Nachschrift zum Namen der Rose - Umberto Eco - E-Book

Nachschrift zum Namen der Rose E-Book

Umberto Eco

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Beschreibung

In der Nachschrift läßt Eco die Leser einen Blick hinter die Kulissen werfen. Er zeigt, daß hinter seinem großen literarischen Erfolg nicht die geniale Idee, sondern präzise Planung, Recherche und kombinatorische Phantasie stehen.

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Über das Buch

Wie kam es zu den denkwürdigen Ereignissen in der reichen Cluniazenserabtei, von denen Adson uns im »Namen der Rose« berichtet? Eco rollt den Fall sozusagen von hinten auf: der Leser sieht dem Autor über die Schulter, wie dieser das Labyrinth der Bibliothek entwirft, die Morde plant, Chroniken studiert, Pläne zeichnet, mit William von Baskerville diskutiert und Spuren auslegt, die ein paar verdächtige Mönche errötend wieder erwischen. Die verschiedenen Handlungsstränge und Bedeutungsebenen miteinander zu verknüpfen und die fiktive Welt real zu machen, ist, wie Eco vorführt, kein genialer Wurf, sondern genauer Plan, Recherche und kombinatorische Phantasie. Eco erzählt von Adsons Eigensinnigkeit und den Problemen der Maskierung, von schlechten Kriminalromanen und idealen Lesern, von mittelalterlichen Dialogen und der Metaphysik des Kriminalromans. Nach der Lektüre der »Nachschrift« jedenfalls wird der Leser den »Namen der Rose erneut zur Hand nehmen und sich aufgrund der Indizien und Hinweise des Autors mit geschärftem Blick und neuem Spürsinn aufmachen in die Bibliothek der Abtei.

Umberto Eco

Nachschrift zum »Namen der Rose«

Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber

Carl Hanser Verlag

Rosa que al prado, encarnada,

te ostentas presuntüosa

de grana y carmín bañada:

campa lozana y gustosa;

pero no, que siendo hermosa

también serás desdichada.

sor Juana Inés de la Cruz*1

1»Ich sah einen Thron, der gesetzt war im Himmel, und auf dem Thron saß Einer, und Der Da Saß, war streng und erhaben anzusehen, die weitgeöffneten Augen blickten funkelnd auf eine ans Ende ihrer irdischen Tage gelangte Menschheit …« (Adson von Melk in Der Name der Rose, S. 57ff.)

Titel und Sinn

Seit ich den Namen der Rose geschrieben habe, bekomme ich häufig Briefe von Lesern, die wissen möchten, was der lateinische Schlußsatz bedeute und warum das Buch gerade ihm seinen Titel verdanke. Ich antworte hiermit: Es handelt sich um einen Hexameter aus De contemptu mundi*2 von Bernardus Morlanensis, einem Benediktiner des 12. Jahrhunderts, der über das Thema »Ubi sunt« variiert, wobei er den geläufigen Topos — »Wo sind sie, die Großen von einst, die ruhmreichen Städte, die schönen Damen? Alles schwindet dahin …« (oder wie es später Villon formulierte: »Mais où sont les neiges d'antan?«*3) — lediglich um den Gedanken erweitert, daß uns von all den verflossenen Herrlichkeiten nur nackte Namen bleiben. Ich erinnere daran, daß Abaelard den Satz »Nulla rosa est«*4 als Beispiel benutzte, um zu zeigen, wie die Sprache sowohl von vergangenen Dingen als auch von inexistenten sprechen kann. Damit überlasse ich es dem Leser, seine Schlüsse zu ziehen.

Ein Erzähler darf das eigene Werk nicht interpretieren, andernfalls hätte er keinen Roman geschrieben, denn ein Roman ist eine Maschine zur Erzeugung von Interpretationen. Doch eins der Haupthindernisse bei der Verwirklichung dieses noblen Vorsatzes ist gerade der Umstand, daß ein Roman einen Titel braucht.

