Mutprobe - Bascha Mika - E-Book

Mutprobe E-Book

Bascha Mika

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Beschreibung

Die neue provokante Streitschrift der Bestsellerautorin zum Thema Frauen und Älterwerden

Älterwerden – gibt es eine Frau, die das nicht kümmert? Frauen trifft die zweite Lebenshälfte besonders hart – ungleich schärfer als Männer. Denn mit zunehmenden Jahren wird ihnen alles abgesprochen: Ihre erotische Ausstrahlung, die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, die Chancen in der Arbeitswelt. Wo sich bereits 20-Jährige vor Falten fürchten und der 30. Geburtstag schmerzhaft erlebt wird, spüren 40- und 50-Jährige erst recht den kränkenden Blick und die gesellschaftliche Abwertung. Es ist ein tückisches Spiel, das mit Frauen betrieben wird. Wie unsere Jahre zählen, hängt davon ab, wer wir sind – Mann oder Frau. Warum sollten sich Frauen das länger gefallen lassen? Widerstand ist gefragt!

Bascha Mika lässt Frauen über ihre Erfahrungen erzählen. Scharf analysiert sie die Doppelmoral hinsichtlich weiblichen und männlichen Älterwerdens. Ihre Botschaft: Frauen haben in jeder Lebensphase das Recht auf Glück und Selbstbestimmung. Nehmen wir es uns!

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Bascha Mika

Mutprobe

Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. 1. Auflage

© 2014 by C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: buxdesign, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-10818-2V002

www.cbertelsmann.de

Inhalt

Worte übers Älterwerden

Vorwort

Tücke und Tabu

Worum es geht

Scheusal und Schlampe

Über Bilder und warum sie hartnäckig überleben

Knittergesicht und Cabrio

Über das Unsichtbarwerden und andere Gemeinheiten

Gift und Glamour

Über Filme, Fernsehen und den falschen Schein

Panik und Propaganda

Über persönliche Furcht und gesellschaftliche Angstmache

Liebe und Lebenselixier

Über Alleinsein, Machtspiele und Beziehungsmärkte

Werte und Wirtschaft

Über Arbeit, Geld und Versorgung

Wirren und Wandel

Über Fruchtbarkeit, Wechseljahre und das Tohuwabohu der Hormone

Schönheit und Scham

Über Sex, kosmetische Chirurgie und den Körper als Kampfzone

Das Wie bestimmen wir

Was soll sein?

Auswahlbibliografie

Dank

Worte übers Älterwerden

»Männer haben einen erheblichen Vorteil: Wir kriegen Falten, werden fett und glatzköpfig oder weißhaarig und keinen kümmert’s.« (George Clooney)

»Frauen werden Männern niemals ebenbürtig sein, solange sie nicht mit Glatze und Bierbauch die Straße runterlaufen können und immer noch denken, sie seien schön.« (Nina Hagen)

»Eine Frau kann mit 19 entzückend, mit 29 hinreißend sein. Aber erst mit 39 ist sie absolut unwiderstehlich. Und älter als 39 wird keine Frau, die einmal unwiderstehlich war.« (Coco Chanel)

»Das Altern erschreckt nur Frauen, die außer ihrer Figur nichts aufzuweisen haben.« (Inge Meysel)

»Nicht ich werde älter, sondern mein Kameramann.« (Doris Day)

»Es gibt ein Alter, in dem eine Frau schön sein muss, um geliebt zu werden. Und dann kommt ein Alter, in dem sie geliebt werden muss, um schön zu sein.« (Françoise Sagan)

»Falten sind die Haltestelle der Gesichtszüge.« (Heinz Erhardt)

»Eine Frau ist ein Engel mit zehn, eine Heilige mit fünfzehn, ein Teufel mit vierzig und eine Hexe mit achtzig.« (Englisches Sprichwort)

»Alter ist irrelevant, es sei denn, du bist eine Flasche Wein.« (Joan Collins)

»Keine Grenze verlockt mehr zum Schmuggeln als die Altersgrenze.« (Karl Kraus)

»Die hässlichen Frauen altern besser als die hübschen, denn sie gehen vom Schatten in die Dunkelheit.« (Francis de Croisset)

»Das Alter ist die Hölle der Frauen.« (François de La Rochefoucauld)

Vorwort

Älterwerden beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Das versteht sich eigentlich von selbst, warum es also noch einmal betonen? Weil dieser Satz etwas Zentrales verschleiert. Er klingt, als ginge es hier nur um einen biologischen Prozess, als wären alle Menschen gleichermaßen von den Jahren betroffen. Doch das ist Täuschung. Denn für Frauen hat diese Aussage eine völlig andere Bedeutung als für Männer. Wo viele Frauen bereits jenseits der 30 beginnen, sich vor dem Älterwerden zu fürchten, sehen die meisten Männer ihrer mittleren Lebensphase sehr viel gelassener entgegen. Der Grund: die unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung der Lebensjahre. Männer werden älter, Frauen werden alt gemacht! Es ist ein höllisches Spiel, das wir seit Tausenden Jahren im Geschlechterzirkus betreiben.

Das Thema beschäftigt mich schon lange, es war an der Zeit, den Phänomenen gezielt nachzugehen. Im Alltag und im öffentlichen Raum, in Gesprächen mit Experten und Wissenschaftlerinnen, in zahlreichen Begegnungen mit Frauen und Männern, die über ihre Erfahrungen mit dem Älterwerden berichteten. Wiederkehrend und erschreckend deutlich wurde dabei: Frauen in den mittleren Jahren sind einer perfiden sozialen Geringschätzung ausgesetzt, die Unbehagen, Angst und Leid hervorrufen kann. Die weibliche Abwertung wird kollektiv erlebt und ist mitnichten ein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Älterwerden scheint wie ein Fluch auf Frauen zu lasten und fordert ihnen eine permanente, wenngleich unfreiwillige Mutprobe ab. Selbst wenn nicht alle gleichermaßen betroffen sind, spüren doch alle mehr oder weniger bewusst den Druck, der hier auf weiblicher Seite herrscht.

