Nacht in Angst - Viola Maybach - E-Book

Nacht in Angst E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. »Manuel kann mir gestohlen bleiben, Mama!« Felix Eidingers Miene war düster. »Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.« Lisa Eidinger biss sich auf die Lippen. Es dauerte einige Augenblick, bis sie sagte: »Er ist dein Bruder.« »Ich will trotzdem nichts mehr mit ihm zu tun haben. Wenn er Vorteile für sich sieht, lügt und betrügt er, dann kennt er weder Verwandte noch Freunde. Was soll ich mit so jemandem anfangen?« »Er bleibt mein Sohn und dein Bruder«, entgegnete seine Mutter. »Du hast mit allem Recht, was du sagst, aber ich hoffe immer noch, dass er eines Tages …« Sie brach ab, ohne den Satz zu beenden. Hoffte sie das wirklich? Manuel war immer schwierig gewesen, hatte seinen Eltern viel Kummer bereitet. Er war charmant, sah blendend aus, war überall beliebt gewesen. Aber er hatte eben auch sehr früh herausgefunden, wie er andere Menschen für seine Zwecke einspannen und Erfolg haben konnte, ohne sich selbst allzu sehr anzustrengen. Lisa hatte ihren Mann vor einigen Jahren verloren – und gleichzeitig ihren älteren Sohn, aber das war ihr erst später bewusst geworden. Sie und ihre Söhne hatten etwas Geld geerbt, und mit seinem Teil des Erbes hatte Manuel München verlassen. Sie wusste nicht einmal genau, wo er jetzt wohnte und was er machte. Wenn sie danach fragte, wich er ihr aus und versprach, sich bald wieder zu melden.

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Der neue Dr. Laurin – 4 –

Nacht in Angst

Überfall in der Kayser-Klinik

Viola Maybach

»Manuel kann mir gestohlen bleiben, Mama!« Felix Eidingers Miene war düster. »Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.«

Lisa Eidinger biss sich auf die Lippen. Es dauerte einige Augenblick, bis sie sagte: »Er ist dein Bruder.«

»Ich will trotzdem nichts mehr mit ihm zu tun haben. Wenn er Vorteile für sich sieht, lügt und betrügt er, dann kennt er weder Verwandte noch Freunde. Was soll ich mit so jemandem anfangen?«

»Er bleibt mein Sohn und dein Bruder«, entgegnete seine Mutter. »Du hast mit allem Recht, was du sagst, aber ich hoffe immer noch, dass er eines Tages …« Sie brach ab, ohne den Satz zu beenden. Hoffte sie das wirklich? Manuel war immer schwierig gewesen, hatte seinen Eltern viel Kummer bereitet. Er war charmant, sah blendend aus, war überall beliebt gewesen. Aber er hatte eben auch sehr früh herausgefunden, wie er andere Menschen für seine Zwecke einspannen und Erfolg haben konnte, ohne sich selbst allzu sehr anzustrengen.

Lisa hatte ihren Mann vor einigen Jahren verloren – und gleichzeitig ihren älteren Sohn, aber das war ihr erst später bewusst geworden. Sie und ihre Söhne hatten etwas Geld geerbt, und mit seinem Teil des Erbes hatte Manuel München verlassen. Sie wusste nicht einmal genau, wo er jetzt wohnte und was er machte. Wenn sie danach fragte, wich er ihr aus und versprach, sich bald wieder zu melden. Sie konnte ihn nicht anrufen, denn sie hatte nicht einmal seine Nummer. »Das lohnt sich nicht, Mama, ich wechsele den Telefonanbieter so oft, und ich wohne eigentlich meistens in Hotels, ich bin ja ständig unterwegs …« Sie führte mit ihm Gespräche, die sie mehr schmerzten als erfreuten. Was ihr am Herzen lag, blieb ausgeklammert.

Bei seinem letzten Anruf hatte er sie um Geld gebeten, für ein ganz wichtiges Geschäft, wieder einmal. Sie hatte abgelehnt, zum ersten Mal, und sie war standhaft geblieben. Mit einem Fluch hatte er das Gespräch schließlich beendet. Das war ihr bislang letzter Kontakt gewesen. Sie hatte Felix davon erst jetzt erzählt, es tat ihr bereits leid. Er regte sich immer gleich schrecklich auf, wenn es um Manuel ging.

Zwischen den Brüdern herrschte Funkstille, seit Manuel sich vor Jahren eine stattliche Geldsumme von seinem Bruder ›geliehen‹ hatte – für die Hochzeit mit Karina, von der sie nicht wussten, ob sie mittlerweile stattgefunden hatte – und seitdem gar nicht daran dachte, sie zurückzuzahlen. Es waren noch ein paar andere unschöne Dinge zwischen den Brüdern vorgefallen, jedenfalls hatte Felix irgendwann die Konsequenzen gezogen.

