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Beschreibung

Muttersein: Die ärgste und schönste Sache der Welt Mutterschaft ist ein Thema, dem bisher (vor allem von der Literaturkritik) wenig Achtung und Beachtung geschenkt wurde. Doch seit einiger Zeit melden sich Autorinnen vermehrt zu Wort und rücken das Thema zu Recht in den Fokus, schließlich ist es das grundlegendste und kontroverseste Thema unserer Zeit. Teresa Bücker, Sandra Gugić, Andrea Grill uvm. haben sich auf vielfältige Weise mit dem Mutterwerden und Muttersein auseinandergesetzt. Wie wird frau zur Mutter? Welche Erwartungen werden an die Mutterrolle gestellt? Wie gehen Mütter mit Fremdbestimmung um? Welche Freiheiten nehmen oder erkämpfen sie sich? Und wie sieht eigentlich gleichberechtigte Elternschaft aus? Ein Buch, das beglückt und wehtut, das wütend und mutig macht, aber vor allem eines zeigt: Mutter sein ist die ärgste, schwierigste, intensivste und schönste Sache der Welt. Mit Beiträgen von Helena Adler, Lene Albrecht, Katja Bohnet, Teresa Bücker, Nava Ebrahimi, Andrea Grill, Sandra Gugic, Franziska Hauser, Simone Hirth, Gertraud Klemm, Elena Messner, Lydia Mischkulnig, Barbara Peveling, Verena Stauffer "Das Schreiben ist eine Übung im Rabenmuttersein, ich versinke in meiner Arbeit, blende alles andere aus, auch das Rauschen und Klacken aus dem Babyphon." Sandra Gugić

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 217

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Barbara Rieger (Hg.)

MUTTER WERDEN.MUTTER SEIN.

Autorinnen über die ärgsteSache der Welt

Copyright © Leykam Buchverlagsgesellschaft m.b.H. Nfg. & Co. KG, Graz – Wien 2021

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Geneh migung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Christine Fischer

Satz und Typografie: Annalena Weber

Unter Verwendung von shutterstock.com / OliaGraphics,

Gabriyel Onat und Mary Long

Lektorat: Tanja Raich

Korrektorat: Alexandra Dostal

Gesamtherstellung: Leykam Buchverlag

www.leykamverlag.at

ISBN 978-3-7011-8217-6

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Kulturabteilungder Stadt Wien, das Land Niederösterreich,das Land Steiermark und das Land Kärnten.

INHALT

VORWORT

BARBARA RIEGER

Das Natürlichste der Welt

FRANZISKA HAUSER

Wechseljahre treffen auf Pubertät, treffen auf Lockdown und erinnern an Mauerfall

KATJA BOHNET

Meine Mutter, die Serienmörderin

SANDRA GUGIĆ

Blut, Milch, Digitale Tinte

TERESA BÜCKER

Ist es radikal, ein Kind ohne Partner zu bekommen?

LENE ALBRECHT

Eine gute Frau

ELENA MESSNER

Brief an eine muttergewordene Schriftstellerin

GERTRAUD KLEMM

Sind das Ihre?

ANDREA GRILL

Bist du bereit, ein Held zu sein?

LYDIA MISCHKULNIG

Für Mutter mit Hirn

BARBARA PEVELING

Maske

HELENA ADLER

Nesteln

NAVA EBRAHIMI

Vor dem Morgengrauen

VERENA STAUFFER

Leben

SIMONE HIRTH

Wir wollen was. Ein Manifest

AUTORINNEN

VORWORT

Was bedeutet es heute, Mutter zu werden und Mutter zu sein? Welche Geschichten werden von und rund um Mutterschaft erzählt, welche gesellschaftlichen und persönlichen Ansprüche an die Mutterrolle gestellt? Und wie lässt sich Mutterschaft mit dem Schreiben, mit dem Beruf der Autorin, verbinden?

Im vorliegenden Band setzen sich fünfzehn Autorinnen auf persönliche, essayistische und literarische Art und Weise mit diesen und anderen Fragen rund um Mutterschaft auseinander.

Lesen Sie Kurzgeschichten, in denen Mütter und andere Personen, die Care-Arbeit verrichten, die Hauptrolle spielen. Lesen Sie über Geburt, Adoption und über die Möglichkeiten, alleine ein Kind zu bekommen. Lesen Sie über Blut, Milch, digitale Tinte, über Fleisch, das härter als Stahl ist, und fragen Sie sich, ob Sie bereit sind, ein Held zu sein. Lesen Sie eine Laudatio an eine Mutter, einen Brief an eine muttergewordene Schriftstellerin und ein Manifest der Mütter, die nicht schweigen.