Um den Blick dafür zu schärfen, schreibe ich aus einer weiblichen Perspektive. Frauen sind zwar nicht einfach Opfer – dazu sind sie selbst zu sehr in das System verstrickt –, aber das Doppelspiel mit den Jahren geht zu ihren Lasten und trifft sie besonders hart. Als TheDouble Standard of Aging hat die berühmte amerikanische Essayistin Susan Sontag bereits in den 1970er Jahren die Missachtung der älter werdenden Frau beschrieben. Wie kann es sein, dass sich im Kern daran bis heute so wenig geändert hat? Und warum sollten wir Frauen das weiter hinnehmen?

Alle der folgenden Erzählungen und Geschichten sind authentisch, alle darin geschilderten Menschen real. Damit meine Interviewpartnerinnen und -partner die Möglichkeit hatten, sich in einem geschützten Rahmen zu äußern, habe ich sie anonymisiert, wenn sie es wünschten.

Tücke und Tabu

Worum es geht

Auch Heldinnen haben Ängste. Und dann benehmen sie sich merkwürdig. So merkwürdig wie Meryl Streep. Die Schauspielerin hatte gerade Jenseits von Afrika abgedreht und gab in New York einige Interviews. Es waren Gespräche, wie sie bei der Werbetour für einen Film üblich sind: straff geplant und zeitlich durchgetaktet. Meryl Streep erledigte professionell ihren Job – doch plötzlich setzte sie ihren Pressesprecher vor die Hotelzimmertür und sagte alle weiteren Termine ab.

Eine Reporterin vom Stern war aufgetaucht. Die Journalistin hatte sich darauf eingestellt, dass ihr nur wenig Zeit mit dem Star zur Verfügung stand. Doch Meryl Streep entschied anders. Sie wollte sich ungestört unterhalten. Über ein Thema, das beide Frauen persönlich anging. Das Älterwerden. Den Schrecken davor. Die Furcht, seine Ausstrahlung zu verlieren und nicht mehr gefragt zu sein. Als Meryl Streep über ihre Ängste sprach, darüber, was es für eine Frau bedeutet, in Hollywood Falten zu kriegen, war sie 36 Jahre alt. Wibke Bruhns, die deutsche Reporterin, zehn Jahre älter.1

Eigentlich waren die beiden mit diesem Problem relativ spät dran. Wer heutzutage mit Frauen spricht, wird feststellen, wie deutlich sich die Zeithorizonte verschoben haben. Die Angst vor den Jahren setzt inzwischen unglaublich früh ein. Da kämpfen bereits 18-Jährige tapfer gegen imaginierte Runzeln. 25-Jährige geraten in Panik, wenn sie nicht mehr als Jugendliche durchgehen. Der 30. Geburtstag wird als deutliches Zeichen für Schluss mit lustig wahrgenommen. Und wenn erst die 40 drohen und sich irgendwann auch noch die Wechseljahre heranpirschen …

Hier geht es um Frauen, um ihre Erfahrungen mit dem Älterwerden. Kaum eine, die das Thema nicht kümmert. Und oft ist es weit mehr als nur Thema: eine Schmerzzone. Ein wundes Gebiet, das auf Berührung empfindlich reagiert. Frauen leiden daran, älter zu werden. Viel zu viele, viel zu oft. Nicht einfach an der fortschreitenden Zeit, nicht schlicht unter den Jahren. Wer könnte diesem Schicksal entgehen? Was Frauen fürchten, ist die gesellschaftliche Abseitsfalle, in die sie gedrängt werden. Und diese Bedrohung ist nicht etwa nur eine persönliche, sondern auch eine soziale Erfahrung. Und damit politisch.

Selbstverständlich gibt es Frauen, die den zweiten Lebensabschnitt entspannt und selbstsicher angehen. Die sich auf jeden Geburtstag freuen und gelassen alles abprallen lassen, was das Älterwerden an Hinterhältigkeit in petto hält. Doch Souveränität im Privaten ändert nichts daran, dass in der Gesellschaft kollektive Muster der Kränkung und Abwertung warten. Und sind es tatsächlich so viele Frauen, die völlig frei sind von Unbehagen, wenn sie sich im Blick der anderen spiegeln?

Denn bei Frauen wird unendlich viel an ihre Lebensjahre gekettet: Ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, ihre erotische Anziehungskraft, ihr Wert auf dem Liebesmarkt, der Erfolg in der Arbeitswelt – um nur einige Felder zu nennen. Als wäre die Identität einer Frau ausschließlich von ihrem Alter abhängig. Als erschöpfe sich der Kern des weiblichen Selbst in den Jahren.

Ist das ein Gesetz der Natur? Mitnichten. Es scheint nur so. Denn schließlich erleben Männer es anders. Trotz Jugendwahn und Körperkult – Männer dürfen älter werden und das auch zeigen. Ihr Alter gehört ihnen. Sie brauchen sich nicht um Jugendlichkeit zu bemühen, damit sie als erotisches Wesen beachtet werden. Sie können sich trauen, all ihre Falten zu präsentieren, denn die machen sie angeblich sexy. Sie gelten auch in späten Jahren noch als durchaus viril. Beruflich, privat, sexuell.

So wurde Hartmut Mehdorn, nachdem er bereits einige Unternehmen erfolgreich heruntergemanagt hatte, noch mit über 70 Jahren zum Chef der Berliner Flughafengesellschaft berufen. Als aber Renate Künast sich als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013 bewarb, lästerten Journalisten, sie sei doch wohl nicht mehr ganz frisch. Ob die Partei denn nichts Jüngeres habe? Da war die Grünen-Politikerin gerade mal 57 Jahre geworden.

