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Der inhaltliche Teil von Lern- bzw. Kommunikationsprozessen ist an drei Grundwerte jedes Menschen gebunden und wird durch die lernenden Individuen jederzeit vom Standpunkt dieser Grundwerte gewichtet: >> 1. Führen die Informationen zu einem Statusgewinn?<< >> 2. Führen die Informationen zu einem Lustgewinn?<< >> 3. Führen die Informationen zu einem Identitätsgewinn?<< Wenn diese Fragen von allen Beteiligten nicht positiv beantwortet werden können, wird das Lernen, Lehren, Führen und Motivieren schwer. Lernen leichter zu gestalten, menschengemässer, das ist das Ziel dieses Buches. Diese Technik wird in der Werbung als Gamifikation (Spielifikation) bezeichnet. Angewandt auf Unterricht und Lehre bietet sie mächtige Werkzeuge zur Motivation.
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Seitenzahl: 275
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Imprint:
Status - Lust - Identität. Wirkungsweise und Anwendung von Gamifikation im Unterricht und in der Lehre
Bernd Floßmann
published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright © 2013 Bernd Flossmann, www.flossmann.de, StoryWay
4. veränderte Auflage
ISBN978-3-8442-6295-7
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und jede Art der Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors.
Abbildungen 2.1, 3.1, 3.2, 3.9, 7.6, sind Public Domain, Abbildung 4.6 Wolfgang Rieder, alle anderen Abbildungen: Bernd Floßmann
Bernd Floßmann
Status – Lust – Identität
Wirkungsweise und Anwendung von Gamifikation im Unterricht und in der Lehre
Dieses Buch enthält neben praxisorientierter Theorie zu den Hebeln der Beeinflussung von Motivation eine Auswahl von Lernmethoden, Lernspielen und Anweisungen aus meiner Praxis. Ich habe versucht, vor allem die Techniken und Theorien, praktischen Erfahrungen und Tricks vorzustellen, mit denen ich in meiner Lehrtätigkeit die besten Erfahrungen habe. Die Methoden wurden selbstverständlich nicht alle von mir entwickelt. Quellen sind im Literaturverzeichnis zu finden.
Dieses Buch stellt einen eher philosophierenden Zugang zu Lernen und Führen zur Verfügung. Damit unterscheidet es sich von den üblicherweise psychologisierenden oder pädagogisierenden Büchern, aber auch von den trickreichen technischen Anleitungen oder den ökonomisch-betriebswirtschaftlichen Abhandlungen zum Thema.
Herrschaftstechniken wie Lehrtechniken erweitern ihre Arsenale ständig mit der Entwicklung neuer Erkenntnismodelle durch die Entwicklungen der philosophischen Erkenntnistheorie, der Soziologie, der Phänomenologie, der Psychotherapie, der Psychologie, aber auch der Naturwissenschaften. Moderne Lehr-, Führungs- und Herrschaftstechniken haben vieles aus diesen Fächern geborgt. Das religiöse wie das philosophische Menschenbild sind entscheidend für das Herangehen an Lehren, Herrschen und Führen. Es ist auffällig, dass trotz der riesigen Menge an Veröffentlichungen über die Grundhaltungen dreier Philosophen noch nicht wesentlich hinausgegangen wurde, Platons Sokrates, Aristoteles und Immanuel Kant haben die geistige Grundlage gelegt für alle modernen pädagogischen Theorien oder Führungslehren. Hegel, Marx, Kierkegaard und Heidegger werden verehrt, aber nicht oder kaum angewandt. Marxistische Pädagogik ist seit dem Niedergang des sozialistischen Weltsystems völlig aus der ernstzunehmenden Literatur, soweit ich sie kenne, verschwunden oder taucht unter anderem Namen, zum Beispiel der kritischen Theorie der linksorientierten Frankfurter Schule, verschiedener systemtheoretischer Ansätze oder ökonomistischer Theorien wieder auf. Behavioristisches Motivieren folgt Erfahrungen aus Experimenten der Forschungskreise um Skinner, Pawlow und Watson. Neurolinguistisches Programmieren (NLP) ist eine Zusammenfassung erfolgreicher psychotherapeutischer und hypnotherapeutischer Techniken des Gestalttherapeuten Fritz Perls, der Familientherapeutin Virginia Satir und des Hypnotherapeuten Milton H. Erickson. Suggestopädie oder Hyperlearning nach Lozanov sowie die biologistischen Vorschläge von Manfred Spitzer sind beeinflusst durch die moderne Gehirnforschung. E-Learning und Blended Learning sind beeinflusst durch die Entwicklungen in der Technik, insbesondere von Computern und Datennetzen.
