bekam mehrfach Cortison Therapien, die mich zusätzlich für einige Tage lähmten und probierte mich mit verschieden Basistherapien. In den Folgejahren habe ich fünf unterschiedliche Medikamente bekommen. Alle hatten ihre speziellen positiven wie auch negativen Seiten. Bei einigen kam meine MS komplett zur Ruhe und keine neuen Läsionen bildeten sich. Bei anderen hatte ich nach wie vor Schübe. Manche musste ich wegen teils schwerer Nebenwirkungen absetzen, andere waren schlicht wirkungslos.

Mittlerweile haben mein Hamster und ich uns auf eine friedliche Ko-Existenz geeinigt, man könnte auch sagen: eine Waffenruhe, die hoffentlich noch sehr lange andauert. Ich habe nach jahrelangem Kampf auch für mich persönlich einige sehr gravierende Änderungen, sowohl in meiner eigenen Wahrnehmung als auch in meinem Leben, durchzogen. Seit nunmehr acht Jahren lebe ich beinahe schub- und symptomfrei ohne größere Einschränkungen.

Einige dieser Änderungen haben sich für mich als sehr hilfreich erwiesen. Da ich nun ein entspanntes, ausgeglichenes und gesundes Leben führe, möchte ich gerne meine Erkenntnisse teilen und andere teilhaben lassen. Es ist mir ein großes Anliegen, anderen Betroffenen Mut zu machen und darüber zu informieren, dass sie einen Teil ihrer Gesundheit selbst in der Hand haben.

Wir können tatsächlich selbst sehr viel zu einem guten Leben trotz MS beitragen! Die MS ist keine Einbahnstraße mehr!

Wenn ich heute zum Arzt gehe, begrüßt mich meist nur ein erstaunter Blick und es folgt häufig der Kommentar: »Ihre Klinik passt nicht so recht zur Bildgebung.« Dies mag wohl so viel heißen wie: »Als ich die MRT Bilder gesehen habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass Sie heute ohne Einschränkungen bei mir fröhlich zur Tür reinhüpfen!«

Tue ich aber!

 

1.2 Multiple Sklerose – Was ist das eigentlich genau?

Kurzbeschreibung

Die Multiple Sklerose (MS) oder auch Encephalomyelitis disseminata ist eine chronische, entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Typisch für die MS ist das Auftreten von Läsionen, die durch die Demyelinisierung (Entmarkung) von Nervenfasern entstehen. Je nach Lage der Läsion sind unterschiedlichste neurologische Symptome möglich. Die Erkrankung kann sowohl das Gehirn wie auch das Rückenmark betreffen mit entsprechend vielfältigen Symptomen. Neben Sehstörungen sind Sensibilitätsstörungen, Kopfschmerzen, Blasenstörungen und Gangstörungen häufige Anzeichen.

Zur Behandlung und Verlaufsmodifikation können verschiedene immunsuppressive und immunmodulatorische Wirkstoffe eingesetzt werden, die den Verlauf günstig beeinflussen können. Leider ist die Erkrankung zum heutigen Stand nicht heilbar.2

Exkurs – In einfachen Worten

Unser Gehirn fungiert als »Schaltzentrale« des menschlichen Körpers und Geistes. Es besteht aus verschiedenen Nervenzellen, welche wiederum aus einem Zellkörper und Nervenbahnen (sogenannten Axonen) bestehen.

Soll beispielsweise ein Finger bewegt werden, werden aus der entsprechenden Gehirnregion über die passenden Nervenbahnen Signale durch den Körper bis hin zum Finger übermittelt.

Axone können meterlang sein und durch den ganzen Körper – selbst bis hin zum kleinen Zeh – reichen. Dieses System funktioniert ähnlich wie bei der Übertragung von elektrischem Strom über Kabelleitungen zur Steckdose oder weiter zum elektrischen Endgerät.

Im Gegensatz zur Übertragung von Strom vom Kraftwerk bis zum Endgerät funktioniert die Übermittlung von Informationen über Axone in beide Richtungen. Nicht nur kann das Gehirn den Steuerbefehl an die Finger übermitteln, sondern auch Sinneseindrücke wie Wärme, Kälte oder Schmerz an das Gehirn transportieren. In unfassbarer Geschwindigkeit können so Bewegungen koordiniert und den Wahrnehmungen angepasst werden.

Ähnlich wie Stromkabel sind auch die Axone mit einer Isolierung versehen. Sie verhindern »Kurzschlüsse« und sorgen für eine schnelle und ungehinderte Übermittlung der Informationen.

Was ist die MS?

Bleibt man im Bild des Stromkabels, hilft es sich vorzustellen, wie ein Marder mit seinen spitzen Zähnen die äußere Schicht der Isolierung anknabbert. Zunächst wird nichts passieren. Schafft er es aber, eine oder mehrere Stellen des Kabels freizulegen, kann das durchaus schlimme Konsequenzen haben.

In unserem Körper sorgen die sogenannten Myelinscheiden für die Isolierung der Axone. Es sind genau diese Myelinscheiden (also die Isolierschicht), die bei der MS durch Entzündungen im Körper angegriffen oder auch zerstört werden wie das Stromkabel durch den Marder. Das ehemals isolierte Axon liegt nun an dieser Stelle frei, was zu einer Schädigung des Axons selbst führen kann, aber vor allem zunächst eine verlangsamte oder gestörte Informationsübertragung verursacht.

