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Ein Buch über eine Krankheit, die plötzlich jeden von uns treffen kann. Dies ist meine Geschichte. Sie handelt davon, wie ich mich der Depression entgegenstellte, wie sie mich und mein Leben verändert hat. Persönlich, ehrlich, offen und die komplette Gefühlspalette durchlebend handelt sie von meinem Bungee-Sprung in die eigene Seele. Ein Buch, nicht nur für Betroffene!
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2012
Autoren-Spiegel
Simon Keller, Jahrgang 1966, Vermögensberater, Familienvater und mit einem unruhigen Geist ausgestattet.
Mit meiner Frau und den beiden Söhnen wohne und arbeitete ich an den Ausläufern des schönen Spessarts mit Blick auf das Maintal.
Mein Berufsleben führte mich von einer Lehre als Technischer Zeichner über eine Technikerausbildung im nahen Aschaffenburg zur Selbständigkeit.
Als Autor trat ich mit meinem Erstlingswerk mANnSICHTSSACHE in Erscheinung.
Danken möchte ich meiner Familie und den Freunden, die zu mir halten.
Danke auch meinen Probe-Leserinnen Kerstin und Maria und an alle, die mich beim Fertigstellen dieses Buches unterstützt haben.
Und natürlich danke ich Ihnen, dass Sie mein Buch gekauft haben.
Ich hoffe, es gibt Ihnen etwas Freude, Trost, Mut und Zerstreuung in einer schweren Zeit!
Simon Keller
Nebelhirn
„Wenn jeder Weg der Falsche scheint…”
Autor: Simon Keller
Verlag: tredition GmbH
ISBN: 978-3-8424-2320-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Du doch nicht!
Das war mein erster Gedanke, als ich die Diagnose erfuhr. Burn Out. Hört sich an, wie eine Modekrankheit. Belächelt und bestenfalls geduldet in unserer „du musst immer funktionieren” Gesellschaft.
Meine Psychotante ging noch einen Schritt weiter. Schwere Depression!
Mein zweiter Gedanke war: Was denken jetzt die Anderen von mir?
Wenn ich mein Bein gebrochen hätte, dann wäre jedermann klar, dass ich ernstlich krank bin. So ein Gips ist dann etwas Feines.
So einen Gips wünsche ich mir gerade, denn noch habe ich Probleme, mir selbst zu erklären, dass ich wirklich krank bin und sich mein Leben wohl völlig ändern wird. Wie also soll ich das meinem Freunden, Bekannten, Kollegen und Kunden klar machen.
Ist ja kein Beinbruch. Das trifft es wohl gut. Denn während mein Leben gerade in seine Einzelteile zerfällt, habe ich plötzlich Angst, dass sich viele ungläubig, skeptisch oder kopfschüttelnd von mir abwenden. Es ist wie ein Stigma, das nun an mir haftet. Depressiv!
Was mir noch hilft, ist mein Humor. Lachen ist die beste Medizin.
Und so beschließe ich, eigennützig zu allererst für mich, meine Reise über die Fahrt auf dem psychischen Ozean nieder zu schreiben. Unbekannte Gewässer, Untiefen, Monster und Gefahren wie einst dem Odysseus werden mir begegnen.
Meine einzige Waffe: Ganz viel Humor!
Alle bisherigen Bücher zu diesem Thema haben mich schon im Vorwort deprimiert. Wenn das eigene Leben zerbröselt, dann ist Humor und eine satirische Sichtweise allemal besser, als sich durch die Krankheit in die Ecke werfen zu lassen.
Gestern ist es eine Woche her, seit dem ich bei meiner Hausärztin war.
Vorangegangen war eine durchwachte, katastrophale Nacht. Meine Gedanken kamen nicht zur Ruhe, ich zitterte, schwitzte, bekam keine Luft mehr und dachte nun, dass das Ende nahe sei. Das Schlimmste war aber, dass ich, glaubend einen Herzanfall zu haben, neben meiner schlafenden Frau lag, und sie nicht weckte. Es war mir in diesen bangen Stunden egal, ob ich nun sterben oder weiterleben würde! Das ist das eigentlich Beängstigende daran. Jetzt war ich doch endlich erschrocken genug, um am nächsten Morgen umgehend meine Ärztin aufzusuchen.
