Multitasking - Andreas Zimber - E-Book

Multitasking E-Book

Andreas Zimber

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Beschreibung

Multitasking lässt sich als Verhaltensstrategie beschreiben, bei der versucht wird, in einem bestimmten Zeitraum mehrere Aufgaben parallel zu bewältigen. Angesichts der sich in den letzten beiden Jahrzehnten stark veränderten Arbeitsbedingungen kommt der Bewältigung von komplexen Arbeitsanforderungen eine große Bedeutung zu. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, Multitasking und ähnliche Anforderungen wie Komplexität und Unterbrechungen besser verstehen zu können, ihr Auftreten und damit verbundene Konsequenzen bewerten zu können sowie Möglichkeiten zu einem effektiven Umgang damit kennenzulernen. Zunächst gibt der Band einen Überblick über die Verbreitung, Ursachen und Folgen von Multitasking. Dabei wird insbesondere auf Auswirkungen auf die Leistung und Beanspruchungsreaktionen eingegangen. Anschließend werden praxisbezogene Empfehlungen zur Bewältigung von komplexen Arbeitsanforderungen gegeben. Zum einen werden Instrumente vorgestellt, anhand derer sich Multitasking-Komponenten im Arbeitskontext feststellen und analysieren lassen. Zum anderen zeigen die Autoren auf, wie z.B. technische Hilfsmittel und Arbeitstechniken effektiver genutzt werden, das Arbeitsgedächtnis entlastet, Tätigkeiten sinnvoll abgewechselt, Erholungsaktivitäten geplant und Pausen effektiv gestaltet werden können. Die im Anhang enthaltenen Fragebögen zur Selbstbeurteilung zum Thema Multitasking runden den Band ab.

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Andreas Zimber

Thomas Rigotti

Multitasking

Komplexe Anforderungen im Arbeitsalltag verstehen, bewerten und bewältigen

Managementpsychologie

Band 1

Multitasking

Prof. Dr. Andreas Zimber, Prof. Dr. Thomas Rigotti

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Rolf van Dick, Prof. Dr. Jörg Felfe, Prof. Dr. Sandra Ohly, Prof. Dr. Jürgen Wegge

Prof. Dr. Andreas Zimber, geb. 1967. Studium der Psychologie in Heidelberg und Studium der Personalentwicklung in Kaiserslautern. 1994–2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und am Deutschen Zentrum für Alternsforschung (DZFA) an der Universität Heidelberg. 1999 Promotion. 2000–2008 selbstständiger Personalpsychologe mit den Schwerpunkten Betriebliche Gesundheitsförderung und Führungskräfteentwicklung. Seit 2008 Professor für Wirtschaftspsychologie und seit 2012 Leitung des Masterstudiengangs Psychologie an der SRH Hochschule Heidelberg.

Prof. Dr. Thomas Rigotti, geb. 1974. Studium der Psychologie in Leipzig. 2002–2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig. 2008 Promotion. 2012–2013 Vertretungsprofessuren für Organisationspsychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2013 Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Umschlagabbildung: PeopleImages © Stock photo – iStock.com

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2015

© 2015 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-8409-2551-1; E-Book-ISBN_EPUB 978-3-8444-2551-2)

ISBN 978-3-8017-2551-8

http://doi.org/10.1026/02551-000

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Ziele und Aufbau dieses Buches

Warum (noch) ein Buch über Multitasking?