Marxistische Theorien betonen die Bedeutung der Gestaltung ökonomischer und technischer Bedingungen für die Entwicklung von Lernen und Führen. Feministische Theorien decken die einseitige Vorherrschaft männlicher Denksysteme auf. Psychologische und psychotherapeutische Zugänge zum Lernen finden sich vor allem in den Randbereichen der Pädagogik, der Hochbegabtenförderung und in der Benachteiligtenförderung. Auch wenn Psychologen und Psychotherapeuten einander gelegentlich die Kompetenz absprechen, findet sich in den von ihnen verwendeten Techniken jedoch sehr viel Material für Lehr- und Lerntechniken. Besonders hervorzuheben ist hier der Ansatz der hypnotischen Sprachmuster von Milton Erickson und der Körper- und Bewegungsansatz von Virginia Satir, der vor allem in der Familienaufstellung und der Skulptur angewendet wird. Dabei ist jedoch immer darauf zu achten, dass im Gegensatz zur autoritativen Art und Weise wie Bert Hellinger diese Techniken anwendet, Interpretation, persönliche Integrität und Freiheit immer auf der Seite der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu bleiben haben.
Viele Lernhindernisse und Spannungen lassen sich mildern oder gar positiv ausnutzen, wenn die psychische Seite behutsam und voller Zuneigung zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern berücksichtigt wird. Natürlich soll die Therapie Sache der professionellen Therapeuten sein und bleiben, Lernen hat aber auch immer eine therapeutische Komponente und diese muss zumindest bewusst sein und berücksichtigt werden. Deshalb fliessen Techniken aus dem Konvolut des Neurolinguistischen Programmierens behutsam in die Gestaltung von teilnehmerzentrierten Lernsituationen ein.
Virginia Satir hat dazu ihre Grundhaltung in den »Fünf Freiheiten« ausgedrückt, zu denen sie ihren Patienten verhelfen wollte:
• Die Freiheit zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist - anstatt das, was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird.
•Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke und nicht das, was von mir erwartet wird.
•Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen und nicht etwas anderes vorzutäuschen.
•Die Freiheit, um das zu bitten, was ich brauche, anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten.
•Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer nur auf ›Nummer sicher zu gehen‹ und nichts Neues zu wagen.1
Weiter sind der Ansatz von Jaques Lacan zum Spiegelstadium2 und zum Begehren und die Freudschen Ansätze zur Lust, zur Übertragung und zur Neurose eingeflossen. Von Lacan ist besonders die Unterscheidung von Realem, der Differenz zwischen bisher gekonntem und realem Können, die unfassbare und unerwartete Realität, von Imaginärem, in inneren Bildern vorliegendem Selbstbild, die Vorstellungswelt und Symbolischem, der erlernten und geübten Sprache, den Zeichen, dem Verhältnis und der Verwirrung von Signifikanten und Signifikaten für meine Lehre bedeutsam.
Weitere Einflüsse sind in diesem Buch mit dem Ansatz der Themenzentrierten Interaktion (TZI) von Ruth Cohn, der Transaktionsanalyse von Eric Berne und der Theorie der bio-psycho-sozialen Einheit Mensch von Karl-Friedrich Wessel zu finden.
Im Führungsprozess wie im pädagogischen Prozess unterscheiden Rubner/Rubner37 fünf typischen Gruppenphasen:
Die Phase der Orientierung Die Phase des Kampfes und der Flucht Die Phase der Interdependenz Die Phase des Vertrauens Die Phase des ÜbergangsIn ihrer weiteren Forschung fügen Rubner/Rubner zwischen die erste und die zweite Phase noch eine weitere Phase ein, die Phase der Annäherung und Zusammenarbeit. Nach meiner Ansicht wird diese Phase aber durchaus ausreichend mit der zweiten und dritten Phase repräsentiert. Ich korreliere daher fünf Phasen mit diesen Hauptmotivatoren:
Kontakt Status Lust Identität Transfer.Diese fünf Phasen bilden die Struktur dieses Buches, ergänzt durch philosophische, pädagogische und psychologische Grundlagenkenntnisse und Methoden zur Gliederung von Prozessen und Basisfertigkeiten, ohne welche jede Führung und jede pädagogische Intervention zum Scheitern verurteilt ist.
Denn jeder, der sein innres Selbst nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern. [Goethe]
Klein Lieschen hat die Vase von Erbtante Erika heruntergerissen, sie steht vor dem Scherbenhaufen und weint. Mutter hat das Geräusch gehört, kommt gelaufen und schimpft: »Warum hast du das getan?«
Was haben wir hier?
Zunächst haben wir das Ergebnis einer Bewegung. In diesem Fall ist es ein Scherbenhaufen. Klein Lieschen weint, weil sie mit dem Ergebnis ihrer Handlung nicht zufrieden ist. Mutter schimpft aus demselben Grund. Aber da ist noch mehr.
•Warum ist Lieschen nicht zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bewegung der Vase?
•Was will Lieschen mit dem Weinen erreichen?
•Ist Lieschen jetzt für immer böse und wird ein schlimmes Ende nehmen?
•Wieso kommt Mutter auf die Idee, dass die Vase von Lieschen mit einer Intention, also absichtlich, zerschmettert wurde?
•Was geschieht nun mit Lieschen?
•Wird sie sich eine Begründung »post festum« ausdenken?
•Wird es eine gerechte Strafe geben und was wäre das eigentlich?
•Kann eine solche Strafe zukünftiges Verhalten von Lieschen, insbesondere in Bezug auf die anderen zwanzig Vasen von Erbtante Erika verändern?
