N - Gerhard Ertl - E-Book

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Gerhard Ertl

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Beschreibung

Er ist häufig und knapp zugleich: Mit jedem Atemzug gelangt er in unsere Lungen und doch begrenzte er lange Zeit das pflanzliche Wachstum und hielt so die Zahl der Menschen auf niedrigem Niveau. Es dauerte bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges, ehe sich die Menschheit aus der Stickstofffalle befreien konnte. Fritz Haber und Carl Bosch erfanden ein Verfahren, mit dessen Hilfe der Stickstoff der Luft gebunden werden konnte, und brachten damit den Kunstdünger in die Welt. Was als Siegeszug begann, endete Jahre später allerdings in einer wahren Stickstoffflut, die bis heute Gewässer umkippen lässt, den Klimawandel befeuert und in Form von Nitrat im Trinkwasser auftaucht. Der neueste Band der Stoffgeschichten gibt dem gleichermaßen unsichtbaren wie unterschätzten Stoff ein Gesicht, indem er seine Geschichte erzählt und die Umweltprobleme diskutiert, die er heute mit sich bringt.

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Gerhard Ertl, Jens Soentgen (Hrsg.)
N
Stickstoff - ein Element schreibt Weltgeschichte
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
NStickstoff – ein Element schreibt Weltgeschichtein der Reihe ›Stoffgeschichten‹
© 2015 oekom verlag MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Christoph Hirsch, Laura Kohlrausch, beide oekom verlag; Manuel Schneider, oekom e.V.; Jens Soentgen, Katrin Vogel (beide WZU Augsburg)Umschlagabbildungen: Picture Alliance (Vorderseite), iStockphoto (Rückseite)Autorenfotos Rückseite: Gerhard Ertl © privat; Jens Soentgen © Dr. Jianwei Gu
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-86581-950-5
Wir danken der Klaus Tschira Stiftung gGmbH,dem Carl Bosch Museum gGmbH, Heidelbergsowie der Universität Augsburg für die Förderung dieser Publikation.
Stoffgeschichten – Band 9
Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e.V.
Herausgegeben von Prof. Dr. Armin Reller und Dr. Jens Soentgen
Die Dinge und Materialien, mit denen wir täglich hantieren, haben oft weite Wege hinter sich, ehe sie zu uns gelangen. Ihre wechselvolle Vor­geschichte wird aber im fertigen Produkt ausgeblendet. Was wir an der Kasse kaufen, präsentiert sich uns als neu und geschichtslos. Wenn man seiner Vorgeschichte nachgeht, stößt man auf Überraschendes und Er­staunliches. Auch Verdrängtes und Unbewusstes taucht auf. Gerade am Leitfaden der Stoffe zeigen sich die Konflikte unserer globalisierten Welt.
Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt. Sie sind die oftmals widerspenstigen Helden, die eigensin­ni­gen Protagonisten unserer Geschichten. Ausgewählt und dargestellt werden Stoffe, die gesellschaftlich oder politisch relevant sind, Stoffe, die Geschichte schreiben oder geschrieben haben. Stoffgeschichten erzählen von den Landschaften, von den gesellschaftlichen Szenen, die jene Stoffe, mit denen wir täglich umgehen, durchquert haben. Sie berichten von den globalen Wegen, welche viele Stoffe hinter sich haben.
»N« ist der neunte Band der Reihe. Reaktiver Stickstoff ist der Motor allen biologischen Wachstums; in der Natur ist er jedoch knapp. Durch das Haber-Bosch-Verfahren kann er seit 1913 im Überfluss hergestellt werden. Kaum eine andere Erfindung hat eine ähnliche Tragweite: Fast die Hälfte der Weltbevölkerung müsste hungern oder verhungern, wenn die Haber-Bosch-Anlagen abgeschaltet würden. Während der reaktive Stickstoff so einerseits via Kunstdünger zur Ernährung der Menschheit beiträgt, beschleunigt er andererseits das Artensterben. Die Stickstoffbelastung zählt heute zu den drängendsten globalen ökologischen Problemen. Produktives und Destruktives sind damit in der Geschichte des Stickstoffs eng verbunden – sie führt uns direkt zu brisanten politischen Problemen unserer Gegenwart.
Gerhard Ertl, Jens Soentgen (Hrsg.)
