Mütter der Neuen Zeit -  - E-Book

Mütter der Neuen Zeit E-Book

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  • Herausgeber: Neue Erde
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Anhand von 21 biographischen Berichten über die Erfahrungen und Beobachtungen junger Mütter in der Selbstbetreuung möchte dieses Buch jungen Müttern Mut machen, auf die eigene innere Stimme zu hören, wenn sie beobachten, dass ihr Kind noch nicht reif ist für eine Fremdbetreuung. Diese Berichte zeigen klar die individuellen Motive und Umstände, die zur Entscheidung für eine kindgerechte Entwicklung jenseits von Krippe und Kita geführt haben. Die selbstbetreuten Kinder sind zwischen 1 und 5 Jahre alt. Es sind ganz unterschiedliche Frauen, die hier zu Wort kommen und jeweils ganz eigene Wege beschreiben, die sie zur Selbstbetreuung geführt haben. Einige dieser Frauen haben selbst in Kitas als Erzieherinnen gearbeitet; so kennen sie beide Seiten. Zwischen den einzelnen Erfahrungsberichten werden kurze Sachtexte von Experten den notwendigen Einblick in die komplexe Thematik der Selbstbetreuung im gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Kontext geben. Mit Hinweisen zu weiterführender Literatur oder Webseiten können sich interessierte Leser zusätzlich informieren.

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Seitenzahl: 409

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Sabine Mänken (Hrsg.)

MÜTTERDERNEUENZEIT

Wir plädierenfür einekindgerechteEntwicklung

Bücher haben feste Preise.

1. Auflage 2020

Sabine Mänken (Hrsg.)

Mütter der Neuen Zeit

© Neue Erde GmbH 2020

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag:

Foto: Tanya Little/shutterstock.com

Gestaltung: Dragon Design, GB

Satz und Gestaltung:

Dragon Design, GB

Gesetzt aus der Minion und der Univers

eISBN 978-3-89060-345-2

ISBN 978-3-89060-778-8

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde

www.neue-erde.de

Widmung

Nun ist es vollendet, dieses Buch Mütter der Neuen Zeit. Und ich sehe und erkenne die Frucht einer Lebensgeschichte, die nicht zuletzt durch mein Lernen und Wachsen an meinen Kindern gereift ist. Sie sind mit mir durch Licht und Dunkelheit gegangen und haben immer wieder in ihrer kindlich reinen Liebe und Hoffnung auf die bestmögliche Mutter Wandlung in mir möglich gemacht.

Ihnen, Jan Thiemo, Maike Lou und Niklas Leander, ist dieses Buch gewidmet.

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht

des Lebens nach sich selber.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,

und obwohl sie mit euch sind,

gehören sie euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,

aber nicht eure Gedanken,

denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben,

aber nicht ihren Seelen.

Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen,

das ihr nicht besuchen könnt,

nicht einmal in euren Träumen.

KHALIL GIBRAN

Inhalt

Vorwort von Gerald Hüther

Vorwort von Dr. Rainer Böhm

Einführung von Sabine Mänken

Die Kunst der Mütterlichkeit · Dr. Sara Tröster Klemm

Dabeisein ist alles · Lini Lindmayer

Fremdbetreuung darf sich nicht fremd anfühlen · Isabell Melzer

Das erste Jahrsiebt – Basis für Selbstannahme und Weltbeziehung · Dr. med. Susanne Hofmeister

Auf der Reise zu uns selbst · Julia Wittor

Hebammen am Limit · Anja Lehnertz

Herzensentscheidung · Lena Bergmann

Das Wunder des Gebärens · Jamina Ruth Hildegard Ehrhardt

Mein Plädoyer für ein freies Leben mit Kind · Nancy Matschke

Das Elterngeld – Ungleicher »Lohn« für gleiche Arbeit · Gertrud Martin

Wir brauchen Mutterliebe, keine Kindergärten! · Ille Bläse

Die unbezahlte Arbeit von Müttern – eine Historie · Wiltraud Beckenbach

Berufung Mami · Jenniffer Ehry-Gissel

Gute erste Kinderjahre · Gisela Geist

»Du kannst doch nicht…« »Und ob ich kann!« · Marion Hackl

Schwierige Kinder – Ein Perspektivwechsel · Danielle Stephano

Begleiten statt Erziehen · Elisabeth Glöckner

Vom Generationenvertrag zum Generationenbetrug · Dr. Johannes Resch

Deine Berufung – dein Platz – deine Erfüllung · Lydia Islami

Von der Nachahmungswürde · Heidrun Hamel

Fürs Dasein entschieden… · Lini Lindmayer

Mit der Stimme berühren · Christine Veicht

Die heilige Mutter-Kind-Verbindung · Andrea Diaz Caceres

In Beziehung sein mit dem Kind · Sabine Mänken

Selbstbetreuung ohne Grenzen · Dorothee Dätwyler

Matrifokalität – Die Revolution im Kopf · Dr. Kirsten Armbruster

Das Wertvollste möchte ich euch schenken · Anne Bernecker

Für eine friedfertige und demokratische Zukunft · Dr. med. H.-J. Maaz

Mutter werden – Mutter sein · Anja Fourmont

Das kleine Kind als seelisch-geistiges Wesen · Ariane Eisenhut

Ein Zuhause haben · Angelika Zielonka

Motive der Waldorfpädagogik · Dr. phil. Angelika Wiehl

Wachsam sein für unsere Kinder · Sandra Heim

Ungeborene haben keine Stimme · Dr. Almut Paluka

Pionierin in der Neuen Zeit · Lotte W. (Anonym)

CARE-Revolution · Aura-Shirin Riedel

Es gibt immer einen Weg · Julia Schirmer

Geburt gehört den Müttern · Sarah Schmid

Muttersein – Verantwortung als heilige Aufgabe! · Marjam Beyg

Von Natur aus immun · Anja Tochterm « ann

Leuchtturm sein für ein natürliches Leben · Nadine Wenger

Vom Spiel zur Kunst und zum freien schöpferischen Menschen · Patricia Aymara Bailer

Nachwort von Sabine Mänken

Danksagung

Über die Herausgeberin

Vorwort

von Gerald Hüther

Als wir einander vor einigen Jahren zum ersten Mal begegnet sind, fragte mich Sabine Mänken, was geschehen müsste, damit es im Gehirn von Erwachsenen zu einem Umbau all jener Nervenzellverschaltungen kommt, die das Denken, Fühlen und Handeln der betreffenden Person steuern. »Ihre innere Einstellung müsste sich verändern«, antwortete ich, »und das geschieht immer dann, wenn diese Person etwas anderes im Leben als wesentlich, als wertvoller, als bedeutsamer zu betrachten beginnt als das, was ihr bisher als besonders wichtig erschienen war.« Aber wie verändert sich diese subjektive Zuschreibung von Bedeutsamkeit?

Interessanterweise hat sich durch die Corona-Krise bedingten Schließungen von Krippen, Kitas und Schulen in vielen Familien genau das ereignet. Fast alles, was bisher ganz normal war, ist dadurch völlig durcheinandergekommen. Es waren vor allem die Mütter, die sich um ihre nun nicht mehr in diesen Einrichtungen untergebrachten Kinder gekümmert haben. Manche sind dabei an ihre körperlichen und seelischen Grenzen gestoßen. Die meisten haben einfach nur durchzuhalten versucht, bis der ganze Spuk vorbei war. Aber manche haben ihre eigenen Kinder auch ganz neu kennengelernt.

