Mumien morden mittwochs nie - Tatjana Kruse - E-Book
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Mumien morden mittwochs nie E-Book

Tatjana Kruse

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Beschreibung

Wir wissen, wie gefährlich es nachts im Museum ist. Jetzt lernen wir, wie gefährlich es auch tagsüber sein kann ... Escape Game im Museum? Man könnte fast denken, man wäre mitten in einem – allerdings ohne der üblichen sechzigminütigen Zeitbegrenzung –, als während der Pressekonferenz zu einer aufsehenerregenden Ausstellungseröffnung mit Artefakten aus dem Alten Ägypten ein Museumsmitarbeiter nach dem anderen spektakulär zu Tode kommt. Es stellt sich die Frage: Gibt es eine logische Erklärung für die Ereignisse, oder ist etwas weitaus Unheimlicheres im Gange? Geht etwa eine Mumie im Blutrausch um? Kann man seinen eigenen Sinnen eigentlich noch trauen? Morden Mumien besser? So hat sich die junge Dr. Apollonia Obermoser (für ihre Freunde: Polly) das jedenfalls nicht vorgestellt, als sie endlich ihren Fund von Artefakten aus der siebten Dynastie rund um den Pharao Teti III. präsentieren kann. Am nervigsten findet sie allerdings, dass die Tochter der millionenschweren Museumseignerin, Daphne Gamser, der festen Überzeugung ist, dass eine Mumie für die Morde verantwortlich ist. Polly, die das – zurecht – äußerst lächerlich findet, macht sich auf die Suche nach "echten" Spuren. Viel anderes bleibt ihr auch nicht übrig, denn durch einen Hackerangriff befindet sich das Museum plötzlich im Lockdown-Modus und jeglicher Kontakt zur Außenwelt ist unterbunden – also muss Frau, mal wieder, selber ran. Und dass hier irgendetwas Böses – menschlich oder nicht – sein Unwesen treibt, zeigt sich mit jeder Minute deutlicher …  Dass ausgerechnet Daphne zu ihrer stärksten Verbündeten wird und doch nicht so oberflächlich ist, wie sie tut, hätte Polly niemals gedacht. Auch nicht, dass sie ihre Sinneswahrnehmung so im Stich lässt und eventuell doch eine Mumie mit Killeraxt durchs Museum wütet. Kuratorin der Krimödien Tatjana Kruse wirbelt den Staub des Alten Ägyptens auf! Dabei lässt sie kein Artefakt äh, keine*n der Museums-Angestellten an Ort und Stelle – eine hinreißende Mischung aus schaurig-rasanter Mörder*innenjagd und Kicher-Comedy! Das Leben ist zu kurz, um ernstgenommen zu werden, findet Kruse, daher fügt sie dem Cocktail aus Krimi und Komödie diesmal eine große Prise Horror hinzu und schüttelt alles tüchtig durch.  "Mumien morden mittwochs nie" ist ein Museumsbesuch der Extraklasse, eine mörderisch spannende Führung durch die neue ägyptische Sammlung ist im Ticketpreis inbegriffen!  Aber Achtung, Tatjana Kruse leitet dich auch zu phantasmagorischen Tatorten und trainiert ganz nebenbei deine Lachmuskeln. 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Jessica Ellicott

11:00 Uhr

Startschuss (ohne Schuss, aber mit Knalleffekt)

Hochgewachsen, die Muskeln des durchtrainierten Körpers perfekt definiert, von einer strahlenden Aura umgeben, schritt der Pharao die Sandsteinstufen Stufe für Stufe herab. Lautlos, geschmeidig wie ein Panther. Im Takt zu den leisen Klängen von Zimbeln und Leiern.

Der Blick seiner samtigen Augen schien auf jeden einzelnen Anwesenden fokussiert. Wie bei der Mona Lisa, bei der man auch immer das Gefühl hatte, sie würde einen direkt anschauen.

Die nur spärlich bekleideten Dienerinnen zu beiden Seiten der breiten Treppe verneigten sich tief. Auf der untersten Stufe, zwischen zwei Wächtern mit Anubis-Masken, blieb der Pharao stehen. Er lächelte, und man sah in seinem fein ziselierten Gesicht kleine Grübchen auftauchen. Sollte es je den einen perfekten Mann gegeben haben, dann war es der hier, Pharao Teti der Dritte.

Mit royaler Geste winkte er die Anwesenden zu sich. Seine vollen Lippen bewegten sich. Man meinte, ein „Komm!“ zu hören. Und dann erschien auf seiner perfekt gestählten, glatt epilierten und eingeölten Brust die Aufschrift Die siebte Dynastie – zum ersten Mal enträtselt. Ausstellung im Museum Gamser von 1. Oktober bis 30. April.

Polly schloss kurz die Augen, atmete aus, öffnete sie wieder und rastete ihr vor dem Badezimmerspiegel in Endlosschleife eingeübtes Lächeln ein. Nur so konnte sie ihr Pokerface bewahren.

Sie hatte sich vehement gegen den Ausstellungstitel verwahrt. Von wegen enträtselt. Sie, Polly, hatte lediglich einige neue Fundstücke aufgetan. Ja, das kam in Fachkreisen einer Sensation gleich, da über die siebte Dynastie so gut wie nichts bekannt war. Manche hielten sie sogar für einen Mythos. Aber enträtselt war durch die neuen Fundstücke erst einmal gar nichts.

