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Wenn sich dein Leben von Grund auf ändert – wagst du den Sprung ins Ungewisse? Die Möbeldesignerin Jessica steht mit beiden Beinen fest im Leben, doch mit dem Konkurs des Familienunternehmens ändert sich das schlagartig. Unfreiwillig wird sie nach New York City versetzt und ist das erste Mal für längere Zeit von ihrer Zwillingsschwester getrennt. Der exzentrische Jaxon ist es gewohnt, seine Kreativität allein auszuleben. Dementsprechend genervt reagiert er, als ihn sein Bruder darum bittet, die neue Kollegin Jessica einzuarbeiten. Sein üblicher Tagesablauf scheint in Gefahr und eine plappernde Frau in seinem privaten Atelier passt ihm ganz und gar nicht. Zuerst sieht es aus, als hätten Jessica und Jaxon keine weiteren Gemeinsamkeiten als den gleichen Nachnamen, aber im Laufe der Zeit ändert sich die Atmosphäre zwischen ihnen von eiskalt in heiß und knisternd. Gerade als die beiden sich näherkommen, wirbelt ein Unfall alles durcheinander. Plötzlich scheint Jaxon nicht mehr der zu sein, für den Jess ihn gehalten hat … Ein neuer Job, prickelnde Anziehungskraft und zwei Menschen, die ihr Glück nicht suchen, aber doch im weihnachtlichen New York finden. Der berührender Roman von Tanja Neise – voller Gefühl und Hoffnung! Der erste Band der romantischen Never-Stop-Loving-Reihe über die Zwillingsschwestern Jessica und Jenifer.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
NEVER STOP
LOVING
YOU
* * *
VON
TANJA NEISE
1. Auflage 2021
Copyright © 2021 Tanja Neise
Eine Kopie oder anderweitige Verwendung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.
Neise, Johannesstr. 30, 14624 Dallgow
Umschlaggestaltung durch Die Bücherfee
Lektorat: Die Bücherfee - Cover und Lektoratsservice
Korrektorat: Das kleine Korrektorat - Ruth Pöß
Über das Buch
Prolog
1. Jessica
2. Jaxon
3. Jessica
4. Jaxon
5. Jessica
6. Jaxon
7. Jessica
8. Jaxon
9. Jessica
10. Jaxon
11. Jessica
12. Jaxon
13. Jessica
14. Jaxon
15. Jessica
16. Jaxon
17. Jessica
18. Jaxon
19. Jessica
20. Jaxon
21. Jessica
22. Jaxon
23. Jessica
24. Jaxon
25. Jessica
26. Jaxon
27. Jessica
28. Jaxon
29. Jessica
Epilog
Kontakt
Danksagung
Bücher von Tanja Neise
Bücher von Emma Bishop:
Wenn sich dein Leben von Grund auf ändert – wagst du den Sprung ins Ungewisse?
Die Möbeldesignerin Jessica steht mit beiden Beinen fest im Leben, doch mit dem Konkurs des Familienunternehmens ändert sich das schlagartig. Unfreiwillig wird sie nach New York City versetzt und ist das erste Mal für längere Zeit von ihrer Zwillingsschwester getrennt.
Der exzentrische Jaxon ist es gewohnt, seine Kreativität allein auszuleben. Dementsprechend genervt reagiert er, als ihn sein Bruder darum bittet, eine neue Kollegin einzuarbeiten. Sein üblicher Tagesablauf scheint in Gefahr und eine plappernde Frau in seinem privaten Atelier passt ihm ganz und gar nicht.
Zuerst sieht es aus, als hätten Jessica und Jaxon keine weiteren Gemeinsamkeiten als den gleichen Nachnamen, aber im Laufe der Zeit ändert sich die Atmosphäre zwischen ihnen von eiskalt in heiß und knisternd.
Gerade als die beiden sich näherkommen, wirbelt ein Unfall alles durcheinander. Plötzlich scheint Jaxon nicht mehr der zu sein, für den Jess ihn gehalten hat …
Ein neuer Job, prickelnde Anziehungskraft und zwei Menschen, die ihr Glück nicht suchen, aber doch im weihnachtlichen New York finden.
Der neue Roman von Tanja Neise – voller Gefühl und Hoffnung!
JESSICA
Den ganzen Abend über habe ich ein ungutes Gefühl. Irgendetwas liegt in der Luft und lässt meine Nerven vibrieren. Immer wieder sehe ich zu meinem Vater, der trotz seiner zweiundsechzig Jahre einen sportlichen Eindruck vermittelt. Seine stechend blauen Augen wirken zu jeder Zeit klar, nur die Lesebrille, die er ab und zu benutzt und seine dunkelbraunen Haare mit den grauen Schläfen verraten sein wahres Alter.
Heute steckt sein schlanker Körper wie so häufig in einem Designeranzug und er demonstriert mit seiner Präsenz, dass er alles im Griff hat. Trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Obwohl es ein Außenstehender vermutlich nicht bemerken würde, sehe ich ganz deutlich, dass seine Schultern nicht so straff sind wie sonst.
Seit Stunden rutscht er immer wieder auf seinem Stuhl herum. Eindeutig ein Zeichen dafür, dass er etwas verbirgt. Etwas, das ihm verdammt unangenehm sein muss. Aus zusammengekniffenen Augen beobachte ich ihn weiterhin und überlege, was ihn so sehr beschäftigt, dass er dermaßen die Fassung verliert, die ihm sonst so wichtig ist.
Meine eineiige Zwillingsschwester Jenifer, die neben mir sitzt, beugt sich zu mir und raunt mir ins Ohr: »Jess?«
Ich wende mich dem Menschen zu, der mir im Leben am allernächsten steht. Jenifer ist nicht nur mein Ebenbild, sondern auch meine beste Freundin. Seelenverwandte sagt man zu solch innigen Beziehungen und genau das sind wir. Das waren wir schon immer.
»Ja?«, frage ich sie lächelnd. Ihre dunklen Naturlocken hat sie vermutlich wieder einmal stundenlang mit einem Glätteisen behandelt, aber die Feuchtigkeit in der Luft hat ihr Unterfangen torpediert, sodass sie mittlerweile die gleiche Frisur hat wie ich. Doch als ich mir ihr Gesicht genauer ansehe, mache ich mir auch ein wenig Sorgen. Jen sieht müde aus. Kein Wunder! Sie hat sich um die gesamte Feier gekümmert, alles vorbereitet und zum Teil selbst gebacken. Vom Kochen konnte ich sie abhalten und von einem Cateringunternehmen überzeugen. Nicht, dass sie das nicht hätte gut alleine hinbekommen können. Das Gegenteil ist der Fall. Aber sie arbeitet jeden Tag so hart in der Firma und sie setzt sich selbst bei allem immer so sehr unter Druck, da wollte ich nicht, dass durch unsere Geburtstagsfeier eine solche Aufgabe auf ihren schmalen Schultern lastet.
»Ich bin froh, dass du rechtzeitig zurückgekommen bist. Du hast mir noch gar nichts von der Messe in Deutschland erzählt.«
Da ich erst vorhin angekommen bin, haben wir keine Zeit gehabt, miteinander zu sprechen, weil fast zeitgleich die Gäste eingetroffen sind. »Die Messe war rappelvoll und ich konnte mir jede Menge frische Ideen dort holen. Du hättest die neuen Designs, die gerade der letzte Schrei auf dem Möbelmarkt sind, sehen sollen. Ich bin total begeistert.«
»Nur leider wirst du Dad auch jetzt nicht davon überzeugen können, mutiger zu werden, was die Innovationen in der Firma angeht«, gibt Jenifer zu bedenken.