Egal, ob Sie Mutter sind, es werden oder niemals werden wollen oder können – die Beiträge in diesem Band werden Sie berühren, aufwühlen und zum Nachdenken anregen. Denn Mutter sein ist die ärgste, die schwierigste, intensivste und schönste Sache der Welt!

Barbara Rieger, Juni 2021

Barbara Rieger

DAS NATÜRLICHSTE DER WELT

Was wir in der Schule gelernt haben: wie viele Samenzellen sich auf den Weg machen zu einer, zur einzigen Eizelle, wenn überhaupt.

Was wir später gelernt haben: Unsere Fruchtbarkeit nimmt im Lauf des Lebens ab.

Worüber wir sprechen, ohne Namen zu nennen: wie viele es wollen, versuchen, alles versuchen müssen, wie viel es kostet, wie oft es nicht klappt, bis es klappt, vielleicht.

Was wir uns fragen: wie das gehen soll mit einem Kind, mit mehreren Kindern, knapp hintereinander, wie das früher gegangen ist.

FRÜHER ist das doch auch gegangen, das Natürlichste der Welt, wir denken Schnapsschnuller, wir denken: Schreien stärkt die Lunge.

Wir hören in unserem Kopf: DAS HABEN SCHON ANDERE VOR UNS GESCHAFFT.

Was ich wissen will: ob mein Körper das kann, ob das WIRKLICH funktioniert mit den Spermien und den Eizellen, der einen Eizelle, ob ich die eine Hälfte meines Lebens ein Aufeinandertreffen verhindern und es dann zulassen, es darauf anlegen kann, und falls sie wirklich aufeinandertreffen, OB.

Was ich nur aus Filmen, aus Büchern kenne, BIS JETZT: zwei Streifen auf einem Schwangerschaftstest. UND: Ich rauche meine letzte Zigarette, ich kaufe mir mein erstes Buch ÜBER.

Was wir hören, DANN: Man sieht ja noch gar nichts! Der Bauch ist aber ganz schön klein! Der Bauch ist aber ganz schön groß! Sorry, wenn ich das sage, aber die Brüste sind riesig! Du musst jetzt für zwei essen. ODER: bloß nicht für zwei essen, das bekommst du nie wieder los.

Was wir denken: Wir haben zugenommen, wir haben JETZT SCHON so viel zugenommen, wir fühlen uns dick, blad, fett, wie eine Matrone, ein Walross ODER: weiblich und schön.

Was wir uns sagen: Wir werden später wieder rauchen, nach der Geburt zünde ich mir eine an, irgendwann wieder trinken. (Wir hören: Ein Glas schadet schon nicht. Wir lesen: Jede noch so kleine Menge schadet Ihrem Kind.) Bald können wir wieder die Katze streicheln, die Katzenkiste putzen, bald können wir wieder Rohkäse und Rohwurst essen UND.

Was niemand sagt: wie gut der frische Rauch von Zigaretten noch immer riecht, wie sehr der abgestandene Rauch, der Atem eines Rauchers stinkt, wie intensiv das Bier, das wir nicht trinken dürfen, riecht und wie grauenhaft alkoholfreies Bier schmeckt. Wie lange neun Monate sind und dass die anderen weiterleben wie bisher, UND.

Wir leben LÄNGST unseren persönlichen Lockdown, wir erleben SCHON BALD eine neue Normalität, wir denken: was für ein Timing.

Was noch niemand weiß, was wir lesen, was wir hoffen: dass die Krankheit wahrscheinlich eher nicht auf Säuglinge im Mutterleib übertragen wird. Dass das Gesundheitssystem nicht gerade dann kollabiert, wenn wir es nutzen MÜSSEN, wir denken über eine Hausgeburt nach, FALLS.

UND: Wir recherchieren, wir telefonieren, wir informieren uns über Gelder, die wir beziehen, über Modelle, wie wir zu Hause bleiben können, wir recherchieren, wir telefonieren, wir informieren uns und blicken nur langsam, sehr langsam, wir blicken IN WAHRHEIT niemals wirklich ganz durch, IN WAHRHEIT blickt niemand durch: So einen Fall hatten wir noch nie, hören wir, wenn wir erklären, dass DER VATER den Großteil der Karenz in Anspruch nehmen will. Dass du dich das traust, hört der werdende Vater von seinen Kollegen. Das hätte ich auch gerne gemacht, hört der werdende Vater von seinen Freunden, und dein Arbeitgeber macht da mit?

