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Als Mythor in der durch ALLUMEDDON veränderten Welt zu sich kommt, ist er gehandikapt. Und erst das Duell mit seinem anderen Ich sorgt dafür, dass unser Held in seiner Ganzheit wieder ersteht. Damit beginnt Mythor in bekannter Manier zu handeln. Inseln des Lichts zu gründen und die Welt vor einer erneuten Invasion durch die Horden Xatans zu schützen, ist sein Ziel. Und dieses Ziel erreicht er im Drachenland. Kurz darauf macht sich Mythor auf die Suche nach Coerl O'Marn, dem alten Freund und Mitkämpfer. Er folgt dabei der Spur der Albträume. Amazonen von Vanga, die Gorgan erkunden, retten unseren Helden aus höchster Not und geben ihm Gelegenheit, das Land Ameristan zu erreichen, wo Licht und Finsternis ebenfalls im Widerstreit liegen. Der Kampf mit dem "Hüter des magischen Schatzes" führt schließlich dazu, dass Mythor den Helm der Gerechten wieder in seinen Besitz bringen kann. Und als Träger dieses Helms erlebt der Gorganer die "Geburt einer Legende" und erreicht die Rauhnacht, die Welt der Minke. Dort wird ein Kapitel des BUCHES DER ALBTRÄUME aufbewahrt und vor dem Zugriff der dämonischen Mächte geschützt. Doch der Schutzschild ist brüchig geworden - und Rauhnacht ist eigentlich nicht mehr als eine TRAUMWELT ...
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Nr. 173
Traumwelt
von Peter Terrid
Als Mythor in der durch ALLUMEDDON veränderten Welt zu sich kommt, ist er gehandikapt. Und erst das Duell mit seinem anderen Ich sorgt dafür, dass unser Held in seiner Ganzheit wieder ersteht. Damit beginnt Mythor in bekannter Manier zu handeln. Inseln des Lichts zu gründen und die Welt vor einer erneuten Invasion durch die Horden Xatans zu schützen, ist sein Ziel. Und dieses Ziel erreicht er im Drachenland.
Kurz darauf macht sich Mythor auf die Suche nach Coerl O'Marn, dem alten Freund und Mitkämpfer. Er folgt dabei der Spur der Albträume. Amazonen von Vanga, die Gorgan erkunden, retten unseren Helden aus höchster Not und geben ihm Gelegenheit, das Land Ameristan zu erreichen, wo Licht und Finsternis ebenfalls im Widerstreit liegen.
Der Kampf mit dem »Hüter des magischen Schatzes« führt schließlich dazu, dass Mythor den Helm der Gerechten wieder in seinen Besitz bringen kann. Und als Träger dieses Helms erlebt der Gorganer die »Geburt einer Legende« und erreicht die Rauhnacht, die Welt der Minke.
Dort wird ein Kapitel des BUCHES DER ALBTRÄUME aufbewahrt und vor dem Zugriff der dämonischen Mächte geschützt. Doch der Schutzschild ist brüchig geworden – und Rauhnacht ist eigentlich nicht mehr als eine TRAUMWELT ...
Hana – Eine Träumerin von Raonacum.
Mythor – Der Gorganer auf dem Weg zum Mink-Palast.
Ilfa, Sadagar und Azor – Mythors Begleiter.
Udd Gevan – Erster Träger des Helms der Gerechten.
Trillum
Langsam kehrte Hana in die Wirklichkeit zurück. Die Traumbilder verblassten, und sie verlor auch den Kontakt zu den übrigen Träumern, die ihre Arbeit fortsetzten.
Zu keiner Zeit durften nach den alten Regeln alle Träumer eine Rast einlegen. Es war vorgeschrieben, dass bei Tag und Nacht stets eine Gruppe darüber zu wachen hatte, dass dem Land Rauhnacht und seinen Bewohnern keine Gefahr drohte. Die Aufgabe, die an Wichtigkeit alles andere übertraf, durfte unter gar keinen Umständen vernachlässigt werden.
Hana stand auf und verließ den Raum, in dem sie ihren Pflichten nachgegangen war.
Es war sehr still in diesem Teil des Traumlands. Der dichte Pflanzenwuchs dämpfte alle Geräusche, auch das unaufhörliche Brausen des Feuers der Zeit, das einen großen Teil des Landes begrenzte. Auch von Lebewesen war nichts zu hören. Tiere gab es in den weitläufigen Gärten nicht, und Menschen hatten keinen Zutritt.
