Nachtmär - Elisabeth Reichart - E-Book

Nachtmär E-Book

Elisabeth Reichart

0,0

Beschreibung

Elisabeth Reicharts Roman "Nachtmär" erzählt mit Ironie von Möglichkeiten und Grenzen des Miteinanderlebens von Juden und Nichtjuden im Schatten der Geschichte, die sie nicht erleben mussten. In Wien der Gegenwart fliehen zwei Frauen und zwei Männer vor ihrem Jahresfest in ihr alltägliches Unglück, um Esther auszuweichen, einer Jüdin, mit der sie jahrelang zusammen waren und die sie bei der erstbesten Gelegenheit verraten haben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 255

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ELISABETH REICHART

NACHTMÄR

ELISABETH REICHART

NACHTMÄR

ROMAN

OTTO MÜLLER VERLAG

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Reichart, Elisabeth: Nachtmär / Elisabeth Reichart. –Salzburg; Wien: Müller, 1995ISBN 3-7013-0913-2

ISBN 3-7013-0913-2

eISBN 978-3-7013-5913-4

© 1995 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG/WIEN

Umschlaggestaltung: Günter Nussbaumer, Salzburg

Satz: Fotosatzstudio Rizner, Salzburg

Druck und Bindung: Print Centrum, Zlin

NACHTMÄR

Im Stiegenhaus der stürzenden Engel mit den rußgeschwärzten Zungen roch es nach Melanzani, gebraten in den Flammen eines Gasherdes. Einst lagen sie im Feuer, ihre Schalen zerrissen, der Saft spritzte heraus, zischende Funken, glänzendes Violett verfärbte sich in ein dumpfes Braun, sie nur nicht verkohlen lassen in diesem Sturm, der Wind hatte sich gedreht, blies den Rauch in unsere Gesichter, drang in die Bronchien, legte den Ruß auf die Netzhäute, doch als wir wieder sahen, waren die Melanzani genau richtig gebraten, konnten wir die Früchte an den Stielen aus dem Feuer ziehen, die schmale Aschenspur zu jedem einzelnen, noch verbrannten wir uns nur die Fingerspitzen, während wir die Schalen abzogen, das Fruchtfleisch in eine Schüssel gaben, einer aus der nahen Donau stieg, in seinen Händen die Fische, die er abseits tötete und auf Steckerl spießte . . .

Jetzt erwartet werden, sich an einen gedeckten Tisch setzen, frisches Weißbrot abbrechen und weiterreichen, Gläser mit Rotwein füllen, anstoßen, lachen und essen und reden – all die Tische, um die sie gesessen waren, Gasthaustische und Kaffeehaustische, der vom Trödler in Marlens Zimmer und das Erbstück in Paulas Wohnung, aber am liebsten um den selbstgebastelten unter dem alten Kastanienbaum, blau angemalt von Esther, die wackligen Holzstühle darum, die jedes Kleidungsstück aufgerauht hatten, all die großen Gesten, die euphorischen Stimmen und kämpferischen Sätze, die über diese Tische hinweggeglitten waren, unumstößlich bis zur nächsten Wahrheit, und keine Müllabfuhr, die sie wenigstens einmal wöchentlich einsammelte, das tat sich kein Staat an, was sie sich angetan hatten an seiner statt.

Paula freute sich auf ein heißes Bad, so heiß, daß es nur das Wasser und die Haut gab. Danach war sie zu müde zum Kochen, ein Teil der Lebensmittel würde wieder im Kühlschrank verderben, war zu allem zu müde, inmitten dieser Müdigkeit würde ihr nie eine Ausrede für Marlen einfallen, um für morgen abend abzusagen, sie würde nicht den Mut haben, nach dem Hörer zu greifen, ihre Nummer zu wählen und die bereits vor einem Jahr gegebene Zusage zurückzunehmen, der geschlossene Kreis war Marlens Leidenschaft, für den sie bereit war, Aktivitäten zu entfalten, die Paula sonst nicht mehr an ihr kannte.

Der geschlossene Kreis – verkümmertes Wir, aufgefächert in Ich und Ich, Restbestand unserer eigenhändig vollzogenen Amputation – letztlich war es ganz einfach, an unsere Erfindung zu glauben, inmitten des verschacherten Glaubens an uns, erfunden in der Stunde der geifernden Dummheit, des willkommen geheißenen Sterbens, ein kräftiges Von-uns-Absterben haben wir vom Stapel laufen lassen/Binnenlandgeschichten/Esther ins Meer zurückgestoßen, doch darüber werden wir morgen abend nicht reden, keiner von uns würde es wagen, den glitschigen Steg, dieses Überbleibsel unseres Zuhauses, noch einmal zu betreten nach jenem einzigen gescheiterten Versuch, die Zeit zurückzudrehen, dieser überraschende Anruf von Marlen vor acht Jahren, ein erstes Wiedersehen bei ihr, uns erkannt an den vorsichtig gewählten Worten, den übertriebenen Reaktionen, dem verlegenen Lächeln, den nicht gewechselten Blicken.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!