•Warum schimpft Mutter, obwohl sie die Vasen von Erbtante Erika selbst nie benutzt und in Wirklichkeit hasst, weil sie sie hässlich findet?
•Hätte das Handeln von Lieschen verhindert werden können, hätte sie rechtzeitig eine Fortbildung über den Wert der Vasen und das Verhalten in Wohnzimmern erhalten?
Mutter unterstellt Lieschen ein Motiv, eine Absicht. Sie kann nicht glauben, anerkennen, dass es sich einfach nur um eine Bewegung mit unvorhergesehener Wirkung gehandelt haben könnte. Und selbst wenn sie das annehmen würde, könnte sie sich in Anbetracht der anderen zwanzig Vasen und den damit verknüpften Hoffnungen auf das Erbe von Tante Erika nicht mit einem solchen unkontrollierten Verhalten abfinden.
Mutter nimmt Ziele und Beweggründe an und verwandelt so Lieschens Bewegung in ein Handeln. Aus diesem Handeln von Lieschen sollen daraufhin in einem ersten Schritt Strafen, Belohnungen und andere Interventionen abgeleitet werden. Diese sollen in einem zweiten Schritt dazu führen, dass ein bestimmtes unerwünschtes Verhalten nicht wiederholt oder ein bestimmtes erwünschtes Verhalten wiederholt wird. Mutter hofft auf eine bleibende Verhaltensänderung, darauf, dass Lieschen aus der Kombination von Untat und Beschimpfung etwas gelernt hat.
Die Belehrung Lieschens durch Mutter mittels pädagogischer Methoden ist ein Machtakt mit dem Ziel der Verhaltensänderung und so wird er auch von Lieschen empfunden. Deshalb weint sie. Ob das Weinen aus dem Gefühl der Ohnmacht kommt oder aus der Angst vor der Strafe oder aus dem Schreck über die Folgen einer Handlung, welche die von ihr geliebte Mutter vielleicht traurig macht, ist nicht eindeutig bestimmbar.
Die Frage, warum jemand etwas tut, oder warum jemand etwas getan hat, stellt sich, abhängig vom Ergebnis einer Handlung, mehr oder weniger ernsthaft und intensiv. Ob es um die Vase von Erbtante Erika oder um ein Ventil im Atomkraftwerk Tschernobyl geht oder um die politische Entscheidung für ein Eingreifen in einem lokalen Konflikt, die Struktur des motivierten Handelns ist ähnlich. Die Folgen dieses Handelns aber betreffen uns und je nach dieser Betroffenheit sind wir an der Beeinflussung von Verhalten interessiert.
Aristoteles, der Zusammenfasser des Wissens zu seiner Zeit, ging bei seiner Untersuchung des Handelns in der »Nikomachischen Ethik« davon aus, dass jedes Handeln einem Zweck oder einem Ziel, der Erreichung eines Gutes zu dienen scheint. Das Höchste dieser Güter war für ihn die Glückseligkeit.
Aristoteles geht so vor: Erst haben wir, mehr oder weniger bewusst, einen Zweck, dann handeln wir. Alles Andere ist nur Bewegung. Wenn ich also die Zwecke der Menschen kenne, kann ich ihr Handeln begreifen und wenn ich den Menschen Zwecke setzen kann, kann ich Menschen (ver-) führen, meine Zwecke zu erfüllen. Handlungstheorie ist somit die Basis für die Ethik. Und die Ethik ist die Basis für verantwortungsvolles Handeln. Soweit der Traum von Aristoteles und der meisten jener, welche seitdem versucht haben, die Motive von Menschen zu beeinflussen oder wenigstens zu erkennen.
Wir haben hier einige Grundfragen der Macht und der Lehrtheorie versammelt.
Machttheorien fragen seit jeher in drei Richtungen:
•Warum hat jemand etwas getan?
•Was kann ich tun, damit jemand Anderes etwas tut, was mir recht ist?
•Worauf kann ich hoffen? Welche Veränderungen sind möglich?
Die erste Frage ist analytisch, die zweite synthetisch, die dritte utopisch. Diese Fragen erinnern an Immanuel Kant, der diese drei Fragen grundlegend umdrehte und als Fragen formulierte, welche durch die Philosophie beantwortet werden müssen, um ein Leben als aufgeklärter Mensch führen zu können:
•Was kann ich wissen? Diese Frage wird durch die Kritik der reinen Vernunft, besonders die Erkenntnistheorie beantwortet.
•Was soll ich tun? Diese Frage ist die Kernfrage der so genannten praktischen Philosophie oder der Ethik. Sie ist Kern aller modernen Handlungs- und Führungstheorien.
•Was darf ich hoffen? Diese Frage wird durch Kant nicht beantwortet, denn sie ist utopisch. Hoffnung und Angst sind die Bereiche, in denen sich die Geheimnisse der intrinsischen Motivation, jener geheimnisvollen Gründe für menschliches Verhalten verstecken. Unbewusstes, Instinktives, Religiöses, Esoterisches, Schamanisches wird hier diskutiert und ausprobiert. Ich lese jedoch Utopia (οὐτοπία) Kein–Ort als kein–bestimmter–Ort, als überall!3 Damit ist für mich der Ort und die Zeit der Hoffnung nicht N–irgendwo und N–irgendwann sondern Überall und Immer.
