Nachtwachen - Die Affenpfote - Thomas M. Meine - E-Book

Nachtwachen - Die Affenpfote E-Book

Thomas M. Meine

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Beschreibung

NACHTWACHEN - Uebersetzung des 1911 erschienenen Buches »Night Watches« und DIE AFFENPFOTE - Uebersetzung der 1902 erschienenen Horrorgeschichte »The Monkey s Paw« von W.W. Jacobs. W.W. Jacobs (1863-1943) ist ein britischer Autor, an den man sich hauptsaechlich wegen seiner gruseligen Geschichte »Die Affenpfote« (The Monkey s Paw) erinnert. Sie wurde dieser Uebersetzung des Kurzgeschichtenbuchs »Nachtwachen« (Night Watches) noch hinzugefügt. Der Nachtwaechter auf einer Werft an der englischen Ostkueste, der auch gerne ueber das Leben philosophiert, erzaehlt von ungluecklichen Situationen, in die er oder manche Zeitgenossen - meist selbst nicht ganz unschuldig an den Entwicklungen - geraten sind. Die Geschichten haben ihre sehr eigene Art von Humor. Im Buch ebenfalls enthalten: eine weitere Horrorgeschichte »Die drei Schwestern« (The Three Sisters), sowie eine ungewoehnliche Gespenstergeschichte »Geisterwache« (The Vigil). Spaßig, total verrueckt, grotesk - einfach furchtbar britisch! Gut geeignet zum Vorlesen.

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Seitenzahl: 220

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Titelbild

Inhalt

Vorwort

Rücken an Rücken

Auf Wachposten

Der Einspringer

Das schwächere Schiff

Einen Schritt zurück

Die Unbekannte

Leicht verdientes Geld

Sein anderes Ich

Geisterwache

Die drei Schwestern

Die Affenpfote

VORWORT

Spaßig, total verrückt, grotesk – einfach furchtbar britisch!

W.W. Jacobs (1863-1943) ist ein britischer Autor, an den man sich hauptsächlich wegen seiner gruseligen Geschichte 'Die Affenpfote' (The Monkey's Paw) erinnert. Zusätzlich zur kompletten Übersetzung des Kurzgeschichtenbuchs 'Nachtwachen' (Night Watches), wurde diese noch am Schluss angefügt.

William Wymark Jacobs wurde am 8. September 1863 in London, Stadtteil Wapping, geboren. Seine Eltern sind früh gestorben. Sein Vater war Manager einer Werft in der Grafschaft Devon. Dort konnte W.W. Jacobs, zusammen mit seinen Geschwistern, sehr viel Zeit verbringen und das Kommen und Gehen der Schiffe und deren Besatzungen beobachten. Aus diesem Grund spielen auch viele seiner Geschichten in diesem Umfeld.

Bill, der Nachtwächter auf einer Werft an der englischen Ostküste, der auch gerne über das Leben philosophiert, erzählt von unglücklichen Situationen, in die er oder manche Zeitgenossen – meist selbst nicht ganz unschuldig an den Entwicklungen – geraten sind. Die Geschichten haben ihre sehr eigene Art von Humor.

Völlig aus dem Rahmen fällt die Horrorgeschichte 'Die drei Schwestern' (The Three Sisters). Sie war, aus welchem Grund auch immer, im Originalbuch enthalten. Ein Bezug zum Untertitel des Buches ′humorvolle Kurzgeschichten' hat sie nicht. Aufgrund der inhaltlichen Verschiedenheit, die auch nichts für schwache Nerven ist, im Gegensatz zu dem leichten Stoff der anderen Kapitel, wurde diese ans Ende gesetzt.

Danach kommt dann die noch gruseligere und schrecklichere Geschichte 'Die Affenpfote' (The Monkey's Paw), die, wie vorstehend erwähnt, zusätzlich aufgenommen wurde. Sie ist ein Klassiker der Horror-Literatur und eines der bekanntesten Werke von W.W.Jacobs.

Die Kapitelreihenfolge ist damit, etwas abweichend vom Originalwerk, neu sortiert, bzw. vervollständigt worden.

Die Übersetzung wurde in freierer Form vorgenommen; dazu wurden gelegentlich auch Veränderungen oder Ergänzungen gemacht, um Verständnis und Lesbarkeit zu erhöhen, ohne das Flair dieser alten Geschichten unangemessen zu beeinflussen. Sie eignen sich auch gut zum Vorlesen.