Außerdem war dieser – nach menschlichen Vorlagen, aber von künstlicher Intelligenz erstellte – Trailer in ihren Augen der pure Hohn. Die Dienerinnen sahen allesamt aus wie Pornodarstellerinnen mit Riesenbrüsten. Geschmacklos! Wenn die sich mit ihren Sechs-Kilo-Melonen nach vorn beugten, konnten sie sich gesichert nie wieder ohne Hilfestellung aufrichten. Und aus dem Ausstellungs-Trailer einen modern-virilen Hollywood-Schmachtfetzen zu machen, fand Polly nachgerade unehrenhaft. An Direktor Pucci waren allerdings all ihre Einwände abgeprallt – nein, abgesprungen wie Wassertropfen von einem heißen Pfannenboden. Nicht nur, was diesen Trailer anging, auch in Bezug auf die Darbietung der Fundstücke. Statt bodenständig-fundierter Präsentation („Zu dröge!“) gab es nun eine bunte Pop-Show („Das zieht die Mengen!“), und was Polly für einen echten Meilenstein ihrer noch jungen Laufbahn gehalten hatte, war jetzt einfach nur peinlich.

Abgesehen von der in Grüntönen gehaltenen Wandtapete mit ägyptischen Motiven – Pyramiden, Palmen, Krokodile – fand Polly die Bodenlampen, in denen sich unechte Feuersäulen geradezu lasziv nach oben schlängelten, am allerschlimmsten. Aber Pucci pflegte all ihre Bedenken gnadenlos beiseitezufegen. Er hatte bezüglich der Bodenlampen nur moniert, dass er lediglich zwei bestellt hatte, aber zwanzig geliefert worden waren. Bezahlen würde er die überzähligen achtzehn natürlich nicht, behalten dagegen schon. Seine Vorstellung von Licht-Design für die Ausstellung konnte man trotz unverhoffter Lampenmenge nur als schummrig bezeichnen.

Pucci ließ Polly bei jeder Gelegenheit spüren, dass sie nur eine freie Kuratorin war. Was ihn nicht davon abgehalten hatte, ihr in buchstäblich letzter Sekunde, nämlich heute Morgen, knapp eine Stunde vor Beginn der Pressekonferenz, die Aufgabe aufs Auge zu drücken, besagte Pressekonferenz zu moderieren.

Polly – eigentlich Doktor Apollonia Obermoser – sah ihre Felle davonschwimmen. Nicht nur die sprichwörtlichen Felle. Auch ihre komplette Karriere als solche.

Aber es nützte ja nichts. Sie räusperte sich nachdrücklich.

„Meine Damen und Herren, ich darf Sie sehr herzlich zu unserer heutigen Pressekonferenz im Museum Gamser begrüßen.“ Polly zwang ihre Stimmbänder zur Lockerheit und sah sich mit dem festgezurrten Lächeln auf den Lippen in der Runde um.

In der großen Ausstellungshalle des Museum Gamser hatte Pucci sechs riesige, deckenhohe Gips-Säulen errichten lassen. Über und über voller Hieroglyphen, die das Leben von Teti dem Dritten ehrten, wie im Programmheft zur Ausstellung (von der Druckerei noch nicht geliefert, obwohl rechtzeitig für die Eröffnung zugesagt) nachzulesen stand. Weil man von Teti dem Dritten aber nicht viel mehr wusste als seinen Namen, waren die Lobeshymnen zwar in korrekten Hieroglyphen aufgemalt, aber inhaltlich allesamt fake.

Spätestens, als sie vor diesen übermannshohen Schwindelsäulen gestanden war, hätte Polly das Handtuch werfen müssen. Aber was einem wichtig ist, lässt man nicht so einfach los. Und diese Ausstellung war ihr unendlich wichtig. Immerhin hatte sie in ihrem Programmheftvorwort den Satz unterbringen können, dass die Fundstücke authentisch waren, man bei der Präsentation der Ausstellung aber auf leichte Verdaulichkeit und ästhetischen Zeitgeist Rücksicht genommen hatte.

Den Platz zwischen den Säulen hatte Polly für den heutigen Anlass freiräumen lassen, dort standen jetzt sechsunddreißig Stühle für die Weltpresse. Weil sich die Weltpresse jedoch nicht wirklich für ein paar alte Artefakte interessierte – weil zwar alle Fundstücke archäologisch bedeutend waren, aber keins aus funkelndem Gold bestand –, waren die Plätze anfangs nur zur Hälfte gefüllt gewesen.

Damit es nicht ganz so leer wirkte, hatte Polly die Sicherheitschefin vorhin noch rasch gebeten, ein paar ihrer Leute als Füllselmaterial zur Verfügung zu stellen und – natürlich ohne ihre üblichen Security-Jacken – strategisch auf die leeren Stühle zu verteilen. Ein Wunsch, den Frau Fichtinger auch sofort umgesetzt hatte. Bis auf die Presseleute und das Team vom Catering war ohnehin niemand im Museum, da musste man security-technisch nicht Vollgas geben.

