Nasenduscher - Tim Boltz - E-Book + Hörbuch

Nasenduscher E-Book

Tim Boltz

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Beschreibung

SOS - Weichei an Bord

Hatschi. Robert Süßemilch leidet zum ersten Mal im Leben unter einer Pollenallergie. Um den Frühblühern der Großstadt zu entkommen, bucht er eine Last-Minute-Kreuzfahrt. Dummerweise muss seine Freundin Jana auf Geschäftsreise, weshalb sich Robert allein um den schwulen Kater von Janas Chef kümmern muss, auf den er zu allem Überfluss auch noch allergisch reagiert. Ist dies das vorzeitige Ende der Kreuzfahrt und Roberts pollenfreier Atemluft? Zumal an Bord natürlich keine Haustiere erlaubt sind – es sei denn, man ist sehbehindert und nennt einen Blindenhund sein eigen. Doch wer sagt eigentlich, dass ein Kater diesen Job nicht genauso gut machen kann? Robert lässt sich auf das gewagte Spiel ein und reist im wahrsten Sinne des Wortes als blinder Passagier. Klar, dass das nicht gutgehen kann ...

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Seitenzahl: 294

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Tim Boltz

Nasenduscher

Roman

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Originalausgabe Juni 2012

Copyright © 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: © FinePic

Redaktion: Gerhard Seidl

BH · Herstellung: Str

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-07639-9V002

www.goldmann-verlag.de

Buch

Bei dem Versuch, sein Spiegelbild zu erkennen, scheitert Robert Süßemilch kläglich: Das verschnupfte Monster, das ihm entgegenschaut, hat er noch nie gesehen. Hatschi – die Diagnose lautet ganz klar: Pollenallergie. Als alle Versuche, den Frühblühern zu entkommen, scheitern und auch die tägliche Nasendusche nur kurzfristige Erleichterung bringt, bucht Robert ein Kreuzfahrt-Schnäppchen von Miami zu den Bahamas, Flugtransfer Frankfurt – Miami inklusive. Die hohe See ist doch garantiert pollenfreie Zone. Leider begibt sich Roberts Freundin Jana zur selben Zeit auf eine Geschäftsreise nach Schanghai. Wohin also mit Romeo, dem verwöhnten Kater von Janas Chef, der das Tier während seines Urlaubs in die Obhut seiner Mitarbeiterin gegeben hat? Denn natürlich sind Katzen auf Passagierschiffen nicht erlaubt – es sei denn, man ist blind und hat eine Katze als »Führtier«. Genau diese Idee setzt Robert in die Tat um und reist im wahrsten Sinn des Wortes als blinder Passagier.

Doch kaum auf dem Schiff angekommen, muss Robert feststellen, dass das Vorurteil, Kreuzfahrten seien nur etwas für alte Leute, stimmt, und allein der Gang zum Buffet an der Rollator-Polonaise vorbei zur Geduldsprobe wird. Doch da gibt es ja noch Tiffany, die ca. 50 Jahre jünger ist als der Rest der Passagiere und sich als »Pornodarstellerin« vorstellt. Kann Robert den Reizen der Pornoqueen, die er offiziell ja gar nicht sehen kann, widerstehen? Und wie wird seine Stevie-Wonder-Imitation beim Karaoke-Wettbewerb ankommen? Spätestens als ihm Romeo beim Landgang abhaut, glaubt Robert nicht mehr, dass die Kreuzfahrt als blinder Passagier so eine gute Idee war …

Autor

Tim Boltz, Jahrgang 1974, selbst bekennender Pollenallergiker und Nasenduscher, hat unter dem Namen Zeno Diegelmann bereits diverse Kriminalromane und Thriller sowie ein Musical verfasst. Auf sein erfolgreiches Comedyroman-Debüt »Weichei« folgt nun mit »Nasenduscher« der zweite Roman um Antiheld Robert Süßemilch.

Von Tim Boltz außerdem bei Goldmann lieferbar:

Weichei. Roman (47536)

Für alle rotäugigen und nasentriefendenLeidensgenossen und Leidensgenossinnen

Inhalt

Prolog

Teil 1: Nur eine Hautirritation

1. Der Werwolf am Frühstückstisch

2. Die Einkaufsliste

3. Der Sie-Gustav

4. Trautes Heim, Glück allein

5. Ein deutsches Haus

6. Bridget-Mathilda

7. Zwillinge

8. Mein Freund, die Birke

9. Homopathisches Mitleid

10. Glück auf!

11. Ein unmoralisches Angebot

12. Palmengarten

Teil 2: Die Idee

13. Up and Away

14. Post von Jana

15. Up and doch nicht away?!

16. Die Führkatze

17. Herr Jablinski

18. Salz im Hals

19. Der Fakir und sein Bruder

20. Ein Kater im Schafspelz

Teil 3: Der blinde Passagier

21. Die Anreise

22. Spanien im Schritt

23. Der Friedenstifter

24. Eiszeit in Südflorida

25. Amerikanische Handwerkskunst

26. This is your captain speaking

27. Völkerverständigung

28. Barbekanntschaften

29. Auf Entzug

30. Frühstück mit Tiffany

31. Fledermauspisse

32. Eisberg voraus

33. Ein Römer namens Hubsi

Teil 4: Heureka

34. Hajo, also wirklich …

35. Kuba und Leonardo di Caprio

36. Der heilige Robert

37. Katzentripper

38. Die US-Stunt-Rentner

39. I werd narrisch

40. Ein Minipanda

41. Porno-Tiff

42. Wer isst schon Schmetterlinge?

43. Mundraub

44. Die Model-Diät

45. Stevies Rückkehr

46. Blindlinks

47. Katerstimmung

Teil 5: I am what I am

48. Babysitter

49. Time to say goodbye

50. Miss Melinda van Carlson

51. Im Urin-Nirwana

52. Zurück im Glück

53. Höhensonne

54. Der Hundert-Quadratmeter-(T)raum

Epilog

Prolog

Meine Nase sieht aus, als wäre in der Mitte meines Gesichts ein hawaiianischer Lavastrom erkaltet. Um beide Nasenlöcher herum haben sich in den letzten vier Stunden meines Halbschlafs trockene Hautplatten gebildet, die der krustigen Oberflächenstruktur eines in Lehm gebadeten Elefanten ähneln. Ich bin mir sicher, dass ich damit eine zehnteilige Kabel-1-Doku-Reihe füllen könnte: Der XXL-Elefantenhautmensch – Mutanten des Alltags.

