Narrativierung - Bernd Floßmann - E-Book

Narrativierung E-Book

Bernd Floßmann

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Beschreibung

Wenn man aus Deutschland in die Welt der Fachbücher schaut, zeigt sich ein eigenartiges Phänomen: Fachbücher aus dem englischsprachigen Raum bestehen zum großen Teil aus Erzählungen, Erfolgsgeschichten, Berichten, Erlebnissen. Deutsche Bücher dagegen folgen eher einer sachlichen Kette von Argumenten, welche mehr oder weniger kunstvoll hin zu einer oder mehreren Schlussfolgerungen geführt werden. Das führt natürlich auch dazu, dass es nicht soviel Spaß macht, deutsche Fachbücher zu lesen. Sie gelten allgemein als trocken und schwer verständlich. Ein Ausweg wäre die Rückbesinnung auf die älteste Form des Wissensmanagements – das Erzählen. Darum geht es in diesem Buch. Es ist ein Essay zu Narrativierung und zu Erzähltechniken für den Unterricht.

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Seitenzahl: 87

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Narrativierung

Im Unterricht und in der Lehre

Bernd Floßmann

Inhalt

Rechtliche Hinweise

Vorwort

Vom Erzählen

1.Die drei Stufen der Mitteilung von Wissen

2.Geschichte(n) erzählen

3.Mikrostories und Metastories

4.Erzählen und Erklären

Narration

5.Narrationen und Narreteien

6.Lüge und Narration

7.Aufklärung und Narrativierung

Mythos und Logos

8.Vom Mythos zum Logos?

9.Narrative und Metanarrative

10.Heldengeschichte

Die Sage vom Dreisatz

Die Sage vom Dreisatz

Eine Story zum Storytelling

11.Storytelling

12.Storytriggering

13.Zuhören

14.Notieren

15.Erzählen

16.Verändern

Anwendung von Storytelling

17.Narrativierung und Story-Way

18.Story-Way

19.Narrativierung, eine Rückkehr zur Zukunft

20.Der innovative Charakter von narrativen Techniken

21.Narrative Kontexte

Story-Way Seminarkonzepte

Story-Way und Pädagogik in heterogenen Gruppen

Erzählungen auslösen (Storytriggering)

Aktives Zuhören

Erzählen lernen

Erinnerungen und Verhalten ändern

Story-Way Workshop

Literaturverzeichnis

Bücher von Bernd Floßmann

Impressum neobooks

Rechtliche Hinweise

Bei der Erstellung von Texten und Abbildungen wurde mit größter Sorgfalt vorgegangen. Trotzdem können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Ausführung der vorgestellten Methoden erfolgt auf eigene Gefahr. Der Autor kann für fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Für Verbesserungsvorschläge und Hinweise auf Fehler ist der Autor dankbar.

In dieser Anleitung werden Warennamen ohne Gewährleistung der freien Verwendbarkeit und ohne besondere Kennzeichnung benutzt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass viele der Warennamen gleichzeitig eingetragene Warenzeichen oder als solche zu betrachten sind.

Impressum

Bernd Floßmann: Narrativierung im Unterricht und in der Lehre

Copyright: © Bernd Floßmann, www.flossmann.de, Story-Way 2017

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors.

Abbildungen: Bernd Floßmann.

Druckfehler und Korrekturen auf www.story-way.de

Hergestellt mit NovaMind, Scrivener, LATEX und KOMAScript

A lie can get halfway around the world before the truth can even get its boots on.

(Mark Twain)

Vorwort

Wenn man aus Deutschland in die Welt der Fachbücher schaut, zeigt sich ein eigenartiges Phänomen: Fachbücher aus dem englischsprachigen Raum bestehen zum großen Teil aus Erzählungen, Erfolgsgeschichten, Berichten, Erlebnissen. Deutsche Bücher dagegen folgen eher einer sachlichen Kette von Argumenten, welche mehr oder weniger kunstvoll hin zu einer oder mehreren Schlussfolgerungen geführt werden.

Das führt natürlich auch dazu, dass es nicht soviel Spaß macht, deutsche Fachbücher zu lesen. Sie gelten allgemein als trocken und schwer verständlich.

Ein Ausweg wäre die Rückbesinnung auf die älteste Form des Wissensmanagements – das Erzählen.

Erzähl mir vom Tod dieses Fuchses. Aber wie? Welches war sein Weg, der zu diesem Punkt geführt hat?