»Ich habe mich wieder in mein Mariechen verliebt«, berichtete mir eine Mutter, die ganz fasziniert von ihrer dreijährigen Tochter war. Plötzlich hatte sie Zeit für ihr Kind, konnte zuschauen, wie es jeden Tag etwas Neues hinzulernte, wie begeistert es als kleine Entdeckerin und Gestalterin unterwegs war – und wie glücklich die kleine Marie war, dass sie der Mama zeigen konnte, was sie alles gemacht und gelernt hatte, was sie im Inneren bewegte und wie sehr sie sich über das Zusammensein mit ihr freute. »Ich muss noch herausfinden, wie es gehen kann, aber dass ich meine kleine Marie wieder jeden Tag in eine Einrichtung bringe und gar nicht mehr erleben kann, wie sie sich entfaltet, fast so wie eine Knospe, die aufzublühen beginnt, das kommt für mich nicht mehr in Frage.«

Das war es, was ich Sabine Mänken gar zu theoretisch als »veränderte subjektive Zuschreibung von Bedeutsamkeit« zu erklären versucht hatte. Aber ich bin sicher, dass sie schon damals sehr gut verstanden hatten, was ich meinte. Denn Menschen brauchen ja nicht unbedingt so eine schwere Krise, um den eigenen Blick zu öffnen und auf die Idee zu kommen, dass selbst das perfekteste Funktionieren in einem Hamsterrad nicht das ist, worauf es im Leben wirklich ankommt. Geschweige denn, dass es glücklich macht.

Dieser eigene Blick öffnet sich von ganz allein, wenn eine Mutter Gelegenheit bekommt, sich das anzuschauen, was andere Mütter in ihrem Leben als besonders wichtig erachten und wie sie es dann umzusetzen versuchen. Genau solche Geschichten hat Sabine Mänken in diesem Buch zusammengetragen. Jede einzelne dieser einundzwanzig Mütter berichtet, wie sie auf ihre Weise jeweils genau das zu verwirklichen versucht hat, was ihr in ihrem Leben wirklich bedeutsam, also wichtiger als alles andere ist.

Schauen Sie rein, fangen Sie irgendwo zu lesen an; ich bin sicher, Sie finden eine ganze Reihe Mütter der Neuen Zeit, die sich um das gleiche bemühen, was auch Ihnen – selbst dann, wenn es zwischenzeitlich etwas verschüttet war – wirklich am Herzen liegt.

Göttingen, im Juni 2020

Gerald Hüther

Vorwort

von Dr. Rainer Böhm

Ich danke der Herausgeberin Sabine Mänken für die Einladung, ein Vorwort zu dem vorliegenden Buch zu verfassen, und fühle mich geehrt, als Mann und als Vater den Müttern der Neuen Zeit ein Geleitwort auf den Weg geben zu dürfen.

Wir durchleben eine besondere Zeit, eine Zeit, die charakterisiert ist von der Jagd nach unablässigem, zwanghaftem ökonomischem Wachstum, von einer permanenten, digital beschleunigten Steigerungslogik, wie sie der Sozialphilosoph Hartmut Rosa in seinen Werken eindringlich beschreibt. Der neoliberale Kapitalismus bemächtigt sich in einer scheinbar unaufhaltsamen Dynamik natürlicher Ressourcen, um Renditen und Konsum in schwindelerregende Höhen zu treiben. Die unvermeidlichen Nebenwirkungen spüren wir zunehmend, unter anderem in Form von Klimawandel und Biodiversitätsverlusten. Das System stößt immer stärker an planetare, existenzbedrohende Grenzen.

Es sind aber nicht nur die materiellen Ressourcen, die diese Maschinerie befeuern, es sind auch die Zeit und die Energie des Menschen, die unablässig in den Sog dieses Wirbels geraten. Eine dieser menschlichen Ressourcen ist die Zeit, die wir als Eltern unseren Kindern widmen. Aus unserer Sicht und der Sicht unserer Kinder ist diese gemeinsame Zeit eine langfristige Zukunftsinvestition, aus kapitalistischer Sicht hingegen eine ineffiziente Verschwendung von Potenzial für kurzfristiges Wirtschaftswachstum. Der schönfärberische Begriff der »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« als Leitbild unserer sogenannten Familienpolitik kennt daher faktisch nur eine Stoßrichtung: weniger Familienzeit, mehr Erwerbstätigkeit.

Die Gruppe, die hierunter am unmittelbarsten und stärksten zu leiden hat, sind unsere jüngsten Kinder. Die unter dem Vereinbarkeits-Paradigma und dem taktischen Schlagwort der frühkindlichen Bildung vorangetriebene Defamilisierung und Institutionalisierung hat mittlerweile auch die allerersten Lebensjahre erreicht. Betreuungsgarantie ab Geburt, 24/7-Kitas und umfassende »Ferienspiele« sind als nächste dystopische Elemente bereits in der Diskussion.

Gleichzeitig liefern uns wissenschaftliche Studien aus verschiedenen Sektoren seit mehr als zwanzig Jahren Resultate, die eigentlich unsere Alarmglocken schrillen lassen sollten. Sorgfältig konzipierte Untersuchungen zeigen uns immer wieder, dass die frühkindlichen Gruppenbetreuungskonzepte vor dem Alter von drei bis vier Jahren mit einem erheblichen Risiko für Gesundheit und Wohlbefinden verbunden sind – in Form übermäßiger Stressbelastungen und langfristiger Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen.

Die einzigartige individuelle Zuwendung, die in dieser Intensität nur die elterliche Liebe zu den eigenen jungen Kindern hervorzubringen vermag, lässt sich durch noch so ausgefeilte pädagogische Konzepte in »Sternchen-Kitas« nicht ersetzen. Der Bindungstheorie kommt das große Verdienst zu, diesem psycho-spirituellen Phänomen der Eltern-Kind-Liebe auch Widerhall in den modernen Naturwissenschaften verschafft zu haben.

Als Kinderarzt und Sozialpädiater bin ich mittlerweile über Jahrzehnte in der Kinderschutzarbeit damit konfrontiert, welche gravierenden Folgen Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung besonders im frühen Lebensalter für Kinder haben können. Gleichzeitig bin ich aber immer wieder davon beeindruckt, wie liebevoll, zugewandt und anregend die große Mehrheit der Eltern mit ihren Kindern umgeht – wenn man sie denn lässt; und dies sogar unter erschwerenden Umständen wie Armut, Migration oder Flucht. Die ausgiebige Erfahrung dieser elterlichen Liebe und Zuwendung ist für alle Kinder ein Grundrecht, das elementar zu ihrer Würde und ihrem Entwicklungspotenzial beiträgt.

Viele Frauen hadern heute mit solchen Überlegungen. Der Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen hat die Frauenbewegung gestählt, aber zu einem großen Teil auch von ihren mütterlichen Wurzeln entfremdet. Der Feminismus hat sich indes selbst auch als »Bewegung für alle Schwachen« definiert und sollte sich somit auch für die echten Belange von Kindern – als besonders vulnerabler Gruppe unseres Gemeinwesens – verantwortlich fühlen.

Wir sollten daher nicht nur gemeinsam die »Gläserne Decke« durchstoßen, die Frauen davon abhält, sich Positionen mit großem gesellschaftlichem Gestaltungspotenzial zu erschließen. Wir müssen gleichzeitig verhindern, dass in unserem Haus mehr oder weniger unverhohlen ein »Gläserner Boden« eingezogen wird, der uns als Eltern zunehmend von unseren Kindern trennt und entfremdet. Dieses höchst bedeutsame Ziel wird nicht nur persönliches, familiäres Engagement erfordern, sondern auch publizistische Anstrengungen sowie elterlichen Widerstand und basisdemokratischen Aktivismus.

In diesem Sinne wünsche ich den Müttern der Neuen Zeit für ihre überaus wichtige und verdienstvolle Aufgabe den langfristigen Erfolg, auf den wir alle angewiesen sein werden.

Dr. Rainer Böhm, Kinder- und Jugendarzt,Schwerpunkt NeuropädiatrieLeitender Arzt des Sozialpädiatrischen Zentrums Bielefeld-Bethel

Einführung

Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen,die Gesellschaft ein gesetzmäßig Handelndes,ein freies Wesen kann er nur selbst aus sich machen.

RUDOLF STEINER

Wir stehen am Beginn einer Neuen Zeit, deren Morgenröte schon seit vielen Jahren in der Suche nach dem Geheimnis der Potentialentfaltung sichtbar wird. Menschen spüren und verantworten ihre Freiheit im Menschsein, suchen und leben ihren ganz eigenen Weg gemäß ihrer eigenen inneren Stimme. So auch die Mütter, die mehr und mehr gesellschaftliche Vorstellungen über das Muttersein und deren Rollenbilder hinterfragen, egal ob diese in der Tradition familiärer Werte verankert sind oder einem Arbeitsmarkt dienen, der die Mutter zur Berufstätigkeit zwangsemanzipiert. Das Ausrichten der eigenen Biographie auf das Dasein-Können für das Kind macht die moderne Mutterschaft heute zum Entwicklungsweg. Sie nähert sich dem Geheimnis von Sein und Werden. Selbstbestimmt.

