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Frank Westermann

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Beschreibung

Band 4 der Serie "Andere Welten". Speedy und Lucky erreichen mit Sonnenfeuer, Sucherin und Kortanor wieder die Erde. Dort hat sich in den Jahren ihrer Abwesenheit vieles verändert. Während Regs und Militär versuchen, ihre Herrschaft mit Hilfe neuer Technologien und immer ausgefeilteren Unterdrückungsmethoden zu stabilisieren, haben die Menschen in Neu-Ing und auf den Südlichen Inseln begonnen, militanten Widerstand zu entwickeln. Die explosive Situation strebt ihrem Höhepunkt entgegen und die Ereignisse reißen die Neuankömmlinge mit ...

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Frank Westermann

Muster für morgen

Band 4 der Serie »Andere Welten«

FUEGO

RÜCKBLICK:

[Inhaltliche Zusammenfassung von »Kontrolle«, »Inseln der Macht« und »Sternentage«]

Speedy wächst in einer Welt auf, die der unseren vergleichbar ist, d.h. sie ist geprägt von einem Gesellschaftssystem, das auf Machtausübung, Unterdrückung, Ausbeutung, Hierarchie und Konkurrenz beruht. Nach einem weiteren Weltkrieg sind weite Teile der Erde in Wüste verwandelt und übriggeblieben sind die beiden Machtblöcke Neu-Ing (Speedys Heimat) und die Südlichen Inseln. Speedy hat große Schwierigkeiten, sich in dieser perfekt organisierten Welt zurechtzufinden, in der es kaum Anzeichen von Widerstand zu geben scheint.

Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: ein mysteriöser Beobachter taucht auf und warnt Speedy und seine Freunde vor einem drohenden neuen Krieg. Gleichzeitig schlägt der Versuch der militanten Gangs fehl, einen Großangriff auf die Regierung zu unternehmen. Noch einmal greift der Beobachter ein und bringt alle Betroffenen vor dem anrückenden Militär in eine andere Realitätsebene in Sicherheit.

Mit dieser Erde II lernt Speedy eine ganz andere Welt kennen. Hier gibt es kein einheitliches Gesellschaftssystem, sondern eine Menge von Stammesverbänden, die teils in Städten, teils auf dem Land und teils als Nomaden und Wanderer leben. Beim Durchstreifen dieser Welt gerät Speedy – allein oder mit Freunden – von der Anarcho-Stadt über einen Nomadentreck, die Gefangenschaft in der Geld-Stadt und dem Machtbereich einer sektenähnlichen Zwangsgemeinschaft schließlich in ein Dorf, in dem eine junge Frau namens Traumschwester lebt, die ihm eine Menge neuer Einsichten vermittelt. Er wohnt hier eine Zeit lang mit Menschen zusammen, die versuchen, herrschaftsfrei unter Ausnutzung mystischer Elemente im Einklang mit der Natur zu leben. Aber auch dort findet er den Ansatzpunkt zum eigenen Handeln noch nicht.

Im zweiten Buch wird Speedy auf zunächst unerklärliche Weise in seine Heimatrealität zurückversetzt. Er landet dabei allerdings in einem Gefängnis im Machtbereich der Südlichen Inseln. Eine halb-legal arbeitende politische Gruppe befreit ihn und drei andere Gefangene aus dem Gefängnis Bergotos und Speedy versucht, sich in seiner neuen Umgebung einzugewöhnen. Er kommt in einer Wohngemeinschaft unter, spielt in einer Band mit und arbeitet politisch in der Gruppe, die ihn befreit hat. Der Kampf richtet sich auf den Südlichen Inseln in erster Linie gegen eine Militärdiktatur und die sie stützenden Monopolunternehmen.

Trotz einiger Erfolge im militanten Widerstand gerät das Handeln der Gruppe bald in eine Phase der Stagnation, deren Ursache einerseits persönliche Differenzen und Machtstrukturen innerhalb der Gruppe und andererseits die Zersplitterung des linken Widerstandes überhaupt und seine fehlende Massenbasis sind.

Unterdessen trifft Speedy eine Freundin aus Neu-Ing wieder, deren Erzählungen seine Kenntnisse in Bezug auf die verschiedenen Realitäten total verwirren. Außerdem erfährt er von ihr, dass sein Freund Lucky in Bergotos einsitzt. Nachdem die Gruppe auseinandergebrochen ist und die Machthaber im System jetzt ganz offen brutale Unterdrückungsmethoden einleiten, gelingt es Speedy noch, mit zwei Helfern Lucky zu befreien.

Ihre Flucht endet im Keller eines Hauses, in dem außerirdische Wesen ein seltsames Spiel betreiben. Die Außerirdischen, die sich Kurzos nennen, erklären sich bereit, Speedy und Lucky, die keinen anderen Ausweg sehen, in ihrem Raumschiff mitzunehmen.

Das dritte Buch schildert die Weltraum-Odyssee von Speedy und Lucky.

Nachdem sie sich von den Kurzos auf spektakuläre Weise getrennt haben, wollen sie versuchen, die Erde wiederzufinden. Auf dem Flug zum Kunstplaneten Mindatar entpuppen sich die Übersetzungsgeräte, die sie von den Kurzos erhalten haben, als Technische Helfer, die sie bei der Reparatur ihres Raumbootes unterstützen. Auf Mindatar begegnen sie dem Tromaden Kortanor, der auf der Flucht vor der Polizei des Öko-Planeten zu ihnen an Bord kommt. Von dort aus fliegen sie nach Hymeran, einem sogenannten Nicht-Arbeiter-Planeten, wo sie hoffen, die Koordinaten der Erde zu bekommen. Sie lernen dort Menschen kennen, die ein Leben ohne Arbeit und Herrschaft führen, deren Gesellschaftssystem aber letzten Endes für sie undurchschaubar bleibt. Der Hinweis der ebenfalls auf Hymeran lebenden Vurx führt sie zum Planeten der roten Sonne, auf dem sich verschiedene Realitäten überschneiden. Mit Hilfe der Zauberin Sonnenfeuer, die auf unerklärliche Weise in Kontakt mit Traumschwester (s. Kontrolle) steht, können sie endlich den Rückflug zur Erde antreten. Sonnenfeuer begleitet sie dabei, obwohl ihre Heimat von Invasoren aus dem All angegriffen wird. Auf dem Rückflug geraten sie in die Nebelgrenze, die eine Zeitverschiebung um 8 Jahre bewirkt, und begegnen Sucherin, einer anderen Gestalt des Wesens, das sie früher als Beobachter kennengelernt hatten. Nunmehr zu fünft treffen sie wieder im heimatlichen Sonnensystem ein.

DIE SITUATION

Mit einem gewaltigen Ausrottungsfeldzug gegen jeden militanten Widerstand gelang es der neu etablierten Militärdiktatur der Südlichen Inseln, das Blatt noch einmal zu ihren Gunsten zu wenden. Tausende von Menschen fielen diesem Massaker zum Opfer, wurden hingerichtet, in Lager gesperrt, ins Gefängnis geworfen, gefoltert und verstümmelt. Hinterher herrschten das Schweigen der Toten und das Flüstern der Verfolgten auf den Straßen der Städte und Dörfer.

Speedy und Lucky waren der Vernichtungsmaschinerie wie bekannt im letzten Moment entkommen.

Die nächsten Jahre waren vom Bemühen der Machthaber geprägt, die Kontrolle über die Menschen wiederherzustellen.

Doch kaum war ihnen das hier ansatzweise gelungen, geriet das Regime der Regs in Neu-Ing ins Schwanken.

Hintergrund für die instabilen Zustände in beiden Metropolen bildete die ökonomische Lage. Besonders das Kapital in Neu-Ing war nicht mehr in der Lage, einem Großteil der Bevölkerung relativen Wohlstand zu garantieren bei gleicher oder sogar sinkender Arbeitsintensität und gestiegenen Lohnkosten. So wurde also versucht, alle Formen von Arbeit, die unter der Regie des Kapitals standen, stärker auszubeuten. Weiterhin sollten die Löhne niedrig gehalten und ein Teil der Menschen überhaupt aus dem Produktionsprozess herausgeschleudert werden. Diesen unproduktiven, überflüssigen Arbeitern und Arbeiterinnen wurde auch keine Wohlfahrt mehr ausgezahlt. Immer mehr Menschen fürchteten um ihre nackte Existenz.

Durch ihre ökonomische Abhängigkeit von Neu-Ing gerieten die Inseln ebenfalls in den Sog dieser Krise (der gewonnene Krieg hatte den Militärs nur eine kurze Atempause gebracht und die Verschuldung und technologische Abhängigkeit nicht beseitigt). Die gezwungenermaßen auf Export ausgerichtete Wirtschaft der Inseln brachte neuen Druck und Verarmung für die Kleinbauern und Slum-Bevölkerung.

Ein weiteres schwerwiegendes Problem, das die Situation für Staat und Kapital aufs Äußerste verschärfte, war das der fehlenden Rohstoffe. Die Gegend um Neu-Ing war praktisch ausgeblutet. Es gab dort kaum noch Kohle, Öl, Uran oder Erze.