Zielgruppen und Nutzen

Ein Beispiel aus der Praxis

Gliederung und Hinweise zur Nutzung des Buches

1.2 Der Wandel der Arbeitswelt und seine Ursachen

1.2.1 Globale Entwicklungen (Makroebene)

1.2.2 Entwicklungen in den Unternehmen (Mesoebene)

1.2.3 Wirkungen auf die Beschäftigten (Mikroebene)

2 Ansätze zur Erklärung von Multitasking

2.1 Multitasking bei der Arbeit: Verbreitung und Abgrenzung von verwandten Phänomenen

2.1.1 Verbreitung von Multitasking bei der Arbeit

2.1.2 Alter Wein in neuen Schläuchen? Abgrenzung von etablierten Konstrukten

2.1.3 Versuch einer Arbeitsdefinition

2.2 Theorien und Modelle

2.2.1 Kognitions- und neuropsychologische Grundlagen

2.2.2 Arbeitswissenschaftliche Theorien

3 Auswirkungen von Multitasking

3.1 Folgen von Multitasking bei der Arbeit

3.1.1 Leistungsbezogene Folgen

3.1.2 Multitasking und seine Folgen für Beanspruchung und Stress

3.1.3 Was beeinflusst den Zusammenhang zwischen Multitasking und seinen Folgen?

3.2 Wo steht die angewandte Multitasking-Forschung?

3.2.1 Vorschlag eines integrativen Modells

3.2.2 Probleme der Multitasking-Forschung und weiterer Forschungsbedarf

4 Praxisempfehlungen

4.1 Praktisches Vorgehen im Unternehmen

4.2 Analyse von Multitasking-Komponenten

4.2.1 Multitasking-Anforderungen

4.2.2 Multitasking-Verhalten

4.2.3 Multitasking-Präferenz (Polychronizität)

4.2.4 Multitasking-Fähigkeit

4.3 Maßnahmenempfehlungen

4.3.1 Bedingungsbezogene Maßnahmen

4.3.2 Die Rolle der Führungskraft

4.3.3 Verhaltensbezogene Maßnahmen

4.4 Evaluation und Erfolgskontrolle

4.4.1 Planung und Vorbereitung

4.4.2 Evaluationsformen

4.4.3 Evaluationsdesigns

4.4.4 Evaluationskriterien

4.5 Fazit und Ausblick

Hintergrund

Eingrenzung des Phänomens im Anwendungskontext

Forschungsstand und weiterer Forschungsbedarf

Handlungsempfehlungen für die Praxis

5 Literaturempfehlungen

Arbeitswissenschaften/Arbeits- und Organisationspsychologie

Sozialwissenschaften

Populärwissenschaftliche Literatur und Belletristik

6 Literatur

Anhang

Sachregister

|7|1 Einleitung

There is time enough for everything in the course of the day, if you do but one thing at once, but there is not time enough in the year, if you will do two things at a time.

Lord Chesterfield in einem Brief an seinen Sohn (1740er)

1.1 Ziele und Aufbau dieses Buches

Warum (noch) ein Buch über Multitasking?

Die Anforderungen in der Arbeitswelt haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten gravierend verändert: Die Einführung moderner Kommunikations- und Informationstechnologien, anhaltende Reorganisationsprozesse mit neuen Arbeitsformen und -zeiten, flexiblen Netzwerkstrukturen und flachen Hierarchien fordern den Beschäftigten wachsende Anpassungsleistungen ab. Diese bilden sich u. a. in hohen Anforderungen an die Kooperation und Kommunikation (Cascio, 2003), einer schleichenden Entgrenzung der Arbeit z. B. infolge von Heimarbeit und ständiger Erreichbarkeit (Minssen, 2000), einer zunehmenden Eigenverantwortung bei der Selbststeuerung und -organisation (Bamberg, Busch & Ducki, 2003) oder einer wachsenden Arbeitsverdichtung und -intensität (Eurofound, 2010; Green, 2004) ab. Daher überrascht es kaum, dass die psychischen Belastungen bei der Arbeit auf einem sehr hohen Niveau verharren (z. B. Lohmann-Haislah, 2012) und mit der deutlichen Zunahme arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen in Verbindung gebracht werden.

Wachsende zeitliche Anforderungen vermitteln bei den Beschäftigten den Eindruck, viele Dinge gleichzeitig verrichten zu müssen, was landläufig als „Multitasking“ bezeichnet wird. Obwohl von Seiten der Neurowissenschaften infrage gestellt wird, dass wir uns tatsächlich mit mehreren Dingen gleichzeitig beschäftigen können (vgl. Pöppel, 2000), wird der Begriff „Multitasking“ allenthalben verwendet, und zwar meist mit negativer Konnotation: Es wird nicht nur mit Überforderung, Zeitdruck und Stress in Zusammenhang gebracht, auch leichte Ablenkbarkeit, Aufmerksamkeitsstörungen und Konzentrationsunfähigkeit insbesondere in der jüngeren Generation, die Verdrängung von Pausen und selbstbestimmter Zeit werden als Folgen von Multitasking angesehen.

Wurde die Bedeutung von Multitasking in den Medien zum Teil maßlos überschätzt, so fand gleichzeitig in der Grundlagenforschung, vor allem in den Kognitions- und Neurowissenschaften, eine umfassende und seriöse Auseinandersetzung mit dem Phänomen statt (z. B. Klingberg, 2008; Salvucci, 2005; Salvucci & Taatgen, 2008). Etwas anders verhält es sich dagegen mit den Arbeitswissenschaften: Hier steckt die Forschung zu Multitasking noch in den Kinderschuhen (vgl. Baethge & Rigotti, 2010; König & Waller, 2010; Zimber, 2010). Diese Kluft zwischen der wachsenden |8|Bedeutung des Phänomens im Arbeitsalltag und dem erst langsam zunehmenden Interesse der angewandten Forschung motivierte uns dazu, den Stand des Wissens und Praxisempfehlungen zum Umgang mit Multitasking bei der Arbeit zusammenzuführen.

Zielgruppen und Nutzen

Ziele dieses Buches sind, Multitasking und ähnliche Arbeitsanforderungen besser zu verstehen, ihr Auftreten und damit verbundene Konsequenzen zu bewerten und Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung kennenzulernen. Dieses Buch wendet sich an Fachleute, Praktiker1, Führungskräfte sowie Wissenschaftler, die mit unterschiedlichen Interessen an das Thema herantreten können:

Fachleute, z. B. aus der Arbeitsergonomie, der Betriebsmedizin, dem Arbeits- und Gesundheitsschutz und der betrieblichen Gesundheitsförderung oder auch der Personalauswahl und -entwicklung, werden sich besonders für die Bewertung dieser Arbeitsanforderungen, ihre möglichen Wirkungen und geeignete Präventionsmaßnahmen interessieren.

