Nachtschatten im Revier - Robert Harler - E-Book

Nachtschatten im Revier E-Book

Robert Harler

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Beschreibung

Das Gehirn warnte Mettermann sen. im Halbschlaf vor einer unheimlichen Bedrohung im Revier. Wurde er schleichend senil? Mehrmals schüttelte er das weißhaarige Haupt, um das Unwohlsein loszuwerden. Als er seiner Frau am Kaffeetisch von seinen Ängsten erzählte, schlug sie theatralisch die Hände über den Kopf zusammen. Um ihn nicht zu kränken, schaltete sie auf Fürsorge und Verständnis. Als Kind erlebte er die Auswirkung der Bombenkriegsjahre. Nach der Hitlerzeit arbeitete er als Bergmann 35 Jahre über und unter Tage. Da bleiben Ängste bis zum Lebensende. Einfühlend, als spräche sie mit einem Kind, murmelte sie: »Alles wird gut! »Sie goss aus der Thermoskanne eine Tasse Kaffee nach und meinte: »Um endlich Nestwärme zu spüren, heirateten wir Kriegskinder, die ohne Väter aufwuchsen, vor der Volljährigkeit von 21 Jahren. In der Regel ehelichten wir junge Dinger, wie mein Großvater uns heranwachsende Mädchen nannte, einen Jungen aus der Zechensiedlung, der im Pütt arbeitete. Am Morgen nach seinem Horrortraum suchte Mettermann sen. den Emscherfluss in Altenessen auf. An der Stelle wollte er erkunden, ob dort eine zerfetzte Leiche lag, die ihn im Traum abstoßend verschreckte. Um endlich seine Anspannung abzubauen, befuhr der Rentner die Radwege der begrünten Berghalde in Gladbeck Brauck. Am Wegesrand kämpften Brennnessel, Holunder- und Brombeersträucher, die Immobilienhaie der Natur, um die Herrschaft. Beim Radeln auf der Altenessener Straße bis zur Emscherbrücke, wurde es ihm unheimlich zumute. Der Herzschlag vibrierte unregelmäßig. Seine Schweißdrüsen durchnässten sein T-Shirt auf der Brust. Seine flatternde Angst zwang ihn, vom Fahrrad abzusteigen, um durchzuatmen. Bis die Herzattacke verschwand, umklammerte er den Stamm einer jungen Birke. Oben auf den begrünten, eingezäunten Deichen, beobachtete er in dreihundert Meter Entfernung den Pulk von Krähen und Elstern. Verkrampft zwang er sich, sein Gefährt weiter zu schieben. Vom Frühjahr bis zum Herbst raschelten die spargelförmigen Blätter der Pappeln, ständig das Lied vom Tod. In Trance ging der Rentner, trotz seiner steigenden Herzschläge zu den allesfressenden Vögeln. Beim Näherkommen sah er, dass die Tiere ihre blutigen Schnäbel in eine skelettierte Gestalt hackten und Fleischstücke herausrissen. Aus Furcht vor einer neuen Herzattacke massierte der Radler mit seiner rechten Hand, seine linke Brustseite. Instinktiv griff er erneut zum Nitrospray. Am liebsten wäre er davongeschlichen.

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Seitenzahl: 214

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Alle in dem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden Ähnlichkeiten mitlebenden und verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel - Vorwort