Auch wenn es um ihr Liebesleben geht, genießen Männer eine erstaunliche Großzügigkeit. Unverhohlen dürfen sie Jagd auf eine weitaus jüngere Partnerin machen. Eine schöne Trophäe! Sich mit einer jungen Frau zu paaren wird noch immer als Konstante im männlichen Beuteschema betrachtet. Weswegen der 75-jährige Udo Jürgens, Lustgreis unter den Schlagersängern, nonchalant damit angibt, dass seine Geliebten »natürlich nicht« in seinem Alter sind2; dabei hat er den größten Teil seiner weiblichen Fans genau in der Generation, die er erotisch verachtet. Und wenn Klaus Maria Brandauer, der bekannteste österreichische Schauspieler, mit 70 Jahren noch einmal Vater wird – so zumindest wird in der Presse berichtet – erntet er nicht etwa öffentlich Spott, sondern unser Nachbarland schwärmt. »Im Alter von 70 Jahren wird ihm seine Frau Natalie ein Kind schenken«, kitscht das Online-Magazin Heute.at herum. Um dann allen Ernstes hinzuzufügen: »Brandauer heiratete seine Natalie 2007. Er brachte Sohn Christian mit in die Ehe.« Der Sohn, den der Schauspieler damals mitbrachte, war bereits Mitte 40, zwölf Jahre älter als Brandauers zweite Ehefrau zur Zeit der Hochzeit.3

Nun sind das Prominente, für die ja angeblich andere Regeln gelten. Doch auch für den Alltagsmann stehen weibliche Liebesobjekte in vielen Altersgruppen bereit – während sich die Alltagsfrau nur nach Gleichaltrigen oder Älteren sehnen darf. Die Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau gilt noch immer als ziemlich fragwürdig. So ein Liebespaar wird leicht zum Gespött – der weibliche und männliche Part auf je unterschiedliche Weise.

Vielleicht ist es etwas anderes, wenn man Demi Moore heißt. Doch selbst der Hollywoodstar musste es sich gefallen lassen, dass der Altersunterschied zu seinem 16 Jahre jüngeren Lover ständig öffentlich thematisiert wurde. Und als die Ehe nach acht Jahren kaputtging, waren die Kommentare erwartbar boshaft. Denken wir also wirklich, die kulturellen Vorurteile gegen das weibliche Altern hätten sich im neuen Jahrtausend erledigt?

Männer verfallen angesichts ihrer fortschreitenden Jahre seltener in Panik und Depression. Ihre Sorge flackert auf, wenn sie körperlich nicht mehr so leistungsfähig sind, wie sie es wünschen. Oder wenn sie sich im Job überfordert fühlen. Das ist ein deutlich anderes Betroffenheitsmuster als bei Frauen.

Häufig sind Männer von dem Gefühl getragen, das Leben habe ihnen bis ins Alter noch viel zu bieten. Und während Frauen auf Schritt und Tritt – durch Werbung, Zeitschriften und mediale Laufstege – dem Wettbewerb ausgesetzt sind, schaffen es Männer, den öffentlichen Raum von Bildern junger, perfekt gebauter Artgenossen weitgehend frei zu halten. Warum sollten sie sich mit der eigenen Unzulänglichkeit konfrontieren? Da setzen sie doch lieber den weiblichen Körper dem gnadenlosen Wettbewerb aus.

Alle altern. Und doch verläuft der Prozess extrem doppelbödig. Älterwerden ist eben nicht gleich Älterwerden. Denn wie unsere Jahre zählen und was sie bedeuten, hängt davon ab, wer wir sind – Mann oder Frau. Es ist ein höllisches Spiel, das hier mit Frauen getrieben wird. Tückisch, gemein und hinterlistig. Ein doppelter Standard beherrscht unser Älterwerden!

Eigentlich ist der Spielablauf einfach und doch von einer brutalen Zwangsläufigkeit: Frauen werden über ihren Körper definiert. Ihr Körper ist ihr Kapital. Dieser Körper muss jung und fruchtbar sein, um dem Weiblichkeitsideal zu entsprechen. Doch es ist zuallererst der Körper, der sichtbar altert. Mit der Jugend und Fruchtbarkeit ihres Körpers verlieren Frauen somit das, was angeblich entscheidend für ihren Wert ist. Und für ihre Identität. So bleibt – folgt man diesem grausamen Muster – am Ende des Spiels die wert- und identitätslose Frau. Und irgendwann sieht sie sich insgeheim vielleicht selbst so.

Um es mit anderen Worten zu sagen: Wo Frauen als Ware betrachtet werden, unterliegen sie auch Warenstandards. Der Warencharakter wird ihnen allerdings nicht nur aufgezwungen, oft genug betrachten und inszenieren sie sich selbst entsprechend. Als Ware haben Frauen ein Haltbarkeitsdatum und wenn dieses abläuft – sprich ihre erotische Anziehungskraft auf Männer nachlässt –, verfällt ihr Wert als Konsumgut.

Wenn Frauen deswegen trauern, passiert es heimlich, still und leise. Denn dass sie sich wegen ihrer zunehmenden Jahre schlecht behandelt fühlen – überhaupt deswegen schlecht fühlen –, sprechen sie nur zögerlich an. Wie ein Tabu, das man besser nicht antastet. Als würden all die Ängste und Befürchtungen erst wahr werden, wenn man darüber redet. Als wäre Reden ein Eingeständnis in eigenes Versagen. Als würde sich gar nichts ändern lassen. Das hat mit Scham zu tun, aber auch mit Resignation.

In Großbritannien dagegen zogen in den vergangenen Jahren nicht wenige Menschen vor Gericht, weil sie sich wegen ihres Alters diskriminiert sahen. Im angelsächsischen Raum ist das öffentliche Interesse an diesem Thema groß, die gesellschaftliche Debatte wird breit geführt. Aber hierzulande?

Wie heißt es so schön? Männer reifen, Frauen verblühen. Der alte Spruch müsste in unseren hypermodernen Zeiten doch längst außer Kraft gesetzt sein. Doch die Doppelmoral vergangener Jahrhunderte entfaltet ihre Wirkung noch heute. Die Bewertung der Lebensjahre ist zutiefst gespalten. Und die Bruchlinie verläuft streng entlang der Geschlechtergrenze.

Männer können in der zweiten Lebensphase mit Wohlwollen, selbst mit Bewunderung rechnen. Frauen erwartet ein unerbittliches, teils vernichtendes Urteil. Die Effekte zeigen sich im gesellschaftlichen und privaten Raum.

»Für älter werdende Frauen ist die Unsichtbarkeit gleichzeitig ein Gefühl und eine Realität«, schreibt die australische Journalistin Liz Byrski, »und die Stille, die daraus folgt, wenn man nicht angesprochen wird, macht taub.«

Damit bringt Liz Byrski eine Erfahrung wohl stellvertretend für unendlich viele Frauen auf einen bitteren Punkt.