Ich glaube, dass ich diesen unausweichlichen Termin schon länger vor mir hergeschoben habe.
Warum ich erst jetzt, erst nachdem mein Körper mit einem Zaunpfahl heftig winkend auf mich einschlägt, diesen Schritt gegangen bin?
Erklärungsversuche:
-Typisch Mann eben! Männer sind da viel nachlässiger als Frauen. Solange es geht, wird weitergemacht… manchmal zu weit.
-Aus Angst vor dem, was die Ärztin findet oder finden könnte. Bei mir hat sich ein Spruch eingeprägt, der das gut beschreibt. „Du gehst gesund ins Krankenhaus und kommst krank nach Hause. Die finden etwas, irgendetwas … wie beim TÜV.”
-Angst vor den Konsequenzen daraus. Job, Geld, Ansehen. Zweifel an dem ganzen „Psychogequatsche”! Ja, damit hab ich meine Probleme. Die Grauzone zwischen esoterischem, tandrischen Tanzen und wirklichem Heilen ist fließend und für mich nicht zu durchschauen.
-Aus Angst, wie es weitergehen soll, wenn ich nicht mehr funktioniere. Bisher hab ich ja immer alles selbst geschafft. Und nun bedeutet das, was ich schon länger ahnte, aber geschickt ignorierte, dass dem nicht mehr so ist. Für einen wie mich, ist es ungewohnt und schwer.
Aber nun sitze ich hier und gehe im Geiste noch einmal den Arzttermin durch. Keine drei Sätze brauchte ich zu sagen und bekam zu hören, „Das wundert mich nicht”.
Weitere zehn Minuten später, nachdem ich wohl zum aller ersten mal jemandem meine Gefühle und Ängste erzählt habe, war klar, mein Akku ist leer und wird sich auch von alleine nicht mehr füllen.
Übermorgen steht der Termin bei einer Psychologin an.
Meine Ärztin meinte, dass ich auf alle Fälle zur „Kur” in eine Klinik müsse. Und eine fachärztliche Bescheinigung einer Psychologin würde die ganze Prozedur wohl beschleunigen.
Die letzten Tage waren gefühlt wechselhaft. Das trifft es ganz gut. Ich pendelte zwischen „aufgekratzt und sinnentleert”.
Sorgen mache ich mir vor allem um die finanzielle Zukunft. Aber das mache ich schon immer. Seit 12 Jahren bin ich nun also Vermögensberater. Habe 1998 meinen Job als Maschinenbautechniker an den Nagel gehängt, als meine Frau mit unserem ersten Sohn schwanger war. Mutig oder doof? Das ist hier die Frage!
Anfangs gelang mir im neuen Job alles. Kundentermine, Vertragsabschlüsse, Mitarbeiteranwerbung, Kinder, Hausbau.
Alle klopften mir auf die Schulter und sollten erst einmal Recht behalten. „Du kannst das. Dir liegt so was. Du bist der Typ dafür!” Dann der Crash. Zuerst der Börsencrash im März 2000, dann fliegen Flugzeuge in Hochhäuser, später hören alle meine Mitarbeiter auf. Und jetzt 2008/2009 die schlimmste Krise nach dem Krieg, weil irgendwelche Halbhirnis die Taschen nicht voll genug bekommen. Mitten drin ich, in einer Sinnkrise.
Wie alles dazu kam, dass ich nun hier sitze und die Trümmer meiner Gesundheit in Händen halte, das beschäftigt mich nun gefühlte 25 Stunden täglich.