Praktiker, z. B. Trainer, Berater, Personalentwickler, lesen dieses Buch, weil sie diesen Anforderungen im Alltag selbst ausgesetzt sind und für sich selbst Wege eines besseren Umgangs suchen. Für diese Zielgruppe sind nicht nur die neueren Erkenntnisse, sondern auch die zahlreichen Praxisempfehlungen von besonderem Interesse.

Bei Führungskräften kommt hinzu, dass sie Verantwortung und Fürsorgepflicht für Mitarbeiter tragen, die solchen Anforderungen unterschiedlich intensiv ausgesetzt sind. Da Führungskräfte über Möglichkeiten verfügen, die Arbeitsanforderungen durch entsprechende Arbeitsbedingungen mitzugestalten, sind sie auf der Suche nach wissenschaftlich fundierten und zugleich im Alltag praktikablen Handlungsansätzen. Diese können u. a. die Arbeitsgestaltung und -optimierung, die Auswahl von multitaskingfähigen Mitarbeitern, die Anpassung an Multitasking-Anforderungen durch Personalentwicklungsmaßnahmen oder auch die gesundheitliche Prävention betreffen.

Wissenschaftler aus unterschiedlichen psychologischen Teildisziplinen, z. B. der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie oder auch der Gesundheitspsychologie, werden hier aktuelle Befunde zur Verbreitung und den möglichen Folgen moderner Arbeitsanforderungen finden.

Ein Beispiel aus der Praxis

Welche Rolle Multitasking bei der Arbeit spielt und wie es sich im Alltag konkret gestaltet, sei am Beispiel eines Vormittags der Führungskraft Franka L., Teamleiterin in einem mittelständischen Dienstleistungsunternehmen, exemplarisch verdeutlicht.

|9|Nach einem Wochenende, das sie zumindest teilweise zum Abschalten und Erholen nutzen konnte, macht sich Franka L. bereits bei der Fahrt zur Arbeit Gedanken über die Tätigkeiten, die sie heute erwarten werden. An den Montagen steht immer besonders viel an, weil sie sich am Morgen ausführlicher als sonst mit ihrer Assistentin abstimmen muss und nachmittags die wöchentliche Teambesprechung ansteht, die Franka noch vorbereiten muss. In dieser Woche sind die Quartalsabrechnung bei der Geschäftsführung und die Planung für die kommenden drei Monate abzugeben. Deshalb ist Franka auch gar nicht so unglücklich über den zähflüssigen Verkehr auf dem Weg in die Innenstadt, denn so hat sie noch etwas Zeit, sich im Kopf einen Merkzettel zur Vorbereitung der Sitzung zu erstellen: die Geschäftszahlen des letzten Quartals in die Excel-Tabellen übertragen, die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben im kommenden Quartal kalkulieren, schließlich die Präsentation für die Teambesprechung erstellen. Darüber hinaus ist für heute auch ein Mitarbeitergespräch mit einem Mitarbeiter vorgesehen, dessen Leistungen in den letzten Monaten deutlich nachgelassen haben. Franka möchte dies im Gespräch nicht nur rückmelden, sondern auch mögliche Gründe „herauskitzeln“, ihre Erwartungen verdeutlichen und mit dem Mitarbeiter möglichst verbindliche Vereinbarungen treffen. Franka, erst seit zwei Jahren in der Leitungsfunktion, hat mit solchen schwierigen Gesprächen noch nicht so viel Erfahrung. Daher entwirft sie in ihrem Kopf den Gesprächsablauf und eine Gesprächsstrategie, wie sie es im letzten Führungsseminar gelernt hat.

Etwa 20 Minuten später als sonst trudelt Franka endlich an der Arbeitsstelle ein. Ihre Assistentin wartet bereits auf sie, denn der Chef hat schon kurz nach 8 Uhr angerufen, um sie an die Quartalszahlen zu erinnern. Außerdem hat ein wichtiger Kunde dringend um Rückruf gebeten, um mit Franka nochmals bestimmte Vertragsbedingungen durchzugehen. „So ein Mist“, sagt sich Franka, „das jetzt auch noch!“ Die Assistentin erinnert sie auch daran, dass in der laufenden Woche eine neue Praktikantin erscheinen wird und vorher noch Aufgaben und Zuständigkeiten zur Einarbeitung geklärt werden sollen. Franka erstellt aus dem Gedächtnis eine Liste mit anfallenden Aktivitäten, überträgt ihrer Assistentin die Einarbeitung und bittet sie, wenn möglich bis zum Mittag eine detaillierte Planung auszuarbeiten, die sie beim Mittagessen mit ihr durchgehen wird. Von der Assistentin erfährt sie außerdem, dass sich der Mitarbeiter, mit dem sie heute das Gespräch führen wollte, krank gemeldet hat. Franka ist zum Teil erleichtert, weil sie jetzt wohl ihren Zeitplan besser einhalten kann. Andererseits hätte sie das Gespräch gerne hinter sich gebracht. Außerdem muss sie nun, was sie sich im Kopf zurechtgelegt hat, schriftlich festhalten, damit es nicht verloren geht.