Einleitung
Kapitel 1- Der Stickstoff und das Leben
Primo Levi
Stickstoff
Armin Reller
Im Reich der Sinne
Jens Soentgen und Josef Cyrys
Dicke Luft
Achim Müller und Dieter Rehder
Biologische Stickstofffixierung: Grundlagen, Geschichte und Bedeutung
Jörg Matschullat, Richard Vogt und Martin Wessels
Stickstoff ist grün – Eutrophierung auch
Jörg Matschullat und Bianca Fiedler
Die himmlische Stickstoffmaschine
Kapitel 2 - Salpeter
Jens Soentgen
Die Bluttaufe des Salpeters: Über die vorindustrielle Herstellung einer Machtsubstanz
Rainer Slotta
Chilesalpeter – bis 1913 unersetzlich: Bergbau, Aufbereitung und Export
Helmut Hammerich
»Papa erfindet jetzt zur Abwechslung neue Mordgeschoße …« – Baron Fuchs und die Entwicklung der Brisanzmunition vor dem Ersten Weltkrieg
Katrin Vogel
Raketen für Regen: Das Boonbangfai-Festival im Nordosten Thailands
Kapitel 3 - Stickstoff im Überfluss - das Haber-Bosch-Verfahren
Jens Soentgen
Fritz Haber
Gerhard Ertl
Der mühsame Weg zum Haber-Bosch-Prozess und dessen Mechanismus
Sabine König
Carl Bosch
Sandro Fehr
Stickstoff als Schlüsselressource im Ersten Weltkrieg
Frank Uekötter
Fruchtbare Böden: Vom Suchen und Finden des Stickstoffdüngers
Kapitel 4 - Perspektiven
Alexander H. Wissemeier
Können neue, innovative Düngemitteltypen das moderne Stickstoffproblem lösen?
Hugh S. Gorman
Wie kann der menschliche Anteil am Stickstoffkreislauf begrenzt werden?
Anhang
Grüner Klee und Dynamit: Der Stickstoff und das Leben – eine interaktive Wanderausstellung über Politik, Technik und Ökologie
Bianca Flock und Hayo Hauptmann
Experimente rund um Stickstoff
Zu den Autorinnen und Autoren
Bildnachweis

Einleitung

N ist ein bekannter Buchstabe, 96 Prozent der Deutschen kennen ihn. In den Schulbüchern wird N meist mit Nashorn bezeichnet; später beschreibt man ihn oft mit der Wendung »N wie Nordpol«. Jeder hat seine eigene Lerngeschichte mit den schönen Bögen des kleinen n, die den Jungen oft schwer fallen und von den Mädchen mit Lust am Verzieren ausgeschmückt werden. Später verabschieden sich viele wieder vom Buchstaben N, weil er für handschriftliche Notizen entbehrlich scheint, und ziehen an der Stelle des kleinen n einen kühnen Strich.
Für den Chemiker hat N eine besondere Bewandtnis. Hier steht der Name für Nitrogenium. Deutsch: Stickstoff. Das sind zwei seltsame Namen, beide klingen nicht sehr attraktiv. Ein Stoff, der stickt? Das hört sich nicht sehr spannend an. Was hat es mit dem Stickstoff auf sich?
Viele kennen das chinesisch-asiatische Gleichnis von den fünf Blinden, die einen Elefanten untersuchen um herauszufinden, was er ist. Der Blinde, der das Bein befühlt, sagt, dass der Elefant eine Säule sei; der den Schwanz befühlt, dass ein Elefant eine Art Seil sei; der den Rüssel befühlt, dass ein Elefant Ähnlichkeit mit einem Ast habe; der das Ohr befühlt erklärt, dass ein Elefant wie ein Handfächer sein müsse; der den Bauch befühlt meint, dass ein Elefant sich wie eine Wand darstelle; der den Stoßzahn befühlt, ist sicher, dass ein Elefant eine Lanze sein müsse.
Ganz Ähnliches trug sich zu, als die Elemente entdeckt wurden. Denn ein Stoff wie Stickstoff, der den Kreislauf des Lebens von innen her antreibt, steht wie ein gigantischer Elefant in der Natur. Diejenigen Chemiker, die den Stickstoff am Ende des 18. Jahrhunderts isolierten, wussten aber nichts von der enormen biologischen Bedeutung dieser »Luftart«. Sie waren wie jene Blinden. So nahmen sie die erste beste Eigenschaft für das Ganze. Sie sagten: In diesem Zeug, da kann man nicht atmen, eine Maus erstickt darin, nennen wir es also Stickstoff. Oder gar azote – »leblos«, wie der Stickstoff im Französischen heißt. Das ist dasselbe, als würde man den Elefanten »Seiltier« nennen, weil eben sein Schwanz an ein Seil erinnert.
