Never Too Close - Morgane Moncomble - E-Book

Never Too Close E-Book

Morgane Moncomble

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Beschreibung

Der erste Roman von Morgane Moncomble - der New-Adult-Sensation aus Frankreich!


Wenn aus besten Freunden plötzlich mehr wird ...

Seit sie gemeinsam in einem Aufzug eingeschlossen waren, sind Loan und Violette beste Freunde. Das zwischen ihnen ist vollkommen platonisch - zumindest bis jetzt. Denn als Violette beschließt, dass sie nicht länger Jungfrau sein will, ist es Loan, den sie bittet, ihr auszuhelfen. Schließlich vertraut sie niemandem so sehr wie ihrem besten Freund. Loan ist von der Idee zunächst alles andere als begeistert, doch schließlich willigt er ein. Es ist ja nur dieses eine Mal ... oder?


Die NEVER-Reihe:

1. Never Too Close

2. Never Too Late


Leserstimmen aus der französischen Buch-Community:

"Ich bin total verliebt - in die Atmosphäre, den Humor, die Figuren. Ich würde am liebsten der ganzen Welt sagen, dass sie dieses Buch lesen soll." La fée liseuse et les livres

"Am liebsten würde ich das Buch noch mal lesen, nur um diese Atmosphäre wieder heraufzubeschwören und jene Momente noch einmal erleben zu können, die für Loan und Violette so bedeutend und wichtig gewesen sind." Livre sa vie

"Ein erfrischender und prickelnder Liebesroman voller Humor und Gefühl, den ich allen New-Adult-Fans nur empfehlen kann. Ein neues Lieblingsbuch!" Les milles et une pages de LM

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Seitenzahl: 564

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

Erster Teil

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Zweiter Teil

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Dritter Teil

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Morgane Moncomble bei LYX

Impressum

MORGANE MONCOMBLE

NEVER TOO CLOSE

ROMAN

Ins Deutsche übertragen von Ulrike Werner-Richter

Zu diesem Buch

Violette und Loan sind beste Freunde – nicht mehr und nicht weniger. Seit sie vor einem Jahr an Silvester gemeinsam in einem Aufzug eingeschlossen waren und Loan, der von Beruf Feuerwehrmann ist, Violette vor einer Panikattacke bewahren konnte, sind die beiden unzertrennlich. Doch ihre Beziehung ist rein platonisch. Denn auch wenn sie inzwischen in derselben Wohnung leben und so gut wie alles miteinander teilen, ist da eine Grenze zwischen ihnen, von der sie sich beide geschworen haben, sie niemals zu überschreiten. Zumindest bis jetzt. Denn als Violette den gutaussehenden Clément kennenlernt, wird ihr klar, dass sie ihr erstes Mal nicht mit irgendeinem Mann verbringen will, egal wie attraktiv er ist – sie will es mit jemandem erleben, dem sie bedingungslos vertraut. Jemandem wie Loan. Als sie diesem ihren Vorschlag unterbreitet, ist er zunächst alles andere als begeistert. Zu viel steht für sie beide auf dem Spiel, und Violette als Freundin zu verlieren, wäre das Schlimmste für ihn. Doch Violette lässt nicht locker, und schließlich willigt er ein. Es ist ja nur dieses eine Mal … oder?

Für meine Mutter

Prolog

Ein Jahr zuvor

Violette

Ich sehe toll aus. Ich sehe toll aus. Ich sehe …

»Autsch!«

Ich lasse das Glätteisen fallen, um meine verbrannte Hand zu erlösen, und springe hastig beiseite, damit es nicht auch noch auf meinem Fuß landet. Verdammt! Mit dem schmerzenden Finger im Mund hebe ich es wieder auf. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich sehe toll aus.

Der Spiegel zeigt allerdings etwas anderes.

Ich entkräusele die letzte meiner blonden Locken und achte darauf, das Glätteisen auszuschalten, ehe ich es ablege – ich bin gerade erst in diese Wohnung eingezogen und sollte vielleicht noch ein wenig warten, bis ich das Haus in Schutt und Asche lege.

Für ein natürlicheres Aussehen fahre ich mir mit den Fingern durch die Haare, ehe ich einen letzten Blick in den Spiegel werfe.

Toll ist vielleicht nicht die exakteste Bezeichnung für mein Aussehen an diesem Silvesterabend, aber egal. Es geht schon. Immer noch besser als Anfang der Woche, als ich mich krank und hundeelend herumgeschleppt habe.

Scheißgrippe.

Ich trage transparenten Lipgloss auf, während ich versuche, mir mit einer Hand die High Heels anzuziehen. Wie eigentlich immer bin ich spät dran. Dabei habe ich extra zwei Stunden früher angefangen, mich fertig zu machen, um genau dieses Problem zu vermeiden. Aber das scheint unmöglich zu sein.

Die grünen Paillettenshorts liegen auf der Couch. Ich schaffe es reinzuschlüpfen, ohne eine Laufmasche in meine Strumpfhose zu reißen. Erste Herausforderung erfolgreich bestanden! Nachdem ich meine weiße Bluse abgebürstet und einen kurzen schwarzen Blazer angezogen habe, schaue ich mich in der Wohnung um.

»Hab ich was vergessen?«

Scheint nicht so. Also stopfe ich mein Handy und meine Schlüssel in die Tasche und lasse die Tür hinter mir zufallen. Schritt zwei: Well done! In diesem Augenblick vibriert es unter meinen Händen. Meine neue Freundin Zoé ruft an. Ich gehe dran, während ich den Fahrstuhlknopf drücke.

»Hallo?«

»Hi, ich bin’s. Alles klar?«

»Bestens. Und bei dir?«

Der Aufzug befindet sich im obersten Stockwerk und braucht unendlich lange. Ich fluche leise vor mich hin. Zoé wird mich umbringen. Sie hasst unpünktliche Menschen.

»Sag bitte nicht, dass du zu spät kommst.«

»Ich? Auf keinen Fall«, leugne ich, während ich wie bescheuert immer wieder auf den Knopf drücke, als ob der Fahrstuhl dadurch schneller würde.

»Sicher?«

Sie kommt mir misstrauisch vor. Ich befürchte fast, dass sie im Aufzug steht, wenn sich die Türen öffnen, mit dem Finger auf mich zeigt und »LÜGNERIN!« ruft.

»Wenn ich es dir doch sage! Wo bist du gerade?«

»Vor der Bar gegenüber von Claires Wohnung.«

»Siehst du mich etwa nicht?«, erkundige ich mich, als wäre ich überrascht.

»Äh … nein.«

Ich weiß, dass sie mir nicht glaubt. Obwohl ich in Mathe eine totale Niete bin, rechne ich kurz nach. Wenn ich mich beeile, kann ich in einer Viertelstunde dort sein. Ich gehe zu Fuß. Zum Glück habe ich daran gedacht, mein Pfefferspray einzustecken – mein Vater wollte mich nicht aus dem Jura nach Paris ziehen lassen, ohne mich mit einer Großpackung davon zu versorgen. Er hat kein Vertrauen in diese Stadt. Als ob sich alle Perversen der Nation hier versammeln würden.

»Bist du blind oder was? Ich sehe dich doch! Ich winke dir sogar gerade.« Der Aufzug macht »Ding«. Ich huste, um es zu übertönen, und betrete die Kabine. »Okay, weißt du was? Bleib, wo du bist, ich komme zu dir.«

»Okay.«

Mit Sicherheit bringt Zoé mich um. Ich kenne sie zwar erst seit September, aber sie ist sehr emanzipiert und nimmt vor allem kein Blatt vor den Mund. Schon bei unserer zweiten Begegnung hat sie mir in der Toilette unserer Hochschule, der École supérieure des arts et techniques de la mode, ihre Brüste gezeigt und mich gefragt, ob ich ebenfalls der Ansicht wäre, dass sie auffällig groß seien. Ich musste ihre Brüste berühren. Zweimal.

Ich lege auf, während sich die Türen schließen. Gerade will ich meine Strumpfhose noch einmal zurechtziehen, als sich eine kräftige Hand zwischen die Türen des Fahrstuhls drängt.

Ein Typ steigt zu, begrüßt mich höflich und stellt sich vor mich. Langsam gleitet die Kabine nach unten. Die Stille nervt mich. Soll ich vielleicht ein Gespräch beginnen? Konversation gehört zu meinen starken Seiten, zumindest wenn mein Vater mich daran erinnert, keinesfalls über Pinguine zu reden – darauf komme ich später noch zurück. Immerhin bin ich erst vor Kurzem hier eingezogen, und es wäre vielleicht keine schlechte Idee, mich mit den Nachbarn gut zu stellen.

Die Art, wie der Typ mir den Rücken zukehrt, veranlasst mich jedoch, den Mund zu halten. Vermutlich ist er in Eile – oder ein Arsch.

Plötzlich erzittert der Aufzug und bringt mich ins Wanken.

Ich stütze mich an der rechten Wand ab, während mein Nachbar langsam seine verschränkten Arme löst. Der Aufzug bockt noch einmal, dann steht er still. Ich rühre mich nicht, denn ich habe Angst, etwas kaputtzumachen. Wer mich kennt, weiß, dass das nicht abwegig ist.