In völliger Abgeschiedenheit gingen die Träumer ihrer wichtigen Aufgabe nach. Wichtig war allein die Arbeit, die Hana und ihre Kollegen zu verrichten hatten. Die Existenz nicht nur des Landes Rauhnacht hing davon ab. Hana wusste: Das Schicksal der Welt und all ihrer Bewohner lag nicht zuletzt in den Händen und Gedanken der Träumer von Rauhnacht.
Völlig begriffen hatte Hana die Bedeutung ihrer Aufgabe nicht. Es genügte ihr zu tun, was von ihr erwartet wurde. Freundliche, einlullende, besänftigende Träume für jene zu schaffen, die damit für harte Arbeit belohnt werden sollten. Albtraumhafte Schöpfungen für all jene, die sich erfrechten, die Heiligkeit des Ortes zu stören oder gar danach trachteten, in den Palast einzudringen, dessen Geheimnis zu schützen die Träumer und alle anderen Bewohner Raonacums verpflichtet waren.
Hana hielt sich ein wenig fern von den Blüten des Gartens, die leise die bunten Köpfe wiegten. Die schillernden Kelche waren geöffnet, im Innern waren die goldfarbenen Blütenfäden zu sehen, deren Staub für Hanas Arbeit so wichtig war.
Immer wieder kam es vor, dass die Einbildungs- und Schöpfungskraft eines Träumers nachließ, und dann war es üblich, den betäubenden Duft einer dieser Blüten einzuatmen. Danach waren die Träumer wieder imstande, die herrlichsten Träume hervorzurufen. Es galt allerdings unter den Träumern als Ehrensache, zu diesem Hilfsmittel so selten wie möglich zu greifen, und Hana hatte in den letzten Wochen des Öfteren ihre Zuflucht im Traumgarten gesucht.
Ihre Kräfte ließen nach, obwohl Hana noch jung an Jahren war. Hana kannte den Grund für diesen Verschleiß. Er hieß Langeweile.
Es gab wenig zu tun für die Träumer, was über alltägliches Einerlei hinausging. Nur selten sahen sie andere Geschöpfe, und wenn sich die Träumer von Raonacum untereinander trafen, dann kreisten die Gespräche um Träume. Hana war es leid, Erfahrungen auszutauschen, und der seltsame Brauch, die Beträumten künstlich zu verwirren und ihnen kleine Streiche zu spielen, fand sie albern. So war es kein Wunder, wenn ihre Tage in eintöniger Gleichförmigkeit verstrichen. Tag für Tag, Nacht für Nacht war sie damit beschäftigt, anderen süße oder schreckliche Träume zu bescheren, ohne etwas daran tun zu können, ihre eigenen Träume zu entwickeln.
Seit einigen Jahren hatte Hana schon nicht mehr für sich selbst geträumt, stets war sie dazu gezwungen gewesen, die Geschöpfe ihrer Vorstellungskraft nach ihrem Willen zu gestalten und durchzuformen, damit sie ihren Zweck erfüllten. Hanas Leben war unglaublich inhaltsarm geworden, aber die uralte Überlieferung ihrer Kunst verbot es ihr, lange darüber nachzudenken.
Immer schon war das Leben der Träumer so abgelaufen, wie Hana es kannte und erlebt hatte, auch in dieser Generation würde sich daran nichts ändern. Es würde so weitergehen bis ans Ende aller Zeiten. Hana summte ein Lied aus längst vergangenen Äonen. Es handelte von den Dingen, die ihr verwehrt waren – es erzählte von Sehnsucht und Liebe, von unbeschwertem Leben, Sonnenschein und Kindern.
Der kleine Trick half nicht.
Wider Willen wurde Hana an Dinge erinnert, die sie zu vergessen suchte.
Es hatte Unruhe gegeben im Lande Rauhnacht. Hana hatte es gesehen, denn in dem Traum, aus dem sie gerade erwacht war, hatte sie wieder einmal den Lauf des Sgitor in ihrem Geist verfolgt. Am Tor musste etwas geschehen sein, irgendwelche Eindringlinge schienen die magischen Sperren und andere Hindernisse überwunden zu haben. Allem Anschein nach hatten es diese Unbekannten fertiggebracht, die Traumgespenster zu überlisten, die das Traumland gegen unerwünschte Besucher abschirmten.
Hana schüttelte lächelnd den Kopf.