Was wir alles mitmachen: die vorgeschriebenen Untersuchungen, vorgeschrieben für den Erhalt der Bezüge, für Sie und Ihr Kind kostenlos, lesen wir und wundern uns (später, viel später) über den SELBSTBEHALT. Die freiwilligen Untersuchungen, ebenfalls kostenlos. Die empfohlenen pränatalen Untersuchungen (ab 35: RISIKOSCHWANGERSCHAFT!), wenn wir sie uns leisten können, leisten wollen, PRÄNATALDIAGNOSTIK, was würden wir tun, WENN. Wir lernen (schon vor Corona), was FALSCH POSITIV heißt. Die Geburtsvorbereitungskurse, sofern sie noch stattfinden, ONLINE zum Beispiel, wir üben Gebärpositionen, vor dem Laptop zu Hause auf der Couch. Und – natürlich! – mindestens eine der vielen SCHWANGERSCHAFTSBESCHWERDEN, es soll nichts Schlimmeres passieren.

Was sie uns fragen: ob uns übel ist. Wir antworten, dass uns gar nicht, nur ein bisschen, ODER dass uns die ganze Schwangerschaft über übel ist, dass wir die ganze Schwangerschaft über kotzen müssen, wir erzählen von der Müdigkeit:

Ich bin so müde, dass ich PAUSEN machen muss. Ich gehe aber noch laufen. Wirklich? Bis zur zwanzigsten Woche, WARUM NICHT? Wir lesen: Vermeiden Sie gefährliche Sportarten, drei Tage vor der Geburt fahre ich mit dem Rad – mit dem Rad?! – ins Freibad, fahre mit dem Rad vom Freibad nach Hause, fahre durch ein Gewitter, die Reifen über den rutschigen Wurzeln, Bäume, die neben mir umfallen, mit STOSSGEBETEN trete ich in die Pedale, denke (später, als ich wieder trocken bin, als ich überlebt habe):

Meine Mutter kam mitten im Krieg zur Welt.

Was wir noch mitmachen: eine kleine Komplikation (natürlich!) kurz vor dem Ende, zum Beispiel ein WACHSTUMSSTOPP, wir googeln nicht, wir googeln das sicher nicht, wir telefonieren mit der Frauenärztin, wenn das Kind nicht mehr wächst, dann deutet das darauf hin, dass es schlecht versorgt wird, wir telefonieren mit der Hebamme, wenn Sie ständig messen, werden Sie etwas finden, wir fahren jeden zweiten Tag ins Krankenhaus zur Kontrolle, wir kennen alle Ärzte, Kinder wachsen in Schüben, sagt der eine, wenn es bis zum nächsten Mal nicht wächst, dann müssen wir einleiten, sagt der andere, Sie sind heute schon die Vierte mit Wachstumsstopp, sagt der nächste, wir kennen alle Schwestern, wir kennen die Leute hinter den Glasscheiben und die, die uns eine frische Maske überreichen, wir kennen den Weg ins Krankenhaus, wir wissen genau, wo der KREIßSAAL liegt!

Was wir nicht in der Schule gelernt haben: was Übungswehen, was Vorwehen, was Senkwehen sind, wie es nach unten zieht, wie der SCHLEIMPFROPFEN! – wie die verschiedenen Phasen der Geburt heißen, wie sich ein Baby durch das Becken schrauben muss, dass die Fruchtblase nicht unbedingt platzt, dass es GLÜCKSHAUBEN gibt, wir denken an Katzen, wir sehen der Katze dabei zu (früher), wie sie dreimal mit dem Hintern hin und her, wie sie die Fruchtblase aufbeißt und wegschleckt, die Nabelschnur durchbeißt, die Katze weiß genau, was sie zu tun hat, wir hören in unserem Kopf: Hat sie schon geworfen?

Wir sollen den Geburtstermin nicht verraten, haben wir gelesen, SONST.