»Da wirst du wohl recht behalten. Und ich konnte dir nicht helfen, wegen der blöden Verspätung und des Staus. Sämtliche Vorbereitungen sind mal wieder an dir hängen geblieben.«
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Alles gut. Ich mach das doch gern. Ich weiß ja, dass dir nicht so viel daran liegt, unseren achtundzwanzigsten Geburtstag mit der Familie zu feiern.«
»Na ja, ist schon immer stressig. Aber du hast es wie jedes Mal großartig hinbekommen. Alle bis auf Onkel Drake sind total zufrieden nach Hause gegangen. Wenn ich dich nicht hätte, würde ich wahrscheinlich nie diesen einen besonderen Tag im Jahr feiern.« Lächelnd sehe ich Jen an und unisono sprechen wir die nächsten Sätze aus: »Wozu auch? Weil wir älter werden? Nein, das ist bestimmt kein Grund für eine Party.«
Kichernd nehmen wir uns in den Arm. Es ist so schön, Jenifer nach dieser Woche in Deutschland wieder an meiner Seite zu haben.
Als sie sich von mir löst, fragt sie: »War es schlimm?«
»Nein, ich habe auch kein Problem mit dem Älterwerden, aber ich finde solche Feiern nervig. Du weißt, dass ich mich viel lieber mit wenigen Leuten zusammensetze. Das kann ich dann auch dementsprechend genießen und Partys sind eben einfach nicht meins.« Eigentlich muss ich ihr das nicht erklären, sie kennt mich so gut wie kein anderer Mensch. Doch ich will ihr nicht den Abend verderben und undankbar erscheinen, schließlich hat sie die ganze Arbeit gehabt.
Jen sieht mich mit müden Augen an und nickt in Richtung der beiden Herren. »Kannst du mir helfen? Onkel Drake findet mal wieder kein Ende.« Mit dem Kinn deutet sie auf den älteren Bruder unseres Vaters. Er sitzt neben Dad und redet unaufhörlich auf ihn ein, lacht und trinkt mittlerweile den fünften doppelten Whiskey.
Auch Dad wirkt genau wie Jen müde, doch aus Erfahrung weiß ich, dass er selbst nie ein Machtwort sprechen kann. Im Geschäftsleben ist er nicht gerade der harte Brocken, der er sein müsste, um ein Familienunternehmen zu leiten, was ein ewiges Streitthema zwischen uns ist.
Onkel Drake ist unser letzter Gast, alle anderen sind bereits gegangen, sogar seine dreißigjährige Ehefrau. Er ist ein fast siebzigjähriger Mann, aber er kann einfach nicht die Finger von jüngeren Frauen lassen. Tamara hat ihn vor einem Jahr geheiratet, doch ich kann diese Schlange nicht ausstehen. Meiner Meinung nach ist sie eine Goldgräberin, die nur hinter ihm her ist, weil sie weiß, dass Onkel Drake ein lukratives Rechtsanwaltsbüro leitet.
Ich muss zugeben, dass ich nach fünf Stunden Familienfeier mittlerweile auch auf dem Zahnfleisch gehe und mich einem Ende entgegen sehne. Jenifer gähnt hinter vorgehaltener Hand. Morgen früh müssen sie, Dad und ich wieder in der Firma sein, also wäre es besser, wenn wir Onkel Drake langsam nach Hause schicken.
»Na klar«, antworte ich deshalb sofort und streichle ihr liebevoll über den Unterarm, ehe ich aufstehe und zu den beiden Männern gehe. Ich lege jedem von ihnen eine Hand auf die Schulter und fordere so ihre Aufmerksamkeit.
»Hey, kleine Butterblume.« Dad sieht mich an und lächelt, aber das Lächeln erreicht seine Augen nicht. Es geht ihm nicht gut. Bereits in den letzten Wochen habe ich bemerkt, dass ihn etwas sehr bedrücken muss. Doch egal wie oft ich ihn darauf angesprochen habe, er hat es immer mit Müdigkeit abgetan. Nur die Frage, ob er krank sei, hat er vehement verneint und gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll.
»Hey, weltbester Dad«, antworte ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Dann wende ich mich seinem Bruder zu. »Onkel Drake, Jenifer und ich werden langsam müde und wir müssen morgen wieder früh in die Firma, genau wie Dad.«
Er lacht herzlich und laut. In den letzten Jahren hat er an Bauchumfang zugelegt und seine Haarpracht hat im Gegenzug abgenommen. Doch er ist seit jeher ein Mensch, der vor Charme nur so sprüht. »Jessica, ich liebe deine Direktheit!«
»Na ja, ich habe versucht, es in einem Blumenstrauß zu verstecken.« Ich mache ein gespielt reumütiges Gesicht.
»Was dir nicht sonderlich gut gelungen ist. Zumindest kann ich euch beide so auseinanderhalten. Jen, die Stille. Jess, die Direkte.« Ächzend erhebt er sich. Er ist ein Mann, der einiges an Whiskeys verträgt, aber man merkt ihm an, dass er langsam alt wird und er körperlich immer mehr abbaut – und auch, dass fünf doppelte Gläser seines Lieblingsgetränks mittlerweile zu viel sind.
Zerknirscht schaue ich ihn an. »Entschuldige bitte, Onkelchen.«
»Papperlapapp! Du hast ja recht. Da habe ich eine so schöne Frau zu Hause und rede hier stundenlang mit meinem Bruder, anstatt Tamara zu beglücken.« Zwinkernd sieht er zu mir.
»Du hast zu viel getrunken, um noch irgendjemanden zu beglücken, Drake!«, brummt mein Vater und ich drehe mich schnell von den beiden weg.
Wenn ich eins nicht brauche, dann ein Bild, das mir Onkel Drake und Tamara zeigt, wie sie … nein, das mag ich mir wirklich nicht vorstellen. Rasch greife ich mir ein paar leere Gläser und trage sie in die Küche, um sie gleich in den Geschirrspüler zu stellen. Der weitläufige Raum ist das Herz unseres Hauses. Hier haben meine Schwester und ich früher die Hausaufgaben gemacht und hier sitzen wir auch jetzt noch oft bis spätabends und trinken zusammen Tee.
»Irgendwas ist mit Dad! Er ist heute noch ernster drauf als die letzten Wochen«, zischt Jen mir ins Ohr, als sie ebenfalls mit ein paar Gläsern in der Hand neben mir zum Stehen kommt.
»Du hast es also auch gemerkt?«, hake ich nach, während ich das Geschirr in die Maschine stelle.
