Neurodermitis - Sophie Ruth Knaak - E-Book

Neurodermitis E-Book

Sophie Ruth Knaak

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Beschreibung

Neurodermitis gilt als Volkskrankheit, sowohl Kinder als auch Erwachsene sind betroffen. Trockene, rissige Haut, verbunden mit staktem Juckreiz, macht das Leben zur Hölle. Sophie Ruth Knaak regt an, das Gesundwerden selbst in die Hand zu nehmen. Neurodermitis sei weder erblich bedingt noch eine Allergie oder Atopie, erklärt sie. Als die Ursachen der Hautkrankheit nennt sie eine gestörte Darmflora und einen Mangel an B-Vitaminen. Mit ihren schlüssigen Methoden hat die Autorin unter anderem ihren eigenen Sohn von Neurodermitis geheilt.

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Sophie Ruth Knaak

Neurodermitis

Weder Allergie noch Atopie

Geheilt in 40 Tagen

ENNSTHALER VERLAG STEYR

*

Für Wolfgang,

ohne dessen Geduld dieses Buch

nicht hätte entstehen können.

*

Erklärung

Die in diesem Buch angeführten Vorstellungen, Vorschläge und Therapiemethoden sind nicht als Ersatz für eine professionelle medizinische oder therapeutische Behandlung gedacht. Jede Anwendung der in diesem Buch angeführten Ratschläge geschieht nach alleinigem Gutdünken des Lesers. Autoren, Verlag, Berater, Vertreiber, Händler und alle anderen Personen, die mit diesem Buch in Zusammenhang stehen, können weder Haftung noch Verantwortung für eventuelle Folgen übernehmen, die direkt oder indirekt aus den in diesem Buch gegebenen Informationen resultieren oder resultieren sollten.

www.ennsthaler.at

ISBN 978-3-7095-0048-4

Sophie Ruth Knaak · Neurodermitis

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 1997 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Umschlaggestaltung: Thomas Traxl, Steyr

Titelbild: © sekulicn/iStockphoto

E-Book Herstellung: Zeilenwert GmbH

Bei der abgebildeten Person auf dem Cover handelt es sich um ein professionelles Model. Die Person steht in keinem Zusammenhang mit den Inhalten dieses Buchs. Die Abbildung dient ausschließlich der Illustration.

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Impressum

Vorwort

Fall Martin

Entdeckung der Therapie – Neurodermitis ist identisch mit Pellagra

Nachbetrachtung zum Fall Martin

Neurodermitis ist weder eine Allergie noch eine Atopie

Fall Cornelia

Mundfäule I

Mundfäule II

Bläschenausschlag im Mund – Stomatitis aphthosa

Nachbetrachtung

Anal-Ekzem I

Anal-Ekzem II

Fall Lisbeth

Ganz-Körper-Ekzem

Exkurs

Nachbetrachtung zum Fall Lisbeth

Fall Jurist

Bart-Hals-Fuß-Ekzem

Nachwort

Schlussbemerkung

Innere Maßnahmen

Äußere Maßnahmen

Anhang

Der Fall Hiob

Was ist Lepra?

Der Fall Jean Paul Marat

Ein früher Neurodermitiker

Übersicht über die B-Vitamine

Funktion – Vorkommen – Mangelsymptome

Übersicht über neurodermitische Symptome und Mangel an B-Vitaminen

Praktische Tipps

»Heilung unerwünscht?«

Quellen

Über die Autorin

Weiters erschienen

Fußnote

Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden alle Personennamen geändert.

Vorwort

In den ersten Märztagen des Jahres 1989, als ich noch in einem Dorf auf der Zollernalb wohnte, kam mein Sohn Martin mit einer Krankheit nach Hause, die mir völlig unbekannt war: Auf Armen und Beinen hatten sich dunkelrotbraune geschwürige Entzündungen entwickelt, auf denen höckrige Krusten saßen, die nässten und fürchterlich juckten. Der Juckreiz war so schlimm, dass Martin sich die Haut am liebsten heruntergekratzt hätte. Außerdem war er extrem übellaunig, überreizt, schlief schlecht und litt an Durchfall.

Drei Ärzte nacheinander diagnostizierten eine schwere Neurodermitis. Der erste verordnete Cortison und ein Antibiotikum; der zweite empfahl eine Umstimmungstherapie mittels Eigenblut-Injektionen; der dritte betrachtete Schwefelkügelchen als das Mittel der Wahl. Sohn Martin lehnte Cortison und Antibiotikum rigoros ab. Die Eigenblutinjektion brachte nicht die Spur einer Besserung und die Schwefelkügelchen verschlimmerten seinen Zustand noch erheblich.

Nun war guter Rat teuer. Zum Glück hatte ich inzwischen begriffen, woran mich Martins Krankheit erinnerte: Diese Schwären, dieser Juckreiz, dieser Durchfall entsprachen exakt dem Krankheitsbild, das ich wenige Wochen zuvor unter dem Stichwort PELLAGRA kennengelernt hatte. Zwar galt PELLAGRA als typisches Problem für »maisverzehrende« Länder, aber ihre Symptome entsprachen genau Martins gegenwärtigem Zustand. Nun lebte Martin zwar nicht in einem »maisverzehrenden« Land, aber Schwären, Juckreiz, Schlafstörungen, Müdesein und Durchfall sahen verdächtig nach PELLAGRA aus. Was lag näher, als Neurodermitis mit PELLAGRA gleichzusetzen und sie so zu kurieren, wie dies für PELLAGRA vorgesehen war?

