Nautaqua - Renate Zawrel - E-Book

Nautaqua E-Book

Renate Zawrel

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Beschreibung

Die Ressourcen der Erde sind längst erschöpft. Endzeitszenarien auf der Erdoberfläche, die mehr und mehr im Meer versinkt. Der Lebensraum der Menschheit reduziert sich beinahe stündlich. Irgendwo im Meer thront die Unterwasserstadt Nautaqua. Von dort beginnt der Wettlauf mit der Zeit …

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Renate Zawrel

Nautaqua

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

NAUTAQUA

NAUTAQUA

 

Dunkel und bedrohlich schoben sich die Wassermassen in Richtung Festland. Schaumkronen tanzten auf den ölig glänzenden Wellenkämmen. Grau in Grau präsentierte sich der wolkenverhangene Himmel. Gespenstisch wirkte die Szenerie auf den Betrachter. Andererseits, welchen Betrachter?

Das Ende der Welt war so oft prognostiziert worden? Gab es wirklich keine Chance für die Menschheit?

 

»Kommander?« Energisch klopfte Mirna an die Tür. Ihre grasgrünen Pupillen fixierten die undurchsichtige Glasscheibe.

Immer musste sie es übernehmen, den stets unpünktlichen Oberkommandierenden daran zu erinnern, dass die Sitzung bereits vor geraumer Zeit begonnen hatte. Eine äußerst undankbare Aufgabe. Schließlich war sie damit verbunden, die Schimpftiraden dieses ungehobelten Menschen zu ertragen.

Noch einmal schrillte Mirnas hohe Stimme durch den Korridor: »Kommander? Die Sitzung hat …«

Endlich waren hinter der Tür lautstarkes Rumoren und Schritte zu hören.

»Was unterstehst du dich, mich in meiner Ruhezeit zu stören?«, keifte es aus dem noch immer verschlossenen Raum. »Bist du es schon wieder, du blöder Fisch?«

Mirna tobte. Ihre hinter den Ohren befindlichen, kaum sichtbaren Kiemen klappten auf und zu. Sie war doch kein Fisch.

Grölendes Lachen dröhnte aus dem Kommandoraum. Man konnte sich die mehr als belustigte Mimik des grantigen Mannes vorstellen.

Die Aquaria kannte dieses Spiel ebenfalls – es war wie immer.

Der Kommander lehnte in seinem Büro an der Tür, ließ die Botin absichtlich warten. Den Groll Mirnas schürte er mit seinen Reden: »Na, studierst du gerade deine körperlichen Vorzüge und dass du mir unter Wasser weit überlegen bist? Ich weiß, dass du an deine Schwimmhäute denkst, die du im nassen Element zwischen deinen Fingern wachsen lassen kannst. Und wenn du zu deinen Füßen siehst …«

Ein Hustenanfall unterbrach die Aufzählungen des Provokateurs.

Aber Mirna sah tatsächlich zu den bodennahen Gliedmaßen.

»Ja, sie sehen aus wie Flossen«, murrte sie zu sich selbst.

Ihre Stimme überschlug sich als sie laut hinausschrie: »Und trotzdem bin ich wie ein Mensch. Auch wenn es Ihnen nicht passt. Sie, Sie …«

Gerade rechtzeitig verschluckte sie eine Beleidigung. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und setzte einen mürrischen Gesichtsausdruck auf.

Die Tür wurde unsanft aufgerissen. Ein aufgedunsenes, großporiges Schwammgesicht erschien als erstes in dem Spalt. Nach und nach wälzte sich der voluminöse Körper des Kommanders durch den Türrahmen.

»Wusst ich’s doch. Immer dieser Fisch«, betonte Kilman genüsslich. Seine sadistische Ader wusste, wie er die Aquaria ärgern und zur Weißglut bringen konnte.

Die wimpernlosen Lider der Botin klappten nervös auf und ab. Der schön geschwungene Mund mit den blassblauen Lippen war leicht geöffnet und ließ eine Reihe feingeschliffener Zahnspitzen erkennen.

Kilman überlegte, ob er diese Fischfrau schon in seinem Bett gehabt hatte. Gut, das war im Moment nicht wesentlich und er hob den Kopf. »Was ist? Was glotzt du? Warum störst du mich? Ich habe schließlich zu arbeiten«, schnauzte Kilman unhöflich weiter.

Seine Unfreundlichkeit kam nicht von ungefähr. Das Projekt, an dem arbeitete, verlangte seine volle Konzentration.

»Kommander Kilman«, erklärte Mirna ruhig, »… die Sitzung hat bereits vor mehr als einer halben Stunde begonnen und Ihre Anwesenheit ist erforderlich.« Prickelnde Kühle strömte durch ihren Leib. Ihre Art, Stresshormone abzubauen.

»Sitzung?«, äffte das Schwammgesicht nach. »Was denn schon wieder für eine Sitzung?« Kilman hatte den Termin schlichtweg verdrängt, weil es andere Prioritäten gab. Die Zeit drängte, wenn die Menschen auf der Erdoberfläche den Funken einer Chance haben wollten.