Kant vollzieht eine Wende von der allgemein üblichen über extrinsische, von äusseren Beweggründe, Strafen und Lohn (Lehen), Zuckerbrot und Peitsche bewirkten Beeinflussung von Verhalten hin zu intrinsischem, von inneren, allein aus dem Subjekt stammenden Beweggründen bewirktem Verhalten.
Es könnte eingewendet werden, dass Bildung nicht immer Verhaltensänderungen anstrebt, sondern mitunter auch nur Wissen, Bewusstheit oder eine gewisse Einfühlung ermögliche. Doch auch in diesen Zusammenhängen steht die Hoffnung, dass die Vermittlung von Wissen oder, in einer weiteren Stufe der Pädagogik, die reine Verbesserung des Zugangs zu Wissen die Bedingungen bereitstellt, welche letztlich eine Verhaltensänderung bewirken.
Es ist wie bei einem Verkauf. Sicher gibt es eine Informations- und Planungsphase, in der Beratung im Zentrum steht. Wenn es aber dann nicht zum Vertragsschluss und zur Vertragsausführung kommt, erweisen sich Informationen und Planung als wertlos. Bestenfalls kann sich dieser Aufwand auf spätere Transaktionen auswirken.
Diese Bewegung kann in der gegenwärtigen Diskussion um Motivationstheorien wie in der gegenwärtigen pädagogischen Diskussion ebenfalls beobachtet werden. Die »kopernikanische Wende«, welche Kant anstrebte, ist offensichtlich nicht einfach zu vollziehen und dann Schluss, sondern eine ständige Aufgabe.
Sicher kann der Anfang darin bestehen, erst mal selbst richtig zu handeln4, so wie es Immanuel Kant für das eigene Handeln fordert: »[...] handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.«5. Das aber ist anstrengend und es besteht immer die Gefahr, die Ursachen und damit die Schuld für die jeweilige Misere bei sich selbst zu finden. Deshalb lässt Goethe auch Erichtho6 am Beginn der klassischen Walpurgisnacht sagen:
»Wie oft schon wiederholt’ sich’s! wird sich immerfort
Ins Ewige wiederholen... Keiner gönnt das Reich
Dem andern, dem gönnt’s keiner, der’s mit Kraft erwarb
Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß...«7
Pädagogik8 ist Menschenführung, so wie Menschenführung, Demagogik9, pädagogische Elemente hat. Die Führer von Menschen könnten also von der Pädagogik lernen, wie die Pädagogik aus der Führung von Menschen gelernt hat. Die Geschichte kann als eine Abfolge erzählt werden, in der immer wieder die Sklaven, die Knechte, die Herren ablösen. Das bleibt nicht unbeobachtet. Die gebildete rhetorische Kraft der Sophisten, Juristen und Politiker wird daher mit Misstrauen gesehen. Das kann auch am Bedeutungswandel des Wortes Demagoge und an der Wertung von Pädagogik abgelesen werden.
Wer die Macht hat, braucht keine Rhetorik, kein Wissen, keine Fertigkeiten. Das was er braucht, kann er erpressen oder kaufen. Interesse an Wissen haben vor allem diejenigen, welche sich auf die Macht vorbereiten, welche Macht erringen wollen.
Was verbindet Pädagogik, Herrschaft und Führung? Kann das Heer der Pädagogen, der Lehrer, der Erzieher, der Ausbilder, Sozialpädagogen und Professoren mit Führungskräften der Wirtschaft und können diese wiederum mit Politikern und diese wiederum mit Königen, Päpsten oder Diktatoren verglichen werden? Ist herrschaftsfreier Unterricht überhaupt möglich, ist er nötig? Was unterscheidet den Pädagogen vom Demagogen? Wodurch unterscheiden sich die Werkzeuge der Macht, die Sprache und der Rohrstock, Zuckerbrot und Peitsche, Brot und Spiele, Manipulation und Motivation? Warum und wann reicht Zwang nicht mehr aus? Wie verläuft der Entwicklungsweg vom Zwang zur Manipulation zur Motivation und von dort zur Inspiration? Wann benötigt Herrschaft Motivation und pädagogische Techniken?
Sprache und Rohrstock waren von jeher die Werkzeuge der Pädagogen, der Knabenführer der Antike. Diese Sklaven, ursprünglich raue Burschen, begleiteten die Knaben auf dem Weg zum Stadion um sie vor lüsternen Männern zu beschützen und nutzten die Gelegenheit, um ihre Schützlinge in den Grundlagen sozialen Verhaltens zu unterrichten, vornehmlich
•ihr Gewand richtig zu tragen,
•auf der Straße anständig und mit niedergeschlagenen Augen zu gehen,
•beim Sitzen weder die Füße übereinander zu schlagen noch das Kinn mit der Hand zu stützen,
•still zu schweigen,
•und bei Tisch nicht leckermäulig zu sein.10
Dafür wendete der Paidagogos schon mal die Prügelstrafe an. Knaben hart zu erziehen, schien damals in Athen wie heute in Eton eine gute Methode, sie auf das Leben in Herrschaftssystemen vorzubereiten.