Und die Inseln bestanden zu 80% aus Ackerland, das die Nahrungsmittelherstellung für beide Staaten abdecken sollte. Außerdem stieg die Bevölkerungszahl ständig, und es gab keine Ausweichplätze. Die Städte hatten sich in die Höhen und Tiefen gebohrt, trotzdem platzten sie aus allen Nähten. Besonders Neu-Ing sah aus wie ein riesiges stählernes Monstrum, das vergeblich versuchte, seine Metallfühler in andere Gebiete auszustrecken.

Denn ein Großteil der Erde war nach wie vor radioaktiv verseucht und die restlichen Gebiete waren auf jeden Fall für Menschen unbewohnbar.

Man hatte jahrelang versucht, alles Mögliche künstlich herzustellen – mit einigermaßen Erfolg. Aber auch dafür wurden Rohstoffe benötigt. Nur aus Sand und taubem Gestein war nichts zu gewinnen. Das meiste Land war unfruchtbar und eine einzige Wüste.

In Neu-Ing hatten die Regs eine Zeit lang automatische Geräte und Maschinen entwickeln lassen, die selbsttätig in diesen Landstrichen nach Bodenschätzen suchen und sie auch abbauen sollten. Doch das Problem der Radioaktivität war nie gelöst worden. Die Maschinen selbst und das, was sie mitbrachten, waren so verseucht, dass die Materialien nicht weiterverarbeitet werden konnten. Die Automaten und Roboter gaben die Strahlung an Entlademaschinen und Transportfahrzeuge ab und der Aufwand für eine Entseuchung des ankommenden Materials und die nötigen Sicherheitsvorkehrungen waren zu immens, als dass sie sich lohnten. Außerdem ereigneten sich immer wieder tödliche Strahlungsunfälle, die nicht vertuscht werden konnten, so dass die Regs sich schließlich gezwungen sahen, die Experimente einzustellen.

Es gab einige Gebiete auf der Erde, die nicht vom radioaktiven Fallout betroffen waren und auch das Bombardement überstanden hatten. Doch das waren meist unzugängliche Stellen, in denen es den Herrschenden nie gelang Fuß zu fassen. Es lebten dort angeblich Kreaturen, die sich sehr von den normalen Menschen unterscheiden sollten, und jeden Ansatz einer Kolonisation von vornherein zunichte machten. Beide Staaten hatten versucht, sie zu bekämpfen, aber lang anhaltende Guerillakriege waren nicht die Stärke der jeweiligen Machthaber, und so war außer ein paar stark befestigten Stützpunkten nichts übrig geblieben.

Das war die Lage aus der Sicht der Regs und Militärs, die verzweifelt bemüht waren, die Profite des Kapitals zu sichern und ihre Kontrolle über die Menschen zu behalten.

Diese Maßnahmen führten allerdings zu einem immer größer werdenden Unruhepotential in Neu-Ing, wo sich zum vielleicht ersten Mal für viele Leute die Situation ergab, dass nicht einmal mehr ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden konnten. Was nutzten Sensi-Kinos und Tri-Video-Wänd, wenn die Menschen nicht mal mehr einen elenden Brocken Syntho-Grütze kaufen konnten?

Die Unruhen weiteten sich schnell aus. Es kam zu vereinzelten Streiks und Demonstrationen – undenkbare Ereignisse in früheren Tagen -, Oppositionsparteien bildeten sich und breit angelegte Basisinitiativen entstanden.

Und gerade in diesem Moment kam den Regs noch einmal der Zufall zu Hilfe. Die historische Rolle dabei fiel dem Piloten eines Forschungshubschraubers zu ...

Dieser hatte eigentlich die Aufgabe, einige Messinstrumente einer vollautomatischen Station in der Arktis auszuwechseln. Wegen der schlechten Wetterlage war er gezwungen, einen Umweg zu machen und dann beugte er sich in seiner dicken Schutzmontur ungläubig vor. Er wollte seinen Augen nicht trauen, denn das, was er da in dem wirbelnden Schnee sah, war gewiss keine weitere Forschungsstation.

Der Pilot entdeckte das Raumschiff der Renen!

Bekanntlich hatten die Renen einige Reparaturen an ihrem Schiff auszuführen und waren deshalb nicht sofort nach ihrem Spiel mit den Kurzos von der Erde gestartet. Und bei den Renen dauerte es ja immer eine ganze Zeit, bis sie solche Schäden behoben hatten aufgrund ihrer – für uns – umständlichen Kommunikationsstruktur.

Der Helikopterpilot flog niedriger und stellte fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Was das war, das dort unten in Eis und Schnee steckte, konnte er sich allerdings nicht denken. Er ahnte nur dessen wichtige Bedeutung. Er verständigte sofort seine Befehlsstelle und freute sich auf eine Beförderung, da er dem militärischen Stab angehörte.

Er wurde nicht nur befördert, sondern bekam obendrein eine Prämie eine Menge Orden und eine luxuriöse Wohnung. Er konnte von da an eine ruhige Kugel beim Militär schieben.

Die Regs konnten natürlich ebenfalls noch nicht ahnen, was der Zufall ihnen da beschert hatte, aber vorsichtshalber schickten sie erst mal ein ganzes Geschwader Kampfhubschrauber in das betreffende Gebiet. Die Soldaten verhielten sich angesichts des rätselhaften Objekts sehr vorsichtig und es setzte ein hektischer Funkverkehr ein. Schließlich wurde die Existenz eines außerirdischen Raumflugkörpers als eine Theorie in Betracht gezogen.

Da von dem Objekt keine merkliche Bedrohung ausging, landete ein Teil der Helikopter. Schwerbewaffnete Eliteeinheiten setzten sich in Marsch und drangen schließlich in das Renen-Schiff ein.

Im Innern bewahrheitete sich dann die Theorie.

Angesichts der völlig fremdartigen Lebensformen und der exotischen Umgebung drehte der Befehlshaber des Landekommandos durch und erteilte sofort Feuerbefehl. Zwei Drittel der Renen wurden getötet, bevor von höherer Stelle einsichtig gemacht werden konnte, dass diese anscheinend harmlosen Außerirdischen ihnen lebend mehr von Wert sein konnten.

Die Renen selbst hatten bis zu ihrem Tod keine Erklärung für das Verhalten der Menschen ihnen gegenüber. Sie kannten zwar in geringem Maß gewaltsame Auseinandersetzungen, aber Überfälle, Folterungen, Verhöre und der Einsatz von modernen Waffen überhaupt waren ihnen unbekannt. Ihre Gedanken-Kommunikation erübrigte Übersetzungsgeräte und so folgten sie verständnislos den Soldaten zu ihren Hubschraubern.

Sie wurden nach Neu-Ing transportiert und sofort in Hochsicherheitstrakten untergebracht.

Die Verantwortlichen erkannten bald, dass die bis jetzt überlebenden Renen harmlose Geschöpfe waren, und bald spotteten Politiker, Offiziere, Ärzte und Spezialwissenschaftler (ein moderner Ausdruck für Folterspezialisten) über die dämlichen leuchtenden Röhren.

Viel konnte aus ihnen nicht herausgequetscht werden, nur eine Menge sichtbar gemachter Gedankenbilder, die aber ohne Zusammenhänge zu kennen kaum verwertbar waren. Da waren die schriftlichen Aufzeichnungen und Computerprogramme des Raumschiffs schon besser geeignet.

Und so machte es den Folterern auch nichts mehr aus, als die Renen eines nach dem anderen starben, weil sie aus ihrer Gruppenstruktur gerissen auf Dauer nicht überleben konnten. Ein einziger blieb aus unerfindlichen Gründen am Leben, wenn es auch mehr einem Dahinsiechen glich.

Der Bevölkerung wurde das Märchen von einem aggressiven, außerirdischen Angreifer aufgetischt, dessen 5. Kolonne die heldenhaften Soldaten von Neu-Ing nach hartem Kampf besiegen konnten.

Aber die Sensation klang schnell ab und die Regs und ihre Helfershelfer bemühten sich, so schnell wie möglich das von ihnen erpresste Wissen für sich nutzbar zu machen. Mit der Außerirdischen Gefahr wurde auch der Aufbau einer Raumflotte gerechtfertigt, die nach den Plänen der Renen entstand.

Die neue Technologie verschaffte Neu-Ing einen weiteren Vorsprung vor dem Konkurrenten Südliche Inseln. Mit ihrer Hilfe konnte das Volk noch besser kontrolliert und im Zaum gehalten werden und vor allem wurden die Raumschiffe dazu benutzt, bestimmte Gebiete auf Mars und Mond, die reich an den so dringend benötigten Rohstoffen waren, von Menschen ausbeuten zu lassen. Für diese unmenschliche Arbeit unter miesesten Bedingungen wurden hauptsächlich politische Gefangene, sonstige Verbrecher und andere unliebsame Personen benutzt. Außerdem wurden Freiwillige angeheuert, denen bei ihrer Rückkehr ein Haufen Geld winkte, aber die meisten starben an Unfällen und Einsamkeit auf den trostlosen Planeten. So wurden die Regs auf elegante Weise einen Haufen Nichtstuer, Terroristen, Sozialrentner und Arbeitslose los. Die Freiwilligen unter ihnen erhofften sich einen Ausweg aus dem elenden Leben in den heruntergekommenen Vorstädten, dienten aber nur als Arbeitssklaven der Großkonzerne, die sich hier einen profitträchtigen Sektor zu erschließen versprachen.