Was wir nicht alles über die Schmerzen hören: Das sind SCHON GANZ GSCHEITE Schmerzen, wir hören, dass wir die Schmerzen danach vergessen werden, sonst würde keine Frau je ein zweites Kind bekommen, wir hören, die Schmerzen seien mit nichts vergleichbar, aber zwischen den Schmerzen seien wir high, KÖRPEREIGENE DROGEN, ich denke: endlich wieder ein Rausch. Wir hören, wir könnten (ZUMINDEST!) dem Wort den Schmerz nehmen, wir könnten aus Wehen Wellen machen, wir könnten auf Wellen surfen, Wellen werden wie eine Urgewalt über, unter, in uns, zwischen den Wellen die Ebbe, zwischen den Wellen sollen wir entspannen, ganz wichtig, Kraft tanken, durchatmen bis zur nächsten Wehe, Welle, whatever, denke ich, und dass ich mir sicher keine PLAYLIST für die Geburt machen, dass ich sicher keine Entspannungsmusik hören werde, wenn dann:

HEAYY METAL.

Was uns keiner gesagt hat: dass die Wehen zwar anfangen wie Menstruationsschmerzen –

– wir denken, dass die Hälfte der Menschen, mehr als die Hälfte der Menschen nicht weiß, wie sich Menstruationsschmerzen anfühlen, ich sage: ein Ziehen in der Gebärmutter, in den Eierstöcken, Eileitern, ein Ziehen also vorne im Bauch, ein Ziehen im Innersten ODER, ich sage (leise): Menstruationsschmerzen (was für ein unpoetisches Wort!) sind Schmerzen an der Grenze zur Lust, ich sage (vorsichtig): Menstruationsschmerzen sind so ähnlich wie ein Orgasmus, ich frage mich (heimlich), ob bei mir etwas nicht stimmt –

Was uns keiner gesagt hat: dass die Wehen zwar anfangen wie Menstruationsschmerzen –

– wir erinnern uns, was wir gelernt haben: dass wir noch schlafen sollen, wenn es losgeht, noch ausruhen, dass wir alle Kraft brauchen werden. Ich erinnere mich am nächsten Tag, als die Wehen wieder weg sind, als ich angepisst bin, weil ich will, dass es endlich losgeht, weil ich finde, dass neun Monate lang, genau lang genug sind: Bei einigen stärkeren Wehen bin ich aufgewacht.

Was mir der Arzt sagt bei der Kontrolle: dass es bald losgehen wird (haha), dass er nicht glaubt, dass wir einleiten müssen (Bitte nicht!) und dass es gut gehen wird, weil ich so schlank bin (Wie bitte?!). Wie bitte?, frage ich. Dass es gut gehen wird, weil ich so schlank bin, wiederholt der Arzt, ich bin zu erschöpft, um nachzufragen, ABER.

Was ich denke: dass er mich aufschneiden will, meine DÜNNE Bauchdecke, meine Gebärmutter, dass ich nicht bei Bewusstsein sein will, wenn sie mich aufschneiden HINTER EINEM VORHANG, dass ich keine Vollnarkose will, wie meine Mutter bei meiner Geburt, dass der Mann in diesem Fall, dass in meinem Fall zumindest der Mann das BONDING übernehmen kann, übernehmen soll, muss, habe ich gelesen, und dass eine Geburt nicht PLANBAR ist, AUSSER.

Was wir wissen: dass manche von uns lieber gleich einen Kaiserschnitt – WEIL.

Was uns, was mir also keiner gesagt hat: dass die Wehen zwar anfangen wie Menstruationsschmerzen, dass dann aber alles ANAL wird, ein Gefühl aufs Klo zu müssen, eine Verstopfung, es steckt, ich gehe wieder und wieder aufs Klo, nichts kommt, die Hebamme empfiehlt einen EINLAUF, ich sitze auf dem Klo, es kommt fast nichts, ich sitze auf dem Klo, als die Wehen wieder losgehen, die Wehen in Wellen, ich versuche noch einmal zu schlafen, ALLE KRAFT, so eine Geburt kann dauern, wache auf, weil die Wehen, die Wellen über meinem Kopf, über mir, in mir zusammenschlagen, ich laufe durchs Haus wie vor einem Monat die Katze, ich stöhne.

Was ich von meinem Mann höre: Ich glaube, wir sollten fahren.

Was ich antworte: Es ist noch nicht schlimm. Es ist erst der Anfang. Ich muss aufs Klo. Ich habe Hunger.

Was wir schon gehört haben: dass manche Frauen vor der Geburt einen Einlauf wollen, damit der Kot nicht zugleich mit dem Kind – SCHERZ, weil es ihnen unangenehm ist, wenn sie während der Geburt kacken, unangenehm vor den anderen, habe ich gedacht. Was bei mir wieder rauskommt, OBEN: das Essen. Was wir gelernt haben: dass man ins Krankenhaus fahren soll, wenn die Wehen regelmäßig alle fünf Minuten kommen.