PELLAGRA entsteht durch einen Mangel an B-Vitaminen. Vitamin-B-Mangel entsteht ganz simpel durch einen Vitamin-B-Mangel in der Nahrung (wie bei Martin der Fall), aber auch durch eine mangelhafte Aufnahme im Darm (Resorptionsstörung). Dieser Aufnahme-Mangel hat viele Ursachen, z.B. eine Zerstörung der Darmbakterien durch Antibiotika oder durch eine Pilzinfektion im Darm (bei Martin wahrscheinlich).

Als Martins Verzweiflung ein Maximum erreicht hatte, ließ er sich überreden, versuchsweise Neurodermitis als PELLAGRA zu betrachten und sie entsprechend zu therapieren. Und was geschah?

Der Juckreiz verschwand bereits am ersten Tag, die übrigen Symptome nach genau 24 Tagen.

Diese erstaunlich schnelle und erstaunlich anhaltende Heilung liegt nun schon mehr als sieben Jahre zurück – ohne den geringsten Rückfall, und dies ohne Diät oder sonstige Maßnahmen. So etwas spricht sich herum. Inzwischen haben es alle Neurodermitis-Geplagten im Freundes- und Bekanntenkreis mit dieser Therapie versucht, keiner hat es bereut. Ausnahmslos bei allen verschwand der Juckreiz bereits am ersten Tag. Die Geschwüre heilten je nach Schwere des Falles innerhalb von drei Tagen (Mundfäule) oder spätestens nach vierzig Tagen ab (Ganz-Körper-Ekzem nach einer Schwangerschaft, siehe Fall Lisbeth).

Ein einziges Mal kam es – nach vollständiger Ausheilung – zu einem Rückfall: Ein labiler Alkoholiker konnte es nicht lassen, in Freud und Leid zur Flasche zu greifen, bis dass Juckreiz und Rötungen wieder aufflackerten. Endlich kapierte der Mann, wie sehr Alkohol nicht nur die Leber ruiniert, sondern auch die Darmflora attackiert und ließ endlich vom Alkohol (sogar für immer). An diesem Fall ließ sich trefflich studieren, wie folgerichtig Neurodermitis entsteht und wie folgerichtig sie heilt: in strenger Relation zur Funktionstüchtigkeit der Darmflora.

Die Fotos sind laienhaft und waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt, so wenig wie meine Tagebuch-Notizen während Martins Krankheit. Aber die Logik der Therapie ist derart zwingend, dass auch die offizielle Medizin davon Kenntnis nehmen sollte, schließlich gilt Neurodermitis inzwischen als Volkskrankheit. Es genügt nicht, die alte Hypothese zu pflegen, wonach Neurodermitis eine Allergie sei, so wenig wie es genügen kann, feinsinnig zwischen Allergie und Atopie zu unterscheiden und mit Cortison und/oder Antibiotika eine Therapie vorzugaukeln, die in Wahrheit keine ist. Alle hier mitgeteilten Fälle heilten in Zeitspannen ab, von denen die offizielle Medizin nur träumen kann, die aber auch alternative Methoden nicht erreichen, seien es verschrobene Diätkuren, Wohnungs- und Klimawechsel, Dauerbrausen, Blaulichtbestrahlungen oder was es sonst noch an Kaspereien gibt. Sie alle gehen und argumentieren am Kern des Neurodermitis-Problems vorbei, denn der Kern des Problems ist ein Teufelskreis aus Darmstörung und Vitaminmangel, den nur der durchbrechen kann, der ihn durchschaut hat.

Erfreulicherweise ist nach einer dpa-Meldung vom 16. Juni 1997 inzwischen auch die offizielle Medizin dabei, den Zusammenhang zwischen Neurodermitis und Darmstörung zu entdecken. In der Meldung heißt es, ein (Mikro-)Biologe vermute, dass jede zweite Neurodermitis durch eine Pilzinfektion im Darm verursacht werde. Das ist zwar nur die halbe Wahrheit, aber immerhin. Kein Wort mehr von Allergie oder Atopie. Es ist schön, dass die etablierte Medizin allmählich zu Erkenntnissen kommt, die sich bereits in Martins Fall im Jahre 1989 dem unvoreingenommenen Beobachter aufdrängten. Vielleicht taugen die hier geschilderten Fälle dazu, den letzten Skeptiker zu überzeugen.

Aalen, im Juni 1997

FALL MARTIN

Entdeckung der Therapie – Neurodermitis ist identisch mit Pellagra

4. März 1989

Martin kündigt sich telefonisch an. Er sagt, er habe ein Problem, ein Hautproblem, eine Art Ekzem, das stark jucke. Um es zu kurieren, habe er drei Wochen Urlaub genommen. Am Abend sei er da. Ob ich eine Idee habe. (Nein, ich habe keine Idee, nicht die geringste, wie lautet die genaue Definition von Ekzem?)

Pschyrembel

… E. ist vielgestaltig, tritt meist symmetrisch auf; akutes Stadium: Jucken, Rötung, Papulovesikeln. (Also Bläschen, davon hat Martin nichts gesagt.)