Ab und zu stehe ich vor der Glasvitrine in meinem Büro, betrachte die Auszeichnungen und Pokale der letzten Jahre. Aus purem Spaß war ich nicht mit Vollgas unterwegs gewesen, sondern weil die Bank jeden Monat die Darlehensrate will. Die Nebenkosten, Versicherungen, Bürokosten und Leasingraten addieren sich zu einer Summe, die jeden Monat immer wieder aufs
Neue verdient werden muss. Dann kann es plötzlich passieren, dass nach 12 Jahren guten Umsatzes der Dispokredit der Hausbank gekündigt wird. Jeder Angestellte im Lande, mit einem geringen aber geregelten Einkommen und einer Kündigungsfrist von 4 Wochen, bekommt die Kreditangebote nachgeworfen. Was wäre das Land aber ohne die Wahnsinnigen, die sich auf eigenes Risiko in die Selbständigkeit trauen?
Als Lehre aus diesen persönlichen Erfahrungen und den Geschehnissen im Vorfeld der Finanzkrise habe ich für mich beschlossen, dass gierige Banker das größte Übel seit Pest und Cholera auf diesem Planeten sind. Mit im Boot sind profitgierige Manager, korrupte Politiker und Aufsichtsorgane, die nichts sehen weil die Augen mit Euroscheinen zugeklebt sind.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Auch in meinem Berufsstand gibt es solche und solche Berater. Oh ja! Aber ich ändere das Gesamtsystem nicht. Es hat lange gedauert, aber nun wird es mir immer klarer…
Vorgestern war der Psycho-Tag. Meine Frau und ich machten die Kinder für die Schule fertig, und fuhren mit bangem Herzen zum vereinbarten Termin. Um uns den Tag noch etwas „kuschelig zu machen”, gingen wir erst einmal zum gemeinsamen Brunchen in ein schönes Cafe’ am Marktplatz.
Dann, noch 20 Minuten Zeit habend und maximal 5 Minuten Gehweg vor uns, zogen wir los.
Es ist auch im gemütlichsten Cafe’ nicht schön, wenn man gleich seine Seele von einer Psycho-Tante seziert bekommt. Daher machten wir uns viel zu früh auf den Weg.
Vorbei an Schaufenstern schlendernd, deren Inhalt keiner von uns wahrnahm, sprachen wir Worte, die keiner richtig hörte. Wie durch Watte stolperten wir beide unaufhaltsam der dunklen Pforte der Arztpraxis entgegen. „Zur Schlachtbank führen”, das war die richtige Bezeichnung für die ganzkörperlich vorherrschenden Gefühle.
Nun standen wir vor der Praxistür und klopften an. „Einmal Gehirnspülung, bitte.”
Das dachte ich noch während wir eintraten.
„Privat versichert?”, fragte die freundliche Empfangsdame auch gleich nach den Begrüßungsfloskeln. „ Klar, privat versichert. Wünsch dir was”, hämmerte es in meinem Schädel.
In einem lieblos eingerichteten Wartezimmer mit alten und quietschenden Billigplastikstühlen saßen wir dann.
„Gott sei Dank ist keiner sonst da”, dachte ich, und meine Frau sagte es im gleichen Moment.
Ihr sah ich auf 200 Meter an, dass sie sich nicht sonderlich wohl fühlte.
Tatsächlich war ich erleichtert, dass niemand sonst noch im Wartezimmer saß, der mich evtl. entfernt kannte. So etwas spricht sich doch herum wie ein Lauffeuer.
„He, hast du schon gehört? Der Simon hat ne Macke!” Ich denke, es ist durchaus nachvollziehbar, solche Gedanken zu haben.
Das nun aber vor mir liegende Gespräch benötigte jetzt wieder meine Aufmerksamkeit. „ Was will sie wissen? Ist sie nett? Versteht sie mich?”
Dann kam das herbeigesehnte „der Nächste bitte” und wir gingen Hand in Hand in das Behandlungszimmer.
Wie soll ich die Psychologin mit wenigen Worten treffend umschreiben?
Äußerlich erinnerte sie mich an Vera F. Bir-kenbiehl. Die Motivationstante hatte ich schon im Fernsehen gesehen. Das musste ihre böse Zwillingsschwester sein.