JEDE GEBURT IST ANDERS, ABER.

Was wir gelernt haben: dass die Wehen im Krankenhaus häufig wieder aufhören, im Auto schon alle zwei Minuten, im Krankenhaus wieder Pause, ein Urinstinkt, das Krankenhaus ist der Säbelzahntiger, vor dem wir auch während der Geburt flüchten können müssen, sonst wären wir schon AUSGESTORBEN, der Säbelzahntiger ist ein kleiner Aufnahmeraum, der Säbelzahntiger ist ein CTG, der Säbelzahntiger piepst piepst piest, der Säbelzahntiger, das sind die drei anderen Frauen, die draußen (NICHT!) schreien, die Ärzte, die ein und aus gehen und kritische Blicke auf das CTG werfen und ich: kann nicht flüchten.

Was die Hebamme sagt: Sie dürfen die Maske abnehmen.

Wie der Corona-Test war, werden sie mich fragen (später), ob es sehr unangenehm, JA, unangenehm, werde ich sagen, aber IM VERGLEICH ZU EINER GEBURT, ich werde lachen (später).

Was die Hebamme sagt: Die Herztöne des Kindes sind höher, als sie sein sollten.

Was mein Mann sagt (SPÄTER!): Die Wehen waren höher als die Skala am CTG.

Was die Hebamme fragt: Warum sind Sie so unruhig? Wie können Sie sich beruhigen? Sie müssen sich beruhigen, die Herztöne müssen runter, SONST.

Die Atmung, haben wir gehört, DIE ATMUNG, einatmen, haben wir gehört, und ausatmen, durch den Mund ausatmen, lange ausatmen, haben wir gehört, die Wehe ausatmen, durch die Wehe durchatmen, die Wehe wegatmen, UNMÖGLICH, ich werde mich erinnern (später), wie sehr ich mich konzentrieren muss, mit aller Kraft muss ich mich konzentrieren, trotz der Wehe ruhig zu bleiben, zu atmen, einatmen, ausatmen, einatmen, lange AUSATMEN, während mein Mann auf das CTG starrt, während es mir kalt über den Rücken läuft, wie ein Fieber, wie eine Vergiftung, werde ich sagen, wie damals bei der Lebensmittelvergiftung, werde ich erzählen (später), wie ein Kreislaufkollaps, denke ich in dem Moment, ganz ruhig atmen, bis die Welle vorbei ist und ich mich übergebe, das erste Mal auf den Boden und dann in die Nierenschüssel. Was die Hebamme sagt: dass bei Frauen, die sich übergeben, der Muttermund schneller aufgeht, ALSO: ganz ruhig bleiben, atmen, kotzen, atmen, kotzen, bis die Herztöne ruhig werden, bis die anderen Frauen entbunden haben, bis die Ärzte OK sagen zum CTG, es ABHAKEN. Ganz ruhig atmen, bis die Wanne wieder sauber, bis das Wasser warm ist. Ich muss aufs Klo, sage ich zum letzten Mal. Die Hebamme schüttelt den Kopf, die Hebamme wird zwischendurch, wird immer wieder den Kot, das Blut aus der Wanne fischen, später, wenn sie wiederkommt. Was sie sagt, bevor sie uns alleine lässt: Jammern Sie. Jammern hilft.

WIR WERDEN DIE SCHMERZEN VERGESSEN HABEN.

Was mein Mann mir erzählt, später: dass die andere Hebamme, die den Dienst um Mitternacht übernimmt, die Augen verdreht, als sie mich schreien hört, schreien sieht, meine Augen sind geschlossen, das Wasser ist warm, warm um mich in den Pausen, warm, ich floate, warm, das Dopamin, die Entspannung bis zur nächsten Wehe, Welle, SCHREIEN HILFT.

