4,49 €
In einer uralten Hafenkneipe erzählt ein scheinbar ebenso alter Mann unter mysteriösen Umständen einer jungen Frau die Geschichte seines skurrilen Lebens.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Er setzte sich ganz zwanglos zu ihnen an den Tisch, ohne dazu von einem der Beiden aufgefordert worden zu sein. Rechts hielt er ein leeres Schnapsglas, das er auf dem runden Tisch abstellte, in der Linken die alte, abgenutzte Pfeife.
Mit der nun von dem Glas befreiten Hand deutete er auf dieses ehemals schöne Meisterwerk der Schnitzkunst, dessen Mundstück durch jahrelangen Gebrauch fast faserig zerbissen aussah.
“Selbst geschnitzt. Ich kann mich einfach nicht davon trennen.” Sein fast zahnlos scheinender Mund grinste breit während seiner Erklärung. Ohne die geringste Scheu zeigte er so offen die wenigen schwarzen Zahnstummel, die ihm verblieben waren.
'Wie konnte er mit diesen Zähnen das Mundstück der Pfeife nur so zerkauen?', schoss es der jungen Frau durch den Kopf.
Den Zeitpunkt seiner Kontaktaufnahme, seines 'Zugriffs', hatte er sehr gut abgepasst.
Während der knorrig wirkende Gastwirt der alten Hafenkneipe gerade die hinter seiner Theke in den Boden eingelassene Kellerluke anhob und in dem entstandenen Loch verschwand, erschien der Alte wie ein Geist aus einer dunklen Ecke des verwinkelten Raumes.
Es schien fast so, als nutzte er die Abwesenheit des Wirtes und eine fast lähmende Gesprächspause des Paares, dem er nun seine Aufwartung machte.
Interessiert hob die junge, hübsche Frau ihren Blick von der Tischplatte, auf dem sie bisher mit dem rechten Zeigefinger stumm imaginäre Kreise zeichnete. Sie lächelte den Alten an, was diesen dazu ermunterte, sein leeres Glas zu heben und ein bezeichnendes Augenzwinkern darauf zu werfen.
“Deern, wenn du mir einen Köhm spendierst, erzähle ich dir von meiner beinahe letzten Fahrt auf einem Seelenverkäufer, die mich fast ins nasse Grab brachte.” Trotz der fehlenden Zähne war seine Sprache akzentuiert und deutlich, obwohl ein leichtes Zischen bei bestimmten Konsonanten den angenehmen Gesamteindruck leicht reduzierte.
Ihr Einverständnis heischender Blick traf das Gesicht ihres Freundes. Da dieser aber stumm blieb und keinerlei Regung zeigte, nickte sie nur und goss aus der auf dem Tisch stehenden Flasche sein Glas randvoll. “Ah, danke. Den brauch’ ich, um meine Stimme zu ölen.”
“Was ist das für eine Geschichte, die Sie uns erzählen wollen? Sie waren einmal Seefahrer?”
“Jaa, ich war einmal Seemann. Und bin es eigentlich immer noch - und werde es Zeit meines Lebens auch bleiben. Also, denn man los! Es liegt schon fast fünfzig Jahre zurück, da musste ich auf der ‘Norfisk’ anheuern, einem Fünfmastgaffelschoner, der, seitdem ich es erst kurz vorher aus bestimmten Gründen verlassen musste, als Kurierfahrer an der Westküste Amerikas seinen Dienst verrichtete. Ich sage ‘ich musste anheuern’, weil es mir aus den gleichen Gründen nicht möglich war, über den für mich üblichen Weg wieder auf das Schiff zurück zu gelangen.
Ich dachte mir, ein Kurierschiff würde wie eine Fähre stets nur eine Route fahren. Dies war aber beileibe nicht so. Hätte ich damals bereits gewusst, was mir auf dieser Fahrt bevorstand, hätte ich so schnell es nur ginge das Weite gesucht. Aber du kannst deinem Schicksal nicht entgehen. Auch wenn du noch so schnell rennen kannst.