Mädchen wurden im Haushalt erzogen. Die matristische Gesellschaft ist die naturwüchsige Herrschaft der Mütter im Haushalt. Deshalb bedeutet Matriarchat11 auch nicht, wie einige fälschlich anzunehmen scheinen, Herrschaft der Frauen. Die jungen Mädchen waren schon immer den Großmüttern und deren Einschränkungen unterworfen und wurden dort vor ungewollten Schwangerschaften durch brutalste Mittel wie Beschneidung, die Verhüllung bis hin zu moralisch-religiösen Fesseln wie dem Kult um die Jungfernschaft, ebenfalls vor lüsternen Männern geschützt.12
Die Nutzung ausländischer Sklaven als Pädagogen ist in vielen Ländern Standard und ein Problem. So hat die gegenwärtige Gesellschaft in arabischen Ländern, aber auch in Nordamerika große Probleme dadurch, dass die Kinder reicher Leute hauptsächlich von philippinischen oder lateinamerikanischen christlichen Mädchen erzogen werden, welche natürlich schon instinktiv ihre Kultur übertragen.
Die Macht der Lehrenden besteht in der frühen Einprägung der Grundlagen der Kultur: Sprache, Glaube, Sitte. Die Macht der Mächtigen in Bezug auf die Erwachsenen besteht vorwiegend in einer Modifikation, in einem Auskommen mit den Sprachsystemen, Glaubenssystemen und Sitten im politischen Raum.
Von denen, welche mutig in der Schlacht dem Heer vorangehen, Fürsten, Herzöge verändert sich die Rolle der Führung mit der Verlagerung der Macht hin zu denjenigen, welche aus dem Hintergrund führen, als Mätressen, als »graue Eminenzen«, mit Manipulation, Intrigen und Betrug, entwickelt sich weiter hin zu den Führern und Aufrührern, welche die inneren Kräfte von Menschen mobilisieren.
Den momentanen Gipfel der Führung und des Lehrens nehmen Menschen ein, welche andere Menschen inspirieren, ihnen ihren Spirit, ihren Geist eingeben, etwas bewirken, ohne selbst materielle oder ideelle Gewalt ausüben zu müssen, zu diesen Menschen gehören Gandhi, Einstein und die mittlerweile ins Massenhafte gewachsene Menge der Motivationstrainer, professionellen Redner und Politiker, wie sie bei TED-Talks13 auftreten, aber auch Prominente aller Art und die Fernsehprediger.
Da nur wenige später herrschen können, ist Schule überwiegend auf die Erziehung zum Beherrschtwerden ausgelegt. Am leichtesten lassen sich Menschen beherrschen, wenn sie beherrscht werden wollen, wenn sie gerne tun, was ihre Herrscher möchten. Die Technik, diesen Zustand zu erreichen, nennt man Motivation. Motivation wird überwiegend durch Pädagogen gelehrt.
Die vier großen Bereiche der Bildung: Vorschule, Schule, Berufsausbildung und Weiterbildung entsprechen den Bedürfnissen der Erziehung in Herrschaftssystemen. Dabei konzentriert sich die Herrschaftsvorbereitung auf die Schule. Deshalb gibt es auch die Schulpflicht.
Das Schulsystem in Deutschland untersteht gemäß Art. 7 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland dem Staat. Ursprünglich gedacht, um die Bauern zu zwingen, ihre Kinder wenigstens für die Sonntagsschule von der Arbeit auf dem Hof freizustellen, ist Schule bis heute gesetzlich festgelegt eine Staatsaufgabe, deren Angestellte im Interesse der jeweils herrschenden Staatsform tätig sind. Hierin unterscheidet sich die Koranschule in nichts von den modernen mehrgliedrigen Schulsystemen.
In diesem Text wird vorwiegend am Beispiel des Lernens das Spiel mit der Macht im mehrfachen Sinne betrachtet. Unter anderem:
•als Anwendung spieltheoretischer und spielerischer Elemente auf den Umgang mit Machtverhältnissen,
•als spielerisches Herangehen an das Leben in Machtstrukturen in sicheren Lernumgebungen und Lernsituationen,
•in der Betrachtung der Struktur und Bewegung von Machtverhältnissen als Spiel der Kräfte, insbesondere des Begehrens nach Status-, Lust und Identitätsveränderungen,
•als Austesten von Möglichkeiten für die Entwicklung der eigenen Leistungsfähigkeit für Machtausübung.
Motivation richtet sich auf sechs Bereiche in zwei Feldern.
Die Bereiche im Feld der extrinsischen, ausserhalb der Person liegenden Motivation, verbunden mit dem und abhängig von dem Status der handelnden Personen sind:
•Sollen, die gesellschaftliche Norm, der Auftrag,
•Müssen, der Zwang, die Anerkennung von Notwendigkeit,
•Dürfen, Erlaubnisse und Zuständigkeiten.