… Nässen, Krusten; neigt zu Rückfällen. Mikrobielles (bakterielles) E. entsteht durch Sensibilisierung der Haut gegenüber bestimmten Mikroben. (Ja, wie denn sonst? Aber wer oder was sensibilisiert die Haut? Das ist die Frage. Was meint »Sensibilisierung« genau? Etwa: Die Haut wird wehrlos gegen bestimmte Mikroben aus irgendeinem Grund? Aber weshalb wird sie wehrlos? Grundfrage: Worin besteht Hautschutz? Wie kommt er zustande? Nebenfrage: Weshalb ist meine Haut geschützt? Weshalb habe ich kein Ekzem?)

… neigt zur Streuung über den ganzen Körper. (Das sind Aussichten!)

Lexikon Herder

EKZEM, häufigste Hautkrankheit, uneinheitlich in Ursache, Dauer, Verlauf und Behandlung. Haut ist gerötet und meist mit Knötchen besetzt. Wichtigstes Symptom ist der unerträgliche Juckreiz. Die meisten E. sind allergische Reaktionen. (Das möchte ich entschieden bezweifeln, in Allergien kenne ich mich aus!)

… Die zweithäufigste Form entsteht durch sekundäre Infektion bei vorhandener Disposition (Leberkranke).

(Leberkranke sind besonders disponiert? Martin hat Probleme mit der Leber seit jenem verhängnisvollen Schluck Benzin, aber das liegt zwölf Jahre zurück! – Und nie hatte er Juckreiz! Nie ein Ekzem! Es muss ein Faktor dazugekommen sein, aber welcher?)

Hautjucken

… entsteht immer bei Gelbsucht bzw. bei Leberproblemen, insbesondere bei Fettleber. Symptome: Druck im rechten Oberbauch, Blähungen, Appetitstörungen, Ursachen: Alkoholmissbrauch, Intoxikation, Infektion, Fehlernährung, Harnvergiftung, Darmparasiten, Leukämie, Diabetes, Fehlen essenzieller Fettsäuren. (Was trifft auf Martin zu? Nichts außer: Druck im rechten Oberbauch, gelegentlich Blähungen. Das kann nicht die Ursache sein! Darmparasiten? Oder überhaupt Darmprobleme? Martin neigt zu raschem Durchlauf, seit Jahren. Rascher Durchlauf bedeutet immer: mangelhafte Verwertung der Nahrung; mangelhafte Verwertung der Nahrung könnte zu mangelhafter Versorgung der Haut führen, ganz allgemein; könnte disponiert machen für Ekzem wie für Hautjucken – ganz allgemein. Das Ganze wäre also nichts als ein Darmsanierungsproblem?)

Als Martin spätabends ankommt, sieht er erschreckend aus: Das Gesicht blass, fast grau; die Augenlider gerötet wie bei einem, der vor Schmerzen nächtelang nicht geschlafen hat. Er zeigt zuerst den rechten Arm: Vom Handgelenk bis zum Ellbogen ist die Haut mit Schwären bedeckt, dicken, dunkelroten, nässenden Krusten, durchsetzt mit eitrigen Erhebungen, die aussehen wie winzige Zinnen über einem dunkelroten Wall.

»Die Beine sehen genau so aus!«, sagt Martin, »besonders das linke. Hast du eine Ahnung, was das ist?«

Nein.

Nur mit äußerster Beherrschung gelingt es ihm, nicht zu kratzen und die Haut nicht in Fetzen vom Leib zu reißen.

5. März 1989 – Sonntag

Das Problem packe ich nicht. Ich weiß gar nicht, aus welcher Richtung ich an das Problem herandenken soll. Keine Assoziation stellt sich ein, kein Vergleich, nichts. Der Juckreiz scheint unbeschreiblich. Das Liegen auf der kranken Haut unerträglich. Die letzte Nacht eine einzige Qual.

6. März 1989 – Montag

Wieder eine entsetzliche Nacht. Was rot war, scheint noch röter, was dick war, noch dicker, noch eitriger; es scheint, als wolle das Ekzem sich weiter ausbreiten, über die Oberarme. Auch an den Oberschenkeln vereinzelte rote Pusteln. Juckreiz unverändert. Martin fährt zum Hautarzt in die Kreisstadt. Ich – mit seiner Erlaubnis – begleite ihn. Vielleicht kommt mir beim Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Arzt und Patienten die rettende Idee. Einem Arzt sagen Söhne mehr als der eigenen Mutter.

Dr.X., nachdem Martin Arme und Beine entblößt hat: »Was ist denn das?« Dr.X. geht in die Hocke, betrachtet die Haut des Patienten aus nächster Nähe, vermeidet jede Berührung.

Dr.X., sich aufrichtend: »Ich bin seit 35 Jahren Arzt, seit 30 Jahren Facharzt, aber sowas habe ich noch nicht gesehen. Was für ein Ekzem! Von welchem Erreger? Eine bakterielle Infektion ohne Zweifel, aber von welchem Erreger?«

Der Arzt begibt sich an den Schreibtisch: »Junge, was hast du denn gemacht?«

»Nichts weiter«, sagt Martin, »es begann eigentlich schon vor zwei Jahren, mit einer winzigen Stelle am linken Schienbein, die Stelle war extrem trocken und mit roten Punkten besetzt, ich vermied jede Berührung mit Wasser, ein Homöopath in der Stadt, in der ich arbeite, verordnete Stibiumsalbe, – das half eine Weile, aber plötzlich nicht mehr: Die roten Punkte erschienen auch auf dem rechten Arm, letzten Winter auch auf dem rechten Bein und vor zwei Wochen hat es auch auf dem linken Arm angefangen, trotz Stibium!« Der Juckreiz sei nicht auszuhalten gewesen, berichtet Martin weiter, er traue sich nicht mehr, sich zu waschen.