Dabei liegt in all den Fragen rund um eine kindgerechte Entwicklung eine besondere Herausforderung. Warum?

Dass Frauen auch Mütter sind, ist selbsterklärend. Doch wurde diese Phase natürlicher und lebensspendender Individuation, die jede Gesellschaft nährt, im Zuge wachsender Technologisierung und Digitalisierung ins Abseits gedrängt, entwürdigt, verleugnet oder gar substituiert. Spätestens seit der Krippenoffensive und der Abschaffung des Nacheheunterhaltes (beides 2008 und nicht zufällig in Zeiten der weltweiten Finanzkrise geschehen) sind die Arbeitszeiten von Müttern dem Arbeitsmarkt einverleibt worden. Die Frau als Mutter wurde ökonomisiert, die Betreuung von Kindern institutionalisiert, die Kindheit also verstaatlicht. Die Mutterschaft ein überholtes Konstrukt? Selbst moderne CARE-Aktivistinnen, deren Anliegen es ist, die Ausbeutung der notwendigen, doch unbezahlten Fürsorgearbeiten zur Diskussion zu stellen, lösen die Frau von ihrer Mutterschaft durch ihre Forderung nach mehr und noch mehr Kitaplätzen. Mütter sollen (sich) nicht mehr sorgen… Ist das die Lösung?

Ich selbst habe als Mutter von drei Kindern erlebt, was es heißt, wenn Fürsorgearbeit vor dem Gesetz bewertet wird, als ob man Ferien machen würde. Auch wenn die Bedürfnisse meiner Kinder nach einem Zuhause, nach Schutz, Geborgenheit und Einfach-sein-Dürfen, nach Sicherheit, individueller Zuwendung und Entfaltung mir immer wieder gezeigt hatten, dass meine Präsenz wesentlich und immer wieder auch unerlässlich war, vermittelt unsere moderne Gesellschaft ein weitreichend anderes Bild. Die finanzielle Wahlfreiheit, Kinder, solange sie es brauchen, im familiären Umfeld betreuen zu können, wurde abgeschafft. Mütter sollen (sich) nicht mehr sorgen? Mit dieser erschütternden Einsicht entschied ich mich, das Buch »Die verkaufte Mutter« herauszugeben, dem sich noch zwei weitere Mitstreiterinnen anschlossen. Mütter endlich selbst sprechen zu lassen, war unser tiefes Anliegen – sie sichtbar zu machen in ihren Motiven, für ihre Kinder da zu sein.

Inzwischen ist die frühe Fremdbetreuung von Kleinstkindern eine Selbstverständlichkeit geworden, auch wenn immer wieder gut begründete alternative Sichtweisen laut werden. Auch in meiner Arbeit als langjährige biographische Begleiterin haben viele Gespräche mit Klienten verdeutlicht, wie die mangelnde Präsenz von Eltern ein lebenslanges Liebesvakuum hinterlässt, das gleich einem fehlenden Boden wesentliche Entwicklungen im Erwachsenenleben hemmt. Doch der ökonomische Druck und die politische und mediale Inszenierung von »Vereinbarkeit« scheinen die Lebensentwürfe von Eltern zu normieren. Jetzt, in Coronazeiten, in denen die Macht staatlicher Eingriffe in einer nie gekannten Weise unseren Alltag prägt, wird das individuelle Antworten fast existentiell. Besonders Eltern müssen sich ihren Kindern gegenüber neu finden. Beruf und Betreuung können nicht gleichzeitig geschehen. Dabei wird deutlich, dass es eben doch die Mütter sind, die dem Sorgen am nächsten stehen. Offensichtlicher denn je werden sie zwischen gesellschaftlichen, politischen und finanziellen Erwartungen einerseits und den Bedürfnissen der eigenen Kinder andererseits zerrieben. Um ihre Kinder zu schützen und mit ihren Kindern Leben wieder lebbar zu machen, brauchen sie einen besonderen Mut.

Denn vergessen scheint, was immer noch Grundrecht ist:

Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft (GG 6,4).

Darum geht es in diesem Buch: der Mutterschaft ihre Würde zurückzugeben. Denn ohne die Mutter gibt es kein menschliches Leben. Und es ist nichts Falsches daran, sich für das Leben zu entscheiden. Der Mut moderner junger Frauen zeigt das. Er inspiriert Lebenswege, die ein Sich-treu-Bleiben möglich machen. Denn letztendlich bleibt, wenn die Hoffnung auf die gute Fremdbetreuung zerbricht, die Frage: Was trägt und nährt uns? Mögen die Berichte in diesem Buch gleich Leuchttürmen wegweisende Erfahrungen vermitteln, die Ihnen, liebe Leserin, weiterhelfen können. Einundzwanzig Mütter haben dafür ihre Einsichten auf der Suche nach einer stimmigen Betreuung für ihr Kind niedergeschrieben. In welcher Spannung sie sich dabei zwischen Außen und Innen, zwischen eigenen und fremden Glaubenssätzen und dem liebenden Blick auf das eigenen Kind befinden, macht den Entwicklungsauftrag sichtbar, den die Neue Zeit heute mehr denn je von uns einfordert. Denn der Graben zwischen einem gesellschaftlichen Einheitsparadigma und dem Wachsen in eine individuelle Freiheit – nicht zuletzt auch für unsere Kinder – scheint sich immer weiter zu öffnen.

Dies verdeutlichen auch die einundzwanzig kurzen Berichte von Experten, die sich Themen wie Bindung, Nachahmung, das erste Jahrsiebt, freies Spiel, aber auch politischen Themen wie Elterngeld, Patriarchatskritik, Generationenvertrag oder Care-Revolution widmen. Sie erklären, wie die Verantwortung für eine verbindlich gelebte Mutterschaft, die der Reifung und Entfaltung eines eigenständigen Wesens dient, ökonomisch und politisch ausgehöhlt, ja beinahe unmöglich gemacht wird.

Mütter sind wie ein Zuhause – eine wärmende, nährende und lebendige Hülle, gleichsam einer Fortsetzung der Gebärmutter. Und sie arbeiten mit ihrem Vorbild an der Quelle zukünftigen Lebens. Dabei müssen sie nicht alleinige Bezugsperson bleiben. Was das bedeutet, erzählen die Mütter in diesem Buch. Mutig, eigenwillig und ihrer Intuition folgend, riskieren sie es, Standardfloskeln zu hinterfragen und in Beziehung mit ihrem Kind dessen Lebensumfeld selbst zu gestalten. Denn das ist das Neue in dieser Zeit, die Suche nach der eigenen Wahrheit, die weder Ratgeber noch Mainstream beantworten. Es braucht das Hinwachsen zu einer inneren Freiheit, die neben den eigenen Werten auch die Möglichkeit zur Selbstermächtigung bewusst macht. So lassen uns die Mütter auch teilhaben an ihrer Wut, Verunsicherung und an ihren Zweifeln, an ihren Gefühlen, bevormundet zu werden, zu versagen oder einfach nur überfordert zu sein. Letztendlich sind es immer die Kinder, in deren Trauer oder Strahlen die Antwort liegt. Sie schenken uns das unermessliche Glück, in der Gegenwart ankommen zu dürfen. Das Werdende in der Beziehung zwischen Mutter und Kind, wenn wir es denn zulassen, möchte sich dem Leben offenbaren.

Möge dieses Buch jungen Müttern Mut machen, die gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu hinterfragen und die Ernsthaftigkeit ihrer Aufgabe anzuerkennen. Manche Mütter sprechen sogar von einer heiligen Aufgabe: Denn wir lernen darin, nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen. Wir lernen, die Einweihungen des Lebens mit uns selbst zu beantworten. In dieser Selbstheit ist selbstbestimmte Mutterschaft selbstlos. Möge jede Mutter dieses Paradoxon erfahren dürfen.