Man könnte glatt denken, die Lepra sei nach zweihundertjähriger Abstinenz gerade wieder durch die Frankfurter Stadttore hereinmarschiert und hätte sich in meinem Gesicht häuslich niedergelassen. Dazu zieren juckende Quaddeln in Form von Weihnachtsschmuck meinen Körper. Sie wandern von der Brust über den Bauch bis hinunter zu den Innenschenkeln und somit erschreckend nah an meine Schneeglöckchen heran. Bei ihrem Marsch über meinen Körper glänzen die Quaddeln dabei wie ein Sechserpack Christbaumkugeln. Und als ob das noch nicht genug wäre, gibt meine Lunge bei jedem Atemzug auch noch ächzende Töne wie bei einem qualvollen Erstickungstod von sich. Schwerfällig und mit dem stampfenden Stakkatorhythmus einer usbekischen Eisenbahn schaufelt sie sich nur äußerst mühsam Kleinstmengen von Sauerstoff in die Lungenflügel.

Mein Blick wandert zum Radiowecker, der neben dem Becher mit den Zahnbürsten steht.

04:03 Uhr! Du lieber Himmel!

Ich stehe nackt im Bad, scanne weiter meinen Körper im Spiegel, kratze an meinem Christbaumschmuck im Takt von »Jingle Bells« und überlege mir, wie die Inschrift meines Grabsteins wohl lauten wird.

»Hier ruht Robert Süßemilch, er war eigentlich immer ein ganz gesunder Kerl, bis ihm die Lepra spekulatiusgroß aus der Nase schoss und ihn dahinraffte. Plötzlich und unerwartet nahmen wir Abschied von ihm, er wurde nur siebenunddreißig Jahre alt. Aber wir werden immer an ihn denken … besonders an Weihnachten.«

Doch nicht nur die Quaddeln bereiten mir ernsthafte Sorgen. Durch die mangelnde Sauerstoffzufuhr finde ich vor allen Dingen kaum noch Schlaf. Und wenn ich doch mal entschlummere, klingt das dann wohl ziemlich grauenhaft. Meine Freundin Jana hat mich zumindest vor gut zehn Minuten unsanft geweckt, indem sie mir einen Ellenbogen in die Seite rammte. Ich würde schnarchen, meinte sie.

Ha! Wen wundert’s?

Meine Nase ist ja auch so dicht, dass jeder Rohrreiniger noch etwas bei mir lernen könnte. Schon vor Tagen begann es damit, dass sich alles immer mehr zusetzte. Erst nur an den Schleimhäuten, dann hinunter bis zum Kehlkopf, bis ich schließlich nur noch durch den Mund atmen konnte. Ich schaue erneut mein trauriges Spiegelbild an und erkenne mich kaum wieder. Beide Augen schimmern rot wie zwei Boskopäpfel. Ich wirke wie ein Vampir auf trockenem Entzug.

Kein Zweifel. Ich fühle mich genauso schlecht, wie ich aussehe. Und ich sehe wirklich grauenhaft aus!

Aber was zur Hölle kann das sein?

Schweinegrippe?

Nasenneurodermitis?

Ohne groß nachzudenken, wühle ich in Janas Hausapotheken-Sortiment und greife bei einer rot-weißen Tube beherzt zu. Den Namen der Salbe kann ich nicht mehr richtig entziffern, da sie bereits zur Hälfte aufgebraucht und sorgsam aufgerollt wurde. Die Worte »lindert Juckreiz« sind jedoch noch gut zu entziffern.

Na bitte.

Was will ich mehr?

Drauf damit.

Wahrscheinlich wird es nur eine vorübergehende Hautirritation sein. Also Salbe großzügig einmassieren, und morgen früh wird’s sicher schon besser aussehen.

TEIL 1

Nur eine Hautirritation

1

Der Werwolf am Frühstückstisch

Du siehst ja furchtbar aus.«

Jana schlägt sich schockiert beide Hände vor das Gesicht, als sie sich mir beim Frühstück gegenübersetzt. Eine überzogene Reaktion, wie ich finde.

»Nun übertreib nicht«, antworte ich daher leicht genervt und löffle weiter von meinem Müsli.

»Ich übertreibe nicht. Du siehst echt scheiße aus. Hast du dich mal im Spiegel angesehen?«

Jana hat manchmal einen Drang dazu, Sachen zu dramatisieren. So wie jetzt. Sie verhält sich gerade so, als wäre sie gestern Abend mit mir ins Bett gegangen und mit einem komplett anderen Mann wieder aufgewacht. Allerdings muss ich zugeben, dass die Salbe in den restlichen Nachtstunden nicht ganz ihre volle Wirkung entfalten konnte. Um ehrlich zu sein: null Wirkung.

»Ja, habe ich«, knurre ich, »ungefähr die halbe Nacht. Ich geh die Tage mal zum Arzt.«

»Darf ich mal anfassen?«

Ich zucke vor ihrer ausgestreckten Hand zurück. »Bin ich ein Hund?«

»Nein … wobei, so sicher bin ich mir da gerade gar nicht. Haben wir vielleicht gerade Vollmond?« Jana kann sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen. »Stell dich nicht so an, komm her.«

Sie stellt ihre Kaffeetasse ab und fährt mir mit ihren Fingerspitzen über meine verkrustete Nase. Oder besser, über den Punkt in meinem Gesicht, wo normalerweise eine Nase angewachsen sein sollte. Dazu gibt sie jaulendes Wolfsgeheul von sich.

