TOD AN BELTANE - Roland Böhme - E-Book

TOD AN BELTANE E-Book

Roland Böhme

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Beschreibung

Im sechsten Jahr nach dem Krieg gegen Varus' drei Legionen überschreitet der römische Feldherr Germanicus wie schon im Vorjahr mit rund 60.000 Legionären und Hilfstruppen den Rhenus. Sie dringen mit Feuer und Schwert in das Gebiet ein, das sie Germania Magna nennen, und bringen Tod und Verwüstung. Während ihres anfangs erfolgreichen Vormarsches stoßen sie auch auf eine große Gruppe Marser und Usipeter, die gemeinsam das Frühlingsfest Beltane feiern.
Während des Überfalls auf die Schlafenden gelingt es einem Zenturio, Edda, die Frau Albins, eines marsischen Adeligen, in seine Gewalt zu bekommen und zu entführen.
Die Wege Albins, um sein Weib aus den Fängen des römischen Offiziers zu befreien, führen ihn weit weg von seiner Heimat - und in viele lebensbedrohliche Gefahren ...

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Roland Böhme

TOD AN BELTANE

Gefangen in Rom

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zweiter Tag

Zweiter Tag 

Als wir einige Zeit vor Anbruch des folgenden Tages den nördlichen Rand des Berglandes erreichen und ihm folgen, fällt leichter Sprühregen. Das dichte Astwerk der Bäume fängt ihn zum größten Teil auf und lässt das Wasser die schwarz glänzenden Stämme herabrinnen. Nur vereinzelt lösen sich dicke Tropfen von den Zweigen und fallen auf den Waldboden, wo sie von dem langsam verrottenden Vorjahreslaub und den dichten Moosmatten gierig und auf Nimmerwiedersehen aufgesogen werden.

Wir legen, um den Pferden eine Erholung zu gönnen, die erste Rast am Rande einer mit dichtem, aber zu dieser Jahreszeit noch nicht sehr hohem Gras bewachsenen Lichtung ein, durch die sich ein kleiner Bach schlängelt. Diese Ruhepause, die uns wertvolle Zeit kostet, steigert unsere innere Unruhe noch weiter, ist aber notwendig, um die Tiere wieder zu Kräften kommen zu lassen.

 

Der Festplatz der Heiligen Haine ist nicht mehr weit. Immer noch haben wir die Front der römischen Legionen vor uns. Und werden sie auch sicher nicht mehr vor ihrem Angriff durchreiten können, denn anhand des Alters der Spuren müssten sie gegen Ende des gestrigen Tages entweder das Gebiet erreicht oder aber kurz vorher ihr Marschlager für die Nacht erbaut haben. Aber in beiden Fällen kämen wir zu spät, um unsere Familien zu warnen.

Ob sie von den Legionen bereits am vergangenen Abend sofort angegriffen wurden oder später überfallen werden, vielleicht gerade in diesem Moment, wenn alle noch auf ihren Schlafstellen liegen, erfahren wir erst im durch die immer noch tief ziehenden Wolken verursachten spätmorgendlichen Grau dieses Tages, wenn wir endlich die Lichtung erreicht haben. Wir werden dann sehen, ob unsere schlimmsten Befürchtungen Wahrheit geworden sind und dort unseren Verwandten, Freunden und Nachbarn das gleiche Schicksal widerfuhr, das die Bewohner der wenigen von uns bisher durchquerten Dörfer ereilte, die ausnahmslos von den nördlich der römischen Kampflinie operierenden Legionen niedergebrannt wurden.

Bis zuletzt hatten wir noch die Hoffnung, dass sie dieses Gebiet nicht erreichen, vielleicht daran vorbei ziehen. Aber jeder weitere Schritt unserer Pferde, der uns dem Ziel näher bringt, lässt uns auch gleichzeitig immer deutlicher erkennen, dass unsere drängenden Wünsche sich nicht erfüllen werden.

Die Fährten der Römer weisen, nachdem sie vorher schon einmal leicht in eine Richtung abschwenkten, die am Festplatz vorbeigeführt hätte, nun wieder zielgenau auf ihn zu.

 

Jetzt, zum Beginn der dritten Stunde, sind es nur noch wenige Schritte, dann erreichen wir mit einem beklemmend ahnungsvollen Gefühl den Fuß eines flachen, lang gezogenen und schmalen Hügels, der sich wie ein kleiner Wall so vor uns aufstellt, als wolle er uns davor bewahren, das Schreckliche, das sich direkt dahinter verbergen könnte, sehen zu müssen.

Diese leichte Barriere trennt uns noch von der Stätte, der unseren in diesem Bereich lebenden Völkern bisher stets als Lagerplatz während der Tage diente, an denen wir die gemeinsamen Feste feierten. Von dem Ort, der in unmittelbarer Nähe unseres zerstörten Tamfana-Heiligtums liegt.

Es herrscht fast Totenstille. Außer dem emsigen und sorglosen Zwitschern der Vögel sind keine weiteren Laute zu hören. Das an diesen Tagen normalerweise hier schon zu vernehmende fröhlich-laute Spielen und Streiten der herumtollenden Jugendlichen fehlt völlig.