The White Rabbit put on his spectacles. ›Where shall I begin, please your Majesty?‹ he asked. ›Begin at the beginning,‹ the King said gravely, ›and go on till you come to the end: then stop.‹ (Alice’s Adventures in Wonderland. Chapter XII)

Diese Variante der Aristotelischen Theorie von der Erzählung, Anfang – Mitte – Ende, welche der König dem Kaninchen als Erzählstruktur vorschlägt, ist zwar die einfachste, aber auch die von der Wirklichkeit am weitesten entfernteste, also abstrakteste Form der Erzählung von Welt. So führt diese Erzählung auch in Alices Welt zu nichts, das Kaninchen liest ein Nonsense-Gedicht vor, welches der König als Evidence verwenden will, aber nicht kann, weil Alice, die erzählte Erzählerin des Textes genau jetzt aus dem Text herauswächst und schliesslich aufwacht und ihn als Traum erzählt. Doch auch Träume stoßen zu. Schon Aristoteles hat zwischen einfacher (etwas geschieht in einer logischen, erwartbaren, zeitlichen Reihenfolge) und komplizierter Erzählung (etwas Überraschendes, das Gegenteil des Erwarteten geschieht), unterschieden. Von den Schicksalen der Menschen zu erzählen, den eigenen und den fremden, den fiktionalen und den wahren, heisst für die Schriftstellerin, den Schriftsteller, für ihren Text die Rolle und die Verantwortung eines Gottes einzunehmen.

Denn Gott ist die Spur und die Erzählung von der Spur, vom rechten Weg – Logos (λογοσ), Dao(道)

Das Schicksal, Los, Fatum, Kismet, Moira wird beim Schreiben durch die Schriftstellerin, den Schriftsteller repräsentiert. Es heißt, sie entscheiden nach allgemein weit verbreiteter Auffassung nach eigenem Gutdünken über Wohl und Wehe, Tod und Leben ihrer Welten und Geschöpfe.

Doch alle, die schreiben, erfahren etwas anderes.

Die Erzähler schöpfen zwar aus unendlichen Möglichkeiten (Omnipotentia) und sind gleichzeitig in unendlich vielen Welten präsent, diese müssen je für sich selbst wiederum aber logisch sein.

Die Erzähl-Götter sind dazu immer wieder mit der Aktivität, dem freien Willen ihrer Kreationen konfrontiert. Sie sind damit selbst auch nicht völlig frei. Selbst in der Traumwelt von Alice im Wunderland oder in der Science Fiction kann sich nicht völlig und ungestraft und immer über Naturgesetze, Raum- und Zeitdimensionen hinweggesetzt werden. Auch Erzählgötter sind Beschränkungen unterworfen.

Gewissermaßen ist die Welt der Bücher die objektive Realisierung jener unendlichen Vielfalt von Quantenwelten, welche die Physiker gerade zu beschreiben versuchen.

Nur so ist die Anwesenheit von Bösem, der Sieg von Vernunft über Unvernunft auf lange Zeit und der Unvernunft (Barbarei) über die Vernunft (Zivilisation) auf kurze Zeitdistanz zu erklären und zu beschreiben.

Wenn Sie als Erzähler jetzt diese Götter, also sich selbst sprechen lassen wollen, müssen Sie sich im Klaren sein, welche Art Göttin, Gott Sie sein wollen. Zur Auswahl stehen unter vielen Anderen:

Der Jagd- und Rachegott Jahwe (oder Diana), der eingreift und gerne mal daneben schiesst (vgl. den Isaak Mythos),einer der vielen gleichgültigen Götter der Inder, (beratend tätig, aber ständig mit sich und seinen Inkarnationen beschäftigt, am Besten ist, wenn man von diesen Göttern und Dämonen nicht bemerkt wird),der Vernunftgott des Logos, des rechten Weges, von Lao Tsi, Heraklit und dem Evangelisten Johannes, der als Naturgesetz wirkt und die waltende Vernunft in der Natur, die durch die Menschen hinhörend angewandt werden kann, repräsentiert,der unglückliche Vernunftgott der Juden, der unter der Sündhaftigkeit (der Unvernunft) der Menschen leidet, weil er sie liebt, und dessen Handeln rätselhaft ist,der Vatergott des Konfuzius, dem man nur gehorchen muss, um glücklich zu werden,Den Händlergöttern des Mönches Tetzel, welche je nach Opferbereitschaft der Gläubigen strafen oder belohnen, verhandelbar, Krämer, die Seligkeit gegen Ablasszettel und Spenden verkaufen,…

Den einzig wahren Gott gibt es nur aus markttechnischen Gründen: »Du sollst kein Buch kaufen ausser meinem! » Mit den Schriftstellern hat das nichts mehr zu tun, das ist eine Sache des Vertriebs, so wie die Kirche die Vertriebsorganisation der Gottesideen ist, von den Straßenhändlern der Zeugen Jehovas bis hin zu den Einkaufs-Palästen der Weltreligionen.

I

Vom Erzählen

1

Die drei Stufen der Mitteilung von Wissen

Diejenigen, welche etwas erfahren haben, können auf etwas (ver-) weisen, weil sie etwas wissen, Weisheit, Augenzeugenschaft besitzen. Diese Möglichkeit möchte Wirklichkeit werden. Das Wirken von Erfahrung auf Andere ist Kommunikation. Erfahrung, Wissen, Ereignisse sollen kommun werden, möglichst Vielen gemeinsam (Gemeinsames Sein).