So kamen die Herrschenden zu den dringend erforderlichen Bodenschätzen, die Wirtschaft nahm nochmal einen kolossalen Aufschwung, die Konzerne verdienten sich dumm und dämlich und die neue Technik wurde zur weiteren Einschläferung der Menschen verwandt.

Doch es stellte sich diesmal heraus, dass es sich nur um ein kurzes Aufbäumen gehandelt hatte. Nach ein paar Jahren war der Boom vorbei, und die Menschen stellten fest, dass sich an ihrer beschissenen Situation dadurch nichts geändert hatte. Die Kontrollmechanismen der Machthaber in Neu-Ing und auf den Südlichen Inseln gerieten erneut ins Wanken. Schneller als vor ein paar Jahren kam es zu teilweise militanten Gegenbewegungen.

Es begann mit einem Streik der Arbeitssklaven auf dem Mond, nächtlichen Plünderungen in den Großstädten und einer breiten Bewegung gegen die Macht der Maschinen.

Viele Leute begannen zu merken, dass sie ein hohles Leben führten, das die Reichen auf ihre Kosten noch reicher machte und sie zu statistischen Zahlen degradierte.

Das war die Situation, in die Speedy und Lucky – neun Jahre nach ihrer Flucht mit den Kurzos – Kortanor, Sonnenfeuer und Sucherin hineinplatzten.

When a man is running from his boss

Who holds a gun that fires cost.

And people die from being old

And left alone because they’re cold.

And bombs are dropped on fighting cats

And children’s dreams all run with rats.

If you complain you disappear

Just like the lesbians and queers.

...

You stop dancing.

The Who - »Helpless Dancer«

1.

DER KAMPF GEGEN DIE ARBEIT

Als Omar Tagusch seine verschlafenen Augen gewaltsam aufriss, blinkte ihm wie immer der Spruch: »Der Kampf gegen die Arbeit dauert so lange, bis wir sie abgeschafft haben«, entgegen. Er hatte ihn damals mit Leuchtstoff an die dem Bett gegenüberliegende Wand gesprüht.

Er grinste flüchtig und lehnte sich noch einmal zurück.

Er hatte es heute nicht sehr eilig mit dem Aufstehen. Die Parole markierte seinen endgültigen Abschied vom Berufsleben und den Beginn seines Kampfes gegen alles, was ihm von außen aufgezwungen worden war.

Damals hatte er noch ein — wie er dachte – sicheres Einkommen als Ingenieur in einer der großen Gleiterfabriken bezogen. Der Titel Ingenieur besagte dabei allerdings nichts weiter, als dass er privilegiert war, in dieser Mammutfabrik an den Mikro-Elektronik-Anlagen zu arbeiten und nicht in einem der kleinen Zulieferbetriebe, die grundsätzlich nur jämmerlich unterbezahlte Teilzeitkräfte einstellten.

Seine Ausbildung für diesen Job hatte darüber hinaus einen weiteren Vorteil gebracht: er war in der Lage gewesen, einigen Behauptungen der Propaganda der Bewegung gegen die Arbeit nachzugehen. Da er nicht viel beschäftigt war, außer dass er ab und zu ein paar automatisch laufende Fertigungsprogramme wechseln musste, die Anzahl, technische Eigenschaften, Form und Farbe des Gleiter-Ausstoßes betrafen, hatte er genug Zeit, sich die Programme genauer anzusehen.

So kriegte er unter anderem raus, dass die Gleiter wirklich auf schnellen Verschleiß gebaut waren. Einzelne Teile, in wechselnder Abfolge natürlich, wurden absichtlich so mies konstruiert oder zusammengesetzt, dass ganze Segmente der betreffenden Fahrzeuge über kurz oder lang einfach ausfallen mussten. Diese nachhaltigen Störungen waren meist nur dadurch zu beseitigen, dass ein neuer Gleiter gekauft wurde oder zumindest ein teurer neuer Antriebsblock. Das Zeitalter, in dem die Leute selbst etwas durch einfachen Austausch eines defekten Teils reparieren konnten, war längst vorbei. Die Funktionselemente waren mikroskopisch klein geworden und hingen alle so miteinander zusammen, dass nicht das eine ohne das andere ersetzt werden konnte. Ein zugegeben raffiniertes System.

Nach derartigen Entdeckungen hatte Omar es für richtig gehalten, sich etwas mehr mit den Absichten und Zielen der Arbeitsunwilligen auseinanderzusetzen, und dabei wurde ihm erst so richtig klar, unter welchen Illusionen er bisher gelebt hatte.

Er hatte seine und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung immer als gegeben, natürlich hingenommen und hatte sich auch nie etwas anderes als ein normales Berufs- und Familienleben vorstellen können. Mit der Familie hatte es zwar nicht so geklappt, aber seine Arbeit hatte er nie infrage gestellt, geschweige denn die Tatsache, dass überhaupt gearbeitet werden musste.

Sicher, die ganzen üblen Arbeitsbedingungen, der Stress, diese unbefriedigte Leere, alles das hatte er am eigenen Leib gespürt und bei seinen Kollegen und Kolleginnen mitgekriegt, aber er hatte es vorgezogen, diese Schattenseiten einfach zu ignorieren. Sie gehörten halt dazu und er wollte nicht weiter darüber nachdenken.

Genauso wenig wie über die rasch steigenden Arbeitslosenzahlen und Menschen, die keinerlei soziale Absicherung mehr besaßen außer einem Teller Syntho-Suppe am Tag, für den sie auch noch dankbar sein sollten. Er bewegte sich ja auch nicht in den Stadtteilen, in denen die Ausgestoßenen der Gesellschaft dahinvegetierten, wenn sie nicht vorher in Gefängnisse, Heime oder andere Anstalten eingewiesen worden waren.

Er bekam in den Nachrichten nur etwas mit von Terroristen, verbrecherischen Jugendbanden und demokratischen Parteien. Nichts über ganze Horden plündernder Bürger, die nachts durch die Straßen zogen und in verzweifelter Wut versuchten, ihren Hunger zu stillen. Nichts über das Anwachsen der Brutalität auf staatlicher Seite, dem Einsatz von Robotern mit Schusswaffen, den Toten, die inzwischen an der Tagesordnung waren. Und nur sehr wenig von dem massiven sozialen Protest, der in Verweigerung von Miet- und anderen Zahlungen, Demonstrationen, Kaufhausdiebstählen, Hausbesetzungen und Sabotageaktionen bis hin zu Brand- und Bombenanschlägen militanter Gruppen auf Fabriken, Cop-Stationen und Banken bestand. Die kommerziellen Medien verbreiteten höchstens Meldungen über Meutereien in Gefängnissen und Bomben in Kaufhäusern, was natürlich alles von Terroristen angezettelt war, denen Menschenleben egal waren.

Natürlich berichteten die Medien nur in regierungsfreundlicher Weise, aber verschweigen konnten sie auf die Dauer nicht alles. Von welcher Seite die Gewalt ausging, wurde für Omar noch einmal ganz deutlich, als eine Menge Indizien darauf hinwiesen, dass gerade die Bombenanschläge in Kaufhäusern Provokationen der Geheimdienste waren, um den terroristischen Banden die Toten in die Schuhe zu schieben.

Früher hatte es Omar vorgezogen, seine Augen geschlossen zu halten und die verlogene Staatspropaganda für bare Münze zu nehmen, bis das Misstrauen so lange in ihm genagt hatte, dass er sich für die Bewegung gegen die Arbeit zu interessieren begann. Er schaltete jetzt auch immer öfter von den diversen Tri-Di-Programmen, die hauptsächlich als Werbeträger dienten, ins Studio 34 um. Dort liefen auch kritische Programme, die sich mit den Oppositionsparteien und der Bewegung beschäftigten.

Seine Traumwelt brach immer mehr zusammen, er begann krank zu feiern und vernachlässigte seine gesellschaftlichen Kontakte. Die bestanden nämlich hauptsächlich aus sinnlosen Sauftouren mit Kollegen, gemeinsamen Spielpalast-Besuchen und Fernsehabenden. Auch die Schaukampf-Wettbewerbe waren ihm jetzt zuwider und um die Bordelle machte er immer öfter einen Bogen.

Er kam dann mit einer der Oppositionsparteien in Berührung und unterhielt sich zum ersten Mal mit Leuten persönlich, die etwas an dem System auszusetzen hatten. Plötzlich fand er auch am Arbeitsplatz einige Leute, von denen er früher nur abfällig gedacht hatte, dass sie immer was zu meckern hatten.

Es dauerte nur kurze Zeit, bis er merkte, dass auch die Opposition auf das demokratische System vertraute und lediglich einige Missstände abbauen wollte, aber zu keinen grundsätzlichen Veränderungen bereit war.

So lag es nur nahe, dass er sich irgendwann der Bewegung anschloss und begann, in ihrem Sinne tätig zu sein.

Seine Nachlässigkeit auf der Arbeit nahm zu, er vertrat offensiv seine Meinung und versuchte sich in Programm-Sabotage. Irgendwann stellte die Unternehmensleitung Vermutungen in dieser Richtung an, und als es ihr zu viel wurde, feuerten sie ihn.