»Es ist ja nicht so, dass man das übersehen kann. Beinah kommt es mir so vor, als würde er ein Schild über seinem Kopf herum schwenken.« Mit erhobenen Augenbrauen sieht sie mich an und setzt noch einen nach: »In leuchtender und blinkender Schrift!«
»Dann sollten wir ihn endlich zur Rede stellen, sobald Onkel Drake gegangen ist.« Mit verschränkten Armen lehne ich mich an den Küchentresen. »Vermutlich frisst er wieder etwas in sich hinein und will nicht mit uns darüber reden, um uns nicht zu belasten. Aber ich finde, heute ist er wirklich dermaßen merkwürdig drauf, dass ich es nicht länger aushalte.«
Jenifer nickt. »Ich vermute, es hat etwas mit der Firma zu tun. In der letzten Woche, als du auf der Messe warst, hat sich die Stimmung dort total verändert. Dads Sekretärin Dotty sieht mir nicht einmal mehr in die Augen. Da ist irgendwas im Busch.«
Innerhalb von Sekunden schnellt mein Puls empor und ich schließe kurz die Augen, weil es genau das ist, was ich auch vermutet habe. Seit Jahren geht es unserem Familienunternehmen, das es bereits seit 1783 gibt, immer schlechter. Ich versuche schon seit Langem, meinen Vater davon zu überzeugen, neue und modernere Möbel herzustellen und zu verkaufen. Doch er hat sich ständig dagegen gestellt, egal wie gut meine Argumente waren. Ich hoffe nicht, dass es das ist, was ich befürchte.
Gerade als ich Jenifer antworten will, poltert es an der Küchentür und Onkel Drake kommt herein, um sich von uns zu verabschieden. »Schlaft gut, ihr beiden Hübschen.« Lächelnd nimmt er jede von uns noch einmal in den Arm. Dann sehe ich, dass seine Augen ganz wässrig sind. »Ich kann es kaum fassen, dass ihr zwei schon achtundzwanzig seid. Die Zeit vergeht viel zu schnell!«
»Da hast du leider recht, Drake«, bestätigt mein Vater und lässt den Kopf hängen, eine Geste, die auch völlig untypisch für ihn ist.
Oh ja, Mister Walsh, heute wirst du uns Antworten auf all unsere Fragen geben und dein merkwürdiges Verhalten erklären. Eine Familie ist schließlich nicht nur in guten Zeiten füreinander da, sondern auch in schwierigen. Kurz denke ich an unsere Mom, die ihn vermutlich längst zur Rede gestellt hätte. Ich vermisse sie so schrecklich, dass es mir jedes Mal schwer ums Herz wird, wenn ich mich an sie erinnere. Ihr Tod liegt zwar schon viele Jahre zurück, aber gerade hier in der Küche habe ich immer das Gefühl, als wäre sie noch bei uns.
Um mich von meinen sentimentalen Gedanken loszureißen, schüttle ich den Kopf und konzentriere mich auf den Teil meiner Familie, der noch hier ist. Gemeinsam begleiten Dad, Jen und ich Onkel Drake zur Haustür und winken ihm zu, als er mit dem Taxi wegfährt. Doch dann werfen Jenifer und ich uns einen vielsagenden Blick zu, ehe wir uns beide bei Dad unterhaken und ihn zurück in die Küche führen. Dort setzen wir uns an den Küchentisch und sehen ihn ernst an. In seinen Augen erkenne ich, dass er resigniert und bereit ist, auf unsere Fragen zu antworten.
Wie immer ergreife ich das Wort für meine Schwester und mich. Sie ist die Zurückhaltendere von uns beiden. So war sie schon in der Kindheit, während ich seit jeher das Reden für uns übernommen habe – so auch heute Abend. »Dad?«
Er sieht mich an, als hätte ich ihn bei etwas ertappt. Mutlos sacken seine Schultern herab. Gerührt von dieser Geste frage ich mich unwillkürlich, wie schlimm das ist, was er uns zu erzählen hat und was ihn so offensichtlich bedrückt. Doch egal, was es ist, heute wird er mit der Wahrheit herausrücken müssen.
»Was ist los? Was ist es, das dich so belastet?«, stelle ich die entscheidende Frage.
Ein trauriges Lächeln legt sich auf seine Lippen. »Ist es so offenkundig?«
Das Grinsen kann ich mir nicht verkneifen, ehe ich ihm antworte: »Sagen wir es mal so: Jen redet davon, dass du seit Tagen mit einer Leuchtreklametafel über deinem Kopf durch die Firma läufst«, kläre ich ihn schmunzelnd auf. »Und ich habe dich doch auch schon öfter gefragt, was dich bedrückt.«
»Es ist schlimm«, stößt er gequält hervor und fährt sich über das Gesicht. Noch nie wirkte er so alt wie heute. »Ich habe alles versucht.« Unruhig rutscht er auf dem Küchenstuhl herum und atmet tief ein, ehe er nicht nur seine Welt, sondern auch die von mir und meiner Zwillingsschwester zum Einsturz bringt. »Wir sind pleite.«
Aufgewühlt presse ich Jenifer an mich und will sie gar nicht loslassen. Noch nie waren wir länger als ein paar Tage voneinander getrennt und jetzt soll ich auf unbestimmte Zeit nach New York ziehen und niemand weiß für wie lange. »Pass schön auf dich und Dad auf«, flüstere ich ihr ins Ohr, sodass nur sie mich versteht.
Als ich den Kopf hebe und meiner Schwester ins Gesicht sehe, erkenne ich die bereits vergossenen Tränen, die sich in ihren Wimpern verfangen haben. Mein Herz zieht sich zusammen. Zwillinge verbindet ein enges Band, so ist es auch bei uns. So manches Mal habe ich überlegt, ob diese Verbindung bei Jen und mir noch stärker ist als üblicherweise.
Wie soll ich die folgende Zeit nur ohne sie – meine beste Freundin – überstehen? Ohne meine Familie?
Neben mir steht Dad und auch Onkel Drake hat es sich nicht nehmen lassen, mich am Flughafen zu verabschieden. In ihren Augen schimmern ebenfalls Tränen, was bei Onkel Drake viel zu bedeuten hat. In meinem Hals bildet sich deshalb ein gigantischer Kloß.
Heute ist der große Tag. Ich werde nach New York fliegen und dort einen neuen Job antreten. Na ja, so ganz neu ist er nicht. Unser jahrelanger Konkurrent auf dem amerikanischen Markt hat Dads Firma aufgekauft. Das ging alles so schnell, dass ich immer noch nicht wirklich realisiert habe, dass die Familienfirma in einem mächtigen Konzern aufgegangen ist. Während Dad sich nun zur Ruhe setzt und Jenifer weiter an der Fertigung der weltweit bekannten Sekretäre arbeitet, werde ich mir in New York den nötigen Feinschliff verpassen lassen und ein wenig mehr über modernes Design lernen. Wenn alles gut geht, kann ich in ein paar Monaten zurück nach England. Wäre damit nicht der Verlust unseres Familienunternehmens verbunden, würde ich mich auf diese Herausforderung sogar freuen. Doch so ...
Der neue Londoner Geschäftsführer hat mich aufgeklärt, was auf mich zukommen wird. Er ist der Meinung, dass meine Ansichten verstaubt sind und nicht ins Konzept passen. Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil gerade ich diejenige war, die in den letzten Jahren immer frischen Wind in unser Unternehmen bringen wollte. Es war aber klar zu erkennen, dass es sich nicht gelohnt hätte, meine Ansichten zu erklären. Dieser Mann hat seine vorgefertigte Meinung und die kann ich ihm sowieso nicht mehr ausreden. Also habe ich es gelassen.
Dad hat dem Verkauf der Firma nur zugestimmt, weil man ihm zugesichert hat, dass seine beiden Kinder weiterhin ihre Arbeitsstellen behalten dürfen. Leider hat er bei all seinen Vertragsverhandlungen vergessen, darauf hinzuweisen, dass diese Jobs auch künftig in London ausgeübt werden sollten. Tja, und weil neue Chefs bekanntlich nicht gerne mit den Töchtern der alten Firmenbesitzer zusammenarbeiten, hat sich der Idiot dazu entschlossen, mich nach New York zu versetzen. Zuerst wollte ich kategorisch ablehnen, aber Jen hat mich deshalb zusammengestaucht. Ihrer Meinung nach ist es unsere Pflicht, eines Tages die Firma zurückzubekommen. Und das können wir nur, wenn wir uns nicht komplett aus dem Unternehmen verscheuchen lassen.