„Ist das Ihre Frau und darf sie hier mit herein?” Das war mein „welcome” im Reich der Psychosen. „Ja” und „natürlich” stammelte ich verwirrt. Dabei fragte ich mich, ob das denn nicht offensichtlich sei, wenn ich Hand in Hand mit ihr hereinkomme!
Kaum saß mein Hintern auf dem unbequemen und knirschenden Holzstuhl aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrtausends, ging es im Stakkato-Takt weiter. Die Brille tanzte vorn auf Ihrer Nase, während die Dame Papier und einen Stift bereitlegte. Ohne Augenkontakt zu mir kam die Frage “Warum sind sie hier?”
Darauf gab es ja wohl keine Antwort in drei Sätzen. Dass ich ihr das so sagte, weckte anscheinend ihre Neugierde.
„Na, dann geben sie sich mal Mühe!”
Zumindest schaute sie mich jetzt an. Die Vorgeschichte bei meiner Hausärztin wie eine Standarte vorweg tragend, berichtete ich mit gewollt gefasster und neutraler Stimme davon, was mich bedrückte.
„Sind sie verheiratet?”, war dann ihre nächste Frage, die alles bisher Gesagte ignorierte.
„Jaaa”, stammelte ich diesmal etwas ungehaltener und zeigte mit dem Finger auf meine Frau. „Da sitzt sie doch!”
Ab diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl bei einem hochnotpeinlichen Verhör ohne Möglichkeit zur Flucht zu sitzen.
Simulant. Das war das, was sie uns beide spüren ließ. Und dass sie der Profi sei und ich erst einmal sofort Tabletten nehmen müsse. Sie hätte auch nichts gegen halbwegs informierte Patienten. Mit diesem Satz wischte sie meine Bedenken hinsichtlich Psychopharmaka und deren Nebenwirkungen weg. Ich könne ja gerne mal im Internet schauen. „Sie müssen schon etwas von dem annehmen, was ich Ihnen sage!” Ihr Monolog ging weiter.
Mein Mund formulierte nun fast selbstständig Gegenargumente, die ich Ihr entgegenschleuderte. Erst freundlich und höflich. Dann immer unwilliger und böse. Unser Gespräch verlief am Rande einer totalen Kollision.
Anscheinend war Frau Doktor bisher von Ihren Patienten keine Widerworte gewohnt. Vielleicht ließ sie sich deshalb zu einer kurzen Erklärung herab „Synapsen, Botenstoffe, Synapsenspalten, Rezeptoren und falsche Signale.” Was sich anhörte wie Enterprisetechnologie, war nichts weiter als Arztsprache. Eigentlich erwarte ich von einem Profi, dass er schwierige Sachverhalte einfach erklären kann. Ich bin ja kein Arzt und außerdem ein Mann. Wie soll ich da so was auf Anhieb verstehen.
Ihr einziger guter Rat an diesem Tag war, dass ich in meinem Zustand keine Entscheidungen treffen solle.
Zu spät. Meine Entscheidung zu meiner Hausärztin zu gehen, setzte gerade eine Maschinerie in Gang, deren Auswirkungen gerade in Frauengestalt vor mir saßen. Die Entscheidung war bereits getroffen. Und es war mit die Schwerste meines bisherigen Lebens.
Mehrmals versuchte ich ihr, meine berufliche Situation zu erklären. Wenn ich mich nun behandeln lasse, dann mache ich mein Geschäft kaputt. Wenn ich es nicht tue und weiter arbeite, dann mache ich mich kaputt.
Das von mir Gesagte prallte aber anscheinend an der Dame ab, als hätte sie einen Schutzzauber von Professor Dumbledor um sich herum.
Eigentlich konnte sie meine Probleme auch nicht lösen. Aber ein wenig Verständnis oder das eine oder andere tröstende Wort hätte ich an diesem Tag sehr gut gebrauchen können.
Wie benommen taumelten wir beide dann später wortlos durch die Altstadt zurück zu unserem Auto.