Der Arzt seufzt, stützt den Kopf in die Hände: »Ein Ekzem an den belichteten Stellen!«, sagt er.

»Wieso belichtet?«, fragt Martin, »ich trage stets lange Hosen und langärmlige Hemden.«

»Eine fotochemische Reaktion«, sagt der Hautarzt unbeirrt, »an den belichteten Stellen!« Martin verschluckt einen Einwand, zieht Hemd und Hose wieder an.

Dr.X.: »Ich vermute eine allergische Reaktion im Sinne einer Neurodermitis, aber ich sage Ihnen ehrlich, eine solche Neurodermitis habe ich noch nicht gesehen. Wir müssen probieren.«

Der Doktor verordnet ein Antibiotikum, ein Cortisonpräparat, einen Flüssigpuder und einen gerbsäurehaltigen Badezusatz.

»Feucht will feucht«, sagt Dr.X. zum Abschied. »Am besten«, sagt er zu mir gewandt, »Sie baden den ganzen Kerle.«

Der Kerle ist 28 Jahre alt – und ich soll ihn baden?

Nachdem wir die Praxis verlassen haben, macht Martin seinem Ärger Luft: Antibiotika und Cortison! Mehr fällt denen heutzutage nicht mehr ein! Vielleicht weiß ein Allgemeinarzt mehr als ein Hautarzt? Also begeben wir uns zum Allgemeinarzt.

Der Allgemeinarzt Dr.Z.: »Aha! Ein massiver Befall!« Martin: »An den Streckseiten.«

Dr.Z.: »Ja ja, an den Streckseiten der Extremitäten.«

Der Doktor schüttelt den Kopf. »Eine Neurodermitis, wie ich sie noch nie gesehen habe. In dreißig Jahren Praxis habe ich sowas noch nicht gesehn. Aber die Umwelt wird ja immer verdreckter, da wundert einen nichts mehr. Neurodermitis ist eine Allergie, aber was für eine? Ausgelöst durch was?«

»Oder ist das ein Lupus?«, fragt Martin.

»Ein Lupus?«, fragt der Arzt zurück. »Sie meinen: Hauttuberkulose? Also, das ist es mit Sicherheit nicht. Lupus sieht völlig anders aus. Nein, wir müssen den Körper umstimmen, mittels Eigenblut, dazu Procain, dazu Coffein, so wirkt es am besten. Man sieht schon nach der ersten Injektion, ob es hilft oder nicht. Wenn es hilft, machen wir jede Woche eine Injektion, drei Wochen lang, danach muss man sehen.«

Martin erregt: »Danach? Nach drei Wochen muss man weitersehen? In drei Wochen muss das weg sein!«

Der Arzt bleibt gelassen. »Junger Mann«, sagt er gütig, »rechnen Sie mit einem halben Jahr, mindestens!«

Martin bleibt hartnäckig: »In drei Wochen muss ich zurück zur Arbeit.«

Dr.Z.: »Ich sage Ihnen eins: Seien Sie froh, wenn das überhaupt wieder weggeht!«

Schweigend entblößt Martin den Arm, aus dem der Arzt Blut entnimmt, das er mit einer Substanz vermengt. Das Gemisch injiziert er in Martins Gesäßbacke. Der Arzt will etwas Trostvolles sagen: »Noch heute Abend spüren Sie eine Besserung – oder die Therapie ist falsch.«

Damit sind wir entlassen.

In hinreichender Entfernung vom Haus des Allgemeinarztes macht Martin seiner Erbitterung Luft.

»Gibt es denn nicht mehr die klassische Inspektion des Patienten durch den Arzt? Warum will denn keiner meine Zunge sehn? Oder meine Fingernägel? Meine Zunge ist zerklüftet, die Fingernägel sind brüchig, hat das vielleicht nichts zu sagen? Keiner fragt nach meiner Verdauung, nach meinen Essgewohnheiten, als sei das unwichtig. Keiner macht ein Blutbild. Vielleicht ist es völlig entgleist? Im Grunde wollen sie gar nicht wissen, was mir fehlt, sie verordnen und kassieren, der Kranke ist letzten Endes schnuppe.« Keiner fragt, was ihm fehlt! Richtig! Das ist die Frage. Was fehlt Martin zur Gesundheit: An welchem Defizit leidet er? Kommt das Defizit aus der Ernährung? Martin meidet alle Gifte. Er raucht nicht, trinkt keinen Alkohol, keinen Kaffee, isst kein Fleisch, also? Dennoch Querrisse in der Zunge und brüchige Fingernägel. Schreit das nicht vor Vitaminmangel? Vor einigen Wochen habe ich meine Notizen zum Thema Vollwerternährung gesichtet: In dem umfangreichen, vom Apotheker im Dorf seit Jahren gesammelten Material fanden sich Bemerkungen zu Vitaminmangel-Erkrankungen in Geschichte und Gegenwart. So viel wurde deutlich: Vitaminmangel führt zu Erkrankungen schwersten Grades. Dennoch werden Vitaminmangel-Krankheiten in Europa kaum mehr ernst genommen, mit der Begründung: Im satten, überernährten Europa komme Vitaminmangel nicht vor. Was für eine Logik! Wer so argumentiert, hat keine Ahnung von den Essgewohnheiten der Leute und keine Vorstellung von der schleichenden Entwertung der Nahrung durch den modenen Anbau-Unfug und schon gar keinen Schimmer vom Problem der Vitaminaufnahme im Darm. Wer, bitte, hat in Europa noch einen gesunden Darm? Wessen Darmflora ist im Lot? Martins offensichtlich nicht: Er hat Durchlauf seit Jahren.