Sabine Mänken, im April 2020

Dr. Sara Tröster Klemm

Die Kunst der Mütterlichkeit

Sara liebt ihren Beruf als Kunsthistorikerin. Und sie liebt ihre Kinder. Eigentlich hätte sie allen Grund gehabt, für Fremdbetreuung dankbar zu sein. Doch schon ihre Mutter hatte sie gelehrt, »out of the box« zu denken. Für sie ist es das Leben selbst, das sie einlädt, ihren Kindern Zeit zu schenken und mit ihnen im Hier und Jetzt anzukommen.

Auf dem weinroten Teppich, den unsere Vormieter hinterließen, klebt ein gräulicher Kaugummi, für immer untrennbar verschmolzen mit dem Teppichgewebe. Er ist schon immer dagewesen, keiner war‘s. Der Samstagnachmittag ist noch lang, und ich habe es mir bäuchlings auf dem Boden liegend gemütlich gemacht. Die Ideen sprudeln.

Es ist 1989. Wir leben in Basel in einer einfachen Dreizimmerwohnung am Stadtrand. Mit meinem silbernen Füller kritzle ich die Geschichte über ein fast unbekanntes Bergdorf tief in den Schweizer Alpen auf ein weißes Stück Papier. Meine Mutter möchte unbedingt wissen, wie sie ausgeht und ermutigt mich, weiterzuschreiben. Wie am Fließband erfinde ich zur Zeit die wildesten Erzählungen. Märchen und Selbsterlebtes fließen nahtlos ineinander, mein kleiner Bruder hängt mir an den Lippen. Meine Mutter nimmt viele meiner Live-Erzählungen auf Tonband auf. Diese aber schreibe ich auf. In der Küche klappern die Töpfe, der Duft von frisch gebackenem Brot steigt mir in die Nase, die Meerschweinchen quieken aus ihrem Stall heraus, mein Bruder spielt mit seinen Legosteinen und auf dem Schreibtisch meiner Mutter stapeln sich Seminararbeiten, Schulbücher und Kunstbildbände. Sie ist Lehrerin.

Als ich fertig bin, entziffert sie gespannt meine fantastisch-lakonische Story, schmunzelnd, gerührt, mütterlich stolz. Sie lacht! Die Geschichte handelt von »unserem« Dorf, und es ist eine so komische Geschichte, dass sie es sogar ins Schweizer Radio schafft. Denn meine stolze Mutter schickt den Text zu einem Schreibwettbewerb für Kinder und Jugendliche. Sie ermutigte mich auch später immer, meine Ideen durchzudenken, aufzuschreiben, mich auszuprobieren und »out of the box« zu denken.

Der Impuls, zu promovieren entstand bei mir kurz nach der Geburt meines ersten Kindes. Ich fühlte eine ungeheure Energie und Euphorie in mir, obwohl es eine schwere Geburt und meine Tochter ein wirklich anspruchsvolles Baby war. Neugeboren lehrte sie mich, dass sie möglichst rund um die Uhr getragen und viel mehr gestillt werden möchte, als ich es mir zuvor vorgestellt und auch sagen lassen habe. Der Stubenwagen stand bei uns schnell nur noch als hübsche Innendekoration im Wohnzimmer und verschwand alsbald im Keller. Mit Selmas Geburt wurde aber nicht nur ein neues Kind geboren, sondern auch ich fühlte mich als ganz anderer Mensch. So viel Liebe, so viel Energie, so viele und starke, intensive Emotionen. Auch ich war wie neugeboren im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war ein anderer Mensch. Und jedes neugeborene Kind wurde zur Liebe meines Lebens. Nur fünfzehn Monate später kam mein erster Sohn zur Welt. Zwei Jahre darauf hatte ich ein großzügiges Promotionsstipendium und eine Vereinbarung mit dem Wissenschaftsverlag meiner Träume in der Tasche.

Natürlich wollte ich meine Doktorarbeit auch bewältigen und mir damit eine berufliche Zukunft als Autorin und Kunstwissenschaftlerin aufbauen. Mich interessierte das Thema ausgesprochen. Ich war ehrgeizig, vor allem wollte ich aber nicht im Kleinklein von Brotjobs versumpfen, sondern meinem Leben eine klare Richtung geben: Das Schreiben und Sprechen über Malerei und die Bildbetrachtung machten mich glücklich, warum also nicht daraus einen tragfähigen Beruf für mich kreieren?

Die beiden kleinen Kinder aber hielten natürlich nicht immer gleichzeitig und gleich lang ihre Siesta. Ihre nicht immer reibungslos planbaren Schlafenszeiten genügten mir nicht: Ich brauchte ein bisschen mehr Zeit für die konzentrierte Schreibarbeit. Meine zwei ersten Kinder gingen deshalb mit 2¼ Jahren beziehungsweise schon mit 13 Monaten zu ihrer Tagesmutter Bettina, damit ich an der TU Dresden meine Doktorarbeit über zeitgenössische Malerei verfassen konnte. Ich sah es schon damals nicht ein, weshalb meine ältere Tochter woanders fremdbetreut werden sollte, wenn ich mit dem zweiten Baby ohnehin zu Hause wäre. Deshalb ging sie für heutige Verhältnisse erst so spät in eine Tagesbetreuung.

Von unseren Familien erhielten wir leider so gut wie keine Unterstützung. Die Großeltern wohnten in einer anderen Stadt, und die Schwiegermutter erklärte mir rundheraus, sie hätte mit ihren fünf Kindern schon genug geleistet, nun lägen ihre Interessen woanders (in der Arbeit und der Erholung). Da es auch finanziell sehr schwierig war, entschied ich mich schließlich für die Tagesmutter. Es musste sich einfach etwas ändern, denn ich hatte es satt, immer am Rande des Existenzminimums zu vegetieren. Das Gehalt meines damaligen Mannes als Theaterschauspieler reichte trotz Festanstellung, großformatigen Plakaten und üppigem Applaus leider gerade so für die Basics – zum Glück bezahlte meine Mutter uns die wöchentliche Kiste mit Biogemüse vom Bauern, aber das nur am Rande. Es war eine rein rationale und auch aus der Not getroffene Entscheidung, die beiden kleinen Kinder in fremde Hände zu geben. Mein Mann konnte sich nicht dazu durchringen, seine Arbeitszeiten zugunsten der Kinder und mir einzuschränken. Innerlich waren weder ich noch Selma und Timon soweit, einen wesentlichen Teil des Tages getrennt zu verbringen, nicht mehr morgens miteinander auf den Spielplatz zu gehen, durch den Auwald zu abenteuern, nicht mehr gemeinsam »Zmittag« zu kochen und zu essen und auf die ruhige Geborgenheit der Siesta zu Hause zu verzichten. Für mich war es eine seltsame Vorstellung, die Kinder woanders schlafen zu lassen.

Sicher hat das auch viel mit meiner Schweizer Sozialisierung zu tun, wo es die längste Zeit einfach nicht üblich war, Kleinkinder überhaupt fremdbetreuen zu lassen und der Kindergarten auch heute nur drei bis vier Stunden am Vormittag dauert. Doch ganz unabhängig davon musste ich zusehen, wie meine Kinder bei fast jedem Abschied heulten. Zwar erklärte uns die liebevolle Tagesmutter geduldig, dass dies ganz normal sei und sie sich beruhigen würden, für mich aber fühlte es sich falsch an. Eigentlich hätte ich die beiden quirligen Zwerge lieber immer um mich gehabt oder aber sie in den Händen von Familienmitgliedern gewusst.

Mir fehlten meine Großmütter, meine Tanten und Schwestern, meine Freundinnen. Für meinen Mann war ich (von Berlin) nach Leipzig gezogen, wo ich niemanden kannte. Im Grunde genommen fühlte ich mich einsam und auch teils überfordert von den andauernden existenziellen Bedürfnissen der Kinder. Mit der bisherigen Gleichberechtigung war es nach den beiden Geburten nämlich schlagartig vorbei. Mein Mann tauchte tagsüber jeweils für ein paar Stunden auf, um die Kinder nachmittags mit seinen Schauspielkünsten zu bespaßen und zu bezirzen – für den nicht immer zuckersüßen Rest war im Wesentlichen ich zuständig. Er nahm damals noch nicht einmal die sonst üblichen zwei Monate Elternzeit. Sie tagsüber für ein paar Stunden betreuen zu lassen, war damals die einzige Lösung. Weder konnte ich mir mein Netzwerk in die fremde Stadt zaubern noch meinen Mann dazu bewegen, mehr da zu sein.