Sekundenlang stehe ich wie versteinert, bis die Information mein Gehirn erreicht. Wir stecken fest. Wir stecken fest! Als ich den Ernst der Lage begreife, reiße ich die Augen auf und schlucke. Atmen, Violette. Einfach weiteratmen. Das ist weder der richtige Zeitpunkt noch der Ort für eine Panikattacke. Seit ich in Paris wohne, hatte ich keine mehr und habe auch nicht vor, wieder eine zu bekommen. Ich bemühe mich also, meine Atmung zu kontrollieren, während der Mann schimpfend den Notfallknopf drückt.

»Was ist los?«

Es sieht mir ähnlich, nachzufragen, was los ist, obwohl die Antwort auf der Hand liegt. Trotzdem will ich es hören – will den Klang einer anderen Stimme hören. Ich muss wissen, dass ich nicht allein bin.

Keine Panik, Violette, keine Panik.

»Stecken wir fest?«

Jetzt gerate ich doch in Panik. Scheiße! Ich sehe zu, wie mein Nachbar versucht, die Türen mit beiden Armen auseinanderzustemmen. Er drückt und drückt, bis es ihm gelingt, doch er lässt sofort wieder los.

»Wir sind zwischen zwei Etagen«, murmelt er vor sich hin.

»Oh mein Gott.«

Mit einer Hand auf der Brust dränge ich mich an die Rückwand der Kabine. Ich zähle meine Atemzüge, merke aber sehr schnell, dass ich durcheinanderkomme. Als letzte Hoffnung suche ich den Blick meines Nachbarn. Ich will, dass er mich beruhigt und mir versichert, dass so was ständig passiert, aber in aller Regel schnell wieder in Ordnung kommt. Leider starrt er nur auf sein Handy, vermutlich auf der Suche nach einem Netz.

»Sagen Sie mir bloß nicht, dass wir hier … für länger festhängen …«

»Beruhigen Sie sich, ich bin bei der Feuerwehr«, sagt er, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Glauben Sie, das macht es besser? Feuerwehrmann oder nicht, Sie stecken mit mir in diesem verdammten Fahrstuhl fest und ich habe keine Ahnung, wieso diese Information mich beruhigen sollte.«

Zum ersten Mal seit dem Betreten der Kabine schaut der Mann mich an. Und was kommt mir als Erstes in den Sinn? Es muss einen Gott geben. Wäre das nämlich nicht der Fall, würde ein solcher Blauton nicht existieren, eine unglaubliche Mischung aus Lapislazuli und Azur. Ein dunkles Blau wie eine sternlose Sommernacht. Sofort verliebe ich mich in diese Augen. Ernst und geduldig blicken sie mich an. Sieht aus, als wäre er so etwas gewohnt. Trotzdem erkenne ich in ihnen einen ungläubigen Schimmer.

»Wenn ich dir empfehle, dich zu beruhigen, dann weil ich weiß, dass es keinen Sinn hat, der Panik nachzugeben.«

Mein Herzrasen beruhigt sich trotzdem nicht wirklich. Meine Kehle zieht sich immer mehr zusammen, genau wie die Wände. Die Kabine ist zu klein und mir ist heiß, viel zu heiß.

»Ich leide unter Klaustrophobie«, presse ich als Erklärung hervor.

»Atme tief durch die Nase ein und aus. Ungefähr zehnmal.«

Ich gehorche und schlucke Tränen der Frustration hinunter. Ich hasse mich in diesem Zustand. Und dabei hatte ich es so gut unter Kontrolle! Jeder andere könnte mit einer solchen Situation gelassen umgehen, nur ich nicht. Was hier gerade passiert, ist einer meiner schlimmsten Albträume.

»Konzentrier dich auf positive Gedanken, das sollte funktionieren. Und keine Panik, alles wird gut.«

»Leichter gesagt als getan, Monsieur von der Feuerwehr«, flüstere ich.

Er geht über meine sarkastische Bemerkung hinweg, ohne mit der Wimper zu zucken, kommt zu mir in den hinteren Teil der Kabine, setzt sich und lehnt sich mit ausgestreckten Beinen an die Wand.

Ich gehorche, bin aber immer noch am Durchdrehen. Keine Ahnung, wie er es fertigbringt, in dieser Situation ruhig zu bleiben. Dann fällt mir ein: Er ist Feuerwehrmann. Er kennt vermutlich Schlimmeres.

Ich fühle mich, als würde mein Herz unter meinen Fingern davonrennen. Ich versuche, bewusst durch die Nase zu atmen, zapple aber in der engen Kabine herum. Konzentrier dich auf positive Gedanken, Violette. PO-SI-TIV. Eine Katze, die vor einer Gurke erschrickt? Eine rappende Oma? Die Herbst-Winter-Kollektion von Valentino? Offenbar ist das alles nicht positiv genug, sondern beunruhigt mich nur noch mehr. In meiner Qual trete ich meinem Nachbarn auf den Fuß.

Er schreit vor Schmerz auf. »Oh, sorry!«, rufe ich.

»Jetzt setz dich endlich und hör auf, dich zu bewegen.«

Mir gefällt nicht, wie er mit mir redet, auch wenn er so leise spricht, als hätte er Angst, jemanden aufzuwecken. Aber ich versuche, mich in seine Lage zu versetzen – am Silvesterabend mit einer klaustrophobischen Irren im Aufzug festzustecken. Nach einigen Sekunden Rebellion setze ich mich neben ihn.

Er schließt die Augen und lehnt den Kopf an die Wand. Ich nutze die Gelegenheit, um ihn verstohlen zu betrachten. Merkwürdigerweise beruhigt es mich, ihn anzusehen. Er ist nicht übel. Eigentlich sogar ziemlich süß. Der Feuerwehrmann hat an den Schläfen kurzes und oben längeres, kaffeebraunes Haar. Seine Kiefermuskeln sind ständig in Bewegung und seine Augen haben mich vorhin geradezu geblendet.

Mit gerunzelter Stirn erkenne ich einen seltsamen Fleck an seinem Hals. Zunächst denke ich an ein Muttermal, ehe mir klar wird, dass es unter seiner Jacke verschwindet und sich bis zum Kinnansatz hinaufzieht. Die Haut ist dort rosiger und glänzender. Wie nach einer Verletzung.

Ich wende den Blick ab, weil ich es unhöflich finde, ihn anzustarren, auch wenn er es nicht sieht.

»Erzähl mir von dem schlimmsten Einsatz, den du je erlebt hast.«

Es ist mir so herausgerutscht. Wenn ich ihn sprechen höre, muss ich vielleicht nicht ständig daran denken, dass ich mich in einem derart engen Raum befinde, und fühle mich weniger schuldig, Zoé und die anderen zu versetzen. Mein Nachbar hat mich gehört, das weiß ich. Trotzdem hält er die Augen geschlossen.

»Das willst du nicht hören.«

»Wie kommst du darauf? Schließlich habe ich dich darum gebeten!«

Ich kann den Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. Er scheint ein wenig älter zu sein als ich. Wenn er schon Feuerwehrmann ist, kann es nur so sein. Ich bin fast neunzehn.

»Wenn das so ist, will ich eben nicht darüber reden.«

Okay. Wenn er Spielchen spielen will …

»Gut, dann vom zweitschlimmsten.«

Dieses Mal öffnet er die Augen und schenkt mir einen müden Blick.

»Du gibst wohl nie auf?«

»Selten. Und schon gar nicht bei knurrigen Typen wie dir. Entweder du redest oder ich bekomme eine Panikattacke. Du hast die Wahl!«

Er erkennt meinen flehenden Gesichtsausdruck. Ich will es ihm nicht zeigen, aber ich habe Angst. Angst vor einer Panikattacke, weil ich so etwas nur zu gut kenne. Es ist die Hölle. Ich habe keine Lust zu glauben, dass ich heute Nacht sterben muss. Eigentlich wollte ich feiern und ein paar Cocktails trinken, um das neue Jahr angemessen zu beginnen.

Er wendet den Blick ab und starrt vor sich hin. Ich muss ein paar Sekunden warten, ehe er beginnt:

»Es war in einem Mietshaus in Paris, ein bisschen so wie dieses hier.«

Erst jetzt, da mein Herz wieder mit einer akzeptablen Frequenz klopft, stelle ich fest, dass er eine schöne Stimme hat. Ein wenig rau, aber nicht so, als hätte er zu viel geraucht. Sie klingt eher, als wäre eines seiner Stimmbänder leicht beschädigt.

»Als wir ankamen, schlugen Flammen aus einem Fenster. Draußen standen Menschen. Meine Kollegen kümmerten sich um sie. Alle waren in Panik. Wir sagten ihnen, sie sollten sich beruhigen und auf die Sanitäter warten.«

Ich hänge an seinen Lippen. Die ganze Szene spielt sich vor meinem inneren Auge ab.

»Diejenigen, die noch im Haus festsaßen, riefen um Hilfe und flehten uns an, sie zu retten«, fährt er fort. Seine Stimme klingt wie weit entfernt, wie in den Flammen verloren. »Einige schrien sogar, dass ihre Füße brennen würden.«

Instinktiv halte ich mir eine Hand vor den Mund. Er hatte recht – das will ich wirklich nicht hören. Um meine Schwäche nicht zuzugeben, beiße ich mir auf die Lippe und lasse ihn seine Geschichte fortsetzen.