Nun saß er auf der Straße und das mit 42 Jahren ohne Aussicht auf einen neuen Job, ohne Anspruch auf irgendwelche Versorgungsleistungen. Sie hatten ihm zwar direkt nichts nachweisen können, sonst wäre es auch noch schlimmer für ihn ausgegangen, aber offizielle Gründe, um Leute ohne weitere Ansprüche rausschmeißen zu können, gab es immer. Und es gab genug Menschen, die noch scharf auf so eine Arbeit waren. Seine Daten wurden automatisch nach diesem Vorfall in die zentralen Rechneranlagen der Unternehmensverbände weitergeleitet, so dass er auch in keinem anderen Betrieb unterkommen würde.

Die seit einigen Monaten staatlich anerkannten Gewerkschaften zuckten in seinem Fall mit den Schultern. Schließlich war er kein zahlendes Mitglied, und selbst wenn er es gewesen wäre, hätte sich ihre Hilfe in staatlichen Grenzen gehalten. Und die endeten schon weit vor mutmaßlichen Saboteuren.

Nach seiner Entlassung war er ziemlich orientierungslos durch die Gegend gelaufen, er kannte eben immer noch wenig Leute außerhalb der Arbeit. Er zehrte dabei von dem Geld, das er gespart und durch den Verkauf seiner Wohnung und einem Großteil seiner Möbel bekommen hatte.

Er wohnte mal hier mal da, bis er sich entschloss, fest in einer der Gruppen der Bewegung mitzumachen. Von da aus kam er dann zu einem Zimmer in einem der besetzten Häuser im miesesten Industrieviertel von Neu-Ing. So lernte er zum ersten Mal Menschen kennen, deren Freundschaft untereinander nicht auf Geld, Macht und Abhängigkeiten beruhte, sondern auf gegenseitiger, freiwilliger Unterstützung. Sie waren durch Vorstellungen, Ideen, politische Ziele und alltäglicher Praxis miteinander verbunden.

Sein restliches Geld wurde hier gut gebraucht, und statt im Konsumrausch die tägliche Langeweile zu überdecken, lernte er hier notwendige Überlebenstechniken: Schwarzarbeit, Lebensmittel stehlen und Papiere fälschen, gehörten schon bald zur Routine.

Seine Fähigkeiten als Ingenieur, die er in seinem Beruf nie gebraucht hatte, konnte er hier praktisch anwenden: bei Instandsetzungsarbeiten, Computerausnutzung oder im Austausch gegen etwas Gemüse von einer Gruppe Ökos, die in der Nähe in verbissener Arbeit versuchten, auf dem misshandelten Boden in Gewächshäusern etwas anzubauen.

Obwohl er ahnte, dass es in nicht allzu ferner Zeit zu harten Entscheidungskämpfen mit der Staatsgewalt, die die herrschende Ökonomie schützte, kommen würde, fühlte er sich hier wohler und zufriedener als in seinem ganzen hohlen Leben zuvor. Es gab zwar jede Menge Auseinandersetzungen, Depressionsphasen und Ängste, aber jetzt wusste er wenigstens, wofür er lebte.

Omar Tagusch sah nach draußen: ein trüber regnerischer Tag, der Smog lag tief und vermischte sich mit den grauschwarzen Wolken. Es sah fast immer so aus und war gerade richtig für das, was sie heute vorhatten. Sie sollten einen Haufen Ersatzteile hinter dem Gelände einer Elektronikfirma in Empfang nehmen, und das ging bei diesem nebligen Wetter weitaus besser als bei strahlendem Sonnenschein.

On my supersonic rocket ship

Nobody has to be hip

Nobody needs to be out of sight.

Nobody’s gonna travel second class

There’ll be equality

And no suppression of minority, well alright.

We’ll take this planet, shake it ‘round

And turn it upside down.

The Kinks - »Supersonic Rocket Ship«

2.

DIE ERDE

Mein mulmiges Gefühl verstärkte sich, je näher wir der Erde kamen. Sonnenfeuer hatte sich mit Kopfschmerzen zurückgezogen, Kortanor und Sucherin saßen abwartend neben mir. Lucky ging unruhig hinter uns auf und ab.

Ich hatte die Steuerung der CHANGE an Kortanor abgegeben, weil ich mich mit dem Flug innerhalb eines Sonnensystems nicht auskannte. Seine Nackenhaare hatten sich aufgerichtet, ein Zeichen für Anspannung bei dem Tromaden.

Die Überraschungen ließen auch nicht lange auf sich warten. Ich wäre auch fast etwas erstaunt gewesen, wenn sie sich nicht eingestellt hätten.

Es begann damit, dass Lucky auf einen kleinen Bildschirm zeigte, vor dem er gerade stand.

»Merkwürdig«, wandte er sich an uns, »ich empfange hier eine Ortungsanzeige.«

»Was soll das denn sein?« fragte ich zurück. »Wahrscheinlich doch ein Asteroid oder so etwas.«

»Ach, Quatsch! Das wäre ja nichts Besonderes. Nein, es handelt sich ganz eindeutig um ein Raumfahrzeug, wenn ich auch kaum Anzeichen von Antriebsenergie empfange.«

»Ich denke, eure Staaten verfügen nicht über Raumschiffe«, warf Kortanor ein.

»Das habe ich auch gedacht«, gab ich zurück. »Aber neun Jahre können eine Menge ändern.«

»Aber so schnell lassen sich doch keine interplanetaren Raumschiffe erfinden und bauen«, bezweifelte Lucky. »Ich habe den Kurs zurückverfolgt. Das Schiff kommt eindeutig vom Mars!«

»Wahrscheinlich haben sie uns ebenfalls schon auf den Sichtschirmen«, bemerkte Sucherin.

»Scheiße! Das wirft unsere ganzen Pläne über den Haufen.« Ich schlug mit der Faust auf das Pult. »Schließlich wollten wir heimlich landen.«

Wir näherten uns weiter der Flugbahn des anderen Raumschiffes. Jetzt war es unmöglich, noch Versteck zu spielen. Ich dachte kurz an ein außerirdisches Schiff, aber das war doch etwas unwahrscheinlich.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Kortanor, »aber damit habe ich nicht gerechnet.«

Natürlich war es nicht seine Schuld. Er hatte falsche Informationen von uns bekommen.

Kurz darauf trafen die ersten Funksignale ein.

»Sollen wir uns melden?« fragte Lucky.

»Es hat wohl keinen Zweck, noch etwas zu verheimlichen«, meinte Sucherin und sah mich an.

»Na gut.«

Ich erhielt auch Luckys und Kortanors Zustimmung und aktivierte das Bildfunkgerät. Auf dem Schirm zeigte sich das verwaschene Konterfei eines stoppelbärtigen älteren Typs.

«... melden Sie sich. Geben Sie Flugziel und Besatzung an. Die Regierung ist bereits informiert. Sie haben keine Chance, hier unbemerkt durchzukommen!«

»Schon gut!« winkte ich ärgerlich ab. »Wir haben ja nicht die Absicht, was zu verbergen. Wir kommen von ziemlich weit her und wollen nur einen Landeplatz auf der Erde.«

»So, so«, spöttelte der Typ. »Also nur einen Landeplatz. Wie kommen Sie überhaupt so weit raus? Noch dazu mit einem sehr merkwürdigen Raumschiff? Ich glaube, das ist eher ein Fall fürs Militär!«

»Na, dann halten Sie gefälligst Ihre Nase da raus!« brüllte Kortanor ihn an. »Ihr dusseliger Frachter wird uns bestimmt nicht den Weg versperren!«

Der Mann kriegte beim Anblick des Tromaden plötzlich große Augen. »Na, Sie ... Sie ... Sie werden schon sehen!« stammelte er nur noch und unterbrach die Verbindung.

»Da haben wir den Salat!« knurrte Lucky. »Was musst du dich auch gleich zeigen! Aber egal, nur eins schwör ich euch: gefangen nehmen lasse ich mich nicht nochmal!«

»Kein Grund zur Aufregung«, versuchte Sucherin ihn zu beruhigen. Lasst uns doch erst mal abwarten, mit wem wir es zu tun bekommen. Wir müssen uns eben im passenden Moment absetzen.«

Ich war sicher, dass sie die Situation unterschätzte, und Kortanor bestätigte meine Vermutung wenig später. Er richtete unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Ortung.

»Seht ihr, was da los ist? Da ist eben ein ganzes Geschwader gestartet und das sind bestimmt keine Frachter.«

»Wieso wusstest du überhaupt, dass es sich um einen Transporter handelt?« erkundigte ich mich.

»Ist euch nichts aufgefallen?«

»Doch.« Sucherin nickte. »Das Schiff ist nach dem Muster eines Renen-Raumers gebaut.«

»Genau. Und der Form nach habe ich vermutet, dass wir es nur mit einem Frachter zu tun haben.«

»Bleibt nur die Frage, wie die Erde an Raumschiffe der Renen kommt«, warf Lucky düster ein. »Oder jedenfalls an Pläne dafür«.

Sucherin wandte sich ab. Ich ahnte, dass sie an ihre Begegnung mit den Renen dachte. Von ihnen stammte ja auch das Beiboot, das die CHANGE im Schlepp hatte. Hatte Sucherins Zusammentreffen mit den Renen etwas mit den irdischen Raumschiffen in Renen-Bauweise zu tun?