Mit Bettina hatten wir großes Glück: Neben meinen beiden Kindern betreute sie nur noch eine Spielkameradin meiner Kinder, die wir ohnehin regelmäßig trafen. Wir brachten sie um 9 Uhr morgens und holten sie nach der Siesta so früh wie möglich ab, oft ließ ich sie auch ein oder zwei Tage zu Hause, fuhr mit ihnen zu meiner Verwandtschaft und den Freunden in Basel. Das war mein Kompromiss. Unsere Tagesmutter war der pure Luxus im Vergleich zum regulären Betreuungsschlüssel: Ehrlich gesagt kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich sechs Kindern unter drei Jahren so viel Kraft und Aufmerksamkeit entgegenbringen könnte, wie sie es zu Hause einfordern.

Heute bin ich 39 Jahre alt, geschieden und lebe in einer neuen Partnerschaft. Inzwischen bin ich mit Auszeichnung promovierte Kunsthistorikerin, mehrfache Buchautorin und stolze Mutter von drei Kindern. Unser Nesthäkchen kam vor zwei Jahren zur Welt, und die beiden großen Kinder sind jetzt zehn und zwölf Jahre alt. Der Kleine geht erst in den Kindergarten, wenn er wirklich reif dafür ist, von der Umgebung profitiert – und nicht in erster Linie, damit ich noch mehr meinem Beruf nachgehen kann. Meine beiden Fast-Zwillingskinder begannen, rückblickend betrachtet, erst im Alter von etwa dreieinhalb, vier Jahren, wirklich intensiv mit anderen Kindern zu spielen. Erst ab diesem Alter gingen sie auch gerne und von sich aus in den Kindergarten.

Vor kurzem brachen wir nach nur vier Wochen Valentins Eingewöhnung ab, weil er deutlich zeigte, dass er noch nicht so weit war. Unter anderem wurde er sehr krank, was mich zutiefst beunruhigte: Für mich war es ein deutliches Warnsignal, dass sein ganzer Körper auf diesen Löseprozess noch mit Stress und Überforderung reagierte. Die beiden Erzieherinnen unterstützten mich auf diesem Weg, und ich bin ihnen dankbar. Er ist wieder gesund, seitdem wir die Eingewöhnung beendet haben. Dies bestätigt mich in meiner Entscheidung, ihn weiterhin selbst zu betreuen.

Mit endlosen Spielnachmittagen, Verkleiden und Rollenspielen, gemeinsamem Backen, Malen, Erzählen und langen Spaziergängen habe ich meine eigene Kindheit sehr behütet und fröhlich in Erinnerung. Ich bin meiner Mutter dankbar für diese gemütliche und heile Kinderwelt. Meinen Vater dagegen empfand ich als streng, wenig kindgerecht in der Kommunikation und unberechenbar. Er hielt uns endlose Vorträge, egal, ob es uns interessierte oder nicht. Im Alter von sechs Jahren teilte ich ihm bei einem Besuch auf dem Flughafen mit, er bräuchte mir nicht immer alles zu erklären (es ging um die technische Funktion von Turbinen). Er nahm mich beim Wort, und heute führen wir die anregendsten und spannendsten Gespräche, die man sich nur wünschen kann. Bis heute bin ich der Meinung, dass Kindern oft viel zu viel und alles bis ins kleinste Detail erklärt wird; dabei ist es viel besser, sie die Welt selbst entdecken und erfahren zu lassen. Wenn sie fragen, genügen kleine, behutsame Hilfestellungen oder eine Antwort, die zu mehr Fragen einlädt, sodass zwischen Kind und Erwachsenem ein angeregtes Gespräch entstehen kann.

Ich wurde 1980 in Basel geboren und meine Mutter musste bald wieder in die Uni, wenn auch nur ab und zu, um ihr Studium abzuschließen. Bei meiner Geburt war sie 21 Jahre alt. Im Gegensatz zu unserer Betreuungssituation lebten meine beiden Großmütter vor Ort. Vor allem meine Großeltern mütterlicherseits leisteten damals einen gewaltigen Anteil an meiner Betreuung. Oft verbrachte ich das ganze Wochenende bei ihnen, und auch in der Woche passte meine Mima, wie ich sie taufte, zuhause auf mich auf. Krippen gab es so gut wie nicht.

Meine Großmütter waren sehr unterschiedlich. Sie gaben mir aber beide ein wohliges Gefühl von Geborgenheit und ein unerschütterliches Vertrauen in das Gute mit auf den Weg. Bis heute schöpfe ich Energie aus diesem Kraftquell. Hélène, die Mutter meines Vaters, hatte ein offenes, lebendiges Haus, in dem junge Musiker ein- und ausgingen. Hausmusik gehörte zum Alltag. Sie spielte hervorragend Klavier, obwohl sie nie Musik studiert hatte, sondern ausgebildete Krankenschwester war. Von ihr habe ich die Liebe zur Musik und zu Fremdsprachen, denn mit ihrer italienischen Putzfrau unterhielt sie sich auf Italienisch, mit ihren Kindern abwechselnd auf Schweizerdeutsch und Französisch. Bei ihr herrschte immer ein herrliches Sprachengewirr.

Ich erinnere mich daran, wie ich durch das sonnendurchflutete Wohnzimmer in ihrem Haus schlendere und eine junge Basler Musikerin mir antwortet, sie spiele schon seit zwanzig Jahren Geige – für mich damals ein unfassbar langer Zeitraum. Der erste Satz von Beethovens Frühlingssonate erklingt, zwischendurch wird immer wieder kurz für Fragen zur Phrasierung unterbrochen. Wir Kinder laufen drum herum oder setzen uns unter das Klavier, drücken die Pedale und kitzeln die Musiker an den Beinen, bis es uns oder ihnen reicht und wir uns ein anderes gemütlicheres Versteck suchen, zum Beispiel unter dem ovalen Esstisch. Nach dem Zusammenspiel trinken wir gemeinsam Schwarztee mit Milch oder Zitrone, und die Erwachsenen debattieren über alles mögliche. Bis heute spielt die Offenheit für andere Kulturen und damit einhergehend das fortwährende Lernen von Fremdsprachen in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Es bereichert unser Leben.

Linda, meine Mima, meine Großmutter mütterlicherseits, ist eine resolute, starke, sehr warmherzige und vor Energie nur so sprühende Frau. Jahrelang führte sie erfolgreich einen Irish-Shop mit Kleidung und vielem mehr von der Grünen Insel. Nichtsdestotrotz vermittelte sie mir, dass Kindererziehung und Haushaltsführung ein wichtiger Beruf sei, welcher ebenso gewissenhaft verfolgt werden könne, wie jeder andere Beruf auch. Als Jugendliche tippte ich mir an den Kopf, denn ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, was daran nützlich oder gar interessant sein sollte. Aber wenn wir zu ihr kamen, und das war oft, dann stand ein duftendes Essen auf dem Tisch, gebügelte Stoffservietten und eine Tischdecke gehörten obligat dazu. Und wir fühlten uns herrlich, gewürdigt und ernstgenommen. Für uns war es eine gediegene, edle Atmosphäre wie im Sternerestaurant, nur gemütlicher und herzlicher. Zudem: Tischmanieren ergeben in so einem Ambiente auf einmal Sinn! Wir sollten doch schon anfangen, rief sie uns aus der offenen Küche zu, damit das Essen nicht kalt werde. Alles war schön angerichtet, denn: Das Auge isst mit! – so ihr Credo. Sie übte mit uns für die Schule, drillte uns in Mathe, während unser Großvater für Deutsch zuständig war, und abends erzählte sie uns Geschichten, während am Esstisch und zwischendurch heftig über Politik debattiert wurde. Es war nie so, dass sie sich gelangweilt hätte, sie war immer in Bewegung, gerne auf Reisen oder draußen im Garten. Meine selbstbewussten Großmütter waren moderne Frauen und ganz bestimmt keine »Hausmütterchen«. Sie vermittelten mir, dass es eine wichtige Aufgabe ist, einen Haushalt in Form eines lebendigen Hauses zu führen, und dass hier auch anspruchsvolle Kultur möglich ist, sei es nun in Form von Tischkultur, der Kultur des Dialoges, der klassischen Musik, Literatur oder Kunst.