Der Austausch mit der Assistentin dauert länger als erwartet. Es ist inzwischen 9 Uhr, und Franka ruft endlich ihren Chef zurück. Seine Chefsekretärin meldet, er sei gerade aus der Tür und erst ab 11 Uhr wieder an seinem Platz zu erwarten. Franka beschließt nun, ihre E-Mails zu checken und den Wochenkalender zu aktualisieren. Während sie ihren Rechner hochfährt, wählt Franka schon einmal bei dem Kunden, der auf seinen Rückruf wartet, durch. Erfreulicherweise geht dieser gleich ans Telefon, sodass nach einem 20-minütigen Gespräch die noch offenen Vertragsbedingungen geklärt werden können. Franka beauftragt danach ihre Assistentin mit der Ausfertigung und Zusendung des Vertrags. Anschließend geht sie die Liste ihrer E-Mails durch. Diese fällt kürzer aus als erwartet, doch sind unter den Mails drei Kundenanfragen und zwei Mitarbeiteranliegen, auf die Franka heute noch reagieren sollte. Während sie ihre Antwort-Mails formuliert, wird sie dreimal durch Telefonate unterbrochen, eines davon zieht sich fast 20 Minuten hin. Inzwischen ist es 11 Uhr und Franka erinnert sich an den noch anstehenden Rückruf beim Chef, der nun am Telefon etwas verärgert klingt. |10|„Lassen Sie uns das am besten beim Mittagessen klären!“, sagt er kurz angebunden zu Franka, die das geplante Gespräch mit der Assistentin nun auf den kommenden Tag verlegen muss.

Franka fällt wieder die dringend anstehende Quartalsabrechnung, die Planung für das kommende Quartal und die Präsentation heute Nachmittag ein. Sie beschließt, die noch offenen Mails erst nach der Teambesprechung ab ca. 16.30 Uhr zu bearbeiten. Dass sie ihrem Partner versprochen hatte, heute mal etwas früher zum Abendessen zu Hause zu sein, kann sie, wie es momentan aussieht, „erst mal abhaken“. Sie macht sich frisch ans Werk, weil ihr sonst die Zeit davonlaufen würde und beschließt, das Telefon komplett auf die Assistentin umzustellen, um die Arbeit ungestört verrichten zu können. Denn bald ist Mittag, der Chef wird sie zum Essen abholen. Und, ach ja, sie wollte sich ja noch einen Merkzettel für das vertagte Mitarbeitergespräch anlegen. Ihr wird klar, dass ihr Zeitplan für den Rest des Tages schon jetzt ziemlich eng aussieht …

Fasst man den Vormittag von Franka L. zusammen, so werden mehrere Charakteristika moderner Arbeit deutlich:

Begonnene Tätigkeiten werden häufig durch äußere Einflüsse oder andere Aufgaben unterbrochen, nach der Unterbrechung fortgesetzt oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Man spricht in diesem Zusammenhang von „fragmentierter“ Arbeit, die durch viele, häufig nicht abgeschlossene Paralleltätigkeiten gekennzeichnet ist.

Während eines Arbeitstages kommen immer neue, unvorhersehbare Aufgaben hinzu, die in den Arbeitsprozess eingeplant werden müssen. Da sich dadurch auch die Prämissen für die bisherigen Aufgaben ändern können, müssen diese evtl. abgebrochen, neu bewertet oder aufgeschoben werden.

Ein zunehmender Teil der Arbeit läuft mental ab: Planungen und Vorbereitungen, Reflektionen, das Verarbeiten von Arbeitsereignissen ist Kopfarbeit, die von den Beschäftigten oft als anstrengend und beanspruchend erlebt wird. Aus methodischer Sicht ist ein großer Teil der Kopfarbeit der Beobachtung von außen nicht zugänglich. Daher lassen sich solche Tätigkeiten schwerer erfassen, bewerten und modifizieren als andere Arbeitsformen.

Da sich die Tätigkeiten und ihr Ablauf infolge neuer Ereignisse oder Informationen ständig verändern, sind Selbststeuerungsaktivitäten u. a. zur Arbeitsplanung, erforderlich. Diese sind für den Erfolg der Arbeit fast ebenso wichtig wie die Tätigkeiten selbst.