»An einem der Fenster im dritten Stock brannte es noch nicht. Eine Familie wartete darauf, dass wir sie rausholten. Ein Mann, seine Frau und ihre ungefähr fünfzehnjährige Tochter. Ich habe keine Sekunde gezögert. Ich nahm die Schiebeleiter, ging in den Hof und kletterte an der Fassade hoch.«

»In den dritten Stock?«

»Jep. Die Leiter war ein Stück zu kurz, aber ich kletterte Stockwerk für Stockwerk nach oben. Als ich bei ihnen ankam, bat mich der Vater, seine Tochter mitzunehmen. Ich sah sofort, dass es nicht mehr lange dauern würde, das Feuer hatte sich bereits in den Raum gefressen. Es war unglaublich heiß … Ich habe der Kleinen gesagt, sie sollte sich an mir festklammern, und den Eltern befohlen, nacheinander gleich hinter uns runterzusteigen. Aber die Leiter reichte nicht bis ganz nach oben. Ich wusste, es würde zu lange dauern.«

Er zieht die Beine an und stützt die Ellenbogen auf die gespreizten Knie. Sein Blick ist auf seine Hände gerichtet, als suche er nach einer Antwort auf etwas. Vielleicht darauf, wie er sie alle hätte retten können.

»Ich hatte mit der Tochter gerade den ersten Stock erreicht und die Mutter den zweiten, als das Feuer in der dritten Etage voll ausbrach. Der Vater erkannte, dass er nicht mehr schnell genug hinunterklettern konnte.«

Er unterbricht sich. Der Rest macht mir Angst. Atemlos frage ich nach dem Ende: »Ist er verbrannt?«

»Nein. Er ist gesprungen, weil er hoffte, die untere Etage erreichen zu können. Aber er landete zerschmettert auf dem Bürgersteig. Vor den Augen seiner Familie.«

Ich reibe mir die Augen und mir wird plötzlich schlecht. Ich kann Menschen, die einen so furchtbaren Job ausüben, nur bewundern. Sicher, sie retten Leben. Allerdings sind sie auch Zeugen des Todes. Und zwar ständig. Das ist etwas, was ich nicht ertragen könnte.

»Haben Mutter und Tochter es geschafft?«

»Ja«, seufzt er und reibt sich den Hals. Er sieht müde aus. »Ich konnte sie rechtzeitig hinunterbringen und kümmerte mich darum, dass sie mit Sauerstoff versorgt wurden.«

»Eine schreckliche Geschichte.«

»Ich habe dich gewarnt.«

»Warum machst du das?«

Er runzelt die Stirn, ohne mich anzusehen. Schon seit dem ersten Moment fällt mir auf, dass er es vermeidet, meinem Blick zu begegnen. Was ich nicht verstehe. Oder vielleicht doch: Es bedeutet, dass ich immer noch halbtot aussehe. Und das finde ich alles andere als gut.

»Ich liebe meinen Job. Ich fühle mich gern nützlich.«

Was soll ich darauf antworten? Ich glaube, ich weiß, was er meint. Aber ich studiere Modedesign, also kann ich es wohl doch nicht wirklich verstehen. Menschen das Leben zu retten und BHs zu nähen ist nicht ganz dasselbe. Mein Vater ist allerdings Polizist. Und ich habe seine Beweggründe immer respektiert. Auch wenn es fürchterlich ist, sich ständig Gedanken machen zu müssen, ob er abends lebend zurückkommt. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen könnte.

»Ich glaube, ich würde doch lieber über was anderes reden. Zum Beispiel über Babypandas oder Lindsay Lohans letzten Entzug …«

Eine lange Stille folgt. Natürlich machen sich sofort meine Stresssymptome wieder bemerkbar. Sobald niemand mehr redet, fällt mir auf, dass die Kabine viel zu klein ist. Kein Fenster, keine Luftzufuhr, ich habe nicht mal Wasser dabei und – oh Gott – was, wenn ich aufs Klo muss? Ich nehme mir vor, in Zukunft immer eine Flasche dabei zu haben.

Völlig überraschend ist er es, der die Stille bricht:

»Wohnst du hier?«

»Ja.«

»Seit wann?«

»Seit drei Monaten. Letztes Jahr war ich im Studentenwohnheim, aber da hat es mir nicht gefallen, deshalb wollte ich für mein zweites Jahr eine eigene Wohnung mieten.«

»Allein?«

»Was soll die Frage? Bist du etwa ein Serienmörder?«

Er dreht sich zu mir um und betrachtet mich mit einem seltsamen Blick, den ich nicht definieren kann. Wenn ich nervös werde, antworte ich oft, ohne nachzudenken, rede zu schnell, sage einfach irgendwas. Das ist meine Art, mit der Situation umzugehen. Um nicht allein dem Stress ausgesetzt zu sein. Vielleicht auch, um unverblümt die Wahrheit sagen zu können. Nach dem langen Schweigen leide ich jedenfalls unter den Folgen.

Mein Nachbar spricht langsam, als ob er Angst hätte, eine negative Reaktion auszulösen:

»Du bist ein echt komisches Mädchen.«

»Oh danke.«

Ich lasse ein paar wertvolle Sekunden verstreichen, ehe ich antworte:

»Ja, ich wohne allein. Genau genommen mit Mistinguette, meinem Kaninchen. Sie ist ganz schön bissig, deshalb würde ich dir nicht unbedingt empfehlen, dich in meine Wohnung zu schleichen.«

»Warum sollte ich das tun?«, fragt er verwirrt.

»Ich weiß nicht genau, was Serienmörder normalerweise so tun; vielleicht um mich zu beobachten, während ich friedlich schlafe oder unter der Dusche stehe?«

Mein Fahrstuhlfreund beobachtet mich, ohne zu wissen, wie er reagieren soll. Offenbar schwankt er zwischen Grusel und Belustigung. Schließlich entdecke ich ein kleines Lächeln in seinem Mundwinkel – das erste! Er hat ein schönes Lächeln. Mit bezaubernden Grübchen, die meine Finger sofort gern verewigen würden.

»Denkst du manchmal nach, bevor du losquatschst?«

Ich werde rot vor Scham. Er ist nicht der Erste, der mich darauf aufmerksam macht. Aber es ist nicht meine Schuld, sondern ein Mechanismus, der automatisch einsetzt, wenn ich in Panik gerate. Reden hält mich davon ab, über die aktuelle Situation nachzudenken.

»Nicht, wenn ich unter Stress stehe. Bei meiner mündlichen Abiprüfung war ich so aufgeregt, dass ich es mitten in meinem Vortrag über Der große Gatsby für sinnvoll hielt, den Prüfern mitzuteilen, dass Charleston-Kleider ›wirklich sexy sind, auch wenn sie nicht gerade die Titten betonen‹. Ich glaube, da ist die zukünftige Designerin in mir zum Vorschein gekommen. Immerhin hab ich fünfzehn Punkte geschafft, auch wenn ich das Wort ›Titten‹ benutzt habe. Ziemlich gut, der Rest meiner Klasse ist unter vierzehn geblieben.«

Ich höre auf zu reden, um Luft zu holen und auch weil ich merke, dass ich wieder einmal meine Lebensgeschichte erzähle. Glücklicherweise sieht er mich nach wie vor mit diesem leichten Lächeln an. Kaum wahrnehmbar, gerade genug, dass man es erkennen kann.

»Wow«, murmelt er. »Ich hab zwar schon von Mädchen wie dir gehört, aber immer geglaubt, ihr wärt ein Gerücht.«

Ich verstehe nicht. Was soll dieses »Mädchen wie ich« heißen? Ich frage lieber nicht, was er damit meint, da ich fürchte, mich mal wieder lächerlich zu machen. Stattdessen ziehe ich die Knie bis unters Kinn an und denke an Zoé. Inzwischen hat sie mich angesichts der fortgeschrittenen Stunde sicher längst abgeschrieben. Ich frage mich, ob ich nicht lieber wieder nach Hause gehen sollte – über die Treppe, versteht sich. Schließlich habe ich noch eine Menge auszupacken. Ich hasse Umzugskartons.

»Dann wohnst du also auch hier«, sage ich, um das Thema zu wechseln.

»Ja, richtig. Nummer 122. Aber ich würde dir von dem Versuch abraten, mich nackt unter der Dusche zu beobachten.«

Mit der Wange auf den Knien wende ich ihm das Gesicht zu. Es überrascht mich, ihn Witze machen zu hören.

»Ich hab zwar kein Kaninchen, das auf den hübschen Namen Mistinguette hört, aber bei mir wohnt Lucie. Meine Freundin.«

Autsch. Er hat eine Freundin. Natürlich hat er eine. Was dachte ich denn? Ich spüre, wie ich dümmlich erröte. Ich hoffe, er hat das nicht absichtlich gesagt, um mir zu zeigen, dass er nicht an mir interessiert ist. Wie auch immer, ich finde es schade. Er ist nett und sieht gut aus, ist aber in einer Beziehung. Und Männer in Beziehungen sind für mich tabu. Grundsätzlich.

Peinlich berührt tue ich so, als hätte ich seine letzten beiden Wörter nicht gehört.

»Dann kann ich mir wohl demnächst sonntags Mehl von dir leihen. Freut mich, dich kennenzulernen. Wie heißt du?«

Ich strecke ihm unter meinen Knien hindurch die Hand entgegen und er schüttelt sie. Aber wie erwartet lässt er los, ehe ich den Kontakt genießen kann.

»Loan.«

Sofort habe ich Lust, den Namen laut zu wiederholen, um seinen Klang aus meinem Mund zu hören.

»Komischer Name.«

Loan zuckt die Schultern und ich ahne, dass ich nicht die Erste bin, die ihn darauf anspricht.