Meine beiden großen Kinder spielen inzwischen selbst Violine und Klavier. Oft »jammen« wir abends, improvisieren frei oder spielen klassische Stücke zusammen. In der Weihnachtszeit erklingen die Lieder mit zwei Geigen und Klavier, während der Kleine dazu trommelt, singt und rasselt. Er ahmt die Tätigkeiten der Großen nach. Gerne fordert er seinen Platz auf dem Klavierschemel ein und verlangt vehement nach Noten, wenn dort einmal keine stehen. Für uns ist es Spaß und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkende lebendige Kultur.

Fernsehen und Computerspiele dagegen betrachte ich als lästige Zeitverschwendung. Nirgends ist das Gehirn passiver als beim Fernsehen, selbst im Schlaf ist es aktiver (vgl. S. Aamodt/S. Wang, Welcome to Your Child’s Brain, München 2012). Nichtsdestotrotz halte ich die Kinder nicht komplett davon fern, aber als digitalen Babysitter würde ich diese Medien nie einsetzen. Gelegentlich, vielleicht einmal pro Woche, eine genaue Regel haben wir dafür nicht, schauen wir gemeinsam über Onlinedienste gezielt Dokumentarfilme oder auch einmal eine Unterhaltungssendung an. Mir ist es wichtig, dabeizusitzen, sodass wir direkt über aufkommende Fragen reden können.

Kinder alleine vor so einem Gerät »abzustellen«, empfinde ich als Vernachlässigung. Immer wieder sehe ich leider »vollverkabelte« Kinder mit Kopfhörern vor einem Tablet oder Smartphone, sei es nun zu Hause, im Auto, Zug, Restaurant oder in anderen vermeintlich »langweiligen« Situationen. Es gruselt mich regelrecht, wenn ich sehe, wie reglos die Kinder vor diesen Geräten ausharren. Es gibt keine andere Situation im Leben eines Kindes, wo es im Wachzustand derart hypnotisiert vor sich hinstarrt, bewegungslos, starr – und still. Mich erschreckt es, wie die Kinder heutzutage so bedenkenlos ruhiggestellt werden. Was sagt es über unsere Gesellschaft, wenn die Kinder die Erwachsenen nicht »stören« sollen? Sie sollen ihre Lebenskraft, ihre Neugier, ihren Bewegungsdrang, ihren Drang, sich zu zeigen, zu sprechen, sich auszutauschen nicht ausleben? Anstatt etwas gemeinsam zu tun oder sie dazu aufzufordern, sich eine eigene ruhige Beschäftigung zu suchen, werden sie geradezu »abgestellt«. Nichts anderes als das ist es nämlich!

Um unterwegs gelangweiltem Gejammere vorzubeugen, trage ich oft dem Kind entsprechende Bücher bei mir. Wir schauen sie uns zusammen an und erleben dadurch eine wunderbare Zweisamkeit. Tagsüber gehen wir spazieren, fahren Rad, lesen oder sitzen auf dem Balkon, kümmern uns um die Pflanzen, die wir dort wachsen lassen. Es gibt immer etwas zu tun. Wir kochen täglich und backen gelegentlich zusammen. Meistens fange ich an und nach und nach stellen sich die Kinder von sich aus dazu, machen mit, schnappen sich Messer und Brettchen, rüsten Gemüse, schnippeln, werden selbst kreativ, indem sie sich eigene Gerichte ausdenken. Ich lasse sie gerne einfach machen und sorge lediglich für geeignete Rahmenbedingungen. Der Kleine schiebt sich einen Stuhl zur Arbeitsplatte und möchte mitschneiden, rühren, sehen, wie das Olivenöl in der gusseisernen Bratpfanne Muster bildet, wie die Butter zerläuft, die Zwiebeln glasieren und der frische Spinat beim Kochen zusammenfällt. Den täglichen gemeinsamen Mahlzeiten geht ein Tischlied voraus, das gehört fest dazu; abends lese ich den Kindern vor. Oft spiele ich auch nur für mich Geige, eine Mozart-Sonate, Telemann, oder aktuell einen kniffligen Sarasate. Die Kinder beschäftigen sich in dieser Zeit wunderbar selbst, Valentin schnappt sich ein Bilderbuch und macht es sich auf dem Sofa gemütlich oder klimpert auf dem Klavier. Und manchmal singt er lauthals mit.

Für mich war es eine reine Herzensentscheidung, Mutter sein zu wollen. Es ist nicht so, dass ich mir schon mein Leben lang Kinder gewünscht hätte. Wirtschaftliche oder organisatorische Erwägungen spielten bei der Familienplanung keine Rolle. Wenn sie das getan hätten, wäre ich heute nicht Mutter, denn ich hätte es mir objektiv betrachtet wohl nicht leisten können. Das Kind sehe ich als selbständige Person, die ihren eigenen Weg geht. Es ist für mich daher kein Widerspruch, aus ganzem Herzen Mutter und für die Kinder voll da sein zu wollen, und trotzdem (oder gerade deswegen) eigenen Interessen konsequent nachzugehen. Meistens saß ich schon wenige Tage nach der Geburt wieder an meinen Texten und arbeitete, schrieb und telefonierte beruflich. Weil mir meine Arbeit auch Kraft gibt.

Eigentlich hätte ich durch meinen Beruf allen Grund gehabt, für Fremdbetreuung dankbar zu sein. Doch diese mantrisch vorgetragene Frage, wann ich denn mein Kind in die Kita brächte, entpuppte sich schnell als Denkbox. Ich suchte unseren eigenen Weg. Think outside the box. Was von Anfang an klar war: Mein Kind soll in dieser so prägenden Lebensphase von Menschen umgeben sein, die es aus ganzem Herzen lieben und ihr Leben lang für es da sein werden. Die Erzieher in Kitas arbeiten oft unter schlechten Bedingungen. Sie sind Profis, was ich in diesem Zusammenhang durchaus als Nachteil empfinde, denn wenn die Zeit im Kindergarten endet, dann endet auch die Beziehung zwischen Kind und KindergärtnerIn abrupt. Ein schmerzhafter Vorgang.

Bedenklich ist für mich ohnehin die eigentliche Karikaturierung des Kindergartens. Ursprünglich gegründet, um den Kindern zu dienen, ihr Leben zu bereichern, bedient er heute im Wesentlichen die Bedürfnisse eines gefräßigen Arbeitsmarktes, der die produktivste Zeit und Kraft der Eltern beansprucht. Oder warum müssen die Kinder unter alles anderen als idealen Bedingungen einen großen Teil der prägenden Wachzeit dort verbringen, oft bis zu neun Stunden am Tag oder sogar noch mehr? Sicherlich sind die Räume hübsch bunt angemalt und die Klobecken niedriger, kindgerecht, aber sonst? Bei meinen Großen erinnere ich mich, wie ich die Geräuschkulisse in diesem recht kleinen christlichen Kindergarten mit »nur« siebzig Kindern so unerträglich laut und die Räume im Winter überheizt fand, dass ich möglichst schnell weg wollte. Wie kann eine solche Umgebung dann so jungen und voll in der Entwicklung stehenden Menschen ganztags zuträglich sein?

Kleinkinder haben empfindliche Ohren, und Ohren können sich nicht regenerieren. Auch das ist für mich ein Grund, mein Kleinkind nicht unnötig dem häufig enorm hohen Lärmpegel aussetzen zu wollen. Hinzu kommen die immer gleichen Abläufe oder der Mittagsschlafzwang, aber ich schweife ab! Kurz gesagt, bekommen Kinder unter vier bis fünf Jahren in einem normal aktiven Alltag mehr als genug Eindrücke, die auf ihr Tempo und ihre Bedürfnisse abgestimmt werden können, während sie in einer Einrichtung größtenteils »funktionieren« müssen und eingetaktet werden. Während die Betreuung bei der Tagesmutter für die Fast-Zwillinge Stress bedeutete, freut unser Kleiner sich jetzt auf die gelegentlichen Besuche seiner Babysitterinnen, denn es sind seine Freundinnen und beinahe schon Familienmitglieder.