Jenifer hingegen kann vorläufig in London bleiben. Da sie sich als Kunsttischlerin um die Herstellung der berühmten Sekretäre kümmert, ist sie unentbehrlich. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Unternehmensleitung dafür auch eine passende Lösung finden wird.
Ich habe mir selbst eine Deadline gesetzt. Weihnachten werde ich zu Hause verbringen und gemeinsam mit Jen entscheiden, ob ich danach überhaupt noch einmal nach New York zurückkehre. Doch solange ich dort bin, werde ich mein Bestes geben und so viel von den amerikanischen Kollegen lernen wie möglich.
Jenifer tritt zurück und schnieft erneut. Ich schenke ihr ein hoffentlich aufmunterndes Lächeln, doch es kommt mir falsch vor. Mein Gesicht fühlt sich steif und unbeweglich an.
»Komm her, mein Schatz«, fordert mich Dad auf und breitet seine Arme aus.
Sofort fliege ich in seine Umarmung und kuschle mich an ihn. Er riecht nach diesem besonderen Aftershave, das er benutzt, seit ich denken kann. Es ist der Geruch nach zuhause und Geborgenheit. Jetzt kann auch ich die Tränen nicht mehr zurückhalten und presse mein Gesicht traurig in sein Jackett.
Am liebsten würde ich von ihm die Worte hören, dass ich besser hierbleiben soll, aber er sagt sie nicht. Ich weiß, dass er stolz auf mich ist und den Weg, den ich gehen werde, selbst wenn das bedeutet, mich in den nächsten Wochen oder Monaten nicht sehen zu können.
»Lass mich das Mädchen doch auch mal in den Arm nehmen«, grummelt Onkel Drake neben uns und unwillkürlich muss ich lächeln.
Rasch wische ich mir die Tränen weg und umarme ihn. »Passt du auf die beiden auf?«, frage ich meinen Onkel leise.
»Auf jeden Fall. Und du passt schön auf dich auf, Jess. New York ist ja noch mal eine Nummer größer als unser beschauliches London.«
»Das werde ich«, antworte ich inbrünstig und löse mich aus seiner Umarmung.
Tief atme ich durch und greife gefasst nach meinen beiden Koffern, sehe allen noch einmal in die Augen und drehe mich hastig zu dem Schalter der Fluggesellschaft um, ehe ich es mir anders überlegen kann. Ich darf mich kein weiteres Mal umdrehen, dann würde ich mich vermutlich ängstlich an meinen Dad klammern und ihn anbetteln, mich wieder mit nach Hause zu nehmen.
Am Schalter angekommen reiche ich der Frau, die dort sitzt und mir ein freundliches, aber distanziertes Lächeln schenkt, meinen Ausweis und mein Ticket.
»Guten Tag«, begrüßt mich die Mitarbeiterin der Airline und schaut sich die Unterlagen genau an, ehe sie mir die Dokumente zurückgibt. »Eine angenehme Reise, Miss Walsh.«
»Vielen Dank.« Ich quäle mir ein Lächeln heraus, ehe ich gehe. Da ich nun hinter der Absperrung stehe, gestatte ich es mir, mich noch einmal nach meiner Familie umzublicken. Dad und Jenifer weinen. Onkel Drake hält mir den empor gereckten Daumen entgegen und grinst euphorisch, doch ich kann an seiner gerunzelten Stirn erkennen, dass auch er sich ein wenig Sorgen macht. Mit einem Zittern hebe ich die Hand und winke den Dreien, um anschließend mit wackligen Knien durch die Sicherheitsschranken zu gehen, während ich weiterhin zu meiner Familie sehe. Doch dann verschwinden sie hinter einer Wand, die den Wartebereich von dem restlichen Gebäudeteil des Flughafens trennt, und ich bin allein.
* * *
Etliche Stunden später steige ich aus dem Yellow Cab und schaue an dem hohen Gebäude empor. Es wirkt imposant und die Gegend sieht, entgegen meinen schlimmsten Befürchtungen, sogar richtig gut aus. Ich habe mich schon in den New Yorker Slums gesehen, denn insgeheim habe ich befürchtet, dass man mich so schnell wie möglich wieder aus der New Yorker Niederlassung herausgraulen will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Versetzung nicht damit zusammenhängt, dass man die Töchter des alten Besitzers der Londoner Firma loswerden möchte. Doch die herbstliche Abendsonne lässt das vanillefarbene Haus mit dem überdachten Eingang sehr gediegen und vornehm wirken und zerstreut meine Bedenken.
»Ihre Koffer«, höre ich den Taxifahrer sagen.
Dankbar nehme ich ihm die beiden kleinen, dunkelblauen Schalenkoffer ab und sehe ihm kurz hinterher, als er losfährt. Den größten Teil meiner Sachen habe ich bereits letzte Woche an diese Anschrift schicken lassen.
Noch einmal gleitet mein Blick die Fassade empor. Mein neues Zuhause. Die erste Wohnung, die ich allein beziehe. Mit achtundzwanzig Jahren armselig, aber bisher habe ich nie das Bedürfnis verspürt, in dieser Sache auf eigenen Beinen zu stehen. Auch jetzt bin ich eher zwiegespalten als euphorisch.
Nachdenklich ziehe ich die Koffer hinter mir her und gehe auf die verglaste Eingangstür zu, die durch einen automatischen Öffner lautlos aufgleitet. Dahinter erwartet mich ein Foyer, das in hellen Beigetönen und mit viel Gold und Prunk gestaltet ist. Ich frage mich, wie ich die Miete für das Appartement, das mir die Firma besorgt hat, abarbeiten soll. Vermutlich kosten hier zehn Quadratmeter mehr als eine ganze Wohnung in einem weniger vornehmen Stadtteil.
In den ersten acht Wochen wohne ich kostenlos hier, aber danach muss ich mir entweder etwas Eigenes gesucht haben oder Miete bezahlen. Doch vorerst bin ich froh, das möblierte Appartement zur Verfügung gestellt zu bekommen. Da alles sehr schnell gehen musste, hätte ich niemals in der kurzen Zeit eine passende Wohnung gefunden.
»Guten Abend, Miss«, ertönt eine Stimme links von mir.
Als ich meinen Kopf in die Richtung schwenke, aus der ich angesprochen wurde, sehe ich einen uniformierten Mann mit Brille, der mich freundlich anlächelt. Er vermittelt den Eindruck, als wäre er in etwa so alt wie mein Vater und er wirkt nicht so, als könnte er jemanden davon abhalten, hier einzubrechen. Viel mehr erinnert er an einen Weihnachtsmann, der das falsche Kostüm anhat. Hinter ihm erspähe ich Postfächer und Überwachungsmonitore, die einem vermutlich ein sicheres Gefühl vermitteln und vermeintliche Einbrecher abschrecken sollen.
»Guten Abend«, erwidere ich und schenke ihm ebenfalls ein Lächeln.