Wir erreichen unter Hoffen und Bangen die Wallkuppe und haben von hier aus einen weiten Blick auf die große Lichtung.

Das, was sich unseren Augen hier bietet, lässt mich mein Blut in den Adern gefrieren. Obwohl wir uns ausgemalt hatten, was uns erwarten könnte, trifft uns der Anblick wie ein starker Schwertschlag, denn augenblicklich sehen wir unsere ärgsten Befürchtungen auf das Schlimmste bestätigt.

Vor uns öffnet sich die Lichtung, die übersät ist mit wahllos niedergemetzelten und oftmals schwer verstümmelten menschlichen Körpern, teils noch auf ihren Schlaflagern, teils unvollständig bekleidet vor ihren niedergerissenen Zelten liegend.

Niemand wurde verschont. Alte liegen neben Kindern. Frauen und Männer, die im letzten Moment ihres Lebens noch eine Waffe ergreifen konnten, hatten nicht die geringste Überlebenschance.

Die Legionäre müssen allem Anschein nach noch vor Beginn des heutigen Tages über die ahnungslos und friedlich Schlafenden hergefallen sein und sie getötet haben, ohne dass der Großteil von ihnen auch nur die geringste Gegenwehr leisten konnten.

Erst starr vor Schreck, dann voller Verzweiflung und Angst eilen wir von einem toten Körper zum anderen, drehen hier die wehrlos Erschlagenen um und blicken denen, die auf dem Rücken liegen, in die totenstarren Augen, in die blutbesudelten und teilweise zerstörten Gesichter.

Mit jedem weiteren Toten wachsen neben unsäglicher Verzweiflung ohnmächtige Wut und unbändiger Zorn in uns, ohne sie auch gegen nur einen der Verursacher richten zu können.

Bisher ist unsere Suche nach Verwandten oder Nachbarn und Freunden ohne Ergebnis geblieben.

Hoffnungsvoll sehen wir uns an. Sollte es möglich sein, dass sie sich haben retten können? Sollten sie es wirklich geschafft haben, diesem hier stattgefundenen grausamen Massaker entkommen zu sein? Es muss sich doch jemand finden lassen, der überlebt hat und Auskunft geben kann, ob einigen der Überfallenen die Flucht geglückt ist!

Vermutlich haben sich die Fliehenden, soweit es wirklich einige geschafft haben sollten, in eine mir bekannte nahe gelegene Schlucht des nicht weit von diesem Ort liegenden nördlichen Rand des Berglandes zurückgezogen und halten sich dort verborgen.

Ich weise Odoaker darauf hin und gemeinsam besteigen wir nach zwei weiteren Stunden vergeblicher Suche wieder die Pferde. Es ist nicht weit. Nach einem Ritt von einer halben Stunde liegt sie vor uns.

Wir erkennen vereinzelte Fußspuren, die aus der Richtung der Heiligen Haine in eine schmale Senke zwischen zwei kleinen, eher Hügeln gleichenden Bergausläufern führen und folgen ihnen.

Nach einer weiteren halben Meile erreichen wir eine Biegung der Schlucht, die die Sicht auf eine dahinter liegende große höhlenartige Vertiefung in einem Felsabbruch versperrt, vor der die Spuren enden.

Wenn wir gehofft hätten, hier eine größere Ansammlung derer zu finden, die fliehen konnten, so wären wir enttäuscht worden. Es sind nur sehr wenige Überlebende, auf die wir hier stoßen. Von den etwa achttausend Menschen, die sich wie immer während dieser Zeit zum Fest zusammengefunden haben, konnten sich nicht mehr als etwa einhundert hierher retten.

Mit gemischten Gefühlen, voller Bangen und Hoffen reiten wir auf die kleine Gruppe zu, über die unsere Blicke angstvoll von einem zum anderen der mit unbeweglichen Mienen in Schreck erstarrten, teils weinenden Menschen gleiten.

Kurz darauf jubelt Odoaker befreit auf. Er hat im Hintergrund sein Weib und seinen halbwüchsigen Sohn entdeckt. Nur meine Suche ist bis jetzt erfolglos geblieben.

Apathisch und kaum Notiz von uns nehmend sitzen die Flüchtlinge am Boden, ihre Rücken an die Felsen und vereinzelten Baumstämme gelehnt, zu sehr steht ihnen der Schock in die blassen Gesichter geschrieben.

Sie hatten nur kurz verschreckt ihren Blick auf uns gerichtet, als sie das laute Klappern der Hufe unserer Pferde auf dem stellenweise felsigen Untergrund wahrnahmen. Gleich darauf fielen sie wieder zurück in ihre vorherige Lethargie, nachdem sie nur zwei Reiter aus ihren eigenen Reihen erblickten.

Mit halb gesenktem Kopf und den Rücken ebenfalls an die Felswand gelehnt erkenne ich im Hintergrund in einem der Männer den Sohn des alten Schmiedes eines Nachbardorfes, der ebenso wie alle um ihn herum teilnahmslos vor sich auf den Felsboden starrt. Ich gehe zu ihm und spreche ihn behutsam an.

„Arne, was ist geschehen? Ich sehe dich allein hier. Wo sind unsere Familien?”