Je nachdem, welches Kabel oder – beim Menschen – welche Myelinscheide beschädigt ist oder welches Axon im Gehirn oder Rückenmark freiliegt, wird sich eine entsprechende Schädigung zeigen. Sind beispielsweise die Bereiche im Gehirn, in denen die Informationen für Sinneswahrnehmungen am linken Arm verarbeitet werden, betroffen, werden wir gestörte Sinneswahrnehmungen in genau diesem Bereich haben. Der linke Arm ist möglicherweise taub, kribbelt oder Wärme und Kälte sind nicht mehr gut zu unterscheiden.

Da nun unser zentrales Nervensystem die Schaltzentrale des ganzen Körpers ist, können unterschiedlichste Nerven gestört werden und die Auswirkungen sind sehr vielfältig.

Wenngleich keine MS der anderen gleicht, gibt es doch einige Symptome, die sehr häufig auftreten. Dies sind vor allem Fatigue (eine sehr starke Müdigkeit), Kopfschmerzen, Sensibilitätsstörungen, Muskelkrämpfe und Gangstörungen.

Die MS ist eine chronische Erkrankung, was bedeutet, dass sie aktuell noch nicht heilbar ist. Sie verläuft auf verschiedene Art und Weise. Bei den meisten Betroffenen treten einzelne Episoden auf, sogenannte Schübe, die sich in vielen, aber nicht allen Fällen zurückbilden.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Medikamente, die den Verlauf günstig beeinflussen können. Diese sogenannten Basistherapien werden meist dauerhaft eingenommen, um den Körper vor weiteren Schäden zu bewahren. Darüber hinaus gibt es Schubtherapien, also Medikamente – häufig Kortison – welches bei neu aufgetretenen Schäden genommen wird.

Nicht nur der Verlauf ist absolut individuell, die Prognose und die Therapie sind es ebenso. Wo die/der eine Betroffene sehr schnell sehr große Einschränkungen hat, kann die/der andere über Jahrzehnte nur wenig oder nichts merken.

Ursachen – woher kommt die MS?

Zum heutigen Kenntnisstand ist die Ursache der MS noch nicht letztlich geklärt. Es gibt Häufungen in Familien, was für eine genetische Komponente sprechen könnte. Man vermutet einen Zusammenhang mit verschiedenen Genorten, wie etwa auf dem HLA System (humanes Leukozyten-Antigen-System). Eine unmittelbare Vererbung wie bei »klassischen« Erbkrankheiten gibt es hingegen nicht. Dennoch ist das Risiko von Kindern Erkrankter erhöht, selbst eine MS zu entwickeln.

Neben genetischen Faktoren sind Umweltfaktoren als mögliche Auslöser oder als mitwirkende Faktoren im Gespräch. Diese sind vor allem ein Mangel an Vitamin D und bakterielle sowie virale Infektionen. Ganz aktuelle Untersuchungen finden Belege für einen Zusammenhang mit dem Pfeifferschem Drüsenfieber. Diese Erkrankung wird durch das Epstein-Barr-Virus hervorgerufen und tritt häufig in der Kindheit oder Jugend auf3. Zusätzlich können aber auch Rauchen, Passivrauchen und Übergewicht das Risiko erhöhen.4

Häufigkeit und Verbreitung (Epidemiologie)

Die MS wird deutlich häufiger bei Frauen diagnostiziert. Die remittierende Form der MS (RRMS) ist bei ihnen etwa 2–3x so häufig wie bei Männern. Die primär progrediente Form (PPMS) hingegen ist über die Geschlechter gleich verteilt.5

Interessant ist die hohe Prävalenz der Erkrankung in Europa und Nordamerika, was möglicherweise auch einen Zusammenhang mit Lichtexposition (Vitamin D) vermuten lässt. Insgesamt leben derzeit weltweit etwa 2,5 Millionen Menschen mit MS, davon der Großteil in diesen genannten Regionen.6

In Deutschland ist die Prävalenz derzeit bei 150 Erkrankten pro 100.000 Einwohner und jährlich kommen 6–8 Fälle pro 100.000 Einwohner hinzu.

Symptome

Wie bereits erläutert, sind die Symptome der MS absolut individuell und richten sich jeweils nach dem Ort, der Größte und der Art der Läsion. Selbst Läsionen an der gleichen Stelle können zu anders ausgeprägten Symptomen bei verschiedenen Personen führen. Aufgrund der Individualität der Symptome ist es häufig sehr schwierig, eine MS definitiv zu diagnostizieren.7

Dennoch gibt es einige Symptome, die gehäuft bei MS auftreten (in absteigender Reihenfolge):

• 90% Fatigue

• 76% Gangstörungen

• 70% Sensibilitätsstörungen

• 63% Schmerzen

• 61% Muskelkrämpfe

• 54% Kopfschmerzen

• 54% Depressionen

• 54% Emotionale Veränderungen

• 51% Blasenstörungen

Bei vielen Personen zeigt sich die MS zunächst als Optikneuritis, also Störungen des Sehens, oder auch durch Empfindungsstörungen wie etwa Kribbeln oder Taubheit, oder auch durch Gangstörungen. Im Verlauf der Erkrankung kann es zu einer Zunahme der Symptome kommen, sowohl bei der Art als auch deren Schwere.8

Verlaufsformen9

Die MS hat mehrere verschiedene Verlaufsformen. Am häufigsten ist eine schubförmig remittierende (RRMS) Variante, sie betrifft etwa 85% der Fälle. Dies bedeutet, dass neue Symptome nach ihrem Auftreten wieder remittieren, also sich wieder zurückbilden. Die Häufigkeit des Auftretens von neuen Symptomen, also von sogenannten Schüben, ist ebenfalls sehr individuell und kann von mehreren pro Jahr bis zu einem oder keinem alle zehn Jahre reichen.