»Ich nehme an, meine Eltern wollten was Originelles.«

Ich lächle. Im folgenden stummen Moment frage ich mich, wie viele Loans es wohl auf der Welt gibt.

»Und du?«

Ich dachte schon, er würde mich nie fragen.

»Violette.«

»Warum Violette?«

Ich rümpfe die Nase und verziehe halb amüsiert, halb genervt das Gesicht. Sofort senkt er den Blick und schaut weg. Ich fühle mich wie Medusa.

»Weil ich in einem Veilchengarten gezeugt wurde. No comment«, füge ich hinzu, als er eine Augenbraue hebt. »Ich bemühe mich immer noch, diese Anekdote aus meinem Gedächtnis zu tilgen.«

Sein Lächeln im Mundwinkel taucht wieder auf. Es ist mehr, als mein Herz ertragen kann.

»Witzig«, murmelt er, während sein Grinsen wieder schwindet.

»Sich in einem Veilchengarten zu lieben?«

»Nein. Ich finde es lustig, weil du genau danach riechst.«

Endlich hebt er den Kopf und versenkt seine blauen Augen in meinen.

»Nach Veilchen.«

Wir fordern uns einen Moment lang mit Blicken heraus, gerade lang genug, dass meine Netzhaut zu prickeln beginnt, als die Kabine wieder gefährlich in Bewegung gerät. Ich reiße die Augen auf. Das Licht flackert. Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein …

In meiner Not greife ich nach seiner Hand. Ich hätte gedacht, er würde sie mir entziehen, aber überraschenderweise erwidert er meinen Händedruck. Ich will einen Witz machen, um den Rhythmus meines Herzens zu beruhigen, aber es geht nicht. Ich habe wirklich Angst. Das Licht hört auf zu flackern, der Aufzug beruhigt sich … und nimmt seine Fahrt wieder auf.

Loan und ich rühren uns nicht.

»Fährt er runter?«, flüstere ich ungläubig.

»Scheint so.«

Mein Nachbar richtet sich langsam auf und hilft mir, ebenfalls aufzustehen. Meine Hand hat er losgelassen. Aber dieses Mal hatte ich Zeit, die Wärme seiner Haut zu genießen.

»Erdgeschoss«, verkündet die weibliche Stimme in der Kabine. Kaum haben sich die Türen geöffnet, stürze ich auch schon nach draußen. Ich mache nicht einmal langsamer, um mich zu verabschieden oder ihn zu fragen, wohin er unterwegs ist – ich strebe mit großen Schritten zum Ausgang. Erst auf dem Bürgersteig fühle ich mich, als könnte ich wieder atmen. Ich kehre ins Leben zurück.

Ich lasse die Schultern sinken, schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. Die Abendluft ist kalt, frisch und köstlich. Ich lasse zu, dass sie in meine Wangen sticht, während meine Brust sich hebt und senkt, hebt und senkt …

»Geht es dir besser?«

Ich wende mich Loan zu, der den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Hals schließt. Er zieht die Schultern hoch und steckt die Hände in die Taschen. Unter der Jacke trägt er schwarze Jeans und ein weißes Hemd. Ich vermute, dass er ebenfalls zu einer Party unterwegs ist. Statt einer Antwort nicke ich nur.

»Ich fahre nie wieder mit diesem Aufzug.«

»Komisch, dass er sich ganz von allein wieder in Bewegung gesetzt hat. Morgen rufe ich mal die Hausverwaltung an und melde den Vorfall, damit sie sich drum kümmern.«

Ich nicke ein zweites Mal. Ich weiß immer noch nicht, ob ich wieder nach Hause gehen oder versuchen soll, die Mädels zu finden. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich vier verpasste Anrufe habe. Das Schlimmste daran ist, dass ich Zoé erzählen kann, was ich will – sie wird mir niemals glauben, dass ich im Aufzug meines Wohnhauses stecken geblieben bin.

»Gut. Bis irgendwann.«

Ich muss lächeln, weil seine Wangen in der Kälte rosig werden.

»Tschüs.«

Er geht als Erster. Irgendwann wende auch ich mich ab und setze mich in Bewegung, während ich meine Freundin anrufe. Kaum fünf Schritte später höre ich ein »Psst!«. Mit gerunzelter Stirn drehe ich mich um. Loan ist stehen geblieben und blickt mich an.

»Wenn du Möbel zusammenbauen musst oder Hilfe mit den Umzugskartons brauchst – du weißt ja, wo ich wohne. Natürlich auch, wenn dir Mehl fehlt.«

Ich nicke mechanisch.

»Vielen Dank.«

Er schenkt mir ein letztes Lächeln. Ein freundliches Lächeln, das ihm sofort Grübchen in die Wangen zaubert.

»Frohes neues Jahr, Violette-Veilchenduft.«

Er wartet nicht auf meine Reaktion und läuft von mir weg. Die Dunkelheit verschluckt ihn, als gehöre er zu ihr. Ich starre in die Schwärze, ohne mich zu rühren. Ein seltsames Gefühl schnürt mir die Brust zusammen.

Lucie, Lucie, Lucie, Lucie, Lucie, Lucie, Lucie.

Wie eine Symphonie. Ich muss schlucken. Er ist in einer Beziehung, und ich lasse die Finger von Männern, die schon vergeben sind. Es ist meine oberste Regel und ich habe nicht die Absicht, sie zu brechen, auch wenn er wirklich süß ist. Trotzdem … sich mit ihm anzufreunden wäre eigentlich nicht schlecht.

Erster Teil

Operation Spargel

1

Heute

Violette

Es regnet.

Klar, ich hätte es wissen müssen. Ich mag Regen, das ist nicht das Problem. Aber wenn ich mit dem Skizzenbuch unter dem Arm aus dem Kurs komme, nein, dann mag ich keinen Regen. Absolut nicht.

Ich renne nach Hause. Ich kann das Haus schon sehen und versuche immer noch, mich mit den Händen zu schützen – was natürlich nicht das Geringste nützt. Ich achte darauf, nicht auf der nassen Straße auszurutschen (das sähe mir ähnlich), und tippe hastig den Code ein. Die ganze Woche stand im Internet, dass es regnen würde, und die ganze Woche habe ich meinen Regenschirm mitgeschleppt. Aber an dem Tag, an dem es gutes Wetter geben sollte – ja, ratet mal!

Genau.

Endlich im Trockenen, wringe ich meine wirren blonden Haare aus, werfe dem Aufzug einen bösen Blick zu – reine Gewohnheit – und steige immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend die Treppe hinauf. Seit dem Abend, an dem ich Loan kennengelernt habe, habe ich nicht mehr den Aufzug genommen. Jedenfalls nicht allein. Zusammen mit ihm schon. Auch mit Zoé, selbst wenn ich dabei Todesängste ausstehe, was sie immer wieder auf die Palme bringt. Allerdings braucht es nicht viel, um sie auf die Palme zu bringen.

Wenn man vom Teufel spricht … als ich die Wohnung betrete, sitzt sie im T-Shirt und dicken Wollsocken da. Ihr Outfit für schlechte Tage. Wenigstens bin ich vorgewarnt. Mit leerem Blick sieht sie fern, zumindest nehme ich das an, denn sie zuckt nicht mal, als ich mit der Hand vor ihren Augen herumfuchtle.

»Zoé.«

»Lass mich«, knurrt sie. »Ich mag nicht.«

Ich ziehe die Schuhe aus und stelle sie neben die Wohnungstür, wobei ich einen – wie ich glaube – diskreten Blick auf die Snickers-Verpackungen werfe, die als deutliches Indiz auf dem Tisch liegen. Endlich reißt Zoé sich vom Fernseher los und bedenkt mich mit einem düsteren Blick, der nicht einmal Mistinguette Angst einjagen würde.

»Glaubst du, ich merke nicht, dass du mich verurteilst?«

»Kein Mensch verurteilt dich, Zoé. Höchstens demnächst dein Hintern. Schau nur, was du ihm zumutest, dem armen Kerl.«

»Du kannst mich mal.«

Sie greift nach der rosa Decke – die eigentlich mir gehört –, wickelt sich hinein und widmet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher. Ich gebe mich für diese Runde geschlagen und hole meine Stoffmuster unter meinem Bett hervor. So läuft es nun schon seit einigen Wochen: Kaum daheim, schon bei der Arbeit. Ich habe nicht nur eine letzte Hausaufgabe für mein Studium abzuliefern, sondern widme mich auch persönlichen Kreationen, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber ich will mich bestimmt nicht beklagen, denn dieser Arbeit gilt meine ganze Leidenschaft. Etwas aus dem Nichts zu erschaffen ist das schönste Gefühl der Welt.

Außer vielleicht aufgeregtes Herzklopfen, der sanfte Kontakt mit fremder Haut oder die Lust, wenn ein Mann und eine Frau sich lieben. Allerdings habe ich damit noch keine Erfahrung, also lasse ich das erst mal außen vor.

»Zoé«, rufe ich, als ich die leere Kekspackung auf dem Tisch entdecke. »Sag mir, dass du heute nicht nur Süßkram mit Schokoglasur in dich hineingestopft hast. Oder bist du auch auf Gemüse wütend?«

Als Antwort bekomme ich lediglich einen stolz über die Schulter gehaltenen Stinkefinger. Ich werfe die Packung in den Müll und setze mich an den großen Tisch hinter dem Sofa. Okay, es geht ihr heute nicht gut. Aber ist das ein Grund, meine Kekse zu essen?