Die Zeit, haben wir gehört, wird schnell vergehen und gleichzeitig langsam, die Zeit vergeht in Wellen, ES WIRD EIN RAUSCH GEWESEN SEIN, der Muttermund, sagt die Hebamme nach einer Stunde, MEIN MANN SCHAUT AUF DIE UHR, der Muttermund ist zehn Zentimeter offen (das Maximum) und irgendwas mit PRESSEN, dass es ohne PRESSEN nicht geht, haben wir gehört, dass ich aufhören soll zu SCHREIEN, den Mund zumachen, höre ich, und nach unten pressen, NACH UNTEN PRESSEN, sagt die Hebamme, sagt mein Mann, ich will nicht, will nicht nach FUCKING unten pressen, RICHTUNG AFTER, sagt die Hebamme, ich will nicht Richtung After pressen, ich will überhaupt nicht pressen, ICH SCHAFF DAS NICHT, schreie ich, ES REISST, schreie ich, da reißt nichts, sagt die Hebamme, da ist alles GANZ WEICH, sagt die Hebamme, ganz weich, denke ich, fühlt sich ganz anders an, ABER: ICH PRESSE, schreie ich, ICH PRESSE JA SCHON, ICH PRESSE, wenn es sein muss RICHTUNG AFTER. Was wir gelesen haben: dass manche Frauen froh sind, wenn sie in der Austreibungsphase endlich pressen können. Was ich denke: einmal und nie wieder.

WIR WERDEN DIE SCHMERZEN VERGESSEN HABEN, SONST.

Dass die Wehen plötzlich zu kurz sind, hat mir niemand gesagt, und wie es sich anfühlt, als ich etwas spüre, eine Kugel, der Kopf, denke ich, der immer wieder nach vorn, der immer wieder zurück, ich presse, immer wieder nach außen, immer wieder nach innen, ich presse mit aller Kraft, ich denke, denke wörtlich: DAS GIBT’S JA NICHT. Ich gehe in die Hocke, DAS MUSS DOCH GEHEN, ich presse, ich höre die Hebamme sagen: ZUR GEBURT BITTE.

NA ENDLICH, denke ich, ich presse, NOCH EINMAL, GEHT’S NOCH EINMAL, ruft die Hebamme, warum sind die Wehen plötzlich so kurz, ich presse, noch einmal, noch einmal, schnell noch einmal, bevor die Wehe wieder, ich spüre den Kopf, die Wehe ist aus – AUFSTEHEN! – ich stehe, Wasser rinnt, eine Hand dort unten, eine Hand am Bauch, die Wehe kommt, ich presse, ES FLUSCHT AUS MIR HERAUS.

Dass Babys direkt nach der Geburt ganz wach sind, lese ich (früher oder später) und dass sie instinktiv nach der Brustwarze suchen.

Hallo, sage ich, hallo du!

Mach ein Foto, sage ich zu meinem Mann.

Danke, sage ich zur Hebamme.

Manche Frauen wissen genau, was sie zu tun haben, haben wir gelesen, habe ich gehört, sage ich zur Hebamme, zum Arzt (zur Geburt hat er kommen müssen), aber ohne Hilfe, ohne Anleitung, ohne Anfeuerung, sage ich, hätte ich es nicht so gut geschafft. Vom Trend zur Alleingeburt haben wir gehört, vom Urvertrauen in den eigenen Körper haben wir gelesen, ich habe mir aber im Internet keine Videos von allein im Wald gebärenden Frauen angeschaut, ich habe mir überhaupt keine Videos von gebärenden Frauen angeschaut, warum eigentlich nicht.

Was wir vor der Geburt gelernt haben: Dammriss, Dammschnitt, Dammmassage, GEBURTSVERLETZUNGEN, GENÄHTWERDEN, Heublumendampfbad, Himbeerblättertee. Ich höre die Hebamme sagen: Nichts ist gerissen, nur die Schamlippen sind aufgeschürft. Es wird ein bisschen brennen, später.

Ob er die Nabelschnur durchschneiden will, fragen sie meinen Mann.

Ob ich nochmal pressen kann, fragt die Hebamme, kein Problem.

Ob ich die Plazenta sehen will, sicher.

Dass die so groß ist, hat uns niemand gesagt. Dass manche sie mit nach Hause nehmen wollen, haben wir gehört, vergraben oder verkochen und essen, haben wir gehört, ein MUTTERKUCHEN.

Dass ich im Krankenhaus bleiben soll, eine Woche empfiehlt der Arzt, ich schüttle den Kopf, zumindest zwei Tage empfiehlt der Arzt, um eine Übertragung der Streptokokken auf das Baby auszuschließen (zum Beispiel), sonst müssen Sie in zwei Tagen wiederkommen.

Ob sie mir das Baby kurz abnehmen dürfen, fragen sie, OK.