Wie im Tätigkeitsverlaufsdiagramm (vgl. Abb. 1) deutlich wird, findet „echtes“ Multitasking im Sinne von gleichzeitiger Verrichtung mehrerer Tätigkeiten eher selten statt, und zwar als Franka L. zur Arbeit fährt und gleichzeitig die Quartalsabrechnung und das Mitarbeitergespräch vorausplant und noch einmal später, als sie ihren PC hochfährt und gleichzeitig bei dem Kunden anruft. Paralleltätigkeiten im engeren Sinn sind also typisch für stark automatisierte Routinetätigkeiten, bei deren Verrichtung man nicht oder wenig nachdenken muss und daher noch „Platz“ für weitere Tätigkeiten hat. Wie im Diagramm ebenfalls deutlich wird, hat Franka L. dennoch mehrere Aufgabenkomplexe (Quartalsabrechnung, Mitarbeitergespräch etc.) am gleichen Tag zu verrichten. Diese Aufgabenkomplexe, z. B. die Vorberei|11|tung der Quartalsabrechnung oder das Bearbeiten der E-Mails, werden aufgrund von Unterbrechungen oder Neuplanungen zum Teil mehrfach abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen. Würde man Franka L. nach Feierabend fragen, was sie an diesem Arbeitstag als besonders belastend erlebt hat, würde sie vielleicht benennen, dass sie ihre Aufgaben nicht an einem Stück erledigen konnte, sondern immer wieder durch andere Aufgaben herausgerissen wurde, sich dabei neu orientieren musste, gleichzeitig nicht vergessen durfte, wo sie bei der alten Aufgabe stehengeblieben war, um später wieder zurückzufinden usw.

Das Beispiel dürfte deutlich gemacht haben, dass Arbeiten sehr komplex geworden ist und Erwerbstätige hohen mentalen Anforderungen ausgesetzt sind. Multitasking stellt hierbei nur eine, jedoch typische moderne Arbeitsanforderung dar.

Gliederung und Hinweise zur Nutzung des Buches

Die Gliederung dieses Buches orientiert sich an seinen drei Zielsetzungen, Multitasking-Anforderungen besser zu verstehen, sie und ihre potenziellen Folgen bewerten zu können und Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung kennenzulernen.

|12|Nach dieser thematischen Einführung werden die gewandelten Anforderungen in der Arbeitswelt benannt und in ihrem wirtschaftlichen und technologischen Hintergrund verortet. Hierzu werden die ökonomischen Entwicklungen (Makroebene) mit ihren Einflüssen auf Wirtschaftsunternehmen (Mesoebene) und Beschäftigte (Mikroebene) zusammengefasst. Wir hoffen, dass sich dadurch nicht nur die allgemeine Entwicklung der Arbeitsanforderungen und -belastungen, sondern auch das Erfordernis, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen (Multitasking), besser einordnen und verstehen lässt.

Kapitel 2 stellt empirische Ergebnisse zur Verbreitung von Multitasking bei der Arbeit vor. Darüber hinaus grenzen wir dieses Phänomen von verwandten Konstrukten wie z. B. Arbeitsintensität, Aufgabenkomplexität und Arbeitsunterbrechungen ab und beschreiben Multitasking anhand von vier unterschiedlichen Komponenten (Anforderung, Fähigkeit, Präferenz und Verhalten). Es folgt eine Arbeitsdefinition von Multitasking und eine Einordnung dieses Phänomens in den theoretischen Kontext der Grundlagen- und der Arbeitsforschung. Ein besseres Verständnis der beteiligten kognitiven Prozesse, namentlich des Arbeitsgedächtnisses und der Aufmerksamkeit, ist notwendig, um zu verstehen, wie Menschen mit Multitasking-Anforderungen umgehen und worin die „natürlichen“ Grenzen parallelen Arbeitens bestehen. Des Weiteren ordnen wir Multitasking-Anforderungen in einschlägige arbeitswissenschaftliche Modelle ein.

Kapitel 3 geht auf die möglichen Folgen von Multitasking, insbesondere auf Leistungsveränderungen und Beanspruchungsreaktionen, ein. Um die Konsequenzen für die Arbeitsleistung abschätzen zu können, werden neben einer Vielzahl vorhandener Laborexperimente auch Befunde von Feldstudien vorgestellt. Diese zeigen differenzierte Wirkungen auf unterschiedliche Leistungskomponenten. Bei den bisher untersuchten Auswirkungen auf Beanspruchung und Stress handelt es sich vor allem um kurzfristige Reaktionen, die ebenfalls ein differenziertes Muster aufzeigen. Welche Folgen Multitasking-Anforderungen haben, scheint auch von einer Vielzahl von Bedingungen abhängig zu sein. Daher werden im gleichen Kapitel Befunde zu gesamtgesellschaftlichen, betrieblichen und individuellen Einflussfaktoren auf die Folgen von Multitasking vorgestellt. Der aktuelle Forschungsstand zu Multitasking-Verhalten wird im Rahmen eines integrativen Modells zusammengefasst. Am Ende des Kapitels gehen wir auf Probleme der angewandten Multitasking-Forschung und den weiteren Forschungsbedarf ein.