Immer noch fühlen sich Frauen erst dann ganz lebendig und existent, wenn sie von Männern wahrgenommen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, stellen sie einiges an. Darauf wurden sie schließlich jahrtausendelang trainiert, diese Haltung legen sie auch heute nicht einfach ab. Dafür gibt es viele Erklärungen und einen handfesten Grund: Noch immer bestimmen vorrangig Männer die Regeln, nach denen die Partnersuche funktioniert. Wer als Frau nicht allein bleiben will, ist mit diesem Reglement konfrontiert – was mit zunehmendem Alter eher unlustig wird. Denn im männlichen Ranking des Begehrens bedeutet jedes weibliche Lebensjahr einen Punkt Abzug bei der B-Note.

Zweifellos gibt es auch Männer, denen dieser Steinzeitreflex peinlich ist. »Ich habe meine Frau aber nicht wegen einer Jüngeren verlassen!« Dies ist als spontane Rechtfertigung von männlicher Seite durchaus zu hören, wenn eine langjährige Beziehung zu Bruch gegangen ist. Dass es üblicherweise anders läuft, bekommen Frauen vor allem jenseits der 40 zu spüren. Bei Partnerbörsen im Internet wünscht sich jeder 50- eine 30-Jährige und jeder Greis eine Frau, die keinesfalls über 60 sein darf.

Wertung und Abwertung des Älterwerdens: eine der letzten, unaufgelösten Paradoxien zwischen Männern und Frauen. Man – vor allem aber frau! – wird nicht einfach alt, sondern alt gemacht.

Dabei wäre es allzu billig, von Männern als Bösewichte und Frauen als Opfern zu sprechen. Die Dinge liegen viel komplizierter. Es geht um ein barbarisches Missverhältnis, das sich in unsere Köpfe und Körper über einen enorm langen Zeitraum eingeschrieben hat. Sowohl in die männlichen als auch die weiblichen. Und keiner Seite ist es gegeben, sich ohne Mühe daraus zu befreien. Es geht um Machtverhältnisse, die in unserer männlich dominierten Gesellschaft noch immer akzeptiert werden. Von Männern und Frauen. Denn auch Frauen übernehmen die Gebrauchssicht auf alles Weibliche, bauen diese Sicht in ihr Selbstbild ein und machen sie zum Maßstab für andere Frauen.

Pierre Bourdieu, einer der renommiertesten französischen Soziologen, nennt diese vertrackte Wechselwirkung symbolische Gewalt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Beherrschten – Frauen – einverstanden sind mit der herrschenden Ordnung, auch wenn ihnen das nicht bewusst ist. Männer und Frauen verfügen über ein System von Verhaltensweisen, einen Habitus, in das dieses Herrschaftsverhältnis eingeprägt ist und das ihr praktisches Handeln beeinflusst. So akzeptieren und reproduzieren Frauen die ungleichen Verhältnisse. Doch auch wenn sie nicht immer wissen, was sie da tun, sind sie nicht einfach nur fremdgesteuert. Der Habitus gibt zwar einen Rahmen vor, aber auch einen Raum der Möglichkeiten, um individuell zu handeln.4

Wenn es also darum geht, eine der letzten männlich-weiblichen Paradoxien aufzulösen, bedeutet das nicht nur, dass Frauen endlich die Opferrolle abwerfen – in die sie beim Älterwerden noch immer gedrängt werden –, sondern auch, dass sie Abschied nehmen müssen von einem Stück selbstverschuldeter Unmündigkeit.

Eine Beobachtung ist dabei wirklich frappierend. Schon lange hat sich in der öffentlichen Debatte die Auffassung durchgesetzt: Das Geschlecht ist gesellschaftlich gemacht. Unser Verständnis von männlich und weiblich ist nicht einfach biologisch vorgegeben, es wird kulturell hergestellt. Diese Position wird inzwischen in der Wissenschaft, der Politik und den Institutionen vertreten. Doing gender heißt das in der Soziologensprache.

Im Prinzip unterliegt das Altern den gleichen Regeln – aber darüber spricht niemand. Außer Experten. Und die sind sich weitgehend einig: Auch Alter wird gemacht. Es ist eine kulturell definierte Größe. Das numerische Alter ist zwar von Bedeutung, aber vor allem gilt, wie die Lebensjahre gesellschaftlich zählen. Welcher soziale Stellenwert ihnen zukommt. Auch beim Altern haben wir es eben nicht mit unveränderlichen Merkmalen zu tun – der Prozess wird sozial gestaltet. Wissenschaftler reden von doing aging.5

Deshalb ist es nicht egal, wann und wo ein Mensch 40 Jahre alt wird. In China bedeutet es etwas anderes als in Russland. Im 18. Jahrhundert wurde ein 40-jähriger Mensch nicht so betrachtet wie heute. Und nie – zu keiner Zeit und an keinem Ort – war und ist es bedeutungslos, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt.

Älter zu werden ist nicht einfach ein Akt der Natur. Hier bietet sich eine gesellschaftliche Projektionsfläche, die sozial und kulturell sehr unterschiedlich bespielt werden kann. Das ist entscheidend, um zu verstehen, warum der Blick auf die zweite Lebensphase der Frau so anders ausfällt als der auf den Mann. Doch dieser Denkansatz ist in der breiteren Öffentlichkeit quasi unbekannt. Selbst in ansonsten gut informierten Kreisen hat bislang kaum jemand von doing aging gehört.

Dabei zeigt sich genau hier, in welche Richtung wir blicken müssen, um Älterwerden neu zu erfahren. Noch immer wirkt die Abwertung der weiblichen Jahre mit einer ungeheuren kulturhistorischen Wucht bis in das Seelenleben heutiger Frauen hinein. Doch wenn wir wissen, dass es dabei um eine kollektive Erfahrung geht, ändert das nicht völlig die Perspektive? Auf das persönliche Erleben, aber auch auf die Handlungsmöglichkeiten, die sich ergeben? Können wir dann nicht beginnen, ganz neu zu denken und uns zu wehren?

Klar ist: Was Älterwerden bedeutet, hängt an den gesellschaftlichen Bedingungen und an deren Veränderung. Deswegen ist der Blick auf die mittleren Lebensjahre einer Frau auch nicht mehr derselbe wie noch vor Jahrzehnten. Im Vergleich beispielsweise zu den Nachkriegsjahren erscheinen die derzeitigen Verhältnisse deutlich weniger harsch und verfestigt.