Abbildung 1: Schubförmig remittierende MS. Links: mit vollständiger Rückbildung von Schüben; Rechts: ohne vollständige Rückbildung nach Schüben

Nimmt über die Erkrankungsdauer die Krankheitsaktivität zu oder bilden sich Schädigungen nicht mehr ausreichend zurück, wird der Verlauf als sekundär progredient (SPMS) beschrieben.

Sekundär daher, weil die MS zunächst, also primär, einen rückbildenden Verlauf nahm.

Abbildung 2: Sekundär progrediente MS. Links: Progrediente Verschlechterung nach schubförmigem Verlauf; Rechts: Progrediente Verschlechterung (mit aufgesetzten Schüben) nach schubförmigem Verlauf

Schließlich gibt es in selteneren Fällen (15%) einen primär progredienten Verlauf (PPMS). Dies bedeutet, dass sich direkt von Erkrankungsbeginn an die Schäden nicht mehr oder nur unzureichend zurückbilden. Es gibt also keine Phasen der Erholung, sondern eine kontinuierliche, also progrediente, Zunahme an Symptomen.

Abbildung 3: Primär progrediente MS. Links: Progrediente Verschlechterung seit Krankheitsbeginn; Rechts: Progrediente Verschlechterung seit Krankheitsbeginn (ggf. mit Phasen leichter Besserung bzw. ohne Progression)

Prognose10

Ganz allgemein gesagt, lässt sich der individuelle Verlauf nicht vorhersagen. Im Durchschnitt sieht man bei den bestehenden Fällen in etwa nach 15 Jahren bei 50% der Patienten die Notwendigkeit einer Gehhilfe. Nach 25 Jahren ist 1/3 nicht mehr gehfähig, 2/3 der Patienten sind nicht mehr arbeitsfähig. Keine oder nur eine geringe Behinderung sieht man bei etwa 10%. Insgesamt ist die Lebenserwartung bei Menschen mit MS um etwa 6–7 Jahre reduziert.

Mit der Verbesserung der Medikation wird sich dieses Bild möglicherweise sowohl für bestehende als auch zukünftige Patienten ändern.

Es gibt aus der Beobachtung von existierenden Verläufen prognostisch eher günstige und ungünstige Faktoren.

Als günstige Faktoren zeigen sich:

▪ Beginn < 35. Lebensjahr

▪ Einzelsymptome, nur sensible Symptome

▪ Kurze Dauer (nur wenige Tage) von Schüben und vollständige Rückbildung

▪ Erhaltene Gehfähigkeit

▪ Erst spät sichtbare

Läsionen Eher ungünstig sind:

▪ Eine späte Erkrankung

▪ Früh mehrere Symptome zeitgleich, Einbezug motorischer und zerebellärer Symptome

▪ Lange Dauer von Schüben mit unvollständiger Rückbildung

▪ Früher Verlust der Gehfähigkeit

▪ Initial hohe Läsionslast

Diagnose11

Die MS ist eine Diagnose, die häufig erst nach einigen Jahren gegeben werden kann.

Mittels Anamnese kann bei neurologischen Ausfällen der Verdacht einer entzündlich-demyelinisierenden Erkrankung des Zentralnervensystems gestellt werden. Um dies zu spezifizieren, müssen einige Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden. Hierzu ist sowohl Bildgebung mittels MRT wie auch Labordiagnostik (Blut, Urin, Liquor) nötig.

Unter Beachtung und Ausschluss von Differentialdiagnosen (wie z.B. Borelliose, HIV-Infektion, Vitamin-B12-Mangel, systematischer Lupus Erythematodes) wird anhand der McDonald-Kriterien die MS diagnostiziert:

Schübe

Objektivierbare klinische Manifestationen

Weitere erforderliche Kriterien

2 oder mehr

2 oder mehr

keine; klinische »Evidenz«ausreichend (zusätzliche »Evidenz«wünschenswert, muss dann mit MS vereinbar sein)

2 oder mehr

1

räumliche Dissemination im MRT (Definition siehe unten) oder weiterer klinischer Schub (oder positiver Liquorbefund und 2 oder mehr MS-typische Läsionen im MRT)Alte McDonald-Kriterien

Schübe

Objektivierbare klinische Manifestationen

Weitere erforderliche Kriterien

1

2 oder mehr

zeitliche Dissemination im MRT (Definition siehe unten)oder zweiter klinischer Schuboder oligoklonale Banden im Liquor (ohne entsprechenden Nachweis im Serum)

1

1

Räumliche Dissemination im MRT (s.u.) und zeitliche Dissemination im MRT (s.u.)oder Nachweis spezifischer oligoklonaler Banden im Liquor oder zweiter klinischer Schub

Tabelle 1: McDonald Kriterien zur Diagnose einer schubförmig remittierenden MS

Neurologische Progression, die auf eine MS hinweist

Ein Jahr Krankheitsprogression (retrospektiv oder prospektiv festgestellt) und Zwei von drei der folgenden Kriterien:- Nachweis einer räumlichen Dissemination im Gehirn anhand von ≥1 T2 Läsionen in MS-typischen Regionen (infratentoriell, (juxta-) kortikal, periventrikulär)-Nachweis einer räumlichen Dissemination des Rückenmarks (≥2 T2-Läsionen)-Nachweis oligoklonaler IgG-Banden im Liquor

Tabelle 2: McDonald Kriterien zur Diagnose einer primär progredienten MS

2. Die Gesundheit in die eigenen Hände nehmen – 9 Bausteine für einen guten Verlauf

Wird man heute in Deutschland neu mit Multipler Sklerose diagnostiziert, hat man oft einen langen Leidensweg hinter sich. In vielen Fällen dauert es Jahre, bis die wirkliche Ursache der unspezifischen Symptome erkannt wird. Verschiedenste Ärzte haben unterschiedliche Untersuchungen durchgeführt. Von Blutuntersuchungen bis hin zum MRT wurde vieles getan, um Sicherheit zu bekommen.