2. Kapitel - Mettermanns Melder

3. Kapitel - Pressekonferenz

4. Kapitel - Gerichtsmedizin

4. Kapitel - Zweifel

5. Kapitel - Melanie

7. Kapitel - Mettermanns neue Mitarbeiterin

8. Kapitel - in Mettermanns Büro

9. Kapitel - Marias Bleibe

10. Kapitel - Marias Begräbnis

11. Kapitel - Polizeipräsidium

11. Kapitel - Hella

12. Kapitel - Mettermanns Büro

13. Kapitel - Rückkehr

14. Kapitel - Volker

15. Kapitel - Besuch in Raesfeld

16. Kapitel - künstliches Koma

17. Kapitel - Polizeipräsident

18. Kapitel - Morgenstunde

19. Kapitel - Firma in Gladbeck-Brauck

20. Kapitel - das Überraschungspaket

21. Kapitel - grüne Wiesen

22. Kapitel - Polizeischule in Münster

23. Kapitel - der nächste Morgen

24. Kapitel - Volker mit seiner Frau beim Shoppen

25. Kapitel - Sehnsucht

26. Kapitel - Gaby

27. Kapitel - Lachkrampf

28. Kapitel - allein

29. Kapitel - Spätherbst

30. Kapitel - Anwohner

31. Kapitel - neues Opfer

32. Kapitel - Gahlener Brücke

33. Kapitel - Entlassung

34. Kapitel - Gerichtsmedizin

35. Kapitel - Ruhrgebiet

36. Kapitel - Sarah

37. Kapitel - Angler

38. Kapitel - der warme Regen

39. Kapitel - Gladbeck-Zweckel

40. Kapitel - Rheinwiesen

41. Kapitel - Minijobber

42. Kapitel - der Mond

43. Kapitel - Vergeltung

44. Kapitel - Xanten

45. Kapitel - Wüstenplanet

46. Kapitel - DNA

47. Kapitel - Efeu

48. Kapitel - Einklang

49. Kapitel - SOKO

50. Kapitel - Befreiung

51. Kapitel - Substanzverlust

52. Kapitel - Frau Surhagen

53. Kapitel - Elisabeth und Anja

54. Kapitel - Geldautomat

55. Kapitel - Zechenhäuser in Gladbeck-Zweckel

56. Kapitel - Wochenendticket

57. Kapitel - Heuschober

58. Kapitel - keine Spuren

59. Kapitel - Uniklinik in Essen

60. Kapitel - Haltern

61. Kapitel - Affären

62. Kapitel - Flucht

63. Kapitel - Verfolgung

64. Kapitel - Buchfink

1. Kapitel - Vorwort

Das Gehirn warnte Mettermann sen. im Halbschlaf vor einer unheimlichen Bedrohung im Revier. Wurde er schleichend senil? Mehrmals schüttelte er das weißhaarige Haupt, um das Unwohlsein loszuwerden.

Als er seiner Frau am Kaffeetisch von seinen Ängsten erzählte, schlug sie theatralisch die Hände über den Kopf zusammen. Um ihn nicht zu kränken, schaltete sie auf Fürsorge und Verständnis. Als Kind erlebte er die Auswirkung der Bombenkriegsjahre. Nach der Hitlerzeit arbeitete er 35 Jahre über und unter Tage. Da bleiben Ängste bis zum Lebensende.

Einfühlend, als spräche sie mit einem Kind, murmelte sie: »Alles wird gut! »Sie goss aus der Thermoskanne eine Tasse Kaffee nach und meinte: »Um endlich Nestwärme zu spüren, heirateten wir Kriegskinder, die ohne Väter aufwuchsen, vor der Volljährigkeit von 21 Jahren. In der Regel ehelichten wir junge Dinger, wie mein Großvater uns heranwachsende Mädchen nannte, einen Jungen aus der Zechensiedlung, der im Pütt arbeitete.

Den Gedanken, was wäre aus uns ohne Hitler geworden, verdrängte das Ehepaar! Sie strich ihren Mann fürsorglich über die wenigen ergrauten Haare: »Ich danke dem Herrgott, dass wir vor 50 Jahren heirateten. In unserer Ehe streichelten mich ab und an meine Glückshormone.

Das soll was heißen, bei meiner nicht ausgelebten Kindheit im Keller von zerbombten Häusern! «

Erich wurde 1943 während des Krieges geboren. Nach 1945 gab es vor allem tote Großväter, Väter, altere Brüder, Täter und Mitläufer, zerstörte Häuser und keine Nahrung. Kurz nach der Währungsreform von 1948 boomte wie aus dem Nichts die Wirtschaft im Revier. Die Produktion von Stahl und der Abbau von Kohle liefen auf vollen Touren. Der Staub verdunkelte die Tage. Krakenartig nagte er an den Bronchien der Bewohner. Manchmal schielte die Sonne durch die mit Abgasen vergifteten Wolken. Aus Ermangelung an Sonnenlicht tranken die Kinder im Monat literweise Lebertran und steckten ihre Gesichter unter die Höhensonnen. Wenn ein Kind nicht gehorchte, wurde es von den frustrierten Erwachsenen, Eltern, Lehrern, Pfarrern ins Gesicht geschlagen. In Krisenzeiten sind Kinder gefährdet und nichts wert.

Nach der Währungsreform diente der steigende Wohlstand dazu, die erfrorenen Seelen der Nazigeneration von ihren Albträumen, zu erlösen. Schuld war nur einer. Der brachte sich aus Feigheit um.

Ab 1952 lernte Mettermann Berglehrling auf der Schachtanlage Gladbeck-Zweckel. Im ersten Lehrjahr arbeitete er über Tage am Leseband, wo er die schweren und leichten Steine von allen Kohlebrocken trennte. Das zweite Jahr war für ihn erfüllender, er wechselte zwischen der Schreinerei, der Schlosserei und der Schmiede hin und her. Im dritten Lehrjahr malochte er unter Tage. Erst als Handlanger im Grubenausbau und im Gedinge.

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten Sonne, Regen und Wind vergeblich das Revier vom Kohlenstaub und Benzoldüften zu befreien. Erst das Zechensterben sowie die modernen Filter in den Kohlekraftwerken schlugen an wolkenfreien Tagen, eine blaue Schneise zum Himmel. Seitdem sangen die Nachtigallen, die Singdrosseln in den Bergmannssiedlungen um die Wette.

Die Ärzte mussten von Jahr zu Jahr weniger Theofenin und Cortison gegen Atemnot, ausgelöst durch Steinstaub, spritzen.