Die Bereiche im Feld der intrinsischen, innerhalb der Person liegenden Motivation, welche die Identität der handelnden Personen beschreiben, sind:
•Können, die Erweiterung der Fähigkeiten und Fertigkeiten,
•Wollen, Entscheidungskraft und Durchsetzungsvermögen,
•Mögen, Wünsche, Sehnsüchte und Begehren.
Die Ausübung der Tätigkeit selbst schliesslich erzeugt Zustandsveränderungen und kostet Energie oder setzt Energie frei. Diese Energie äussert sich als Lust, beziehungsweise Frust. Rickert hat dazu ein schönes Gedicht verfasst:
»Sechs Wörtchen nehmen mich in Anspruch jeden Tag:
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.
Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben,
das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben.
Ich muß, das ist die Schrank’, in welcher mich die Welt,
von einer, die Natur von andrer Seite hält.
Ich kann, das ist das Maß der mir verlieh’nen Kraft,
der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft.
Ich will, die höchste Kron’ ist dieses, die mich schmückt,
der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt.
Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel,
Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel.
Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt,
ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt.
Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag,
Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag.
Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag
ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.«14
Status, Lust und Identität sind Hauptkomponenten einer Führung, welche Zwang und Gewalt zwar einschließt, sich aber nicht darauf beschränkt. In der bewussten Handlung, der Tat von Menschen realisiert das Ungetrennte, das Atome von Sollen, Müssen, Dürfen, Können, Wollen und Mögen - Status, Lust und Identität.
Motivationsbücher werden von Pädagogen genauso gern gelesen wie von Führungskräften in Politik und Wirtschaft. Offensichtlich besteht hier ein ähnliches Problem: Wie kann ich dafür sorgen, dass andere Menschen tun was ich möchte? Im Wort »möchte« steckt »Macht«, noch in der Möglichkeitsform, als Wunsch. Dieser Wunsch kann auch so ausgedrückt werden: »Wie kann ich meinen Wunsch nach Macht realisieren?«
Herrschaft wird nicht nur über körperliche Gewalt ausgeübt, Herrschaft beginnt schon bei der Sprache, verbaler Gewalt. Die Macht der Worte und die Macht der Faust koexistiert, machmal in einem Menschen vereint, manchmal auf verschiedene Menschengruppen verteilt. Krieger und Priester, Legislative, Judikative und Exekutive, Papst und König, Wissenschaft und Politik sind verschiedene Agenten der Gewaltausübung. Und es gibt die Gegengewalt von Seiten der Beherrschten: Die Opposition, die Renitenz, die Verweigerung, den Dienst nach Vorschrift, den Streik, die Revolution.
Dass es die Möglichkeit der Herrschaft von oben nach unten gibt, glauben die meisten Menschen sicher zu wissen, dass es eine Herrschaft von unten nach oben gibt, erstaunt immer wieder. Unten und Oben sind Kategorien von Hierarchien. Herrschaft und Knechtschaft sind Kategorien von Beziehungen.
»Herrschaft« bedeutet gemeinhin Machtausübung. »Frauschaft« gibt es nur als seltene Bezeichnung für ein weibliches Team. Das Thema der Nutzung männlicher oder weiblicher Sprachformen in einem Dokument ist ein Thema der Macht und der Herrschaft. Die Reduzierung des Menschen auf den gesunden weißen, reichen Mann ist erst spät entstanden. Männlich kommt ursprünglich von Mensch15, nicht von Mann.
Schon die Benutzung von »Sie« oder »Du« entscheidet über die angestrebte Distanz. Die Kenntnis und die Benutzung von Vorname, Titel oder Nachname entscheidet über die Anerkennung von Status. Die Kombination des Pronomens mit dem Vornamen oder dem Nachnamen sagt etwas aus über die realen oder gewünschten Machtverhältnisse:
•Du und Vorname - Vertrautheit, Brüderlichkeit, Zuneigung
•Sie und Vorname - die Dienstbotenanrede, Distanz und Abwertung
•Sie und Titel und Nachname - Distanz und Hochachtung.
Die Okkupation von Rechten, welche sich aus dem Menschsein ergeben, durch gesunde weiße reiche Männer unter Ausschluss des ganzen Reichtums der anderen Geschlechter wie Frauen, Lesben, Schwule, Transsexuelle, Intersexuelle, Androgyne, Zwitter, ist nur eine Seite des Ausschlusses von Macht durch den Ausschluss aus der Sprache und historisch spät entstanden. In einigen Gesellschaften sind diese Abweichler von der Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit schon immer Bestandteil der Gesellschaft als Muxe in Juchitan (Mexiko), Hijra in Indien oder Katoy in Thailand. Dieser Ausschluss von der Macht galt und gilt historisch auch Kindern, Alten, Armen, Kranken, Ausländern, Farbigen, Behinderten, Andersgläubigen und den Leuten aus dem Nachbardorf und korrespondiert bis heute mit dem Ausschluss von Bildung auf Grund von Reichtum, Herkunft oder Wohnort.