»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Mein Name ist Jessica Walsh. Ich arbeite für die Firma Walsh Inc.. Man hat mir gesagt, dass ich für ein paar Wochen hier wohnen werde.«
»Ah ja, Miss Walsh. Willkommen in New York City. Ich bin Jose und Sie werden mich vermutlich hier öfter antreffen.« Immer noch lächelnd dreht er sich zu einer Schublade um und nimmt etwas heraus, ehe er sich wieder mir zuwendet. »Ich habe hier den elektronischen Schlüssel für Ihre Wohnung und den Fahrstuhl. Sie wohnen in Appartement 23 in der fünften Etage.« Er überreicht mir eine Karte und greift dann erneut hinter sich in eines der Postfächer. »Und hier ist ein Brief Ihrer Firma.«
Ich nehme beides dankend entgegen, verabschiede mich und wende mich den Aufzügen zu. Die Türen des Lifts sind so blank poliert, dass ich darin sogar mein Spiegelbild erkennen kann, als ich darauf zugehe. Ich sehe aus wie immer – Businesskostüm, Haare hochgesteckt und High Heels – und dennoch fühle ich mich völlig anders als sonst und um mich herum hat sich alles verändert. Hoffentlich werde ich mich nicht total verändern in dieser merkwürdigen Stadt, die angeblich niemals schläft. Ich fühle mich allein. Jenifer fehlt mir schon jetzt ganz fürchterlich.
Zielstrebig drücke ich den Knopf, der die Türen des Aufzugs öffnet, und fahre anschließend in der verspiegelten Kabine in die fünfte Etage. Ich muss zugeben, dass ich neugierig bin. Alles erscheint mir so luxuriös. Meine Familie hat zwar nie am Hungertuch genagt, doch Dad hat das Geld stets in die Firma investiert und Gewinne eher in die Löhne fließen lassen als in persönlichen Luxus. Er ist vielmehr der Typ Landhaus und Kamin und zieht das gemütliche Landleben solchem Prunk vor. Außerdem haben wir immer für unsere Wünsche arbeiten müssen. Jenifer und ich sind nie viel mit Geld überschüttet worden. Wir sind eher bodenständig und glücklich mit Kleinigkeiten. Dementsprechend erschlägt mich diese Glitzerwelt.
Als ich die Tür zur Wohnung öffne, dringt ein flüchtiger Geruch nach Putzmitteln in meine Nase. Ein Bewegungsmelder lässt das Licht im Flur anspringen, sobald ich einen weiteren Schritt über die Schwelle setze, und gewährt mir so einen Blick auf mein neues Zuhause.
Der Kontrast zwischen schwarzem Marmor, weißer Wände und auf Hochglanz polierter Möbel lässt mich frösteln. Wohlfühlen werde ich mich in dieser Wohnung vermutlich nicht. Hier hat ein Innenarchitekt ganze Arbeit geleistet, um ein steriles Ambiente zu schaffen. Aber für ein paar Wochen wird es schon reichen, schließlich bin ich nicht hier, um mich häuslich einzurichten. Sollte ich mich jemals dafür entscheiden, eine eigene Wohnung zu haben, egal wo, dann werde ich mir definitiv etwas anderes als dieses Appartement suchen.
Missmutig kicke ich die High Heels von den Füßen und vermisse sogleich den hochflorigen Teppich meines Zimmers, den ich so sehr liebe. Mit kleinen Schritten erkunde ich die zwei Räume der mir fremden Wohnung und bleibe letztendlich in der offenen Küche stehen. Ein Korb mit allen möglichen Delikatessen steht dort. Eine Karte mit einem Willkommengruß und dem Stempel der Firma hängt daran. Ich will mich nicht beschweren, aber bei uns in London gab es immer jemanden, der einen neuen Mitarbeiter der Firma empfing und persönlich begrüßte.
Nachdenklich drehe ich die Karte in der Hand herum und entdecke einen Hinweis auf eine Sitzung am morgigen Vormittag, an der ich teilnehmen soll. Bitte pünktlich sein, steht noch darunter. Eine Bemerkung, die völlig überflüssig ist, denn das bin ich immer. Stirnrunzelnd lege ich die Karte auf den Tisch und sehe mich weiter um. In den Schränken finde ich alles, was man braucht, um sich ein einfaches Essen zuzubereiten, doch der Kühlschrank ist leer und so fange ich als Erstes an, den Korb zu durchforsten. Eine Flasche Wein, ein Päckchen Tee und Kaffee, Milch, Thunfisch, Knäckebrot und Toast, Marmelade und Oliven. Auch ein paar Süßigkeiten lachen mich an. Zunächst mache ich mir einen Tee, mit dem ich mich auf das Ledersofa setze und kurz durchatme. Er schmeckt zwar nicht wie englischer Tee, aber in der Not reicht es. Doch ich nehme mir vor, mich demnächst nach einem Teefachgeschäft umzusehen. So etwas wird es doch hoffentlich in einer so großen Stadt wie New York geben.
Der Zeitunterschied macht sich langsam bei mir bemerkbar. Normalerweise liege ich spätestens um 22 Uhr im Bett, um am nächsten Tag fit zu sein. Da es jetzt hier in New York halb zehn ist, haben wir in London schon halb drei Uhr morgens. Ich bin seit über zwanzig Stunden auf den Beinen und meine Füße schmerzen. Kein Wunder, dass ich so müde bin.
Doch bevor ich duschen gehe und mich ins Bett lege, schreibe ich noch eine Nachricht an meine Schwester.
Hey, ich bin gut gelandet. Die Wohnung ist Luxus pur, aber grauenvoll. Vermisse dich schon jetzt. Kisses Jess
Kaum sehe ich den blauen Haken hinter meiner Nachricht, klingelt bereits das Handy in meiner Hand. Als ich den Namen des Anrufers lese, muss ich schmunzeln.
»Konntest du ohne mich nicht schlafen?«
Jenifer kichert. »Doch, aber ich bin vor ein paar Minuten aufgewacht, so als hätte ich gewusst, dass du mir gleich schreiben wirst.«
Ich atme geräuschvoll ein, mir fehlen die Worte, weil ich plötzlich so unglücklich bin.
»Ich vermisse dich auch, Jess«, höre ich Jen sagen. »Mach dir ein paar schöne Wochen und spätestens an Weihnachten sehen wir uns.«
Nickend blinzle ich die Tränen fort, die sich in meinen Augen gesammelt haben.
»Nickst du etwa wieder, obwohl ich dich nicht sehen kann?«
Nun muss ich lachen. »Ja, ich kann es einfach nicht lassen.«
»Musst du dir unbedingt abgewöhnen oder wir sollten facetimen, anstatt zu telefonieren.«
Wieder nicke ich und antworte rasch. »Auch eine Idee, dann vergesse ich wenigstens nicht, wie du aussiehst.«
»Haha, du Scherzkeks. Schau einfach in den Spiegel.« Jen giggelt leise und ich höre, wie die Bettdecke raschelt, unter der sie liegt.
»Das mache ich und dann? Soll ich dann anfangen, mit mir selbst zu quatschen?«
»Wäre doch irgendwie cool, oder? Dann kann ich allen erzählen, dass meine Schwester vor Sehnsucht nach mir den Verstand verloren hat. Wie dramatisch!«
Grinsend lehne ich mich zurück und richte mich sogleich wieder auf, als das kalte Leder auf die nackte Haut meiner Arme trifft. »Wie wäre es, wenn du das machst? Dann habe ich wenigstens was zu lachen.«
»Ach komm, das wird toll. New York City! Shoppen, Sightseeing und jede Menge Menschen kennenlernen. Ein bisschen beneide ich dich schon.« Leise gähnt sie und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich sie vom Schlafen abhalte, immerhin muss sie in wenigen Stunden aufstehen.