»Witzig, Jana, sehr witzig. Das nächste Mal mache ich auch ein paar Witzchen, wenn du wieder Unterleibsziehen und Kopfschmerzen während deiner Tage hast.«

»Blödmann, das ist was ganz anderes«, antwortet Jana und widmet sich wieder ihrem Kaffee.

»Ich habe übrigens deine Salbe gegen Hautreizung aufgebraucht. Musst dir ’ne neue kaufen.«

»Ich habe gar keine Salbe gegen Hautreizung.«

»Doch. So eine rot-weiße Tube. War schon halb leer.«

Ich löffle mein Müsli weiter, dann wird der kurze Moment der Stille durch ein lautes Prusten von Jana beendet, die sich beinahe an ihrem Morgenkaffee verschluckt.

»Rot-weiß, sagst du?«

»Ja, warum?«

»Hieß die zufälligerweise Canesten?«

»Keine Ahnung. Sie war ja schon halb aufgerollt. Da stand was mit Juckreiz drauf. Nutzt die nichts?«

»O doch. Jedenfalls, wenn du eine Vagina hättest.«

»Wie bitte?« Ich lasse den Löffel klirrend in die Müslischale fallen. Jana hingegen kriegt sich immer noch nicht richtig ein.

»Das ist eine Creme zur äußeren Anwendung bei Vaginalpilz.«

»Was? Wieso? Warum ist die in unserem Bad?«

»Na, weil ich so was mal hatte. Du erinnerst dich noch an unseren Urlaub in Tunesien? Als ich mir auf irgend so einer Toilette im Hinterland einen Pilz eingefangen habe? Und da habe ich mir doch im Anschluss täglich …«

»Ja, ja, ist gut«, falle ich Jana ins Wort. Es gibt Themen, die man als Mann relativ schnell aus seinem Kurz- und Langzeitgedächtnis verbannt. Janas tunesischer Intimpilz gehört definitiv dazu. Und auch jetzt möchte ich mich nicht mehr so genau daran erinnern.

»Du hast dir meine Vaginalsalbe auf die Nase geschmiert? Komm mal her. Ich will es noch mal anfassen und rubbeln. Vielleicht stimuliert dich das ja, und ich treffe sogar deinen G-Punkt.«

»Jana! Ich sagte gerade, dass du es gut sein lassen sollst.«

Doch Jana lässt sich von meinem Einwand in keiner Weise irritieren und streicht mir über die Hautkruste. Bei jeder Berührung rümpft sie angewidert die Nase und zischt »Iiiih« oder »Igitt«. Was sie aber nicht davon abhält, diese Bewegung ein ums andere Mal zu wiederholen.

»Das ist ja unglaublich eklig. Hast du das schon öfter gehabt?«

Ich schüttele den Kopf.

»Nö, noch nie. Keine Ahnung, was das ist.«

»Na, das kann ich dir auch so sagen.«

»Ach, jetzt auch noch Hobbyärztin oder was?«

»Gar nicht notwendig. Du hast Heuschnupfen.«

»Was?«

»Heuschnupfen. Ja.«

»Blödsinn.«

Jana lässt von meinem Gesichtsklumpen, der früher mal Nase hieß, ab und geht hinüber zum Fenster. Sie öffnet es und deutet nach draußen auf die Allee der mächtigen Bäume, die sich vor unserer Küche die komplette Straße entlang in die Höhe strecken.

»Schau doch mal raus! Birken. Das sind alles Birken. Du reagierst wahrscheinlich auf Frühblüher.«

»Ich bin siebenunddreißig Jahre alt und habe noch nie auf irgendwas reagiert. Ich bin als kleines Kind auf dem Dorf aufgewachsen. Dort bin ich jeden Tag im Wald und auf der Wiese rumgerannt, und nie hat mir die Nase gejuckt.«

»Bei manchen kommt das halt später.«

»Quatsch. Das Einzige, was später kommt, bist du, und zwar zur Arbeit, wenn wir jetzt noch lange hier rumplappern.«

Jana springt auf und schaut auf die Uhr. In der Tat ist sie etwas spät dran.

»Ja, da hast du recht. In der Bank spielen alle verrückt, seit wir wissen, dass die Beförderungen bevorstehen. Deswegen brauche ich dich heute Abend auch topfit. Ich brauch heute den besten Robert Süßemilch, den du aus dir herauszaubern kannst.«

»Warum?«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Wir sind doch heute Abend um sieben bei meinem Chef zum Essen eingeladen. Sag mir jetzt nicht, dass du das vergessen hast. Ich sag dir das schon seit drei Wochen. Wenn du das jetzt einfach verg…«

»War nur ein Witz, Jana. Beruhig dich. Wie könnte ich das vergessen? Du nervst mich ja täglich damit.«

»Ja, zu Recht. Das ist enorm wichtig für mich, weil …«

»… das für dich die Chance ist, die Beförderung zu bekommen, auf die du schon so lange wartest. Und für uns damit endlich die Eigentumswohnung in greifbare Nähe rückt, die wir reserviert haben. Du brauchst es nicht runterbeten. Ich kenne diese Messe bereits in- und auswendig.«

»Dann ist es ja gut. Und blamier mich bloß nicht.«

»Ich?« Brüskiert schüttele ich den Kopf, während ich meine Müslischüssel in die Spülmaschine stelle. »Warum sollte ich dich blamieren?«

»Weil du manchmal so komisch bist.«

»Komisch? Wer?«

»Du.«

»Ich?«

»Ja, so sarkastisch. Das verstehen die Eilhoffs aber nicht. Die sind beide stockkonservativ und streng katholisch.«

»Aha.«

»Also keine blöden Sprüche.«

»Okay.«

»Und keine anzüglichen Bemerkungen über den Papst.«

»Nicht mal eine kleine?«

»Robert!«

»Okay, okay. Ich werde nichts sagen.«

»Hoffentlich.«

Jana verschwindet für fünf Minuten im Bad. Kurz bevor ich das Haus verlassen will, kommt sie perfekt gestylt heraus. Ich habe keinen Schimmer, wie sie das immer schafft.