Ob ich aufstehen kann, fragen sie, natürlich! Ich steige aus der Wanne, aus dem Kot, aus dem Blut, wie Daenerys Targaryen, First of her Name, the Unburnt, Queen of und so weiter nach ihrer ersten Feuertaufe, nur ohne Drachen, mein kleiner Drachen –

kleiner Schatz werden wir sagen, Spatzi werden wir sagen, kleine Maus und so weiter, später –

mein Baby, mein Kind, es wird gewogen, gemessen.

Was wir vor der Geburt gelernt haben: Jedes Baby bekommt eine Punktezahl, bekommt Punkte für die Herzaktion, die Atmung, die Hautfarbe, den Muskeltonus, die Reflexe, dass ich bei meiner eigenen Geburt fast gestorben wäre, denke ich NICHT MEHR, dass ich null Punkte hatte, NUR EIN WAAGRECHTER STRICH bei der Atmung und beim Muskeltonus, oder war es die Herzaktion, EIN WAAGRECHTER STRICH, eine REANIMATION, ein BRUTKASTEN, eine ZANGE, oder war es eine SAUGGLOCKE, wie so eine Saugglocke aussieht, werden sie uns gezeigt haben, JEDE GEBURT IST ANDERS, ihr habt das super gemacht, sagt die Hebamme, sie sagt das zu jeder Frau, denke ich später (viel später), ihr habt das wirklich super gemacht!, sagt die Hebamme noch einmal, dass sie recht hat (in jedem Fall recht hat), denke ich, als ich abgeduscht und angezogen unter der Decke, als das Baby gewaschen und gewickelt neben mir, auf mir, in meinem Arm, an meiner Brust, als ich, als wir im Krankenhausbett, als sie mich, als sie uns mit dem Bett auf die Geburtsstation, in ein Zimmer, als mein Mann gegangen ist. Ich muss noch Zähne putzen, sage ich, die Hebamme schüttelt den Kopf.

Was sie uns fragen (vorsichtig), nicht fragen: Und, wie war die Geburt?

Was sie sagen, FALLS: So genau hat mir das noch niemand erzählt!

Was sie uns nicht sagen, was sie uns sagen, was wir wissen, nicht wissen, was wir so oder so lernen müssen, was sie uns zeigen im Krankenhaus, wenn wir wollen: wie wir das Baby angreifen, wie wir das Baby anlegen, wie wir das Baby wickeln, wie wir das Baby baden, wie das Baby liegen, wie es schlafen soll – AM RÜCKEN! – wir bekommen Merkblätter für den sicheren Schlaf, wir lesen PLÖTZLICHER KINDSTOD, wir lesen, wir hören immer wieder STILLEN IST DAS BESTE FÜR IHR KIND. Wir bekommen Hilfe von netten Schwestern, wir wiederholen die neuen Wörter: KINDSPECH, KOLOSTRUM USW. Es kommt genauso viel Milch, wie der kleine Babymagen fassen kann, haben wir gelesen, lesen wir, wir bekommen Cremen, wir können gelasert werden, wenn wir wollen, wir können ein Fläschchen bekommen, wenn wir zu wenig Milch haben, sonst verlieren sie (unsere Babys!) immer mehr Gewicht und werden immer müder und schlafen beim Trinken ein und verlieren immer mehr Gewicht und werden noch müder, ein Teufelskreis bis zur GELBSUCHT und dann wieder BRUTKASTEN vielleicht, wir wollen nach Hause, zu unseren Männern, die (und nur die) nur einmal pro Tag für eine Stunde und niemals zugleich bei uns im Raum sein dürfen, wir haben noch Glück, in anderen Krankenhäusern zu einer anderen Zeit der Pandemie nur fünfzehn Minuten oder: GAR NICHT.

Dass zu viele und zu frühe Besuche uns junge Mütter stressen, haben wir gelesen (früher oder später), dass wir weniger Stillprobleme haben, weil wir weniger Besuch empfangen DANK Pandemie.

Wovon wir gehört haben: von Brustentzündungen – SCHLIMMER ALS WEHEN! – von Stillhütchen, wer braucht das bitte?!

Was ich sehe (später, zu Hause): BLUT aus dem Mund meines Babys und wie es sich anfühlt, DIE LÖCHER IN MEINEN BRUSTWARZEN, wir kaufen ZU SPÄT Stilleinlagen, wir kaufen Stillkompressen, wir kaufen am Ende die Stillhütchen, wir probieren verschiedene Heilsalben aus.