Wurde nun die MS diagnostiziert, wird entschieden, ob und welche Basistherapie eingesetzt wird. Kommt es im Laufe der Zeit zu Verschlechterungen oder starken Nebenwirkungen, denkt man über den Einsatz einer anderen Basistherapie nach. Bestehende Symptome werden so weit wie möglich behandelt. Bei akuten Schüben setzt man häufig Cortison-Therapien ein. Ist die MS ruhig, besucht man in regelmäßigen Abständen die/den behandelnde/n Neurologin/en und bekommt ein MRT zur Verlaufskontrolle. Was man aber in dieser Zeit selten hört, sind Hinweise auf einen gesunden Lebensstil beziehungsweise die Frage, ob man raucht, regelmäßig Sport treibt oder sich gesund ernährt.

Nach heutigem Kenntnisstand wissen wir, dass der Lebensstil Auswirkungen auf die allgemeine körperliche Gesundheit hat. Wir wissen, dass ein gesunder Lebensstil Krankheiten verhindern oder gar kurieren kann. Genauso wissen wir, dass schädliche Lebensstilentscheidungen unserer Gesundheit abträglich sind. Dennoch wird der Zusammenhang mit MS meist verkannt.

Die folgenden Kapitel greifen genau diesen Punkt auf. Zunächst wird erörtert, wie sich der Lebensstil auf körperliche Gesundheit allgemein auswirkt. Im Anschluss wird das Konzept der Lebensstilmedizin erklärt und auf die MS angewendet. Dazu werden 9 Teilbereiche im Detail untersucht, damit in Zukunft jede/r MS-Betroffene bestens darüber informiert wird, was sie/er selbst tun kann. Mein persönlicher Wunsch wäre, beim Arzt nicht nur Medikamente zu diskutieren, sondern auch zu lernen, dass Sport sehr hilfreich sein oder wie Meditation Ängste verbessern kann. Im besten Fall bekäme ich ein Sportprogramm auf Rezept und Unterstützung bei der Umsetzung einer gesunden Ernährung. Dies ist aber wahrscheinlich noch Zukunftsmusik.

Daher befasse ich mich an dieser Stelle selbst mit der bestehenden Forschung und ziehe eigene Schlüsse aus wissenschaftlichen Studien.

Was sind wissenschaftliche Studien? Welche Arten gibt es und worin unterscheiden sie sich?

Wissenschaftliche Studien liefern seriöse Informationen auf Basis der Auswertung von erhobenen Daten. Zu Beginn stehen Hypothesen oder Fragen. Beispielsweise könnte man die Frage stellen, ob Raucher häufiger MS haben als Nichtraucher. Um diese Frage zu beantworten, werden nun Daten erhoben. Dies kann beispielsweise durch einen Fragebogen passieren, aber auch durch die Auswertung von Patientendaten. Daneben gibt es unzählige andere Möglichkeiten, die jeweils entsprechend der gestellten Frage ausgewählt werden.

Absolut grundlegend für seriöse Forschung sind drei Gütekriterien. Diese sind Reliabilität, Validität und Objektivität.

Unter Reliabilität versteht man die formale Genauigkeit wissenschaftlicher Untersuchungen. Es soll ein Höchstmaß an Anstrengungen unternommen werden, Messfehler jeder Art auszuschließen. Validität liegt dann vor, wenn die gewählten Indikatoren, Fragen und Antwortmöglichkeiten wirklich und präzise das messen, was gemessen werden soll. Die Objektivität von Messverfahren und Fragen kann man gewährleisten, wenn die Wahl der Messenden, Interviewer/innen, Prüfer/innen keinen Einfluss auf die Ergebnisse hat.

Nicht alle Studien sind gleichwertig. Sie unterscheiden sich auch noch im Hinblick auf ihre Evidenz (Gewissheit oder Sicherheit der Aussagekraft). Nach Evidenzgesichtspunkten unterscheidet man in der Wissenschaft in Metastudien, randomisierte kontrollierte und verblindete (klinische) Studien und Kohortenstudien. All diese Studien gibt es in verschiedenen Untergruppen und Arten und sie haben auch teils andere Namen, aber generell sind sie gestuft nach Aussagekraft und Relevanz.

Metastudien sind Studien, die die Ergebnisse aus mehreren Studien zusammenfassen. Sie haben so die höchste Aussagekraft und sind am »glaubhaftesten«.

Die zweite Stufe direkt darunter sind Studien, bei denen die Teilnehmer zufällig entweder der Versuchsgruppe oder der Kontrollgruppe zugehören. Weder der Teilnehmer noch der Kontrolleur, z.B. der Arzt, weiß, welcher Studiengruppe die Person angehört. Darum nennt man diese Studien »verblindet«. Da keiner der Teilnehmer weiß, ob er nun z.B. ein Medikament spritzt oder ein Placebo, kann auf diese Art genau untersucht werden, ob die Intervention, hier also das Medikament, funktioniert.

Als dritte Evidenzstufe darunter werden Kohortenstudien (z.B. in der »Epidemiologie«) angesehen. Hier werden Gruppen von Personen in ihrem Verhalten beobachtet oder über ihr Verhalten befragt.

Bei der Auswertung und Bewertung von Studien beachtet man all diese genannten Kriterien. Dazu schaut man sich noch an, ob es Unstimmigkeiten gibt und ob die Statistik richtig interpretiert wurde.

Life Style Medizin als Ansatz, das System zu heilen?

Meine persönliche MS Geschichte ist nun mehr als 13 Jahre lang. Nach diversen Schüben und mit mehr als 40 Läsionen im Kopf lebe ich heute seit einigen Jahren schubfrei und weitestgehend auch symptomfrei.