»Gibt’s denn keinen vernünftigen Arzt in der Gegend?«, fragt Martin.

Doch, gibt es.

Dr.Y., ein junger Homöopath, der erst seit wenigen Jahren praktiziert, genießt inzwischen einen sensationellen Ruf. Es ist Mittag. Dr.Ys Sprechstunde beginnt erst wieder um fünfzehn Uhr. Martin will nichts essen. Er will nur gehen. Gehen, gehen, gehen. Nur gehen. Dem Juckreiz entgehen. Zwei Stunden lang wandern wir über die Zollernalb. Als wir um halb drei Dr.Ys Wartezimmer betreten, ist es bereits überfüllt. Die Leute sitzen zum Teil im Labor, andere im Flur, auf Notsitzen. Wir nehmen auf der Treppe Platz. Abends um sieben öffnet sich für uns die Tür zum Sprechzimmer. Der junge, ein wenig zur Korpulenz neigende Dr.Y. fragt: »Was kann ich für Sie tun?«

Martin sagt nichts, lässt einfach bloß die Jeans fallen.

»Was haben Sie denn da?«, fragt Dr.Y. und starrt mit kaum verhülltem Entsetzen auf Martins Beine. Dann deutet er auf den Schragen, auf den Martin sich legen soll. Dr.Y. untersucht das Ekzem mit der Lupe. Tief beugt sich der Arzt hinunter zu den Streckseiten der Extremitäten, betrachtet ausführlich die aufgeworfenen dunkelrotbraunen nässenden Krusten, denkt nach, lässt wieder und wieder die Augen hin und her wandern zwischen Schienbein, Knöchel und Knie. Endlich richtet Dr.Y. sich auf und sagt: »Also ehrlich, sowas hab ich noch nicht gesehn. Ich praktiziere jetzt seit fünf Jahren, aber eine solche Neurodermitis hab ich noch nicht gesehn. Kommen Sie mit Giften zusammen? Was arbeiten Sie?«

Martin berichtet, er arbeite als Dramaturg beim Theater.

»Also von daher kommt es nicht«, sagt der Arzt, »das können wir ausschließen.«

»An den Armen sieht es genau so aus«, sagt Martin.

»Das kann ich mir denken«, sagt Dr.Y. und seufzt, »was für eine Allergie!«

Ein langes Schweigen entsteht. Martin erwähnt seine Essgewohnheiten, bekennt, er habe in letzter Zeit viel süßes Zeug gegessen, Kuchen, Schokolade, süße Stückchen, habe auch öfter Kakao getrunken.

»Aha. Sonstige Genussgifte?«

»Keine«, sagt Martin, »ich rauche nicht, trinke weder Kaffee noch Alkohol und esse kein Fleisch.«

»Aha.«

»Aber ich esse häufig mein Lieblingsdessert: Tiramisu.«

»Aha.« (Aha! Aha! Aha! Martin ist überzuckert! Er ist kohlenhydratübersättigt! Er ist ein Pudding-Vegetarier – ohne Mineralien, ohne Ballaststoffe, ohne Vitamine! Aber gerade Kohlenhydrate brauchen zu ihrer Verstoffwechselung Vitamine, wo kriegt man die her bei Tiramisu, Kuchen, Kakao? Tiramisu enthält außerdem rohes Eiweiß! Und rohes Eiweiß zerstört die B-Vitamine, der Stoff heißt Avidin, so stand es im Vollwert-Material des Apothekers). Als errate Martin meine Gedanken, sagt er: »Vielleicht ist das ein Ernährungsproblem? Ein Vitaminproblem?«

Dr.Y. beachtet die Frage nicht. Er macht sich Notizen. Denkt nach. Holt aus einem Kästchen kleinkariertes Papier, trägt Kreuzchen ein, vergleicht das Kreuzchenmuster mit einem anderen Kreuzchenmuster.

Dr.Y. belehrend: »Neurodermitis ist kein Vitaminproblem. Schlafen Sie schlecht?«

»Unterschiedlich, nicht ausgesprochen schlecht, aber auch nicht gut«, sagt Martin.

Dr.Y.: »Kommen Sie morgens gut aus dem Bett?«

»Nein, ich bleibe lieber liegen.«

»Müssen Sie nicht schnell raus wegen Stuhlgangs?«

»Nein.« (Aber ja! Martin hat seit Jahren Durchlauf, das sagt er nicht, – ich natürlich auch nicht, ich darf meinen Sohn nicht korrigieren, das haben Söhne nicht gern.)

Statt den Durchlauf zu erwähnen, sagt Martin: »Am ersten April muss das weg sein.«

Der Doktor schweigt. Holt neue Blätter mit neuen Kreuzchenformationen, vergleicht wieder.