»Und hol dir in der Apotheke was gegen deinen Heuschnupfen.«

»Ich habe keinen Heuschnupfen.«

»Hol dir trotzdem was. Was soll es deiner Meinung nach denn sonst sein?«

Hm, gute Frage, was könnte das sonst sein? Ich zucke mit den Schultern.

»Vielleicht eine Hautirritation. So was wie Pickel.«

Hastig bindet sie sich die Haare zusammen und schießt an mir vorbei. Dabei zischt sie mir etwas zwischen Haargummi und Zähnen zu: »Du meinst also, dass du jetzt erst in die Pubertät kommst?!«

»Haha, sehr witzig, Jana. Nein, ich meine das ernst. Vielleicht ist das eine Art Stressreaktion.«

»Eine Stressreaktion?«

»Ja.«

»Bei dir?«

»Ja.«

»Auf was?«

»Wie, auf was?«

»Auf was gerade du so reagieren sollst? Du hast keinen Stress in deinem Leben. Du hast Semesterferien und bist nicht gerade das, was man einen Workaholic nennen würde.«

Ich gebe es ja zu. Natürlich arbeitet Jana momentan härter als ich.

Momentan.

Und sie verdient momentan auch den Großteil unseres Einkommens.

Momentan.

Na ja, eigentlich alles.

Momentan noch.

Aber da mein Studium nun beinahe beendet ist, wird sich dies bald ändern.

Bald.

»Aber ich habe meine Diplomarbeit abgegeben und muss nun auf die Auswertung warten. Das ist auch Stress. Irgendwie.«

»Irgendwie«, äfft mich Jana nach, jedoch lächelt sie dabei so wunderbar, dass ich ihr nicht böse sein kann. »Hier«, sie drückt mir einen Einkaufszettel in die Hand, »wenn du rausgehst, wäre es nett, wenn du mir die Sachen in der Drogerie holen könntest.«

»Aber ich bin krank, ich habe Pickel.«

»Du bist nicht krank, und du hast auch keine Pickel, du hast Heuschnupfen. Schau mal, ob du alles findest, was draufsteht. Wenn nicht, frage jemanden.«

»Brauch ich nicht. Schaffe ich schon alleine. Bin ja kein Kleinkind. Und ich habe keinen Heuschnupfen, sondern eine Hautirritation.«

»Dann hol doch die Höhensonne aus dem Keller, die ich mir von meiner Mutter wegen der Hautprobleme im Winter geliehen hatte.«

Ich erinnere mich mit Grauen daran, dass Jana Mitte Dezember plötzlich so trockene Stellen im Gesicht und am Oberkörper hatte. Die gingen zwar mit der Höhensonne tatsächlich weg, aber sie erinnerte mich dabei mit der blauen Schutzbrille auf der Nase und der roten Lampe fünf Zentimeter vor dem Gesicht an eine Science-Fiction-Nutte aus einem Hollywood-Streifen.

»Das könnte dir wohl so passen. Aber wenn ich schwul aussehen will, wende ich mich lieber an Hubsi.«

»Wie du meinst. Ich muss los, Schatz.«

Jana gibt mir einen Kuss.

»Warte, ich komme gleich mit runter«, sage ich, schnappe mir den Einkaufszettel sowie meine Jacke und gehe hinter ihr die Treppen hinab. Vor der Haustür verabschieden wir uns, und ich gehe die birkengesäumte Straße in entgegengesetzter Richtung entlang.

Heuschnupfen.

Ich.

Pah.

Dass ich nicht lache. Ich schüttele den Kopf und reibe mir die brennenden Augen, bevor ich die Straßenseite wechsle.

2

Die Einkaufsliste

Janas Liste umfasst vier Positionen: eine Haartönung in Virginie Goldbraun 5.3 von L’Oréal, Tampons Super Plus, Gesichtswasser und einen Hornhauthobel. Ich habe zwar keine Ahnung, was das sein soll, dennoch sollte alles zu schaffen sein. Ich betrete die Rossmann Filiale Janas Vertrauens in dem irrwitzigen Glauben, tatsächlich alles eigenständig finden zu können. Genetisch ist es aber nahezu unmöglich, die Utensilien einer Fraueneinkaufsliste vollständig abzuarbeiten. Hilfe suchend schaue ich mich um.

An der Kasse steht eine Schlange von ungefähr sechs Personen. Allesamt Frauen. Frau Jakobi sitzt an der Kasse und zieht die einzelnen Waren über den Scanner. Immer wieder piept es. Ich kenne Frau Jakobi, seit ich klein bin, da sie die Nachbarin meiner Eltern ist. Eine nette und zuvorkommende Dame Ende fünfzig. Dennoch möchte ich mit meiner Liste nicht zu ihr. Stattdessen laufe ich durch die Drogeriegänge, wobei ich immer wieder niese. Die Tampons finde ich Gott sei Dank noch aus eigener Kraft. Ein Mann schätzt es nicht besonders, in einem Geschäft voller Frauen nach Tampons fragen zu müssen. Dies rangiert auf der Beliebtheitsskala von geschlechtsreifen Mitteleuropäern irgendwo zwischen »Wo sind die Kondome?« und der Anschlussfrage »Gibt’s die auch kleiner?«. Und man stellt solche Fragen schon gar nicht, wenn die Nachbarin der eigenen Eltern die Adressatin der Fragen ist.

Es ist erstaunlich, was man über seine Freundin erfährt, wenn man mal die Produkte ihres Einkaufszettels schwarz auf weiß vor sich sieht. Dass Jana trotz ihrer schmalen Figur Tampons der Stärke Super Plus benötigt, wirft eine verwirrende Vaginal-Frage auf. Auch der Grauabdeckungseffekt der Haartönung lässt mich verblüfft vor dem Regal verharren. Nicht, dass es mich stören würde, aber ich dachte nicht, dass Jana überhaupt altern würde und sich dieser Produkte bemächtigen müsste. Da hilft auch der Packungszusatz »Seidiges Haargefühl« und »unübertroffener Glanz« nicht mehr, um meine Scheinwelt zu retten. Zumindest finde ich beides und lege es in den Warenkorb.