Mir ging es leider nicht immer so gut, wie dies heute der Fall ist. Genau diese Tiefpunkte und die schlechten Aussichten, die mir von überall entgegenblickten, haben mich dazu angeregt, danach zu suchen, ob und wie ich mir möglicherweise selbst helfen kann.

Mein Ansatz war immer an wissenschaftlichen Fakten orientiert und niemals nur an Erfahrungswerten. Und so landete ich schließlich bei einer evidenzbasierten Praxis, die sich »Life Style Medicine«, also die Medizin des gesunden Lebensstils, nennt.

Aber zunächst zu der grundlegenden Frage: Was ist LebensstilMedizin überhaupt?

Seinen Ursprung hat diese Richtung der Medizin in den USA. Die letzten Jahre hat sie immer weiter an Bedeutung gewonnen, ist aber auch heute noch eher eine kleinere Praxis.

Die grundlegende Logik der Life Style Medicine fußt auf der Beobachtung, dass wir zwar zum einen älter werden, zum anderen aber die Lebensqualität gerade im Alter abnimmt. In den USA lag die Lebenserwartung im Jahr 2000 bei 77,9 Jahren. Dies ist deutlich länger als die etwa 50 Jahre, die es noch vor 100 Jahren waren. Andererseits sind die Menschen heute nicht mehr bis ins hohe Alter fit. Im Schnitt leben die Menschen etwa die letzten 12 Jahre mit Einschränkungen durch verschiedene Krankheiten.

Noch vor 100 Jahren waren Infektionskrankheiten die häufigste Todesursache. Heute sind es mit Abstand Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Es sind genau diese Erkrankungen, die durch Lebensentscheidungen wie Rauchen, schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung oder Alkoholkonsum mitverursacht werden.

Die Errungenschaften der neuen Medizin ermöglichen es, Infektionskrankheiten zu überstehen. Sie helfen ebenfalls, trotz diverser Volkskrankheiten oder auch Non-Communicable Diseases (nicht- übertragbare Krankheiten, engl. NCD) ein hohes Alter zu erreichen. Dank Medikamenten wie Insulin oder Blutdruckmitteln werden wir heute alt, bleiben dabei aber in sehr vielen Fällen nicht gesund.

Die typischen Volkskrankheiten umfassen beispielsweise Diabetes, Bluthochdruck oder Fettleibigkeit. Sie sind nicht infektiös übertragbar, sondern werden hauptsächlich durch unseren Lebensstil verursacht.

Unser aller Wunsch dürfte es sein, ein gesundes, ausgefülltes und selbstbestimmtes, langes Leben zu führen. Von Krankheit und Medikamenten will niemand bestimmt werden.

An dieser Stelle verortet sich die Life Style Medizin. Durch das Anstreben eines gesunden Lebensstils versucht man, Volkskrankheiten vorzubeugen und im schlimmsten Fall auch diese zu heilen.

Trifft man die besseren Lebensstilentscheidungen, kann man das Gleichgewicht im Körper wiederherstellen. Die Resultate sind oftmals erstaunlich!

Diese Maßnahmen umfassen:

▪ Sport und Bewegung

▪ Gesunde Ernährung

▪ Ausreichend und guter Schlaf

▪ Stressreduktion

▪ Mediation, Entspannung

▪ Sozialleben

▪ Vermeidung von Alkohol- und Drogenmissbrauch

▪ Geistige Beschäftigung

So trivial, wie es sich im ersten Moment anhören mag, so effektiv kann es im Einzelfall sein.

Es gibt beeindruckende Studienergebnisse, die aufzeigen, dass Lebensstilmaßnahmen sowohl vorsorglich als auch zur Behandlung einiger Krankheiten äußerst erfolgreich sein können.

Schaut man sich zum Beispiel Erkrankungen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems an, findet man Belege, dass Lebensstilmaßnahmen Atherosklerose (also Blockaden in Gefäßen) nicht nur vorbeugen, sondern auch lösen können. Dies nicht nur vor einem Herzinfarkt, sondern sogar danach! Auch Schlaganfällen kann vorgebeugt werden, selbst nachdem bereits einer passiert ist. Ebenfalls gibt es Studien, die zeigen, dass Diabetes Typ II in Remission gehen kann. Schließlich findet man Studien, die belegen, dass einigen Arten von Krebs, wie etwa Darmkrebs, vorgebeugt werden kann.12

Kurz gesagt, eine gesunde Lebensführung ist nicht nur Prävention für diverse Krankheiten, sondern auch die beste Medizin. Beispielsweise sind Medikamente zur Senkung des Cholesterins oft nicht so effektiv wie eine Ernährungsumstellung.

Life Style Medizin bei MS?

Die Life Style Medizin befasst sich vorwiegend mit »Volkskrankheiten«. Dies hat zum einen den Grund, dass diese zu den häufigsten Erkrankungen und auch Todesfällen führen, zum anderen aber klar durch Lebensführung beeinflusst werden.

Mit neurologischen Erkrankungen wie der MS beschäftigt sich die Life Style Medizin bisher nicht. Andersrum befasst sich die klassische Schulmedizin, speziell die Neurologie, nicht oder nur in bestimmten Fällen mit Fragen der Lebensführung.

An dieser Stelle allerdings möchte ich gerne die beiden Konzepte vereinen. Mir scheint es aus verschiedenen Überlegungen heraus mehr als nur logisch und naheliegend, dass der Lebensstil auch bei Personen mit MS einen Einfluss haben könnte.