Auf den Seiten 54 und 99 wurden zusätzlich zwei Bilder eingefügt, mit Ansichten von East London um das Jahr 1900.

RÜCKEN AN RÜCKEN

Mrs. Scutts stand versteckt hinter einem Vorhang und starrte aus dem Fenster auf die Kutsche, etwas erstaunt, aber auch mit einem komischen Gefühl im Magen. Der Kutscher stieg von seinem Sitz herunter, öffnete die Tür und wartete dann mit ausgestreckten Händen, bereit um eingreifen zu können, sollte seine Hilfe benötigt werden.

Rücken an Rücken

Ein Fremder war der Erste, der ausstieg. Er stand mit dem Rücken zu Mrs. Scutts und schien mit etwas zu kämpfen, das sich in der Kutsche befand. Er legte eine schlaff herunterfallende Hand um seinen Hals und schwankte unter dem Gewicht, als er sich rückwärts bewegte. Er stützte Mr. Bill Scutts, dessen anderer Arm um den Hals eines dritten Mannes gelegt war.

Mit einem Satz war Mrs. Scutts draußen vor der Tür.

Sie sah ihren Mann, der nun seinen Kopf hob. Sein Mund öffnete sich, aber sogleich sank er wieder zurück, und er war wie ein totes Gewicht im Griff seiner Begleiter.

»Er ist in Ordnung«, sagte einer von ihnen, indem er sich Mrs. Scutts zuwandte.

Als Antwort hierauf kam ein tiefes Stöhnen von Mr. Scutts.

»Was hat er?«, fragte seine Frau mit aufgeregter Stimme.

»Nur ein kleiner Unfall bei der Eisenbahn«, sagte einer der Fremden. »Ein Zug krachte in einige leere Wagen. Niemand wurde verletzt – zumindest nicht schwer«, fügte er noch hinzu, als Reaktion auf ein weiteres tiefes Stöhnen von Mr. Scutts.

Seine Füße schleiften hilflos über den Boden, als man ihn über seine eigene Türschwelle hinweg hob und aufs Sofa legte.

»Alle anderen sind auf ihren eigenen Beinen nach Hause gelaufen«, sagte einer der Fremden vorwurfsvoll. »Er meinte, dass er nicht laufen könnte, und er wollte auch nicht ins Krankenhaus gebracht werden.«

»Ich wollte zuhause sterben«, erklärte der Leidende. »Ich lasse niemanden in einem Krankenhaus an mir herumdoktern.«

Die beiden Fremden standen daneben und beobachteten ihn, dann schauten sie sich an.

»Ich will – nicht – in ein Krankenhaus«, röchelte Mr. Scutts. »Ich werde meinen eigenen Arzt rufen.«

»Natürlich wird die Gesellschaft die Arztrechnung bezahlen«, sagte einer der Fremden zu Mr. Scutts, »oder sie werden ihren einen Doktor schicken. Ich denke aber, dass morgen alles wieder gut sein wird.«

»Das hoffe ich«, sagte Mr. Scutts, »aber ich glaube, das wird nicht der Fall sein. Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben.«

Müde schloss er seine Augen und hielt sie geschlossen, bis die Männer weggegangen waren.

»Kannst du nicht laufen?«, fragte Mrs. Scutts, die jetzt Tränen in den Augen hatte.

Ihr Mann schüttelte den Kopf. »Du gehst jetzt und holst einen Arzt«, sagte er bedächtig zu ihr, »den neuen, der seine Praxis um die Ecke hat.«

»Aber Bill, der sieht doch noch wie ein Junge aus«, brachte Mrs. Scutt als Einwand vor.

»Du gehst und holst ihn«, sagte Mr. Scutts und erhob dabei seine Stimme. »Hörst du mich!«

»Aber warum –«, begann seine Frau, die etwas erwidern wollte.

»Wenn ich jetzt aufstehe und zu dir hochkomme«, sagte der etwas verwirrte Mr. Scutts, »dann wirst du wissen warum.«

»Warum, ich dachte –«, sagte seine Frau, ein wenig überrascht.

Mr. Scutts erhob sich von dem Sofa und zeigte ihr die Faust, dann sank er zurück und stöhnte wieder.

Daraufhin schien seine Frau wieder entspannter zu sein, nahm ihre Haube vom Nagel an der Wand und ging.

Die Untersuchung durch den Arzt war lange und schwierig gewesen. Mr. Scutts klagte über keine weiteren Beschwerden, ausgenommen, dass er sich ein wenig unterkühlt fühlen würde.