»Gibt es in der Familie Diabetes?«

»Nicht dass ich wüsste.«

In diesem Augenblick leuchtet ein Wort in meinem Innern auf wie ein Signal in dunkler Nacht, wie ein Wegzeiger nach langer Fahrt: PELLAGRA! Die gefürchtete Pellagra! Die schreckliche Pellagra! Die angeblich in den »maisverzehrenden Ländern« wohlbekannte Pellagra! So steht es in meinen Notizen zur Vollwerternährung. Nach den Beschreibungen dort muss das rätselhafte Ekzem Pellagra sein, denn zum Erscheinungsbild von Pellagra gehört all das, worunter Martin leidet: Der irrsinnige Juckreiz, die roten nässenden Schwären auf Armen und Beinen, die übergreifen wollen auf die Oberlider, Martins Übellaunigkeit, Martins große Müdigkeit.

Als ich mich im Januar mit dem Thema Vollwerternährung beschäftigte, fiel mir auf, dass in den Unterlagen, die mein Apotheker mir zusammengestellt hatte, sich viele Aufsätze fanden, die sich mit Vitaminversorgung und Vitaminmangelkrankheiten beschäftigten, so als gebe es mitten im wohlgenährten Europa Vitaminmangel, eine zunächst wenig einleuchtende Annahme. Doch die Lektüre zeigte schnell, dass die Gelegenheiten hierzulande, in einen Vitaminmangelzustand zu geraten, viel zahlreicher sind als für gewöhnlich angenommen.

Die Untersuchungen legten dar, dass Vitaminmangel nicht nur durch falsche Ernährung entsteht, sondern auch und vor allem durch die Zerstörung der Darmflora mittels Medikamenten – z.B. durch Antibiotika, durch die biochemischen Reaktionen von Antivitaminen oder Vitamin-Antagonisten – z.B. Sulfonamide, durch tumorhemmende Mittel, genannt Zytostatika, durch Saponine oder Sapotoxine, also giftige seifenartige Pflanzenstoffe wie zum Beispiel in Hustenmitteln oder in Lakritz, durch Alkohol und eben auch durch Mais, weil Mais erstens keine B-Vitamine enthält und zweitens die Aufnahme (Resorption) der B-Vitamine im Darm blockiert, und genau das führt zu Pellagra. Die Krankheit Pellagra manifestiert sich zweifach: auf der Haut und an den Nerven.

Auf der Haut entstehen dunkelrotbraune Geschwüre, die nässen, schuppen, verkrusten und maßlos jucken. Sie entwickeln sich mit Vorliebe auf den Gliedmaßen, können aber auch Kopf und Rumpf befallen, Gesicht und Hals, und zwar bei Kind und Greis, Mann und Frau. Kein Alter und kein Geschlecht bleibt davon verschont, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, – wichtigste Voraussetzung ist der eklatante Mangel an B-Vitaminen, insbesondere an denen der B2-Gruppe. Zur B2-Gruppe zählen: B2, im engeren Sinn gleich Riboflavin, sowie Niacin, Pantothensäure, Biotin und Folsäure.

Diese Gruppe von Vitaminen ist, so hieß die Begründung, verantwortlich für den Zustand der Oberhaut und der Nerven, für beide zugleich! Weil beide ursprünglich aus demselben Keimblatt entstammen. Fehlen die Vitamine der B2-Gruppe, so entstehen die dunkelrotbraunen Ekzeme mit ihrem verrückten Juckreiz oder/und Zungenbrennen, Mundfäule, Hautrisse, eine extrem dünne Haut und dazu die Nervensymptome: ständiges Müdesein, ständiges Überreiztsein, schlechter Schlaf, Gedächtnisschwäche oder auch völlige Verblödung. Die Ursache von alldem liegt im Darm, liegt in der mangelhaften Resorption der B-Vitamine, weshalb ja auch Verdauungsanomalien zu den typischen Begleiterscheinungen von Pellagra gehören, zumeist chronischer Durchfall, dünner Stuhl, – an welchem Martin seit Jahren leidet.

Gesetzt: Neurodermitis ist identisch mit Pellagra, dann muss sie zu kurieren sein mit einer simplen Doppelstrategie: Den Darm sanieren und die B-Vitamine zuführen, höchst simpel! Der Doktor denkt nach und mir schießen diese Gedanken mit rasender Eile durch den Kopf, und als der Doktor wieder zu sprechen anfängt, steht mein Entschluss schon fest.

Dr.Y.: »Also, genau weiß ich es nicht. Neurodermitis ist eine Allergie, aber keiner weiß, woher sie kommt, ich habe mit dieser Krankheit noch wenig Erfahrung, so oft kommt sie zum Glück nicht vor.« (Und ich denke: Bei Martin trifft dank seiner blöden Ernährung eine mangelhafte Vitaminzufuhr auf eine mangelhafte Vitaminresorption, denn wie kann die Resorption gut sein bei gestörter Darmflora, Stichwort: Durchlauf! Und wie kann die Darmflora gesund bleiben bei ungesunder Ernährung, Stichwort: süßes Zeug. Kranke Ernährung, kranker Darm. Kranker Darm, kranker Mensch. Kuchen, Kakao, Tiramisu – lauter vitaminfressende Nahrungsmittel, die eine erhöhte Vitaminzufuhr verlangen. Was muss also geschehen, wenn eine verminderte Zufuhr auf eine mangelhafte Resorption trifft – bei erhöhtem Bedarf? Bei Martin wird der Vitaminmangel geradezu potenziert!)