Doch, sie hoffte im Stillen immer noch, dass ihr Ältester eines Tages zur Einsicht kam und nicht nur ein anständiger Mensch wurde, sondern auch den Weg zurück zu seiner Familie fand. Anders ausgedrückt: Sie hoffte, dass Karina ihn auf diesen Weg zurückbrachte. Karina, die ihr so lieb geworden war wie eine eigene Tochter, die sie aber zusammen mit Manuel verloren hatte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Felix: »Ich habe nie verstanden, dass eine Frau wie Karina auf jemanden wie Manuel hereinfällt.«

»Vielleicht hat er sich durch sie verändert«, erwiderte seine Mutter.

»Eher hat sie sich durch ihn ­verändert.« Felix’ Stimme klang schroff bei diesen Worten. »Manuel wird sich nie ändern. Oder hoffst du etwa immer noch darauf?«

»Lass uns das Thema wechseln«, bat Lisa, »sonst streiten wir am Ende noch, das möchte ich nicht.«

Er kam zu ihr und schloss sie in die Arme: ihr großer, blonder, liebenswürdiger jüngerer Sohn mit den schönen blauen Augen, die oft so traurig in die Welt blickten. Sie wusste, woher diese Traurigkeit rührte, aber da er ihr nie anvertraut hatte, was er für die schöne Freundin seines Bruders empfand – oder empfunden hatte? – sprach sie ihn nicht darauf an. Wenn er es für sich behalten wollte, würde sie das akzeptieren.

»Hast du eigentlich von Karina noch einmal etwas gehört?«, fragte Felix vorsichtig.

»Nein«, seufzte Lisa. »Du weißt, Manuel ruft nicht oft an. Ich frage jedes Mal nach Karina, er sagt dann immer, dass sie gerade nicht da ist, aber grüßen lässt.«

»Ruf du doch mal an, vielleicht erwischst du sie ja.«

»Ich weiß ihre Nummer nicht, ein Festnetztelefon haben sie nicht mehr. Und … also, Manuels Nummer habe ich auch nicht mehr. Er wechselt so oft, sagt er, dass es sich nicht lohnt, sie zu notieren.«

Felix sah sie ungläubig an. »Du hast seine Nummer nicht mehr? Wieso hast du das noch nie erwähnt? Seit wenn denn?«

Lisa zuckte mit den Schultern. »Schon eine ganze Weile«, antwortete sie vage. »Aber ich habe ihn sowieso nicht mehr gern angerufen.«

»Warum nicht?«, fragte Felix, als sie nicht weitersprach. »Habt ihr euch nicht mehr viel zu sagen?«

Lisa gab es nicht gerne zu, aber es war die Wahrheit, also nickte sie. Und dann kamen ihr die Tränen. Sie weinte oft wegen Manuel, aber nicht, wenn Felix bei ihr war.

Er war so erschrocken, dass er sie fest an sich drückte. »Tut mir leid, Mama«, sagte er unbeholfen, »ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.«

»Das weiß ich doch, aber das mit Manuel bedrückt mich. Immer wieder frage ich mich, was ich falsch gemacht habe oder was ich tun könnte, damit sich unser Verhältnis bessert, aber …«

Felix unterbrach sie. »Du hast gar nichts falsch gemacht, eher Papa«, sagte er ganz ruhig.

Sie rückte ein Stück von ihm ab. »Papa?«, fragte sie.

»Er hat in Manuel immer den Menschen gesehen, der alles erreichen kann, was ihm selbst verwehrt geblieben ist, weil seine Eltern kein Geld hatten, ihn studieren zu lassen. Er war überzeugt, dass Manuel mit seinem Charme, seinem guten Aussehen und seiner Intelligenz eine strahlende Zukunft vor sich hatte. Manuel glaubte das deshalb auch und weil ihm zunächst alles einfach so zugefallen ist, hat er später, als es schwieriger wurde, nicht eingesehen, warum er sich anstrengen soll.«

Lisa trocknete ihre Tränen. Sie war überrascht, dass Felix sich offenbar viele und sehr weitreichende Gedanken gemacht hatte, nicht nur über seinen Bruder, sondern auch über dessen Verhältnis zu ihrem gemeinsamen Vater. Aber sie war auch verunsichert, weil seine Überlegungen ihr nicht behagten, aber sofort einleuchtend erschienen.

»Aber trotzdem ist Manuel für sich selbst verantwortlich«, fuhr Felix fort. »Auch wenn man verwöhnt worden ist, heißt das ja nicht, dass man das nicht selbst erkennen und sich nicht trotzdem anstrengen könnte.«

»Du hast dich von Papa vernachlässigt gefühlt?«, fragte Lisa mit leiser Stimme.