In den folgenden Kapiteln versuche ich, die Teilbereiche der Life Style Medizin auf die MS hin anzuwenden. Ich hinterfrage, ob Ernährung, Sport oder Ähnliches einen Einfluss auf die MS haben kann und wie dieser aussieht. Hierzu werden zahllose Studien analysiert und auf ihren Inhalt und ihre Aussagekraft hin durchleuchtet.

Über die klassischen Teilbereiche der Lebensstilmedizin hinaus werden im Folgenden zusätzlich Maßnahmen und Themen besprochen, die besonders für die MS relevant sind. Dies sind beispielsweise Vitamin D und Sonnenexposition.

Wo immer es möglich ist, werden im Anschluss Empfehlungen abgeleitet, die helfen können, ein gesundes Leben mit MS zu führen, genau wie ich es auch tue.

Die Entstehung dieses Buch

Im Rahmen meiner Promotion in Wirtschaftswissenschaften habe ich wissenschaftliches Arbeiten im Detail gelernt. Dazu gehörte neben dem Erstellen eigener Forschungsarbeiten auch das Analysieren und Bewerten wissenschaftlicher Studien. Die Kenntnis von Statistik und Forschungsmethoden ist das nötige Handwerkszeug. Im Laufe der Jahre war ich selbst als Reviewerin für wissenschaftliche Zeitschriften und Konferenzen tätig.

Genau dieses Analysieren und Verstehen von Studien hat mir bei der Erstellung dieses Buches immens geholfen. Selbst wenn Wirtschaftswissenschaften nicht das Gleiche wie Medizin ist, so sind es doch gleiche oder ähnliche wissenschaftliche Methoden.

Um mich allerdings noch mehr in die Thematik einzuarbeiten, besuchte ich Kurse an medizinischen Fakultäten. Dazu zählen »Nutritional Science« (Ernährungswissenschaften) in Stanford, sowie »The Brain« (Neuroanatomie) und »Brain Health« (Gehirngesundheit) in Harvard.

Mit all diesem Rüstzeug war es mir möglich, hunderte, wenn nicht tausende Studien zu lesen und zu bewerten. Aus dieser mehrjährigen, nebenberuflichen Tätigkeit entstand schließlich dieses Buch.

 

2.1 Sonnenexposition und Vitamin D

Immer wenn die Frage auftaucht, was die Ursache der Entstehung der MS ist, hört man auch Vitamin D oder Sonnenstrahlung. Kann es denn tatsächlich daran liegen, dass man zu wenig in der Sonne war? Ist vielleicht das zu geringe Vitamin D im Körper die Ursache oder beeinflusst es sogar den Verlauf?

Als ich vor über 13 Jahren meine Diagnose erhalten habe, habe ich von keinem Arzt etwas Konkretes dazu gehört. Umso spannender ist es zu beobachten, wie sich die Hinweise und Studien hierzu verdichten.

In der Tat finden sich fast nur einschlägige Studien, die in den letzten rund zehn Jahren entstanden sind. Vor allem aber wird der Zusammenhang immer deutlicher und konkreter.

Es bleibt also auf jeden Fall spannend, was hier in Zukunft, möglicherweise sogar in naher Zukunft, noch passieren wird.

Hat Sonnenexposition oder der Vitamin-D-Level einen Einfluss auf die Entstehung der MS?

Die Entstehung einer MS kann auf sehr viele Faktoren und Zeitpunkte zurückgeführt werden. Eine Hypothese ist tatsächlich die Sonnenexposition der Mutter in der Schwangerschaft. Auch die Menge an Sonnenexposition in der Kindheit und Jugend wären denkbare Risikofaktoren. Schließlich könnte es auch einen Unterschied machen, wo man aufwächst und wie stark dort die Sonnenstrahlung ist. Ebenso sind Unterschiede bei Personen anderer Ethnien denkbar.

Und genau an diesen Punkten setzen Forscher in ihrer Suche an. Zunächst stellte eine Studie von 2010 die Fragen, ob die mütterliche UV-Exposition in der Schwangerschaft sowie der Geburtsmonat der Kinder einen Einfluss auf die Entstehung der MS hat. In der Tat kann die australische Studie, die Daten aus Geburtsregistern nutzt, zeigen, dass die Kinder mit der höchsten UV-Exposition im ersten Trimester das niedrigste MS-Risiko hatten.13

Ein systematischer Review von 2012 unterstützt die These, hat aber ein leicht anderes Ergebnis. Die Forscher fanden ein gesteigertes Risiko bei den Geburtsmonaten April bis Mai und ein reduziertes MS-Risiko bei Geburten im Oktober oder November. Die Forscher vermuten auch hier die Sonnenexposition der Mutter als entscheidenden Faktor. Allerdings scheint es nicht nur die Exposition im ersten Trimester zu sein, sondern auch im zweiten Trimester. Entsprechend unterstützen sie daher die These, dass Vitamin D in der Schwangerschaft supplementiert werden sollte.14

Geht man weiter voran und schaut sich die Sonneneinstrahlung in der Kindheit an, gibt eine Studie von 2014 interessante Einblicke. Die Forscher analysierten die Sonnengewohnheiten von Kindern und Jugendlichen in Italien und Norwegen. Jugendliche aus Norwegen, die im Alter zwischen 16 und 18 nur unregelmäßig draußen waren, hatten ein signifikant erhöhtes MS-Risiko. Bei den italienischen Kindern allerdings zeigte sich das nur im Alter von 0–5 Jahren. Dazu kommt, dass die regelmäßige Verwendung von Sonnenschutz bei Kleinkindern (0–6 Jahre) in Norwegen das Risiko erhöhte. Zudem zeigte sich ein höheres MS-Risiko bei blonden oder roten Haaren.15

