Nazis in Sicht - Angela Wierig - E-Book

Nazis in Sicht E-Book

Angela Wierig

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Beschreibung

Die Anwältin Angela Wierig beschreibt ihr Miterleben des Münchner NSU-Prozesses als Vertreterin der Nebenklage. Sie schreibt sehr eindringlich von der Vorverurteilung der Täter durch die Medien, die in diesem Prozess fehlende, aber in einem Rechtsstaat so notwendige Unschuldsvermutung und fragt: "Ich bin sehr froh, in einem Land Anwältin zu sein, in dem ich für meine Mandanten Gerechtigkeit - oder zumindest eine Annäherung an Gerechtigkeit - erwarten kann. Muss das Verbrechen nur monströs genug sein, um diese mühselig errungene rechtsstaatliche Menschlichkeit wieder aufzugeben? Und ist das nicht erschreckenderweise genau das Gedankengut, über das wir hier zu Gericht sitzen?"

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Seitenzahl: 32

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Rechts. Ausgrabungen

Inhalt

Angela Wierig – Nazis in Sicht

Anhang

Die Autorin

Impressum

Angela WierigNazis in Sicht

Persönliche Betrachtungen einer Prozessbeteiligten

Durch einen dummen Zufall bin ich in das NSU-Verfahren gerutscht. Türkische Freunde hatten um Hilfe gebeten, weil ihr Bruder vom »Nationalsozialistischen Untergrund«, bestehend aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und wohl auch Beate Zschäpe, im Sommer 2001 erschossen wurde. Von Haus aus Strafverteidigerin bin ich kein großer Fan der sogenannten »Nebenklage«. Ein weites Feld, das zu vertiefen hier den Rahmen sprengen würde. Und fand mich auf einmal wieder in einem der sogenannten Jahrhundertprozesse – wobei das Jahrhundert gerade mal angefangen hat, und wenn ich die menschliche Natur nur halbwegs kenne, erwarte ich von der islamistischen Hardcore-Fraktion noch Großes für die Zukunft. Optimistisch wie ich bin, gehe ich davon aus, dass hinterher noch ein Gericht vorhanden ist, das die dann begangenen Taten aburteilen kann.

Wir versuchen dort in München mit knapp 60 Nebenklägervertretern, inzwischen zwölf Verteidigern, fünf Angeklagten, drei Bundesanwälten und unter der Verhandlungsführung durch denStaatsschutzsenat des Oberlandesgerichts die Taten des sogenannten NSU aufzuklären. Allen Angeklagten wird die Unterstützung eben jenes NSU zur Last gelegt. Natürlich spielt dabei ihre politische Einstellung eine Rolle. Die sehr weit rechts außen ist. Da geht es um die Reinhaltung der Rasse. Das Hochhalten des Deutschtums. Erstaunlicherweise gar nicht so sehr um den Hass auf Ausländer. Man hat nichts gegen Ausländer. Solange der Ausländer im Ausland bleibt. Erst wenn der Ausländer seine Gene auf deutschem Boden verteilt oder gar mit deutschen Genen mischen will – dann versteht man keinen Spaß mehr. Was viel niederträchtiger ist als offene Ablehnung. Für Leute mit dieser Haltung gibt es einen Begriff: Das sind Nazis. Als Deutsche habe ich ein besonderes Verhältnis zu Nazis. Sie sind ein Fluch, mit dem ich geboren wurde, eine Bürde und ein Vermächtnis, ein böser Traum, aus dem ich nicht erwachen kann. Was wahrscheinlich unter anderem daran liegt, dass ich auf Auslandsreisen dann, wenn ich erwähnte, Deutsche zu sein, so oft gefragt wurde: »Are you a Nazi?« Und das durchaus auch von Menschen, denen ein gewisser Bildungsgrad nicht abzusprechen war. Die lebten nur sehr, sehr weit weg von Deutschland. Wahrscheinlich ist es dieser besondere Umstand, der diesen Prozess für mich so schwierig macht. Ich sitze da auch zu Gericht über meine eigene Vergangenheit; über die Dinge, an denen ich keine Schuld trage, die mich aber bis heute beschämen, und so muss die Scham ohne Schuld getragen werden. Bemakelt von Geburt an für eine Geschichte, die sich fortschreibt. Denn darum sitzen wir da. Weil Nazis in Deutschland getötet haben. Nicht 1943, sondern 2000. Und dann immer wieder.

Eine alte Rechnung

Es wäre so viel einfacher, wenn sich das Thema mit den Nazis erledigt hätte. Man könnte mit Fug und Recht sagen, dass Nazis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gehören; dass inzwischen mehrere Generationen zwischen den Mördern in Braun und den heutigen Deutschen liegen und dass die ewigen Vorwürfe gegen die Nazi-Deutschen doch mal bitte aufhören könnten. Ich fühle mich als Deutsche unter Generalverdacht, rechtem Gedankengut nahezustehen. Wobei das Deutschsein allein für diesen Generalverdacht schon ausreicht. Dem Deutschen an sich ist nicht zu trauen. Wenn man ihn nicht immer scharf im Auge behält, dann bricht bei der ersten Gelegenheit der Nazi in ihm durch und schwingt sich wieder auf, Herrenrasse sein zu wollen. So mein Eindruck. Denn im Zusammenhang mit diesem Verfahren werden Äußerungen innerer Einstellungen öffentlich gemacht, für die mir jedes Verständnis abgeht. Ich werde später noch ausführlich darüber berichten.

Zu meinem größten Bedauern gibt es sie tatsächlich noch. Die