»Vernachlässigt nicht direkt, aber ich hätte mir schon gewünscht, er hätte sich über meine Erfolge auch mal so gefreut wie über Manuels«, erwiderte Felix nachdenklich. »Richtig geschmerzt hat es mich dann, wie er auf meinen Berufswunsch reagiert hat. Bei ihm zählte ja nur ein Universitätsstudium, dass ich zur Kriminalpolizei wollte, fand er, glaube ich, richtig kränkend. Einer seiner Söhne ein Polizist – statt Arzt oder Anwalt oder vielleicht auch Universitätsprofessor zu werden. Ein Polizist war unter seiner Würde. So ist das jedenfalls bei mir angekommen, und es hat mich echt verletzt.«

»Hast du noch etwas Zeit? Ich glaube, ich koche uns jetzt erst einmal einen Kaffee, ich brauche jedenfalls einen.«

»Ich hab Nachtdienst, Mama, ich habe noch jede Menge Zeit.«

Sie gab ihm einen Kuss. »Versprich mir, dass du mit dir redest, wenn es irgendwann einmal einen Konflikt zwischen uns gibt. Dass du nicht einfach ohne Wort aus München und aus meinem Leben verschwindest.«

»Versprochen, Mama. Soll ich uns vom Bäcker vielleicht noch zwei Stücke Kuchen holen?«

»Gute Idee, mach das.«

Er war schnell wieder zurück, und sie saßen dann noch länger in Lisas gemütlicher Wohnküche, sprachen aber nicht mehr über die Vergangenheit.

*

»Bist du aufgeregt?«, erkundigte sich Britta Stadler bei ihrem Sohn Peter.

Sie waren bei Laurins zum Essen eingeladen. Peter ging mit Kyra Laurin in eine Klasse, die beiden Elfjährigen hatten sich befreundet und waren nach Ansicht ihrer Mütter, die sich ebenfalls angefreundet hatten, auch ein bisschen verliebt ineinander. Die restliche Familie Laurin kannte Peter und seine Mutter bislang nicht.

»Nein«, antwortete Peter, was Britta nicht wunderte.

Ihr Sohn ruhte in sich, schon als Kleinkind war er so gewesen. Er war ein zurückhaltender Junge, der nicht leicht aus sich herausging oder jemandem sein Vertrauen schenkte. War es aber einmal so weit, kam ein ganz anderer Peter zum Vorschein. Mit Kyra Laurin hatte er offenbar eine Freundin gefunden, die ihm in gewisser Hinsicht ähnlich war. Jedenfalls waren die beiden ein Herz und eine Seele. Es war eine Freude, zu erleben, wie sie miteinander umgingen, fand Britta.

Sie parkte das Auto in der Nähe des Hauses.

Peter staunte. »Mann, das ist ja richtig groß!«, sagte er.

»Ist ja auch eine große Familie«, gab Britta zu bedenken.

Peter blieb stehen, nun sah er doch ein wenig beunruhigt aus. Er war stark kurzsichtig, deshalb trug er eine Brille mit dicken Gläsern.

Er sehnte den Zeitpunkt herbei, da die Ärzte ihn operieren und von dieser Brille befreien würden, aber noch war es zu früh. Kontaktlinsen vertrug er nicht, sie hatten es probiert.

»Jetzt bin ich doch etwas aufgeregt, Mama«, gestand er.

»Ich auch«, erwiderte sie. »Es ist ja immer blöd, wenn man sich vorstellt, dass man zwar eine Freundin gefunden hat, dass man aber mit der restlichen Familie nichts anfangen kann. Mir geht es wie dir: Ich mag Kyras Mama sehr gern und hoffe, dass unsere Freundschaft Bestand hat – aber wenn ich ihren Mann schrecklich finde, wird das schwierig.«

Sie sah, wie Peter sich wieder entspannte, nun, da er wusste, dass er mit seinen Befürchtungen nicht allein war.

»Ach, sie hat bestimmt keinen blöden Mann«, sagte er. »Kyra findet ihren Papa toll, und sie hat einen guten Geschmack. Ich glaube, richtig schwierig ist nur ihre große Schwester, die ist gerade in der Pubertät.«

Bei ihm klang das wie eine Krankheit – und so, als müsse man Menschen, die davon befallen waren, bemitleiden und nachsichtig behandeln.

Britta lachte in sich hinein und klingelte.

Es war Kyra, die ihnen öffnete, und ihr strahlendes Gesicht sorgte dafür, dass sich jegliches Gefühl des Unbehagens im Nu verflüchtigte. Hinter ihr erschien Antonia mit einem Jungen, der etwas älter als Peter war.