Das Podium mit Polly, Direktor Pucci, Hauptkurator Froebe sowie dem Leihgeber der Artefakte und der Tochter der Museumsbesitzerin stand an der Kopfseite der Ausstellungshalle. Der große Sandsteinsarkophag, unbeschriftet, aber vermutlich wie alle anderen Grabbeigaben einer gewissen Seschepset zuzuordnen, was am Boden einer Skulptur auch zu lesen war, befand sich am Fußende der Halle. Auch das stieß Polly übel auf: Warum wurde Teti gefeiert – nicht nur im Trailer, auch auf dem Cover des Ausstellungskatalogs –, obwohl es sich bei den ausgestellten Artefakten doch höchstwahrscheinlich um Fundstücke aus dem Grab der Seschepset handelte? Einer vermutlich wichtigen, weil reich befundstückten Frau, die Pharao Teti auf nicht näher bekannte Weise gedient haben musste. Seine Amme? Seine Konkubine? Seine Nagelpflegerin? Das ließ sich aus den Hieroglyphen auf den Fundstücken nicht erschließen. Aber es sollte ihre Ausstellung sein, nicht die des Mannes, der zufällig zu ihren Lebzeiten seinen Hintern auf den Thron pflanzen durfte.

„Pharaonen haben mehr Zugkraft!“, lautete Direktor Puccis Totschlagargument auch hier.

Blödsinn, fand Polly. Sollte Pucci heute mit Herzinfarkt vom Stuhl rutschen, würde seinen Nachruf ja auch kein Foto des Bundeskanzlers zieren, unter dem er verstorben war.

Der Direktor hatte jedoch vehement darauf bestanden, die Ausstellung nach Teti dem Dritten zu benennen, und sein Wort war Gesetz. Wie bei Yul Brynner als Pharao in dem Monumentalschinken Die zehn Gebote: So soll man es schreiben, so soll es geschehen.

Polly räusperte sich wieder. „Am Wochenende eröffnen wir hier im Museum Gamser unsere spektakuläre Ausstellung …“

„Sieht er nicht phantastisch aus?! Wie ein Klon von meinem Ex, dem Ludo“, unterbrach Daphne Gamser und zeigte auf den Pharao, der hinter ihr – eingefroren in seiner Kommt-zu-mir-Winkegeste – immer noch die Leinwand zierte. „Ich habe, auf Anregung von Direktor Pucci, das Casting selbst geleitet. Und mir war die Ästhetik total wichtig.“

Ja klar, schnaubte Polly, aber natürlich nur innerlich. Sie hielt die Erbin für einen Hohlkörper – alles Fassade, kein Inhalt. Während Polly die Augen schloss, auf zehn zählte und merkte, wie ihr festgezurrtes Lächeln trotz all ihrer Bemühungen zunehmend in Schräglage geriet, quietschte Daphne erneut: „Und sieht er nicht total echt aus? Wie frisch einer Zeitmaschine entstiegen!“

Das Museum Gamser gehörte ihrer Mutter, der neuntreichsten Frau der Republik. Helga Gamser präsentierte sich der Öffentlichkeit als große Liebhaberin der Künste, ähnlich wie Peggy Guggenheim. In Wirklichkeit shoppte sie nur einfach gern – Kleider, Schmuck, Immobilien, Kunst – und irgendwann hatte sie zu viel eingekauft, um es in ihren Anwesen rund um den Globus noch horten zu können. Also ließ sie ein Museum errichten.

In diesem Privatmuseum wurden üblicherweise Stücke aus ihrer grenzenlos üppigen Sammlung an Gemälden, Skulpturen und Kunstobjekten aller Art ausgestellt – darunter zwei echte Picassos, ein Vermeer und ein Giacometti sowie eine original Video-Installation von Marina Abramovic. Außerdem ein Eimer, ein Kehrbesen und mehrere zusammengeknüllte Bodenwischtücher, die Joseph Beuys hinterlassen hatte. Oder dessen Putzfrau.

Wohlmeinende Geister nannten die mittlerweile sehr stattliche Sammlung von Helga Gamser eklektisch, weniger Wohlmeinende belächelten sie als ahnungslos zusammengewürfeltes Sammelsurium von teurem Krimskrams.

Mit dem Alten Ägypten hatte es Frau Gamser noch nie gehabt, aber ihre Tochter, Society-Girl Daphne, verkehrte in denselben Kreisen wie Timothee, in dessen Keller Polly die Artefakte entdeckt hatte.

Timothee war der Marquis de Monbataille, und der Keller war die unterirdische Wunderkammer seiner adeligen Familie im Chateau de Monbataille. Timothees Charme hatte Daphne für die Idee einer ägyptischen Ausstellung begeistert, und Gamser, die sich als Immobilienmaklerin aus einfachsten Verhältnissen zur Milliardärin hochgearbeitet (und, ja ja, auch – geschlafen) hatte, erfüllte ihrem einzigen Kind jeden Wunsch, solange Daphne ihr nur nicht lästig fiel. Je weniger Kontakt, desto erfreulicher. Das hatte bei Daphne verständlicherweise ein Beziehungstrauma ausgelöst, aber immerhin hatte es den angenehmen Nebeneffekt, dass sie, egal, was sie wollte, ihre Mutter nicht lange dazu überreden musste. Auch nicht, wenn es darum ging, die Artefakte aus dem Keller der de Monbatailles in ihrem stylischen Privatmuseum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, bevor die Stücke an die ägyptische Antikensammlung zurückgegeben wurden. Timothee war diesbezüglich voll korrekt.