Damit eine Barbarei wie im Zweiten Weltkrieg sich nicht wiederholte, stellten die politisch Überlebenden in der A-denauerzeit immer strengere absurde Regeln und Gesetze auf! »Betreten des Rasens verboten, Kehrwoche, Hausordnungen, Kännchen Kaffee vor dem Lokal. Alle kleinen Mädchen, mit ihren Einheitszöpfen wurden von ihren Eltern veranlasst, vor den Erwachsenen einen Knicks zu machen«.

Erich Mettermann sen. morgendlicher Katzenjammer über seinen geschundenen Körper sowie über seine verstaubte Lunge verflog erst, wenn seine Frau aus dem ersten Stock energisch rief. »Der Kaffee ist fertig! «Jede hektische Bewegung beim Aufstehen verursachte in seinem Kopf, leichte Schwindelanfälle.

Der Hausarzt leierte wie ein Automat, wenn er ihm seine Leiden vortrug: »Ach Herr Mettermann, die Krankheiten überfallen uns im Alter. Sie verzeihen keine Jugendsünde. Treiben sie Sport, stellen sie das Rauchen ein, trinken sie keinen Alkohol und achten sie auf gesunde Ernährung.

Sein geschwächter Körper zwang ihn seit Jahren, auf Sparflamme zu leben.

Abends wagte er nicht, eine Flasche Bier zu trinken. Um seine Gesundheit zu verlängern, fuhr er seit seiner Frühverrentung an regenfreien Tagen mit dem Fahrrad 25 Kilometer. An schönen Tagen bis nach Haltern und zurück.

»Auf allen Friedhöfen im Revier liegen ehemalige Bergleute, die vorzeitig an Steinstaub starben«, sagte Vater Mettermann. Bedächtig rührte er seinen Kaffee um. Die zerrinnende Zeit, die ihm als Kind wie eine unendliche Zukunft vorkam, entpuppte sich, als eine kurze Vergangenheit.

Seit seiner Pensionierung litt er an Herzrhythmusstörungen, zu hohen Blutdruck und Diabetes. Wenn er sich unwohl fühlte, rätselte er darüber, ob die vielen Tabletten, die er morgens, mittags und abends schluckte, gezielt seine Krankheiten behandelten.

Bevor endlich im Herbst 1945 die Schulen begannen zu unterrichten, bestanden die katholischen und evangelischen Verantwortlichen auf konfessionelle Trennung.

Erst die Bombennächte im Bunker und die täglichen Horrormeldungen im Religionsunterricht vom Fegefeuer und von der Gluthitze in der Hölle. Für ein Kind bedeutete das, eine schleichende Belastung bis zum Lebensende.

Die Zechenregenten, die für den boomenden Wiederaufbau, massenhaft Bergleute benötigten, warben vor allem viele junge Bayern an.

Dort unten in der Vorhölle der Bergwerke arbeiteten die Kriegsheimkehrer, die Vertriebenen und ihre heranwachsenden Söhne, gegen die Albträume des Krieges an. Erich, ohnehin kriegs- und pfarrergeschädigt, mit dem Körper eines mageren Heranwachsenden. Ohne Vorbilder für eine Weiterbildung ließ sich mit 13 Jahren von der Bergwerksgesellschaft, als Berglehrling ausbilden.

Seine Mutter, seine Schwestern und er dümpelten mit ihrer Witwenrente abgemagert dahin. Ohne den 320 Quadratmeter großen Garten, in dem sie Kartoffeln und Gemüse anpflanzten, wären sie verhungert. Mehr als 10 % Bildungsbürger, die alle aus der Mittel- und Oberschicht kamen, benötigte das Revier nicht. Malocher waren gefragt.

In den Stahlwerken und den Bergwerken beschäftigten die Bosse ausschließlich Arbeiter. Mit 48 Jahren wurde Erich wegen der Zechenschließungen pensioniert. Erst in der Pubertät aus der Schule gelockt und als überflüssiger Mensch, ohne Wert, abgeschoben. Das Öl verdrängte die Kohle. Die Zechen in seiner Nähe, Gladbeck-Zweckel und Gelsenkirchen-Scholven schlossen. Über Nacht eignete er sich den ziellosen, schleppenden Gang, der Menschen, der Aussortierten an.

Statt Arbeitsplätze für alle zu schaffen, versuchten die verbliebenen Behörden, das Revier erst zum größten Freizeitpark Deutschland auszubauen.

Ständig entstanden in den Fußgängerzonen im Revier neue Drogerie-, Bäckereifilialen, Spielhallen sowie Textilbilligketten. Gelsenkirchen führte die Arbeitslosenstatistik im Ruhrgebiet an. Die Städte litten unter den Sozialkosten.

Trotz seines zu hohen Blutdruckes, seines Altersdiabetes, seines leichten Asthmas versuchte Erich, seinen jugendlichen Bewegungsdrang zu behalten. Eigenartigerweise fiel ihm das Laufen, aber nicht das Radfahren schwer.