Der Doktor versuchte vergeblich, die vorgeschlagenen Tests durchzuführen. Er tat auch sein Bestes, ihn, mithilfe seiner medizinischen Assistenten, aufrecht hinzustellen.

Selbstschutz ist ein Gesetz der Natur. Als die Beine und der Rücken von Mr. Scutts nachgaben und er umkippte, stellte er sicher, dass der Doktor unter ihm lag.

»Wir müssen ihn ins Bett bringen«, sagte der Arzt, als er sich wieder langsam erhob und sich den Staub abwischte.

Mr. Scutts lag noch in voller Länge auf dem Fußboden, sehr duldsam, und schickte seine Frau weg, um ein paar Nachbarn zu holen.

Einer von ihnen war ein professioneller Möbelpacker. Als dieser halbwegs die Treppe hochgekommen war, erinnerte ihn der Unglückliche vorsorglich daran, dass er es mit einem britischen Arbeiter zu tun hat und nicht mit einem Klavier.

Vier Paar Hände legten Mr. Scutts mit mathematischer Präzision in die Mitte des Bettes, wickelten ihn ein und Mrs. Scutts zog die Decke genau parallel zu seinem Kinn hoch.

»Es sieht nicht so aus, als hätte er etwas Ernsthaftes«, sagte einer der ärztlichen Assistenten.

»Bei dem Gesicht, das er macht, kann man das eigentlich nicht vermuten«, sprach der Möbelpacker. »Es ist eines, das man als freudiges Gesicht bezeichnen würde. Er hat mich sogar angelächelt, als wir ihn die Stufen hier hochgetragen haben.«

»Du bist ein Lügner«, sagte Mr. Scutts und öffnete seine Augen.

»Schon gut, Kumpel«, sagte der Möbelpacker, »schon gut. Es gibt keinen Grund verärgert zu sein. Es ist wahrscheinlich nur die gute, alte englische Tapferkeit, wie ich es nennen würde. Wo tut es denn weh?«

»Überall«, sagte Mr. Scutts kurz.

Seine Nachbarn betrachteten ihn wohlwollend und dann, angeführt vom Möbelpacker, gingen sie auf Zehenspitzen aus dem Raum.

Der Arzt und seine Assistenten gingen ebenfalls fort, nachdem er einige abschließende Instruktionen gegeben hatte.

»Wenn es Ihnen morgen nicht besser geht«, sagte er noch, »müssen Sie den Arbeitsarzt kommen lassen.«

Mr. Scutts dankte ihm mit schwacher Stimme und legte sich zurück, und mit einem verschmitzten Lächeln auf seinem Gesicht, hörte er dem lebhaften Bericht seiner Frau zu, den sie einer kleinen Ansammlung von Leuten vor der Eingangstür gab.

Sie kam zurück, gefolgt von einem Nachbarn, der nebenan wohnte.

Mr. James Flynn bot spontan seine Hilfe an. Diese reichte vom Angebot, Mr. Scutts huckepack zu nehmen, wenn er einmal frische Luft schnappen wollte, bis hin zum Pfeife stopfen oder Bier holen.

»Aber ich wage vorauszusagen, dass du in ein, zwei Tagen wieder aufstehen und herumrennen kannst«, sagte er am Schluss. »Du würdest nicht so gut aussehen, wenn dich etwas Ernsthaftes plagen würde – rosarote, dicke Backen und…«

»Das reicht«, sagte der empörte Invalide. »Es ist mein Rücken, der mir wehtut, nicht mein Gesicht.«

»Ich weiß«, sagte Mr. Flynn und nickte weise. »Wenn es aber sehr weh tun würde, dann wäre dein Gesicht jetzt weiß wie das Bettlaken.«

»Der Arzt hat gesagt, dass er Ruhe haben muss«, bemerkte Mrs. Scutts mit scharfer Stimme.

»Gut so«, sagte Mr. Flynn. »Bis dann, alter Kumpel. Halt die Ohren steif! Und wenn du möchtest, dass man dir den Rücken mit Terpentinöl einreiben soll, oder etwas in dieser Art, dann brauchst du nur an die Wand zu klopfen.«

Er ging, noch bevor Mr. Scutts sich eine geeignete Antwort ausdenken konnte, die zu einem Invaliden passen würde, der gleichzeitig vor Kraft strotzt. Der dumme, gerade noch zurückgehaltene Wunsch, aus dem Bett zu springen, um Mr. Flynn hinauszubegleiten, gab ihm eine noch stärker gerötete Gesichtsfarbe.