Polly sah zu Daphne, wartete ab, ob die noch irgendwelche Kommentare zum Pharao abgeben wollte.

Pollys Meinung nach gab es niemanden, auf den die Bezeichnung „verwöhnte Göre“ mehr zutraf als auf Daphne, aber gleichzeitig war sie durchdrungen von einer grenzenlosen, herzensguten Naivität, weswegen sie meistens in den Genuss einer Art Welpenschutz geriet. Man konnte ihr als Frau nicht wirklich böse sein. Und Männer waren ihr in aller Regel schon deswegen nicht böse, weil die betörend schönen Dienerinnen aus dem Trailer nach dem Vorbild von Daphne geformt worden waren, die nicht nur ausgenommen hübsch und sexy war, sondern deren Vorbau – für ein It-Girl eher untypisch – zudem exorbitant substantiell ausfiel. Oder vielleicht wirkte es auch nur so, weil der Rest ihres Körpers in der – für ein It-Girl typischen – Kleidergröße null daherkam.

Polly räusperte sich noch einmal. Nicht, weil ihr Hals das brauchte, sondern um die Aufmerksamkeit der Menge wieder auf sich zu lenken.

„Ich darf Sie im Namen von Helga Gamser und Direktor Heribald Pucci sehr herzlich willkommen heißen.“

Die Anwesenden lächelten. Die Presseleute besonders breit, denn die waren zuvor im Museumscafé in der Lobby schon mit Sekt und ägyptischem Fingerfood verwöhnt worden. Die Security-Claqueure verzogen einfach nur gut gedrillt die Lippen. Eine Bewirtung war für sie natürlich nicht vorgesehen gewesen.

„Wie Sie der Pressemitteilung bereits entnehmen konnten, gelang mir vor einem guten halben Jahr im Keller des Chateau de Monbataille eine sensationelle Entdeckung …“

Aus den Augenwinkeln sah Polly zum Direktor. Wenn sie in ihrem kurzen akademischen Leben etwas gelernt hatte, dann, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Genauer gesagt, hatte sie das erst hier, im Museum Gamser, gelernt. An der Uni hatte sie sich ausnahmslos immer als Teamplayerin gesehen, aber hier würde Direktor Pucci sie gnadenlos in der Versenkung verschwinden lassen, wenn sie sich nicht dagegen wehrte. In der allerersten Pressemitteilung zur Ankündigung der Ausstellung ihrer Fundstücke hatte er Pollys Namen kein einziges Mal erwähnt. Danke für nichts. Seitdem bestand sie darauf, alle Kommuniqués zur Ausstellung – ihrer Ausstellung – vor der Veröffentlichung vorgelegt zu bekommen.

Pucci hielt Polly seitdem für schwierig, und das tat er auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit kund.

„… die Entdeckung von mehreren Artefakten aus der Zeit der bislang wenig belegten siebten Dynastie, der ersten Zwischenzeit im Alten Ägypten, circa zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung …“

Polly sah, wie die Augen der Pressevertreter in der ersten Reihe glasig wurden. Die gehörten ja auch allesamt zu den Hochglanzmagazinen, in denen stets über Daphne Gamser und ihre Eskapaden berichtet wurde. Vorhin, bei der Erwähnung von Ludo alias Ludovico Raphaeli alias dem ehemaligen One-Hit-Wonder der italienischen Ausgabe von DSDS, hatten sie noch fleißig mitgeschrieben. Jetzt, wo es um Geschichte ging, schnarchten sie sukzessive weg.

„Das Museum Gamser dankt an dieser Stelle dem derzeitigen Oberhaupt der Familie de Monbataille für die großzügige Überlassung der Leihgaben.“ Polly zeigte auf Timothee und klatschte.

Daphne klatschte auch. Regelrecht euphorisch. Dann beugte sie sich zur Seite und küsste Timothee volle Kanne auf die Lippen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden …

Polly fand das nicht lustig. Erstens war das hier eine professionelle Pressekonferenz. Da wurde nicht geküsst. Schon gar nicht auf dem Podium. Zweitens waren Timothee und sie so gut wie verlobt. Und drittens stieß ihr besonders unlustig auf, dass Timothee sich kein bisschen gegen die Knutschattacke wehrte.

Die Hochglanzjournaille schoss Fotos. War ja klar.

Polly riss sich zusammen. In der Ägyptologie begannen nicht viele ihre Karriere mit einem solchen Tusch. Fundstücke aus einer Zeit, über die man so gut wie nichts wusste. Entdeckt in der privaten Wunderkammer eines adligen Grabräubers. Sie würde sich jetzt und hier nicht von emotionalen Achterbahnfahrten von ihrem Ziel ablenken lassen. Mit Daphne und Timothee konnte sie im Anschluss an die Pressekonferenz noch ein geharnischtes Wörtchen wechseln. Erstmal galt es, wahrgenommen zu werden. Von der breiten Öffentlichkeit und von Fachkreisen. Den Artikel über ihre Entdeckung, zur Veröffentlichung in den wichtigsten ägyptologischen Zeitschriften in aller Welt, hatte sie schon verfasst, musste ihn nur noch ins Englische übersetzen lassen.