Ein Titel ist leider bereits ein Schlüssel zu einem Sinn. Niemand kann sich den Suggestionen entziehen, die von Titeln wie Rot und Schwarz oder Krieg und Frieden ausgehen. Am meisten Respekt vor dem Leser bezeugen Titel, die sich auf den Namen des Helden beschränken, wie David Copperfield oder Robinson Crusoe, aber auch der Verweis auf die Hauptfigur kann eine ungebührliche Einmischung seitens des Autors sein, etwa wenn Balzac mit Vater Goriot die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Person des Alten lenkt, obgleich der Roman auch das Epos von Rastignac und von Vautrin alias Collin ist. Vielleicht sollte man ehrlich unehrlich sein, wie Dumas Père, der kein Hehl daraus macht, daß sein Roman Die drei Musketiere in Wahrheit die Geschichte des vierten erzählt. Aber dergleichen ist rarer Luxus, den sich ein Autor wohl nur aus Versehen erlauben kann.

Mein Roman trug zunächst den Arbeitstitel Die Abtei des Verbrechens. Ich habe ihn verworfen, denn er fixierte die Aufmerksamkeit des Lesers allein auf die Kriminalhandlung und war geeignet, bedauernswerte, ausschließlich auf harte Reißer erpichte Käufer zum Erwerb eines Buches zu verführen, das sie enttäuscht hätte. Mein Traum war, das Buch einfach Adson von Melk zu nennen. Ein sehr neutraler Titel, denn Adson war ja immerhin das Erzähler-Ich. Aber Eigennamen als Titel sind bei unseren Verlegern nicht sehr beliebt, sogar Fermo e Lucia ist umbenannt worden*5, und sonst gibt es in der italienischen Literatur nur sehr wenige Beispiele wie Lemmonio Boreo, Rubè oder Metello*6 — verschwindend wenige gegenüber den Scharen von Leuten, die als Tante Lisbeth, Madame Bovary, Wilhelm Meister, Barry Lyndon, Tom Jones oder Tonio Kröger andere Literaturen bevölkern.

Die Idee zu dem Titel Der Name der Rose kam mir wie zufällig und gefiel mir, denn die Rose ist eine Symbolfigur von so vielfältiger Bedeutung, daß sie fast keine mehr hat: rosa mystica, Krieg der Rosen, Roman de la Rose, die Rosenkreuzer, die Anmut der herrlichen Rosen, und Rose lebte das Rosenleben, la vie en rrrose, eine Rose ist eine Rose ist eine Rose, Röslein, Röslein, Röslein rot … Der Leser wird regelrecht irregeleitet, in alle möglichen Richtungen (also in keine) gewiesen, er kann dem Titel keine bestimmte Deutung entnehmen, und selbst wenn er die im lateinischen Schlußsatz angelegten nominalistischen Lesarten voll erfaßt, kommt er doch eben erst ganz am Ende darauf, nachdem er bereits wer weiß wie oft eine andere Wahl getroffen hat. Ein Titel soll die Ideen verwirren, nicht ordnen.

Nichts ist erfreulicher für den Autor eines Romans, als Lesarten zu entdecken, an die er selbst nicht gedacht hatte und die ihm von Lesern nahegelegt werden. Als ich theoretische Werke schrieb, war meine Haltung gegenüber den Rezensenten die eines Richters: Ich prüfte, ob sie mich verstanden hatten, und beurteilte sie danach. Mit einem Roman ist das ganz anders. Nicht daß man als Romanautor keine Lesarten finden könnte, die einem abwegig erscheinen, aber man muß in jedem Fall schweigen und es anderen überlassen, sie anhand des Textes zu widerlegen. Die große Mehrheit der Lesarten bringt jedoch überraschende Sinnzusammenhänge ans Licht, an die man beim Schreiben nicht gedacht hatte. Was heißt das?