Kapitel 4 adressiert vor allem Personen, die sich praktisch mit Multitasking beschäftigen, insbesondere Beschäftigte mit Führungsverantwortung. Vorgestellt werden Instrumente und Vorgehensweisen zur Bewertung sowie Ansätze zur Gestaltung und Optimierung von Arbeitsplätzen mit Multitasking-Anforderungen. Neben bedingungsbezogenen Ansätzen werden auch verhaltensbezogene Maßnahmen vorgeschlagen, die Beschäftigte dabei unterstützen sollen, gleichzeitig zu erledigende Aufgaben besser zu organisieren und psychisch zu bewältigen. Vorgestellt werden ebenso Methoden zur wissenschaftlichen Bewertung (Evaluation) betrieblicher Maßnahmen, die auch bei der Gestaltung von Multitasking-Anforderungen ange|13|wandt werden könnten. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf künftige Fragestellungen für die Forschung und Praxis.

In Kapitel 5 finden sich Lesetipps und im Anhang findet sich eine Reihe von Instrumenten, die zur Selbstbewertung rund um das Thema Multitasking eingesetzt werden können.

Alle Kapitel sind so konzipiert, dass sie auch unabhängig voneinander gelesen werden können. Dies gilt auch für das umfangreiche Praxiskapitel (Kap. 4), dessen Empfehlungen auch ohne eingehende Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Grundlagen verstanden und umgesetzt werden können.

1.2 Der Wandel der Arbeitswelt und seine Ursachen

Um den Hintergrund der gewandelten Arbeitsanforderungen besser verstehen zu können, bedarf es eines kurzen Exkurses in die (ökonomischen) Entwicklungen, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten vollzogen haben. Seitdem hat sich die Arbeitswelt gravierend verändert: Globale Ausdehnung der Märkte, zunehmender Wettbewerbs- und Kostendruck, immer kürzere Produktzyklen, Produktivitätssteigerungen durch Rationalisierung, eine stark zunehmende Verbreitung moderner Medien, ein Wandel der Beschäftigungsstruktur und damit verbundene gesellschaftliche und soziale Veränderungen sind nur einige der überbetrieblichen Einflussfaktoren (vgl. Friedman, 2005). Begleitend, wenn auch nicht ursächlich, kommen in Deutschland demografische und kulturelle Veränderungen hinzu (Grünheid & Fiedler, 2013). Wir werden diese Entwicklungen hier nur grob zusammenfassen.

Das folgende Unterkapitel macht deutlich, dass die veränderten Arbeitsanforderungen in einem Kontext stehen, der die Kontrolle der Unternehmen und der Beschäftigten begrenzt. Andererseits soll die Verantwortung dafür, wie sie auf diese globalen Veränderungen reagieren, nicht relativiert werden. Die persönlichen und betrieblichen Einflussmöglichkeiten existieren natürlich trotzdem fort und sollen, wie im Praxisteil (Kap. 4) verdeutlicht wird, auch aktiv genutzt werden.

1.2.1 Globale Entwicklungen (Makroebene)

Die Globalisierung hat in den beiden letzten Jahrzehnten zu einer zunehmend internationalen Verflechtung der nationalen Volkswirtschaften und zu einer Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen beigetragen. Hinzu kam der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten, die sich wie China dem freien Welthandel öffneten. Für die Wirtschaft in Europa hatten die Erweiterung der Europäischen Union, die Einführung des Euros und die Abgabe von Regulationskompetenzen der nationalen Parlamente an die Zentrale in Brüssel weitreichende Folgen, insbesondere für den Warenaustausch und den Finanzverkehr.

Im Zuge der Globalisierung sind auch Einzelunternehmen und Arbeitsplätze einem zunehmenden internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Produziert wird in der Regel |14|dort, wo die Produktions- und Personalkosten niedriger liegen als bei den Mitbewerbern. Dies ist mit einer weltweiten Verlagerung und Neuverteilung von Arbeitsplätzen verbunden. Für die reichen Industrieländer ist die Entwicklung von der Industrie- hin zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft die Folge: Bereits seit den 90er Jahren hat sich die Zusammensetzung der Beschäftigung nach Wirtschaftssektoren drastisch verändert: Während 1995 noch ein knappes Drittel der Erwerbstätigen im sekundären Sektor tätig war, belief sich dieser Anteil im Jahr 2013 nur noch auf ein knappes Viertel (Statistisches Bundesamt, 2013). Gleichzeitig stieg der Anteil der Personen im tertiären Dienstleistungssektor von etwa zwei Dritteln auf fast drei Viertel an (Statistisches Bundesamt, 2013).

Produktivitätszuwächse in den westlichen Industriestaaten resultieren heute vor allem aus dem Einsatz von Wissen; nur dessen Neuartigkeit und Hochwertigkeit erlauben es, sich von der Konkurrenz abzuheben und die Produkt- und Innovationszyklen zu verkürzen (vgl. Knauth & Wollert, 1999). Für die Erwerbstätigen kann die Beschäftigungsfähigkeit (employability) nur durch eine ständige Weiterqualifizierung und -entwicklung über das ganze Berufsleben (lebenslanges Lernen) erhalten bleiben. Die zunehmende Verbreitung von Wissensarbeit und interaktiven Dienstleistungen hat auch Auswirkungen auf die Prävalenz von psychischen, insbesondere auch psychosozialen Arbeitsbelastungen (vgl. Hacker, 2009; Hüttges & Moldaschl, 2009).