Ebenso verblüffend kommt sogleich mein nächster Fund daher: das Gesichtswasser. In breitestem Schriftfond informiert mich das Wässerchen über die anscheinende Unreinheit der Haut meiner Freundin.

HAUTKLAR. Tägliches Anti-Pickel-Gesichtswasser mit Salizylsäure und Zink. Auf zu Pickeln neigender Haut getestet.

Danke für die Info! Auch dass Jana ihr Gesicht täglich mit Bestandteilen aus einem Chemiebaukasten behandeln muss, um ihre zu Pickeln neigende Haut zu retten, desillusioniert mich etwas. Aber was hilft’s? Also, rein ins Körbchen und weiter. Es fehlt ja noch der Hornhauthobel, und ich habe nicht den blassesten Schimmer, was dies sein könnte. Und aufgrund der bereits entdeckten Artikel will ich es eigentlich auch gar nicht mehr wissen. Es klingt jedenfalls nicht so, als ob es mir die Illusion von Janas gottgegebener Schönheit zurückgeben könnte.

Zunächst versuche ich mein Glück im Nagellackgang. Ohne Erfolg. Es folgen Versuche in den Gängen Fotoshop und Baby-Utensilien – mit dem gleichen Ergebnis. Mir bleibt also wohl nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge ohne den Hobel nach Hause zurückzukehren. Denn Frau Jakobi ist – wie bereits erwähnt – keine adäquate Alternative. Doch gerade als ich mich mit Tampons, Haartönung und Gesichtswasser zur Kasse bewegen möchte, kreuzt eine weitere Mitarbeiterin mit Kopftuch meinen Weg, die gerade das Wattestäbchenregal mit Gebinden zu je zweihundert Stück der hygienisch sanften Artikel auffüllt. Na, wer sagt’s denn!

»Entschuldigen Sie, ich hätte eine Frage. Ich suche etwas.«

Die Dame dreht sich zu mir um und schaut mich unsicher an. Auf ihrem Namensschild steht Fr. Gülseren. Sie wirkt leicht nervös, nickt aber höflich und deutet in mein Gesicht.

»Für Nase?«

»Nase?« Ich fasse mir an die krustige Spitze. »Ach so, nein. Das ist nur eine Hautirri… ach, egal. Jedenfalls suche ich etwas anderes.«

»Name?«

Name? Warum will sie meinen Namen wissen. Aber gut. Man möchte keine völkischen Gepflogenheiten verletzen.

»Äh … Robert.«

»Nein, nix Herr Roberts. Name von Produkt. Bin nur Regal-Aushilfe, aber vielleicht ich kann helfen.«

»Ah, verstehe. Das ist sehr nett von Ihnen.« Ich trete etwas näher zu ihr und betone jede Silbe, damit sie es besser verstehen kann. »Horn-haut-ho-bel.«

»Was?«

»Hornhauthobel.«

»Was?«

»Hornhauthobel.«

»Nein!«

»Doch.«

»Nein. Nein.«

»Doch. Doch.«

Wir könnten das Spiel sicher noch ein Weilchen fortsetzen, aber ich bevorzuge den Abbruch. Auch Frau Gülseren scheint es bereits unangenehm genug zu sein. Sie schüttelt verlegen den Kopf.

»Nix. Nein. So was nix haben hier in Drogerie.«

»Doch, doch, das muss es hier aber geben. Meine Freundin hat es schließlich schon mal hier gekauft.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein.«

»Doch.«

»Wirklich?«

»Ja.«

Es folgen türkisch-deutsche Wortfetzen, die Frau Gülserens Unverständnis gegenüber der westlichen Welt zum Ausdruck bringen. Dennoch liegt ihr mein Kundenwunsch am Herzen, und sie nickt.

»Gut, ich frage Kollegin. Moment, Herr Roberts.«

»Sehr freundlich. Ich heiße übrigens nicht Herr Roberts …« Doch meine Wortfetzen verebben im Raum, denn sie hat sich bereits um das Regal herumbewegt.

Die Kasse befindet sich direkt hinter dem Regal, und Frau Gülseren räuspert sich, bevor sie für alle gut hörbar nachfragt. Mit ein wenig Glück erklärt Frau Jakobi der netten Kollegin, wo ich den Hornhauthobel finden kann, und sieht mich nicht mal dabei.

»Frau Jakobi, da ist Mann und will Produkt. Aber ich kenne nicht.«

»Was sucht er denn genau, Leyla?«

»Vorhauthobel. Er sucht Vorhauthobel. Welcher Gang?«

»Was«, fragt Frau Jakobi.

»Was?«, frage auch ich laut hörbar hinter dem Regal. Verständlicherweise scheint Frau Jakobi wegen dieser neuen Rossmann-Sortimentserweiterung sichtlich überrascht.

»Wie bitte? Was sucht der Kunde?«

»Vorhauthobel. Ich ihm gesagt, dass wir nix haben, aber er sagt, Freundin hat schon mal hier gekauft Vorhauthobel.«

»Himmel, nein!« Ich schieße um das Regal herum, um zu retten, was nicht mehr zu retten ist, und stolpere dabei in die sichtlich amüsierte Kassenschlange. »Hornhauthobel«, rufe ich lauthals. »Das ist ein Missverständnis. Ich suche einen Hornhauthobel.«

Frau Jakobi verharrt einen Moment mit offenem Mund, bevor sie mit einem lauten Prusten loslacht. Auch die anderen Damen an der Kasse stimmen mit ein und bilden eine Art Lachspalier, an dem Frau Gülseren und ich peinlich berührt vorbeisalutieren müssen. Frau Jakobi bekommt sich derweil kaum mehr ein und deutet irgendwo nach hinten.