Oft habe ich durch die aktuelle Arbeitsmarktsituation und Familienpolitik leider das Gefühl, dass es der größte Luxus überhaupt ist, seine Kinder selbst zu erziehen. Das erscheint mir irrwitzig und stimmt mich oft sehr traurig. Gesellschaftlich erscheint es inzwischen als das Normalste der Welt, kleine Kinder spätestens mit vierzehn Monaten ganztags in eine Gruppenbetreuung zu bringen, wohingegen das Zuhausebleiben eben als »schön, wenn du es dir leisten kannst« kommentiert wird. Dadurch fühle ich mich in meiner täglichen sehr anstrengenden Tätigkeit auch abgewertet, auf jeden Fall nicht unterstützt. Oft bzw. meistens fehlt die Anerkennung. Teilweise sind die gegenwärtigen Erfahrungen recht frustrierend, wenn man nicht über eine große Portion Eigenüberzeugung verfügt. Wirtschaftlich finde ich es belastend, denn einerseits hat man höhere Ausgaben mit Kind und andererseits ein deutlich geringeres Einkommen, weil die Arbeit unbezahlt ist.

Manche erklären mir, ich dürfe nicht klammern, müsse mein eigenes Leben leben. Als ob das Aufwachsensehen und -begleiten meiner Kinder nicht zu meinem Leben gehörten!? Ich soll es an »Profis« delegieren, weil sie es besser könnten und die Kinder die »Sozialisierung« schon mit einem Jahr bräuchten? Ich bin aber der Meinung, dass es Dinge im Leben gibt, die man besser selbst erledigt. Glaube und Überzeugungen helfen dabei definitiv. Es ist meine innere Überzeugung, wie wichtig diese große Liebe ist, die nur Eltern ihren Kindern entgegenbringen können, die all das erst ermöglicht. Sie wird begleitet von der Freude daran, die zahlreichen täglichen Entwicklungsschritte direkt zu erleben, zu beobachten und zu begleiten. Zum Glück höre ich auch immer wieder ermutigende Bemerkungen wie: »Deine Kinder werden es dir danken.« Leicht wird vergessen, dass selbst größere Kinder mit zehn, elf Jahren noch recht viel Aufmerksamkeit und Zuwendung benötigen. Meine beiden Großen genießen es, wenn sie nach der Schule ein duftendes Essen und ein offenes Ohr erwartet…

Für die Zukunft junger Eltern wünsche ich mir eine Anerkennung wenigstens in Form angemessener Rentenpunkte, wenn nicht gar ein Betreuungsgehalt als Ausgleich und Ausdruck der Wertschätzung für diese gesellschaftlich relevante Arbeit. Teilzeitarbeit sollte zum Standard werden, junge Väter nicht mehr, sondern weniger arbeiten, sodass die Elternteile sich mehr in die Betreuung einbringen können. Meistens bleibt es bedauerlicherweise weiterhin fast allein an den Frauen hängen. Beide sollten sich für die tägliche Pflege und Erziehung des Kindes verantwortlich fühlen und ihre Arbeitszeit außerhalb der Familie reduzieren.

Richtig wütend macht es mich allerdings, dass der erste Brief zur Geburt meines Sohnes vom Finanzamt kam und seine Steueridentifikationsnummer enthielt. Mein Kind wird also schon mit einem Startgewicht von wenigen Kilos als potenzieller Steuerzahler identifiziert – aber gefördert wird die von uns Eltern und insbesondere Müttern in den ersten Lebensjahren erbrachte Care-Leistung nur mit einem almosenhaft anmutenden einjährigen Elterngeld. All die Kosten und Betreuungszeit, die Kinder selbstverständlich bis zum 18. Lebensjahr verursachen, scheinen reines Privatvergnügen zu sein, denn selbst das Kindergeld dient ja nur der gesetzlich vorgeschriebenen Steuerfreistellung des Kinderexistenzminimums.

Mit etwa 150.000 Euro werden heute die Kosten für ein Kind bewertet – ohne die Betreuungsarbeit als Aufwand zu berechnen. Kein Wunder, dass Kinder zu haben heute mit einem hohen Armutsrisiko verbunden ist. Von der hochgefeierten Mütterrente will ich gar nicht erst anfangen. Sie ist skandalös niedrig, nicht einmal ein Bruchteil einer herkömmlichen Miete für eine Stadtwohnung wird davon bezahlt werden können, und dies, obwohl das Rentensystem so aufgebaut ist, dass die zukünftigen Rentner von meiner Arbeit als Mutter abhängig sind. Somit werden von dieser Politik Mütter und damit Frauen, die all ihre Kraft und ihr Geld in die Erziehung ihrer Kinder stecken, mehr denn je ausgebeutet. Sowohl jetzt als auch später bekommen sie so gut wie keine Anerkennung ihrer Lebensleistung und verarmen spätestens im Alter. Von warmen Worten à la »die Kinder sind unsere Zukunft« kann man sich nichts im Supermarkt kaufen. Deshalb rufe ich es heraus: Keiner soll mehr über zu niedrige Geburtenraten sprechen und gleichzeitig Familien mit Kindern im Regen stehen lassen!

Die häufig zu beobachtende Verwahrung von Kleinkindern in der Kita aufgrund von Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen ist ein ebensolcher Skandal. Sie wird klaglos hingenommen und sogar noch beschönigend als frühe Bildung verkauft. Traurig genug, dass viele Familien aus existenziellen Gründen auf Fremdbetreuung angewiesen sind und damit gar keine echte Wahlfreiheit haben. Wenn ich aber mit eigenen Augen sehe, wie viel Aufmerksamkeit mein kleiner Sohn verlangt, wie lernbegierig und aufnahmefähig er ist, wie er gerade in diesem jungen Alter mit knapp zwei Jahren alles nachahmt, Wörter nachspricht, Handlungen und den Tonfall imitiert, alles selber machen möchte, dann möchte ich mir nicht vorstellen, wie sich Gleichaltrige in Einrichtungen fühlen. Ständig haben sie ihre Bedürfnisse zurückzustellen, sich anzupassen und einzufügen. Wahrscheinlich ahmen sie auch noch den Stress und die Erschöpfung der Erzieherinnen nach, da sie alles ungefiltert imitieren. Oft wirken ganztags betreute Kleinkinder auf mich matt, gedämpft, das Leuchten in den Augen ist weg. Verschwunden. Um mich nicht falsch zu verstehen: Ich lehne Betreuung durch andere Personen nicht prinzipiell ab. Meine Frage ist vielmehr, warum sich die reguläre Betreuung durch Krippenpersonal und Tagesmütter im wesentlichen nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und nicht nach denen der Kinder richtet?

Ich backe kein Brot, das Bügeleisen bleibt kalt und die Stoffservietten lagern im Schrank. Dennoch habe ich eine zentrale Lektion von meinen Großmüttern und meiner Mutter gelernt: Wie wichtig es für die Kinder ist, einfach da zu sein, ihnen Raum zu geben, Zeit zu haben, so dass sie sich wohlfühlen und sich in ihrer eigenen Geschwindigkeit entfalten können. Ihnen zu zeigen, dass sie gesehen werden, erweckt und verstärkt ihre Freude am Leben! Die Kinder brauchen liebende Erwachsene, die ihnen ermöglichen, sich und die Welt zu entdecken. Als liebende Mutter begleite und beobachte ich immer wieder staunend, wie sich vor meinen Augen das Wunder wie von selbst entfaltet. Ich gebe ihm Sicherheit, Aufmerksamkeit und Nahrung, seelisch, geistig und körperlich. Das aber erfordert Kraft, Zeit und Ressourcen. Und endlose Geduld. Unter den aktuellen Bedingungen können professionelle Erzieher dies kaum leisten.