Er schaut mich lange mit ausdruckslosem Blick an. Dann, nachdem er mich endlich erkannt und in die Realität zurück gefunden hat, füllen sich seine Augen mit Tränen. Nur mit viel Mühe bringt er einige gestammelte, fast unverständliche Worte über seine Lippen.

„Tot, alle tot. Diese Mörder haben uns im Schlaf überfallen und all die, die nicht mehr flüchten konnten, lachend und grölend wie räudige Hunde erschlagen.”

Mit dem Handrücken trocknet er sein nasses Gesicht, bevor er mit brüchiger, stockender Stimme fortfährt.

„Sie haben uns sogar bis weit in die Wälder hinein verfolgt und abgezählt, wer den Nächsten ermorden darf. Ich habe mit ansehen müssen, wie sie meinem Weib und meinem ältesten Sohn die Köpfe einschlugen und vielen unserer Nachbarn das Gleiche antaten, ohne dass ich ihnen zu Hilfe kommen konnte. Drei dieser hinterhältigen Wegelagerer, die mich angriffen, habe ich mit meiner bloßen Faust erschlagen können, einem Vierten habe ich den Hals umgedreht und musste flüchten, als eine in der Nähe wütende Söldnergruppe auf mich aufmerksam wurde.”

Tröstend lege ich ihm meine Hand auf die Schulter. Nach einer kurzen Zeit verbitterten Schweigens stelle ich ihm die im Augenblick für mich wichtigste Frage, „hast du sehen können, was mit meiner Familie geschehen ist? Ich habe sie auf dem gesamten Schlachtfeld nicht ausmachen können.”

„Sie lagerten nicht weit von uns entfernt direkt am Rand der Lichtung. Ich glaube, sie sind ebenfalls in den Wald geflüchtet, wurden aber von einer johlenden Horde zum Teil berittener Legionäre verfolgt. Ich weiß nicht, was danach dort mit ihnen geschehen ist.”

„Wo war euer Lager und in welche Richtung liefen sie?”

„Wir lagerten an der Stelle, die wir auch vor drei Jahren schon einmal belegt hatten. Du kennst sie. Es ist der Platz vor den zwei dreistämmigen Kastanien. Die Leute deines Dorfes flüchteten über den kleinen Anstieg in den Wald hinein.”  

Nun hält mich nichts mehr hier an diesem Ort. Ich laufe zu Odoaker hinüber, um ihm zu berichten, was ich erfahren habe. Dann vereinbaren wir, dass er die stark traumatisierten Menschen mobilisiert, mit ihnen zurück zum Ort des Überfalls geht und nach schwerverletzten Überlebenden suchen wird.

Ich werde mit meinen zwei Pferden vorausreiten und sehen, was mit meiner Familie geschehen ist.  

Sehr schnell finde ich die Kastanien und somit die Stelle, die Arne mir beschrieb. Dann auch das zerstörte Lager der Familien meines Dorfes, aber hier nur wenige Tote, die ich einen nach dem anderen untersuche. Sie alle stammen aus unseren Dörfern und sind zum Teil grausam zugerichtet.

Aber ein Mitglied meiner Familie ist nicht unter ihnen. Nun beginne ich damit, den Fährten der Flüchtenden zu folgen. Sie sind in den Wald gelaufen, sagte er. Ja, sicher, wohin auch sonst, denke ich bitter.

Hier gibt es viele Spuren, die in den Wald hineinführen. Ich reite einfach aufs Geratewohl los und sehe schon nach kurzer Zeit die nächsten Erschlagenen auf den dichten Moosteppichen liegen.

Es sind auch hier ausnahmslos Einwohner unserer Dörfer. Jugendliche, die das erste Mal Gelegenheit bekamen, an dem Fest teilzunehmen, Männer und Frauen, meine Nachbarn, mit denen ich schon als Kind durch unsere Wälder gestreift bin. Erbarmungslos und voller Mordlust erschlagen. Und das nur, weil es im fernen Rom einigen machthungrigen Patrizierfamilien und ihren hier in unserem Land ihr für uns bitteres Unwesen treibenden mordgierigen Schergen so beliebt.

 

Wo ist meine Familie, wo ist Edda, mein Weib? Wenn ich sie hier gleich finden sollte, wie alle um mich herum ebenfalls getötet, vielleicht mit eingeschlagenen Köpfen, werde ich unverzüglich auf den Rücken meines Pferdes springen, zu Germanicus reiten und ihn mit meinem in der Großen Schlacht erbeuteten römischen Schwert töten, egal, was anschließend mit mir geschieht!

Voller Angst, Trauer, Verzweiflung und fast verschütteter Hoffnung reite ich suchend im Zickzack in die von Arne angegebene Richtung, von einem toten Körper zum nächsten. -

Dann das Unfassbare. Das Erste, was ich von ihnen zu sehen bekomme, sind die zwei unnatürlich verrenkten Beine meines bis zum Zeitpunkt seines Todes von einem einzelnen Gegner unbesiegten Vaters auf dem Waldboden.

Der mächtige Stamm einer riesigen Eiche verbirgt sie noch. Erst als nach einigen weiteren Schritten meines Pferdes liegen sie vor mir. Vater und Mutter, mein jüngerer Bruder Landogar einige Schritte weiter, alle mit klaffenden Wunden, über und über mit bereits geronnenem Blut besudelt.