So ließ sich Konrad Adenauer 1949 – damals hatte er mehr als 70 Jahre auf dem Buckel – sehr selbstbewusst zum ersten Kanzler der Bundesrepublik wählen. Und noch als fast 90-Jähriger musste er regelrecht aus dem Amt getragen werden. Eine Frau hingegen galt damals mit 50 bereits als verbraucht – und fühlte sich häufig auch so. Ganz sicher darf man dabei die härteren Lebensumstände dieser Generation nicht vergessen. Doch darüber hinaus ließ die Gesellschaft den Frauen auch gar keine Chance, ein anderes Selbstbild zu entwickeln.

Inzwischen hat sich der Zeitpunkt, ab dem eine Frau als alt und vernutzt abgestempelt wird, zumindest nach hinten verschoben. Insoweit ist die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Älterwerden bereits eine Erfolgsgeschichte.

Doch das reicht nicht. Nicht, um die üblen gesellschaftlichen Mechanismen auszuhebeln. Nicht, um Frauen von dem wahnsinnigen Druck zu befreien, den sie beim Älterwerden spüren. Und der schlägt sich negativ in ihrem Lebensgefühl nieder. Das konnten Glücksforscher bei US-amerikanischen Frauen wissenschaftlich untermauern. Sie haben herausgefunden, dass junge Frauen zwar zufriedener sind als Männer, sich mit steigendem Alter das Blatt aber drastisch wendet. Spätestens ab dem 48. Lebensjahr fühlen sich Männer durchweg glücklicher als Frauen – in allen Lebensbereichen. Währenddessen wird der weibliche Teil der Gesellschaft immer trauriger, je weiter die Zeit voranschreitet.6

Diese Phänomene sind sicher nicht in jedem sozialen Umfeld gleich oder in gleichem Maße zu beobachten. Es sind vor allem Frauen aus der Mittelschicht, die darunter leiden, gesellschaftlich alt gemacht zu werden. Weniger privilegierte sind stärker von anderen Sorgen absorbiert. Privilegiertere können vieles durch Luxus wettmachen. Und doch setzen sich Frauen aller sozialen Schichten mit dem Älterwerden auseinander, auch wenn sie unterschiedliche Mechanismen entwickeln, um damit umzugehen. Und immer sind sie anders betroffen als Männer ihrer Milieus. Darüber hinaus läuft im Kopfkino jeder Frau noch ein ganz persönlicher Film zu diesem Thema.

Denn die zweite Lebensphase ist allzu oft mit krisenhafter Erfahrung verknüpft. Oder der Angst davor – was es nur graduell besser macht. Ausgelöst wird die Misere durch ein brutales Maß an Fremdbestimmung, dem sich Frauen ausgesetzt sehen. Reflexartig wird auf ihrem Körper nach den Spuren der Jahre gefahndet. Sie werden taxiert, bewertet, in Konkurrenz gesetzt. Vom fremden Blick, den sie Stück für Stück zu ihrem eigenen machen. Die Urteile von außen nagen am weiblichen Selbstbild, zersetzen die Sicht auf das bisherige Leben und pflügen das Körpergefühl um. Der fremde Blick auf ihr Älterwerden macht Frauen so unfrei und abhängig, wie es in der westlichen weiblichen Welt ansonsten kaum noch zu beobachten ist. Wie Frauen es auf anderen Feldern kaum mehr zulassen, weil sie sich mit Erfolg wehren.

Was haben Frauen nicht alles erreicht, seitdem sie sich aufmachten, die Welt zu erobern. Haben sie die Erde nicht bereits mehrfach umrundet – während Männer noch immer abwartend an der Haltestelle stehen? Wie viele Rechte haben sich Frauen ertrotzt, wie weitflächig ihre Teilhabe erkämpft. Der Prozess ist mühsam und geht entnervend langsam voran; selbstverständlich sind Frauen auf dem Weg zur Selbstbestimmung längst noch nicht angekommen. Doch zumindest ihren Anspruch auf Augenhöhe haben sie in fast allen Lebenswelten angemeldet. Es gibt hierzulande nur noch wenige Bereiche, die nicht vom emanzipatorischen Virus angesteckt und aufgemischt wurden. Wenn auch leider bisher noch immer nicht mit vollem Erfolg.

In Sachen Bildung und Ausbildung macht dem weiblichen Teil der Gesellschaft niemand mehr etwas vor. Die Wirtschaft sieht sich zunehmend unter Zugzwang, weil Frauen gleiche Löhne und Aufstiegschancen fordern. Die Familien- und Frauenpolitik ist zwar durch parteipolitisches Kalkül schrecklich verkommen, doch kein Politiker würde es heute mehr wagen, dieses Feld als Gedöns abzutun. Sogar die Dauerdebatte um den alltäglichen Sexismus hat inzwischen wieder das Zeug zum Aufregerthema. Gerade bei jungen Frauen. In derartigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen wird das männlich-weibliche Territorium neu abgesteckt.

Im privaten Bereich ist die männliche Vorrangstellung ebenso angefressen, der alte Dominanzstiefel passt nicht mehr. Denn selbst wenn Frauen sich noch allzu häufig in traditionelle Rollen einfügen, selbst wenn sie noch immer den größten Teil der Kinder- und Hausarbeit freiwillig auf sich nehmen und dabei ihre eigene Lebensplanung vernachlässigen – so wissen sie doch, dass es auch anders geht, dass ihnen Spielräume zur Verfügung stehen, die sie nutzen können.

Doch das Älterwerden scheint von all diesen Gefechten seltsam unberührt. Hier werden nach wie vor Weiblichkeitsbilder gehandelt, die tief aus dem Urschlamm einer alten Ordnung zu stammen scheinen. Und doch werden sie von Frauen erduldet und hingenommen. Bereits in der Antike war die alternde Frau ein grausliges Weib, das symbolisch die Last des kreatürlichen Verfalls zu tragen hatte. Im Mittelalter übernahmen die Hexen diesen undankbaren Job. Und heute? Für was müssen Frauen heute herhalten? Ist es die kollektive Abwehr der Endlichkeitsdrohung, die sie zu spüren bekommen?