Am nächsten Morgen ließ er nach dem Arbeitsarzt rufen.

Während er auf ihn wartete, aß er eine Menge Pfeilwurz und trank ein wenig von der Rindfleischbrühe. Eine Flasche mit Rizinusöl und eine leere Pillenbox gaben dem Ganzen den richtigen Rahmen.»

Irgendwelche Schmerzen?«, fragte der Doktor, nach einer kurzen Untersuchung, bei der seine knöchernen und sehr kalten Finger eine große Rolle gespielt hatten.

»Es sind nicht so sehr die Schmerzen«, sagte Mr. Scutts. »Es scheint so, dass ich keine Kraft im Rücken habe.«

»Aha!«, sagte der Doktor.

»Ich habe heute Morgen versucht zur Arbeit zu gehen«, bemerkte Mr. Scutts, »aber ich konnte nicht stehen und auch nicht aus dem Bett kommen.«

»Er war richtiggehend verärgert, der Ärmste«, bezeugte Mrs. Scutts. »Er kann es nicht ertragen, einen Tag zu verlieren. Ich denke, dass die Eisenbahngesellschaft etwas tun muss, wenn es etwas Ernsthaftes ist, müssen sie das nicht, Sir?«

»Das hat nichts mit mir zu tun«, sagte der Doktor. »Ich werde ihn für einige Tage krankschreiben; ich denke, er wird bald wieder in Ordnung sein. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe – eine sehr gesunde Gesichtsfarbe.«

Mr. Scutts wartete, bis er das Haus verlassen hatte. Was die ständigen Aussagen bezüglich seiner Gesichtsfarbe anbetraf, machte er ein paar deftige Bemerkungen, deren sprachliche Unreinheit, verbunden mit einer kräftigen Ausdrucksweise, wahrscheinlich nie wieder übertroffen werden wird.

Ein zweiter Besucher an diesem Tag kam nach dem Abendessen – ein großer Mann in einem Gehrock, mit einem Zylinder in der Hand, der sich, nach einer sorgfältigen Untersuchung des Zimmers, am Knauf des Bettpfostens festhielt.

»Mr. Scutts?«, fragte er mit einer Verbeugung.

»Das bin ich«, sagte Mr. Scutts mit schwacher Stimme.

»Ich komme zu Ihnen im Auftrag der Eisenbahngesellschaft«, sagte der Fremde. »Wir haben jetzt alle besucht, die ihre Namen und Adressen an Montagnachmittag zurückgelassen hatten, und es freut mich sagen zu können, dass niemand ernsthaft verletzt worden ist«.

»Niemand«, fügte er mit Nachdruck hinzu.

Mr. Scutts gab mit leiser Stimme zu verstehen, dass es ihn ebenfalls freuen würde, das zu hören.

»Es wäre auch ein Wunder, wenn es anders wäre«, sagte der andere erfreut, »denn noch nicht einmal die Farbe an der Lokomotive wurde in Mitleidenschaft gezogen. Die größten Schäden scheinen zu sein, dass zwei Hüte lädiert wurden und ein Regenschirm zerbrochen ist.«

Dann lehnte er sich über das Bettgeländer und lachte freundlich, aber Mr. Scutts starrte auf ihn, mit stillem Vorwurf, durch seine halb geschlossenen Augen.

»Ich will damit nicht sagen, dass ein oder zwei Leute nicht doch einen kleinen nervlichen Schock bekommen hätten«, sagte der Besucher nachdenklich. »Eine Lady ist am nächsten Tag sogar im Bett geblieben. Ich habe auch das wieder gutmachen können.«

»Die Gesellschaft ist sehr großzügig und, obwohl es natürlich keine gesetzlichen Verpflichtungen gibt, haben sie einigen von ihnen ein paar Pfund zukommen lassen, sodass sie irgendwo hingehen können, um ihre Nerven zu beruhigen.«

Mr. Scutts, der meist mit geschlossenen Augen zugehört hatte, öffnete sie nun matt und sagte, »Oh!«

»Ich habe einem Gentleman zwanzig Pfund gegeben«, sagte der Besucher, der nun mit einigen Münzen in seiner Tasche klimperte. »Ich habe niemals in meinem Leben einen Mann gesehen, der so zufrieden und dankbar war. Als er die Quittung unterschrieb – ich lasse sie immer eine Quittung unterschreiben, damit die Gesellschaft sieht, dass ich das Geld nicht für mich behalten habe – hat er fast vor Freude geweint.«

»Ich denke mir schon, dass er das getan hat«, sagte Mr. Scutts langsam – »wenn er nicht verletzt war.«

»Sie sind der Letzte auf meiner Liste«, sagte der Besucher hastig.