Am Anfang habe ich allein in dieser Wohnung gewohnt (Mistinguette nicht mit eingerechnet). Dann zog Loan ein, nachdem Lucie ihn verlassen hatte – es lohnte sich nicht, zwei getrennte Wohnungen zu bezahlen, zwischen denen wir jeden Tag ständig hin und her liefen. Kurz darauf behauptete Zoé, ihre Mutter zu hassen, und kam dazu, obwohl die Wohnung nur zwei Schlafzimmer hat.

Nun teilen Zoé und ich uns eines der Schlafzimmer – allerdings ist sie nicht oft zu Hause –, und Loan belegt das zweite. Wenn Zoé Besuch mitbringt, flüchte ich in das Bett meines besten Freundes.

Es ist toll, wenn Zoé Übernachtungsbesuch hat.

Ich will von ihr wissen, ob sie bei ihrer letzten Hausaufgabe Fortschritte gemacht hat, aber wie erwartet ignoriert sie mich. Ich hake nach:

»Zoé, es ist nur zu deinem Besten. Selbst ich quäle mich damit herum, obwohl ich längst angefangen habe.«

»Weil du ungeübt bist, Süße«, antwortet sie, ohne sich zu rühren.

Ich verdrehe die Augen. Seit ich Zoé so gut wie täglich behaupten höre, sie repräsentiere die Zukunft der Mode, hatte ich ausreichend Zeit, mich richtig zu informieren. Aber ich mache mir keine Sorgen, denn Zoé konzentriert sich auf Kaschmirmäntel und Satinkleider für die Catwalks, während ich von Retro-Negligés aus Seide und Bodys aus französischer Spitze träume.

»Ich hab dich gewarnt«, sage ich. Sie kann mir nicht die Laune verderben.

»Ja, ja. Danke Mami.«

Eines muss man über Zoé wissen: Sie ist ein ganz wunderbarer Mensch.

Außer es geht ihr nicht gut.

Dann ist es mit ihr die Hölle. Aber so ist sie nun mal, und ich glaube nicht, dass ich sie ändern würde, selbst wenn ich könnte. In anderen Situationen ist sie nämlich absolut großartig. Loan begreift übrigens nicht, wie zwei derart unterschiedliche Mädchen beste Freundinnen sein können, aber ich weiß auch nicht, wie ich es ihm erklären soll.

Ich schalte meine Nähmaschine ein und mache mit dem Projekt weiter, das ich vor einer Woche angefangen habe: ein Unterhemd aus leuchtend roter, bestickter Seide.

»Hast du was von Loan gehört?«

Zoé stellt die Frage, ohne mich anzusehen. Ich nutze die Gelegenheit, um klammheimlich nach einem Snickers zu greifen, das das Gemetzel überlebt hat. Indem ich etwas lauter spreche, übertöne ich das Rascheln der Verpackung. In medizinischen Krisensituationen – besser ausgedrückt: bei Menstruationsproblemen – hasst Zoé es, wenn man sich an ihren Süßigkeiten vergreift, die in Wirklichkeit mir gehören. Aber egal.

»Nein, seit seiner Abreise hatten wir keinen Kontakt. Aber ich weiß, dass sie am Samstag zurückkommen.«

Jason und Loan sind im Urlaub. Jawohl, es gibt Menschen, die haben mehr Glück als Verstand.

Endlich wendet Zoé mir das Gesicht zu und schaut mich überrascht an. Ich halte abrupt inne, weil ich gerade im Begriff war, mir das Corpus Delicti in den Mund zu stecken, aber sie scheint es nicht einmal zu merken. Vorsichtshalber bewege ich mich immer noch nicht, weil ich nicht recht weiß, ob ich die Bewegung zu Ende bringen oder das Snickers ganz langsam wieder auf den Tisch legen soll.

»Wie kann das sein?«

»Wie meinst du das?«

»Du hast tatsächlich seit anderthalb Wochen nicht mit Loan gesprochen?« Ihr Ton verrät Misstrauen.

Ich ärgere mich, weil sie offenbar glaubt, dass ich ohne ihn nicht leben kann, kneife die Augen zusammen und vertilge den Schokoriegel ohne weitere Skrupel. Aber meine kindische Rache verpufft, weil ich feststelle, dass sie gar nicht hinschaut.

»Richtig.«

»Und du lebst noch?«

»Warte kurz«, murmle ich, reiße die Augen auf und taste jeden Teil meines Körpers ab. »Ja! Ja, ich lebe!«

»Ich frag mich wie.«

Ohne weiteren Kommentar wendet sie sich wieder ab und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich nähe das letzte Stück Spitze an und erkläre ganz ruhig:

»Loan und ich müssen nicht ständig schreiben, um zu wissen, dass wir aneinander denken. Außerdem kommt er bald zurück. Es gibt also keinen Grund, ihm auch aus der Ferne auf die Pelle zu rücken, wenn wir uns sonst ohnehin jeden Tag sehen. Schließlich sind wir nicht zusammen.«

»Tja, ihr zwei seid ganz schön undurchsichtig.«

Ich atme tief durch und zwinge mich zu lächeln, obwohl ich allmählich sauer werde.

Schließlich springe ich auf, gehe zur Tür und lasse meine Arbeit einfach liegen. Zoé will wissen, was ich vorhabe. Während ich meine Schuhe anziehe, antworte ich, dass ich etwas essen gehe, weil nichts mehr im Kühlschrank ist. Ich sehe ihr an, dass sie mich bitten will, ihr etwas mitzubringen, und mache, dass ich wegkomme.

Und natürlich – kaum habe ich die Tür zugeschlagen, merke ich, dass ich schon wieder meinen Regenschirm vergessen habe. Egal! Wenn ich mal einen Tapetenwechsel brauche oder in Ruhe lernen will, gehe ich gern in das vegane Restaurant an der Ecke. Ich bin weder Vegetarierin noch Veganerin – zwar muss ich schon an Mistinguette denken, wenn ich eine Kaninchenkeule esse, aber ich mag Fleisch zu gern, um mich deswegen schuldig zu fühlen. Es war Zoé, die mich eines Tages während ihrer Hipster-Phase dorthin mitschleppte.

In letzter Zeit bin ich ständig dort. Kleine Anekdote am Rande: Seit Kurzem sehe ich dort einen Typen, immer denselben, der dreimal in der Woche allein mit seinem Laptop an einem Tisch sitzt. Als sich unsere Blicke das erste Mal trafen, hat er mir zugelächelt. Beim zweiten Mal tat ich es. Seitdem spielen wir eine Art Pingpong, das anscheinend nie an Schwung verliert.

Heute bin ich mit Lächeln dran.

Als ich die Tür des Restaurants aufstoße, bin ich nass bis auf die Haut. Ich mache mir nicht allzu viele Gedanken über mein Aussehen und widerstehe dem Drang, mich nach ihm umzuschauen. Während ich mir eine feuchte Strähne hinters Ohr schiebe, gehe ich zu einem freien Tisch. Kaum habe ich mich hingesetzt, als meine Augen auch schon seinem stahlgrauen Blick begegnen. Noch ehe einer von uns wirklich darüber nachdenkt, lächeln wir uns gleichzeitig an. Ich senke den Kopf, unterdrücke ein Lachen und sehe, wie er das Gleiche tut.

Mein mysteriöser Fremder hat einen sanft gebräunten Teint und leicht struppiges blondes Haar. In seinem Abercrombie-Shirt und Jeans mit Filzstiefeln von Toms sieht er brav, aber sexy aus. Für ihn spricht, dass er sich gut anzieht. Weniger gut finde ich, dass er aussieht, als hätte er Geld. Ich hoffe nur, dass es nicht so viel ist, dass er sich was darauf einbildet.

Eine Kellnerin kommt und fragt mich höflich lächelnd, was ich möchte.

»Dass dieser junge Mann sich endlich entschließt, mich anzusprechen!«, ruft meine innere Stimme.

»Ich hätte gern Seitan à la Chicken Tikka. Kalt.«

»Sehr gern. Kommt sofort.«

Ich lege meinen Schal ab, ohne zu merken, dass Monsieur Filzstiefel aufgestanden ist. Ich erstarre und weiß nicht, was ich tun soll. Mist, ich habe nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich rüberkommt. Ich räuspere mich und warte, bis er neben mir steht, ehe ich den Blick hebe.

»Hi.«

»Hi.«

Schweigend starren wir uns an und wissen offenbar beide nicht, was wir weiter sagen sollen. Unbehaglich verziehe ich das Gesicht und bemühe mich, eine Fortsetzung für das Gespräch zu finden. Darin bin ich normalerweise ziemlich gut. Zum Glück kommt er mir zuvor. Er setzt eine betrübte Miene auf:

»Ehrlich gesagt weiß ich jetzt nicht genau, wie ich weitermachen soll. Ich habe nicht darüber nachgedacht, bevor ich aufgestanden bin … In Filmen sieht es immer viel einfacher aus.«

Ich muss lachen.