Der Stickstoff hat damals also einen falschen Namen bekommen oder jedenfalls einen einseitigen Namen. Dieser Name ist verwirrend: Lebensstoff wäre passender.
Die Stickstoffchemie ist ähnlich variantenreich und komplex wie die Kohlenstoffchemie. Stickstoff ist der Motor allen biologischen Wachstums, und eigentlich ist er überreichlich vorhanden, denn unsere Luft besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff. Doch diesen können wir biologisch nicht verwerten, wir atmen ihn ein und wieder aus, ohne dass irgendetwas passiert: Nur der ebenfalls in der Luft enthaltene Sauerstoff wird vom Blut aufgenommen. Dennoch ist auch der Stickstoff für das Leben unverzichtbar.
Der atmosphärische Stickstoff existiert in Form von zweiatomigen Molekülen, in denen die beiden N-Atome durch die stärkste chemische Bindung zusammengehalten werden. Diese Bindung kann in der Natur nur durch sehr hohe Temperaturen (»Luftverbrennung«), durch Blitze oder durch Bakterien aufgebrochen werden. Bestimmte Bakterien sind dank eines bestimmten Enzyms, der Nitrogenase, in der Lage, Luftstickstoff chemisch zu binden und damit biologisch verfügbar zu machen. Etliche Pflanzen, wie etwa der Klee, die Luzerne oder auch die Erle, leben mit solchen Bakterien in einer nützlichen Symbiose. Diese Symbiose ist die wesentliche Quelle für das natürliche Vorkommen von reaktionsfähigem Stickstoff.
Erst wenn der Luftstickstoff chemisch gebunden wird, gelangt er in den Kreislauf des Lebens. Wo Stickstoff im Boden fehlt, da entwickeln sich Pflanzen nur kümmerlich; typische Zeichen für Stickstoffmangel sind gelbe Blätter – denn auch das Blattgrün, das die Pflanzen für die Photosynthese brauchen, ist eine Stickstoffverbindung. Mistdüngung wurde und wird seit Jahrtausenden mit Erfolg betrieben, sie schaufelt aber den biologisch verwertbaren Stickstoff nur um, schafft jedoch keinen neuen. Erst im 18. Jahrhundert wurde zu diesem Zweck in größerem Umfang Klee gezielt angebaut. Mit dieser Maßnahme begann der Mensch, in den Stickstoffkreislauf aktiv einzugreifen – er förderte eine Pflanze, die ihrerseits durch die mit ihr kooperierenden Bakterien in der Lage ist, Luftstickstoff zu binden und in den Lebenskreislauf zu bringen. Eine erfolgreiche Maßnahme – denn mehr Stickstoff im Boden ermöglicht größere Ernten.
Doch die so erzielte Steigerung reichte nicht. Bis in die Neuzeit konnte den Pflanzen der für ihr Wachstum erforderliche Stickstoff noch in einem natürlichen Kreislauf über die Zersetzung anderer Pflanzen oder über animalische Ausscheidungen als Dünger zugeführt werden, während der menschliche Bedarf sich neben der Ernährung auf die Erzeugung von Schießpulver aus Salpeter erstreckte. Hierbei handelt es sich um Nitrate – wiederum im Endeffekt biologischen Ursprungs –, die aus Böden und vor allem natürlichen Lagerstätten (z. B. »Chilesalpeter«) gewonnen werden können.