Meine Gedanken, meine Gefühle ausschaltend untersuche ich sie kurz und sehe kein Leben in ihnen. Sie haben starke Kampfwunden, müssen sich also vor ihrem Tod noch heftig zur Wehr gesetzt haben, was auch die sechs Leichen der Söldner erklärt, die von ihren Kameraden zurückgelassen wurden. Aber wo ist Edda? Voller Panik reite ich weiter von Baum zu Baum, in der Hoffnung, sie hinter einem von ihnen versteckt vielleicht noch lebend finden zu können. Sie muss doch hier in der Nähe sein! Ich bete zu den Göttern, dass sie es geschafft hat, den Schlächtern zu entkommen. Laut rufe ich ihren Namen, der jedoch ungehört zwischen den Bäumen verhallt.

Da ich keine in den Wald weiterführende Spuren mehr ausmache, gehe ich langsam wieder zurück und komme so nach einiger Zeit wieder in den Bereich des Ortes, an dem meine Eltern liegen.

Ich hocke mich neben Landogar auf den Waldboden und höre im gleichen Moment eine schwache Stimme fast unhörbar hinter mir flüstern.

„Albin….” Ich wirbele herum und sehe die vor Schmerz weit geöffneten Augen meiner Mutter auf mich gerichtet. Da Vater fast wie schützend quer über ihrem Rücken liegt, war während der ersten Untersuchung nicht erkennbar, dass es größtenteils sein Blut war, das über sie hinweggeflossen ist. Meiner Eltern Blut, das sich mit dem leichten Sprühregen des frühen Morgens vermischte und teilweise im Boden versickerte. Dies hat so nicht nur mich, sondern vor allem auch die Söldner getäuscht und sie vor dem endgültig tödlichen Schwertstreich bewahrt.

„Mutter!” Ich stürze zu ihr hin, hebe behutsam Vaters leblosen Körper hoch und trage ihn neben Landogar, um Beiden jetzt die totenstarren, blicklosen Augen zu schließen.

Zwei warme Wassertropfen fallen auf meinen rechten Handrücken. Erst jetzt wird mir bewusst, dass mein Gesicht tränennass ist. Ich atme einige Male tief durch, trockne es mit dem Hemdsärmel, wende mich dann meiner Mutter zu und beuge mich über sie. Vorsichtig drehe ich sie auf den Rücken, währenddem sie schmerzvoll aufstöhnt, versuche behutsam, ihrem Körper eine bequemere Lage zu geben. Sie hat eine dick blutverkrustete, große Platzwunde am Hinterkopf und ihr linker Arm scheint gebrochen zu sein, denn er lag bisher in einer unnatürlichen Haltung unter ihrem Körper.

„Wo ist Edda?“ frage ich sie mit gepresster Stimme, indem ich weiterhin ihre Wunden untersuche.

Mühsam kommen ihr die Worte über die Lippen. „Ich habe noch sehen können, wie ein älterer römischer Legionär sie mit der flachen Seite seines Schwertes bewusstlos schlug, dann auf sein Pferd zerrte und mit ihr davon ritt. Ich konnte ihr nicht helfen, konnte nicht aufstehen, denn dein Vater lag doch erschlagen auf mir”, flüstert sie verzweifelt weinend und schließt erschöpft die Augen.

Beruhigend streichele ich ihren Arm, „Mutter, mach dir keine Vorwürfe, du hättest gegen die Legionäre doch nicht das Geringste ausrichten können. Sie hätten nur bemerkt, dass noch Leben in dir ist und dich daraufhin nur ebenfalls endgültig erschlagen. Dass sie dich verschont haben, liegt nur an Vaters Blut, das über deinen Körper geflossen ist. So hielten sie euch alle für tot und haben dich nicht weiter beachtet.”

Dann, nachdem sie wieder etwas Kraft gesammelt und ihre Fassung zurückgewonnen hat, fährt sie mit immer noch leiser, schwacher Stimme fort. „Es war ein sehr ungewöhnliches Tier, das dieser Römer ritt, ein großer Rapphengst mit weißer, fast kreuzförmiger Blesse auf der Stirn. Als er die bewusstlose Edda zu sich hochzog, sagte er etwas zu seinen Kumpanen, die daraufhin lauthals lachten. Du weißt, ich verstehe die Sprache dieser Menschen nicht. Es war das Letzte, was ich sah, bevor ich selbst wieder ohnmächtig wurde.”

Erschöpft von der Anstrengung des Sprechens schließt sie heftig und unregelmäßig atmend erneut einige Zeit die Augen.

 

Edda ist die Nichte eines benachbarten Gaugrafen, dessen jüngerer Bruder, ihr Vater, mit seiner Familie im vergangenen Jahr in unser Dorf gezogen ist. Sie ist groß, schlank und mit ihrem schönen, ausdrucksstarken Gesicht, umrahmt von dichtem, langem Haar, das in der Sonne leuchtet wie reifer Weizen eine jener Frauen, an denen die Blicke der Männer lange Zeit bewundernd haften bleiben. Für meine Begriffe manchmal auch eine gewisse Spur zu lange.