»Im dritten Gang neben den Pflastern, Leyla. Ach, Robert, wenn ich das beim nächsten Kaffeeklatsch erzähle. Deine Mutter wird sich totlachen.«

Ich denke nicht, dass meine Mutter es sonderlich erfreuen dürfte, dass ihr Sohn im Drogeriemarkt nach einem Vorhauthobel verlangt. Gerne würde ich sie daher anflehen: Bitte nicht!, doch Frau Gülseren und ich sind bereits aus dem Lachkreis ausgeschieden, um ins Pflasterregal abzubiegen. Sie deutet ohne weitere Worte in das Regal. Und tatsächlich, da hängt er, der Fusswohl Hornhauthobel mit Ersatzklingen für 4,99 Euro.

Frau Gülseren sagt derweil nichts mehr. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich sie da reingezogen habe.

»Tut mir leid, ich kannte das Ding auch nicht. Aber wenigstens wissen Sie jetzt, dass ich nicht pervers bin.«

Sie nickt und schenkt mir sogar ein winziges Lächeln. Dann wendet sie sich mit hochrotem Kopf wieder den Wattestäbchen zu.

3

Der Sie-Gustav

Mit juckender Nase, dafür aber im feinsten Zwirn, den ich im Kleiderschrank finden konnte, stehe ich um exakt fünf Minuten vor neunzehn Uhr mit Jana vor dem schmiedeeisernen Eingangstor ihres Chefs.

»Hatschi.«

»Gesundheit.«

»Danke.«

»Doch Heuschnupfen?«

»Nein.«

Ein prüfender Blick meinerseits wandert zu Janas offenen Schuhen. Hm, ihre Füße sehen gar nicht so aus, als würden sie vor Hornhaut strotzen. Vielleicht ist der Hornhauthobel ja nur ein Geschenk für jemanden gewesen.

Den Vorfall aus der Drogerie mitsamt den neu aufgeworfenen Fragen habe ich ihr jedenfalls verschwiegen. Sie war nach der Arbeit sowieso kaum ansprechbar. Ich sah sie nur ins Bad stürmen und zwei Stunden später wieder herauskommen. Das ist neuer Rekord. Seither hat sie mich acht Mal gefragt, ob das Kleid am Po nicht zu sehr einschnüren würde. Ich verneinte jedes Mal. Jetzt steht sie neben mir und nestelt nervös an dem Geschenkpapier in ihren Händen, das etwas Quadratisches verhüllt. O Gott? Der Hornhauthobel?

Das Anwesen, das sich vor uns ausbreitet, besteht aus einem mehrteiligen Ensemble verschiedener Häuser. Eine schicke Villa mit eingewachsenem Baumbestand und nebenliegendem Gästehaus sowie einer Art Jagdhütte. Zumindest ziert ein Geweih die Eingangstür des kleinsten der drei Häuser. Alles ist fein säuberlich mit frisch geharkten Kieswegen verbunden und so spießig, dass mir neben dem unangenehmen Gefühl in der Nase auch noch beinahe schlecht wird. Insgesamt scheint hier die Bankenkrise nicht ganz so tiefe Narben hinterlassen zu haben.

»Eilhoff?«, ertönt eine papierdünne, aber nette Frauenstimme am Eingangstor.

»Jana Klopp hier, guten Abend, Frau Eilhoff.«

»Ja-ha«, hallt es melodisch aus dem Lautsprecher, der in einer goldenen Löwenkopfapplikatur untergebracht wurde. Ein Summen, und das Tor schwingt auf. Vor uns breitet sich die Neverland-Ranch der Eilhoffs aus. Wir folgen dem Weg, der sich wie ein gekiester Bandwurm bis zum Haupthaus hinaufschlängelt. In Höhe des Jagdhauses schubse ich Jana kurz an und deute zur Jagdhütte hinüber.

»Wahrscheinlich wird zur Nachspeise eine kleine Treibjagd zu unserer Belustigung veranstaltet.«

»Pscht«, faucht Jana. »Du hast mir versprochen, dich zu benehmen. Das ist ein super wichtiger Termin für mich, Robert.«

»Wie du schon hundert Mal erwähnt hast.«

»Und keine blöden Grimassen wegen des Essens.«

»Ist ja gut. Was gibt’s überhaupt? Oder müssen wir uns unseren Fasan dort hinten im Kastanienhain noch selbst schießen?«

»Nein, die Eilhoffs sind Vegetarier. Und du hast versprochen, dass du das essen wirst.«

»Hatschi!« Ich schüttle mich. »Ach, Mist, stimmt ja. Ich drück mir alles rein, was aus der Küche kommt oder … vom Rasen gepflückt wird.«

»Und nichts Anzügliches sagen. Die Eilhoffs sind da wirklich total konservativ. Dass ich dich mitnehmen darf, obwohl wir nicht verheiratet sind, ist schon ein großes Zugeständnis von Herrn Eilhoff.«

»Amen.«

»Robert!«

»Sorry.«

Jana zieht mich den Rest der bekiesten Einfahrt entlang, in der nun rings um uns herum die eingelassenen Bodenlichter des Gehweglabyrinths aufflackern. Ich gebe zu, dass mich dieser Illuminationseffekt beeindruckt. Auch wenn die plötzliche Helligkeit eher an eine FBI-Verhöratmosphäre erinnert.

»Sag mal, müssen die diese Beleuchtung jedes Mal bei der Luftüberwachung anmelden? Nicht, dass sich plötzlich ein Airbus im Landeanflug nähert.«

»Schon der Hammer, oder?« Endlich lacht auch Jana wieder. »Es wird in der Bank gemunkelt, dass Gustav Eilhoff im letzten Jahr einen Bonus von 1,2 Millionen Euro bekommen hat.«

»Na und? Wir haben im letzten Jahr durch die Bonuspunkte in unserem REWE-Markt auch eine Salatschleuder und ein dreiteiliges Pfannenset erhalten. Vergiss das nicht.«

Noch bevor Jana über meinen Witz zu Ende lachen kann, öffnet Frau Eilhoff, deren Outfit eine nahezu perfekte Hommage an Audrey Hepburn ist, die Eingangstür. Das Wort Eingangswald würde es wohl besser treffen, denn hier wurde mit größter Hingabe zum Detail ein kleiner Eichenhain ins Türportal genagelt. Und da wundere ich mich, dass ich schlecht atmen kann? Das liegt nicht an irgendwelchen Pollen, sondern an dem Schwund der mitteleuropäischen Mischwälder, die in solch aufgemotzten Türportalen enden. Photosynthetisch gesehen helfen diese Schnitzereien meiner Lunge jedenfalls nicht mehr.