»Aber jedes Mal, wenn du reinkommst«, fährt er fort, »sage ich mir, dass dies der Tag sein muss, an dem ich dich anspreche. Und jedes Mal kneife ich dann doch wie ein Feigling. Nur heute nicht … Also tu bitte so, als hätte ich etwas sehr Intelligentes gesagt.«

Ich hebe eine Augenbraue. Er ist mir eindeutig auf Anhieb sympathisch. Schon lange ist mir kein süßer Typ mehr begegnet, der sowohl ein sanftes Lächeln als auch einen lässigen Humor und ein ausgeprägtes Modebewusstsein hat. Als ich sehe, dass mein Schweigen ihn in Verlegenheit bringt, erlöse ich ihn und erkläre ironisch:

»Wow, mit so viel Witz hat mich noch niemand angegraben!«

Er kneift die Augen zusammen, kräuselt die Nase und senkt resigniert den Kopf. Daraufhin muss ich noch mehr lachen. Just in diesem Moment kommt die Kellnerin mit meinem Essen.

»Bitte sehr!«

»Vielen Dank.«

Mit einem weiteren freundlichen Lächeln verschwindet sie. Ich beschließe, die Tortur von Monsieur Filzstiefel zu verkürzen und halte ihm die Hand hin. Erstaunt hebt er den Kopf. Eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht.

»Violette.«

Er greift nach meiner Hand. Seine Haut ist kalt, aber ich schrecke nicht zurück. Sein Handschlag ist fest. Entschlossen.

»Clément.«

»Schön, dich kennenzulernen.«

»Ich möchte dich nicht beim Essen stören …«

»Du störst mich nicht«, beruhige ich ihn abwinkend. »Wenn du willst, kannst du dich zu mir setzen. Aber ich warne dich: Ich rede ziemlich viel.«

Er verzieht das Gesicht, als zögere er, sich so in die Bredouille zu bringen.

»Ähm. Wie viel genau?«

»Viel zu viel.«

Sein Mund verzieht sich langsam zu einem hinreißenden Lächeln. Er nickt.

»An diesem Punkt wäre es unhöflich, abzulehnen.«

Er dreht sich um, legt einen Geldschein auf seinen Tisch und kommt mit seinem MacBook Pro in der einen und seiner Jacke in der anderen Hand zurück. Ich bemühe mich, meine Unsicherheit zu verbergen, und fange an zu essen. In Gegenwart eines Jungen, der mir gefällt, bin ich immer ein wenig nervös, oder zumindest ziemlich vorsichtig. Erste Dates machen mir Angst. Sobald ich jemandem vertraue, lässt meine Anspannung jedoch nach – zum Guten wie zum Schlechten.

»Darf ich dir eine Frage stellen?«

»Bin ich verpflichtet, ehrlich zu antworten?«

Für wenige Sekunden scheint er verwirrt.

»Na ja … wie du willst. Aber wenn man eine Frage stellt, erwartet man doch eigentlich eine ehrliche Antwort, oder?«

»Nein. Das glauben wir zwar alle, aber ganz oft wäre uns eine gute alte Lüge vielleicht lieber.«

Er schaut mich lange an und weiß offenbar nicht, was er darauf entgegnen soll. Wieder einmal habe ich losgequatscht, ohne vorher nachzudenken. Wieso sollte ihn meine Küchenphilosophie interessieren?

»Los, stell deine Frage. Ich antworte auch ehrlich«, füge ich lächelnd hinzu.

Monsieur Filzstiefel hat sich innerhalb von zwei Sekunden wieder unter Kontrolle und mustert mich nachdenklich.

»Warum bist du immer allein, wenn ich dich hier sehe?«

Oh. Okay. Er bewertet die Ware. Vermutlich versucht er sich zu vergewissern, dass ich nicht asozial bin. Oder so was in der Art. Ich esse einen Happen von meinem Teller und antworte:

»Ich flüchte hierher, wenn ich allein sein möchte. Wir leben zu dritt in der Wohnung, da wird es schnell mal eng.«

»Große Familie, wie?«

Ich brauche eine Weile, um zu kapieren, was er meint.

»Oh, nein, ich bin Einzelkind! Mein Vater wohnt im Jura, aber vor zwei Jahren bin ich zum Studium nach Paris gekommen. Ich wohne mit meinen beiden BFFs zusammen.«

Sein verschmitztes Lächeln kehrt zurück. Seine perfekt ausgerichteten weißen Zähne blenden mich fast. Mit amüsiertem Blick stützt er die Unterarme auf den Tisch und verschränkt die Hände.

»Oh ja, ich verstehe. Drei Mädchen in einer Wohnung … Darf ich ein bisschen fantasieren?«, scherzt er grinsend.

Ich öffne den Mund, um ihm zu widersprechen, schließe ihn aber sofort wieder. Stattdessen schenke ich ihm ein gezwungenes Lächeln. Ich muss ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, dass Loan weder Brüste noch Vagina hat. Oder dass ich manchmal seine Zahnbürste benutze. Oder dass wir häufig im selben Bett schlafen. Ich will ihn nicht von Anfang an abschrecken, denn ich weiß, dass unsere Beziehung für meinen Exfreund Émilien ein echtes Problem darstellte.

»Sicher darfst du. Aber um das gleich klarzustellen: Nein, wir machen keine Kissenschlachten im Slip.«

Clément bricht in aufrichtiges Gelächter aus, das mich überrumpelt. Endlich fühle ich mich wohler.

»Mist, dabei hätte ich so gern mitgemacht!«

»Und du, was hast du ständig mit deinem Computer zu schaffen? Du scheinst dich ja nie davon zu trennen.«

Er seufzt sichtlich müde.

»Lernen, lernen, lernen, auch wenn Twitter nie weit weg ist …«

»Was studierst du denn?«, erkundige ich mich, während ich weiteresse.

»Ich bin an der Handelshochschule«, vertraut er mir grinsend an. »Trotzdem bin ich nicht langweilig, ganz ehrlich.«

Ich lächle ein wenig angespannt. Ehrlich gesagt hätte ich es mir denken können. Zwar steht auf seiner Stirn nicht »ZUKÜNFTIGER BÖRSENMAKLER«, aber Clément riecht zehn Meilen gegen den Wind nach BWL.

»Die Crème de la Crème«, murmle ich vor mich hin.

»Unter anderem. Und du? Warte, lass mich raten … Philosophische Fakultät?«

»Knapp daneben. Ich studiere Modedesign.«

Unwillkürlich hoffe ich, dass er mich nicht für ausgeflippt hält. Das ist nämlich oft die erste Reaktion, wenn man erklärt, dass man in die Modebranche einsteigen will. Bis auf wenige Ausnahmen antworten dann alle: »Aha. Ach ja. Mode also.« Was übersetzt bedeutet: »Wieder mal eine, die für lau zu Modenschauen eingeladen werden will und lieber Champagner trinkt als zu arbeiten.« Aber das hat nichts zu sagen. Immerhin habe ich ein sehr gutes Abi.

»Eigentlich hätte ich es mir denken können«, sagt Clément lächelnd und lässt einen anerkennenden Blick über mein Outfit gleiten.

Ich lächle breit und erröte bis unter die Haarwurzeln. Mir gefällt, dass es so einfach ist, mit ihm zu reden. Ich esse weiter, während er mich ansieht. Ich erwarte, dass er noch etwas hinzufügt, aber das tut er nicht. Der intensive Blick seiner grauen Augen ist mir ein wenig peinlich.

»Könntest du vielleicht kurz was anderes machen?«, flüstere ich ihm zu.

»Warum?«

»Du schaust mir beim Essen zu.«

»Und?«

»Es ist mir unangenehm. Das ist der erste Grund. Der zweite ist, dass ich extrem tollpatschig bin. Besonders, wenn ich unter Druck stehe. Wenn du mich also weiter so ansiehst, geht es hier bald deutlich weniger glamourös zu.«

Er betrachtet mich mit echtem Erstaunen und scheint nicht recht zu wissen, ob ich scherze oder ob ich es ernst meine. Ich schiebe nach:

»Ernsthaft.«

»Oh. Okay.«

Als ich sehe, wie er gehorsam auf seine Hände hinabblickt, presse ich die Lippen zusammen. Er tut mir leid.

»Entschuldige. Starr mich nur bitte nicht so an. Das ist gruselig.«

Ich lächle ihm zu, um ihm zu zeigen, dass ich die Stimmung nicht ruinieren wollte. Er lächelt zurück.

»Schon gut, kein Problem. Ich habe nur nachgedacht.«

»Wie du jetzt aus dieser grotesken Situation herauskommst?«

Er lacht leise und blickt mir erneut tief in die Augen. Diese Durchsichtigkeit seiner erstaunlichen Iris … Klarer als Aquamarin. Wie bewegtes Wasser. Unwillkürlich frage ich mich, ob Clément ein stiller, ruhiger Teich ist, ein einladender, aber unberechenbarer Fluss oder ein mächtiger und gefährlicher Tsunami.

»Nein, darüber, wie ich dich auf ein Date einladen soll. Du bist zwar ein bisschen flippig, aber sehr hübsch«, scherzt er mit einem unwiderstehlichen Augenzwinkern. »Das zählt schließlich auch.«

Ich schlucke. Mein Gesicht bleibt sehr ruhig. Innerlich kann ich dagegen für nichts mehr garantieren. Mein Gehirn heizt sich auf wie eine Turbine und mein Herz pocht ein Remake von Un,dos,tres mit Schlagzeugbegleitung. Kurz gesagt, ich bin sehr froh, dass er mich wiedersehen will. Ich hätte zwar einen Haufen lustiger Antworten auf Lager, aber ich benutze sie lieber nicht. Männer mögen oft keine witzigen oder gar originellen Frauen. Ich glaube, so was macht ihnen Angst.