Seine Frau legte im Laufe der Jahre zuhause einen Emmentaler Blumengarten mit viel Ausdauer an. Im Sommer glaubte sie, kämen seltsame extrem bunte Schmetterlinge aus Afrika eingeflogen.

Helga, Erichs untersetzte vollschlanke Frau besaß ein zufriedenes faltenloses Rundgesicht, mit Augen wie dunkle Kirschen und mit einer kindlichen Stupsnase. Ihre viel zu dicken hochgeschnürten Brüste und ihre viel zu kurzen Beine verliehen ihr zwangsläufig ein Zuviel an Bodenständigkeit. In der Volksschule, mit Lehrern, die Hitlers Abartigkeiten tolerierten, fühlte sie sich orientierungslos.

Mit 14 Jahren lernte sie im Zweckeler Konsum, an der Ecke Beethovenstraße Verkäuferin.

Als sie ihren Mann beim Tanzen in der Gaststätte Kiekenberg, an der Feldhauser Str. kennenlernte, wohnte er mit seinen 22 Jahren bei seinen Eltern. Während sie ihn nach einem halben Jahr heirateten, zogen sie in das obere Schlafzimmer ihrer Schwiegereltern. Drei Jahre später mieteten sie ein Zecheneckhaus an der Arenbergstraße. Dort blieben sie wohnen.

Ihr Sohn Ralf, der Arzt und Profiler startete als Frühchen im Brutkasten des St.-Barbara-Krankenhauses in Gladbeck. In den ersten Tagen schrammte er Millimeter am Tod vorbei. Bis zu seinem 10. Lebensjahr hinkte er den meisten Kindern geistig und körperlich hinterher. Dass er nicht in der Fröbelschule landete, verdankte er einer Lehrerin, die ihm Nachhilfeunterricht erteilte und ihn sprachlich förderte. Um seine geistigen Fähigkeiten zu stabilisieren, brachte sie ihm das Klavierspielen bei.

Sein Vater, der Frühinvalide spekulierte, wie das Leben ohne seine versorgende Frau verlaufen wäre.

Sie benötigte viel Vertrautheit. Darum vermied sie Streit mit ihren drei Schwestern oder mit den Nachbarn. Ihre Kinder erzog sie mit viel Güte. Leider richtete sie sich danach, was die Nachbarn sagten. Am Morgen nach seinem Horrortraum suchte Mettermann sen. den Emscherfluss in Altenessen auf. An der Stelle wollte er erkunden, ob dort eine zerfetzte Leiche lag, die ihn im Traum abstoßend verschreckte.

Angespannt überquerte er mit seinem Fahrrad die Bundesstraße 224 in Richtung Essen an der Fußgängerampel in der Nähe des Gladbecker Stadions. Von dort bog er in die Phönix Straße.

Die Bergbausiedlung, mit ihren dreistöckigen Backsteinhäusern ist die älteste in Gladbeck. Einige Jahre stand sie unter Denkmalschutz. Sie wird von der B224 und der A2 eingezwängt im Mondschein wirkt sie wie eine Kulisse aus dem vorherigen Jahrhundert.

In Gladbeck sind die Wohnungen ein Durcheinander aus gründerzeitlichen, späteren Mietbauten, vereinzelten Villen, großflächigen Zechensiedlungen und den heutigen Norddeutschen, mit Ziegel verkleideten Einfamilienhäusern.

An den, mit Restwäldern bewachsenen Stadträndern wohnt die gutbürgerliche Mittelschicht. Vor allem stören im Stadtbild die einfältigen Mehrstockhäuser mit Waschbetonfassaden, einschließlich der Sparkasse, aus den 70-Zieger-Jahren.

Um endlich seine Anspannung abzubauen, befuhr der Rentner die Radwege der begrünten Berghalde in Gladbeck Brauck. Am Wegesrand kämpften Brennnessel, Holunder- und Brombeersträucher, die Immobilienhaie der Natur, um die Herrschaft.

Beim Radeln auf der Altenessener Straße bis zur Emscherbrücke, wurde es ihm unheimlich zumute.

Der Herzschlag schlug unregelmäßig. Seine Schweißdrüsen durchnässten sein T-Shirt auf der Brust. Seine flatternde Angst zwang ihn, vom Fahrrad abzusteigen, um durchzuatmen. Bis die Herzattacke verschwand, umklammerte er den Stamm einer jungen Birke.

Bevor er den Drahtesel weiterschob, kramte er mit der rechten Hand aus seiner Satteltasche sein Nitrospray. Nachdem er das flüssige Medikament mehrmals auf seine Zunge sprühte, spürte er, wie sich seine Atemwege erweiterten.

Mit erhöhtem Pulsschlag schob er das Zweirad auf der ansteigenden Böschung hoch. Von Weitem sah er einen Pulk Vögel, die sich flügelschlagend, mit viel Gekreische, um die Beute stritten. Ein ungutes Gefühl drängte ihn, umzukehren. Seine Neugierde hielt ihn zurück.