»Frau Klopp …« Die Hausherrin steuert sogleich auf Jana zu und schüttelt ihr die Hand. Dabei fällt mir auf, dass auch reiche Menschen Besitzer von schlechten Zähnen sein können. Ein Schneidezahn tanzt in virtuoser Weise aus dem weißen Ballett und zieht somit zwangsläufig ständig den Blick auf sich. »Sie sehen fantastisch aus. Und dieser adrette junge Mann ist also Ihr Freund.«

»Ja, Frau Eilhoff. Darf ich Ihnen meinen Lebensgefährten Robert Süßemilch vorstellen?«

Das ist mein Stichwort. Ich trete vor und bringe mein Sätzlein an. Wie einst zu Hause an Weihnachten spule ich den von Jana vorgeschriebenen und von mir fleißig gelernten Text gekonnt ab.

»Frau Eilhoff, es ist mir eine große Freude, heute Ihr Gast sein zu dürfen. Jana hat mir schon viel von Ihnen erzählt, und ich bin hocherfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Fast lasse ich meinem Sätzlein noch einen Knicks folgen, verkneife mir diesen dann aber doch und deute dafür einen Handkuss an. Dabei fällt mein Blick auf ihre Füße. Hm, nicht mehr ganz so taufrisch, aber ob der Hobel das richtige Geschenk ist?

»Oh, und charmant ist er auch noch. Aber was haben Sie denn mit Ihrer Nase gemacht? Die sieht ja …«

»Eine Hautirritation«, erwidere ich schnell, »nichts Schlimmes.«

»Aha. Na, wenn Sie es sagen. Ich hätte eher auf Heuschnupfen getippt.«

Nein, Robert, du schaust jetzt weder Jana an, noch rückst du Frau Eilhoff mit einem gezielten Schlag die Zahnreihe gerade. Stattdessen werden erneut Hände geschüttelt, Mundwinkel bis zum Krampf nach oben gezogen, und das ominöse Geschenk wechselt den Besitzer.

Wir betreten eine Art Vorhalle, und Herr Eilhoff eilt uns im noch perfekteren Clark-Gable-Look entgegen. Ich komme mir mit meinem 99-Euro-Anzugsschnäppchen von C&A irgendwie underdressed vor.

»Meine liebe Jana, es ist schön, Sie mal außerhalb der Bank begrüßen zu dürfen. Und wenn ich mir ein Kompliment erlauben darf: Sie sehen reizend aus.«

Sie, Jana? Das kann ich ja auf den Tod nicht leiden. Entweder Duzen oder Siezen. Aber nicht so eine gequirlte Höflichkeitsetikettenscheiße. Wir sind hier doch nicht bei Kerner in der Talkshow. Aber so geht’s wohl zu in der feinen Gesellschaft.

»Danke, Herr Eilhoff. Und nochmals vielen Dank für die Einladung.«

»Nein, nein, ich danke Ihnen. Und Sie sind Robert Süßemilch, nicht wahr?«

»Jawohl, der bin ich. Guten Abend, Herr Eilhoff.«

Aus Unsicherheit, ob ich auch Sie-Gustav oder Du-Eilhoff sagen soll, und dem militärischen Auftreten des Hausherrn folgt meinerseits eine spontane Übersprunghandlung: Ich schlage beim Händeschütteln wie ein Offizier die Hacken laut klackend aneinander und nehme Haltung an. Dies gefällt Jana zwar offensichtlich ganz und gar nicht, der Sie-Gustav scheint jedoch davon angetan.

»Donnerwetter, Frau Klopp. Ihr Freund hat aber Schmiss. Gefällt mir.«

»Ja, so ist er, mein Robert.«

»Aber sagen Sie, Robert, was haben Sie denn mit Ihrer Nase veranstaltet?«

Noch bevor ich etwas entgegnen kann, übernimmt die Zahnfee in Form von Frau Eilhoff die Antwort.

»Das ist eine Hautirritation, Gustav.«

»Tatsächlich? Wissen Sie, Robert, als kleiner Bub hatte ich mal einen schlimmen Heuschnupfen, da sah ich ungefähr genauso aus.«

»Tatsächlich?«

»Ja.«

»Hatschi.«

»Gesundheit«, hallt es dreistimmig wider.

»Danke.«

Wir folgen den Eilhoffs durch die Empfangshalle, und ich spüre das erste schmerzhafte Kneifen von Jana in meinen Arm. Ich signalisiere ein unschuldiges Sorry und flüstere ihr zu, dass das mit dem Aneinanderschlagen der Hacken nur ein Reflex gewesen sei. Wir kreuzen einige Gänge und schreiten in den Salon, wo ein weiterer Sauerstoffspender zu einer vier Meter langen Holztafel verarbeitet wurde. Auf der Tischplatte selbst funkelt darüber hinaus mehr Edelmetall als in einer botswanischen Silbermine. Doch das ist noch lange nicht das Schlimmste. Denn wenn mich meine Augen nicht täuschen, entdecke ich an der Wand ein Foto von Papst Benedikt. Jetzt will mich hier aber jemand provozieren. Wie soll ich denn da in Ruhe meinen Rohkostsalat essen, wenn der Heilige Vater mir dabei über die Kleie schaut? Ich ahne, dass das ein langer und anstrengender Abend wird. Aber wenn es für die Karriere meiner Freundin förderlich ist … bitte.