»Denk aber nicht zu lange nach, sonst überlegst du es dir vielleicht anders.«

Er wirft einen Blick auf seine auffällige Uhr.

»Ich muss jetzt leider weg. Ich gehe heute Abend mit ein paar Freunden zu einem Konzert. Aber ich würde dich wirklich gerne wiedersehen.«

Bei diesen Worten überschwemmt mich eine Hitzewelle. Ich bin froh, dass ich noch an die frische Luft gegangen bin.

»Ich würde mich freuen.«

Ein siegreiches Lächeln erhellt sein Engelsgesicht.

»Großartig.«

Clément zückt sein Telefon und ich gebe ihm meine Nummer; so einfach ist das. Schließlich steht er auf, zieht seine Jacke an und packt seinen Computer in die Tasche.

»Danke, Violette«, sagt er und betrachtet mich ein letztes Mal. »Heute war bei Weitem mein bester Lernabend seit Wochen.«

Ich winke mit falscher Bescheidenheit ab. Sein durchdringender Blick ist mir ein bisschen peinlich. Als würde er versuchen, mir etwas klarzumachen. Etwas, das zu subtil ist, als dass ich es verstehen könnte.

»Gern geschehen. Menschen zu helfen ist meine große Leidenschaft. Mir liegen die zukünftigen, zu Tode gelangweilten Chefs von BCBG sehr am Herzen.«

Er schüttelt den Kopf und hebt eine Augenbraue.

»Zu Tode gelangweilt?«

»Tu nicht so, als wäre dein Studium der Knaller – ich würde dir nicht glauben. Prozentsätze und Distributionspolitik haben absolut nichts Sinnliches. Es gibt orgiastischere Jobs – nicht wahr?«

Erst als ich seine Augen funkeln sehe, wird mir klar, was ich da gerade gesagt habe. Klar doch, Violette, tu dir bloß keinen Zwang an – benutze Worte wie »sinnlich« oder »orgiastisch« in jedem Satz! So kapiert er es bestimmt.

Ich fange mich sofort wieder:

»Ich meine, es muss doch sterbenslangweilig sein …«

»Ich gebe zu, dass ich mir durchaus ›orgiastischere‹ Dinge vorstellen kann.«

Na toll. Aber ich bin selbst schuld. Ich schlage die Augen nieder und bete darum, im Boden zu versinken oder mit dem Holz des Stuhls zu verschmelzen. Der Stuhl zu werden.

Als ich mich Clément wieder zuwende, sehe ich, dass er sich das Lachen verbeißt. Plötzlich sieht er ganz anders aus als der verlegene Junge, der nicht wusste, wie er mich ansprechen sollte. Er wirkt viel entspannter und selbstbewusster. Das gefällt mir.

»Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen«, sagt er schließlich.

Ich sehe ihm nach und lasse vor Erleichterung die Schultern sinken. Plötzlich bleibt er stehen, zögert eine Nanosekunde und kommt zu mir zurück. Ich blicke ihn fragend an. Er reicht mir seinen Regenschirm.

»Den wirst du brauchen, glaube ich.«

Ich greife verständnislos danach und will schon ablehnen.

»Ich …«

»Nimm ihn. So bist du gezwungen, dich mit mir zu verabreden.«

Ich lächle und nicke amüsiert.

»Gut möglich. Oder ich behalte ihn und du siehst ihn nie wieder.«

Er verzieht den Mund zu einem Schmollen und entfernt sich rückwärts. Schließlich hebt er eine Schulter.

»Falls es wirklich so weit kommt, macht es auch nichts. Es ist nicht mein Lieblingsschirm.«

Als ich nach Hause komme, grinse ich breit vor mich hin. Nachdem Clément gegangen war, bin ich noch eine Weile im Restaurant geblieben und habe mir einen Nachtisch genehmigt. Mal sehen, wo diese Sache hinführt …

»Willst du mich verarschen? Ich hab die ganze Zeit versucht dich zu erreichen.«

Zoés vernichtende Vorwürfe reißen mich aus meiner Träumerei. Sie sitzt immer noch am selben Platz und wirft einen giftigen Blick auf mein Handy, das ich in der Hand halte. Keine Ahnung warum, aber ich fühle mich wie auf frischer Tat ertappt, und das irritiert mich.

»Ich war essen und habe mich mit jemandem unterhalten. Deshalb habe ich nicht darauf geachtet …«

»Das habe ich gemerkt, danke auch. Ich wollte, dass du mir was mitbringst.«

Jetzt reicht es mir. Ich lege mein Handy härter als nötig auf den Couchtisch und stemme die Hände in die Hüften.

»Also wirklich, Zoé, langsam nervst du. Wir alle haben einmal im Monat unsere Tage und leben trotzdem weiter, ohne die ganze Welt gegen uns aufzubringen oder zwei Kilo zuzunehmen. Du musst dich eben damit abfinden.«

Mein Ton ist kühl und Zoé spürt, dass das Maß voll ist. Himmel, fühlt sich das gut an! Meine beste Freundin wirft mir einen finsteren Blick zu, antwortet aber nicht. Sie weiß, dass ich eigentlich ein freundlicher Mensch bin, solange man es nicht übertreibt. Genau genommen spielt sie die Nervensäge nur, bis man etwas sagt, was echt ärgerlich sein kann.

Schließlich meckert sie doch noch:

»Aber du hast das letzte Snickers gegessen.«

Ich verdrehe die Augen und setze mich auf die Couchlehne, um sie in den Arm zu nehmen. Wenn es Zoé nicht gut geht, ist sie wie ich, wenn ich betrunken bin … Ich schaue sie an. Und zum ersten Mal seit ich aus der Uni zurück bin, merke ich, dass etwas nicht stimmt. Sie sieht wirklich völlig fertig aus. Ich vermute sofort, dass ihr älterer Bruder sie angerufen und um Geld angebettelt hat. Wieder einmal.

»Du solltest dich freuen, dass ich es aufgegessen habe«, sage ich sanft. »Dein Hintern wird es mir ewig danken.«

Sie schnieft in ein Taschentuch, legt den Kopf an meinen Bauch und nickt weise.

»Im Gegensatz zu deinem.«

Wo sie recht hat … Ich werfe einen schrägen Blick auf meinen Po. Um den kümmere ich mich später.

»So funktioniert wahre Freundschaft eben – manchmal muss man Opfer bringen.«

Sie zieht mich fester an sich.

Erst als ich die Worte ausspreche, stelle ich fest, wie wahr sie sind.

2

Heute

Violette

Clément: Was machst du gerade?

Ich: Ich arbeite an meinen Kreationen.

Clément: Ah cool! Kleider?

Ich: Diese leicht sexistische Bemerkung ignoriere ich mal, okay?;) Nein, keine Kleider.

Clément: Autsch! Das war keine Absicht. Hosen?

Ich: Netter Versuch. Nein. Damenunterwäsche.

Clément: Afkdjkolkfen? djk! lmedfc!!!!! Das MUSS ich sehen.

Ich lache laut auf, als ich seine Nachricht lese. Nach fünf Tagen, an denen wir uns fast täglich getroffen haben, schulde ich ihm die Wahrheit. Allerdings glaubt er immer noch, dass ich mit zwei Mädchen zusammenwohne. Das sollte ich besser bald klären. Ich mag ihn nämlich. Sehr sogar. Nach unserem ersten Treffen im Restaurant hat er nicht etwa wegen eines dämlichen Männer-Prinzips drei Tage gewartet, ehe er mich kontaktiert hat, sondern gerade mal eine Stunde. Eine Stunde! Deshalb musste ich Zoé erzählen, was im Restaurant passiert war.

Natürlich stellte sie mir jede Menge Fragen, die nicht unbedingt alle hilfreich waren, und gab mir am Ende Flirttipps, um die ich sie weiß Gott nicht gebeten hatte. Wie auch immer. Jedenfalls habe ich festgestellt, dass man in fünf Tagen ziemlich viel über jemanden erfahren kann.

Ich weiß zum Beispiel, dass er einen Bachelor am Institut Supérieur du Commerce in Paris macht, dass er ebenfalls mit zwei Freunden (einem Holländer und einem Deutschen) zusammenwohnt, dass sein Vater ihm viel Druck macht und dass er Sport liebt; Tennis spielt er sogar auf einem Listenplatz. Oh, und dass er wirklich süß ist. Das ist immer noch die Hauptsache.

Diese Woche verbringe ich den Samstagabend allein in meinem Zimmer. Ich nähe das vor einiger Zeit begonnene rote Seidenunterhemd fertig, während Zoé das Abendessen vorbereitet.

»Scheiße«, knurre ich, als ich mir mit der Nadel in den Finger steche.

Ich lecke den Blutstropfen ab, der sich auf meiner Haut gebildet hat und breite meine Abschlussarbeit auf meinem Bett aus. Ich lächle, denn ich bin stolz auf mich. Es ist genau so geworden, wie ich es mir vorgestellt hatte – so gewagt und sexy, dass ich es am liebsten behalten würde.

Sorgfältig hänge ich es auf einen Bügel in meinen Schrank, neben zwei Bodys, ein Mieder mit Strapsen, ein Negligé und einen Kimono. Ich habe noch viel Arbeit vor mir, um das zu erreichen, was ich will: einen Praktikumsplatz bei der Dessousfirma Millesia. Das ist mein wichtigstes Ziel und dafür lege ich mich ins Zeug.