Trotzig trug er von der rechten Brückenseite, den Drahtesel über die aufgesplitterten Steintreppen zur Emscher hinunter. Die einbetonierte, an eine Schnur gezogene Kloake, stank nach einer Mischung aus faulen Eiern und aus Verwesung.

Dampffetzen hingen unter den unterkühlt wirkenden hohen Pappeln. Ihre Blätter sahen aus, als hätten sie in Altöl gebadet. Aus dem erwärmten Fluss prasselte schmutzbehafteter Nebel. Der überzog im Umkreis von mehreren Kilometern Feld und Wiesen, mit einer glitschigen Fettschicht.

Nirgendwo spazierten Menschen. Die ewigen Resteverwerter Elstern, Krähen, Raben, Ratten, Mäuse, Füchse, verwilderte Katzen und Hunde stritten sich um Tierkadaver.

Die Radwege auf den Böschungen befuhren Neugierige, die nach der Renaturierung der Emscher schauten. Für Erich war es unvorstellbar, dass im nächsten Jahrzehnt auf der Emscher Boote fuhren und Liegewiesen für Erholungssuchende an den Flussufern entstanden. Oben auf den begrünten, eingezäunten Deichen, beobachtete er in dreihundert Meter Entfernung den Pulk von Krähen und Elstern.

Verkrampft zwang er sich, sein Gefährt weiter zu schieben. Vom Frühjahr bis zum Herbst raschelten die spargelförmigen Blätter der Pappeln, ständig das Lied vom Tod. In Trance ging der Rentner trotz seiner steigenden Herzschläge zu den allesfressenden Vögeln. Beim Näherkommen sah er, dass die Tiere ihre blutigen Schnäbel in eine skelettierte Gestalt hackten und Fleischstücke herausrissen.

Aus Furcht vor einer neuen Herzattacke massierte der Radler mit seiner rechten Hand, seine linke Brustseite. Instinktiv griff er erneut zum Nitrospray.

Am liebsten wäre er davongeschlichen. Hilflos schaute er auf die beiden Böschungsseiten der Kloake. Seine Bronchien verknappten, blockierten die Atemzufuhr. Zuhause würde seine Frau den Notarzt anrufen.

Ihre Fürsorge formte ihn mit den Jahren wehleidiger. Hier musste er die Situation beherrschen. Der Sohn arbeitete als Profiler bei der Polizei im Kreis Recklinghausen. Vor dem durfte er sich nicht blamieren. Im Unterbewusstsein hörte er ihn sagen: »Länger als 20 Minuten hält kein Mensch die Angst aus! »

Das Blut der Toten färbte den Rasen rot. Der Exbergmann bedauerte es, kein Handy zu besitzen, um seinen Sohn anzurufen. Stattdessen fuhr er zurück zur Brücke, um in der nahen Apotheke die Polizei zu benachrichtigen.

Nachdem er den Hörer auflegte, zitterte er am gesamten Körper. Vor allem fürchtete er den Medienrummel und die nervigen Fragen der Polizeibeamten. Am Ende geriet er in Verdacht, weil er eine Leiche bzw. deren Reste entdeckte!

2. Kapitel - Mettermanns Melder.

Seit seinem dreißigsten Lebensjahr achtete der Profiler, Erwins Sohn Ralf darauf, dass sein Bauchansatz nicht zu viel Fett ansetzte.

Um das zu verhindern, joggte er dreimal in der Woche vor Arbeitsbeginn auf der 4,5 Kilometer langen Marathonbahn im Wittringer Wald in Gladbeck. Vom Frühjahr bis zum Herbst herrschte dort morgens um 7 Uhr reger Betrieb.

Viele Aktiven liefen in ihren hässlichen, mit Werbung bedruckten Sportkleidungen und in ihren bunten Sportschuhen umher. Viele junge Frauen rannten für ihre schlanke Linie, für ihre Karriere oder ihren Traummann.

Bevor Ralfs Melder, den er am Hosengürtel trug, nach etwa drei Kilometer Laufleistung piepste, ahnte er nichts Gutes. Pflichtgemäß blieb er stehen, wählte auf seinem Handy die Nummer der Polizeieinsatzzentrale. Von den Zentrallisten erfuhr er, dass ein Radfahrer eine Leiche an der Flusskloake in Altenessen, in unmittelbarer Nähe der Brücke fand: »Herr Mettermann, am besten sie fahren gleich zum Fundort. Alles Nähere erfahren sie dort! Der Kommissar Meyer ist auf dem Weg dahin! «

Mit einem Handtuch, das der Profiler beim Laufen um den Hals trug, wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. Verschwitzt stieg er mit seinem blauroten Jogginganzug in seinen alten Kleinwagen. Leicht angespannt fuhr er vom Wittringer-Schloss-Parkplatz in die Phönix Straße, in die Horster-Str. über Essen-Karnap zur Emscher.