„Als der Marquis de Monbataille während einer Tagung in Oxford auf mich zukam …“

Timothee löste sich jetzt endlich von den Saugnapf-Lippen der reichen Erbin und setzte eine adäquat-seriöse Leihgebermiene auf.

„… und er mir mitteilte, er habe im Keller seines Schlosses bestens erhaltene Fundstücke aus dem Alten Ägypten gefunden, die offenbar von einem seiner Vorfahren schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, vermutlich während der napoleonischen Feldzüge, von einer Orientreise mitgebracht worden waren, blieb ich skeptisch, aber rasch zeigte sich, dass es sich tatsächlich um ganz sensationelle Artefakte aus einer Dynastie handelte, von der wir bis heute extrem wenig wissen. Dank der freundlichen Unterstützung des Marquis konnte ich die Stücke einer ersten Untersuchung und Zuordnung unterziehen und dank der Großzügigkeit von Helga Gamser darf ich sie ab dem Wochenende auch der Öffentlichkeit präsentieren.“ Polly strahlte. Aber nur kurz, weil ihr nämlich wieder einfiel, auf was für eine Art Ausstellung Direktor Pucci bestanden hatte: dieses knallbunte Happening. Aber von ihrem Unmut darüber wollte sie sich jetzt nicht ablenken lassen. „Die wissenschaftliche Auswertung ist natürlich noch längstens nicht abgeschlossen und wird unter Führung der ägyptischen Altertumsbehörde vor Ort in Kairo fortgesetzt. In diesem Zusammenhang darf ich sehr herzlich deren Repräsentanten, den von uns sehr geschätzten Herrn Ibrahim Meher, begrüßen.“

Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf einen alten, fragil wirkenden Mann in der letzten Reihe, der einen altmodischen Anzug mit Stehkragen und einen roten Fez trug. Er stand auf, verneigte sich in mehrere Richtungen und setzte sich wieder.

Daphne applaudierte überschwänglich – alles, was sie tat, tat sie begeistert –, und Timothee klatschte der Form halber mit. Sonst fühlte sich niemand bemüßigt, dem Ägypter Anerkennung zu zollen. Auch nicht Direktor Pucci und Hauptkurator Froebe, die neben Polly auf dem Podium saßen und mit ihren Handys spielten. Unauffällig unter dem Tisch, versteht sich, aber nichtsdestotrotz unmöglich. Fand Polly.

Sie fokussierte sich wieder auf ihre Aufgabe. „Die Anzahl der Fundstücke ist erstaunlich hoch“, fuhr Polly fort und freute sich über das sichtliche Interesse der wenigen Fachjournalisten. „Beschriftete Tonscherben in großer Zahl, diverse Schalen und Töpfe, zahlreiche Klein- und Kleinstskulpturen von Göttern und Göttinnen, aber auch zwei größere Tierskulpturen von einem Pavian und einer Sandratte. Prachtstück der Ausstellung ist natürlich der innere und der äußere Sarkophag der Seschepset. Die Sarkophage sind leider ohne Namenskartuschen, aber aus den beschrifteten Grabbeigaben können wir mit einiger Sicherheit schließen, dass alle Stücke aus dem Grab der Seschepset stammen.“

Wenn es nach Polly gegangen wäre, hätten diese Ausstellungsstücke – versehen mit ausreichend erklärenden Schrifttafeln – als Attraktion gereicht. Dazu eventuell noch in Endlosschleife leise Musik mit Klängen, die an das Alte Ägypten erinnerten.

Aber Direktor Pucci hatte auf eine farbenprächtige, immersive Ausstellung bestanden, in der die Besucher und Besucherinnen mit allen Sinnen erleben konnten, was es bedeutete, in der siebten Dynastie zu leben. Was ausgemachter Entertainment-Blödsinn war, fand Polly. Aber nun gab es in der linken Nebenhalle VR-Stationen für die jüngeren Gäste und in der rechten Halle nachgebaute Musikinstrumente aus viel späteren Dynastien, auf denen man spielen durfte. Und Personal in Lendenschurzen und schwarzen Perücken würde zweimal täglich auf vergoldeten Tabletts ägyptische Spezialitäten anbieten.

Polly verließ sich sehr darauf, dass der Entertainment-Charakter der Ausstellung im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten und die Fachwelt sich nur daran erinnern würde, dass sie, die frisch promovierte Apollonia Obermoser, die Bedeutung der Kellerfunde erkannt und der Welt zugänglich gemacht hatte.

„Der Sarkophag ist aus Sandstein und …“

„Ein echter Sarkophag“, raunte Daphne beseelt in das Tisch-Mikro vor ihr. „Können wir ausschließen, dass ein Fluch auf dieser Mumie liegt?“

Daphne sah erst dezidiert zu einem ganz in Schwarz gekleideten Journalisten in der dritten Reihe – Glatzkopf, Kinnbart, Rollkragenpulli, Designerbrille –, der ihr milde zunickte, dann zu Direktor Pucci, der sie ignorierte, dann zu Kurator Froebe, der angesichts der aufs Podium gerichteten Scheinwerfer üppig transpirierte und damit beschäftigt war, sich mit der freien Hand Schweißtropfen von der Stirn zu wischen und mit der anderen Hand sein Handy zu halten, dann zu Polly, der fassungslos der Unterkiefer aufklappte, und schließlich zu Timothee, der ihr nachsichtig zulächelte.