Nach einer kleinen Führung durch den öffentlich zugänglichen Bereich der Villa, einem kleinen Aperitif, einem Tischgebet und den ersten beiden Gängen, die aus einem kreolischen Papayaschaumsüppchen und einer Art Buchsbaumzweig mit roten Früchten bestand, sitzen wir an der Holztafel und warten auf den nächsten Gang. Die Hoffnung auf tierische Proteine habe ich ebenso aufgegeben wie die Treibjagd zum Nachtisch. Außerdem brennt mir Benedettos Blick wie Feuer im Nacken. Er scheint meine kritische Haltung ihm gegenüber zu spüren. Janas Gespräch mit Herrn Eilhoff läuft indes bestens. Sie hat sich mit ihm auf ein geschäftliches Thema eingelassen, und ich sitze wie Karl Napf daneben und verstehe vor lauter Debitoren und Swap-Zinsgeschäften kein einziges Wort. Endlich kommt Frau Eilhoff zurück zu unserer Essgemeinschaft und tischt uns mit großer Geste den nächsten Versuch eines Nahrungsangebots auf.

»Ayurvedisches Gazpacho mit gezupftem Blattsalat und Himbeerjuice.«

»Ahhhh«, stimme ich in den allgemeinen Chor ein und übersetze es für mich in ein ehrliches Na ja. Der McDonald’s drive-thru hat ja bis vier Uhr geöffnet.

Frau Eilhoff nimmt mir gegenüber Platz, und ich kann mich auf eine seltsame Art in die Gefühlswelt des Ehemanns von Angela Merkel einfühlen. Wie er diene auch ich nur dem Rahmenprogramm der Hauptpersonen und muss mich mit den Ehefrauen der wichtigen Typen rumschlagen.

»Schmeckt es Ihnen, Herr Süßemilch?«

»Vorzüglich, Frau Eilhoff. Haben Sie diese Juice selbst …«

Erschrocken bleibt mir der Rest des Satzes im Halse stecken. Ich spüre etwas sanft an meiner Innenwade auf- und abgleiten. Frau Eilhoffs Hornhauthobel-Fuß? Als ich sie ansehe, lächelt sie mich vielsagend an.

»Was wollten Sie sagen?«

»Ich … äh … meinte, ob Sie … na ja … Haben Sie die Juice selbst zubereitet?«

Frau Eilhoff nimmt etwas Gazpacho auf den Löffel und zieht die kalte Suppe aufreizend langsam an ihrem Zahnobelisken vorbei in den Mund. Rohkost scheint der Libido jedenfalls nicht zu schaden.

»Sie meinen, ob ich die Himbeeren selbst, mit meinen nackten Händen ausgepresst habe, um auch den letzten Tropfen Saft aus ihnen herauszuholen?«

O mein Gott. Was passiert hier gerade? Und was zur Hölle soll ich machen?

»Ge… ge… genau. D… d… das meinte ich.«

»Nein, Herr Süßemilch, das habe ich nicht. Ich bin da eher pragmatisch eingestellt. Ich lasse mir meine Juice lieber von einem Profi machen. Jemandem, der jeden Handgriff beherrscht und weiß, wie ich es gerne mag.«

Hallo?! Jana! Sie-Gustav! Hört hier mal jemand zu, was dieser steile Zahn so von sich gibt? Doch weder Jana noch Herr Eilhoff scheinen Notiz von den ausschweifenden Beschreibungen zu nehmen. Nun wechselt Frau Eilhoff die Beinseite und widmet sich meinem rechten Schienbein.

»Und wie mögen Sie es am liebsten?«

»Wie bitte?«

»Wie Sie Ihre Juice am liebsten mögen?«

»Ich?«

»Ja, Sie, Herr Süßemilch. Ich schätze, Sie mögen sie eher etwas schärfer und würziger, nicht wahr?«

Frau Eilhoff setzt gezielt ihre Fußnägel ein, die sich nun unter dem Tisch in meine rechte Wade bohren. Es schmerzt, und es treten erste Schweißperlen auf meine Stirn, doch ich halte es aus. Für Jana. Für ihre Karriere. Für unseren Traum einer Hundert-Quadratmeter-Wohnung. Aber weiter sollte sie nicht mehr gehen. Dann garantiere ich für nichts mehr. Das muss Angela Merkels Mann sicher nicht über sich ergehen lassen. Oder doch?

»I… I… Ich?«, stottere ich einen hilflosen Satzbeginn über die Tischplatte. »Nein, ich mag am liebsten … eine … eine ganz normale Juice. Die von zu Hause. Die schmeckt mir am besten. Ich mache meine Juice immer nur zu Hause.«

Mit dieser Antwort scheint die Hausherrin jedoch ganz und gar nicht einverstanden. Ihre Nägel bohren sich noch tiefer in meine Wade. Ich kann nicht mehr anders. Ich muss dem Ganzen Einhalt gebieten. Auch wenn Janas Karriere hier an diesem Tisch abrupt ihr Ende findet.

»Ich bitte Sie, Frau Eilhoff«, bricht es aus mir heraus, und ich rücke meinen Stuhl entschieden zurück. »Unterlassen Sie das. Ich bin für derlei Dinge nicht zu haben.«

Jana fällt vor Schreck der Löffel aus der Hand und landet mit einem lauten Scheppern auf dem silbernen Unterteller. Und auch der Hausherr scheint nichts von dem perfiden Doppelleben seiner Frau zu ahnen. Ganz im Gegenteil. Er scheint ernsthaft überrascht und wechselt einen Blick mit seiner Frau. Diese schaut zunächst ihn, dann mich an.

»Jetzt tun Sie nicht so, Sie haben mich die ganze Zeit unter dem Tisch mit Ihrem Fuß befummelt. Ich bin doch kein Callboy, ich bin …«

Der restliche Bauteil des Satzes wird für alle Zeit auf seine Vollendung warten müssen, denn mit einem einzigen Sprung landet eine anthrazitfarbene Katze auf meinem Schoß und krallt sich sogleich in meinem Schritt fest.

»Romeo! Runter da«, herrscht Gustav Eilhoffs Stimme durch den Salon.