Es überraschte ihn nicht, weil die Polizisten an der Absperrung, ihn in seinem Jogginganzug nicht vorbeilassen wollten. Kurz vor dem Fundort kam ihm der Kollege Kommissar Meyer entgegen. Grinsend spottete er: »Heute in Dienstbekleidung! Herr Doktor, gib Gas, damit du die Bestie findest? »

Die Männer von der Spurensuche steckten in die linke Böschung, von der Altenessener Straße bis zum Fundort Eisenstangen.

Daran knüpften sie weiß-rote Plastikbänder, um den Zugang der zunehmenden Schar der Zuschauer auszusperren.

Weil Ralf der Arztberuf mit seinen wiederholenden Krankheiten langweilte, und die Patienten seine Ratschläge ignorierten, ließ er sich in den Staaten beim FBI als Profiler umschulen.

Für ihn, der alle bisherigen spektakulären Mordfälle aus Vorträgen vom FBI kannte, musste sich in der Praxis beweisen. Vor Anspannung schmerzte seine Brust? Aufgeregt stolperte er über eine hervorstehende Baumwurzel. Alle Männer von der Spurensuche lachten schallend über die fröhliche Einlage.

Bevor er das zerlegte Gerippe mit Haut-, Haar-, Gedärme- und Fleischfetzen sah, rebellierte der Magen. Arme, Beine, Füße und Kopf des Opfers waren fachmännisch abgetrennt. Vor Ekel trockneten Ralfs Schleimhäute aus. Seine Haut auf den Lippen riss. Die wütenden Krähen schickten einen Vorposten, damit er ausspionierte, ob sie weiter ungestört fressen konnten. Während das Federvieh an ihm vorbei flatterte, sprang er wie ein fliegender Torwart durch die Luft, um den Kundschafter zu fangen.

Intuitiv knipste der Polizeifotograf die Szene. Die Zuschauer auf der Brücke der Altenessener Straße klatschten Beifall. Der erfahrene Kommissar Meyer, mit dem aufgebreiten Hitschcockgesicht, ging auf den Vogelfänger zu. »Ich ahnte nicht, dass du noch in der Pubertät steckst! »

Worauf der Angesprochene höhnisch entgegnete: »Sportler, Bergsteiger und Schauspieler, überwinden die erst im Altenheim! «Belustigt schüttelte der Kommissar den Kopf.

Mit leiser Stimme befahl er seinen Beamten. »Sucht bis zur Altenessener Straße nach Haaren, Schuppen, Sperma, Blut, Fuß-, Schleif- und Reifenabdrücken. Verjagt mir endlich die Gaffer! Morgen befragen wir die Anwohner, ob ihnen jemand in der Nacht, am frühen Morgen oder tagsüber mit einer Schubkarre an der Kloake auffiel! Er zeigte auf zwei lang gezogenen, von Eisenrädern stammende Spuren. »Der Mörder benutzte eine Sackkarre zum Transportieren der Leiche.

Angeführt vom Kommissar bildete der Suchtrupp eine Kette. Gemeinsam vertrieben sie die drängelnden Neugierigen. Gründlich suchten sie mit Lupen, Klebestreifen, Farbpuder, Kämmen, batteriebetrieben Kleinststaub-Saugern, stundenlang Zentimeter für Zentimeter, die abgesperrte Zone nach unterschiedlichen Spuren ab.

Von den vielen Holzschuhabdrücken und von den Radspuren der Sackkarre fertigten die Spezialisten Gipsabdrücke an. Meyer vermutete, dass der Mord woanders stattfand. Die Leiche sollten die Vögel entfleischen. Der Mörder plante in den nächsten Tagen, die abgenagten Knochen einzusammeln, um sie zu verbrennen, oder in den Güllekanal zu werfen.

Meyer zupfte das »für Elise, jammerndes Handy« aus der Gesäßtasche. Mettermann, der die Melodie von Beethoven auf dem Klavier spielen konnte, litt bei dem gesampelten Gejaule. Weil Ralf seine Handflächen an die Ohren presste, grinste der Kommissar schadenfreudig: »Mir teilte der Polizeipräsidenten auf dem Handy mit, dass unser Polizeiarzt erkrankte. Eine andere Ärztin steht uns erst in zwei Stunden zur Verfügung! Er wäre dir dankbar, wenn du bis dahin die ersten medizinischen Untersuchungen beginnst!

Alles, was du an vorläufigem Untersuchungsmaterial brauchst, bringt dir der Rettungsassistent, der mit seinem Rettungswagen oben auf der Altenessener Straße wartet!“

Bevor der Profiler seine aufkommende Wut, in Fluchen umsetzte, kam ihm der Rettungsassistent entgegen. »Benötigst du Hilfe? Worauf er gefasst reagierte: »Du kannst mir bei der Rekonstruktion der Leichenteile helfen! »

Aus einem Karton mit Aidshandschuhen zog Ralf angenervt ein Paar heraus. Die streifte er über seine Hände. Um keine Haare, Fingerabdrücke, Schuppen und Mikrospuren zu hinterlassen, stülpte er eine Art Ganzkörperkondom über.