Meines Erachtens wird im Moment in großem Stil und in fahrlässiger Weise das unschätzbar wertvolle Potenzial, welches jedes Kind mit sich bringt, verschwendet: Kinder sollen zu allererst einmal nicht stören! Anstatt sich wirklich auf sie einzulassen und ihnen Raum zur Entfaltung zu geben, werden sie im so prägenden Alter zwischen eins bis sechs Jahren weggesteckt, oft nur verwahrt. Im Alltag und im öffentlichen Raum werden sie marginalisiert, nur damit die Erwachsenen von einem Ort zum anderen hetzen, total »busy« sind, was ja soviel heißt, wie »wichtig«, und sich dabei keinen Raum mehr nehmen zum Innehalten und Nachdenken.

Wir verschwenden damit aber nicht nur das Potenzial unserer Kinder und damit der Zukunft unserer Gesellschaft, sondern wir entziehen uns als Eltern gleichzeitig der positiven Kraft der Kinder: Keiner ist derart kompetent, uns einen neuen, achtsamen, freudvollen und zutiefst neugierigen Blick auf die Welt zu schenken, wie ein kleines Kind. Kinder sind im Hier und Jetzt. Ihre Art, diese Welt zu entdecken, ist von Natur aus zutiefst meditativ und ganz auf das konzentriert, was sie gerade tun. Ja, Kinder machen alles langsamer und ganz und gar anders, als wir ach so erfahrenen Erwachsenen! Doch im Beobachten und Uns-selbst-Zurücknehmen können auch wir wieder mehr in die Gegenwart kommen und die Freude an den Wundern der Welt entdecken. Das Wunder steckt im kleinsten Krokus, in der den Weg kreuzenden einsamen Ameise und auch im erstmals selbst zugeknöpften Knopf des Schlafanzuges. »Lass mir Zeit, es selbst zu tun«, ist nicht nur für unsere Kinder, sondern auch für uns Erwachsene die unbedingte Chance, das Glück des Augenblickes zu erfahren und wieder zu lernen, glücklich zu sein und zwar nur aus dem Grund, weil wir leben und die Welt mit all unseren Sinnen erfassen können. Wer wollte dieses Glück delegieren?!

Dabeisein ist alles

Als Entwicklungsbegleiterin mit langjähriger Erfahrung aber auch als Mutter im Austausch mit anderen Müttern beobachte ich seit Jahren, dass frühe Fremdbetreuung immer mehr zur Norm wird und der Druck auf Mütter zunimmt. Wobei gerade Müttern gerne suggeriert wird, dass sie doch weder auf ihre Karrierechancen verzichten noch ihrem Kind Bildungschancen verwehren wollen. Aber wie viel bleibt von der Frühförderung im Kindergarten, wenn die Gesamtsituation für den kleinen Menschen schnell zur Überforderung wird?

Klein und überschaubar und doch so effektiv und wertvoll ist der Alltag für das Kind, das seine Tage im gewohnten Familienumfeld und dem damit einhergehenden lebendigen Familienalltag verbringen darf. Die Abläufe sind vertraut und bilden mit dem Dasein von Mutter oder Vater eine sichere und zuverlässige Konstante in seinem Leben. Sein Spiel-Raum ist das Leben selbst mit der Vielfalt an Möglichkeiten zum Er-leben, Erfahren und Be-greifen.

Entwicklung braucht eine lebendige, anregende, aber auch vertrauensvolle Umgebung, die dem kleinen Menschen ausreichend Möglichkeiten zum Beobachten und Nachahmen bietet – eine Umgebung, in der er sich geliebt fühlt und gleichzeitig seinem Streben nach Selbständigkeit nachgehen und sich Fähigkeiten im eigenen Tempo und zusammen mit älteren(!) Vorbildern aneignen kann. Wichtig für einen kleinen Menschen ist dabei das Eingebundensein in alltägliche Tätigkeiten. Das Dabeisein in der Gemeinschaft, in die er hineingeboren wurde, mittun und mithelfen dürfen, wann immer, mit wem auch immer und wo überall das möglich ist, nährt seine Zugehörigkeit zum lebendigen Leben – nicht die Isolierung in einer Gruppe Gleichaltriger.

In der Praxis heißt das für Eltern, ihren Alltag so auszurichten, dass das kleine Kind mit seinen Interessen und seinem Beobachtungsbedürfnis darin Platz wie auch Ruhe und Zeit findet, um ins Tun kommen zu können.

Denn die Entwicklung hin zu einem eigenständigen und verantwortungsvollen Erwachsenen ist keine forcierte, sondern eine, die auf Rückhalt und Orientierung basiert und sich in kleinen Schritten und im selbstbestimmten Streben des kleinen Menschen offenbart.

Lini Lindmayer, * 1984, siebenfache Mama, Autorin, Entwicklungs- und Familienbegleiterin, Doula und Stillberaterin war u.a. Vorreiterin für »Windelfrei« und »authentisches Elternsein« in Österreich.

www.authenticparenting.at

www.windelfrei.at

Literatur und weitere Weblinks

Bronsky, Alina/Wilk, Denise. Die Abschaffung der Mutter. DVA, 2016

Juul, Jesper. Wem gehören unsere Kinder? Beltz Verlag, 2017

Lindmayer, Lini. Geht‘s auch ohne Schule? Edition Riedenburg, 2016

Neufeld, Gordon/Maté, Gabor. Unsere Kinder brauchen uns. Genius Verlag, 2015

Wild, Rebeca, Mit Kindern leben lernen. Beltz Verlag, 2016

www.neufeldinstitute.de

www.kindergartenfrei.org

Isabell Melzer

Fremdbetreuung darf sich nicht fremd anfühlen

Isabell ist Mutter mit Leib und Seele und von Anfang an. Trotzdem muss sie erst eine Lebenskrise bewältigen, um den gutbezahlten Job mit einer Tätigkeit zu tauschen, die sie wirklich inspiriert. Sie wird Tagesmutter – bedingungslos. Denn sie möchte Kindern ein Zuhause geben.

Die ersten Jahre des Lebens meines Kindes sind kostbar, das war für mich kristallklar. Es gab für mich keine andere Option, als immer präsent und haltgebend für meine Kinder da zu sein. Gesegnet mit einer inneren Weisheit, dass das Band zwischen Mutter und Kind nicht künstlich und gewaltvoll getrennt werden darf, plante ich mein Leben wie selbstverständlich zum Wohle der Kinder. Ihre Bedürfnisse wurden meine Bedürfnisse. So blieben wir eins. Das kleine Wesen wurde zuerst gestärkt in seinem Willen, bevor der langsame Prozess der Abnabelung, je nach Tempo des Kindes, liebevoll begleitet, begann. Bis dahin dauerte es aber bei jedem Kind individuell unterschiedlich lange.

Mein zweitgeborener Sohn Nico benötigte mich ganze zweieinhalb Jahre komplett und vollkommen ohne Pause. Er nährte sich mit meinen Lebenskräften, so dass er nach dieser intensiven Zeit selbstbewusst und klar kommunizierte, dass er jetzt bereit sei für den Kindergarten. »Mama, ich kann jetzt in den Kindergarten gehen, ohne dass du dabei bist«, sagte er damals völlig unbeirrt zu mir. Bis dahin musste er sich aber noch ein halbes Jahr gedulden. In diesen sechs Monaten verbrachten wir eine schöne Vorkindergartenzeit, die wir beide, gelöst voneinander, nochmal ganz anders als die Zeit zuvor erleben konnten. Für mich war es schön mit anzusehen, wie selbstbewusst und mutig er in der Krabbelgruppe auftaute oder sich auf dem Spielplatz, ohne zurückzuschauen, von mir entfernen konnte. Der Kindergarteneintritt war ein Leichtes für ihn. Schon beim Hinlaufen am Morgen war klar, dass ich mich an der Garderobe von ihm verabschieden sollte und ihn dann später mit seinem Bruder zusammen abholen durfte. Er konnte sich mit seinen drei Jahren schon sehr gut und gewählt ausdrücken. Seine Bedürfnisse und Empfindungen in Worte zu fassen, war damals schon eine faszinierende Begabung von ihm. Auch heute sagt er klar, was er denkt und fühlt, und oft schafft er es auch, die Empfindungen seines Bruders Luca zu formulieren, dem diese Kommunikation häufig sehr schwer fällt.