»Ich gebe mein Bestes, es auch zu genießen.«
»Versprochen?«
»Versprochen, Jen. Und jetzt schlaf. Ich schreib dir morgen, wie mein Tag war.«
»Ja, und wie deine Kollegen sind. Und mach Fotos von der Wohnung, der Umgebung, hach einfach von allem.«
»Das werde ich, Süße.«
»Nacht und träum was Schönes.«
»Du auch!«, sage ich leise und lege auf.
Die Stille der Wohnung ist erdrückend. Ich greife nach der Tasse und trinke den mittlerweile lauwarmen Tee in einem Zug aus, ehe ich ins Badezimmer gehe.
* * *
»Willkommen, Miss Walsh!«, begrüßt mich eine kühle Blondine.
Nachdem ich sämtliche Unterlagen am Empfang ausgefüllt habe, bin ich in die zwanzigste Etage des Bürokomplexes geschickt worden und nun stehe ich im Vorzimmer des CEO von Walsh Inc.. Ich versuche, meine Atmung soweit unter Kontrolle zu behalten, damit meinem Gegenüber nicht auffällt, wie aufgeregt ich bin. Wie ich es hasse, dass ich mich wie eine Anfängerin fühle!
Aus der Gegensprechanlage ertönt eine befehlsgewohnte Stimme. »Schicken Sie Miss Walsh herein.«
Die Assistentin deutet auf die Tür zum Büro des Chefs und widmet sich dann wieder ihren Unterlagen, während ich mit wackligen Knien auf die Tür zugehe.
Meine Hand fährt unweigerlich zu meinem Kopf und ich überprüfe ein weiteres Mal, ob meine dunklen Naturlocken noch in dem Dutt stecken. Erst als ich mir sicher bin, dass ich äußerlich eine unerschütterliche Jessica Walsh abgebe, klopfe ich kurz und vernehmlich an. Ohne auf eine weitere Aufforderung zu warten, öffne ich die Tür und gehe hinein. Dabei fühle ich mich wie das Lamm, dass dem Löwen zum Fraß vorgeworfen wird. Meinen Recherchen nach ist Mason Walsh mit allen Wassern gewaschen. Es wundert mich, dass er mich persönlich empfängt, und ich deute es als kein positives Zeichen, dass er sich dazu herablässt. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe, blicke ich mich zu ihm um. An einem ausladenden Tisch im Zentrum des Raumes sitzt einer der mächtigsten Männer in der Möbelbranche. Er trägt einen Anzug und sieht mich mit verächtlich hochgezogener Augenbraue an.
Ich weiß, dass er Mitte dreißig ist, und er ist mir bereits jetzt unsympathisch. Um mir meine Abneigung nicht anmerken zu lassen, setze ich ein Lächeln auf und gehe mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
»Guten Tag Mister Walsh.« Es ist ein merkwürdiges Gefühl, den neuen Boss mit dem eigenen Nachnamen anzusprechen. Und noch verwirrender finde ich die Tatsache, dass vor etlichen Generationen zwei unserer Vorfahren einmal Brüder waren. Doch davon merkt man heute nichts mehr. Wir sind Fremde, die sich nicht ausstehen können, denn auch in dem Blick meines Gegenübers erkenne ich die Abneigung, nein es ist vielmehr Verachtung, die mir entgegenschlägt. Mir soll es recht sein, so muss ich nicht gute Miene zum bösen Spiel machen und mich verstellen.
Mason Walsh ignoriert meine ausgestreckte Hand und zeigt stattdessen auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. Ich atme ein und lasse den Arm sinken. Aber egal wie sehr ich mir selbst versuche einzureden, dass ich mich beruhigen sollte, es funktioniert nicht wirklich. Dieser ...
»Miss Walsh, ich kann nicht sagen, dass ich erfreut bin, Sie hier zu sehen. Doch die Übernahmeklauseln Ihres Vaters haben mir leider keine andere Wahl gelassen, als Sie und Ihre Schwester zu übernehmen.«
Wut saust mit Schallgeschwindigkeit durch meine Nervenbahnen und ich muss mich beherrschen, um den äußeren Anschein der coolen Karrierefrau aufrechtzuhalten. Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein? »Ein Mann der klaren Worte«, erwidere ich und bin über die Kälte in meiner Stimme selbst erstaunt, denn in mir wütet eine wahre Feuersbrunst.
»In meiner Position kann ich mir das erlauben«, erwidert er und macht mir damit deutlich klar, dass ich dieses Privileg nicht besitze und still zu sein habe.
Ich nicke ihm lediglich zu, als Zeichen, dass ich verstanden habe. Meine Zähne presse ich fest aufeinander, damit mir nicht eine unbedachte Äußerung über die Lippen kommt. So ein Arschloch! Doch ich werde mich nicht von ihm provozieren lassen und es ihm dadurch einfacher machen, mich loszuwerden. Diese ganze Farce hier zeigt deutlich, dass er versucht, mich aus der Reserve zu locken. Lieber werde ich mir die Zunge abbeißen, als ihm den Gefallen zu tun und verbal zu entgleisen.
»Ich habe Sie zum Einarbeiten in die Designabteilung einteilen lassen. Sie haben drei Tage, um die Firma kennenzulernen, danach werden Sie meinem Bruder zur Seite stehen.« Er wartet eine Reaktion ab. Wieder nicke ich nur. »Gut, dann sind wir hier fertig.«
Ernüchtert stehe ich auf. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mich zu empfangen.«
Er schenkt mir keine Beachtung mehr und sieht in seine Unterlagen, also drehe ich mich um und gehe auf die Tür zu. Ich hasse diesen Mistkerl schon jetzt. Was für eine Begrüßung. Das übertrifft tatsächlich noch meine schlimmsten Befürchtungen.
Mir brennen die Augen, doch ich blinzle so lange, bis ich nicht mehr das Bedürfnis verspüre zu weinen. Dann verlasse ich so würdevoll, wie es mir möglich ist, das Büro von Mason Walsh und gehe zu seiner Assistentin, die mir weitere Anweisungen gibt. Zehn Minuten später fahre ich mit dem Aufzug in die Designabteilung. Ich hoffe inständig, dass ich dort auf freundlichere Menschen treffen werde als in dem Büro der Kälte, in dem ich gerade gewesen bin.
Ich bin es einfach leid, mich weiterhin mit Mason zu streiten. Obwohl ich sagen muss, dass es mich total anpisst, wie großspurig er geworden ist und wie er über die Zukunft von Menschen entscheidet, ohne sich über die einzelnen Schicksale Gedanken zu machen.
Er hat uns den schriftlichen Plan für diese Londoner Firma vorgelegt, die er vor einigen Wochen aufgekauft hat, ehe er die Sitzung begonnen hat. Sein Vorgehen ist zielgerichtet, so als wolle er eine Waffe auf eine Zielscheibe abfeuern und gäbe sich mit nichts anderem zufrieden, als der goldenen Mitte. Was ist es, das ihn dazu veranlasst, diesen doch recht persönlichen Feldzug gegen das Unternehmen zu führen?