Ein süffisantes Lächeln spielte um Mirnas Lippen. »Der Untergang des nächsten Landteiles, Kommander. Der Conference-View mit den Regierungsoberhäuptern Deutschlands, Frankreichs und Spaniens. Sie haben es doch nicht etwa v-e-r-g-e-s-s-e-n-?« Das Gesicht der Aquaria verzog sich zu einem fiesen Grinsen.

Auch sie wusste, wie sie den alternden Befehlshaber der Seestation mental herausfordern konnte.

Er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihn vergesslich nannte.

»Gehen wir«, schnaubte der nun seinerseits Beleidigte und stapfte einfach hinter der Fischfrau los.

Michael Kilmans Blick wanderte über die Holzverkleidung des Korridors und ließ die Wärme, die davon abstrahlte, auf sich wirken. Ein Hauch menschlicher Gemütlichkeit wurde von den Paneelen widergespiegelt.

Die Gedanken des Kommanders machten einen Zeitsprung zurück.

Holz verband er immer noch mit dem Duft des Waldes, grünem Moos, einer Lichtung, Blumenwiesen …

Kilman ließ sich so sehr von seinen Erinnerungen ablenken, dass er über seine eigenen Beine stolperte und haltesuchend nach vorne griff … geradewegs auf Mirnas wohlgeformtes Hinterteil.

»Kommander!«, entrüstete die Aquaria sich, »was soll das denn?«

Sie hatte ihre Hand schon zum Schlag erhoben, besann sich jedoch in letzter Sekunde.

Fast ungläubig lauschte sie dem leisen Gemurmel des Mannes: »Entschuldigung, ich war ganz in Gedanken.«

Hatte Kilman sich jetzt ernsthaft entschuldigt?

Mirna würde noch einige Zeit darüber grübeln.

Lange dauerte es allerdings nicht und schon war wieder der ›alte‹ Kommander zu hören.

»Was läufst du auch so knapp vor mir herum? Noch dazu so langsam wie eine Meerschnecke. Jemand wie du wäre auf der guten alten Erde täglich zehnmal überrannt worden.«

Abrupt wechselte Kilman das Thema. »Warst du jemals »oben«?«

Das war ebenfalls eine seiner Macken, welche die Frau nicht leiden konnte. Die Aquaria musste sich jetzt schnell entscheiden, ob sie einen Streit vom Zaun brechen oder seine dümmlichen Bemerkungen übergehen und einfach nur die letzte Frage beantworten sollte. Sie entschied sich für die diplomatische Variante.

»Nein, Kommander. Ich kenne die Erdoberfläche nur von Hörensagen und den Bildern, die in der Museumshalle ausgestellt sind. War es denn …«, unterbrach sie sich und flüsterte nach kurzer Pause ehrfürchtig, »… schön? Die Sonne? Der Mond?«

Mirna versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie die Strahlen der Sonne auf ihrer Haut spüren könnte. Oder der Mond sein fahles Licht über die Gipfel der höchsten Berge wandern ließ.

»Ja«, knurrte Kilman unwirsch, »es war wunderschön. Bis …«

»Bis was?«, hakte Mirna nach und wartete gespannt auf eine Antwort.

Sie wüsste so gerne mehr von dem Leben über der Wasseroberfläche.

Doch die Menschen, die von der Erde nach Nautaqua, der Stadt am Meeresboden, gesiedelt waren, sprachen nicht viel über ihre Vergangenheit. Vielmehr machten sie aus ihren Erinnerungen ein Geheimnis und ihre Worte waren nichts als Rätsel.

Sätze wie zum Beispiel »1999 hat es begonnen. Alles ging zu glatt. Es hätte uns auffallen müssen.«, hatte sie schon so oft gehört. Was hatte begonnen? Was hätte auffallen müssen?

Hatte sie eben zu unaufmerksam gewirkt?

Der Kommander schüttelte den Kopf.

»Bis … ach, was erzähl ich dir Fisch das eigentlich alles?«, schnaufte Kilman, »das betrifft dich doch sowieso nicht. Du bist hier geboren und wirst auch hier sterben.«

Mirnas Pupillen veränderten die Farbe und das sanfte Grasgrün glänzte plötzlich in unergründlichem Dunkelgrün, das so gefährlich wirkte wie die Untiefen des Meeres. Nur mühsam unterdrückte die Aquaria eine schroffe Antwort auf diesen Affront.

Die letzten Meter bis zum Konferenzraum legten die beiden Bewohner Nautaquas, die unterschiedlicher nicht sein konnten, schweigend zurück.

Kurz hatte Mirna die andere Seite des Kommanders kennenlernen dürfen. Für einen Moment war seine Menschlichkeit aufgeflammt und hatte offenbart, dass hinter der Maske des grantigen Wissenschaftlers und Forschers ein Herz wohnte.

Jeder, der seine Heimat in der sagenhaften Unterwasserstadt gefunden hatte, wusste, dass er sein Leben Kilmans Wissen verdankte. Etwas, das Mirna eben in die Waagschale geworfen hatte: Sein beleidigendes Verhalten gegen das ihr geschenkte Leben.

 

Mirna klatschte ihre Handfläche unwirsch auf den Bewegungsmelder der großen Büroraumtür. Mit einem zischenden Geräusch bewegten sich die Glasfronten in die Seitenverkleidung aus Holz.

Die Aquaria trat ein, machte aber gleich einen Schritt nach rechts, um dem Kommander den Vortritt zu lassen.