Wir hören: Es wird besser, genauso wie das Bauchweh, das Bauchweh, sagen sie, ist bei den Buben schlimmer, das Bauchweh geht nach drei Monaten vorbei, wie lange drei Monate sind, fragen wir uns, SCHREIBABYS, haben wir gedacht, haben immer nur die anderen. Die Muttermilch ist das Beste, hören wir immer wieder, aber unsere Muttermilch verursacht SCHMERZEN, die Verdauung ist noch nicht entwickelt, haben wir gelesen, ich denke: Evolution, DU BITCH.

Was wir lernen: Das Baby braucht den Busen, das Baby braucht uns, braucht die Mama, der Papa tut, was er kann (der Mann könnte zum Beispiel den Haushalt übernehmen, haben wir gelesen), der Papa hat keinen Busen, der Papa hat keine Milch, der Papa tut alles, was er kann, aber wir sind die Mama, wir wollten es wissen, wir wollten wissen, wie es ist, die Mama zu sein.

DAS IST BEI JEDER FRAU ANDERS, ABER:

Wir werden anfangen, von uns in der dritten Person zu sprechen. Wir werden unser Gesicht zu Grimassen verziehen, wenn wir mit dem Baby sprechen, unsere Stimme wird höher sein, die Hormone, lesen wir, werden uns helfen beim Schlafentzug, die Hormone werden abfallen, lesen wir auch, wir werden bluten, eine Woche lang, lesen wir, das Blut wird dann bräunlich werden und gelblich, der WOCHENFLUSS wird verebben, aber vielleicht wird es anders sein, JEDE FRAU IST ANDERS, vielleicht werden wir vier Wochen lang bluten oder fünf, vielleicht sogar sechs. Dann kann es Monate dauern, bis wir wieder bluten, hören wir. Auf die VERHÜTUNG werden wir hingewiesen, schon im Krankenhaus, von der Frauenärztin später, auch wenn Sie stillen, lesen wir überall, können Sie wieder schwanger werden.

Wir werden hören, dass in anderen Ländern kaum gestillt wird, dass die Frauen gleich wieder arbeiten gehen (DÜRFEN, KÖNNEN, MÜSSEN), dass auch bei uns nicht immer gestillt wurde, als die Babynahrung aufkam zum Beispiel, wir werden JETZT hauptsächlich hören, wie wichtig das Stillen, Mütter sollen ihre Neugeborenen nach Angaben der WHO auch bei vermuteter oder bestätigter Corona-Infektion stillen, wir werden hören, dass wir MINDESTENS! ein halbes Jahr stillen sollen (das Immunsystem!), aber auch nicht ZU LANGE, (drei Jahre, um wessen Bedürfnisse geht es da?), die Brustwarzen werden verheilen, das Bauchweh wird besser werden, wir werden stolz sein, wie viel Milch wir haben, wir werden uns schlecht fühlen, weil wir zu wenig Milch haben, wir werden stillen (mal sehen, wie lange), stundenlang stillen und unserem Baby dabei zusehen, wie es an der Brustwarze saugt, bis es zufrieden einschläft, alle Mütter können ihr Baby stundenlang ansehen. Wir werden finden, dass unser Baby das hübscheste ist, WEIL: Unser Baby wird das hübscheste sein.

Wir werden unserem Baby also stundenlang zusehen ODER: Wir werden während des Stillens auch mal ein Buch lesen ODER: Wir werden unserem Baby dabei zusehen, wie es an der Brustwarze reißt, und uns fragen, was los ist UND: Wir werden lernen, Dinge mit einer Hand zu tun, wir werden mit dem Fuß das Handy zu uns heranziehen und mit einem Finger der linken Hand Babyfotos verschicken, wir werden, wenn wir Glück haben, in der Nacht nur ein paar Mal aufwachen und Bauch an Bauch mit unserem Baby liegen und wieder einschlafen und wieder aufwachen, die Seite wechseln, wir werden das Baby mit unserer Decke zudecken, obwohl wir gelesen haben: Decken Sie das Baby auf keinen Fall mit der eigenen Decke zu.

Wir werden sofort TOTAL in die Mutterrolle hineinkippen oder langsam hineinwachsen oder für immer damit hadern, wir EGOISTINNEN, werden wir heimlich denken und verzweifeln, weil wir nie, fast nie, nie mehr, in zehn, zwanzig Jahren dann wieder, in Ruhe etwas zu Ende machen können, zumindest solange wir stillen, EINE SYMBIOSE haben wir gehört, wir werden nach anderen Müttern Ausschau halten, wir werden uns dann natürlich!