Die Weisen also möchten Andere auf Ihre Weisheit hinweisen, diese Weisheit Anderen mitteilen, kommunizieren. Dafür sprechen und schreiben sie in der Sprache, die sie jeweils selbst verstehen. Deshalb besteht oft der größte Teil des Aufwandes, einen Schriftsteller zu verstehen, darin, seine Sprache zu lernen. Dabei ist nicht nur Englisch oder Chinesisch gemeint, sondern auch Fachchinesisch, eine spezifische Wortwahl, eine besondere Art und Weise der Konstruktion von Sätzen.

Der intellektuelle Aufwand für dieses Erkennen, dieses Verstehen, das Lernen der Fachsprache, das Studieren des Kontextes, das Hinterfragen der Botschaft (›intellectus‹ als lateinischer Versuch, das griechische nous νους zu übersetzen, kann auch gelesen werden als: ›Diejenigen welche sich mit dem Verstehen und der Mitteilung von Weisheit beschäftigen‹) schreckt viele ab. Viele Menschen werden damit von der Kommunikation ausgeschlossen oder schließen sich selbst aus der Kommunikation aus (vom »Ich verstehe das nicht« bis zum »Ich will das gar nicht wissen«). Damit sind diese Menschen auch vom Wissen ausgeschlossen, sie bleiben unwissend, unaufgeklärt, sind auf den Glauben im Sinne von Für-wahr-halten angewiesen.

Die Aufklärung, die Verständlichmachung, die Weitergabe von Wissen ist daher der praktische Teil der Wissensmanagements: »Wie sag ich‘s meinem Kinde?«

Das, was ich teilen, mitteilen will, das worauf ich zeige (bezeuge), weise, sind zunächst Sachverhalte, Zahlen, Daten, Fakten, etwas, das der Fall ist, Tatsachen.[Wittgenstein, vgl.: 1, 1.1, 1.11 und 1.12]

Doch beim Mitteilen dieser Fakten, beim Das, Da, Jetzt (Name, Ort, Zeit) bleibt es nicht. Das genügt nicht. Ein Begehren entsteht, das Begehren nach Verständnis dessen, was ich gesehen, erfahren habe, auf was ich hingewiesen werde, was mir gezeigt wird. Denken und Sprache stellen sofort Zusammenhänge zwischen den Tatsachen her. Nicht nur das Was, sondern auch das Warum, Woher, Wieso wird zum Bestandteil unseres gemeinsamen Seins, unseres Inter–Esses, dem Ort, wo die Mit–Teilung stattfindet. Diese Teilung ist so in Wirklichkeit nie ein Teilen im Sinne von Trennen, sondern ein Teilen im Sinne von Verdoppeln. Glück und Erfahrungen verdoppeln sich wenn man sie teilt.

Aus dem Aufzählen von Ereignissen (Und dann, und dann, und dann . . . ) wird das Erzählen von Wissen, Wissen wird narrativiert, aus der Story, dem Bericht, er historischen Abfolge der Ereignisse, welche berichtet werden:

A 1. Paul geht zum Café

B 2. dann holt sich Paul einen Kaffee

C 3. dann stößt Ilse mit ihm zusammen

D 4. dann fällt die Tasse auf den Boden

E 5. dann tröstet Ilse Paul

F 6. dann verliebt sich Paul in Ilse

G 7. dann leben Sie zusammen bis ans Ihr Ende

wird der Plot, Die logische Präsentation der Ereignisse in einer dramatischen Abfolge.

Mit Hilfe von Schlussfolgerungen, Bindewörtern, Bewertungen, Zusammenhängen, »weil« und »deswegen«, werden Verbindungen zwischen den Fakten konstruiert, welche insgesamt eine andere Art des Berichtes, nämlich eine logisch möglichst stimmige Erzählung formen, bei der die Ereignisse nicht mehr einfach aufeinander folgen (post hoc) sondern auseinander hervorgehen (propter hoc):

A 7. Paul und Ilse leben zusammen, wahrscheinlich auch noch bis ans Ihr Ende

B 3. weil er mit ihr zusammengestoßen ist

C 4. und die Tasse auf den Boden gefallen ist

D 2. mit dem Kaffee den er sich geholt hatte

E 1. aus dem Café an der Ecke

F 5. und Ilse tröstete Paul so nett

G 6. daraufhin verliebte sich Paul in Ilse und Ilse in Paul.

Für diese neue Form des Teilens von Wissen, Erfahrungen und Erlebnissen mit Anderen, gibt es drei Stufen. Diese drei Stufen korrelieren mit den drei philosophischen Grundfragen Kants und den drei Grundfragen der Macht:

Abduktion ist die erste Stufe der Erzählung von Wissen. Etwas ist geschehen und diese Erfahrung, dieses Ereignis, dieses Erlebnis weicht von der bisherigen Erfahrung ab. Dieses Wissen wird als Fakt erzählt (»Es regnet!«) und gleichzeitig werden Vermutungen ausgesprochen, wie dieser Fakt mit den bisherigen Erfahrungen, Erlebnissen und Ereignissen in Zusammenhang stehen könnte.

Bei dieser Erzähltechnik entstehen also in verschiedenen Stufen der Retroduktion nach einer Störung von Erfahrungswissen durch konstruktives Verbinden von Ereignissen Hypothesen.