Er holte ein Stück Papier aus seiner Brieftasche heraus und legte es auf den kleinen Tisch, mit einem Füllfederhalter daneben.

Dann, mit einem Lächeln auf seinem Gesicht, das sowohl weich als auch verspielt war, steckte er seine Hand in die Tasche, holte eine Reihe von Goldstücken heraus und stapelte sie auf dem Tisch.

»Was sagen Sie zu dreißig Pfund?«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Dreißig goldene Kobolde?«

»Wofür?«, fragte Mr. Scutts mit offensichtlichem Desinteresse.

»Nun, um für ein paar Tage wegzugehen«, sagte der Besucher.

»Sehen Sie«, fuhr er fort. »Ich finde Sie hier im Bett vor; Sie könnten eine Grippe haben oder eine Gallenkolik; oder vielleicht sind ihre Nerven doch ein wenig durcheinandergebracht worden, als sich der Zug und die Wagen küssten.«

»Ich bin im Bett – weil ich nicht laufen oder stehen kann«, entgegnete Mr. Scutts, mit sehr deutlicher Stimme. »Ich bin arbeitsunfähig, aber wenn ich in ein oder zwei Tagen wieder in Ordnung bin, gibt es keinen Grund, warum die Gesellschaft mir Geld geben sollte. Ich bin arm, aber ich bin ehrlich.«

»Nehmen Sie meinen Rat als Freund an«, sagte der Besucher, »nehmen Sie das Geld, solange Sie es kriegen können.«

Er nickte bedeutsam, mit Blick auf Mr. Scutts, und schloss dabei zwinkernd ein Auge.

Mr. Scutts schloss sie beide und sagte: »Mein Rücken wurde bei der Kollision verletzt«, sagte er nach einer längeren Pause. »Man musste mir nach Hause helfen. Zurzeit wird es immer schlimmer, aber ich hoffe das Beste.«

»Wie traurig, mein Lieber!«, sagte der Besucher. »Ich denke aber, das hat sich schon längere Zeit angekündigt. Die meisten dieser Rückenprobleme kommen so. Das sagen jedenfalls alle Ärzte.«

»Sie kommen von der Kollision«, sagte Mr. Scutts, sanft aber bestimmt. »Davor hatte ich mich stets bestens gefühlt.«

Der Besucher schüttelte seinen Kopf und lächelte. »Ach!, Sie würden große Schwierigkeiten haben, das zu beweisen«, sagte er mit verhaltener Stimme.

»In der Tat, von Mann zu Mann gesprochen, kann ich Ihnen sogar sagen, dass Sie einen solchen Beweis völlig unmöglich erbringen könnten.«

»Ich befürchte, dass ich jetzt meine Befugnisse überschreite, aber da Sie der Letzte auf meiner Liste sind, folgende Frage: Angenommen – nur mal angenommen – wir würden vierzig Pfund sagen? Vierzig! Ein kleines Vermögen.«

Er legte noch einige Goldstücke zu den Stapeln auf dem Tisch und berührte mit dem Schreibgerät sanft den Arm von Mr. Scutts.

»Ich wünsche Ihnen einen Guten Nachmittag«, sagte der Invalide.

Der Besucher betrachtete dies sofort als einen Mangel an Intelligenz. Er setzte sich auf einen Stuhl an der Ecke des Betts und sprach zu ihm wie ein Freund und Bruder – aber vergeblich.

Schließlich erinnerte ihn Mr. Scutts, dass es Zeit für seine Medizin war, nach deren Einnahme er versuchen würde, etwas Schlaf zu bekommen – sollten es Schwäche und Schmerzen erlauben…

»Vierzig Pfund«, sagte er zu seiner Frau, nachdem der Beauftragte der Eisenbahn gegangen war. »Warum hat er mir nicht eine Tüte mit Bonbons angeboten.«

»Das ist doch eine ganze Menge Geld«, sagte Mrs. Scutts wehmütig.

»Tausend Pfund sind es auch«, sagte ihr Mann.