Darin sitzend schossen die Tränen aus meiner schluchzenden Frau. Das war nicht das Einzige, was an diesem Tag noch aus uns heraus brach. Nach Verzweiflung kamen auch noch Wut, Angst, und Entsetzen. In der folgenden Nacht übergab sich meine Frau mehrmals.
Männer verarbeiten so was anders. Ich joggte mir die Lunge aus dem Körper um die kleinen, wütenden Botenstoffe in meinem Blut müde zu machen. Es gelang halbwegs.
So also verlief der erste Kontakt mit der Welt der Psychmaten. Eine Mischung aus Psychologen und Schwachmaten.
Wie ich mich fühle? Ausgeliefert.
Heute ist die fachärztliche Bescheinigung der Psychotante gekommen. Mit dieser Diagnose und der detaillierten Beschreibung sollte doch einem „Kuraufenthalt” nichts mehr im Wege stehen. Dachte ich.
Gedanken sind Kräfte. Diesen Spruch kenne ich noch von diversen Motivationsseminaren.
Na, da habe ich wohl nicht fest genug gedacht, weil drei Tage später die Ablehnung meiner Krankenversicherung kam.
Auch hier war eine detaillierte Begründung verfasst, die mich spontan und reflexartig einen Brief an meine Fachärztin schreiben ließ.
Nun begann ein Pingpong-Spiel zwischen Fachärztin auf der einen und Krankenversicherung auf der anderen Seite.
Dazwischen flitzte ich als Ball hin und her.
Nachdem noch einmal die eigentlich identische Diagnose mit Nennung der selben Klinik als Antwort ärztlicherseits kam, und ich dieses Schreiben wiederum an die Versicherung schickte, erhielt ich wiederum einige Tage später ein identisch lautendes Ablehnungsschreiben. Upps. Das hätte mich auch gewundert, wenn die Sachbearbeiterin nun plötzlich und freudig dem zugestimmt hätte, was sie zuvor rundum abgelehnt hatte.
Irgendwie fühlte ich mich nicht nur verkohlt. Das ganze Zeugnisgeschreibsel kostete ja mein Geld. So etwas lassen sich die Damen und Herren in weißen Kitteln jedes Mal in Rechnung stellen.
Nein. Ich fühlte mich schlicht und ergreifend verarscht. Gut, dass dieses Gefühl bei mir immer eine motivierte Gegenbewegung hervorruft. Actio gleich Reactio. Das wussten schon die alten Griechen.
„Sachlich bleiben, Simon!” Das murmelte ich ununterbrochen wütend vor mich hin, als ich nochmals einen geharnischten Brief an meine psychosomatische Klempnerin schrieb. Darin wies ich sie höflich aber bestimmt darauf hin, dass es wohl wieder zu einer erneuten Ablehnung führen würde, sollte sie erneut (und auf meine Kosten) die identische Klinik vorschlagen.
Da wir ja im Computer-und Internetzeitalter leben, „googelte” ich einige Kliniken und hängte die Ausdrucke als Vorschläge an meinen Beschwerdebrief.
„Nun mal warten, ob das was nützt”, dachte ich, als ich den Brief entnervt einwarf.
Momentan erinnere ich mich selbst sehr an den Esel aus den Winnie-Puuh-Filmen, die ich früher mit meinen beiden Jungs angeschaut habe. Immer verdrießlich, sich über nichts freuend.
So, wie der grummelige Grantelbart seinen Zeichentrickfreunden, gehe ich meiner Familie wohl gewaltig auf den Wecker. Ab und zu schaltet sich dann mein Humorzentrum wieder ein und produziert, zumindest für mein Verständnis, lustige Gedanken.
Das war auch heute Morgen beim gemeinsamen Frühstück mit meiner Frau so gewesen. Im Radio dudelte das traurig-schöne Lied „Fields of Gold”, während ich meinen Kaffee zu Tode rührte.
„Das ist ein schönes Lied, um sich die Pulsadern aufzuschneiden!”.
Die bösen und erschrockenen Blicke meiner Frau hatte ich natürlich verdient. So etwas sagt man ja auch nicht ohne Vorwarnung.