Integration würde bedeuten, diese Personengruppen als Fremde anzuerkennen, welche eingegliedert werden können, sollen oder müssen. Wer »Integration« sagt, erkennt »Fremde« an. Deswegen werden auch inklusive Schulen statt Integration gefordert, denn wer »inklusiv« sagt, erkennt »Ungetrenntheit« an.
Wenn in diesem Text nur Frauen oder andere Geschlechter gemeint sind, werden sie auch als solche bezeichnet, wenn Menschen im allgemeinen gemeint sind, werden die menschlichen Formen benutzt.
Auch Sie haben es sicher oft mit Menschen zu tun, welche Lernschwierigkeiten und Lernbehinderungen, haben. Sie haben es gewiss auch schon mit Menschen zu tun gehabt, welche nicht tun wollten, was Sie für richtig hielten und dieses Verhalten für Motivationsschwierigkeiten gehalten.
Sie haben sicher schon mal darüber nachgedacht, warum aber selbst diese Menschen nicht nur oft begeistert und ausdauernd Fußball oder andere Spiele spielen, viel Geld investieren, und dazu noch fähig sind, Namen, Spielstände, Zeichen, Geschichten von Clubs und Spielern, von Helden und Tricks ohne Probleme aus dem Kopf herzusagen und sich dieses Wissen selbständig und ohne Hilfesysteme anzueignen? Und das, obwohl Fußball oder Computerspiele und die damit verbundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten nur für einen äusserst verschwindenden Teil von ihnen jemals eine berufliche oder wirtschaftlich existenzielle Bedeutung haben werden? Es gibt sogar eine eigene Fußball-Weltmeisterschaft von Menschen mit Lernschwierigkeiten, die im Rahmen des Behindertensports ausgetragen wird. Als Führungskraft haben Sie sicher gelegentlich mit Mitarbeitern zu tun, welche, statt motiviert zu arbeiten, ihre Arbeitszeit hochmotiviert auf dubiosen Webseiten verbringen.
Natürlich haben Sie darüber nachgedacht. Nun, dann sind Sie gewiss so wie ich zu dem Schluss gekommen, dass in der Struktur des komplexen Systems Fußball oder in den Strukturen der komplexen Systeme von Computerspielen motivierende Wirkungsmechanismen versteckt liegen müssen. Diese Wirkungsmechanismen sollten doch auf das Lernen und Lehren anderer Zahlen, Daten und Fakten, für die motivierte Ausführung anderer Tätigkeiten, solcher, welche wir für wichtig und existenziell wichtig für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer halten, übertragen werden können!
Dieses Wissen, denn es handelt sich hier eindeutig um Wissen in Erinnerung, Geschichten, Zahlen, Daten und Fakten, unterscheidet sich nicht von jedem anderen Wissen, welches als Erinnerung, Geschichten, Zahlen, Daten oder Fakten gewonnen und gespeichert wird. Der Lustgewinn macht einige Leute geradezu blind für die Folgen ihrer Handlungen, sei es beim Fußballspiel als Hooligans, sei es im Job der Verlust des Arbeitsplatzes.
Warum sind dieselben Menschen auf der einen Seite lernbehindert und demotiviert und auf der anderen Seite lernfähig, begeisterungsfähig und lernbegierig? Ist Motivation überhaupt möglich, ist sie notwendig und steckt da nicht vielleicht etwas ganz anderes dahinter?
Was gilt nun? Ist Motivation gut und Manipulation böse? Bei der Diskussion dieser Frage ist es faszinierend, zu erleben, wie auf die einfachste Logik verzichtet wird, wenn es um unsere Grundbedürfnisse geht: Entweder, ein Mensch tut etwas oder er tut etwas nicht. Wenn ein Mensch etwas tut, was mehr ist als nur einfache Bewegung, so gibt es dafür einen Grund oder ein Motiv. Motivation ist also nicht notwendig. Wozu dann also Motivation? Offensichtlich benötigen wir Motivation nur dort, wo Menschen etwas tun sollen, was sie nicht schon selbst und aus sich heraus tun würden.
Deshalb gibt es auch Autoren, welche behaupten, dass Motivation eine Lüge wäre, weil zum Beispiel Mitarbeiter von Unternehmen immer motiviert seien. Es komme darauf an, diese Motivation auszunutzen oder mindestens einfach zuzulassen oder wenigstens nicht zu zerstören. Andere Autoren weisen darauf hin, dass Belohnungen allein nicht zur Motivation führen, sondern auch zur Demotivation16. Das lesen natürlich alle diejenigen gerne, welche einen Grund finden wollen, um die Löhne, und damit, so hoffen sie, ihre Kosten zu senken.
Oft werden Methoden ausserhalb ihres Sinnzusammenhangs, an der falschen Stelle und ausserdem verkürzt angewendet. Die Enttäuschung ist dann groß, wenn die Methoden, welche in einem Seminar eben noch so viel Spass und Sinn gemacht haben, in der eigenen Praxis nicht funktionieren.