Eine weitere Studie fand dazu heraus, dass bei Menschen, die im Alter von 6–15 Jahren in Gegenden gelebt haben, die nur eine niedrige bis mittlere Sonneneinstrahlung hatten, die MS durchschnittlich 2,1 Jahre früher ausbrach. Allerdings hat die Einnahme von Lebertran in diesem Zeitraum den Ausbruch der Krankheit um etwa vier Jahre verzögert.16

Eine andere Studie untersuchte, ob es einen Unterschied macht, welcher Ethnie man angehört. Ganz allgemein fanden die Forscher einen Zusammenhang von höherer Sonnenexposition im ganzen Leben und reduziertem MS-Risiko. Dies trifft allerdings nur bei hellhäutigen und dunkelhäutigen Menschen zu, nicht aber bei Hispanics. Interessant ist auch, dass eine höhere Vitamin-D-Konzentration im Blut nur bei weißen Menschen mit einem niedrigeren MS-Risiko zusammenhängt.17

Sieht man diese ersten Untersuchungsergebnisse, ist es naheliegend zu vermuten, dass die Einnahme von Vitamin D, sozusagen als »Ersatz« für ausreichend Sonnenexposition, in der Kindheit und auch möglicherweise als Erwachsener und bestenfalls in der Schwangerschaft einen präventiven Effekt haben könnte.

Und in der Tat finden sich in der Forschung noch weitere Hinweise genau darauf.

Zum einen zeigt eine sehr umfangreiche Studie der Harvard University, die über viele Jahre die Gesundheit von mehreren zehntausend Krankenschwestern verfolgte, dass der Vitamin-D-Level im Zusammenhang mit der Entstehung von Krebs stehen kann, genau wie mit Knochenbrüchen, MS, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck. Für uns besonders interessant hierbei ist das Ergebnis in Bezug auf die Prävention von MS. Bereits die Einnahme von 400iE Vitamin D pro Tag vermochte in dieser Kohorte das Risiko der Entstehung einer MS um 65% senken!18

Zum anderen fanden Forscher in einer Studie in Norwegen heraus, dass die Supplementierung von 600–800iE pro Tag in Form von Lebertran den größten Effekt zur Reduktion des MS-Risikos bei Jugendlichen im Alter von 13–18 Jahren hat.19

Ein Lancet Review von 2010 prononciert zudem genau dies. Vitamin D kann sehr wohl eine präventive Funktion übernehmen. Am wichtigsten sehen sie dies in den Jugendjahren, aber auch ggf. in der Schwangerschaft und Kindheit.20 Selbst im Erwachsenenalter ist ein niedriger Vitamin-D-Wert noch mit einem höheren MS Risiko assoziiert.21

Einen weiteren, sehr interessanten Aspekt griffen Forscher 2014 auf, indem sie die Frage stellten, ob niedrige Vitamin-D-Werte ein Indikator sein könnten für den Übergang eines klinisch isolierten Syndrom (CIS) in eine diagnostizierte MS.

Und genau dies konnten sie auch bestätigen. War zu Beginn ein niedriger Vitamin-D-Wert gemessen worden, war das Risiko der Entstehung einer bestätigten MS sowie deren Progression erhöht. Der Herausgeber des Journals sieht genau dieses Ergebnis als Anlass für ein persönliches Statement im Vorwort der Ausgabe. Er appelliert dafür, dass der Bedarf an klinischen Studien zur weiteren Abklärung dieses Zusammenhangs enorm hoch sei. Zum anderen schreibt er, dass er im Falle eines ersten neurologischen Ausfalls (CIS) keine Sekunde bei sich oder seiner Familie zögern würde, 10.000iE Vitamin D am Tag als Prävention einzunehmen. Gleichzeitig kann er es natürlich verstehen, dass eben in Absenz von klinischen Phase-3-Studien kein Arzt so hohe Dosen an seine Patienten verschreiben würde.22

ZUSAMMENFASSUNG

• War die Mutter in der Schwangerschaft häufig in der Sonne oder lebte sie in einer sonnigen Region, hat das Kind später seltener MS.

• Je mehr man in frühen Jahren der Sonne ausgesetzt ist, umso seltener kommt es später zu MS.

• Die Gabe von Vitamin D oder Lebertran in Kindheit und Jugend hat einen vorbeugenden Effekt.

• Mittels hoher Vitamin-D-Gaben kann man möglicherweise das Fortschreiten eines klinisch- isolierten Syndroms zu einer bestätigen MS verlangsamen oder vermeiden.

Kann der Vitamin-D-Level im Blut und/oder Sonnenexposition einen Einfluss auf den Verlauf haben?

Den Einfluss von Vitamin D und Sonnenexposition auf die Entstehung von einer MS wurde bereits beschrieben. Jetzt stellt sich allerdings für uns, die wir bereits erkrankt sind, die Frage, ob die weitere Einnahme von Vitamin D auch die Progression positiv beeinflussen kann.

Und tatsächlich, mit Ausnahme eines Reviews, der in seiner Aussage noch etwas vorsichtig positiv formuliert23, sind sich alle anderen identifizierten Studien dahingehend einig, dass ein höherer Vitamin-D-Level mit einer niedrigeren Krankheitsaktivität in Verbindung steht.24

Eine Studie von 2010 mit 145 Patienten mit RRMS zeigte einen inversen linearen Zusammenhang von Schubrate und Vitamin-D-Level. Es besteht eine Dosis-Wirkungsbeziehung. Je höher also die Vitamin-D-Werte, umso niedriger die Schubrate. In Zahlen bedeutet dies eine Halbierung der Schubrate bei 50nmol/l höheren Werten!25

Zwei Jahre später, 2012, untersuchten Forscher 156 Personen mit RRMS. Sie erhielten gleichzeitig eine Therapie und etwa 3000iE an Vitamin D pro Tag. Die Ergebnisse sind denen der vorherigen Studie sehr ähnlich. Auch sie zeigen eine deutliche Reduktion der Schubrate bei höheren Vitamin-D-Werten. Allerdings findet diese Studie zudem ein »Plateau«. Bei Werten über 110nmol/l gab es keine weiteren Effekte26.