Gähnend ziehe ich mich aus und streife mir die Baumwollshorts und das ausgeleierte Tanktop über, in denen ich schlafe. Als ich mein Haar zu einem lockeren Dutt hochbinde, höre ich das Geräusch eines Schlüssels im Schloss. Ich halte in der Bewegung inne und warte, bis ich ganz sicher bin.

Die Wohnungstür fällt ins Schloss. Loan!

Ich eile aus dem Zimmer und renne barfuß durch den Flur. Als ich ihn sehe, kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen; er ist wieder da, hat eine riesige Tasche über der Schulter, trägt ein T-Shirt und hat klatschnasses Haar. Jason ist auch mitgekommen, steht neben ihm und beschwert sich über das Wetter.

»Ich hab dir ja gesagt, wir hätten dort bleiben sollen.«

Als würde er meine Anwesenheit spüren, hebt Loan den Kopf und wendet mir seinen Blick zu. Er hat gerade noch Zeit, seine Tasche abzusetzen und kurz zu lächeln, als ich ihn auch schon anspringe. Er zieht mich an sich. Seine Hände streicheln meinen Rücken und seine Nase steckt in meinem Haar. Erst jetzt wird mir klar, wie sehr ich ihn vermisst habe.

»Du hast recht, du wärst besser dort geblieben«, sagt Zoé zu Jason.

Loan und ich bleiben einige Sekunden ineinander verhakt. Meine Arme liegen um seinem Hals und meine Beine umklammern seine Taille, als wäre ich ein Äffchen.

»Du hast mir gefehlt«, flüstere ich ihm zu.

»Du mir auch, Violette-Veilchenduft.«

Ich lächle mit geschlossenen Augen an seinem Hals.

»Ach ja, Zoé … Ich hatte dich gar nicht gesehen«, spottet Jason und setzt sich auf die Couch. »Immer noch in der Nähe des Kühlschranks, wie ich sehe.«

Ich verdrehe die Augen. Sie fangen schon wieder an! Dazu muss man eins wissen: Die beiden können sich nicht ausstehen. Aber so was von! Jason ist Loans bester Freund. Sie kennen sich seit der Schulzeit. Aber von dem Augenblick an, als er ihn uns vorstellte, haben er und Zoé sich gehasst, und zwar völlig grundlos.

»Lässt du mich mal los?«, flüstert Loan mir ins Ohr.

Ich schüttle den Kopf wie ein Kind und schnüffle an seinem T-Shirt. Es riecht nach Regen. Ich liebe den Duft von Regen.

»Na gut.«

Tatsächlich lockere ich meine Umarmung nicht; ich habe ihm so viel zu erzählen! Ohne ihn ist das Leben viel weniger schön. Okay, Zoé hat recht, von außen betrachtet wirkt das alles ziemlich undurchsichtig. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass mein Vater es nicht verstehen würde, wenn er sehen würde, wie wir miteinander umgehen. Aber er gehört einer anderen Generation an! Leute in unserem Alter haben andere und engere Beziehungen zwischen Mann und Frau als es früher der Fall war. Bei Loan und mir ist es so. Uns verbindet eine extrem enge Freundschaft, was aber nichts zu bedeuten hat.

Loan bückt sich, hebt seine Tasche auf und schleppt uns in sein Zimmer. Im Flur höre ich Jasons Stimme, die jetzt viel weniger aggressiv klingt:

»Okay, es war nicht nett, das zu sagen … Entschuldige bitte … und jetzt leg das Messer hin … gut so …«

Mein bester Freund stößt die Tür zu seinem Zimmer mit dem Fuß auf und wirft mich aufs Bett wie einen Kartoffelsack. Ich lasse ihn los und lande auf der weichen grauen Bettdecke.

»Du bist ein wahrer Gentleman, vielen Dank.«

Er kreuzt die Knöchel zu einem ironischen Hofknicks, der mich zum Lächeln bringt. Dann geht er in die Hocke und öffnet seine Tasche. Ich mache es mir im Schneidersitz auf dem Bett bequem, als eine kleine weißflauschige Kugel an der Türschwelle auftaucht.

»Ja, wen haben wir denn da?«, ruft Loan und streckt die Hand aus.

Mistinguette hoppelt auf ihn zu und wackelt mit der Nase, wie sie es gern tut. Kleine Schleimerin! Ich verdrehe die Augen. Loan nimmt sie in eine Hand, schmiegt sie an seine Brust und streichelt sie. Ich schaue mit viel Zärtlichkeit, aber auch ein wenig gereizt zu.

»Na toll, jetzt bist du zurück und sie will wieder nichts mehr von mir wissen.«

So ist es immer. Diese Mistinguette weiß, wie man gut lebt. Wenn Loan zu Hause ist, bin ich Luft für sie. Aber sobald er geht, werde ich wieder zu ihrem lieben Gott.

Loan zwinkert mir auf seine unnachahmliche Art zu – ohne zu lächeln. Man muss wissen, dass er nur selten lächelt, ebenso wie er immer sehr leise spricht, was es schwierig macht, ihn zu durchschauen. Gerade zu Beginn unserer Freundschaft hat mich diese Tatsache oft verwirrt, weil ich nie wusste, was er dachte und ob er mich mochte oder nicht. Tatsächlich ist es so, dass sein Gesichtsausdruck nur selten seine Gefühle enthüllt. Andererseits muss man ihm nur in die Augen schauen, um zu wissen, was er denkt.

»Alle weiblichen Wesen stehen auf meine Zärtlichkeiten. Ich kann nichts dafür.«

Ich muss lächeln und frage ihn endlich, wie sein Urlaub war. Er hebt eine Schulter und schmust weiter mit Mistinguette.

»Sehr erholsam. Zumindest dann, wenn Jason nicht versucht hat, mich in Stripclubs zu schleppen.«

»Das konnte dir natürlich nicht erspart bleiben.«

»Ich habe mich so gut wie möglich gewehrt«, verteidigt er sich.

»Ja natürlich! Hast du wenigstens darauf geachtet, dass er niemanden schwängert?«

Er lacht auf, was mich auch nach einem Jahr noch überrascht. Sein Lachen ist irgendwie immer wie ein Wunder. Jedenfalls erwärmt es jedes Mal mein Herz.

»Ich muss gestehen, dass ich ihn mehrmals allein gelassen habe … Und du? Alles okay, während ich weg war?«

Ich verdrehe die Augen und wälze mich auf den Bauch.

»Eigentlich lautet deine Frage: ›Und du? Hast du nichts abgefackelt, während ich weg war? Fehlt dir auch kein Lungenflügel?‹«

Seine Wange erbebt und kündigt ein weiteres Lachen innerhalb von weniger als drei Minuten an. Das wäre ein echter Glücksfall! Doch leider hält er sich zurück und begnügt sich mit einem amüsierten Grinsen.

»Entschuldige, aber ich kenne dich, Violette. Du bist meine persönliche kleine Dyspraxie«, fügt er mit einem Ausdruck hinzu, der mich offenbar beschwichtigen soll.

Ich werfe ihm einen giftigen Blick zu. Ich hasse es, wenn er mich damit aufzieht. Okay, ich bin ein bisschen ungeschickt, aber es ist nichts Pathologisches. Zumindest hoffe ich das. Vielleicht sollte ich demnächst mal meinen Hausarzt anrufen …

»Vielleicht bin ich ein bisschen tollpatschig, aber keinesfalls krank!«, rebelliere ich. »Immerhin ziehe ich meine Oberteile richtig herum an, kann mir die Schuhe zubinden und mir was zu trinken einschenken, ohne dass ich es verschütte.«

»Okay, okay … Aber hast du wirklich noch beide Lungenflügel?«

»JA!«

Er lässt Mistinguette los und hebt kapitulierend die Hand.

»Schon gut. Ich hab nur gefragt.«

Wir schweigen. Mit seinen schlanken Fingern streichelt er Mistinguette. Die Kleine hat echt Glück. Es tut gut, sich verwöhnen zu lassen.

»KOMMT ESSEN, EHE ICH HIER EINEN MORD BEGEHE!«, schreit Zoé plötzlich vom anderen Ende der Wohnung. Ups! Mir wird klar, dass wir Jason und Zoé etwas zu lange allein gelassen haben. Das verheißt nichts Gutes …

Wir flitzen ins Wohnzimmer und fürchten bereits, eine apokalyptische Szenerie vorzufinden. Aber Jason steht wunderbarerweise aufrecht an der Tür, und so wie es aussieht, befindet sich jeder Teil seines Körpers noch dort, wo er hingehört. Zoé ist gerade dabei, den Tisch zu decken. Es riecht köstlich nach Spaghetti Bolognese. Ich habe das Gefühl, dass die gewohnte Routine wieder einsetzt, und ich bin froh darüber.

Doch dann stelle ich fest, dass Jason uns Zeichen macht. Offensichtlich ist ihm etwas unangenehm.

»Leute, ich habe noch was anderes vor und kann leider nicht zum Essen bleiben …«

»Schon gut, Idiot!« Zoé verdreht die Augen. »Du kannst bleiben. Ich muss sowieso weg.«

Sofort breitet sich ein siegreiches Lächeln auf Jasons Gesicht aus und er setzt sich. Ich runzle die Stirn und wende mich an meine beste Freundin. Dabei spüre ich, dass Loan uns anstarrt.

»Wo gehst du hin?«

»Ich treffe mich mit jemandem«, antwortet sie und wirft mir unseren geheimen Blick zu, den nur wir beide verstehen.