Es stellte sich nämlich schnell heraus, dass auch die vom Mars gestarteten Schiffe diese Form hatten. Deshalb auch ein fast vollständiges Fehlen von Antriebsenergie. Renen-Schiffe bewegten sich mit Hilfe des »Weltraumwindes« vorwärts.

»Können wir denen nicht irgendwie entkommen?« wandte sich Lucky nervös an Kortanor.

»Unmöglich. Die Situation ist anders als beim Abflug von Sonnenfeuers Heimatwelt. Dort hatten wir den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Hier ist es wohl eher umgekehrt. Es sind zwar nicht so viele, wie ich zuerst angenommen habe, aber sie sind einfach zu schnell, als dass eine Kursänderung von uns noch etwas bewirken könnte.«

»Na, dann auf ins Vergnügen!« brummte ich.

Es dauerte nicht lange, dann sprach unser Funkgerät erneut an. Wieder meldete ich mich und diesmal erhielt ich Kontakt zu einem Typen in schneidiger Uniform, wohl irgendein Offizier.

»Stoppen Sie sofort Ihr Schiff!« forderte er mich auf. »Anderenfalls eröffnen wir das Feuer!«

»Sie haben wohl zu viele Western gesehen?« knurrte ich zurück.

Kortanor gehorchte wortlos. Aber ich konnte an seinem Gesicht sehen, wie ihm diese Situation zu schaffen machte.

Inzwischen hatte der Offizier einem anderen Mann Platz gemacht, das Bild war jetzt noch unschärfer und ich vermutete, dass wir es mit einer Direktübertragung von der Erde zu tun hatten. Es handelte sich ebenfalls um einen Weißen, also wahrscheinlich einen Regierungsvertreter von Neu-Ing.

»Hören Sie,« begann er auf mich einzureden. »Verstehen Sie unsere Maßnahmen nicht falsch. Wir sind natürlich völlig überrascht über Ihr Auftauchen. Da müssen wir einfach gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen. Natürlich rechneten wir irgendwann mit einem – vielleicht zufälligen – Besuch außerirdischer Intelligenzen, aber Sie sind ja augenscheinlich von der Erde oder? Ich meine, Sie müssen uns erklären, wie Sie da an Bord gekommen sind und wer dieser Außerirdische ist und das alles und ...«

»Okay«, unterbrach ich sein Gestammel. »Angesichts Ihrer freundlichen Einladung wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben. Sagen Sie also, was wir tun sollen und verhindern Sie, dass Ihre schießwütigen Soldaten auf irgendwelche Knöpfe drücken.«

Lucky fluchte resigniert vor sich hin. »Am liebsten würde ich dem Schleimer in Arsch treten.«

»Vielleicht haben wir später dazu Gelegenheit«, schloss sich Kortanor ihm an.

»Seid doch mal ruhig!« zischte ich ihnen zu. »Ich muss doch erst mal zusehen, dass diese Zinnsoldaten nicht versehentlich an ihren Geschützen rumfummeln.«

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich hasste natürlich diese »Diplomatie« ebenfalls. Außerdem befürchtete ich, dass Lucky zusammenbrechen könnte, wenn sich die Situation verschlimmerte und uns eine Gefangenschaft drohte. Bergotos lastete noch immer wie ein Alptraum über ihm.

»Also folgendes«, ließ sich der Zivile wieder hören. Anscheinend hatte er sich neue Anweisungen geholt. »Sie werden bis in eine Erdumlaufbahn eskortiert und steigen dann mit Ihrer Besatzung auf eine Raumstation um. Dort werden Sie erst mal gründlich untersucht. Eventuell müssen Sie in Quarantäne. Wer weiß, was Sie uns alles sonst einschleppen!«

»Verstanden,« sagte ich kurz und schaltete die Verbindung aus. Mir kam schon die Galle hoch und ich hatte absolut keine Lust, länger als unbedingt nötig mit dem Kerl zu palavern,

»Also so direkt unfreundlich erschien er mir gar nicht«, meinte Sucherin.

»Ja, schließlich weiß er ja auch nicht, wen er vor sich hat«, erklärte Kortanor. »Vielleicht hat er Angst davor, dass hier an Bord ein paar Supermonster sind. Da muss er schon etwas vorsichtig taktieren.«

»Klar«, bestätigte Lucky. »Und wenn sie uns erst mal auf Nummer Sicher haben, landen wir ganz schnell im Knast!«

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hör zu, wir werden alles versuchen, damit wir dir und uns ein neues Bergotos ersparen. Da kannst du dir sicher sein!«

Er sah mich skeptisch an; denn angesichts des Militäraufgebots vor uns im All waren das kaum mehr als hohle Worte.

Die Militäreinheiten nahmen die CHANGE in die Mitte und dann ging’s langsam weiter Richtung Erde.

Irgendwann während dieser Flugphase gesellte sich Sonnenfeuer zu uns. Sie starrte auf den Hauptbildschirm.

»Sie haben uns aufgebracht?« fragte sie leise.

Kortanor machte eine Handbewegung, die Zustimmung bedeutete.

Er fasste ihre Hand. »Geht es dir besser?«

»Ein wenig, aber ich habe immer noch starke Kopfschmerzen. »Ich muss weiter versuchen, mich auf die neue Situation einzustellen.« Sie sah uns der Reihe nach an. »Jedenfalls ist dies kein guter Anfang und vielleicht bin ich von meinem Ziel weiter entfernt, als ich es in meiner Heimat war.«

Niemand sagte etwas. Die Zauberin hatte schon früher Zweifel geäußert, ob es richtig gewesen war, ihre Welt zu einem Zeitpunkt zu verlassen, als diese von einer Invasion bedroht war. Nun, auch wir hätten uns eine bessere Entwicklung der Dinge vorstellen können...

Die Raumstation entpuppte sich als ein riesiges Ungetüm und es mussten enorm viel Arbeit und Geld aufgewandt worden sein, um es hierher zu setzen. Ich hatte gleich den Verdacht, dass es sich hier nicht nur um ein »Weltraum-Hospital« handelte. Der Eindruck wurde noch verstärkt durch den Anblick einer Anzahl von Raumschiffen, die diese Station in exakt militärischer Formation umkreisten.

»Das sieht mir eher wie ein Spezialknast aus«, sprach Lucky unsere Befürchtungen aus.

»Wahrscheinlich ist das nur eine ihrer Funktionen«, vermutete ich.

»Darauf lasse ich mich auf keinen Fall ein!« begehrte jetzt auch Kortanor auf. »Ich bin doch nicht hergekommen, um mich einsperren zu lassen!«

»Sobald wir eine Chance sehen, sollten wir zur Erde fliehen«, schlug Sucherin vor. »Und zwar bevor sie uns getrennt und isoliert haben.«

Leicht gesagt, dachte ich, und mir wurde schon ganz flau im Magen. Es würde bestimmt nicht so einfach sein, von einem Militär-Stützpunkt zu entkommen.

Die CHANGE wurde bis zu einem Landefeld auf der Oberfläche der Station eskortiert. Dann wurden wir aufgefordert, unser Schiff zu verlassen. Kortanor traf einige Sicherheitsvorkehrungen an den Datenspeichern, wir zogen unsere Raumanzüge über und dann stapften wir hinaus.

Da Kortanor als einziger über Erfahrung im freien Raum verfügte, fühlten wir uns alle ziemlich unsicher. Es herrschte nur geringe Schwerkraft, und wir hielten uns aneinander fest, als wir uns dem Empfangskomitee näherten.

Mindestens 20 Soldaten waren es, die uns bereits erwarteten.

Sie waren teilweise mit Gewehren bewaffnet, und sahen so aus, als würden sie sie auch benutzen. Und dann ging’s ins Innere der Station, wo sich die Schwerkraft dank der Technik wieder normalisierte. Bis jetzt hatte noch niemand ein Wort mit uns gewechselt und auch wir waren angesichts der massiven Bedrohung stumm geblieben. Doch jetzt, gleich an der Eingangsschleuse, kam mit langen Schritten ein Mann auf uns zu, der ebenfalls in einem Raumanzug steckte.

Sie mussten wirklich große Angst vor irgendwelchen Krankheitserregern haben, denn unsere Anzugsgeräte zeigten eindeutig, dass es hier atembare Luft gab.

Der Mann streckte uns die Hand entgegen, und als sie niemand nahm, räusperte er sich und sagte über sein Helmmikrofon: »Freut mich, Sie hier zu haben. Haben Sie keine Angst. Die Maßnahmen dienen nur zu Ihrer Sicherheit.«

Ich dachte erst, ich hätte mich verhört, aber der Kerl sprach tatsächlich von unserer Sicherheit.

»Vielen Dank für den freundlichen Empfang«, knurrte ich zurück. Das sollte ironisch sein, klang aber dann doch mehr nach Unsicherheit.

An seiner Stimme erkannte ich, dass wir es mit dem gleichen Menschen zu tun hatten, der schon vorher unser Gesprächspartner gewesen war. Wahrscheinlich hatten sie ihn extra von der Erde eingeflogen. Vielleicht doch eher ein Sicherheitsexperte als ein Politiker, vermutete ich.

Wir gingen hinter ihm her, eine Reihe blitzender Gänge und Korridore entlang, bis er uns die Tür zu einem weißgekachelten Raum öffnete. Uns blieb nichts anderes übrig als reinzugehen.