Jedenfalls ist die zweite Lebensphase für Frauen ein unsicheres Gelände. Hier lässt sich gefährlich schnell die Orientierung verlieren. Und kein Gerüst aus alltagstauglicher Leitkultur steht bereit, um Halt zu geben. Kein Wegweiser mit vielfältigen weiblichen Vorbildern zeigt, wo es langgehen könnte. Frauen haben erfolgreich um eigene Lebensentwürfe gekämpft – doch als sie es mit den Tücken des Älterwerdens aufnehmen sollten, waren sie scheinbar bereits ermattet. Denn hier ertragen sie noch immer die Abwertung und Demütigung eines doppelten Standards. Das würden sie sich anderenorts nicht mehr gefallen lassen.

So ist diese Zone bislang vor Aufruhr sicher – eine abgedunkelte Kammer im weiblichen Haus, oft genug gefüllt mit Zweifeln, Ängsten und stiller Trauer. Selten mit Souveränität, Optimismus – und Widerstand. Mit längst überfälligem Widerstand gegen die herrschende Praxis, die den Wert und Stellenwert einer Frau an ihr Alter kettet.

Bereits vor einem halben Jahrhundert hat die Philosophin Simone de Beauvoir beschrieben, wie Frauen mit zunehmendem Alter die Außenperspektive auf ihre Person übernehmen und sich fremde Zuschreibungen zu eigen machen.7 Im Alltag funktioniert das manchmal ganz banal. Das lässt sich an einer Scharade demonstrieren, die Frauen gern miteinander aufführen. Dabei geht es um Ziege und Kuh.

Ziege und Kuh sind ja eher harmlose und nützliche Tiere. Doch irgendwann kam jemand auf die Idee, aus dem Erscheinungsbild der Fellträgerinnen weibliche Typen zu stilisieren. Dabei steht der Typ Kuh für Frauen, die sich mit zunehmenden Jahren gehen lassen, breit und gleichgültig werden und den Kampf gegen die Zeit aufgegeben haben. Die Ziege hingegen ist angespannt, zickig und überenergetisch. Dieser Typ quält seinem Körper nicht nur die Pfunde, sondern auch sportliche Leistungen ab, was man ihm deutlich ansieht.

Wie viele Frauen jenseits der 30 gibt es in diesem Land? Und alle werden in genau diese zwei Typen unterteilt. Zwei Tierbilder stehen bereit, um das Älterwerden von Millionen Frauen zu illustrieren. Zufällig ist keines davon lustig oder gar schmeichelhaft. Gibt es Entsprechendes für Männer? Werden auch die in zwei Schablonen gepresst? Kleiner Scherz! Und wie reagieren dann Frauen auf dieses Angebot? In trauter weiblicher Runde schauen sie sich tief in die Augen und haben einen Riesenspaß daran, sich gegenseitig diese reizenden Etiketten aufzudrücken: Lass mich mal schauen, bist du Ziege oder Kuh? Das ist doch lachhaft – wenn es nicht eigentlich so zum Heulen wäre.

Wenn Frauen sich fremde Zuschreibungen zu eigen machen, werden sie sich selbst fremd und entwickeln ein gespaltenes Alltagsbewusstsein. Einerseits beschäftigen sie sich ständig mit dem Älterwerden, andererseits verdrängen sie es erfolgreich.

Sie verdrängen es aus Angst vor dem gesellschaftlichen Abseits. Doch geraten sie gerade dadurch tatsächlich häufig ins Abseits: Weil sie sich wenig um ihre langfristige Lebensplanung kümmern, zu selten Alternativen für die Zeit nach der Familienphase entwickeln. Weil sie unterschätzen, wie wichtig und stabilisierend der Beruf ist, wenn sich die Lebensumstände verändern – und dass man ihn deshalb in jüngeren Jahren nicht vernachlässigen darf. Denn schließlich geht es auch um die ökonomische Absicherung des weiteren Lebens. Finanzexpertinnen, die sich auf die Beratung von Frauen spezialisiert haben, sind immer wieder erschrocken, wie wenig Gedanken sich ihre Klientel um die materielle Lebensqualität in der Zukunft macht.

Umso mehr Energie verwenden Frauen auf die Beobachtung ihres Körpers. »Wegen Falten verzweifeln? Das ist doch lächerlich!«8 So souverän reagiert die Schauspielerin Corinna Harfouch auf ihre Jahre. Doch da ist sie – zumal in ihrer Branche – ziemlich die Ausnahme. Im Show- und Medienbusiness wird es für selbstverständlich gehalten und gehässig-genüsslich kolportiert, dass alle Vorzeigefrauen spätestens ab 40 was haben machen lassen. Mal bisschen mehr, mal weniger. Denn die Not ist groß und die Konkurrenz mörderisch. Und welche Schauspielerin will schon mit 40 arbeitslos werden, um erst als Miss Marple mit 70 wieder gefragt zu sein?

Es gibt in Film und Fernsehen noch immer wenige Frauen, die auch jenseits der 50 und 60 als weiblich und erotisch inszeniert werden. Und je ausgefeilter die Aufnahmetechnik in diesem Bereich wird, desto gemeiner für Frauenhaut. Das bekommen die Darstellerinnen zu spüren. »Jetzt müssen wir wieder die Schabrackenfolie vorsetzen« ist ein superfieser, aber üblicher Kommentar von Kameramännern, wenn sie Frauen jenseits der 40 filmen sollen. Dann benutzen sie – wenn sie nett sind – einen Aufsatz, der nicht ganz so roh jede Gesichtslinie dokumentiert.

Einen derartigen Kommentar will sich keine Schauspielerin, keine Moderatorin oder sonstige Fernsehfrau zweimal antun. Lieber hört sie ab einem gewissen Alter auf, vor der Kamera zu erscheinen. Oder sie lässt eben »was machen«. Vielleicht aber pfeift sie auch drauf, was andere tun und denken – wie Corinna Harfouch. Wenn sie es denn persönlich aushält. Und ökonomisch.