»Hirngespinste«, beruhigte sie sich selbst. Es durfte keine Eindringlinge geben, folglich gab es auch keine. In den vielen Generationen, die Rauhnacht schon bestand, war es nicht einem einzigen Geschöpf, lebend oder magisch erzeugt, gelungen, in den so sorgsam bewachten Teil des Landes einzudringen. Warum sollte sich das ausgerechnet in diesen Tagen ändern?
Wieder lächelte Hana.
Sie hätte es schön gefunden, hätte es jemand geschafft, die Sperren zu überwinden. Natürlich wäre dieser Jemand gefangen worden, denn tatsächlich überlisten konnte die Träumer von Raonacum niemand, das stand für alle Zeiten fest. Aber es wäre ein wenig Abwechslung im Einerlei des Lebens gewesen, und in den wenigen wachen Augenblicken ihres Lebens spürte Hana ein großes Verlangen nach Aufregung und Abenteuern, nach Dingen, Geschehnissen und Menschen, die den üblichen Trott durchbrachen.
Vielleicht war der Eindringling ein Mann, jung und wohlgestalt, der Hana aus der fast mönchischen Einsamkeit ihres Dienstes befreite und das Tor zu einem neuen Leben aufstieß ...?
Hana schüttelte traurig den Kopf.
Damit war nicht zu rechnen. Ihr Schicksal war vorgezeichnet von dem Tag an, da sie ihren Dienst als Träumerin angetreten hatte. Seither waren ihre Gedanken und Gefühle Bestandteil der nimmerruhenden Gemeinschaftsseele aller Träumer, die das Land Raonacum für alle Zeiten von der Welt und ihren dunklen Mächten abschloss.
Gedankenverloren pflückte Hana eine der Blüten und hielt sie in der Hand. Sie spürte ein wenig von dem verlockenden Duft der Pflanze, und sie hütete sich, diese Dämpfe einzuatmen. Die seltsamen Pflanzen, die es in jedem Traumgarten gab, schienen für Hana manchmal ein ähnliches Leben zu führen wie die Träumer selbst. Auf unbegreifliche, geheimnisvolle Art und Weise schienen sie miteinander in Verbindung zu stehen, außerdem hatten sie allem Anschein nach eine überaus feine Wahrnehmung für alles, was im Lande Rauhnacht geschah.
In schwierigen Zeiten, in denen die Träumer stark beschäftigt waren, brachten die Pflanzen eine Traumblüte nach der anderen hervor. Gab es weniger zu tun, wurde die Vielfalt der Blüten geringer. Jetzt schienen die Traumpflanzen gar von Unruhe befallen.
Hana spürte ein feines Kribbeln in der Handfläche, die die Blüte einschloss, und der Anblick des Gartens, der sich ihr bot, ließ an einen Windstoß denken, der über das Land fegte. Es gab keinen Wind in diesem Teil der Welt, und Hana spürte, wie der Schrecken nach ihr griff.
Hinter ihr erklangen Schrittgeräusche. Hana schrak zusammen und fuhr herum. In einer unwillkürlichen Geste streckte sie die Hand mit der Traumblüte darin der Gestalt entgegen, die vor ihr aufgetaucht war. Es war ein Reflex, der ihr als Schutz diente. Wer als Ungeübter die Düfte einer solchen Blüte einatmete, war gegen deren Wirkung völlig machtlos. »Lass das!«, sagte der Ankömmling.
Hana spürte ihr Herz schneller schlagen.
Auch wenn sie die Gestalt noch nie gesehen hatte, wusste sie doch auf den ersten Blick, dass sie einen Traumbewahrer vor sich hatte. Zu sehen war ein silbern schimmernder Helm, umrahmt von strahlenartigen Zacken. Von diesem Helm ging eine dunkle, schützende Aura aus, die den ganzen Körper des Traumbewahrers wie ein Mantel umgab.
Hana war sofort alarmiert.
Sie wusste, dass es seit den Tagen des Udd Gevan Traumbewahrer gab, die Kontrollgänge im Lande Rauhnacht durchführten. Seit langem war kein Traumbewahrer mehr gesehen worden, es konnte also nur ein sehr schlechtes Vorzeichen sein, wenn Hana nun Besuch von einem solchen Wesen bekam.
Ohne Umschweife kam der Traumbewahrer zur Sache.
»Ich bin unzufrieden«, sagte er mit einer Heftigkeit, die Hana erschütterte. Obwohl sie sich keines eigenen Fehlers erinnerte, fühlte sie sich schuldbewusst und wurde vom schlechten Gewissen geplagt.