Der Raum war gerade drei mal vier Meter groß und hell erleuchtet. Decke, Fußboden und Wände waren mit diesen Plastikkacheln bedeckt. An der einen Längsseite befand sich ein schmales Sichtfenster, hinter dem sich von draußen der Typ aufgebaut hatte – jetzt ohne Raumanzug. Sonst enthielt der Raum nichts.

»Ziehen Sie jetzt Ihre Raumanzüge aus«, befahl eine Lautsprecherstimme.

Nichts lieber als das, dachte ich und wir entledigten uns der unbequemen Monturen. Endlich wieder Bewegungsfreiheit. Andererseits hatten wir nur mit den Anzügen eine Chance, die Station wieder zu verlassen und die angedockte CHANGE zu erreichen.

»Sieht aus wie eine Gaskammer«, zischte Lucky.

»Dann hätten sie sich den Aufwand sparen können«, gab ich zurück.

Sobald unsere Anzüge auf dem Boden lagen, öffnete sich eine Klappe in einer Ecke, und sie wurden von mehreren metallenen Greifern weggezogen.

Lucky ballte die Fäuste. »Ich fühle mich hilflos wie ein neugeborenes Baby!«

Sonnenfeuer legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ihre Augen blitzten und sie war zweifellos ein exotischer Anblick in ihrem merkwürdigen Gewand und mit ihren Zöpfen. Selbst Kortanor verblasste dagegen, obwohl seine überlangen Arme und das Fehlen der Ohrmuscheln zeigten, dass er nicht von der Erde stammte. Sucherin, Lucky und ich sahen aus, als hätten sie uns mitten von der Straße weggeholt.

Dann begannen die sogenannten medizinischen Untersuchungen. Wir wurden in verschiedenem Licht gebadet, mit allerlei Geräten abgetastet, geröntgt usw. Alles wurde von draußen gesteuert und rein mechanisch durchgeführt.

Die Prozedur dauerte vielleicht eine halbe Stunde, dann schwang die Tür, durch die wir reingekommen waren, wieder auf. Erneut kam uns der schmierige Typ entgegen.

»Na, sehen Sie, es ist alles in Ordnung«, strahlte er uns an und das, obwohl sie spätestens jetzt rausgefunden haben mussten, dass auch Sonnenfeuer eine Außerirdische war (Sucherin konnte man vielleicht eher als Anders-Irdische bezeichnen).

»Kommen Sie mit«, forderte er uns auf. »Ich stelle Sie einigen Leuten vor, die sehr an Ihnen interessiert sind, und dann können Sie erzählen, wer Sie sind, woher Sie kommen und alles andere.«

Sonnenfeuer sah ihn mitleidig an. Wahrscheinlich denkt sie, er ist verrückt, fuhr es mir erheiternd durch den Kopf. Er musste uns wirklich für reichlich naiv halten. Luckys und meine Fahndungsbilder hatten ihn sicher schon erreicht, auch wenn das alles schon Jahre zurücklag und auf den Südlichen Inseln passiert war. Die Zusammenarbeit in Polizeifragen war schon immer ausgezeichnet gewesen. Und das würde in der zugespitzten politischen Situation in Neu-Ing und auf den Südlichen Inseln, über die wir uns dank abgehörten Funkverkehrs hatten informieren können, nicht anders sein.

Die Wachsoldaten waren außer zweien verschwunden, aber ich zweifelte nicht daran, dass wir auf Schritt und Tritt von Monitoren, Kameras und anderen Spiontastern überwacht wurden. Ein Aufzug brachte uns weiter in die Tiefe der Station. Der Weg endete in einer Art Konferenzsaal, der von einem mächtigen Tisch beherrscht wurde, um den sich bestimmt 50 Stühle gruppierten. Aber nur fünf von diesen Stühlen waren besetzt. Vier Männer und eine Frau, alles Weiße. Sie standen auf, als wir reinmarschierten, und unser Führer stellte uns, so gut er konnte, vor. Ich behielt keinen der Namen, die er uns sagte, auch seinen eigenen nicht. Er erwartete dann wohl, dass auch wir unsere Namen bekannt gaben, aber wir dachten nicht daran, diese Komödie mitzuspielen.

»Äh, ja, setzen Sie sich doch,« durchbrach er das darauf folgende allgemeine Schweigen.

Dann ließ er von einem menschenähnlich gestalteten Roboter etwas zu trinken und zu essen auffahren und nahm uns gegenüber neben den anderen Platz. Das alles sollte uns wohl beeindrucken. Nun, das Essen nahm ich gerne an, aber mein einziger Gedanke kreiste darum, wie wir aus dieser gigantischen Falle wieder rauskommen konnten.

Es stellte sich dann schnell raus, dass alle sechs geschulte Verhörspezialisten waren. Zuerst versuchten sie es auf die weiche Tour, indem sie beteuerten, dass sie mit uns zusammenarbeiten wollten und nichts lieber täten, als uns zur Erde zu bringen, aber leider wären da eben noch ein paar Fragen offen... Wir müssten doch einsehen, dass sie den Kontakt zu Vertretern anderer Völker nicht einfach so abhaken könnten usw. blabla.

Irgendwann riss Lucky der Geduldsfaden und er rang sich zu einer Art Statement durch:

»Es hat wohl wenig Zweck, wenn Sie uns weiter hier mit Ihren Fragen bombardieren,« regte er sich auf. »Wir sind nicht daran interessiert, sie zu beantworten. Und niemand von uns ist hier als Vertreter irgendeines galaktischen Volkes. Sie machen sich da ganz falsche Vorstellungen. Wir haben keine Informationen für Sie! Das einzige, was wir wollen, ist, dass Sie uns in Ruhe zur Erde fliegen lassen, wo wir uns mehr oder weniger in Ihre hervorragende Gesellschaft eingliedern werden. Sie haben überhaupt kein Recht, uns hier weiter festzuhalten!«

Natürlich war das ein ziemlich sinnloser Gefühlsausbruch, aber der Ton schien ihnen nicht zu gefallen.

Sie griffen jetzt zu härteren Worten und drohten offen damit, dass sie uns hier einsperren würden, wenn wir nicht bestimmte Informationen preisgäben. Wir befanden uns in einer Sackgasse und ich hatte keine Ahnung, wie wir da wieder rauskommen sollten. Lucky und ich gaben schließlich unsere Namen an, weil sie die vermutlich schon aus ihren Computern hatten, und beteuerten wiederholt, dass wir nur zur Erde zurück wollten, um da ganz »normal« zu leben.

Sie waren natürlich stutzig geworden, als sie herausbekamen, dass ihre Akten über uns schon neun Jahre alt waren, und versuchten rauszukriegen, was wir in der Zwischenzeit getrieben hatten. Auch das versuchten wir schließlich zu erklären, aber vermutlich glaubten sie uns kein Wort oder sie verstanden es einfach nicht.

Allmählich kam ich immer mehr zu der Überzeugung, dass sie an etwas ganz bestimmten interessiert waren, denn ihre Fragen steuerten immer wieder auf den Punkt zu, wie wir den Einflug in unser Sonnensystem geschafft hatten.

»Sagen Sie uns doch endlich mal konkret, was Sie wissen wollen!« fuhr ich sie an. »Sie reden doch nur um den heißen Brei herum.«

Daraufhin ergriff unser »Kontaktmann« wieder das Wort:

»Ich möchte, dass Sie sich über Ihre Situation im Klaren sind. Wir könnten Sie ohne weiteres verhaften lassen, denn Sie beide« – er deutete auf Lucky und mich – »sind gesuchte Terroristen. Die Unterlagen von den Südlichen Inseln sind zwar alt, aber so etwas verjährt nicht. Und was außerirdische Besucher angeht, da sind wir ganz vorsichtig geworden. Unter bestimmten Voraussetzungen könnten wir allerdings von einem Verfahren absehen...«

»Also sagen Sie uns lieber gleich, wie Sie durch die Barriere gekommen sind!« brüllte uns plötzlich ein anderer an.

Wir sahen uns ungläubig an. Mir dröhnte der Kopf von dem ganzen Hin und Her. Ich wollte nur noch raus. Was sollte das jetzt? Von welcher Barriere war hier die Rede?

»Was meinen Sie überhaupt?« fragte Lucky überrascht für uns alle.

»Tun Sie doch nicht so!« schnappte die Frau. »Sie müssen doch wissen, wie Sie durchgekommen sind. Wahrscheinlich sind Sie sogar dafür verantwortlich.«

»Jetzt reicht’s aber!« schrie Kortanor, der sich bislang erstaunlich zurückgehalten hatte. »Wir haben genug von diesem Verhör. Wir...«

Sonnenfeuer brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Wir waren alle aufgesprungen und ich dachte, dass wir jetzt einen Fluchtversuch wagen würden. Ich starrte die Zauberin irritiert an. Worauf warteten wir noch?

»Beruhigen Sie sich doch!« appellierte einer der Typen an uns. »Es ist doch keinem damit geholfen, wenn wir hier uns anschreien. Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Wir können uns doch einigen. Lassen Sie sich nicht zu unbedachten Maßnahmen hinreißen.«

Was, dachten die, konnten wir schon für Maßnahmen ergreifen, wunderte ich mich.