Eine weitere Begleiterscheinung des wirtschaftlichen Wandels besteht in der Zunahme von neuen und alternativen Beschäftigungsformen: Teilzeitarbeit, Gelegenheitsarbeit, Telearbeit oder Arbeit auf Abruf haben in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen (Keller, Schulz & Seifert, 2012). Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind von Unsicherheit geprägt, da sie häufig nur ein geringes Einkommen, eine geringe soziale Absicherung, befristete Vertragsverhältnisse, unzureichende Arbeitssicherheitsbestimmungen und Kontrollmöglichkeiten mit sich bringen (vgl. Knauth & Wollert, 1999; Rigotti & Galais, 2011). Telearbeit, Home- und Mobiloffices verringern zudem die Bindung an feste Orte im Betrieb und können langfristig zu Lasten der erlebten Identifikation mit dem Arbeitsinhalt gehen (vgl. „entfremdete Arbeit“ bei Sennett, 2006).

Ein weiterer Megatrend ist die zunehmende Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK). Der Computer als Leittechnik hat nicht nur zur Digitalisierung fast aller Formen von Wissen geführt und die Verfügbarkeit von Informationen z. B. über elektronische Datenbanken und das World Wide Web verändert. Moderne Medien wie Laptops und Smartphones ermöglichen es uns, Informationen jederzeit und überall abzurufen und auszutauschen. Auch für die Arbeitswelt hat diese Entwicklung weitreichende Konsequenzen: EDV-gestützte Arbeitstätigkeiten haben in den letzten beiden Jahrzehnten quantitativ und qualitativ erheblich an Bedeutung gewonnen; IT-Unternehmen und Callcenter gehören weiterhin zu den Wachstumsbranchen. Zum anderen wird durch die modernen Medien ein 24-Stunden-Business rund um den Globus ermöglicht, bei dem die Beschäftigten an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten ihre Arbeit miteinander koordinieren. Die Möglichkeiten der räumlichen und zeitlichen Unabhängigkeit bei der |15|Aufgabenbewältigung sind dadurch wesentlich größer geworden (vgl. Cascio, 2003). Gleichzeitig hat sich die Menge der verfügbaren Informationen exponentiell vervielfacht und die damit verbundene mentale Beanspruchung der Beschäftigten zugenommen (Blümelhuber, 2005). Metaphern wie „Wissensexplosion“, „Informationsüberflutung“ oder „information overload“ (vgl. z. B. Eppler & Mengis, 2002) unterstreichen diese Entwicklung.

Wenn uns die Technologie erlaubt, mehrere Tätigkeiten parallel zu erledigen, dann setzt dies auch die Individuen unter den Zugzwang notwendiger Anpassung. So lösen die technischen Entwicklungen bei den Individuen u. a. einen sozialen Druck zur ständigen Erreichbarkeit und damit eine „soziale Beschleunigung“ (Rosa, 2005) im Arbeitsleben wie in der Freizeit aus.

1.2.2 Entwicklungen in den Unternehmen (Mesoebene)

Die zunehmende Flexibilität, die Unternehmen aufbringen müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, hat zu einer erheblichen Dynamisierung der Wirtschaft beigetragen. Diese äußert sich in Veränderungen der wirtschaftlichen Gesamtstruktur wie auch in organisationsinternen Unternehmensstrukturen. Beispiele für einen Wandel der Wirtschaftsstruktur sind vermehrte Unternehmenszusammenschlüsse (mergers and acquisitions), Privatisierungen, Veränderungen der Geschäftsformen, Unternehmensverkleinerungen (downsizing) und Auslagerungen (outsourcing) von Unternehmensteilen (vgl. hierzu Burke & Cooper, 2000). Häufige Folgen dieser Entwicklungen für die Erwerbstätigen sind Entlassungen und eine zunehmende Arbeitsverdichtung für die verbliebenen Beschäftigten (Cascio, 2003; Green, 2004; vgl. hierzu auch Abb. 2).

Zur Erhaltung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit müssen Unternehmen oftmals auch ihre internen Organisationsformen anpassen: Reorganisationsprozesse in der betrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation oder die Einführung neuer Management-Formen wie „Just-in-time“-Produktion oder Lean Management sind in der freien Wirtschaft an der Tagesordnung. Nach dem European Restructuring Monitor (ERM), der quartalsmäßig Informationen zum Umstrukturierungsgeschehen in Europa erhebt, haben sich Reorganisationen in den vergangenen Jahren sehr stark entwickelt (Eurofound, 2013). Unternehmen versuchen damit nicht nur auf globale Entwicklungen zu reagieren, sondern diese vorwegzunehmen, um Strategien zur Anpassung an den Markt zu ermöglichen. Teilweise können sich aus solchen Aktionen neue krisenhafte Situationen ergeben, welche die Existenz der Organisation gefährden und wiederum drastische Anpassungsmaßnahmen erfordern. Unternehmen reagieren auf Krisen rascher als früher mit Restrukturierungsmaßnahmen; diese sind häufig mit Kosteneinsparungen und Personalabbau z. B. in Form von Entlassungen, Frühverrentungen oder Nichtverlängerung von befristeten Arbeitsverträgen verbunden (Rigotti, Otto & Köper, 2014; vgl. auch Otto, Rigotti & Mohr, 2013). Inhaltlich zielen Restrukturierungen in erster Linie auf die Neuorganisation technischer und organisatorischer Prozesse: In der Repräsentativbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) nannten die Befragten besonders häufig die Einführung neuer Programme und neuer Technik, aber |16|auch die Zunahme fachlicher Anforderungen als Veränderungen, die ihr Arbeitsumfeld betrafen (Köper, 2012). Allerdings hat die Frequenz dieser Maßnahmen, vor allem der damit verbundene Stellenabbau, im Vergleich zu den sehr turbulenten „Nuller Jahren“ in den letzten Jahren etwas nachgelassen.