Doch auch jenseits der öffentlichen Bühne arbeiten unendlich viele Frauen daran, die Indizien eines gelebten Lebens verschwinden zu lassen. »Nach der Kindheit wird das Geburtsjahr einer Frau zu ihrer Geheimsache, ihrem privaten Eigentum. Dieses Geheimnis hat etwas Schmutziges.« So beschrieb es die amerikanische Essayistin Susan Sontag in den Siebzigerjahren.9 Auch wenn die Boulevardpresse manisch das Alter jeder Person in Klammern hinter dem Namen vermerkt – hat sich an dieser Geheimniskrämerei wirklich so viel geändert?

Auch heute ernährt sich eine komplette Industrie davon, das Geheimnis der Jahre bewahren zu helfen. Mit dem Verfallsdatum des weiblichen Körpers zu drohen ist eine wunderbare Geschäftsidee – die den Kosmetikkonzernen allein in Deutschland einen jährlichen Umsatz von mehreren Milliarden Euro sichert.

Zudem ist die veränderte Einstellung zu Schönheitsoperationen und sonstigen Jungmachern im Stadtbild überall sichtbar. Praxen, in denen Botox oder Hyaluron to go angeboten werden, erfreuen sich einer wachsenden Kundschaft. Dabei verdammt die deutsche Öffentlichkeit, anders als beispielsweise die amerikanische, gern jeden Eingriff in die Natur. Auch Medien beurteilen Schönheits-OPs überwiegend kritisch – um dann aber deren Effekt zu beklatschen, solange nicht zu offensichtlich ist, wie er zustande kam. Hauptsache, gut gelungen.

Frauen sind zu sehr vielem bereit, um äußerlich einem Ideal von Jugendlichkeit zu entsprechen. Warum nehmen sie diese schmerzhaften und teils gefährlichen Prozeduren auf sich? Vor allem im Intimbereich sind die Eingriffe rasant gestiegen. Gewünscht werden Klitoriskürzungen und operativ designte Schamlippen, die denen eines vorpubertären Mädchens gleichen. Liefern sich Frauen hier einem gesellschaftlichen Wahnbild aus? Oder eignen sie sich ihren Körper auf diese Weise erst wirklich an? Sind sie fremdgesteuert? Selbstbestimmt?

So oder so. Die Möglichkeiten der modernen Medizin erhöhen ganz sicher die Wahlmöglichkeit. Aber auch den Stress, dem Frauen im zweiten Lebensabschnitt ausgesetzt sind. Symptome ähnlicher Art sind auf männlicher Seite ganz sicher nicht an der Tagesordnung. Selbst wenn auch Männer zunehmend unter Körper-Beobachtung stehen, schaffen es die meisten noch immer prächtig, ihre äußere Erscheinung als gottgegeben hinzunehmen, und die Zweifel und Verzweiflung auf die Frauen abzuwälzen. Mit Erfolg. Welche Frau sieht es schon so ironisch wie die Krimiautorin Agatha Christie: »Heirate doch einen Archäologen. Je älter du wirst, desto interessanter findet er dich!«

In der Männerwelt scheinen sich hauptsächlich Schwule von Falten stressen zu lassen. Da kommt mancher Wahnsinn offenbar noch ausgeprägter daher als in der heterosexuellen Frauenwelt. »Älterwerden ist für uns Schwule das Schlimmste, irgendwie ein Tabu«, erzählt der 44-jährige Fotograf David D. »Alle lassen sich liften, straffen und tun so, als sei es ganz furchtbar, dass man nicht mehr 20 ist.«10 Lesbische Frauen, so scheint’s, haben da andere Präferenzen. Sie unterwerfen sich und ihre Liebesobjekte den Mechanismen aus Selbstzweifeln und Anpassung offenbar weniger.

Wechseljahre. Kaum etwas steht Frauen in ihrer zweiten Lebensphase stärker bevor. Wechseljahre klingt eigentlich ziemlich neutral. Fälschlicherweise. Denn meist ist diese Zwischenzeit von Anspannung und Unsicherheit begleitet. »In unserer Gesellschaft haben Menstruation sowie Wechseljahre ein eher negatives Image und sind zudem von Tabus umgeben«, schreibt das Wissenschaftsduo Sabine Hamm und Ursula Meiners.11

Viele Frauen erleben diese Phase nicht als Übergang, sondern als Umbruch. Das liegt zwar durchaus auch an den unangenehmen körperlichen Begleiterscheinungen, die mit der Menopause einhergehen können. Darüberhinaus tut die Ungewissheit, ob Hormontherapien sinnvoll, unsinnig oder gar gefährlich sind ein Übriges. Doch entscheidender ist es für viele Frauen, dass sie ihre Fruchtbarkeit verlieren. Dass ihnen dieser Teil des weiblichen Seins genommen wird – auch wenn sie keine Kinder mehr haben wollen. So viel hängt für manche an diesem Verlust, dass sie sich durch die Menopause vollends ihrer Weiblichkeit beraubt fühlen; und sich selbst nicht mehr als sexuelles Wesen wahrnehmen. Als Frauen in einer Studie zu den Wechseljahren befragt wurden, sagten knapp zwei Drittel von ihnen: Ohne Blutung ist eine Frau keine richtige Frau mehr.12

Sind das alles Biologistinnen? Wohl kaum. Wo über Jahrtausende weibliche Identität und Gebärfähigkeit in eins gesetzt wurden, geht gefühlt die eine sehr schnell mit der anderen verloren. So haben es Frauen verinnerlicht. Und es fällt verdammt schwer, sich aus diesen kulturellen Mustern zu befreien. Denn das gesellschaftliche Umfeld bestärkt das Verlustgefühl und spricht der älter werdenden Frau weit mehr ab als ihre Regelblutung. Ihr Recht auf Liebe, auf Erotik, auf Sex. Und Frauen nehmen diesen Verstümmelungsversuch noch immer irgendwie hin. »Im Reich der Liebe wird Endlichkeit für Frauen durch den Schwangerschaftshorizont markiert«, schreibt die israelische Soziologin Eva Illouz über die moderne Mittelschichtfrau.13

Apropos Fruchtbarkeit – eine interessante These vertreten die Evolutionsforscher von der kanadischen McMaster University: Männer sind schuld an den Wechseljahren! In der Natur sind fast alle weiblichen Tiere fruchtbar bis zum Tode; wieso ist es dann bei Frauen anders? Mit den bisherigen Erklärungsmustern für die Menopause wollten sich die Wissenschaftler nicht zufriedengeben. Sie stellten eine neue Theorie auf und die lautet so:

Irgendwann haben Männer eine Vorliebe für jüngere Partnerinnen entwickelt. Dadurch wurde es – streng entwicklungsbiologisch betrachtet – ziemlich unsinnig, dass Frauen bis ins hohe Alter hinein fruchtbar blieben. In ihren späteren Jahren wurden sie ja nicht mehr geschwängert, dafür stand die jüngere Generation zur Verfügung. So gingen Frauen der lebenslangen Gebärfähigkeit im Laufe der Evolution verlustig, weil diese nicht mehr abgefragt wurde. Lebenslange weibliche Fruchtbarkeit wurde schlicht unnütz.14

Das ist zweifellos eine rebellische These. Doch der Ausgangspunkt der Überlegung ist anregend: Wie stark beeinflussen die sozialen Verhältnisse unsere biologische Beschaffenheit? Selbst den Teil unserer Natur, den wir für gottgegeben halten? Wenn Frauen im Laufe der Evolution stets jüngere Partner bevorzugt hätten, wären ältere Männer heute wahrscheinlich zeugungsunfähig, vermuten die kanadischen Wissenschaftler. Und spekulieren, dass die Menopause – wenn sie sich denn evolutionär entwickelt hat – auch evolutionär wieder verschwinden kann. Dann blieben Frauen wie Männer fruchtbar bis an ihr Lebensende.

Doch wollen wir Frauen es davon abhängig machen, ob wir uns zu jeder Lebenszeit weiblich fühlen dürfen? Erotisch anziehend und sexuell attraktiv? Wir sind doch den hässlichen Aussichten, die die Gesellschaft für uns mit den Jahren bereithält, nicht einfach nur ausgeliefert. Wir brauchen die Defizitrechnung, die für uns aufgemacht wird, nicht unterschreiben. Schließlich können wir unsere eigene Rechnung aufmachen. Wir müssen raus aus den Mustern, die uns aufgedrückt wurden, die wir aber auch in uns reingefressen haben. Es geht um unsere Selbstachtung und das Vertrauen in unser Ich. Wir müssen uns endlich wehren!

Empört Euch!, das würde der alte Widerstandskämpfer Stéphane Hessel zu Recht von uns fordern. Wollen wir nicht andere Verhältnisse, sodass sich Frauen und Männer in einem neuen, fairen Licht betrachten können? In jedem Alter, zu jeder Zeit!

Profitieren würden wir alle. Denn beim Kampf gegen äußere Altersspuren zum Beispiel geht der Trend dahin, dass Männer demnächst einem ähnlichen Druck ausgesetzt werden wie Frauen. Wem wäre denn damit geholfen? Niemandem. Außer der Schönheitsindustrie. Ein Gegenentwurf zur Abwertung des Älterwerdens sieht jedenfalls anders aus. Für den brauchen wir Mut, eine Portion Frechheit und die Lust, neue Räume und Möglichkeiten auszuloten.

Das führt zurück zu Meryl Streep. Inzwischen wissen wir, dass sie mit 36 Jahren überhaupt keinen Grund für ihre Schreckensfantasien hatte. Dass sie als Schauspielerin mit zunehmendem Alter immer populärer und erfolgreicher wurde. Sie ist – knapp 30 Jahre nach ihrem Gespräch mit Wibke Bruhns – nach wie vor in wunderbaren Filmen zu sehen. Vielseitig, erotisch und ungemein lebendig. Ein weiblicher Hollywoodstar, der es geschafft hat, die Jugendverordnung unserer Hypermoderne zu demontieren und eigene Bilder dagegenzusetzen. Bilder, die vor den weiblichen Selbstzweifeln und Ängsten bestehen. Das kann uns doch allen gelingen!

Warum lassen wir Frauen uns alt machen?

1Wibke Bruhns im Interview mit der Autorin

2Focus online, »Treue ist was für Loser«, 9.3.2010, http://www.focus.de/panorama/boulevard/udo-juergens-treue-ist-was-fuer-loser_aid_487974.html

3Vgl. Heute.at, 25.11.2013, http://www.heute.at/stars/leute/art23692,959184

4Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. Main 1982, S. 171–261

5Vgl. u. a. Birgit Blättel-Mink, Caroline Kramer (Hrsg.), Doing Aging – Weibliche Perspektiven des Älterwerdens, Baden-Baden 2009; Carolin Kollewe, Elmar Schenkel (Hrsg.), Alter: unbekannt. Über die Vielfalt des Älterwerdens. Internationale Perspektiven, Bielefeld 2011; Heike Hartung (Hrsg.), Alter und Geschlecht. Repräsentationen, Geschichten und Theorien des Alter(n)s, Bielefeld 2005

6Anke C. Plagnol, Richard A. Easterlin, »Aspirations, Attainments, and Satisfaction: Life Cycle Differences Between American Women and Men«, in: Journal of Happiness Studies, 9 (4), S. 601–619, http://link.springer.com/article/10.1007/s10902-008-9106-5

7Simone de Beauvoir, Das Alter, Hamburg, 5. Auflage 2012. Ersterscheinung der Originalausgabe Paris 1970

8Interview mit Corinna Harfouch, »Wegen Falten verzweifeln? Lächerlich!«, Brigitte woman.de, http://woman.brigitte.de/kultur/filme-musik/corinna-harfouch-1049736

9Susan Sontag, »The Double Standard of Aging«, in: Saturday Review of The Society, 23.9.1972, S. 29, http://www.unz.org/Pub/SaturdayRev-1972sep23-00029

10Daniel D. im Interview mit der Autorin

11Sabine Hamm, Ursula Meiners, Wechseljahre: Abschied und Neubeginn. Was Frauen über Menopause und Klimakterium wissen sollten, Leipzig 2013, S. 38

12Ebd.

13Eva Illouz, Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung, Berlin 2012, S. 147

14Richard A. Morton, Jonathan R. Stone, Rama S. Singh, »Mate Choice and the Origin of Menopause«, in: PLOS Computational Biology. Open access Journal, 13.6.2013, http://www.ploscompbiol.org/article/info:doi/10.1371/journal.pcbi.1003092