Mein Bruder hat tatsächlich vor, die Niederlassung komplett zu zerschlagen und die Produktion des bekannten Möbelstücks nach New York zu verlegen. Es ist meiner Meinung nach idiotisch, weil es sich um eine etablierte Firma handelt, dessen Verkaufsschlager ein typisch englischer Sekretär in Handarbeit ist. Ein Meisterwerk, das es schon seit Anbeginn dieses alten Unternehmens dort zu kaufen gibt. Welcher Käufer, der mit solchen Möbeln sympathisiert, kauft sie bei einer amerikanischen Firma, die für modernes Design bekannt ist und dann auch noch gefertigt in New York City? Möchte er letztendlich die Produktion sogar auf maschinell umstellen? Wenn ja, war es verschwendetes Geld, den Konzern überhaupt aufzukaufen, denn dann werden interessierte Kunden abspringen oder gar nicht erst Interesse entwickeln. Dieses Möbelstück ist ein Prestigeobjekt für Liebhaber.
Da ich aber eher der kreative Kopf von uns beiden bin und mit den geschäftlichen Entscheidungen wenig am Hut habe, halte ich mich vorerst zurück. Ich interveniere auch nicht, als er den übrigen Anteilseignern und mir genau diese Empfehlung nun verbal unterbreitet. Dieses Prozedere kenne ich. Er schlägt vor, nur ist ein Vorschlag von ihm noch nie etwas anderes gewesen als ein beschlossenes Konzept. Niemand im Raum widerspricht ihm, weil er ein genialer Kopf ist, der unser Unternehmen innerhalb weniger Jahre an die Spitze katapultiert hat. Seit er Vaters Platz eingenommen hat, floriert Walsh Inc. nicht nur in den USA. Doch ich denke, dass er diesmal vollkommen daneben liegt, und ich freue mich schon darauf, ihn scheitern zu sehen.
Warum ich mir die Farce dieser Sitzungen überhaupt antue, kann ich selbst nicht nachvollziehen. Vielleicht, weil Blut immer noch dicker ist, als ich es mir eingestehen möchte. Brüder halten nun mal zusammen. Dieser Satz ist ein Mantra unserer Jugend gewesen, doch in den letzten Jahren haben wir uns immer mehr voneinander entfernt. Mason ist mittlerweile vierzig geworden und mit allen Wassern gewaschen. Von dem sechs Jahre älteren Jungen, der lauter Unsinn im Kopf hatte und zu dem ich stets aufgeblickt habe, ist nicht mehr viel übrig. Wenn wir aufeinandertreffen, frage ich mich immer wieder, wer dieser emotionslose Roboter ist, der den Namen meines Bruders trägt. Seit unser Vater tot ist, gibt es für ihn nichts anderes mehr als die Arbeit. Frauen scheinen in seinem Leben ebenfalls keine Rolle zu spielen, zumindest ist bisher niemand an seiner Seite aufgetaucht. Wenn doch, dann sind es lediglich Bettgeschichten für eine Nacht. Und auch dabei wird er darauf achten, dass die Frau niemals auf die Idee kommt, sie wäre etwas Besonderes. Für ihn gibt es nur Mason Walsh, ansonsten sind Menschen für ihn sämtlich entbehrlich. Das haben meine Mutter und ich schmerzlich erkennen müssen, als er von einem auf den anderen Tag den Kontakt zu uns abgebrochen hat. Seit einigen Jahren sehe ich meinen Bruder nur noch, wenn es um das Geschäftliche geht, so wie heute.
»Gentlemen, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen«, beendet Mason die Sitzung, nachdem alle für seinen Vorschlag gestimmt haben.
Alle außer sein Bruder, ich habe mich enthalten.
Um mich herum erheben sich die Anzugträger, richten ihre Krawatten, schnappen sich die Mappen und verlassen den Raum. Übrig bleiben nur Mason und ich. Er schließt seinen Laptop und packt alles in eine Aktentasche, die vermutlich mehr gekostet hat, als er seiner Assistentin im Monat zahlt. Als auch er sich daran macht, aufzubrechen, erhebe ich mich und gehe zu ihm.
Vor ihm bleibe ich stehen, doch er sieht mich nicht einmal an. »Ich soll dir von Mom sagen, dass sie dich zu dem traditionellen Thanksgivingessen unserer Familie erwartet«, beginne ich die Unterhaltung. Mir gefällt es überhaupt nicht, dass ich ihn wie jedes Jahr dazu einladen soll, obwohl er es nicht verdient hat und vermutlich nicht einmal darüber nachdenken wird, zu kommen.
»Danke, aber ich bin schon verabredet«, antwortet er kühl, ohne mich anzusehen, stattdessen scrollt er auf seinem Handy herum.
»Dachte ich mir schon«, erwidere ich abfällig.
Sein Kopf schnellt nach oben und seine eiskalten Augen treffen auf meine. Früher konnte er mich mit diesem Großer-Bruder-Blick einschüchtern, doch das ist lange her.
Als er merkt, dass ich nicht angemessen darauf reagiere, sieht er mich von oben bis unten an. »Kannst du nicht einmal zu einem solch wichtigen Meeting einen Anzug tragen?«
»Nein«, antworte ich und verschränke die Arme vor der Brust. »Ich denke nicht daran, mich den ganzen Zwängen zu unterwerfen, die in diesen beschissenen Bürogebäuden herrschen. Wenn ich eine Jeans tragen möchte, dann ziehe ich sie an. Wenn ich wie ein Pinguin in einem Frack einen Zirkus aufführen möchte, dann werde ich auch das tun. Aber niemals werde ich etwas tun, nur weil du es von mir erwartest. Das solltest du mittlerweile erkannt haben.« Mein Blick bleibt an meinem Bruder kleben und ich freue mich, endlich mal eine menschliche Reaktion an ihm zu sehen. »Weißt du, Mason, ein solches Treffen verläuft nicht anders, nur weil ich einen noblen Designeranzug trage.« Dementsprechend habe ich heute Morgen nach einer dunkelblauen Jeans und einem Hemd gegriffen, wohlwissend, dass es meinem Bruder nicht gefallen wird.
Er schüttelt abwertend den Kopf und steht auf. »Man sieht sich«, presst er noch zwischen den Lippen hervor, dann verlässt er den Konferenzraum, während ich die Zähne fest aufeinanderbeiße und versuche, nicht zu viele Emotionen in diesem Moment in mir hochkochen zu lassen. Doch allein der Gedanke an das enttäuschte Gesicht meiner Mutter, wenn ihr ältester Sohn wieder nicht kommen wird, macht diesen Vorsatz unmöglich. Wütend presse ich die Finger meiner rechten Hand zusammen. Die so entstandene Faust würde ich am liebsten in Masons Gesicht platzieren, stattdessen lasse ich sie nur einmal auf den Tisch niedersausen. Das massive Holz hält dem Angriff stand und ich begrüße den Schmerz, der durch meine Knochen schießt. Er erinnert mich daran, dass ich hier nichts weiter verloren habe.
Ohne der Blondine, die sich um die Belange meines Bruders kümmert und mich entgeistert ansieht, als ich an ihr vorbeigehe, meine Aufmerksamkeit zu schenken, marschiere ich zum Aufzug und verlasse das Gebäude von Walsh Inc.. Als ich durch die Glastüren gegangen und endlich wieder im Freien bin, gestatte ich mir einen tiefen Atemzug und rolle ein wenig mit den Schultern, um die Anspannung loszuwerden. Doch das gelingt mir nicht wirklich.
* * *
»Dein Bruder ist ein Idiot. Das war er aber schon früher, also reg dich nicht auf.« Mit diesen Worten landet Nicks Hand, die in einem Boxhandschuh steckt, auf meiner Schulter.