Mit dem schritt er zu den blutverschmierten Knochenteilen. Gründlich betrachtete er die Überreste. Anschließend setzte er die zu einem Skelett zusammen. Ein Polizist filmte, ein andere fotografierte die Aktivitäten der beiden Männer.

Gespannt drückte der Kommissar die Taste eines Bandaufnahmegerätes, als Ralf dozierte: »Nach den ausgeprägten Beckenknochen handelt es sich bei der Toten um eine Frau. »Mit dem Zeigefinger wies er auf die durchtrennten Rippen: »Schaut, der Täter stach wie ein Besessener mit einem Messer auf sie ein! Die Tote gebar ein vor ein bis drei Jahren ein Kind! »

Aus Neugierde kamen Meyer und Kollegen näher. »Woran siehst du das? »Lässig zeigte der Profiler mit seinem rechten Zeigefinger auf die Narbe am Beckenknochen. »Die Spuren hinterlässt eine Gebärende. «Udo, der Rettungssanitäter nickte und meinte: »Wollen wir es ihm glauben. Endlich darf er uns belehren! «Alle lachten hämisch.

Der Untersuchende grinste. Nachdem er die Reste des herausgerissenen Herzens zwischen den Rippen fand, Flaute es ihm im Magen. Im Krankenhaus hatte er viele sterben sehen und an die zweihundert Totenscheine ausgestellt. Dass die junge Frau, der Täter abschlachtete, ließ ihn kurz Aufschreien. In seinem Angewidertsein schaute er anklagend zum Himmel.

Meyer, der hart gesottene, perfekte Oberpolizist, kotzte seine Übelkeit in den pervertierten Fluss. Bis zum Abend sammelten die Männer von der Spurensuche, neben den Sackkarrennägeln, verschiedene Haare, Wollfäden, Blutstropfen und Zigarettenkippen. In dem Müllsack, in dem der Schlächter die Leiche transportierte, fanden die Beamten verwertbare Spuren. Bevor alle Beteiligten aufbrachen, rief der Kommissar den Meister vom Emscher-Klärwerk in Bottrop-Boy an. »Sind bei euch heute Müll-, Plastiksäcke, Kleidungsstücke oder eine Sackkarre angeschwemmt worden? «Der Verantwortliche verneinte.

Worauf der Profiler entgegnete: »Unser Killer plante seinen Mord von langer Hand. Wir tun uns schwer, Hinweise von ihm zu finden. Da kommt eine schwierige Aufgabe auf uns zu! Ungläubig sah ihn Meyer an: »Abwarten! Den perfekten Mord gibt es nicht! »

Ralf entgegnete patzig: »Es gibt ihn! Ein Lustmörder braucht Öffentlichkeit. Darum interessieren ihn perfekte Morde nicht. Unser Täter versucht den Spagat zwischen Anonymität und Aufmerksamkeit. Weil er viel verbirgt, lebt er zurückgezogen. Ich schließe nicht aus, dass er ein biederes Familienleben führt! »

Daraufhin sah ihn sein Vorgesetzter verdrießlich an: »Jawohl Herr Oberlehrer. Man merkt dir deine Ausbildung beim FBI an. Theorie hilft uns bedingt weiter. Wir müssen das Leben von kriminellen und gestörten Jugendlichen im Ruhrrevier durchforsten! «

Ohne ihn anzusehen, nickte Ralf: »Wir sollten die Autopsie der Pathologie in Essen abwarten«.

Nachdem die beiden Fotografen von der Spurensuche, aus allen Richtungen die Überreste der Toten fotografierten, meinte der Kommissar. »Sammelt alle Körperteile, steckt sie in den Leichensack. Den, übergibt ihr dem Fahrer des Überführungswagens. Es ist die Aufgabe des Pathologen im Essener Universitätsklinikum, die genaue Todesursache und die Identität der Frau zu ermitteln. »

Sonnenstrahlen radierten Spalten in die grauen Wolkenstaffeln am düsteren Firmament größer. Die ersten Reporter und Kameramänner tauchten auf der Emscherbrücke der Altenessener Straße auf.

Zeche - Zollverein in Essen.

Inständig hoffte Ralf, dass der Mörder nicht in Gladbeck wohnte. Der Banküberfall in dieser Stadt von Rösner und Degowski verletzte den Stolz vieler ehrbarer Bewohner.

Wären die Polizisten ohne Blaulicht und Martinshorn zu der Bank gefahren, hätten die Gangster keine Chance gehabt.

Meyer und Mettermann glaubten, dass der blutberauschte Täter, bald erneut zuschlug. Ein neurotischer Verbrecher, der seine Hemmschranke durchbricht, benötigt einen noch größeren Kick. Er geilt sich daran auf, Herr über Leben und Tod zu spielen.