»Sehr unzufrieden«, fuhr der Traumbewahrer fort. Er machte eine weit ausholende Geste, die das ganze Land Raonacum zu umschreiben schien.
»Aber warum nur?«, fragte Hana verwundert. »Es ist nichts geschehen.«
»Pah«, machte der Traumbewahrer. »Das ist es ja. Ihr habt es nicht einmal bemerkt, dass sich die Mächte der Finsternis nach Rauhnacht geschlichen haben.«
Bei der Vorstellung, dass der Traumbewahrer mit diesem Verdacht recht haben könnte, empfand Hana Grauen.
»Es kann nicht sein«, behauptete sie dennoch. »Wir hätten es merken müssen.«
»Ihr habt es nicht bemerkt«, hielt ihr der Traumbewahrer barsch entgegen. »Ihr seht wohl nur nach vorn und vergesst, was in eurem Rücken vorgeht.«
»Was sollte dort sein?«, fragte Hana erschüttert. »Alles verläuft in geordneten, geregelten Bahnen.«
»Die Mächte des Dunkels sind längst nach Rauhnacht eingesickert«, sagte der Traumbewahrer ernst. »Niemand hat es bemerkt, niemand hat Alarm geschlagen. Ihr habt versagt.«
»Und wo sollte diese dunkle Macht sein?«, fragte Hana. Nun war sie es, die mit einer ausholenden Gebärde über das Land wies.
»Dort, wo sie unter gar keinen Umständen hingelangen durfte«, entgegnete ihr Gegenüber. »Im Mink-Palast hat sich das Böse eingenistet. Und da ich dir glaube, dass ihr Träumer das nicht bemerkt habt, gibt es für mich nur eine Erklärung. Sie heißt – Verrat.«
Hana schüttelte sich. Die Vorstellung, einer ihrer Traumkollegen könnte die gemeinsame Sache verraten haben, noch dazu an den Gegner aus dem Dunkel, bereitete ihr Entsetzen.
»Das kann nicht sein«, stieß sie heftig hervor. Die Traumblüte in ihrer Hand zerbröckelte und fiel auf den Boden.
»Es ist so, und es gibt unwiderlegbare Beweise dafür. Zu Hunderten fallen Minke aus Rauhnacht zur Welt Vangor. Jemand pflückt sie gleichsam wie reife Früchte.«
»Jemand?«, fragte Hana eingeschüchtert. Der Traumbewahrer nannte einen Namen, dessen Klang allein ausreichte, Hana schaudern zu lassen.
»Trillum«, sagte der Namenlose im Gewand des Traumbewahrers. »Der Dreischreck.«
Hana schluckte heftig.
»Er handelt im Auftrag«, fuhr der Traumbewahrer fort, und es klang wie ein Vorwurf, der sich unmittelbar an Hana zu richten schien. »Im Dienst einer höheren Macht der Finsternis ist er dabei, das an sich zu reißen, was wir in Rauhnacht für alle Zeiten sicher bewahrt glaubten.«
Hana senkte den Kopf.
»Das BUCH DER ALBTRÄUME«, flüsterte sie.
»Das erste Kapitel«, schränkte der Traumbewahrer ein. »Aber das ist schrecklich genug. Warum habt ihr dagegen nichts unternommen?«
»Wir wussten es nicht«, antwortete Hana zaghaft.
»Ihr hättet es wissen müssen. Das war eure Aufgabe. Ihr habt die Kontrolle über die Wächter des Mink-Palasts verloren, anders ist es nicht zu erklären, dass Trillum bis ins geheimste Herz von Rauhnacht vordringen konnte.«
Die Stimme des Traumbewahrers nahm einen beschwörenden Ton an.
»Ihr müsst euch anstrengen, diesen Feind zu finden, in eurem eigenen Interesse. Unter gar keinen Umständen darf Trillum, der Dreischreck, das erste Kapitel des BUCHS DER ALBTRÄUME an sich reißen. Die Folgen wären unvorhersehbar, auf jeden Fall aber schrecklich. Rauhnacht selbst ist bedroht, und damit alle Geschöpfe, die hier leben.«
»Wie bedroht?«, fragte Hana eingeschüchtert. Die Antwort des Traumbewahrers ließ für keinen Zweifel, keine Hoffnung mehr Raum.