In diesem Text geht es darum, Ihnen einige hoffentlich originelle Gedanken zur Verhaltenssteuerung am Beispiel des Lernens und Lehrens vorzustellen und aus dem dadurch entstehenden Sinnzusammenhang einige praktische Methoden für den Seminar- und Unterrichtsalltag wie für den Führungsalltag vorzustellen. Möglicherweise werden einige Führungskräfte viele Vorschläge als zu albern oder unseriös scheuen oder gar ablehnen, besonders im kreativen Kontext, in Personalarbeit und Personalentwicklung jedoch gibt es kaum Grenzen zwischen Macht und Spiel.
Macht auszuüben muss im Spiel erprobt werden, Macht selbst ist ein Spiel, oft mit Mächten, welche das Individuum überfordern.
Wenn Francis Bacons Satz »Denn Wissen selbst ist Macht!« einfach so stimmen würde, wären Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Macht. Ein kurzer Blick auf die Personen an den politischen, wirtschaftlichen und ideellen Machtpositionen lässt jedoch jeden Klarsichtigen an dieser Aussage zweifeln. Auch der Mythos, dass Ausbildung und Weiterbildung die Chancen auf einen Arbeitsplatz erhöhen, stellt sich schon bei flüchtiger Betrachtung als nicht zu verallgemeinernde, geradezu gewagte Behauptung heraus. Sonst wäre es gar kein Problem, Menschen zum Lernen zu motivieren. So lange aber promovierte Wissenschaftler Taxi fahren müssen, um zu überleben, werden ihre Kinder einfachere Wege suchen, um Macht auszuüben.
Warum ist das so? Die Erzeugung und Gewinnung von Wissen ist sehr aufwendig und zeitraubend. Liegt das Wissen dann vor, lässt es sich ausserordentlich leicht vervielfältigen, rauben, kopieren, ausspionieren, stehlen oder einfach nehmen.
Es ist ähnlich wie beim Goldrausch im Wilden Westen. Nicht die Goldgräber, die Korn um Korn das Gold aus den Flüssen waschen werden reich und mächtig, sondern die Banditen, die Saloonwirte, die Banken, die Schnapsbrenner und die Händler.
Wissen verwandelt sich in den Händen von Mächtigen in noch mehr Macht denn je mehr Macht sie haben, desto mehr Wissen können sie einfach so erwerben, sei es durch Raub oder durch Kauf. Der Wille zum Wissen muss mit dem Willen zur Macht verknüpft werden, um Erfolg zu garantieren. Macht ist nichts anderes als die Möglichkeit, andere Menschen etwas für meine Interessen tun zu lassen.
Wie ich erreichen kann, dass jemand etwas tut, das ich will oder wie ich dafür sorgen kann, dass etwas das zu meinem Vorteil oder wenigstens nicht zum Nachteil gerät, gehört zu den ältesten immer wieder neu gestellten Fragen der Menschheit.
Spätestens seit Machiavellis Werk »Der Fürst« ist deutlich ausgesprochen worden, worum es geht: Es geht um die Macht. Macht kommt von machen. Macht gewinnt jemand, indem etwas gemacht wird, Macht benutzt jemand, um andere etwas machen zu lassen. Dafür ist von Vorteil, dass die natürlichen Bedürfnisse des menschlichen Leibes, die Notwendigkeit der Sicherung physiologischer Existenzbedingungen, Atmen, Essen, Trinken, Fortpflanzung keiner äusseren Motivation bedürfen. Wer es nicht von sich aus tut, stirbt früher oder später. Daraus ergeben sich naheliegend die einfachsten Methoden der Verhaltensbeeinflussung durch Machen, Methoden, welche weder Intelligenz noch Erfahrung erfordern: Raub und Zwang. Der Zwang hat einen einfachen Funktionsmechanismus. Zunächst raubt der Stärkere dem Schwächeren seine Lebensbedingungen und gibt sie dann gegen eine Dienstleistung oder ein gewünschtes Verhalten wieder zurück. Das wird dann Motivation genannt.
Darauf beruhen Kolonisation und Mission.
Die Eroberung anderer Länder folgt regelmäßig einem Muster, in dem der Zusammenhang von Lehren und Macht sichtbar wird. Die Ersten, die in einem fremden Land auftauchen, sind die Forscher, die Kartographen und Wissenschaftler. Diese definieren das neue Land. Sie sind in der Regel freundlich zu den Eingeborenen, weil sie existenziell von ihnen abhängen. Die nächsten sind die Missionare. Deren Aufgabe besteht in der Zerstörung der einheimischen Religion, Sprache und Wissensbasen. Oft durchaus mit humanistischem, aufklärerischem oder medizinischem Anspruch werden die geistigen Grundlagen der einheimischen Gesellschaftsordnung systematisch zerstört. Danach kommt das Militär, das die politische Macht sichert. Wenn die geistige und die politische Vorherrschaft gesichert ist, wächst die Industrie und die wirtschaftliche Infrastruktur. Diese Abfolge findet nicht nur bei »Wilden« oder »Naturvölkern«17 statt. In der so genannten politischen Wende im Nachgang des Untergangs des sozialistischen Weltsystems konnte genau die gleiche Abfolge beobachtet werden.