Sie als gefügig gemachte Sklavin in der Gewalt eines alten römischen, vor Lust geifernden Legionärs? Ich wage nicht, mir diese Situation auszumalen und wende mich, um das Bild aus meinem Kopf zu verbannen, dringenden Dingen zu.

Zunächst müssen schnellstmöglich die schweren Verletzungen meiner Mutter versorgt werden. In meiner Ausrüstung auf dem Rücken eines der zwei Pferde stecken einige saubere Woll- und Leinentücher, die ich als Verband benutzten kann.

Zwei von ihnen tauche ich in einem nahen Bach in das klare Wasser und säubere damit zuerst ihre Wunden, die sich nach einer eingehenderen Untersuchung als nicht lebensbedrohend herausstellen. Da der Schädelknochen scheinbar nicht gebrochen ist, wird sie mit einer sicher sehr starken Kopfprellung davon gekommen sein.

Problematisch könnte aber noch der hohe Blutverlust werden, den sie durch die weit klaffende Verletzung erlitten hat. Nachdem ich die blutbesudelten Tücher mehrmals ausgewaschen habe, wische ich ihr damit auch Vaters Blut vom Körper.

„Albin, ich habe Durst, gib mir bitte etwas zu Trinken.” Der leere Ledersack ist am Bach schnell gefüllt. Als er ihre trockenen, aufgesprungenen Lippen berührt, trinkt sie mit langen, durstigen Zügen.

Während ich meine Arbeit beende, berichtet sie mir unterdessen stockend in kurzen, abgehackten Sätzen von dem Überfall, der bis in die Morgendämmerung hinein erfolgte.

„Der Legionär hatte eine rote Narbe über dem linken Auge, die aussah wie ein gestreckter Finger”, sind ihre letzten Worte, bevor sie erneut das Bewusstsein verliert.

Somit bietet sich mir nun die Gelegenheit, ihre Unterarmknochen richten und schienen zu können. Aus einer am Bach stehenden Weide schneide ich dazu zwei schmale Rindenstücke und reinige sie, nehme aus meiner Tasche einige getrocknete und von mir auf meinen Reisen ständig mitgeführte Kräuter mit entzündungshemmender Wirkung, zerstampfe sie mit etwas Wasser zu einem Brei und bestreiche damit die Wunde. Die Rindenschalen werden anschließend mit einem in lange Bahnen gerissenen Tuch direkt an der Bruchstelle fixiert, während ein weiterer zu einer Schlinge geformter Stoffstreifen, um ihren Hals gelegt, den Arm in eine angewinkelte, stabile Lage bringt. So ist sie erst einmal provisorisch versorgt. Die Blutung aus der weit klaffenden Kopfwunde, deren Ränder ich mit einer an einem spitzen Fischknochen befestigten Tiersehne zusammenzog und vernähte, ist gestillt, ebenfalls mit dem Kräuterbrei behandelt und verbunden. Nun muss sie nur erst wieder zu sich kommen, dann sehen wir weiter.

Zwischenzeitlich untersuche ich Vaters und Landogars Körper.

Beide haben sie zahlreiche Schwerthiebe und -stiche und zum Schluss jeweils einen schweren tödlichen Schlag gegen den Kopf erhalten.

Verbittert und voller Zorn hebe ich ein provisorisches Grab aus, das groß genug ist, um beide aufzunehmen und sie somit vor den Zähnen der Waldtiere zu schützen. Später werden wir sie würdig bestatten müssen, damit sie von den Walküren vom Schlachtfeld zu Odin nach Walhall geführt werden können.

Mutter, die wieder zu Bewusstsein kam, ihre Augen aufschlug und mir wortlos mit tränenüberströmtem Gesicht bei meiner traurigen Arbeit zusah, versucht nun, sich mit Hilfe des gesunden Armes aufzurichten, lässt sich dann aber doch wieder auf den Waldboden sinken, als ihr schwarz vor Augen zu werden droht.

Wie soll ich sie denn in diesem Zustand transportieren, und vor allem wohin? Weiß ich denn, ob unser Dorf noch besteht, ob es nicht schon längst eingeäschert und dem Erdboden gleichgemacht wurde?

Alles Fragen, auf die ich im Moment noch keine Antwort weiß. Und wieder überkommt mich kalte Wut. Was erlauben sich diese Verbrecher und Mörder, wer oder was gibt ihnen das Recht, in unser Land, unser Leben einzufallen, um mordend und plündernd unsere Dörfer, unsere Ernten zu verwüsten!

Und wieder muss ich mich zwingen, klaren Kopf zu bewahren. Aber ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, ich werde noch die Gelegenheit suchen und auch finden, meinen Zorn die spüren zu lassen, die für diese Taten verantwortlich sind.

Und wenn ich dann dem Mörder Vaters und Landogars, dem Entführer meines Weibes und auch dessen Auftraggeber gegenüberstehen sollte, wird es um ihn geschehen sein.

Etwas ruhiger überdenke ich die Tatsache, dass der Legionär ein wertvolles Pferd reitet. Dies deutet darauf hin, dass er den Rang eines Offiziers, vielleicht den eines Centurio bekleidet. Dies sind erste Anhaltspunkte, die mich später vielleicht in die Lage versetzen werden, ihn ausfindig machen und zur Rechenschaft ziehen zu können.