»Trotzdem schafft er es immer wieder, mich voller Wut zurückzulassen. Ich muss in ein paar Tagen zu meiner Mutter und werde dann die Ehre haben, ihr zu erzählen, dass ihr ältester Sohn mal wieder Besseres zu tun hat, als Thanksgiving mit uns zu verbringen.« Wütend boxe ich gegen einen der Sandsäcke, die mir auf dem Weg zum Boxring begegnen. »Ich verstehe nicht, warum sie ihn nicht einfach ziehen lässt.«
Nick zuckt mit den Schultern. »Sie ist nicht dumm. Sie wird es sich schon denken können, dass er nicht kommt. Aber du kannst es ihr nicht verübeln, sie ist immer noch voller Hoffnung, dass er eines Tages erkennt, wie wichtig eine Familie sein kann. Sie ist seine Mom und das wird auch immer so bleiben, egal was für ein Arsch aus ihm geworden ist.«
»Ich weiß. Aber es macht mich wahnsinnig, wie er sie behandelt. Das hat sie einfach nicht verdient.«
Nick bleibt vor mir stehen und versperrt mir so den Weg. Mit einem schelmischen Grinsen sieht er mich an. »Sag ihr, dass ich kommen werde.«
Ich muss laut auflachen. »Das weiß sie doch schon, du Idiot.« Nick kommt, seit seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind, jedes Jahr zu Thanksgiving und Weihnachten zu uns. Er ist so etwas, wie der dritte Sohn meiner Mutter. Kennengelernt haben wir uns auf dem Internat, in das unsere Eltern uns gesteckt haben, als wir anfingen, schwierig zu werden, und seitdem hat ihn meine Mutter praktisch adoptiert.
»Ich weiß, aber vielleicht bringt es sie zum Lachen. So wie dich gerade eben.« Er wackelt frech mit den Augenbrauen.
»Ich versuche es«, gebe ich schmunzelnd von mir, zweifle jedoch daran.
»Und nun lass den Dampf an mir ab.« Nick geht voraus und zieht die Seile des Boxrings auseinander, sodass ich zwischen ihnen auf die quadratische Fläche klettern kann.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und gehe mit einem Bein zuerst auf die Kampffläche. Entschlossen schlage ich meine Fäuste, die in Boxhandschuhen stecken, an Nicks, als er ebenfalls in der Mitte des Rings ankommt, und beginne zu tänzeln. Mein Kumpel wirft mir ein Grinsen zu und stopft sich noch den Mundschutz vor die Zähne, dann fangen wir einen Kampf an, der mich ordentlich ins Schwitzen bringt.
Immer wieder kassiere ich die Upper-Cuts von Nick, der mit seiner enormen Armlänge locker durch meine Deckung kommt. Zwar bin ich mit fast einen Meter neunzig auch nicht klein, aber Nick überragt mich noch um einen halben Kopf. Hinzukommt, dass er mehr Masse hat, die ihn zu meinem Übel nicht schwerfälliger, sondern gefährlicher macht.
Nach drei Minuten voller Power machen wir eine Pause. Ich spucke den Mundschutz aus und greife mir die Wasserflasche, um einen Schluck zu trinken. Das kühle Nass rinnt meine Kehle hinunter und lässt mich kurz zufrieden aufstöhnen. Als ich zu Nick sehe, bemerke ich, wie er einer Rothaarigen, die neben dem Ring an einer Säule lehnt, zuzwinkert. Sie erwidert seine Anmache mit einem koketten Lächeln.
»Du kannst es nicht lassen«, gebe ich lachend von mir.
»Hey, wozu hat der liebe Gott mich mit den besten Genen der weißen und der schwarzen Rasse gesegnet. Ich bin und bleibe nun mal der Traum jeder Frau. Stimmt's Kleine?«, fragt er die Rothaarige, die nun albern kichert und bestätigend nickt.
»Oh man. Werd erwachsen«, weise ich ihn zurecht, obwohl ich ihn insgeheim schon immer für die Leichtigkeit, mit der er das Leben angeht, bewundert habe. Nick ist seit dem ersten Schultag im Internat mein bester Freund und ich vermute, den Posten wird er nicht mehr an einen anderen abtreten. Das hoffe ich zumindest.
»Komm, ich zeig dir, wie erwachsen ich bin.« Und schon ist unsere Pause beendet.
Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie die Rothaarige sich näher an den Ring stellt, um einen besseren Blick auf Nick und seinen nackten, schweißüberströmten Oberkörper zu haben. Amüsiert darüber, dass er es tatsächlich immer schafft, die Frauen für sich einzunehmen, trete ich in die Mitte des Rings, wo wir die Fäuste aufeinanderschlagen und dann eben diese auf den Körper des anderen einprasseln lassen.
* * *
Am nächsten Morgen werde ich durch das Klingeln meines Festnetzes geweckt. Außer meinem Bruder, Nick und meiner Mutter hat niemand die Nummer. Alle anderen bekommen lediglich meine Handynummer, weil ich das Ding abstellen kann, wenn ich meine Ruhe haben möchte oder wie jeden Morgen lange schlafen will. Der wenige Luxus, den ich mir als kreativer Kopf von Walsh Inc. leiste. In jüngeren Jahren habe ich versucht, in der Früh aufzustehen, und bin kläglich daran gescheitert.
Der Blick auf die Uhr lässt mich aufstöhnen. Es ist gerade mal neun Uhr morgens!
Seufzend rapple ich mich auf und nehme den Anruf entgegen.
»Ja?«, knurre ich missmutig.
»Guten Morgen, Mister Walsh. Hier spricht Cynthia, die Assistentin Ihres Bruders«, flötet die Frau mir mit einer viel zu schrillen Stimme ins Ohr, sodass ich das Telefon einige Zentimeter von meinem Kopf weghalte.
»Morgen«, antworte ich kurz angebunden und verfluche im Stillen meinen Bruder.
»Ihr Bruder hat mir aufgetragen, Ihnen mitzuteilen, dass er Ihnen eine Praktikantin zuteilt. Sie wird übermorgen bei Ihnen anfangen und ein paar Wochen über Ihre Schulter blicken.«
Verdutzt runzle ich die Stirn. »Das soll ein Scherz sein, oder?«
Das hysterische Kichern am anderen Ende der Leitung verursacht mir Kopfschmerzen. »Nein. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er nicht scherzt. Offenbar wusste er schon vorher, dass es Ihnen nicht gefallen wird.«
»Was Sie nicht sagen!«
Wieder Gekicher. »Wann soll ich die junge Frau zu Ihnen schicken?«
»Gar nicht!«, schnauze ich Cynthia an und lege auf.
Mason muss nicht mehr alle Tassen im Schrank haben!
Eine Praktikantin?
Der spinnt!
Keine zwei Minuten später klingelt erneut das Telefon.
Ich nehme widerwillig ab, weil mir schon von vornherein klar ist, wer der Anrufer sein wird. »Nein«, begrüße ich ihn.
»Pass auf Jaxon. Es ist nur für kurze Zeit. Du kannst sie vergraulen, das ist auch genau das, was ich von dir erwarte. Sie wurde uns aufgezwungen«, beginnt Mason die Unterhaltung.
Nun horche ich auf. »Dir hat jemand etwas aufgezwungen? Jetzt hast du dafür gesorgt, dass ich hellwach bin.« Ich presse den Hörer ans Ohr und gehe hinunter in die Küche, um mir während des Telefonats einen Espresso zu kochen.