»Kommt rein!«, sagte Antonia. »Das ist Kevin.«

Kevin grinste. »Wurde ja auch mal Zeit«, sagte er zu Peter. »Tag, Frau Stadler.«

»Tag, Kevin.«

Damit war die Vorstellung bereits erledigt, Kevin wandte sich wieder Peter zu. »Wir haben schon ziemlich viel von dir gehört. Soll ich dir das Haus zeigen?

Peter nickte und verschwand, während Kyra seine Mutter begrüßte und ihr ebenfalls anbot, sie herumzuführen. Auf dem Weg durchs Haus tauchten dann auch die anderen Familienmitglieder auf: Leon Laurin und die Zwillinge.

Britta war erleichtert, als sie auch diese drei sofort sympathisch fand. Leon Laurin war viel lockerer, als sie sich einen Klinikchef vorgestellt hatte, aber so musste ein Mann, der zu Antonia Laurin passte, eigentlich auch sein. Ein steifer, ernster, würdiger Mann an ihrer Seite? Undenkbar!

Peter hatte schon Recht, dachte sie mit stillem Vergnügen, seine neue Freundin, die ihren Papa sehr mochte, hatte tatsächlich einen guten Geschmack.

Und so schlimm wie befürchtet kam ihr die pubertierende Schwester auch nicht vor …

*

Es war schön, wieder in München zu sein, es fühlte sich richtig an. Sie hätte seinerzeit nicht von hier weggehen sollen! Nun war sie endlich zurück, aber sie konnte es nicht genießen. Die Schmerzen in ihrem Unterleib wurden nicht besser, eher schlimmer. Sie wollte keinen Arzt aufsuchen, aber wenn es so blieb, würde ihr nichts anderes übrigbleiben.

Sie sah sich in der kleinen Wohnung um, die sie gemietet hatte. Die meisten Umzugskisten waren noch nicht ausgepackt, aber das eilte auch nicht. Sie konnte es tun, sobald es ihr wieder gut ging. Ihr blieb noch eine Woche, bis sie ihre neue Stelle als Arzthelferin antreten musste. Eine Woche, um die Wohnung fertig einzurichten, eine Woche, um wieder fit zu werden. Das musste sich doch machen lassen!

Sie ließ sich auf ihr Sofa fallen und schloss die Augen. Leider kamen ihr gleich wieder die Tränen. Eigentlich hatte sie für diese ersten Tage in München ganz andere Pläne gehabt – sie hatte ein paar alte Freunde und Bekannte besuchen, Verbindungen neu knüpfen wollen, doch so, wie sie sich jetzt fühlte, konnte sie das vergessen. Sie hatte neue Schmerztabletten gekauft, die Wirkung der letzten, die sie genommen hatte, schien schon wieder nachzulassen. Und sie durfte sich auf keinen Fall an das erinnern, was zu diesen Schmerzen geführt hatte, denn dann wurde es sofort schlimmer.

Sie drängte die Tränen zurück und versuchte, vernünftig nachzudenken. Sie konnte so nicht weitermachen. Offenbar brauchte sie Hilfe, obwohl sie das bislang nicht hatte wahrhaben wollen.

Sie wusste, dass es hier in der Nähe eine Klinik mit einer Notaufnahme gab – ob sie die aufsuchen sollte? Aber natürlich würde man ihr Fragen stellen und dann … Sie wollte keine Fragen beantworten, sie wollte nur, dass die Schmerzen aufhörten.

Sie nahm eine weitere Tablette, streckte sich auf dem Sofa aus, deckte sich mit einer Decke zu und wartete darauf, dass das Medikament wirkte. Zuerst musste sie schlafen, danach fühlte sie sich vielleicht imstande, eine Entscheidung zu fällen.

*

»Wieso sind Sie schon hier, Marie?«, erkundigte sich Dr. Eckart Sternberg bei der dienstältesten Schwester der Kayser-Klinik, als er die Notaufnahme betrat. »Der Nachtdienst beginnt doch erst in zwei Stunden.«

Marie Laube lächelte. »Das Gleiche könnte ich Sie fragen, Herr Doktor!«

»Stimmt«, gab er zu. »Aber ich habe einen guten Grund für mein frühes Erscheinen: Ich möchte etwas Aktenkram erledigen.«

»Bei mir ist es so ähnlich«, erwiderte Marie. »Es ist einiges liegen geblieben, das will ich noch wegschaffen. Außerdem wollte ich nach dem Jungen sehen, den wir in der letzten Nacht noch auf Station verlegt haben. Er hat so bitterlich geweint, weil seine Mama nicht kam. Ich habe schon nachgefragt, die Frau ist immer noch nicht da.«