»Tödlich«, sagte er rau. »Ich werde jetzt gehen und zusehen, was ich ausrichten kann, um eure Versäumnisse wieder aus der Welt zu schaffen. Warne du die anderen Träumer. Ihr habt nicht mehr viel Zeit, das Verhängnis aufzuhalten. Mach das den anderen klar. Und sag ihnen auch, dass ich den Verräter in ihren Reihen finden werde, und bei der Suche nach ihm werde ich nicht rücksichtsvoll sein.«
»Ich werde es weitergeben«, versprach Hana beeindruckt. Sie senkte betroffen den Kopf, und als sie wieder aufsah, war der seltsame Gast verschwunden. Nur eine zertretene Traumblüte auf dem Boden erinnerte noch an ihn.
»Grässlich«, murmelte Hana. »Ein Verräter unter den Träumern?«
Gedankenverloren schritt sie weiter. Der Keim des Verdachts, in ihre Gedanken gelegt, ließ üppige Triebe wachsen. Hana versuchte durch Nachdenken herauszufinden, welcher der Träumer mit dem Dreischreck zusammenarbeiten konnte, und kaum einer der Gefährten war so makellos, dass ihn dieser Verdacht nicht treffen konnte.
Kleinigkeiten, sonst nie wahrgenommen, bauschten sich auf. Wie eine Geschwulst fraß sich der Verdacht in Hanas Seele, bis sie den Druck nicht mehr zu ertragen vermochte.
Sie tat, was sie in solchen Fällen immer zu tun pflegte. Sie tat es, ohne lange nachzudenken. Sie pflückte eine der Blüten, die sich ihr geradezu entgegendrängten und führte den Kelch an das Gesicht.
Hanas Körper krümmte sich. Zum ersten Mal seit jenem Tag, an dem sie in die Traumschule aufgenommen worden war, hatte sie wieder einen unkontrollierten Traum, und das Bewusstsein, einer inneren Macht hilflos ausgeliefert zu sein, entsetzte sie. Aber sie hatte keine Möglichkeit, sich gegen die Bilder zu wehren, die langsam und quälend deutlich aus ihrem Innern aufzusteigen schienen.
Ein winziger Gegenstand war es, der zuerst ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie stand auf einer langen Straße, von hohen Bäumen gesäumt, deren Wipfel sich unter dem von Norden hereinströmenden Wind beugten und krümmten. Feinkörnigen Sand trug der Wind über die Straße, und Hana spürte, wie die kleinen Körner über ihr Gesicht schrammten. Der Wind ließ ihre Haare flattern; sie waren feucht, und jeder Windstoß schlug ihr die langen Strähnen schmerzhaft gegen die Wangen. Sie nahm davon nur wenig wahr.
Wie gebannt waren ihre Augen auf den Gegenstand gerichtet, der unscheinbar auf dem Boden lag.
Er sah auf den ersten Blick aus, wie ein verkleinertes Abbild ihrer selbst – eine handspannengroße menschenähnliche Gestalt mit langen, verflochtenen Haaren. Hana bückte sich. Sie streckte die Hände aus und nahm den kleinen Körper auf.
Was sie in der Hand hielt, war ein Neugeborenes, ein Menschenkind, aber es hatte viel zu früh den schützenden Leib der Mutter verlassen. Und dieser Körper war gläsern. Hana konnte die Muskeln sehen, jeden einzelnen Strang. Sie sah die feinen Gliedmaßen, sie sah das Blut pulsieren. Die Haare, die sie zu sehen geglaubt hatte, waren, wie sie erschreckt feststellte, nichts anderes als die Nabelschnur, die zusammengeschrumpelt und halb vertrocknet am Körper herabhing.
Der Körper in ihrer Hand war kalt und starr. Hätte Hana das winzige Herz im Innern des durchschimmernden Leibes nicht schlagen sehen können, hätte sie das Traumgebilde für eine Art Puppe halten können. So aber wusste sie, dass sie ein Neugeborenes in der Hand hielt.
Das Geschöpf gab keinen Laut von sich. Hart, wie steif gefroren, lag es in ihrer Hand. Der Schädel, seltsamerweise proportioniert wie bei einem Erwachsenen, war haarlos. Hana sah die Augen der gläsernen Puppe. Sie waren sehr klein und sehr schwarz. Von dieser Schwärze schien ein seltsamer Sog auszugehen, der Hana ergriff und immer mehr heranzog an diese Augen, die größer und größer wurden, bis sie alle Proportionen sprengten und auf Hana wirkten wie Seen, in die sie hineinzustürzen drohte.
Hana stieß einen Schrei aus.
»Neeiinnn!«