»Ich habe mir doch nicht meinen Rücken für nichts gebrochen, das kann ich dir sagen. Aber nun halt deinen Mund und wenn ich es bekommen habe, kriegst du ein neues Paar Stiefel.«

»Tausend?!«, rief die erschreckte Mrs. Scutts aus. »Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen oder was?«

»Ich habe von einem Fall in der Zeitung gelesen, wo ein Mann das bekommen hat«, sagte Mr. Scutts, »und er hatte sich auch den Rücken verletzt, der arme Kerl. Wie würdest du dich fühlen, wenn du dein ganzes Leben auf dem Rücken liegen müsstest, selbst für tausend Pfund?«

»Wirst du nun dein ganzes Leben lang im Bett liegen?«, fragte seine Frau und starrte ihn dabei an.

»Warte ab, bis ich das Geld bekommen habe«, sprach Mr. Scutts, »dann kann ich dir mehr dazu sagen.«

Einige Tage später schaute er wehmütig aus dem Fenster. Es war schon gegen Ende Oktober, aber die Sonne schien und die Luft war klar. Der Klang des Verkehrs und fröhliche Stimmen kamen herauf von der kleinen Straße. Für Mr. Scutts schienen dies aber bereits Dinge zu sein, die aus einer entfernten Vergangenheit kommen.

»Wenn der Bursche morgen vorbeikommt und mir fünfhundert offeriert, dann weiß ich nicht, ob ich die nicht nehmen würde«, dachte er. »Ich bin dieses vermoderte Bett leid.«

Auch am nächsten Tag war er voller Erwartung, aber es passierte nichts. Nun, nach einer Woche im Bett, begann er zu begreifen, dass dies eine länger andauernde Angelegenheit werden würde.

Die Eintönigkeit, besonders für einen Mann, der sonst recht aktiv war, wurde fast unerträglich. Mr. Flynn war sein einziger Besucher. Seine Erzählungen von dessen Abenteuern erfüllten ihn mit einer unkontrollierbaren Sehnsucht, aufzustehen und etwas zu tun.

Das gute Wetter war verschwunden. Mr. Scutts lag in seinem zerwühlten Bett und beobachtete die Regentropfen, die sanft an die Scheiben klopften. Dann, eines Morgens, erwachte er in der Dunkelheit des dichten Londoner Nebels.

»Es wird immer schlimmer«, sagte Mrs. Scutts, als sie zurück nach Hause kam, mit einem Gewürz für seinen Tee. »Kannst du nicht sehen, wie sich dein Gesicht verändert hat?«

Mr. Scutts schaute sehr nachdenklich aus. Er nahm still seinen Tee, und als er damit fertig war, zündete er sich seine Pfeife an, setzte sich im Bett auf, um zu rauchen.

»Ich würde gern wissen, was er denkt«, überlegte seine Frau.

»Ich gehe aus«, sagte Mr. Scutts mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

»Ich werde einen Spaziergang machen, und wenn ich dann weit genug weg bin, werde ich mir ein oder zwei Drinks genehmigen. Ich glaube, dieser Nebel ist nur aus dem einen, bestimmten Grund gekommen – damit er mir mein Leben rettet.«

Mrs. Scutts protestierte – aber vergeblich.

Um halb sieben am Morgen lauschte der Invalide an der Haustür und verschwand dann im Nebel, mit einer tief über die Stirn gezogenen Mütze und einem Schal, der die untere Hälfte des Gesichts verdeckte.

Allein gelassen ging Mrs. Scutts zurück ins Schlafzimmer. Sie stocherte im Feuer herum, um es anzufachen, setzte sich hin und dachte über die Eigensinnigkeit der Männer nach.

Kurz darauf wurde sie, durch ein Klopfen an der Tür zur Straße, bei einem Nickerchen gestört.

Es war gerade acht Uhr. Insgeheim beglückwünschte sie ihren Mann zu seiner schnellen Rückkehr und zu seinem gesunden Menschenverstand. Sie ging nach unten, um ihm die Tür zu öffnen, aber stattdessen traten zwei große Männer in Zylindern herein.

»Mrs. Scutts?«, sagte einer von ihnen.

Fast wie betäubt nickte sie.

»Wir sind gekommen, um ihren Mann zu sehen«, sagte der Eindringling. »Ich bin Arzt.«

Die von großer Panik erfasste Mrs. Scutts versuchte, krampfhaft nachzudenken.

»Er schläft«, sagte sie schließlich.

»Das macht nichts«, sagte der Arzt.

»Überhaupt nichts«, sagte sein Begleiter.

»Sie – Sie können ihn jetzt nicht sehen«, protestierte Mrs. Scutts. »Man kann ihn jetzt nicht sehen.«

»Er wird enttäuscht sein, mich verpasst zu haben«, sagte der Arzt und betrachtete sie gespannt, als sie sich schützend vor die Wohnungstür stellte.