»Lassen Sie unseren anderen Gast eintreten«, sprach einer von ihnen in ein Tischmikrofon. Dann wandte er sich wieder an uns. »Wir möchten Sie davon überzeugen, dass es besser ist, auf unsere Fragen einzugehen.«

Ob Sonnenfeuer diesen Auftritt abwarten wollte? Was hatten wir von der Vorführung eines weiteren Gefangenen?

Dann wurde die Tür aufgerissen und die Wachposten führten den Gefangenen herein. Deswegen also, dachte ich. Der Gefangene war kein Mensch!

»Ein Rene!« stieß Sucherin hervor und schlug die Hände vors Gesicht.

Ja, ich erkannte es selbst nach den Beschreibungen von Sucherin wieder: eine Art schwach leuchtende Röhre mit sich verändernden Gliedmaßen. Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm (oder ihr?). Er stolperte und schwankte, schlug ohne erkennbaren Grund um sich und fiel mehrere Male zu Boden.

»Sie müssen es schwer verletzt haben«, sagte Sucherin leise.

»Dann nichts wie raus hier!« wiederholte Kortanor. »Ich werde keine Minute länger in dieser Folterkammer bleiben.«

Das war das Signal für uns, doch unsere Gegenüber hatten natürlich vorgesorgt und sich entsprechend abgesichert, während wir so gut wie keinen Plan hatten. Plötzlich wimmelte es in dem Saal von Bewaffneten, die sich überall verteilten. Verzweifelt sah ich mich nach einem Fluchtweg um, aber alle Ausgänge waren bewacht. Wir hatten uns was vorgemacht, gab ich zu. Das Ganze war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

»Ergeben Sie sich und es geschieht Ihnen nichts!« versicherte uns die Frau. »Wir haben...«

Ich merkte, wie sich mein Helfer von meinem Arm löste. Er sandte einen blassblauen Strahl aus und die Frau verstummte augenblicklich. Luckys Helfer war jetzt an seiner Seite.

Die »Politiker« fielen der Reihe nach von ihren Stühlen.

Unter den Soldaten begann sich eine Panik breit zu machen. »Wir müssen sie vernichten!« rief einer und hob seine Waffe. Auf einmal knisterte und knackte es in der Luft, so dass ich mir unwillkürlich die Ohren zuhielt.

»Wir können jetzt gehen«, drang Sonnenfeuers Stimme zu mir durch.

Was ist denn los, dachte ich bestürzt. Das ist ja das reinste Irrenhaus! Doch dann erkannte ich, was die Zauberin meinte: die Soldaten rührten sich nicht mehr. Sie standen wie versteinert. Selbst ihre Blicke waren stur geradeaus gerichtet.

»He, die können sich nicht mehr bewegen«, hauchte Lucky fassungslos. »Hast du das gemacht?«

Sonnenfeuer nickte. Sie schien auf einmal sehr ernst.

»Wir nehmen das Rene mit«, entschied sie. Sie gebrauchte zum wiederholten Mal ein sächliches Pronomen. Damit war das also auch geklärt.

Natürlich hatten wir nichts dagegen. Wir konnten es schließlich nicht einfach hier liegen lassen.

Sucherin ging in der knisternden, aufgeladenen Luft auf das Rene zu, das hilflos am Boden lag und ab und zu mit den Auswüchsen seines leuchtenden Körpers zuckte. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich irgendwie für dieses Wesen verantwortlich fühlte. Aber es war schließlich nicht ihre Schuld, dass die Menschen sie anscheinend auf der Erde entdeckt hatten. Denn so musste es sich abgespielt haben und das erklärte auch den technologischen Aufschwung und die Raumfahrt.

Ich folgte Sucherin, um ihr zu helfen, und gemeinsam richteten wir das Rene auf. Es fühlte sich leicht und kühl an. Inzwischen verschärfte sich die Situation weiter. Wenn wir hier noch wegkommen wollten, hatten wir keine Zeit zu verlieren. Während ein Teil der Wachsoldaten immer noch wie versteinert im Raum stand, drangen weitere ihrer Kollegen durch die Haupttür in den Saal. Wahrscheinlich war alles, was sich hier abgespielt hatte, über Monitore beobachtet worden und nun traf die Verstärkung ein. Und diese war anscheinend nicht von der knisternden Luft und Sonnenfeuers »Bann« betroffen.

Sie zögerten keine Sekunde und die ersten Warnschüsse pfiffen über unsere Köpfe.

Die Helfer versuchten, uns mit ihren Strahlen zu schützen, aber auf Dauer musste die Übermacht zu groß werden.

Während ich das Rene weiter umklammert hielt, traten mir die Tränen in die Augen. Sollten unsere Anstrengungen so nutzlos gewesen sein?

Dann wurde es dunkel um mich. Eine totale Finsternis. Ein ziehendes irgendwie bekanntes Gefühl ... aber diesmal ... Übelkeit, Schwindel ... als würde mein Körper/Geist völlig auseinandergerissen ... Zeit floss zäh vorüber ... Gedanken verwirrten sich... und dann ...

Die Schwärze riss auf. Vor meinen Augen tanzte ein buntes Kaleidoskop von Farben. Anschließend wurde es wieder dunkel, aber diesmal war es eine natürliche Dunkelheit. Ich fühlte mich schwach und elend und musste mich erst mal übergeben, mein ganzer Körper schmerzte, innen und außen. Allmählich nahm ich meine Umgebung bewusster wahr: ich fühlte, dass ich auf einem steinigen Untergrund kniete. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit.

Dies war auf keinen Fall die Raumstation. Über mir schwebte ein blasser Halbmond und auch einige Sterne konnte ich in dem wolkenverhangenen Nachthimmel erkennen. Außerdem reizte ein fürchterlicher Gestank meine Schleimhäute und verstärkte noch mein Übelkeitsgefühl. Kein Zweifel, dies war die Erde. Höchstwahrscheinlich Neu-Ing, die stinkende, lärmende, betäubende Metropole.

Neben mir lag ausgestreckt der leuchtende Körper des Renen.

In seinem Schimmer erkannte ich noch eine dritte Gestalt: Sucherin! Ich kroch mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihr rüber. Sie atmete schwach. Die Konturen ihres Körpers verschwammen ineinander, so wie ich es schon früher bei ihr – bzw. dem Beobachter – nach großer Anstrengung erlebt hatte.

Sie musste sich also in einem extremen Schwächezustand befinden, der meinen bei weitem übertraf.

Ich setzte mich neben sie, zum Glück war es nicht allzu kalt. Gut, überlegte ich. Wir waren irgendwie den Killerkommandos der Raumstation entkommen und auf die Erde versetzt worden. Wahrscheinlich war das Sonnenfeuers oder Sucherins Werk gewesen. Da war ich mir ziemlich sicher. Doch was fing ich jetzt mit dem Renen und Sucherin an? Und wo waren Kortanor, Lucky und Sonnenfeuer, von denen ich hier keine Spur entdecken konnte? Ich selbst fühlte mich auch nicht gerade blendend, das Rene war zumindest schwer psychisch krank und Sucherin lag da wie im Sterben.

Bevor ich ganz verzweifeln konnte, hörte ich ein helles Sirren über mir. Der Laut kam mir bekannt vor, ich konnte jedoch nichts erkennen.

»Wir werden das Kind schon schaukeln,« ertönte plötzlich eine etwas metallische Stimme.

Natürlich, mein Helfer! Wie kam es nur, dass ich die Anwesenheit dieser beiden »Geräte« immer wieder vergaß? Manchmal dachte ich, dass sie es irgendwie verhinderten, dass sie uns im Gedächtnis blieben, bis sie sich dann von selbst meldeten. Jetzt sah ich ihn auch bewegungslos über mir schweben. Und er war nicht allein. Neben ihm in der Luft entdeckte ich Luckys Helfer,

»Und wo ist Lucky?« fragte ich automatisch.

»Keine Ahnung«, antwortete mir sein Helfer. »Ich bin mitgekommen, weil wir uns im Moment nicht trennen wollen. Außerdem scheint unsere Hilfe wohl angebracht.«

Gespannt sah ich zu, wie sie sich den beiden am Boden liegenden Gestalten näherten. Außer einem verstärkten Summen war aber nichts weiter zu erkennen. Trotzdem hatte ich den Eindruck, als untersuchten sie die beiden.

Ich schaute mich inzwischen ein wenig in der Gegend um, weil es mich zu wundern begann, dass wir hier so unbehelligt blieben. Wir befanden uns anscheinend auf einem verlassenen Grundstück zwischen zwei hoch aufragenden Turmbauten. Weiter vorn musste sich den Lichtern und den Geräuschen nach eine Hochstraße erstrecken. Menschen konnte ich nicht ausmachen. Es musste wohl ziemlich spät sein und die Umgebung sah mir auch eher nach einer öden Trabantenstadt aus. Lediglich ein paar Gleiter schwebten in einiger Entfernung vorbei.

Neun Jahre! dachte ich. Ob sich wohl so viel verändert hatte, dass ich Schwierigkeiten haben würde, mich zurecht zu finden?

Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart.

Beide Helfer hatten sich jetzt Sucherin zugewandt und kommunizierten in schrillen Tönen miteinander, ein Vorgang, der mir zum ersten Mal bei ihnen auffiel. Ich war mir sicher, dass sie irgendetwas mit ihr anstellten, aber was, vermochte ich nicht zu sagen. Auf jeden Fall schlug sie einige Minuten später die Augen auf und bewegte sich. Auch ihre Umrisse stabilisierten sich wieder.