Die anwesenden Pressevertreter grinsten. Die ernstzunehmenden, mehrheitlich deutlich älteren Journalisten fanden dieses Statement aus dem Mund einer zuckersüßen jungen Frau putzig und amüsant. Und die Hochglanzmagazinvertreter, die eigentlich nur hier waren, um das mediale Sommerloch zu füllen, witterten Morgenluft. Der Fluch der Mumie? Ja, das gab was her!

Polly klappte den Mund wieder zu. Um nicht automatisch eine genervte, wütende Replik zu äußern, wollte sie sich mit der Rechten eine Locke aus dem Gesicht streichen, aber sie hatte sich extra für diese Pressekonferenz einen flotten, asymmetrischen Kurzhaarschnitt schneiden lassen. Folglich lockte da nichts im Gesicht. Ersatzweise kratzte sie sich an der sommergesprossten Nase.

„Wenn ich so frei sein darf, darauf zu antworten …“, raunte Timothee sonor und voller Timbre in das Tischmikro, das er sich mit Daphne teilte. Er raunte es akzentfrei, da dank einer deutschen Mutter zweisprachig aufgewachsen.

Weil er sich dabei so weit vorbeugte und er sein hellblaues Hemd unter dem ecrufarbenen Leinenanzug wie immer nicht zur Gänze zugeknöpft hatte, sah man auf diese Weise nicht nur seine Männerbrust, die der Brust des KI-Pharaos erstaunlich ähnelte, sondern bis hinunter zu seinem Bauchnabel, länglich und nach außen gekehrt. Einige der Journalisten legten, obwohl durch die Bank männlich, interessiert den Kopf schräg.

„Mein Urururur…“ Timothee stockte, wollte sehr charmant an der Hand abzählen, grinste dann, schüttelte den Kopf und ließ es sein. „… mein Mehrfachuropa hat sich seinerzeit als einer der Ersten für die ägyptische Geschichte interessiert und … äh … Souvenirs mitgebracht, die sich erst jetzt als epochaler Jahrtausendfund erwiesen haben. Er integrierte die Stücke in seine ganz persönliche Wunderkammer, die nach seinem Tod im Keller unseres Schlosses verstaut wurde und Vergessenheit geriet.“ Er sah zu Daphne. „Aber ich kann aufrichtig versichern, dass es in all der Zeit, die der Grabschatz im Keller unseres Familienschlosses lag, keinen einzigen Vorfall gab, den man guten Gewissens einer Mumie in die Schuhe schieben könnte. Nicht einmal den Genickbruch meiner Großtante Charlotte-Sophie, die auf dem Speicher eine Maus sah und vor Schreck rücklings die Treppe herunterfiel.“ Timothee zwinkerte Daphne zu.

Diese souveräne, lässige und gleichzeitig verspielte Art liebte Polly besonders an ihm. Mit seinem Charme würde er es nochmal sehr weit bringen. Wenn er dank Geburt nicht ohnehin schon quasi mit einem Bein in der Ziellinie stünde. Manche Menschen wurden vom Schicksal verwöhnt. Über Timothee hatten die Schicksalsgöttinnen ein ganzes Füllhorn an Verwöhnaroma ausgekippt.

„Ich darf Ihnen allen und vor allem dir …“, jetzt sah Timothee Daphne tief in die Augen, „… versichern, es gibt keinen Fluch!“

Daphne stockte der Atem, und ihre Wangen färbten sich jungmädchenrosa. Farblich passend zu ihrem Chanel-Kostüm und den beiden doppelreihigen rosa Zuchtperlenketten um ihren Hals und den rosa High-High-Heels an ihren zweifellos von professionellen Fußpflegerinnen pedikürten Füßen mit rosa Nagellack auf den Zehen.

Polly konnte nicht ausschließen, dass sie in diesem Moment mit den Augen rollte. Dabei sollte sie dankbar sein, dass es heutzutage – anders als im Alten Ägypten mit seinen Bast-Flip-Flops – geschlossenes Schuhwerk gab. Ihre Füße waren nämlich nicht pedikürt. Weder von Fußpflegerinnen noch von ihr selbst. Hatte sie vor der Pressekonferenz noch erledigen wollen, war aber in all der Hektik nicht dazu gekommen.

Polly sah zu Direktor Pucci. Der daddelte immer noch desinteressiert an seinem Handy herum.

Sie war auf sich allein gestellt. Sie holte Luft und wollte etwas sagen, aber Daphne, die mittlerweile einem Hummer ähnelte, flötete in Richtung Timothee: „Das sagst du zwar, mon chéri, aber stimmt es nicht, dass die ursprünglichen Entdecker des Fundes alle gestorben sind?“

Polly platzte die Hutschnur. „Da der ursprüngliche Fund über zweihundert Jahre zurückliegt, kann ich nur hoffen, dass sie jetzt alle tot sind, sonst wäre es beunruhigend unheimlich, und wir müssten davon ausgehen, es bei der Familie de Monbataille mit Vampiren zu tun zu haben!“, brummte sie ungnädig.