3. Kapitel - Pressekonferenz.

Zu der ersten Pressekonferenz zum Mordfall kamen die Medienvertreter aus Deutschland angereist. Sie fand auf der Brücke in Altenessen statt.

»Entfleischte Leiche an dem Abwasserkanal gefunden,« sorgte als Schlagzeile für höhere Auflagen und Einschaltquoten. Obwohl der Staatsanwalt übernervös wirkte, genoss er seinen Auftritt. Endlich durfte er in der Öffentlichkeit sich präsentieren. Er ignorierte, dass jeder, der im Fernsehen auftritt, seine Begrenztheit offenbart!«

In gewichtiger Haltung betonte er mit herumfuchtelnden Händen: »Wir tappen im Dunkeln. Hat der Täter die Tote aus Eifersucht erstochen? Wollte er eine Vergewaltigung vertuschen? Wir müssen erst alle Spuren auswerten. Ich bitte die Anwohner der Altenessener Straße und die im Umkreis des Emscherkanals wohnen. Wem ist in der Nacht vom Montag auf Dienstag ein parkender Kombi oder ein Mann mit einer Sackkarre mit einem Müllsack in Richtung Emscher gehend, aufgefallen?

Unaufgeregt unterbrach ihn der Polizeipräsident, mit seiner fernsehtauglichen Presseausbildung und dem pastoralen Singsang der Auslandsreporter: »Hinweise nehmen alle Polizeireviere entgegen! Der Attentäter ist nach Angabe unseres Profilers 25 bis 30 Jahre und untersetzt.

Höchstwahrscheinlich beherrschen ihn Allmachtsfantasien. Er akzeptiert die Grenzen des menschlichen Zusammenlebens nicht!

Der Vater entpuppte sich als Taugenichts. Die Mutter verjagte ihn nach der Geburt des Mörders. Sie beschäftigte sich wiederum mehr mit Partnern, als mit ihrem lästigen Sohn. Durch die mangelnde Liebe gehörte ihr Nachwuchs zu den Bettnässern, zu den Schwererziehbaren und zu den Gelegenheitsdieben.

»Zum Glück« bluffte der Präsident vor einem Journalisten, »fanden wir Blutspritzer vom Täter, sodass wir in der Lage sind, eine DNA-Analyse zu erstellen. Wir beabsichtigen alle jungen Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren, in Essen, Duisburg, Gladbeck, Dinslaken und Wesel, zu einer freiwilligen Speichelprobe einzuladen. Offenbar kennt sich der Täter in Altenessen aus. »

Nach einer kurzen Pause stand er auf, faltete seine DINA4-Blätter, dabei sagte er übertrieben höflich: »Ich danke ihnen, meine Damen und Herren! Ich bitte sie um Verständnis, um die Fahndung nicht zu gefährden, keine weiteren Fragen zu stellen! «

Draußen auf dem mit Steinen gepflasterten Vorhof umzingelten Pressevertreter den Kommissar. Sie beherrschten es, aus allen Missständen der Welt, eine Unterhaltungsshow zu zelebrieren.

Sie wollten Fotos von der Toten, wollten erfahren, wo sie wohnte, wollten ihren Namen wissen. Angelernt durch Videokurse für öffentliche Auftritte wiegelte Meyer lästige Fragen wiederholt ab: »In nächster Zeit, wenn wir die ersten Spuren, Ermittlungen, Obduktionsberichte und Analysen auswerten, lade ich sie ein! »

4. Kapitel - Gerichtsmedizin.

Der Profiler fuhr am nächsten Morgen in die Gerichtsmedizin nach Essen. Professor Marcus Schneider ein listiger, hagerer, glatzköpfiger Mann, der kurz vor seiner Pensionierung stand, mochte den Herdentrieb der Menschen nicht. Für ihn verloren die Erdenbewohner die Fähigkeit, mit sich im Einklang zu leben. Ihr ewiges Spiel sich einem Führer, einer Religion oder dem Kapitalismus zu unterwerfen, entpersönlichte sie.

Schneiders eingefallenes Gesicht, mit den eingepferchten Magenfalten und den großen Augen, eines unterernährten Kindes, ließ keine Mimik zu.

Beim Abendlicht wirkte er, als bestünde das Antlitz aus faltigem Pergamentpapier. Freundlich gab er seinem Besucher die Hand: «Da kommt mein ehemaliges Sorgenkind. Ohne mein Wohlwollen hättest du nicht deinen Doktor geschafft und Profiler wurdest du nicht aus Leidenschaft, sondern um Spannung in dein trauriges Dasein zu bringen.

Es muss für einen Arzt langweilig sein, jeden Tag, seine Patienten mit zu hohem Blutdruck, mit Diabetes, mit Herzrhythmusstörungen oder mit Verstopfung zu behandeln! Das bringt zwar Kohle, ich frage mich. Wozu studieren die Mediziner so lange?