Vor allem aber überlasse ich ihm nicht tatenlos mein Weib! Ich werde meine ganze Kraft darin setzen, sie aus seinen mit meiner Familie Blut besudelten Händen zu befreien! -

Ich knie neben meiner immer noch am Boden liegenden Mutter.

„Soll ich dich auf das Pferd tragen? Wir müssen heim reiten, denn den Wagen habe ich in Castra Vetera stehen lassen. Wenn unsere Häuser noch existieren sollten, wird Gawein dich gesund pflegen.”

Gawein ist der Heilkundige des Dorfes und eingeweiht in die tiefsten Geheimnisse der Natur. Wenn es jemand schaffen sollte, einem Kranken wieder auf die Beine zu helfen, dann er.

„Hilf mir nur auf, Albin, Wenn ich erst einmal stehe, schaffe ich es schon.“

Zweifelnd blicke ich sie an. Aber da ich ihren eisernen Willen kenne, weiß ich, dass sie nichts von ihrem Vorhaben abbringen kann. Deshalb versuche ich es auch nicht erst, sondern greife ihr unter die Arme und ziehe sie behutsam hoch.

Sie hat erkennbar große Schmerzen, beißt aber die Zähne zusammen und quält sich mühsam auf die Beine.

Offenbar hat sie außer dem gebrochenen Arm, der großen Platzwunde am Hinterkopf und des daraus resultierenden schweren Traumas keine weiteren Verwundungen erlitten. Vater hat ihr in einer letzten Tat mit seinem tödlich verwundeten Körper das Leben gerettet.

„Schaffst du es, dich mit dem gesunden Arm an der Mähne des Pferdes festzuhalten, wenn ich dich auf seinen Rücken setze?” Wieder ein besorgter Blick von mir, aber mit einem kurzen, behutsamen Kopfnicken macht sie mir ihre Bereitschaft deutlich und setzt schon, schwer auf meinen Arm gestützt, einen Fuß vorsichtig vor den anderen.

Langsam gehen wir so zu einem dicken umgestürzten Baum, auf den ich sie sich setzen lasse und an einen starken, emporragenden Ast lehne. Danach führe ich von der anderen Seite das ruhigere der zwei Pferde heran. Oben auf dem Stamm stehend ziehe ich sie nun vorsichtig zu mir herauf und versuche, sie einigermaßen bequem auf dem Pferderücken unterzubringen. Vermutlich wird sie sich hier nicht sehr lange aus eigener Kraft aufrecht halten können, deshalb ist sie Augenblicke später durch einige Stangen und ein langes Seil aus meinem Gepäck so auf dem Tier gesichert, dass ein Sturz nicht mehr möglich ist.

In diesem Moment erreicht Odoaker mit den wenigen überlebenden Flüchtlingen, die er ihrer Schockstarre entrissen und aus dem Tal hierher zurückgeführt hat, den Ort des Überfalls und sucht gemeinsam mit ihnen das breit gestreute Feld des Massakers nach weiteren Verletzten ab.

Er sieht mich und steht kurz darauf neben uns.

„Was ist geschehen, Albin? Deine Mutter lebt, was ist mit den anderen Mitgliedern deiner Familie?“

Mit knappen Worten berichte ich, was meine Mutter mir bisher sagen konnte.

„Der Tod deines Vaters und Bruders tut mir Leid. Auch ich habe meinen Bruder verloren. Und dass dein Weib entführt wurde, ist schlimm. Was wirst du jetzt unternehmen?”

„Ich werde diesen Mörder so lange jagen, bis ich ihn vor mir habe. Und dann werden ihm selbst seine Götter nicht mehr helfen können! Ich werde Edda, das schwöre ich, aus seiner Gewalt befreien!”

„Gerne würde ich dich dabei begleiten. Aber ich muss erst sehen, was aus meinem Dorf geworden ist.”

Nach kurzer Zeit verabschiede ich mich von ihm, besteige mein Pferd, nehme die Zügel des Zweiten, auf dem meine Mutter mehr liegt als sitzt, in die Hand und führe es, jede unnötige Erschütterung vermeidend, langsam auf den Weg in die Heimat.

Nun erst wird mir schaudernd vollends bewusst, dass es diese für uns nicht mehr geben wird, wenn die römischen Horden unser Dorf entdeckt, zerstört und auch die Zurückgebliebenen getötet haben sollten.

An die vier Reittiere, die Edda, Landogar und meine Eltern für ihre Anreise benutzten, denke ich im Moment nicht. Brauche es aber auch nicht, denn da sie vermutlich von den Legionären als Beute mitgenommen wurden, sind sie auf jeden Fall für uns verloren. Vorerst.

Ich sehe meine Mutter auf dem Rücken des Pferdes zusammensinken und reite direkt neben sie, um sie zu stützen. Es wird ein sicherlich langer, sehr beschwerlicher, mühsamer Ritt sein werden, der nun vor uns liegt.  

Zwischen den einzelnen Ohnmachtsphasen berichtet sie immer wieder in kurzen, abgehackten Sätzen von den Vorfällen der vergangenen Nacht.