Einige Pressevertreter kicherten. Über das Dauerklicken der Kameras der anderen Pressevertreter hinweg, die unablässig Fotos von Daphne und Timothee schossen, seit sie ihn als chéri bezeichnet hatte. Milliardärstochter frisch verliebt, würden sie die Fotos verschlagworten.

Timothee eilte zur Ehrenrettung des verliebten Hummers. „Du spielst zweifelsohne auf die Todesumstände von zwei meiner Vorfahren an, die tatsächlich ungeklärt blieben“, sagte er. „Aber dass beispielsweise mein Ururgroßvater von einer Antarktisexpedition nicht zurückkam und mein Großvater beim Tauchurlaub im Mittelmeer ertrank und beide nie gefunden wurden, lag nicht an einem Fluch, sondern daran, dass die Männer meiner Familie nicht zum Abenteurer taugen. We are lovers, not explorers. Und alle anderen – also mit Ausnahme der Tante – starben friedlich im Bett.“ Er knipste sein Hundert-Watt-Lächeln an.

Polly, die sich mit Timothees Familiengeschichte beschäftigt hatte, weil alles Historische sie faszinierte, wusste gesichert, dass deutlich mehr seiner Vorfahren unter gewaltsamen Umständen verstorben waren – einer von seiner Mätresse vergiftet, einer mit der Titanic auf den Meeresboden ab- und natürellement nie wieder aufgetaucht und eine wie Isadora Duncan bei der Ausfahrt mit dem Bugatti-Cabriolet vom eigenen Schal, der sich in einem Rad verfangen hatte, erdrosselt –, aber das jetzt zu sagen, würde ihren Standpunkt unterminieren. Also sagte sie es nicht.

Daphne blieb dennoch standhaft. „Trotzdem … ganz ausschließen kann man nicht, dass die Mumie alle, die ihre Grabruhe stören, heimsuchen wird.“ Sie sah wieder zu dem schwarzgekleideten Journalisten in der dritten Reihe. Der nickte zustimmend.

Polly konnte nicht länger an sich halten. „Doch, man kann es ganz ausschließen. Schon allein deshalb, weil es keine Mumie gibt. Der Sarkophag ist leer!“, giftete sie. „Ohne Mumie kein Fluch!“

„Polliii“, mahnte Timothee vorwurfsvoll. Im Gegensatz zu allen anderen Menschen betonte er nicht die erste Silbe ihres Vornamens, sondern zog das i in die Länge. Früher – also bis kurz vor dieser Pressekonferenz – hatte Polly das sehr entzückend gefunden.

„Polliii, sei nicht so streng mit Daphne. Es könnte durchaus auch ohne Mumie einen Fluch geben.“ Er tätschelte Daphnes Hand. „Ist es theoretisch nicht denkbar, dass eine Art Schutzzauber auf den Grabgegenständen ruht?“

Womöglich dämmerte Polly in diesem Moment, als Timothee Partei für Daphne ergriff, noch dazu in einer höchst lächerlichen Angelegenheit, dass sie mit einem Mann, der ihr zum Wohl einer anderen in den Rücken fiel, überdies in aller Öffentlichkeit, keine gemeinsame Zukunft würde teilen können. Oder wollen.

Daphne nickte mehrfach. Wie ein Wackeldackel im Opel-Fond. „Stimmt, das könnte es auch sein! Schon beim Aufbau der Ausstellung habe ich die Anwesenheit von etwas Bösem gespürt.“

Polly spürte auch etwas. Die Anwesenheit von Dummheit.

Sie atmete tief aus.

„Um wieder zur Sache zu kommen … Aristide de Monbataille hat den Grabschatz im Jahr 1799 mit nach Frankreich gebracht, damals bedauerlicherweise durchaus üblich. Aber immerhin hat er dafür gesorgt, dass die Artefakte in einer Umgebung, die vor Umwelteinflüssen geschützt war, bestens erhalten wurden.“

Sie wies mit der Hand in Richtung der beiden Tierskulpturen. „Dieser Teil der Ausstellung …“, fing sie an, kam aber nicht weiter.

Ein Journalist aus der vierten Reihe erhob sich.

„Jules Massin, Paris Culture“, stellte er sich vor. Klein, mediterran, sehr schick gekleidet. „Was sagen Sie zu den Zweifeln an der Echtheit der Fundstücke?“

Er sah nur Polly an, nicht Direktor Pucci.

Dabei war Pucci es gewesen, der dieses Gerücht in Umlauf gesetzt hatte. Aus Neid. Um die eigene Erfolglosigkeit zu verbrämen, trampelte er den Erfolg anderer kaputt. So zumindest hatte Kurator Froebe es Polly in der Kaffeeküche des Museums erklärt, als Polly völlig fassungslos von diesem Gerücht erfuhr. Nicht aus der Presse, sondern von Froebe.

„Das habe ich alles schon am eigenen Leib mitgemacht“, hatte er verbittert gesagt und sich den extrastarken Kaffee quasi osmotisch einverleibt.

Polly war Zwischenrufe aller Art aus ihrer Uni-Zeit gewöhnt. Sie war gewappnet und ließ sich nicht aus der Spur bringen.