Als im 19. Jahrhundert aufgrund der Industrialisierung die Weltbevölkerung und damit auch der Nahrungsbedarf stark zu wachsen begannen, zeichnete sich ein Mangel an Stickstoffdünger ab. In der Tat erschien an der Wende zum 20. Jahrhundert eine »Ernährungskrise« am Horizont, die der heutigen »Umwelt- und Energiekrise« in nichts nachsteht. Angesichts der steigenden Bevölkerung in Europa und Nordamerika warnte der englische Chemiker William Crookes in einer berühmten Rede vor der British Association for the Advancement of Science im Jahre 1896 vor Hungersnöten in Europa. Er formulierte das »Weizenproblem«, das »wheat problem«: »England and all civilized nations stand in deadly peril of not having enough to eat«, warnte er und präsentierte sogleich die Rettung: »It is the chemist who must come to the rescue of the threatened communities.« In ähnlicher Weise äußerte sich 1905 der bedeutende deutsche Chemiker Wilhelm Ostwald in einem Zeitungsartikel mit dem Titel: »Stickstoff. Eine Lebensfrage«. Eine technische Lösung des Problems wurde durch verschiedene Ansätze in Angriff genommen. Erfolg hatte schließlich der Karlsruher Chemiker Fritz Haber, dem es 1909 gelang, im Labor nennenswerte Mengen von Ammoniak, NH3, aus den Elementen Stickstoff und Wasserstoff, N2 + H2, unter Zuhilfenahme eines Katalysators zu erzeugen. Die Umsetzung in einen großtechnischen Prozess erfolgte bei der BASF dann umgehend durch die Chemiker Carl Bosch und Alwin Mittasch, sodass bereits im September 1913 die Produktion begonnen werden konnte. Die erste Ammoniakanlage nahm am 9. September 1913 in Oppau (Ludwigshafen) ihre Produktion auf. Sie synthetisierte etwa zehn Tonnen Ammoniak pro Tag und sicherte den Düngemittelnachschub für Deutschland, ein Jahr später auch den Schießpulverbedarf des deutschen Heeres. Denn nicht nur die Äcker benötigen reaktiven Stickstoff, auch die Heere sind ohne ihn nahezu wehrlos, denn reaktiver Stickstoff in Gestalt von Nitraten (die sich aus Ammoniak gewinnen lassen) ist bis heute der bei Weitem wichtigste Treib- und Sprengstoff aller sogenannten konventionellen Waffen. Das Haber-Bosch-Verfahren beeinflusste damit zwar nicht das Ergebnis, wohl aber den Verlauf des Krieges, weil ohne die industrielle Ammoniakproduktion den Deutschen schon 1915 das Pulver ausgegangen wäre.
Allerdings bestand die ursprüngliche Intention der Erfinder nicht darin, Waffen, sondern Brot zu schaffen. Dies gelang ihnen auch, und darin liegt die langfristige und entscheidendere Bedeutung des Haber-Bosch-Verfahrens. Heute stehen auf allen Kontinenten Haber-Bosch-Anlagen. Wenn die Produktion von Stickstoffdünger heute eingestellt werden würde, müsste einer allgemein anerkannten Schätzung zufolge etwa ein Drittel der Weltbevölkerung verhungern! In seinem Testament hatte der schwedische Industrielle Alfred Nobel bestimmt, dass der nach ihm benannte Preis an diejenigen vergeben werden soll, die »der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben«. Unter diesem Gesichtspunkt hat kaum jemand den Nobelpreis mehr verdient als Fritz Haber, dem er 1919, unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs (trotz internationaler Proteste wegen seiner umstrittenen Rolle während des Krieges), auch verliehen wurde.
Heute produzieren Menschen dank Haber-Bosch mehr reaktiven Stickstoff als alle natürlichen Prozesse an Land. Doch nur 30 Prozent des auf Äcker ausgebrachten Stickstoffs werden von den Pflanzen aufgenommen. Der große Rest verteilt sich im Boden, in Gewässern und in der Luft. Auch die Düngemittelproduktion hat ihre Schattenseiten: Der Feststellung des Paracelsus zufolge »Ein jed’ Ding ist ein Gift« führten eine Überdüngung der Böden und der Eintrag stickstoffhaltiger Verbindungen in die Abwässer zu ernsthaften Umweltschäden. Empfindliche Ökosysteme werden durch das Stickstoffüberangebot förmlich erstickt. Dies ist, über 100 Jahre nach dem Erfolg der Haber-Bosch-Synthese, das neue Stickstoffproblem. Das globale Überangebot von biologisch verfügbarem Stickstoff verändert global die Umwelt, wirkt sich aber vielerorts auch lokal erheblich aus, wenn etwa Grundwasserbrunnen immer tiefer gebohrt werden müssen, weil die höheren Grundwasserschichten mit Nitrat verunreinigt sind. Schließlich soll noch erwähnt werden, dass in den Abgasen von Autos und Industrieanlagen schädliche Oxide des Stickstoffs enthalten sind, deren Beseitigung wiederum erheblichen Aufwand erfordern.
All diese Faktoren unterstreichen den Titel dieses Buches: »Stickstoff – ein Element schreibt Weltgeschichte«. Diese »Weltgeschichte« wird hier von Forschern und Fachleuten erzählt, und zwar so, dass sie nicht nur für Fachleute interessant und verständlich wird. Denn N, dieser überall vorhandene und doch geheimnisvolle Stoff, geht uns alle an.