Dr.Y.: »Wenn ich alles vergleiche, komme ich auf Schwefel. Ich verordne Schwefel immer als Hochpotenz, in Kügelchen.«

Dr.Y. verordnet Sulfur Globuli LM VI. (Natürlich kann man auch auf Sulfur kommen, denn Sulfur ist ein Stoffwechselmittel mit breitem Anwendungsgebiet: Heftiges Verlangen nach Süßem und stagnierende Körpersäfte deuten auf Sulfur, auch grauer Teint und unangenehmer Körpergeruch, vor allem bei gleichzeitiger Abneigung gegen kaltes Wasser, was bei Martin alles zutrifft. Aber der Homöopath könnte auch an Phosphor denken, denn Martins Nervenschwäche, sein erschöpfter Zustand, seine Leber- und Gallenprobleme deuten auf Phosphor nicht minder als seine weiß belegte Zunge. Aber auch Lycopodium käme infrage, darauf deuten Martins Missmut, seine Hypochondrie, seine Blähungen …).

Aber Dr.Y. sagt: »Sulfur.« Und setzt hinzu: »Eines kann ich Ihnen garantieren: Bis zum ersten April ist das nicht weg.«

Martin fassungslos: »Nicht?«

Dr.Y.: »Nein. Nehmen Sie die Sulfurkügelchen abends vor dem Essen – und nehmen Sie sie vorsichtig.«

»Vorsichtig?«, fragt Martin, »was heißt das?«

Ohne Martins Frage zu beachten, sagt Dr.Y.: »Lassen Sie sich wieder sehen, wenn es gar nichts wird.«

So sind wir entlassen. Auf dem Heimweg faucht Martin: »Sulfurkügelchen! Vorsichtig! Aber für meine Ernährungslage hat er sich nur am Rande interessiert, auf das Vitaminproblem ging er nicht ein, meine Zunge wollte er nicht sehen, so wenig wie meine Fingernägel.«

»Deine knallroten Lippen hat er nicht bemerkt«, ergänze ich, »und nicht die eingerissenen Mundwinkel und nicht den Mundgeruch.« Das mit dem Mundgeruch hätte ich nicht sagen sollen. Martin verliert die Beherrschung. »Und jetzt?«, schreit er, »was jetzt? Du glaubst doch auch nicht, dass die Schwefelkügelchen helfen, oder?«

Nein, glaube ich nicht.

»Hast du vielleicht eine bessere Idee?«

»Ja, hab ich. Und am ersten April bist du geheilt.« (Das war tollkühn, aber wenn meine Analyse stimmte, musste es klappen.)

»Ach ja«, höhnt Martin, »und du kriegst den Nobelpreis für Medizin!«

Er war erbittert und voller Zweifel, er wusste nichts von meinen Überlegungen – und wollte auch nichts davon hören. »Lass mich in Ruhe!«, schrie er. Dann, nach einer Pause: »Vielleicht bringt die Eigenblutinjektion doch eine Besserung. Heute Abend wissen wir mehr«, setzte er versöhnlicher hinzu.

Ich war sicher, die Eigenblutinjektion konnte keine Besserung bringen, denn hier handelte es sich nicht um eine »allgemeine Umstimmung«, sondern um die Wiederherstellung einer bis in die Tiefe zerstörten Hautstruktur – und um die Wiederherstellung einer darniederliegenden Darmflora.

Tatsächlich erwies sich die Umstimmungstherapie als Schuss ins Ofenrohr. Gegen Abend verschlimmerte sich das Ekzem auffallend, die geschwürigen Stellen vergrößerten sich, immer mehr rote Pusteln tauchten auf. »Und der Juckreiz«, sagte Martin, »ist überhaupt nicht mehr zu beschreiben.« Dennoch klammerte er sich an eine vage Hoffnung. »Vielleicht«, sagte er, »ist das die klassische Erstverschlimmerung – und danach wird alles besser.« »Aber der Arzt«, gab ich zu bedenken, »hat gesagt, es müsse bereits heute Abend besser werden und nicht erst-verschlimmert.«

»Dein Widerspruchsgeist«, sagte Martin wütend, »hat etwas Destruktives.« Er schwieg verbissen. Dann griff er nach den Schwefelkügelchen. »Jetzt bleiben mir nur noch diese«, sagte er und nahm fünf Kügelchen, wie verlangt, vor dem Essen, eins nach dem andern, langsam, vorsichtig, wie verlangt.

7. März 1989 – Dienstag

Effekt der Sulfurkügelchen gleich null. Aber Martin fände es dem Arzt gegenüber unfair, den Versuch jetzt schon abzubrechen. Er will noch einen Tag zugeben, was bedeutet: noch eine Sulfurkügelchen-Nacht. In meinen Augen pure Zeitverschwendung. Und eine Verschwendung seiner Seelenkräfte, mit deren Hilfe es ihm immer noch zu gelingen scheint, dem Juckreiz zu widerstehen und – kaum zu kratzen.

8. März 1989 – Mittwoch

Beginn der Therapie!