Eine französische Philologin, Mireille Calle Gruber, hat subtile Schreibspiele (Paragramme) entdeckt, in denen die simplices (im Sinne der einfachen Leute) mit den simplices im Sinne der Heilkräuter assoziiert werden, und nun findet sie, daß ich vom »bösen Gewächs« (oder »Unkraut«) der Häresie spreche. Ich könnte erwidern, daß der Terminus »simplices« in beiden Fällen die Literatur der Epoche durchzieht, desgleichen der Ausdruck »böses Gewächs«. Andererseits kannte ich sehr wohl das Beispiel von Greimas über die doppelte Isotopie, die sich ergibt, wenn man den Kräuterkundigen als einen »Freund der simplices« definiert. Wußte ich, daß ich mit Paragrammen spielte? Es zählt nicht, was ich im nachhinein sage, der Text ist da und produziert seine eigenen Sinnverbindungen.

Als ich die Rezensionen las, machte es mir besondere Freude, wenn ein Kritiker (die ersten waren Ginevra Bompiani und Lars Gustafsson) eine knappe Bemerkung hervorhob, die William gegen Ende des Inquisitionsprozesses macht (Seite 492 der deutschen Ausgabe). »Was schreckt Euch am meisten an der Reinheit?« fragt Adson, und William antwortet: »Die Eile.« Ich mochte diese zwei Zeilen sehr und mag sie noch heute. Dann aber wies mich ein Leser darauf hin, daß auf der folgenden Seite Bernard Gui, während er dem Cellerar mit der Folter droht, sagt: »Die Gerechtigkeit hat keine Eile, wie die Pseudo-Apostel meinten, und Gottes Gerechtigkeit kann sich Jahrhunderte Zeit lassen.« Und der Leser stellte mir die berechtigte Frage, welche Beziehung ich zwischen der von William gefürchteten Eile und dem von Bernard gefeierten Mangel an Eile habe herstellen wollen. Da ging mir auf, daß hier etwas Beunruhigendes geschehen war. Der kurze Wortwechsel zwischen Adson und William hatte im Manuskript noch gar nicht gestanden, ich hatte ihn erst beim Korrigieren der Druckfahnen eingefügt: Aus Gründen der rhythmischen Harmonie (concinnitas) brauchte ich noch einen trennenden Takt, bevor ich dem Inquisitor von neuem das Wort erteilte. Und während ich William die Eile verabscheuen ließ (aus tiefer Überzeugung, weshalb mir seine Antwort so gut gefällt), war mir natürlich ganz entfallen, daß wenig später auch Bernard Gui von der Eile spricht. Für sich genommen ist Bernards Bemerkung nichts als eine Redensart, die man von einem Richter erwartet, eine Phrase wie »vor dem Gesetz sind alle gleich«. Konfrontiert mit der von William angesprochenen Eile bewirkt jedoch die von Bernard angesprochene Eile einen hintergründigen Sinn, und der Leser fragt sich mit Recht, ob die beiden Personen das gleiche sagen, oder ob der von William geäußerte Haß auf die Eile nicht doch etwas anderes ist als der von Bernard geäußerte Haß auf die Eile. Der Text ist da und produziert seine eigenen Sinnverbindungen. Ob ich es beim Schreiben gewollt hatte oder nicht, man steht jetzt vor einer Frage, einer mehrdeutigen Provokation, und ich selbst habe Schwierigkeiten, den Gegensatz zu interpretieren, obwohl ich begreife, daß er einen Sinn enthält (vielleicht viele).

Der Autor müßte das Zeitliche segnen, nachdem er geschrieben hat. Damit er die Eigenbewegung des Textes nicht stört.

2»Was sah ich da, welche symbolische Botschaft überbrachten mir jene drei kreuzförmig mit- und übereinander verschränkten Löwenpaare, aufsteigend in Bögen …« (Adson von Melk in