„Wenn Sie persönlich an der Echtheit zweifeln, würde ich Sie gern fragen, wie Ihre diesbezügliche Qualifikation aussieht“, entgegnete sie dem Journalisten lapidar. „Falls Sie die Zweifel aus dem Mund eines meiner Kollegen gehört haben sollten, dann nennen Sie mir seinen Namen, und ich werde mich mit ihm wissenschaftlich fundiert auseinandersetzen.“

Sie lächelte und sah resolut zu Pucci. Der tat, als hätte er nichts gehört, und stierte unverdrossen auf das Display seines Handys.

Der Pariser Journalist lächelte. „Ich wollte damit nicht andeuten, dass die Fundstücke nicht authentisch ägyptisch sind“, sagte er. Mit diesem bezaubernden französischen Akzent, mit dem man einer Deutschen wie ihr die schlimmsten Vorwürfe um die Ohren hauen konnte, und sie lächelte dennoch verzückt. „Ich hinterfrage nur Ihre Zuordnung der Artefakte zur siebten Dynastie, von der man ja gemeinhin so gut wie nichts weiß und deren Existenz selbst renommierte Fachleute in Zweifel ziehen, weil …“

„Meine Damen und Herren“, unterbrach ihn Polly, „ich kann Ihnen versichern, dass die Stücke von Experten und Expertinnen des British Museum in London und übrigens auch des Musée du Louvre in Paris geprüft wurden. Außerdem vom Repräsentanten der ägyptischen Altertumsverwaltung, Herrn Meher, den ich Ihnen ja schon vorgestellt habe. Wie Sie wissen, hat die Familie de Monbataille dem ägyptischen Staat zugesagt, sämtliche Objekte zurückzugeben. Unsere Ausstellung ist für die Artefakte gewissermaßen eine kurze Zwischenstation auf dem Heimweg.“

Polly fand sich clever. Vom Problematischen geschmeidig übergeleitet zum Positiven.

Sie sah zu Meher, der zufrieden mit dem Kopf nickte. Sein Schädel wirkte auf dem fragilen Körper deutlich überproportioniert, und wenn man ihn so nicken sah, fürchtete man unwillkürlich, dass er – allein durch das Nicken – einen Genickbruch erleiden könnte. Oder dass ihm zumindest der rote Fez vom Kopf fiel. Beides traf jedoch nicht ein. Frei nach der Vintage-Drei-Wetter-Taft-Werbung: Kopf und Fez hielten!

Polly schenkte dem Franzosen ein abschließendes Lächeln und hoffte, mit dieser Ausführung den Schlenker zurück zu ihrer Eröffnungsrede geschlagen zu haben.

Aber sie hatte nicht mit Daphne gerechnet.

„Entschuldigung, du hast meine Frage noch nicht beantwortet“, meldete die sich zurück.

Polly atmete genervt aus. Sie stellte nicht zum ersten Mal fest, dass es Daphne als reicher Erbin grundsätzlich schwerzufallen schien, wenn die Aufmerksamkeit nicht ständig auf ihr ruhte.

Daphne plauderte in Pollys Atempause hinein: „Es ist doch allgemein bekannt, dass die alten Ägypter nicht in ihrer Totenruhe gestört werden wollten. Und Pucci, der Gute …“, sie sah zum Museumsdirektor, der sich aber offenbar nicht angesprochen fühlte, „… hat mir gesagt, dass auf irgendeinem der Fundstücke eine Warnung an alle Grabschänder steht. Müssen wir uns vor einem Fluch dann nicht doch in Acht nehmen? Ich denke dabei ja auch an die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung!“

„Das würde mich auch interessieren“, rief ein junger Journalist aus der ersten Reihe und stand auf. Obwohl er sich nicht vorstellte, böser Fauxpas und ziemlich unprofessionell, erkannte Polly in ihm einen Vertreter der Lokalpresse. „Unsere Leser und Leserinnen interessieren sich nicht dafür, wer wann und wie die Hieroglyphen entschlüsselt hat oder ob eine Vase zur siebten oder zur siebzigsten Dynastie gehört, sondern …“

„Es gibt keine siebzig Dynastien …“, unterbrach ihn Polly, jetzt deutlich genervt.

„Die Menschen lieben das Alte Ägypten nicht wegen der drögen Fakten, sondern wegen der Aura des Geheimnisvollen“, beharrte der Journalist ungerührt und setzte sich wieder.

Polly mahnte sich, dankbar zu sein. Immerhin hatte er nicht gefragt, ob die Pyramiden von Aliens gebaut worden waren, weil doch die Menschheit damals zweifelsohne noch nicht zu solchen Bauwerken fähig gewesen war.

„Es ist korrekt, dass sich die Hieroglyphen auf einer der Stelen an die Betrachter und Betrachterinnen wenden“, räumte sie ein. „Allerdings nicht mit einem ominösen Fluch – nur mit der, auch und gerade aus heutiger Sicht, absolut nachvollziehbaren Bitte, die Totenruhe nicht zu stören.“

Polly hatte schon mitbekommen, dass bei Daphne oft mal etwas links rein und rechts wieder rausging. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um anderen wirklich zuzuhören. So auch jetzt während Pollys Erklärung.