Darüber hinaus bestätigten Forscher 2014 die Erkenntnisse mit einer größeren Studiengruppe von 465 Personen. Ganz allgemein waren höhere Vitamin-D-Werte mit einer niedrigeren MS-Aktivität verbunden. In Zahlen ausgedrückt fanden sie sogar etwas höhere Werte wie die vorangegangenen Studien. Lag der Wert von Vitamin D über 50nmol/l im Blut während des ersten Jahres, war die Schubrate um 57% reduziert sowie die Zunahme an Läsionen um 25% niedriger27.

Auch wenn diese Ergebnisse bereits sehr positive Ergebnisse zeigen, wird es in den kommenden Jahren nochmal spannend. Eine Forschergruppe ist derzeit aktiv an der Erarbeitung eines systematischen Reviews, was alles Bisherige zusammenfasst.28

Das Potenzial von Vitamin D ist beeindruckend. Eine Halbierung der Schubrate ist nicht nur eindrucksvoll, sondern für Betroffene auch von entscheidender Bedeutung hinsichtlich des langfristigen Verlaufs! Viele der existierenden Medikamente können keine so positiven Wirkungen erreichen.

ZUSAMMENFASSUNG

• Ist man bereits an MS erkrankt, kann sich die Einnahme von Vitamin D positiv auf den Verlauf auswirken.

• Bei hohen Vitamin-D-Werten im Blut können Schübe verhindert werden und auch die Entstehung von Läsionen wird verlangsamt.

Wie hoch ist die richtige Dosis?

Das Potenzial von Sonneneinstrahlung und/oder der Supplementierung mit Vitamin D hat offenbar sowohl Effekte auf die Prävention einer MS als auch auf deren Verlauf.

Die logische Frage, die sich anschließt, ist nach der optimalen Dosierung des Vitamin Ds. Hierzu gibt es auch einige interessante Erkenntnisse.

Laut Lancet lag 2010 die aktuelle Empfehlung bei 200–400iE pro Tag in Europa, in Kanada und den USA bei 200–600iE. Das optimale Serumlevel solle bei 50–100nmol/l sein. Die Autoren einiger Studien denken, dass die Einnahme von 1000–4000iE pro Tag höchstwahrscheinlich nicht giftig sei und auch 10.000iE am Tag für Erwachsene kein Risiko darstelle.29

Einen sehr ähnlichen Schluss zieht die bereits erwähnte Harvard- Studie mit zehntausenden Krankenschwestern, geht aber nochmal einen Schritt weiter. In Anbetracht der zahlreichen präventiven Wirkungen von Vitamin D solle bestenfalls die ganze Bevölkerung mit Vitamin D supplementiert werden. Hierbei sollten die Blutwerte mindestens 30ng/ml erreichen. Eine tägliche Dosis von 1000–2000 iE wird als sicher und effektiv erachtet, allerdings könne davon ausgegangen werden, dass der sichere Wert bei über 1000 iE am Tag liegt.30

Die empfohlene Dosis kann daher etwa bei 3000–5000IE am Tag liegen. Dazu sollten die Blutwerte regelmäßig kontrolliert werden. Der Blutwert von Vitamin D sollte über 100nmol/L erreichen, da hier die größte Schubreduktion festgestellt wurde.31 Schließlich berichten Studien, dass Personen, die Vitamin D supplementieren oder sich gezielt der Sonne aussetzen, eine höhere Lebensqualität haben.32

2.2 Schlaf

Unser Körper braucht täglich mehrere Stunden Schlaf, um sich zu erholen und zu regenerieren. Die nötige Schlafdauer variiert je nach Alter (vgl. dazu Tabelle 3).

Alter

Empfohlene Schlafdauer pro Tag

0–3 Monate

14–17h (incl. Tagschlaf)

4–12 Monate

12–16h (incl. Tagschlaf)

1–2 Jahre

11–14h(incl. Tagschlaf)

3–5 Jahre

10–13h(incl. Tagschlaf)

6–12 Jahre

9–12h

13–18 Jahre

8–10h

18–60 Jahre

Mehr als 7h

61–65 Jahre

7–9h

Mehr als 65 Jahre

7–8h

Tabelle 3: Schlafbedürfnis nach Alter33

Schlaf ist für unseren Körper genauso essenziell wie Sauerstoff zum Atmen oder die Zufuhr von Nahrung. Fehlt es an der entsprechenden Schlafdauer oder ist der Schlaf in seiner Qualität gestört, hat dies möglicherweise negative Auswirkungen auf alle Körpersysteme. Beispielsweise kann Schlafmangel bei manchen Personen zu Bluthochdruck oder Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems beitragen. Dies wiederum erhöht das Risiko für Schlaganfälle oder Herzinfarkte.34 Auch Auswirkungen auf das Immunsystem sind zu erwarten. Unter Schlafmangel lässt etwa die Wirksamkeit von Grippeimpfungen nach und die Dauer von Infekten kann sich erhöhen.35

Wenn der Körper nicht genug Schlaf bekommt, kann das zudem weitreichende Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem haben. Dies reicht von Konzentrationsschwierigkeiten und schlechter Laune über Gedächtnisprobleme bis hin zu herabgesetzter Reaktionsgeschwindigkeit. Im schlimmsten Fall kann so etwas z.B. im Straßenverkehr tödlich enden.36

Schlafstörungen bei Personen mit MS