Für die Beschäftigten sind Restrukturierungsmaßnahmen häufig mit einer stärkeren psychischen Belastung (vgl. Köper, 2012) und einer höheren Arbeitsintensität (Green, 2004) verbunden. Green (2004) berechnete zeitliche Veränderungen auf der Grundlage umfangreicher Beschäftigtenumfragen in Großbritannien. Er fand im privaten Sektor und noch ausgeprägter im öffentlichen Dienst einen deutlichen Anstieg der Arbeitsintensität (vgl. Abb. 2). Nach seinen statistischen Auswertungen ließ sich diese Entwicklung auf technische und organisatorische Veränderungen, aber auch auf die gewandelte Politik und veränderte Beschäftigungsstrukturen in den Unternehmen zurückführen.

Abbildung 2: Zustimmung von Erwerbstätigen in Großbritannien (a) im privaten Sektor und (b) im öffentlichen Dienst zu Fragen zur Arbeitsintensität im zeitlichen Verlauf (Green, 2004; Übersetzung durch die Autoren)

Organisationale Veränderungen gehen auch mit einer höheren psychischen Beanspruchung einher (Wanberg & Banas, 2000). In einer Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für berufliche Bildung (BiBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von 2006 berichteten 61 % der Befrag|17|ten mit Restrukturierungserfahrungen und 60 % der Befragten, die Entlassungen und Downsizing erlebt hatten, von einer Zunahme des Stresserlebens und der Arbeitsbelastung (vgl. Kuhn, 2009). Rigotti und Otto (2012) konnten anhand der BiBB/BAuA-Daten aufzeigen, dass sich bei extremen Restrukturierungserfahrungen die Wahrscheinlichkeit für Muskel-Skelett-Beschwerden sowie psychische Beeinträchtigungen bis um nahezu das Fünffache erhöhte, im Vergleich zu Beschäftigten, die keine betrieblichen Veränderungen in den letzten beiden Jahren erlebten. In einem Review von über 41 Studien berichten Quinlan, Mayhew und Bohle (2001) von negativen Zusammenhängen zwischen Downsizing und anderen Formen von Restrukturierung mit Gesundheitsvariablen in 36 der 41 in die Analyse einbezogenen Studien.

Unabhängig von der Art der Restrukturierung zeigten verschiedene Studien, dass sich die Arbeitsbelastung in der Einschätzung der Betroffenen erhöht hat, die erlebte Rollenambiguität zunimmt und auch ein konsistenter Zusammenhang zwischen Veränderungen und Unsicherheitserleben besteht (Klandermans & van Vuuren, 1999; Kivimäki et al., 2001; Mohr, 2000; Kalyal, Berntson, Baraldi, Näswall & Sverke, 2010; Mok, Wong & Lee, 2002). Restrukturierungen scheinen demnach die Arbeitsintensität zu erhöhen.

Eine weitere flächendeckende Entwicklung in den Unternehmen betrifft die Einführung neuer Arbeitsformen und -zeiten: Das Entgelt wird immer häufiger nicht mehr für die vertraglich geregelte Nutzung einer bestimmten Arbeitszeit, sondern für die Bereitstellung definierter Arbeitsergebnisse ausgezahlt. Projektarbeit als moderne Arbeitsform ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Leistung einmalig erbracht wird und bei ihrer Planung nicht auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann. Die erforderliche Menge an Arbeitszeit ist somit nicht oder nur schwer kalkulierbar. Unter dem Termindruck, der z. B. bei knappen Fristen entstehen kann, werden die Kosten von Mehrarbeit und Überstunden auf die Arbeitskraft abgewälzt. Darüber hinaus tragen flexible Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit zu einer zunehmenden zeitlichen und örtlichen Entgrenzung der Arbeit bei (Wagner, 2001). Eine Individualisierung der Arbeitszeitorganisation wird zwar auch von den Arbeitnehmern gewünscht, doch wird die höhere Arbeitszeitsouveränität häufig erkauft mit einer starken Abhängigkeit von betrieblichen Erfordernissen, einer geringen Planbarkeit von Freizeit und hohen Belastungen durch lange Arbeitszeiten.