Martin entnervt. Ekzem und Juckreiz unverändert. Martin will meine Analyse nicht hören, stellt alles, was ich sage, heftig infrage. Im Grunde will er aus der Haut fahren. »Pellagra!«, sagt er höhnisch, »Pellagra! Sonst noch was?«

Erst Stunden nach dem Frühstück ist er bereit, rein hypothetisch und nur vorläufig, mit allem inneren Vorbehalt, wie er betont, meinen Therapievorschlag anzuhören, zumal er findet, seine Arme und Beine seien inzwischen nicht mehr nur rot, krustig, nässend, eitrig und juckend, sondern auch geschwollen. Die roten Pusteln haben übergegriffen auf die Oberarme und das Gesicht. Er ist bereit, – mit allem inneren Vorbehalt, rein hypothetisch, – ein Vitamin-B-Komplex-Präparat einzunehmen. Meine These – Neurodermitis ist nichts als Pellagra, und diese ist nichts als die extreme Erscheinung eines Vitamin-Defizits der B-Gruppe – kontert er sofort: »Warum nicht die Erscheinung eines extremen Vitaminmangels oder die extreme Erscheinung eines extremen Vitaminmangels? Wenn schon«, sagt er, und hält mir ein Lexikon unter die Nase, »dann ist Pellagra die Folge eines Defizits an Vitamin B2 und an Niacin. So steht es hier.«

Ja, so steht es im Lexikon. In den Büchern steht: B2-GRUPPE – einschließlich Niacin. Aber egal: Mein medizinischer Instinkt sagt mir, dass hier mehr im Spiel ist als nur zwei Vitamine, zumal alle untereinander in Verbindung stehen, miteinander kooperieren, B-Vitamine sind interdependent. Und außerdem – und das ist für Martin das einleuchtendste Argument: Warum sollen denn bei seinen törichten Ernährungsgewohnheiten ausgerechnet nur diese beiden Vitamine fehlen aus der B-Gruppe? Hat er vielleicht ausreichend B1 zugeführt? Aß er täglich Bierhefe? Oder Bäckerhefe? Oder Weizenkörner? Oder Nüsse? Eigelb? Kartoffeln? Bohnen, Erbsen, Linsen? Oder gar Schweinefleisch? Denn wahrhaftig: Schweinefleisch enthält Vitamin B1. Martins Hauptnahrung der letzten Jahre (!) bestand aus Weißmehlzeug und Zucker. Fazit: neben B1 und B2 und Niacin fehlen ihm mit Sicherheit auch die anderen B-Vitamine, einschließlich Folsäure. Und nicht erst seit letzten Winter, sondern die ganzen drei Jahre, die er beim Theater arbeitet. Denn seit dieser Zeit ernährt er sich nach zwei Grundsätzen: Die Nahrungsbeschaffung muss erstens schnell und bequem sein (also Fertigprodukte) und sie muss zweitens schmecken (also süß sein). Im Grunde genommen, sagt Martin, habe er sich so auch schon während seiner Studentenzeit ernährt, also bereits fünf Jahre vor der Theaterarbeit, macht zusammen acht Jahre Fehlernährung. Und da soll die Hautstruktur nicht bis in die Tiefe zerstört sein? Soll nicht wehrlos sein gegen beliebige Erreger?

Es ist geradezu verwunderlich, dass die Krankheit nicht schon früher ausbrach. Aber der menschliche Körper ist ein wahrer Kompensationskünstler. Die Natur ist erfinderisch und gütig. Geradezu verzweifelt versucht sie, Gesundheit und Leben zu erhalten. Also wird die Natur bereitwillig mitspielen, wenn der törichte Mensch Martin endlich anfängt, der Natur zu geben, was ihr zukommt: natürliche Ernährung.

Der törichte Mensch Martin ist halb und halb überzeugt, dass es nicht gänzlich falsch sein kann, wenn wir seinem Körper die ganze Palette der B-Vitamine zuführen.

Etwa um halb elf Uhr vormittags schluckt er die beiden Tabletten (Vitamin-B-Komplex und Folsäure) zusammen mit zwei Kaffeelöffeln Joghurt, mehr ist ihm nicht abzunötigen. Er sträubt sich gegen Joghurt, weil er die Begründung nicht einsieht: gerade Joghurt saniere die Darmflora. »Wieso?«, fragt er misslaunig, »was hat Joghurt mit meinem Darm zu tun?« Ich versuche, mein heftiges Temperament zu zügeln und erwähne mit sanfter Stimme die Milchsäurebakterien, welche rechtens den Dünndarm besiedeln.

»Komm mir nicht mit den Mystifikationen von rechts- und linksdrehender Milchsäure«, braust er auf. Der Juckreiz muss unbeschreiblich sein. »Ja, es ist«, sagt Martin, »als fahre dauernd einer mit dem heißen Bügeleisen über die Haut.«

»In vier Stunden«, behaupte ich, »spürst du eine Besserung, wenn meine Vitaminthese stimmt.«

»Wenn!«, sagt Martin und geht nervös durch die Zimmer. Wieder will er nur gehen, gehen, gehen, dem Schmerz entgehen. Mittagessen lehnt er ab.

Gegen zwei Uhr mittags, drei Stunden und eine halbe nach der ersten Vitamineinnahme, stellt er sich nachdenklich vor mich hin und sagt: »Komisch, ich habe den Eindruck, der Juckreiz lässt nach. Vielleicht irre ich mich, es ist schwer zu sagen, aber er scheint schwächer.«