»Ich nehme doch an, dass er zu Hause ist?«

»Natürlich«, sagte Mrs. Scutts, stotternd und errötend. »Der arme Mann kann sich ja nicht aus seinem Bett rühren.«

»Nun, dann werfe ich nur einen kurzen Blick von der Tür aus hinein«, sagte der Arzt. »Ich werde ihn nicht aufwecken. Das können Sie nicht verweigern. Denn wenn Sie es machen…«

Mrs. Scutts kam ins Schwimmen. »Warten Sie, ich gehe hoch und sehe nach, ob er wach ist.«

Sie schloss die Wohnungstür und stand da, mit ihrer Hand am Hals und dachte nach.

»Hallo!«, sagte plötzlich die Stimme von dem Gentleman, der in der Spülküche stand und den Schlamm von seinen Stiefeln entfernte. »Was gibt’s?«

Mit einem hektischen Geschnatter erklärte ihm Mrs. Scutts die Situation, so gut es ging, und sagte dann:

»Sie müssen 'Er' sein«, sagte sie und ergriff seinen Mantel, um ihn in hereinzuziehen.

Sie dachte sich, da die Besucher ihren Mann nie gesehen hatten, dass sie den Unterschied nicht bemerken würden.

»Aber …«, rief der erstaunte James Flynn aus.

»Schnell!«, sagte sie scharf. »Gehen Sie ins Hinterzimmer und ziehen Sie sich aus. Dann sausen Sie in sein Zimmer und gehen ins Bett. Und denken Sie dran, Sie müssen die ganze Zeit über fest schlafen.«

Sie hielt den völlig verwirrten Mr. Flynn immer noch am Mantel fest und dirigierte ihn winkend nach oben.

Dann wartete Sie unten, bis ein leichtes Quietschen des Bettes ihr signalisierte, dass er den Anweisungen gefolgt war, und ging wieder zur Wohnungstür.

»Er schläft fest«, sagte sie mit sanfter Stimme, »und denken Sie daran, ich will nicht, dass er gestört wird. Er schläft jetzt das erste Mal richtig fest, seit fast einer Woche. Wenn Sie mir versprechen, ihn nicht zu wecken, dann können Sie einen Blick hineinwerfen.«

»Wir werden ihn nicht stören«, sagte der Arzt.

Gefolgt von seinem Begleiter, ging er geräuschlos die Treppe hoch und warf einen Blick ins Zimmer. Mr. Flynn schlief tief und kein Muskel zuckte, als die beiden Männer auf Zehenspitzen ans Bett herankamen und dort standen, um ihn zu betrachten.

Der Arzt drehte sich nach einer Minute herum und ging voran, als sie das Zimmer verließen.

»Wir werden wiederkommen«, sagte er ruhig.

»Ja, Sir«, sagte Mrs. Scutts. »Und wann?«

Der Arzt und sein Begleiter blickten sich an. »Ich bin im Moment sehr beschäftigt«, sagte er langsam. »Wir schauen irgendwann wieder einmal herein und hoffen, dass wir ihn dann wach antreffen.«

Mrs. Scutts begleitete die Herren nach draußen, und mit einiger Verwunderung ging sie zurück zu Mr. Flynn. »Der Eindruck, den die Besucher gemacht haben, hat mir nicht gefallen«, sagte sie und schüttelte ihren Kopf. »Sie bleiben besser im Bett, bis Bill wieder nach Hause kommt, im Falle, dass sie zurückkommen.«

»In Ordnung«, sagte der gehorsame Mr. Flynn. »Gehen Sie aber bitte kurz zu meiner Vermieterin und sagen ihr, dass ich eine längere Unterhaltung mit Bill habe.«

Er zündete sich eine Pfeife an und setzte sich im Bett auf, um sie zu rauchen. Um halb zwölf gab es ein Klopfen an der Eingangstür. Er hörte es aber nicht, da er inzwischen wieder in den Schlaf gefallen war.

Mrs. Scutts, die unten saß, öffnete und ließ ihren Mann herein.

»Alles klar?«, fragte er. »Warum schaust du so? Was gibt es?«

Er stand da und zitterte vor Beunruhigung und Ärger, als sie ihm alles erzählte. Dann rannte er mit schweren Schritten die Treppe hoch.

Im Schlafzimmer angekommen, starrte er in hilfloser Wut auf die schlummernde Gestalt von James Flynn.