Seine Geschichte zeigt an einem herausragenden Beispiel, dass wir durch chemische und technische Innovationen Grenzen aufheben können. Vor 1913 war der reaktive Stickstoff in der Natur knapp. Heute kann er in fast unbegrenzter Menge hergestellt werden, sofern genug Energie vorhanden ist. Aber diese unbegrenzte Produktion führt zu Nebenwirkungen. Die Geschichte des N lehrt, dass wir uns selbst Grenzen setzen müssen, wenn wir die natürlichen Grenzen verschoben haben.
Zum Aufbau des Buches
Das Buch beginnt mit einem berühmten Text – mit der Geschichte »Stickstoff« aus Primo Levis Werk »Das Periodische System«. Der Text erzählt eine kurze, heitere Episode aus dem Leben des Chemikers Levi und lässt zugleich einige wichtige Motive anklingen, die unser Buch weiter ausführen wird.
Das erste Kapitel widmet sich dann dem Zusammenhang von Stickstoff und Leben. Fünf Texte von Naturwissenschaftlern zeigen den Stickstoff aus ungewohnter Perspektive. Armin Reller schnuppert zunächst auf einem asiatischen Nachtmarkt Gerüchen und Aromen hinterher und geht von dort einigen grundlegenden Zügen der Stickstoffchemie nach. Den Autoverkehr als Stickstoffquelle behandelt der Beitrag von Jens Soentgen und Josef Cyrys. Die Chemiker Achim Müller und Dieter Rehder gehen auf die biologische Stickstofffixierung ein, die von Bakterien mit einem Enzym namens Nitrogenase geleistet wird. Dieses Enzym bringt das Kunststück fertig, bei normalen Temperaturen und gewöhnlichem Luftdruck die äußerst stabile Dreifachbindung des Luftstickstoffs aufzubrechen und diesen biologisch verfügbar zu machen. Die Nitrogenase hat damit nicht nur für die ganz wenigen Bakteriensorten, welche über dieses Enzym verfügen, eine nützliche Funktion, sondern darüber hinaus für die gesamte lebende Natur. Denn die Nitrogenase war bis zur Erfindung des Haber-Bosch-Verfahrens das Nadelöhr, durch das alle Luftstickstoff-Moleküle gingen, die als chemisch gebundener Stickstoff für biologische Funktionen in Dienst genommen wurden. Blitzschläge, mit denen sich der folgende Beitrag von Jörg Matschullat und Bianca Fiedler befassen, sind eine weitere relevante, wenn auch weit weniger bedeutende Stickstoffquelle. Durch das Haber-Bosch-Verfahren hat der Mensch seit rund 100 Jahren ein weiteres Nadelöhr bereitgestellt, das inzwischen zu einem mächtigen Tor ausgeweitet wurde. Mit diesem Verfahren, das im dritten Kapitel dieses Buches im Einzelnen in seinem Kontext dargestellt wird, greift der Mensch so intensiv wie durch keinen zweiten industriellen Prozess in die globale Ökologie ein. Das hat neben den erwünschten positiven Wirkungen wie der Steigerung der Ernten auch problematische ökologische Wirkungen, die Jörg Matschullat, Richard Vogt und Martin Wessels in ihrem Beitrag über Eutrophierung darstellen.
Salpeter, mit dem sich das zweite Kapitel des Buches befasst, ist eine Form chemisch gebundenen Stickstoffs. Er kann zur Düngung verwendet werden, ist aber zugleich geeignet für die Bereitung von Sprengstoffen und Treibladungen. Salpeter kristallisiert in weißen Nadeln und kommt auch in der Natur vor, zum Beispiel als Ausblühung von Höhlenwänden. Auch im Humus ist er enthalten – mal mehr, mal weniger. Salpeter ist der Hauptbestandteil des Schießpulvers und damit eine für die Militärgeschichte zentral wichtige Substanz. Zunächst war er ein »erneuerbarer Rohstoff«, denn Salpeter wurde regelrecht gepflanzt und geerntet. Damit betraut waren die sogenannten Salpeterer, die Jens Soentgen in seinem Beitrag vorstellt. Die Epoche der Salpeterer wurde abrupt durch die Entdeckung großer Salpeterlagerstätten an der südamerikanischen Pazifikküste Anfang des 19. Jahrhunderts beendet. Das Salpeterwaschen lohnte sich nicht mehr; Europa und Amerika importierten Chilesalpeter. Dessen Geschichte ist Rainer Slotta vor Ort nachgegangen. Abschließend berichtet Katrin Vogel vom Raketenfest Boonbangfai in Thailand. Heute wie seit Hunderten von Jahren werden in manchen Orten Thailands selbstgebaute Raketen in den Himmel geschossen. Auch in Europa war die zivile Feuerwerkerei neben der militärischen Nutzung für sehr lange Zeit die wichtigste Verwendungsform des Salpeters.