Erst sehr spät hätten sich die Feiernden auf ihre Ruhelager begeben, nachdem einige Becher Wodelsbier geleert worden waren.

In tiefem Schlaf liegend sind sie dann vor dem Morgengrauen von den Legionären des Germanicus überfallen und, ohne auch nur die geringste Möglichkeit zur Gegenwehr gehabt zu haben, unter lautem Gejohle und Geschrei erschlagen worden. Nur wenige haben sich, zumeist nur sehr mangelhaft bekleidet und bewaffnet, in die Wälder flüchten können, wurden aber auch dorthin von den Söldnern verfolgt und erbarmungslos abgeschlachtet.

Der Angriff hat sich also genau so zugetragen, wie die Spuren auf dem Festplatz es Odoaker und mich vermuten ließen.  

Wir passieren auf unserem Ritt die verkohlten und noch rauchenden, teilweise sogar noch brennenden Reste vieler zerstörter Siedlungen.

Vor jedem Dorf legen wir eine Pause ein. Am Rande des Ersten, das wir erreichten, bettete ich Mutter noch abseits des Weges in hohes Gras, unsichtbar für eventuelle römische Nachzügler oder Versorgungstrupps.

Ihr Pferd versteckte ich im dichten Unterholz des Waldes und ritt mit gezogenem Schwert zwischen die noch schwelenden Trümmer der Siedlungen.

Da dies aber auf Dauer zu umständlich war, zuviel Zeit und Anstrengung kostete, reiten wir beim Anblick der folgenden schon von weitem zu erkennenden Rauchfahnen offen in die zerstörten und verlassenen Dörfer ein.

In nicht einem der Orte finden sich weitere Leichen. Deshalb ist anzunehmen, dass der Großteil der Einwohner die Feier in den Heiligen Hainen besucht hat, die wenigen Zurückgebliebenen dann von einzelnen Flüchtenden gewarnt wurden und sich somit in die Wälder haben retten können.

Da wir so auch recht langsam vorankommen, besteht sicher nicht die Gefahr, dass wir auf die Reihen der Legionäre stoßen werden, denn ihre Geschwindigkeit, mit der sie durch unser Land ziehen, dürfte kaum langsamer als unsere eigene sein.

Unser Heimatort liegt etwas abseits der allgemeinen Reiserouten zwischen zwei Ausläufern eines kleinen Höhenzuges. Deshalb hoffe ich inständig, dass es wie im vergangenen Jahr von den römischen Horden nicht entdeckt und somit abermals von der Zerstörungswut der römischen Horden verschont bleiben wird.

Dritter und Vierter Tag

 

Dritter und Vierter Tag 

Erst am späten Nachmittag des folgenden Tages erreichen wir die Ebene vor dem Zugang zu unserem Tal. Hier erkenne ich voller Erleichterung anhand in diesem Bereich nicht vorhandener Fährten, die die Römer sonst auf ihrem in breiter Front vorgetragenen Vormarsch bisher überdeutlich hinterließen, dass unser Dorf vermutlich wieder einmal Glück im Unglück hatte.

Die in diesem Gebiet operierenden Legionen passierten die Hügelkette nördlich, ließen das Tal und somit auch unser Dorf völlig unbeachtet, wenn es nicht doch noch die südlicher agierende Legion aufgespürt haben sollte. Aber dies ist aufgrund der Geländebeschaffenheit eher unwahrscheinlich.

Dann, eine Meile weiter, erkenne ich erleichtert die im Schutze eines Waldausläufers stehenden unversehrt gebliebenen Häuser der Siedlung.

„Mutter, wir sind zu Hause. Die Römer sind an unserem Tal vorbei gezogen und haben das Dorf ein weiteres Mal nicht entdeckt.”

Langsam erwacht sie aus ihrer Benommenheit und blickt verständnislos um sich.

Ich wiederhole meine Worte und nur allmählich begreift sie, dass wir keine weiteren Toten beklagen müssen.

Ihre eigene Mutter und meine zwei jüngeren Geschwister, die alle im Dorf zurück geblieben sind, entgingen dem sicheren Tode, der sie ereilt hätte, wären sie von den Römern aufgespürt worden. Ebenso zogen Eddas Eltern und ihre jüngere Schwester es in diesem Jahr vor, nicht an dem Fest teilzunehmen.

Wir reiten einen kleinen Umweg, der uns zuerst in den Ort führt. Als wir die ersten Häuser passieren, fällt mir die Totenstille auf. Niemand kommt uns entgegengelaufen, keine spielenden Kinder auf den Wegen zwischen den Wohnstätten, alles ist still und leer.

Am Ende des Bogens stehen wir vor unserem etwas abseits des Dorfes gelegenen Haus. Hier löse ich die Stricke, mit denen meine Mutter gesichert ist.

Langsam und behutsam lasse ich sie nun, da sie wiederum nicht bei Bewusstsein ist, vom Rücken des Tieres gleiten und trage sie durch das nicht verriegelte Tor in das Vorhaus.

Auch hier ist niemand zu sehen. Nachdem ich sie sicher und bequem im Schlafraum der Eltern auf ihr Lager gebettet und noch einmal nach ihren Wunden gesehen habe, werden die Pferde in den hinteren Teil geführt, in dem auch in Friedenszeiten die Tiere untergebracht sind.