»Ihr seid ein wahres Wunder,« dankte ich den Helfern.

»Nicht der Rede wert,« meinte einer der beiden. »Mit dem Renen sieht es schlimmer aus. Wir müssten es länger in Ruhe behandeln. Am besten in einer Umgebung, die ihm zusagt. Sonst kommt es nie wieder in Ordnung.«

Sucherin hatte sich inzwischen aufgerichtet. Sie zitterte aber immer noch am ganzen Körper.

»Da habe ich mir wohl etwas viel zugemutet«, stöhnte sie. »Immerhin haben wir es geschafft.«

Ich nahm sie in die Arme. »Aber wie hast du das geschafft?«

Sie drückte sich an mich. »Aber du kennst das doch. Es war sozusagen ein überdimensionaler Nullschritt.«

Ich hatte mir zwar so etwas gedacht, konnte es aber zunächst nicht glauben. Allein die Entfernung: aus einer Erdumlaufbahn direkt nach Neu-Ing! Kein Wunder, dass sie zusammengeklappt war. Noch dazu unter Mitnahme zweier »Leute«. Das erklärte natürlich auch mein Unbehagen während des unbegreiflichen Vorgangs.

»Und weißt du auch, wo wir sind?«

»Ich hatte mein altes Versteck angepeilt. Es muss ganz in der Nähe sein. Für einen exakten Treffer war die Entfernung wohl zu groß.«

»Warum sind Lucky, Sonnenfeuer und Kortanor nicht hier?«

»Sie befanden sich außerhalb meiner Reichweite und so viele Personen kann ich auch nicht auf einmal transportieren. Tut mir leid.«

»Das ist doch nicht deine Schuld«, gab ich automatisch zurück. Ein Wunder, dass wir es überhaupt geschafft haben.«

Trotzdem machte ich mir natürlich Sorgen um die drei. Sie hatten ja kaum eine Chance gegen die Übermacht der Soldaten. Schaudernd dachte ich an Luckys Furcht vor einem neuen Bergotos.

Sucherin schien meine Gedanken zu erraten. »Ich werde sehen, was sich machen lässt. Vielleicht kann ich später ihre Auren anmessen. Im Moment bin ich jedoch zu schwach, um weitere Maßnahmen treffen zu können. Am besten, wir suchen mein Versteck auf und ruhen uns eine Weile aus. Es wird zwar eng werden, aber etwas besseres werden wir so schnell nicht finden.«

Da hatte sie zweifellos recht, ich fürchtete sowieso jede Minute eine Entdeckung und konnte es auch noch immer nicht recht fassen, dass wir den Soldaten entwischt waren. Mit meiner Hilfe stand Sucherin auf. Noch immer hatte sich ihr Äußeres nicht ganz gefestigt. Zum wiederholten Mal fragte ich mich, wie wohl ihr richtiger Körper aussah, oder ob sie vielleicht überhaupt keinen besaß.

Wir hatten Glück gehabt, dass wir bei Nacht angekommen waren. Außerdem war es mir wesentlich lieber, in Neu-Ing zu sein als auf den Südlichen Inseln. Obwohl ich dort über ein Jahr verbracht hatte, kannte ich mich hier doch wesentlich besser aus. Auf den Inseln wäre es mir schon aufgrund meiner Hautfarbe schwer gefallen, irgendwo unterzutauchen. Und diese Erkennungsmöglichkeit mit den Marken hatte mir auch nie gefallen. Aber wer wusste, was hier auf mich wartete?

Wir fanden Sucherins »Stützpunkt« relativ schnell, da sie ihn irgendwie aufspüren konnte. Er lag ganz in der Nähe, nur ein paar Schritte entfernt. Wir brauchten uns auch mit dem Renen nicht abzuschleppen, denn die Helfer erzeugten eine Art Antigravitationsfeld, auf dem sie das Wesen vorsichtig dirigierten.

Das Problem bestand darin, in das Versteck hineinzukommen. Es lag nämlich einige Meter unter dem Erdboden, und kein Mensch konnte von außen einfach so eindringen. Es war nur per Nullschritt zu erreichen. Und dazu war Sucherin – selbst über eine so kurze Distanz – noch nicht wieder fähig.

Wir mussten also in ständiger Angst vor einer Entdeckung bis zum Morgengrauen warten. Ich war vor Erschöpfung halb eingenickt, obwohl ich mir vorgenommen hatte, wach zu bleiben.

Mein Helfer weckte mich ganz behutsam und allmählich kam er mir vor wie ein etwas unwirklicher Beschützer. Wir machten uns bereit, damit wir verschwunden waren, bevor die ersten, die auf dem Weg zur Arbeit waren, uns sehen konnten.

Sucherin hatte sich einigermaßen erholt und meinte, die erneute Anstrengung verkraften zu können. So gelang das Vorhaben auf Anhieb, diesmal ohne Schwindel- und Übelkeitsgefühl.

Etwas benommen tauchten wir in Sucherins Versteck wieder auf.

 

Never wanted to be like everybody else

But now there are so many like me sitting on the shelf

They sold us a dream but in reality

It was just another factory

 

The Kinks - »Working at the Factory«

 

 

3.

DER ERSTE STEIN

 

Barr Corper, der Direktor der United Steel Company-Filiale, klappte den letzten Aktendeckel zu und desaktivierte den Mini-Comp. Nicht dass er in den letzten Stunden noch viel zu tun gehabt hätte, aber er wusste nicht, womit er sich sonst beschäftigen sollte.

Dieser Titel ist ein Hohn, dachte er zum tausendsten Mal. Direktor – aber was für einer! Die Zweigstelle der USC befand sich schließlich nicht irgendwo, sondern auf dem Mars! Abgeschoben hatten sie ihn, nichts weiter! Aber was hätte er machen sollen? Auf der Erde wäre ihm nach den letzten Misserfolgen nur der Rücktritt geblieben. Hier hatte er einen höheren Posten, mehr Geld – und tausende Kilometer Einöde, in die sich niemand hinauswagte.

Das nach langen Forschungen zur Bearbeitung freigegebene Gebiet lag unter Schutzkuppeln und auf Jahre hinaus war eine Vergrößerung nicht vorgesehen. Wen kümmerten also die Staubwüsten und Sandstürme?

Corper störte es. Das Gefühl des Eingeschlossenseins wich in den langen Jahren nicht von ihm, und immer noch hatte er Angst vor einer Katastrophe, die ihn ungeschützt dem Mars aussetzen würde.

Woran sollte er auch sonst denken? Hier gab es keine Villen oder Paläste, keine Vollautomation oder exklusiven Etablissements, nur Dreck und künstliche Atemluft, eine Ansammlung grauer Fertighäuser, die sich Steel-City nannte und natürlich Erze und Mineralien. Deshalb existierte dieses ganze Projekt ja. Drei Jahre bereits. Und die Erde benötigte die Rohstoffe mehr denn je.

Oder sollte er an die Arbeiter in den Bergwerken denken, die sich kaputt schufteten, um wenigstens ihr Leben zu erhalten? Alles Verbrecher, Terroristen und Glücksritter, die nur durch eine gut ausgerüstete Militär-Einheit in Schach zu halten waren. Corpers Blick schweifte über seinen stählernen Schreibtisch, die wenigen 3-D-Fotos (paradiesische Traumlandschaften) an den Wänden, bis er am Fenster hängenblieb. Von hier aus dem 2. Stock des Verwaltungsgebäudes sah er direkt zum Vergnügungsviertel hinüber. Ein Dutzend Barracken, in denen die Minenarbeiter ihren Lohn verspielen und versaufen konnten (jedenfalls der Teil von ihnen, der überhaupt Lohn bekam). Natürlich gab es auch Drogen aller Art, Fernsehwände und natürlich Frauen. Außer Prostituierten lebten hier gar keine Frauen und auch diese wurden mit jedem Nachschubtransporter ausgewechselt. Wer hielt es schon länger als ein paar Monate hier aus?

Nun, er war von Anfang an dabei gewesen. Und er musste zugestehen, dass er doch recht stolz darauf war, was er hier erreicht hatte. Er hatte das Letzte aus dem Gesindel und den Maschinen rausgeholt. Natürlich war es dabei zu Unglücksfällen gekommen, aber um solche Leute war es nicht schade. Und die Produktion war kontinuierlich angestiegen und damit nicht zuletzt auch seine Prämie. Das hatte er immerhin geschafft und nichts anderes war seine Aufgabe.

Die Uhr zeigte 22 Uhr Erdzeit, das Ende der 2. Schicht. Die Transportkarren würden in Kürze ein Heer müder, schwitzender Bergarbeiter hierher verfrachten. Ein paar von ihnen würden sich noch einige Zeit in den Kneipen rumtreiben, aber die meisten würden gleich in ihre Betten sinken.

Corper ging unschlüssig auf und ab. Er wollte diesen Männern nicht begegnen, hatte aber hier nichts mehr zu erledigen.

Er musste zumindest den Zeitpunkt abwarten, bis der größte Schub von der Straße war. Dann würde er nach Hause in seine Privaträume gehen. Dieser Tag würde genauso deprimierend enden wie alle vorherigen.