Das Haber-Bosch-Verfahren, dem sich das dritte Kapitel des Buches widmet, erzeugt zunächst Ammoniak. Aus diesem können aber durch weitere Verfahren leicht die anderen Stickstoffverbindungen gewonnen werden, insbesondere der Salpeter. Die beiden Erfinder werden von Sabine König bzw. Jens Soentgen vorgestellt. Gerhard Ertl erläutert die Grundlagen des Haber-Bosch-Verfahrens: Was geschieht an der Oberfläche des Katalysators? Denn neben Druck und Temperatur ist der besondere Katalysator gewissermaßen das Geheimnis dieses Verfahrens. Helmut Hammerich zeigt anhand eines historischen Beispiels die Entwicklung neuer Sprengstoffe und erläutert deren strategische Bedeutung am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Die »Salpeterfrage« des Ersten Weltkriegs und die Rolle des Haber-Bosch-Verfahrens für den Verlauf des Krieges untersucht Sandro Fehr. Frank Uekötter betrachtet den Streit um die Einführung der Mineraldüngung und stellt diesen in einen historischen Kontext.
Den Abschluss des Buches bilden Perspektiven: Wie geht die Stickstoffgeschichte weiter? Alexander Wissemeier stellt in seinem Beitrag einige technisch-chemische Düngeoptionen zur Diskussion. In den USA, die zu den globalen Hot Spots des Düngemitteleinsatzes zählen, sind die Probleme und Nebenwirkungen der industrialisierten Landwirtschaft und des Kunstdüngers besonders sichtbar. Aber auch Lösungen werden hier entwickelt, die vielleicht anderenorts Vorbildcharakter haben können, wie der Umwelthistoriker Hugh Gorman darlegt. Dabei geht es um strategisch aufeinander abgestimmte Natur- und Umweltschutzmaßnahmen und veränderte Düngungspraktiken. Zum guten Schluss folgen ein Hinweis auf die Stickstoffausstellung des Carl Bosch Museums und des Wissenschaftszentrums Umwelt sowie einige Experimente, die ohne professionelle Ausrüstung auskommen und die Bianca Flock und Hajo Hauptmann vorstellen. Denn die Kenntnis des Stoffes aus erster Hand ist die wichtigste Voraussetzung für die Gestaltung unserer Zukunft mit dem Stickstoff.
Gerhard Ertl und Jens Soentgen

Kapitel 1Der Stickstoff und das Leben

Primo Levi1
Stickstoff
… und endlich kam der Kunde, von dem wir immer geträumt hatten, der Kunde, der von uns beraten werden wollte. Beratung ist die ideale Arbeit, sie bringt Ansehen und Geld, ohne daß man sich die Finger schmutzig machen, sich totarbeiten oder sich der Gefahr aussetzen muß, geröstet oder vergiftet zu werden: Man braucht nur den Kittel auszuziehen, eine Krawatte umzubinden, sich stillschweigend und aufmerksam das Problem anzuhören und kommt sich vor wie das Orakel von Delphi. Dann muß man die Antwort gut abwägen und in feierlich-gewundene, verschwommene Worte kleiden, damit der Kunde einen ebenfalls für ein Orakel hält, das seines Vertrauens und der von der Chemikerordnung festgelegten Tarife würdig ist.
Der erträumte Kunde war um die Vierzig, klein und dick, er trug ein Schnurrbärtchen à la Clark Gable und hatte an allen möglichen Stellen schwarze Haarbüschel – in den Ohren, in den Nasenlöchern, auf dem Handrücken und auf den Fingern fast bis zu den Nägeln hin. Er roch nach Parfüm, glänzte von Pomade und sah vulgär aus: wie ein Zuhälter oder besser ein Schmierenkomödiant, der einen Zuhälter spielt; oder wie ein Vorstadtbeau. Er erklärte mir, er besäße eine Kosmetikfabrik und hätte Ärger mit einer bestimmten Art Lippenstift. Gut, sollte er ein Muster bringen: Aber nein, erwiderte er, es sei ein besonders kniffliges Problem, das an Ort und Stelle untersucht werden müßte; besser, einer von uns käme zu ihm, so könnten wir uns ein Bild machen von der Kalamität. Morgen um zehn? Morgen.

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