»Geh raus aus meinem Bett!«, sagte er schließlich mit erstickter Stimme.

»Was ist los, Bill!«, sagte Mr. Flynn, als er seine Augen öffnete.

»Geh raus aus meinem Bett«, wiederholte der andere. »Du hast ein ziemliches Durcheinander angerichtet. Das ist doch eine üble Sache, wenn ein Mann nicht mehr nach draußen gehen kann, um ein Bier zu trinken, ohne das Lumpengesindel aus der Nachbarschaft in seinem Bett zu finden, wenn er nach Hause kommt.«

»Wo ist denn dein armer Rücken geblieben, Bill?«, fragte Mr. Flynn freundlich.

Mr. Scutts grummelte ihm etwas entgegen. »Draußen«, sagte er dann, sobald er wieder Luft holen konnte.

»Bill«, sagte die Stimme von Mrs. Scutts, die vor der Tür stand.

»Ja was?«, grummelte ihr Mann.

»Bill, er kann nicht gehen«, sagte Mrs. Scutts, »diese Gentlemen werden wiederkommen und sie denken jetzt, 'Er' ist 'Du'.«

»WAS!«, dröhnte die Stimme des noch wütender gewordenen Mr. Scutts.

»Ja, siehst du denn nicht? Ich bin jetzt derjenige, der die Kontrolle hat, Bill«, sagte Mr. Flynn. »Du kannst dich nicht für mich ausgeben, Bill, du siehst nicht gut genug aus.«

Mr. Scutts, völlig sprachlos, hob die geballte Faust hoch.

»Er muss in deinem Bett bleiben«, sagte Mrs. Scutts. »Er hat ein gutes Herz und er weiß, wie er sich verhalten soll, nicht wahr, Bill?«

Mr. Flynn dachte nach. »Sagt meiner Vermieterin, dass ich mein Zimmer kündige und das Hinterzimmer bei euch genommen habe. Was für ein glücklicher Umstand, dass ich zurzeit ohne Arbeit bin.«

Dann schaute er zu Bill und sagte: »Warum läufst du so auf und ab, Bill? Tut dir dein Rücken wieder weh?«

»Es ist jetzt so«, fuhr Mrs. Scutts fort, in einer sehr nachdenklichen Weise, »dass der Arbeitsarzt und sein Begleiter jetzt Mr. Flynn als Bill kennen, im Gegensatz zu den anderen. Sie könnten jeden Moment erscheinen.«

»Es muss also zwei Bills geben. Die in dem einen Bett sind, und zwar so, dass immer ein Bill in das Hinterzimmer rennen kann, wenn eine der beteiligten Parteien erscheint. Wann dann die andere Bill-Partei kommt, muss der andere Bill – na, ihr wisst schon, was ich meine.«

Daraufhin fluchte Mr. Scutts herum bis zur Ohnmacht.

»So ist es eben, Kamerad«, sagte Mr. Flynn. »Es macht keinen Sinn, dass du hier rumstehst und mit dir selbst redest.«

»Zieh deine Kleider aus und geh ins Bett, wie ein guter, kleiner Mann. Jetzt! Jetzt! Du Ungezogener, du Ungezogener!«

»Vielleicht hätte ich sie nicht nach oben gehen lassen dürfen, Bill«, sagte seine Frau, »aber ich hatte Angst, dass sie den Braten riechen, wenn ich es nicht gemacht hätte, und außerdem wurde ich völlig überrascht.«

»Du gehst jetzt ins Bett«, sagte Mr. Scutts. »Geh ins Bett, solange du dich noch sicher fühlst…«

»Und schlafen Sie gut und erholen Sie sich, Mrs. Scutts«, fügte der rücksichtsvolle Mr. Flynn an. »Wenn Bill der Rücken zu sehr wehtun sollte, in der Nacht, werde ich nach ihm sehen.«

Mr. Scutts sah ihn mit einem drohenden Gesicht an.

»Gib mir zwei Zigaretten und ich gehe nach Hause und bleibe dort«, sagte Mr. Flynn.

Er nahm ein muskulöses Bein aus dem Bett und dann, aufgrund einer ernsthaften Bitte von Mr. Scutts, zog er es wieder herein. Mit ein paar einfachen, männlichen Worten, entschuldigte sich Letzterer und schob die ganze Schuld Mrs. Scutts zu.

Dann zog er sich aus und kam auch ins Bett.

In Decken eingewickelt, verbrachten sie den folgenden Tag, lauschten, ob es an der Tür klopfen würde, und spielten Karten.