Die Ställe sind leer. Wie bei einem bevorstehenden Angriff üblich wurden sie vermutlich in ein Nebental geführt, um den Angreifern nicht in die Hände zu fallen. Außerdem fehlt der zweite Karren, der sicherlich mit unserem Hab und Gut beladen von der jüngsten Stute zur Schutzburg gezogen wurde. Bestätigt wird meine Vermutung, als ich feststelle, dass alle wertvollen Gegenstände verschwunden sind. Unter anderem auch das von mir erbeutete Feldzeichen der römischen XVIII Legion aus dem Großen Krieg.

Sie werden so, der Gefahr des Einfalles der Legionäre vorbeugend, sicherlich in dem nahe gelegenen Wald den Durchzug des römischen Heeres abwarten und erst wieder zurück kommen, wenn die Gefahr vorüber ist.

Etwas abseits, aber nicht weit von unserer Siedlung entfernt, an einer Stelle, an der uns sicher niemand vermuten wird, wenn das Dorf angegriffen werden sollte, haben wir noch vor dem vergangenen Winter, einige Tage nach der letzten römischen Invasion, eine kleine Festung errichtet.

Der Beginn des Weges zu dieser Stelle führt über eine lange, ebene Felsplatte, auf der keine Räderspuren erkennbar sind, wenn wir das Dorf vor einem Angriff mit den schwer beladenen Karren verlassen müssen. Durch den angrenzenden Wald erreichbar ist eine versteckt gelegene Lichtung, auf die wir um eine stark sprudelnde Wasserquelle herum einen siebzig Schritt durchmessenden Ring aus fünfunddreißig Fuß hohen, Rinde an Rinde tief in den Boden gegrabenen, anschließend miteinander verbundenen und von innen schräg abstützenden Baumstämmen bauten, der uns bei drohender Gefahr Unterschlupf, ausreichend Wasser und Schutz gewähren soll.

Als ich den Rand dieser Lichtung erreiche, höre ich im Hintergrund das Wiehern einiger Pferde und die Stimmen zweier sich streitender Kinder zu mir herüberschallen.

Da ich auch bereits durch das Guckloch hindurch von dem Wachtposten ausgemacht worden bin, öffnet sich das Tor und es treten mir die entgegen, die zu ihrem Glück noch nicht oder nicht mehr an unserem Fest teilnehmen konnten oder wollten und somit im Dorf geblieben sind.

Mein jüngster Bruder Gerleif kommt auf mich zugelaufen und bestürmt mich schon von weitem mit Fragen nach der Familie.

Bereits meinem Gesicht muss er deutlich angesehen haben, dass etwas Fürchterliches passiert ist, denn er wird immer langsamer und sieht mich mit weit aufgerissenen Augen stumm fragend an.

„Vater und Landogar lagen erschlagen im Heiligen Hain und sind bereits begraben. Mutter habe ich schwer verwundet mit in das Dorf gebracht und Edda ist von einem der Söldner gefangen genommen und zu seiner Sklavin gemacht worden.”

Mit dem letzten Wort ist mir bewusst, dass ich es ihm vorsichtiger hätte beibringen müssen, denn er steht wie erstarrt vor mir und bringt vor Schreck keinen weiteren Ton heraus.

Im gleichen Moment erreichen uns Großmutter und Freia, unsere Schwester, die am Fest hätte teilnehmen können. Aber aus irgendeinem Grund, den sie mir nicht nennen wollte, ist sie im Dorf geblieben, was ihr im Endeffekt das Leben, zumindest aber die Freiheit rettete.

Sie beide haben meine Worte ebenso vernommen und kümmern sich augenblicklich um Gerleif. Großmutter zieht ihn tröstend zu sich heran, und hier erst löst sich langsam sein Schock.

Alle Drei stehen weinend vor mir, sich voller Trauer umarmend und jetzt gegenseitig Trost spendend.

Bald darauf sind wir umringt von den anderen Dorfbewohnern, die mich mit Fragen nach dem Verbleib der eigenen Angehörigen bestürmen.

Eddas Eltern stehen plötzlich vor mir. Als ich ihnen mitteile, dass mein Weib, ihre älteste Tochter, in die Hände eines Römers gefallen ist, verbirgt Gisa ihr Gesicht an der Brust ihres Mannes und bricht in Tränen aus.

Von den im Kreis um mich herum stehenden Dorfbewohnern wird mir berichtet, dass drei Jungen und zwei Mädchen, die zum ersten Mal das Fest besuchten, sich haben retten können und bisher als Einzige unbeschadet zurückgekehrt sind. Sie konnten allerdings nur sehr wenig darüber aussagen, was auf dem Festplatz nun genau geschehen ist.

Augenblicklich wurden nach ihrem Bericht die wertvolleren Gegenstände auf Karren gepackt und die kleine Festung bezogen.

Zwei dieser Jungen wurden als Späher zur Beobachtung zum Anfang des Tales geschickt und erreichten die Lichtung erst kurz vor mir wieder, um von dem erfolgten Durchzug der Eindringlinge nach Osten zu berichten.