Aber gerade morgens liegt der graue Schleier des Grübelns wie Blei auf meiner Seele. Und ich empfand das, was ich sagte als passend. Nicht, dass ich mich jetzt auf die Suche nach Rasierklingen machen würde. Nein, natürlich nicht. Es war ja mehr im „Konjunktiv” gemeint. Also, wenn ich würde, dann täte dieses Lied passen können.
Einen Teil der düsteren Gedanken schiebe ich auch auf die Tabletten. „Die müssen sie nehmen”, höre ich immer noch meine Psychmatin sagen, und weiter von Botenstoffen, Synapsentransmitterspalten und sonstiger Außerirdischentechnologie orakeln. Anscheinend habe ich alle Nebenwirkungen, die auf den langen Beipackzetteln stehen. Alle, außer „Großflächige Blutungen” und „Gewichtsabnahme”.
Das hätte ich mir aber gewünscht. Natürlich nicht die Blutungen. Nee, das mit der Gewichtsabnahme. Meine sieben Nichtraucherkilos sitzen seit gut vier Jahren lächelnd auf meinen Hüften und weigern sich standhaft, zu verschwinden.
Wo wir gerade so nett über „standhaft” sprechen.
Das mit dem Libidoverlust steht ganz oben auf dem Beipackzettel. Diese Veränderung wurde von mir erst nicht bemerkt, dann ignoriert und jetzt akzeptiert. Die Augen-Neandertalergehirn-Bilder-V erknüpfung ist irgendwie offline.
Ich sehe beispielsweise einen herrlichen, weiblichen Knackarsch in einer Unterwäschewerbung. Das Hirnareal, wo die meisten Männer und auch ich Bilder von Knackärschen und die dazugehörigen Emotionen gespeichert haben, springt auch sofort an. „Verbindung steht”.
Aber dies führt momentan nicht mehr zum sofortigen Wunsch nach Kopulation und sonstiger Erleichterung.
Es ist, als ob du alte Urlaubsbilder betrachtest. Du erinnerst dich daran, dass es ein schöner Urlaub war und ein grobes Gefühl von Strand, Sonne und Wohlbefinden stellt sich ein. Eventuell kannst du sogar noch einen Nachhall des Duftes der Sonnenmilch reproduzieren.
Dann aber blätterst du lächelnd die Seite des Albums weiter.
Wissend, dass Knackärsche und alles damit zusammen hängende etwas Schönes sind, buche ich dennoch nicht gleich einen Strandurlaub..oder so.
Was für ein Tag. Gestern wusste ich noch nicht, dass ich heute hier in der Klinik sein würde.
Meine Krankenversicherung schickte mir vor einigen Tagen eine Kostenzusage. Hurra! Also sofort mit der Klinik im Schwarzwald telefoniert. Leider waren dort alle Plätze belegt. Die Klinik verfügt aber über noch ein Haus im Weserbergland. Da könnte ich sofort hin. Sofort bedeutet am 30.12. quasi, alles für Silvester geplante über den Haufen zu werfen und sich für mehrere Wochen von der Familie zu verabschieden. Vorher telefonierte ich aber mit meiner Krankenversicherung, da ich alles richtig machen wollte!
„Die Klinik dort sei ebenfalls genehmigt”, so die Aussage der Sachbearbeiterin. Auf meine Nachfrage, welche Leistungen ich selbst zu zahlen hätte, erhielt ich die Antwort, dass nur Einzelzimmer und Chefarztbehandlungen, sofern extra berechnet, nicht übernommen würden. Auf meine nochmalige Nachfrage, ob mit dem Tagessatz der Klinik auch alle anderen Kosten beglichen wären, erhielt ich ein eindeutiges „Ja”.
Schnell der Klinik zugesagt, Koffer gepackt, Ticket für die Bahnfahrt gebucht und hektisch durch die Wohnung gehüpft.
Die Kinder und meine Frau waren natürlich traurig, dass ich zu Silvester nicht da sein würde.